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Inhalt

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Titel

John Steinbeck: Zum liebenswürdigen Floh

Karel Čapek: Die Katze

Elke Heidenreich: Was hat er denn??

Cíntia Moscovich: Zulu

Juan García Ponce: Die Katze

Dorthe Nors: Potluck

Julia Trompeter: Die Schweigsamkeit der Katzen

Françoise Sagan: Kater und Casino

Elke Heidenreich: Nichtstun

Karel Čapek: Mutterschaft

Carl MacDougall: Mussolini

Monica Cantieni: Goliath und die Goliaths

Willem Frederik Hermans: Die Liebe zwischen Mensch und Katze

Jaroslav Hašek: Erzählung von einer Katze

Jana Scheerer: Kater Zwei Null

Rudy Kousbroek: Der Vertrag

Zhang Jie: Die Katze, die keine Mäuse fängt

Gertrude Jekyll: Die Teegesellschaft der Katzen

Karel Čapek: Hund und Katze

Thomas und Jane Carlyle: Katzen und Hunde

Willem Frederik Hermans: Die Katze Kilo

Margit Schreiner: Die schottische Katze

Jaroslav Hašek: Vom eingebildeten Kater Bobeš

Erling Jepsen: Kratzspuren

Mirko Bonné: Ozelot

Karel Čapek: Die unsterbliche Katze

Joanna Sterling: Blau für Knaben, rosa für Mädchen

William Y. Darling: Des Buchhändlers Katze

Ditte Birkemose: Knud und der Kater

Elke Heidenreich: Vom Lesen

Karel Čapek: Ansichten einer Katze

Karin Kiwus: Erbe

Cecília Giannetti: Die grüne Katze

Rudy Kousbroek: Die selbstgebaute Katze

Julia Schoch: Herzlichen Dank

Nachweise

Autorenporträt

Über das Buch

Impressum

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Wirklich großartig ist,
dass es Katzen in allen Varianten gibt.
Man findet sie passend zu jeder Einrichtung,
jedem Einkommen,
jeder Art der Persönlichkeit
und der Laune.
Aber unter dem Pelz lebt unverändert
eine der freiesten Seelen der Welt.

Eric Gurney

John Steinbeck
Zum liebenswürdigen Floh

Manchmal wirft man mir vor, ich würde den grellen Misstönen unserer Zeit keine Beachtung schenken und meine Ohren vor den täglichen Trommelschlägen drohenden Ungemachs verschließen. Aber ich habe festgestellt, dass der Lärm des Augenblicks sehr bald zu einem Flüstern verhallt und die momentane Aufregung in Vergessenheit gerät, während die leisen Wahrheiten Jahr für Jahr Bestand haben. Um nur ein Beispiel zu nennen: Während ich das hier schreibe, fährt Mendès-France, das Schicksal der Welt in den Händen, nach Genf zurück. England und Amerika werden vom Sturm gebeutelt, und vielleicht wird sogar der Sowjet hinter seinem eisernen Vorhang von Albträumen geplagt. Angenommen, ich schriebe über diese bedeutsamen Ereignisse! Bevor mein Text gedruckt wäre, wäre alles vergangen und zum größten Teil vergessen und es gäbe neue Erschütterungen.

Als Gattung hatten wir Menschen mit Unannehmlichkeiten zu kämpfen, seit wir von den Bäumen stiegen und furchtsam in Höhlen Unterschlupf suchten, aber wir haben als Gattung überlebt. Und zwar nicht aufgrund großer Ereignisse, sondern vielmehr dank unbedeutender Dinge, wie der kleinen Geschichte, die mir zu Ohren kam – wahrscheinlich ist es eine sehr, sehr alte Geschichte. Aber so habe ich sie gehört.

Irgendwo in Paris – weder zu weit weg von der Place de la Concorde, noch zu nahe daran, gab es und gibt es vielleicht noch heute ein kleines Restaurant namens Zum liebenswürdigen Floh. Drei der Außentische wurden Tag für Tag geziert von einem Poeten, dessen Werk so grandios unergründlich war, dass nicht einmal er selbst es verstand; einem Architekten, dessen Ruhm auf seiner leidenschaftlichen Ablehnung des Strebebogens beruhte, und einem Maler, der mit unsichtbarer Tinte malte. Natürlich hatte jeder dieser drei seine Anhängerschaft, so dass der Liebenswürdige Floh mit der Zeit sogar von den Reiseleitern vorbeifahrender Touristenbusse erwähnt wurde.

