BERND UDO
SCHWENZFEIER
Das Todeskommando
Protokoll eines politischen Attentats
Meiner Familie
– insbesondere meinen Enkeln
Lukas, Isabeau und Elena –
in Liebe gewidmet.
.„… aus Irland sind wir gekommen,
großer Hass, wenig Raum verstümmelte uns schon von Anfang an.
Ich besitze seit dem Leib meiner Mutter ein fanatisches Herz …“
William Butler Yeats
Irischer Dichter
28.August 1931
Vorwort
Prolog
Juli 1981 in Irland
11. September 2003
12. September 2003
13. September 2003
14. September 2003
15. September 2003
16. September 2003
17. September 2003
18. September 2003
19. September 2003
20. September 2003
Epilog
Nachwort
Impressum
E-Books von Bernd Udo Schwenzfeier
True Crime
.„… wir sind gezwungen, unseren Kampf über Irland hinauszutragen, da die britische Öffentlichkeit von ihrer Regierung daran gehindert wird, sich über die Niederlage in Irland und den Widerstand gegen ihre Herrschaft zu informieren …“
So stand es am 6.Juli 1989 in der irischen Wochenzeitung .„An Phoblacht“, dem inoffiziellen Organ der .„IRA“ .(Irish Republican Army), in der die Terroranschläge und Bekennerbriefe üblicherweise gerechtfertigt bzw. kommentiert wurden. Dies war die lang erwartete Erklärung der nordirischen Separatisten, mit der ihre neue Terrorwelle auf dem europäischen Kontinent – und speziell in Deutschland – begründet werden sollte.
Es war die .„IRA-eigene Logik“: Mord an prominenten Vertretern der politischen Klasse und Sprengstoffanschläge gegen Angehörige und Einrichtungen der Britischen .„Rheinarmee“ mit dem Ziel zu verüben, die Wiedervereinigung der Republik Irland mit dem von den Briten besetzten Nordirland zu erreichen.
Quelle: BKA
Am Freitag, den 10.Juli 1981, war es ungewöhnlich heiß. Der vierzigjährige Cliff Pemberlake und seine Frau Elaine begaben sich an seinem freien Nachmittag in den Keller ihres kleinen Reihenhauses im verschlafenen Küstendorf Larne in Nordirland, das am North Channel gegenüber den Southern Uplands von Schottland liegt, um endlich einmal aufzuräumen. Ihr zehnjähriger Sohn Griffith saß in seinem Zimmer im Obergeschoss und malte ein Bild für den Geburtstag seiner Großmutter. Pemberlake war ein Mitglied des Security Services .(SS), dem britischen Nachrichtendienst in Nordirland, und arbeitete eng mit den Special Branches des Criminal Investigation Department, zuständig für Terrorismus, im nahen Belfast zusammen. Seine Aufgabe bestand im Sammeln und Bewerten von Hinweisen jedweder Art auf IRA-Aktivitäten im ländlichen Bereich um Belfast. Offiziell galt er bei seinen Bekannten und Nachbarn als biederer Verwaltungsangestellter, der im Grundstücks- und Katasteramt von Belfast angestellt war. Seine Tarnung war bisher perfekt gelungen und seine freundliche und hilfsbereite Art hatte ihm sowohl bei den katholischen als auch bei den protestantischen Nachbarn zu hohem Ansehen verholfen. Er war ein begeisterter Segler und seine Jolle lag fest vertäut im kleinen Hafen von Larne.
Es war ein schöner, wolkenloser Sommertag und viele der Bewohner des kleinen Ortes befanden sich mit ihren Kindern am Strand, der außerhalb des Dorfes lag. Das Reihenhaus der Pemberlakes stand am Ende einer kleinen Sackgasse. Direkt dahinter begann die hügelige Küstenlandschaft mit ihren saftigen Wiesen und unzähligen Buschreihen.
Griffith schreckte auf, als er das Geräusch des ankommenden Motorrads hörte und blickte neugierig aus dem Fenster. Unten stieg ein Mann vom Motorrad und kam mit ruhigen Schritten auf die Eingangstür zu. Der andere wendete das Motorrad und blieb mit laufendem Motor stehen. Das Gesicht des Fahrers konnte er nicht erkennen, weil es durch den schwarzen Motorradhelm verdeckt war. Wenige Augenblicke später hörte er die Haustürklingel.