Ungeachtet der wachsenden künstlerischen Bedeutung des Liebenswürdigen Flohs, zog auch die Küche durch ihre zunehmende Vortrefflichkeit immer mehr Gäste an. Madame leitete das Etablissement mit der Tüchtigkeit einer Tigerin. Madames Mutter verlieh dem Ganzen eine verblichene Eleganz, denn in der Provence war allgemein bekannt, dass sich ihre Tochter unter ihrem Stand verheiratet hatte. Drei heranwachsende Söhne widmeten sich vormittags in Les Halles der Auswahl des Geflügels und dem Erwerb der Mohrrüben und betätigten sich abends als Tellerwäscher, während die erwachsene Tochter, Angel genannt, bereits mit siebzehn in unsichtbarer Tinte gemalt, in einem Gedicht mit dem Titel »Traktor aus Butter« verewigt und von besagtem Architekten wegen ihrer Strebebögen verunglimpft worden war.

Doch nicht allein diese glücklichen Umstände begründeten das Geheimnis hinter der zunehmenden Bekanntheit des Liebenswürdigen Flohs. Diese beruhte vielmehr, so wie es sein soll, auf der Genialität des Besitzers und Küchenchefs, M. Amité, eines Mannes voller Leidenschaft und Empfindsamkeit, aber auch voller Ehrgeiz. Gewiss wäre ihm ein langes, zufriedenes Leben beschieden gewesen, hätte der Michelin ihn nicht mit einem Stern geehrt.

Dieser Stern veränderte alles. Der Ehrgeiz nährte sich an diesem Stern und wurde davon immer hungriger. M. Amité träumte, plante, lebte und litt in der Hoffnung auf einen zweiten Stern. Er fing an, sich geheimnistuerisch zu verhalten. Niemand durfte mehr in seine Nähe kommen, wenn er einem Soufflé seine Magie einflüsterte, das heißt, niemand mit Ausnahme eines großen und würdevollen Katers namens Apollo.

Wenn M. Amité seine Alchimie betrieb, flüsterte er Apollo, der sich gern auf einem hohen Hocker neben dem Hackbrett zusammenrollte, nicht nur seine Geheimnisse, sondern auch seine Bedenken und seine ehrgeizigen Ziele zu. Wollte der Meister eine Soße probieren, tunkte er Zeige- und Mittelfinger hinein, leckte den Zeigefinger ab und hielt Apollo den Mittelfinger hin, damit dieser kosten konnte. Auf diese Weise wusste er genau, was dem Geschmack des Katers entsprach, vor dessen Urteilsvermögen er den allergrößten Respekt hatte.

Viel Zeit war vergangen, seit der Michelin den ersten Stern vergeben hatte, eine lange und qualvolle Zeit. Daher machte sich, als ein Spion die Nachricht vom bevorstehenden Besuch des Michelin-Prüfers an einem Mittwoch überbrachte, im ganzen Restaurant allerhöchste Hochspannung breit. Erregung durchzitterte die Stammgäste. Spekulationen flogen hin und her. Madames Mutter holte den Spitzenkragen ihrer Großmutter aus dem schützenden Seidenpapier. Madame befehligte ein Reinigungskommando, das Ecken aufstörte, die seit der Weltausstellung von … nicht mehr behelligt worden waren. Angel verschob die Ankündigung ihrer dritten Verlobung.

M. Amité setzte Apollo in einen Korb und begab sich tief in den Wald von Vincennes, um nachzudenken. Und er ersann ein Gedicht, ein Gemälde, einen Triumph, dazu geeignet, Freudentränen in die Augen eines jeden Feinschmeckers zu treiben. Monsieur war zufrieden, seine Nerven waren ruhig.

Der Mittwoch aber war von Anbeginn an eine Katastrophe. Es regnete ununterbrochen, alles war ein einziges Grau in Grau. Die Mohrrüben in Les Halles waren schlaff, das Kalbfleisch zu alt oder zu frisch, die Seezungen – nun ja. Von den fünfhundert, die in die Hand genommen, beschnuppert und beäugt wurden, besaß nicht eine einzige die richtige Farbe, den richtigen Geruch, die richtige Konsistenz. Ein Komplott olympischen Ausmaßes war im Gange. Die Götter hatten sich gegen M. Amité verschworen.

Seine Ruhe war dahin. In seiner Nervosität beleidigte er Madames Mutter, zerstritt sich mit Madame, beschimpfte seine Tochter und verfluchte seine Söhne. Und als sei das alles noch nicht genug, trat er dem Kater auf den Schwanz, und als Apollo kreischte, versetzte M. Amité (wie soll ich es bloß ausdrücken?) versetzte M. Amité ihm einen Tritt, ja, richtig, einen Tritt.

Apollo schrie auf. Dann bedachte er seinen vormaligen Freund mit einem langen Blick, verzog das Gesicht zu einem Hohnlächeln und stolzierte aus der Küche, aus dem Restaurant, aus dem Liebenswürdigen Floh. Zuletzt erblickt wurde er auf dem Weg zu einer Gasse, in der er nicht nur Freunde, sondern auch Nachkommen sein eigen nannte.

Und da stand M. Amité nun am Morgen des Tages, der sein Glückstag werden sollte. Er hatte sich sein eigenes Gethsemane geschaffen. Dass sein häusliches Leben in Trümmern lag, hätte er vielleicht noch verkraften können, nicht jedoch, dass sein Vertrauter nicht mehr da war. Die Küche füllte sich mit harschen Echos, Töpfe und Pfannen klapperten in metallischem Zorn. M. Amités Stimme fand auf dem hohen Hocker keinen pelzigen Zuhörer. Apollo war weg, M. Amité war ein Wrack. Seine sonst so ruhige Hand zitterte, seine majestätische Gelassenheit lag in Scherben, sein Gespür dafür, was, wann und in welchen Mengen vonnöten war, war erschüttert, seine Geschmacksknospen taub, auf seinen Geruchssinn war kein Verlass mehr. Den Tränen nahe bereitete er das Mahl zu, das er so sorgfältig geplant hatte.

Der Regen troff, Madames Mutter keifte, Madame schwieg wie ein mürrischer Kartoffelkloß, und durch die Wände drang Angels Schluchzen.

Der Michelin-Mann kostete und war viel zu höflich, um die Teller von sich zu schieben. Aber als M. Amité aus der Küche kam, gab es keine Umarmungen, keine leuchtenden Augen, keine der kleinen Gesten von Fingern in der Luft, mit denen wir Vorzüglichkeit ausdrücken, die über Worte hinausgeht. Stattdessen war der Blick des Feinschmeckers verhangen, seine Höflichkeit eisig. Er verneigte sich, hüllte sich in seinen Mantel und trat in den strömenden Regen hinaus, um einer weiteren Verpflichtung nachzukommen.

In seiner Küche legte M. Amité den Kopf aufs Hackbrett und weinte.

Allmählich trat Zorn an die Stelle des Kummers, Zorn auf sich selbst: »Nur ein Unmensch«, sagte er laut, »würde seinem Freund einen Tritt versetzen. Nicht eines der wilden Tiere auf dem Felde würde sich ein solches Verbrechen zuschulden kommen lassen.«

Manchmal wirkt Verzweiflung wie Medizin. Nach einer Weile hob M. Amité den Kopf, sein Kinn zitterte nicht mehr. »Wahrscheinlich ist Apollo völlig durchnässt und todunglücklich«, dachte er. »Mag sein, dass es mir niemals gelingen wird, seine Freundschaft zurückzugewinnen, aber vielleicht kann er mir zumindest verzeihen.«

Und M. Amité machte sich daran, ein Gericht zuzubereiten, das eines Apollo würdig war.

Er rief sich in Erinnerung, welche Soßen an seinem Mittelfinger dem Kater besonders gemundet hatten. Seine Hand war wieder ruhig, seine Instinkte hellwach. Als er kostete, wusste er, dass seine Komposition ein Erfolg war und nur ein Kater auf dem besten Weg ins Irrenhaus diesem Gericht widerstehen konnte. Ganz zum Schluss fügte er noch eine weitere Zutat hinzu, fast einen Zauber, um seinen Freund zurückzugewinnen.

Das Gericht kam in den Herd und leicht gebräunt und duftend wie der Odem von Göttinnen wieder zum Vorschein. Mit großer Sorgfalt füllte M. Amité Apollos Napf und trat ohne Mantel in den Regen hinaus, um seinen Liebling zu suchen.