.„Daddy, ich öffne die Tür“, rief er laut die Treppe in Richtung Keller hinunter.
Cliff blickte Elaine erstaunt an. Beide hatten das Klingeln der Türglocke und kurz darauf das Rufen ihres Sohnes gehört.
.„Lass das mal sein, Griffith, ich mach’ es selber. Der Besuch ist bestimmt für mich“, rief er und wandte sich seiner Frau zu. .„Sag mal, Elaine, wer könnte das sein? Wir sind doch mit niemandem verabredet und keiner weiß, dass ich heute Nachmittag frei habe. Ich wollte doch in aller Ruhe mit dir endlich den Keller aufräumen. Wer stört denn nun schon wieder?“
.„Ich weiß es auch nicht, mein Schatz. Aber ehe wir weiter rätseln, solltest du lieber nachschauen.“
Es klingelte zum zweiten Mal. Diesmal länger und drängender.
.„Da hat es aber einer eilig“, amüsierte sich Elaine.
Leicht genervt und kopfschüttelnd zog sich Cliff die Arbeitshandschuhe aus, wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und ging die enge Treppe nach oben. Elaine sah ihrem Mann belustigt hinterher und widmete sich dann wieder einer Kiste mit altem Geschirr ihrer Schwiegermutter. Er sah durch die Milchglasscheibe die Konturen eines Mannes, der trotz der angenehmen Temperaturen dunkle Kleidung trug. Ungewöhnlich zu dieser warmen Jahreszeit. Obwohl er schon von Berufs wegen ausgesprochen misstrauisch war, beging er an diesem warmen Sommertag einen tragischen Fehler und öffnete unbedacht die Tür. Vor ihm stand ein sehr großer und kräftiger Mann, der Lederkleidung trug und sein Gesicht mit einer Pudelmütze, in der sich Sehschlitze befanden, maskiert hatte. In der Hand hielt er einen Revolver. Blitzschnell erfasste Cliff die lebensbedrohliche Situation. Verdammt, er war wie ein Anfänger in eine Falle getappt und völlig wehrlos. Seine Dienstwaffe lag jetzt unerreichbar in der obersten Schublade des Schuhschranks, der neben der Kellertür stand. Der Unbekannte zischte:
.„Cliff Pemberlake, Sie sind ein gottverdammter Spitzel der Engländer und arbeiten gegen die Interessen des irischen Volkes. Dafür gibt es bei der IRA nur eine einzige Strafe.“
Pemberlake wurde über einen Meter zurückgeworfen, als ihn die zwei Kugeln in die Brust trafen. Der Schmerz in seinen Lungen zerriss ihn fast, und nahm ihm sofort den Atem. Noch bevor er auf den Boden der Diele zusammengebrochen war, hatte der Unbekannte die Waffe wieder eingesteckt, sich seelenruhig umgedreht und war, ohne den Sterbenden eines Blickes zu würdigen, gemessenen Schrittes zum Motorrad gegangen und aufgestiegen. Ohne große Eile fuhr die schwere Maschine davon, bog vorne rechts auf die Landstraße in Richtung Ballymena ein. Erst dann gab der Fahrer kräftig Gas.
Elaine zuckte erschreckt zusammen, als sie die zwei Schüsse hörte. Wie von Sinnen stürzte sie die Treppe hoch und blieb angewurzelt auf der letzten Stufe stehen. Fassungslos und zu keiner Regung fähig starrte sie auf das schreckliche Szenarium, das sich ihr bot. Direkt vor ihr lag Cliff zusammengekrümmt am Boden, die Hände über der Brust verkrampft. Sein Hemd war auf der Vorderseite über und über mit Blut durchtränkt. Das Grauen erfasste sie in Sekundenschnelle und ihr Schrei hallte durch das Haus und pflanzte sich durch die offene Eingangstür fort die menschenleere Straße hinunter.
Aber nach wenigen Augenblicken fasste sie sich und beugte sich zu ihm hinunter. Er hatte die Augen geschlossen und stöhnte leise. Verzweifelt tätschelte sie ihm die Wangen und rief seinen Namen.
.„Cliff, hörst du mich? Antworte, bitte! Cliff, lieber Cliff, sag doch etwas!“
Er öffnete mühsam die Augen und flüsterte:
.„Meine Brust tut so weh, mir ist so verdammt schlecht.“
Als sie sich erheben wollte, hielt er sie am Ärmel fest und murmelte kaum hörbar:
.„Bleib hier! Lass mich nicht allein!“
Er hustete mehrmals und Blut lief dabei aus seinem Mund. Elaine sah voller Entsetzen, dass Cliff schwer verletzt war und dringend ärztliche Hilfe benötigte. Und sie begriff augenblicklich, dass sie in dieser prekären Situation nicht die Nerven verlieren und in Panik verfallen durfte. Sie stöhnte vor Verzweiflung tief auf und Tränen rannen ihr über das Gesicht. Vor solch einer Katastrophe hatte sie sich immer wieder gefürchtet, seit Cliff vor drei Jahren diesen gefährlichen Job übernommen hatte. Trotz aller Bedenken und nach endlosen Diskussionen und der Abwägung des Für und Wider hatte sie schließlich seiner Versetzung zugestimmt, weil er jetzt endlich befördert werden konnte. Und so wollte sie Cliff auch keine Steine in den Weg legen, als er ihr den Vorschlag unterbreitete, von Bristol in die Nähe von Belfast zu ziehen. Voller Scham wurde ihr bewusst, dass sie damals die Gefahr für ihre kleine Familie schmählich unterschätzt hatte. Dieser Fehler hatte sich jetzt bitter gerächt. Aber für Selbstvorwürfe war es zu spät. Sie musste sich zusammenreißen und Cliff sofort helfen. Nur das zählte jetzt. Sanft löste sie seine verkrampften Finger von ihrem Arm, erhob sich, lief die wenigen Schritte zum Telefon, alarmierte einen Rettungswagen und die Polizei. Dann stürzte sie in die Küche und kam mit zwei Handtüchern zurück. Sie kniete sich neben ihn, riss vorsichtig das blutdurchtränkte Hemd auf und drückte ihm die beiden Tücher auf die verletzte Brust.
Er stöhnte leise auf und seine Augenlider flatterten wie Schmetterlinge.
.„Mein Liebling, bleib ganz ruhig und bewege dich so wenig wie möglich, der Rettungswagen wird gleich hier sein“, sagte sie mit tränenerstickter Stimme.
.„Elaine“, flüsterte er, .„es war ein Kommando der IRA, meine Tarnung ist aufgeflogen.“
Er verstummte erschöpft.
Was sollte sie jetzt nur tun? Sie war völlig hilflos und sah, wie die Kraft, wie ein kleiner roter Bach, unaufhaltsam aus seinem Körper herausfloss. Alles in ihr weigerte sich, das Unfassbare zu begreifen. Wenn nicht bald Hilfe kam, würde er unter ihren Händen verbluten. Cliff sah sie unverwandt und schweigend an. Er wusste offensichtlich, in welch hoffnungsloser Lage er sich befand.
.„Erzähl mir von unserer ersten Begegnung in London und erzähl mir von Griffith“, bat er sie stockend und schloss erschöpft die Augen. Sein Atem ging immer flacher und unregelmäßiger. Elaine erzählte ihm alles was ihr gerade so einfiel und sie sah, wie sich sein schmerzverzerrtes Gesicht mit einem schwachen Lächeln überzog.
Unvermittelt setzte seine Atmung aus, der Kopf fiel zur Seite und sein Körper streckte sich ein wenig. Sie hielt erschrocken inne und beugte sich über ihn. Er atmete nicht mehr und auch sein Puls war nicht mehr spürbar. Sein Gesicht hatte sich mit einer fahlen Blässe überzogen und langsam dämmerte ihr, dass es vorbei war.
Wie in Trance schloss sie ihm die Augen, küsste zärtlich sein Gesicht, aus dem jeglicher Schrecken gewichen war und sah auf ihre blutverschmierten Hände.
In der Ferne hörte sie die Sirene des Rettungswagens. Sie kommen zu spät, für immer zu spät, dachte sie und brach neben ihm zusammen.