Der Olymp ist nicht gegen Mitleid gefeit. Die Musen können vergeben und vergessen. Waren sie boshaft und grausam, können sie gelegentlich auch Wiedergutmachung leisten. Falls Sie das nicht glauben, wie wollen Sie sich dann die folgenden Ereignisse erklären? Als der Michelin-Mann den Liebenswürdigen Floh verlassen hatte, bog er falsch ab, verirrte sich und verpasste seine nächste Verabredung. Wer stellte ihm ein Bein, so dass er in die Gosse fiel? Wer verwirrte und durchnässte ihn und ließ ihn vor Kälte zittern? Wer unterwarf ihn Unbequemlichkeiten, an die ein Gourmet nicht einmal denken mag, und als er völlig hilflos war, wer lenkte da seine erschöpften Schritte durch den strömenden Regen zurück zum abendlich beleuchteten Liebenswürdigen Floh, wo er auf einen schlichten Teller Suppe hoffte?

Niemand saß auf den Stühlen auf dem Bürgersteig, das Restaurant war leer. M. Michelin wankte in die Küche, und seine Augen gewahrten hinten auf dem Herd eine halb gefüllte Kasserole. Seine Nase bestätigte die Entdeckung.

Eine Stunde später saß M. Amité an einem seiner eigenen Tische, während Apollo auf seinem Schoß schnurrte. Ihm gegenüber vollführte der Michelin-Mann mit beiden Händen aufgeregte Gesten – ebenjene delikaten Gesten, als wolle man eine Maus melken, mit denen wir das Vortreffliche beschreiben.

»Ich schmecke den Ampfer heraus und ahne einen Hauch von Rosmarin«, sagte M. Michelin. »Ich gratuliere zu dem Spritzer bulgarisches Bitterbier, aber, mein Freund, das Ganze wird zu einer wahren Komposition gerundet durch … was ist es bloß? … da ist eine finale Größe, die ich einfach nicht platzieren kann.«

M. Amité lächelte zufrieden und streichelte die seidigen Ohren Apollos. Die Sterne in seinen Augen würden sich bald im Guide Michelin wiederfinden.

»Man hat eben so seine kleinen Geheimnisse«, sagte er. »Gerade Sie werden das doch verstehen.«

Heute sitzt jeden Tag ein Romanschriftsteller an einem der Tische des Liebenswürdigen Flohs, ein Romanschriftsteller, dessen Bücher so deprimierend sind, dass die ganze Welt zu ihm strömt. Touristenbusse halten an, um Pilger auszuspucken, und selbst zynische Pariser reiben sich die Hände und lecken sich die Lippen, wenn sie eintreten.

Und M. Amité ist heute der größte Einzelabnehmer von Katzenminze auf der ganzen Welt.

Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Walitzek

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Karel Čapek
Die Katze

Kann mir mal jemand erklären, warum sich eine Katze seltsam aufregt, wenn man ganz fein und hoch pfeift? Ich habe es schon an englischen, italienischen und deutschen Katzen getestet, doch es gibt keinen geographischen Unterschied: Wenn die Katze Ihr Pfeifen hört, fängt sie an, fasziniert um Sie herum zu streichen und sich zu reiben, sie springt auf Ihren Schoß, beschnuppert verwundert Ihre Lippen, und letztendlich beißt sie Sie in einer Art Liebeserregung mit einem leidenschaftlich verdorbenen Ausdruck in die Lippen oder in die Nase. Daraufhin hören Sie auf zu pfeifen, und sie schnurrt heiser und eifrig wie ein kleiner Motor. Ich habe häufig darüber nachgedacht und weiß bis heute nicht, welcher uralte Trieb dahintersteht, dass die Katzen das Pfeifen dermaßen lieben. Ich glaube nicht, dass es in der Urzeit Kater gegeben hat, die so dünn gepfiffen hätten, anstatt mit ihrem metallischen und rauen Alt zu rufen, so wie sie es jetzt gerade tun. Vielleicht lebten vor vielen, vielen Jahren und in wilden Zeiten Katzengötter, die zu ihren gläubigen Katzen mit magischem Pfeifen sprachen. Doch das ist nur eine Vermutung, und die besagte musikalische Bezauberung bleibt eins der Geheimnisse der Katzenseele.

Der Mensch denkt, er würde Katzen kennen, so wie er denkt, er kenne Menschen. Eine Katze ist etwas, das eingerollt auf dem Sessel schläft, manchmal durch die Gegend streunt und ihre Katzeninteressen verfolgt, manchmal einen Aschenbecher vom Tisch fegt und die meiste Zeit leidenschaftlich die Aufnahme der Wärme genießt. Doch das geheimnisvolle Wesen der Katze erkannte ich erst in Rom, und zwar nicht nur weil ich eine Katze beobachtete, sondern fünfzig Katzen, ein ganzes Rudel von Katzen, in den großen Katzenbecken rund um die Trajanssäule. Dort wurde das alte Forum wie ein Becken inmitten des Platzes freigelegt, und auf dem Boden dieses trockenen Beckens, zwischen den abgeschlagenen Säulen und den Skulpturen lebte ein unabhängiges Volk der Katzen. Sie ernährten sich von Fischköpfen, die von gutmütigen Italienern hinuntergeworfen wurden. Sie frönten einer Art Mondkult und machten anscheinend sonst nichts. Nun, dort hatte ich die Offenbarung, dass eine Katze nicht einfach eine Katze ist, sondern etwas Geheimnisvolles und Undurchdringbares, dass eine Katze ein wildes Tier ist. Wenn Sie zwei Dutzend Katzen laufen sehen, überrascht Sie die plötzliche Erkenntnis, dass Katzen nicht laufen, sondern schleichen. Eine Katze unter Menschen ist einfach nur eine Katze; eine Katze unter anderen Katzen ist ein schleichender Schatten im Dschungel. Eine Katze vertraut offensichtlich dem Menschen, einer anderen Katze keinesfalls, denn sie kennt diese besser als wir. Es heißt »wie Hund und Katze« als ein Symbol für gesellschaftliches Misstrauen; doch oft sah ich eine sehr enge Freundschaft zwischen einem Hund und einer Katze, dafür konnte ich nie eine enge Freundschaft von zwei Katzen beobachten, wenn man Katzenliebe außer Acht lässt. Die Katzen im Trajansforum ignorierten sich äußerst offensichtlich: Saßen sie auf einer Säule, so drehten sie sich den Rücken zu und wedelten nervös mit dem Schwanz, um zu zeigen, wie ungern sie die Anwesenheit des Flittchens da hinten ertrugen. Schauten sich Katzen an, so fauchten sie; liefen sie aneinander vorbei, würdigten sie sich nicht eines Blickes; sie verfolgten keine gemeinsamen Absichten; sie hatten sich nichts zu sagen. Bestenfalls ertrugen sie einander mit verächtlichem und abweisendem Schweigen.

Aber mit dir, Mensch, mit dir spricht die Katze; sie miaut dich an, sieht dir in die Augen und sagt: Mensch, mach mir die Tür auf; du Vielfraß, gib mir etwas davon ab, was du isst; streichle mich; erzähl mir was; mach Platz für mich auf meinem Sofa. Bei dir ist sie kein wilder, einsamer Schatten, für dich ist sie einfach eine Hauskatze, weil sie dir vertraut. Ein wildes Tier ist ein Tier, das kein Vertrauen hat. Die Domestizierung ist schlicht und einfach ein Zustand des Vertrauens.

Und mein lieber Mensch, auch wir sind ja nur dann nicht wild, solange wir einander vertrauen. Sollte ich – beispielsweise – aus dem Haus hinausgehen und dem ersten Mannsstück, dem ich begegne, misstrauen, würde ich mich ihm nähern und tief knurren, die Beine anspannen, um ihm beim ersten Blinzeln an die Gurgel zu springen. Wenn ich den Menschen, mit denen ich in der Straßenbahn fahre, nicht vertrauen würde, dann müsste ich den Rücken zur Wand drehen und fauchen, um sie einzuschüchtern. Doch stattdessen halte ich mich friedlich am Griff fest und lese Zeitung, zeige ihnen ungeschützt meinen Rücken. Laufe ich auf der Straße, denke ich an meine Arbeit oder an gar nichts, ich achte nicht darauf, was mir die Vorbeigehenden antun könnten; es wäre schlimm, wenn ich sie aus den Augenwinkeln beobachten müsste, ob sie nicht versuchen, mich aufzufressen. Der Zustand des Misstrauens ist der ursprüngliche Zustand des Wildseins, Misstrauen ist das Gesetz des Dschungels.

Politik, die sich aus Misstrauen nährt, ist eine Politik der Wildnis. Eine Katze, die dem Menschen nicht vertraut, sieht keinen Menschen in ihm, sondern ein wildes Tier. Ein Mensch, der dem anderen nicht vertraut, sieht in ihm ebenfalls ein wildes Tier. Das Bündnis des gegenseitigen Vertrauens ist älter als die menschliche Gesellschaft, und Menschheit bleibt Menschheit. Wenn man aber das Vertrauen abschaffen würde, dann wird die Welt der Menschen zur Welt der Raubtiere.

Ach, wissen Sie was, ich werde jetzt meine Katze streicheln; sie gibt mir viel Trost, denn sie vertraut mir, auch wenn es nur ein kleines graues Tier ist, das von was weiß ich woher zu mir kam, aus den unbekannten verwilderten Ecken der Prager Hinterhöfe. Sie schnurrt und schaut mich an. »Mensch«, sagt sie zu mir, »kraul mich doch mal zwischen den Ohren.«

Aus dem Tschechischen von Marcela Euler

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Elke Heidenreich
Was hat er denn??

Es gibt nur ein einziges Wartezimmer, in dem die Zeit niemals lang wird. Es gibt nur ein Wartezimmer, in dem sich alle, die dort sitzen, sofort verbrüdern, denn sie müssen ja gleich nicht selbst unters Messer oder an die Spritze, der Liebling muss. Der Liebling liegt phlegmatisch unter dem Stuhl oder furchtsam maunzend im Körbchen, und die Frage, die in diesem Wartezimmer unverzüglich gestellt wird, wenn jemand Neues den Raum betritt, diese Frage lautet:

»Oh! Was hat er denn?«

Er, das ist wahlweise ein Dackel mit Triefaugen, ein Rottweiler mit Zahnschmerzen, ein zu kastrierender Kater, ein kotzendes Kätzchen, ein Papagei, dem die Krallen geschnitten werden müssen, ein schwermütiges Meerschweinchen, ein Hase, der nicht frisst, ein Mops, der gegen Tollwut geimpft werden muss. Wildfremde Menschen nehmen Anteil, und die Aufnahmeformel in den Club der Tierfreunde lautet, wie gesagt:

»Was hat er denn?«

Hier sitzen sie friedlich beieinander, der Mann mit dem besten Deckrüden von Südbaden und die Frau, die täglich böse Leserbriefe gegen Hundehaufen in der Innenstadt schreibt. Ihr Wellensittich lässt die Flügel hängen, die Hundehaufen sind vergessen, gemeinsames Leid von Sittich und Deckrüde webt ein starkes Band um diese Wartegemeinschaft. Es riecht trostlos nach Desinfektion, Pipi und nassem Fell, es riecht nach Angst und Hoffnungslosigkeit beim Tierarzt, immer. Die Sitze sind weiße Hartschalen, auf den Tischen liegen ausschließlich Hinweise auf Impfungen und Zettel, die zu sofortiger Barzahlung mahnen, und aus den Körbchen maunzt und faucht es. An den Wänden rahmenlos hinter Glas entweder Fotos aus Naturschutzparks, die der Tierarzt selbst im letzten Urlaub geschossen hat, oder geschenkte Bilder, Devotionalien von dankbaren Tierfreunden: Bello noch mit verbundenem Ohr im karierten Körbchen, Purzel strahlend auf Frauchens Schoß, Hase Hoppel glücklich im Käfig, Kater Fritz wieder gesund, mit Maus im Maul. Hier sind Lesezirkel überflüssig. Hier wird nicht gelesen, wie es den monegassischen Prinzessinnen oder der Ehe von Prominenten geht. Hier wird gestreichelt, getröstet, geflüstert, hier werden Pfoten gehalten, Hände verschwinden in Tragetaschen, aus denen es wimmert, und von Stuhl zu Stuhl wandert quer durch den Raum die Frage:

»Was hat er denn?«

»Entwurmen«, sagt der Herr im Jogginganzug und zeigt auf seinen Boxer. Die Dame mit Pelz versichert, dass ihr Yorkshire immer in ihrem Bett schläft. Wir glauben es. Zwei Kinder umklammern einen Schuhkarton mit Meerschweinchen. Was hat er denn? »Sie«, sagen die Kinder, sie heißt ja Carmen, und sie hat ein böses Ekzem. »Das hatte meiner auch mal«, sagt die vornehme Dame mit dem Siamkater, der schon alle Preise gewonnen hat. »Da hilft täglich ein Löffelchen Olivenöl.« Der beste Deckrüde knurrt böse, Herrchen reißt an der Leine. »Zerren Sie ihn doch nicht so«, sagt die alte Dame mit dem Triefaugen-Dackel, «das tut ihm doch weh.«

»Dem tut nie was weh«, brummt Herrchen, steht auf und zerrt seinen Deckrüden, der sich sträubt und spreizt und nicht ins Sprechzimmer will, ruppig hinter sich her. Für die nächste halbe Stunde ist er das Gesprächsthema Nummer eins.

»Was manche Menschen den Tieren antun«, sagt die Frau mit Preiskater und zupft ihren sicher auch nicht auf einem Baum gewachsenen Pelzkragen zurecht. Ein Labrador liegt unter einem Stuhl und hat aufgegeben, noch zu hoffen. Frauchen bückt sich: »Na?« fragt sie, »bist du auch brav?« Der Labrador klopft einen Rhythmus mit seinem kräftigen Schwanz: brav, brav, brav. Hier sind alle brav. Dies ist der bravste Ort der Welt, keine Widerworte, keine Renitenz, keine Kämpfe unter natürlichen Feinden, kein Aufbegehren gegen das Schicksal – ihr, die ihr eintretet, lasset alle Hoffnung fahren. Jedes Tier weiß das sofort, riecht es, kommt ja meist ohnehin schon in überempfindlichem, lädiertem Zustand nach unangenehmer Autofahrt hierher. Die Herrchen und Frauchen wachsen über sich selbst hinaus. Sie erzählen Geschichten, die bis weit zurück in die Kindheit reichen, wo man auch einmal einen Hasen, einen in Italien gefundenen Kater oder eine Schildkröte hatte. Jeder hat für jeden einen Ratschlag, das reicht vom schon erwähnten Löffelchen Olivenöl über die patente neue Zeckenzange bis zum täglichen Apfel für den Labrador. »Apfel? Das würde Karlheinz niemals essen«, versichert die alte Dame und streichelt ihren Dackel. »Meiner frisst alles«, sagt Frau Labrador etwas düster und verweist auf den großen Leibesumfang ihres Hundes. »Der frisst sogar morgens die Post, wenn wir nicht aufpassen.«

Es gibt ein bisschen Gelächter, aber nur gedämpft. Hier ist alles gedämpft. Geht es uns selbst an den Kragen, schalten wir einfach einen Gang herunter, wir werden still, demütig, duldsam, schwören uns, ab morgen wirklich mehr Sport zu treiben und weniger zu saufen, wenn nur der Doktor nichts findet. Ist der Liebling hingegen krank, befällt uns eine leichte Hysterie, ein Beschützerinstinkt über jedes Maß hinaus, eine nervöse Anteilnahme am Schicksal des pelzigen oder gefiederten Freundes: Der Onkel Doktor tut dir schon nichts, ich bin ja bei dir, gleich sind wir wieder zu Hause.

Der Onkel Doktor tut dir schon nichts? Der Onkel Doktor ist eine Tante Doktor, erste Lüge, und die Tante Doktor kastriert und sterilisiert, schläfert ein und schneidet weg, spritzt und zapft Blut ab. Man muss fiepen, wimmern und kreischen. Herrchen bleibt standhaft, Frauchen weint mit, aber es wird gelogen, dass sich die Balken biegen: »Das tut doch gar nicht weh! Gleich ist es gut!«

Es tut weh, und nichts ist gut. Die Lügen hängen hier in der Luft wie dicke faulige Gerüche, und die Tiere riechen sie und ergeben sich, mehr oder weniger klaglos. Die Katzen klagen am meisten. Hunde lassen apathisch Schwanz und Ohren hängen, aber Katzen hören nicht auf, den Korb von innen zu malträtieren und Lieder in abscheulichen Tonarten und mit vielen Strophen zu singen. Refrain: »Solche Leute sollten keine Katze haben! Wann kann ich hier endlich raus?«

Wenn alles vorbei ist, treten wir auf die Straße. Ah, frische Luft! Es war doch sehr muffig da drin. Sehr muffig, und in der Regel sehr teuer, sofortige Barzahlung. Aber der kleine Liebling im Körbchen oder an der Leine ist versorgt, wird nach Hause getragen und hat es für diesmal überstanden. Wir sind erschöpft.

Wir erholen uns aber am nächsten Tag beim Zahnarzt. Da lesen wir in einer total zerfledderten Zeitung, dass Liz Taylor siebzig geworden ist und dass sie zwar viel krank war, oft operiert wurde, aber doch Zeit hatte, um achtmal zu heiraten. Richtig! Das hatten wir ja beinahe schon wieder vergessen. Liz Taylor… lebt die denn noch? Nein, die ist doch gestorben? Von wann ist denn diese Zeitung, großer Gott im Himmel? Egal, wir lesen weiter, und unser eigenes Leben kommt uns daneben ereignisarm vor, wir träumen uns zum Fenster hinaus, irgendwohin, wo mehr los ist. Es ist wieder zu warm im Wartezimmer. Jemand hustet, es hustet immer jemand. Der Nächste bitte! Der Nächste sind wir. Und der Doktor fragt: »Na, wo fehlt’s denn?«

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Cíntia Moscovich
Zulu

Für Abner de Irrawady of Chatquirit

Dona Alcione, die Nachbarin aus dem Hochhaus nebenan, kam am späten Vormittag mit der Neuigkeit. Sie brachte sie mir mit dieser uralten Freude der Menschen, die für Dinge, die von anderen stammen, Liebe empfinden.

Als ich die Tür öffnete, sah ich den aufgeregten Ausdruck in ihrem runden und glänzenden Gesicht, die vor Hoffnung strahlenden Augen. Auf ihren weichen Armen trug sie etwas vor der Brust, das in ein Handtuch gehüllt war. Schau mal, was man bei mir zu Hause abgegeben hat, sagte sie, öffnete das kleine Bündel und schon war es zu sehen.

Ein Kätzchen.

Sein Gesicht schien fast nur aus riesigen gelben Augen zu bestehen, die sich vom schwarzen Fell abhoben, das kleine Maul kaum mehr als eine Ritze am dreieckigen Kopf. Es bewegte neugierig die Ohren.

Bedrängt von der Situation, wusste ich nicht recht, was zu tun: Ich suchte Schutz hinter der Tür, als hätte ich etwas sehr Bedrohliches vor mir. Mir fiel nichts Passendes ein, was ich hätte sagen können. Aus dem Wohnzimmer rief Anabel, der kleine Naseweis: Mama, was ist?

Da ich ihr nicht antwortete, schob sie sich an mir vorbei, zog die Tür weiter auf, um besser sehen zu können, und schaute die Nachbarin an. Natürlich begriff sie sofort, dass Dona Alcione nicht alleine war, und fragte auf Zehenspitzen stehend, ob sie mal gucken dürfe. Dona Alcione, die zu verführen wusste, beugte sich leicht hinab. Die beiden kleinen Geschöpfe schauten einander an. Ich spürte, dass der Zauber des kleinen Kätzchens meine Tochter unvorhergesehen traf wie ein Blitz, und umgekehrt, bei Kindern und Tieren ist das so. Anabel streckte die Hand nach dem Kätzchen aus. Aber Dona Alcione, sehr bedacht auf ihre Rolle, merkte, dass es vielleicht besser sei, das kleine Geschöpf auf den Boden zu setzen. Sanftheit macht mich manchmal schnippisch und hart; manchmal, wie in diesem Augenblick, schüchtert es mich derart ein, dass ich unfreiwillig verstumme. Auch wenn ich es vielleicht gar nicht will und nicht verstehe, was mir da unterläuft, ist mein Schweigen doch eine Art Zustimmung. Das Kätzchen wurde auf den Teppich im Wohnzimmer gesetzt.

Es war ein wackliges Ding mit unsicheren und zögerlichen Schritten. Dona Alcione holte tief Luft und warf sich das Handtuch über die Schulter: »Armes Kerlchen. Ist sicher noch keine zwei Monate alt und schon Waise.«

Ihre Worte, die, auf diese Weise ausgesprochen, eine so große Dimension bekamen, brachten mich ins Wanken. Ich hatte meiner Tochter schon Fische, Schildkröten und sogar ein Kaninchen mit großen roten Augen und watteweißem Fell geschenkt. Aber umsorgt von Anabel war die Lebensdauer der Tiere nie sehr lang: der Fisch vertrug ein Seifenbad nicht, die Schildkröte überlebte einen Strandausflug nicht und das Kaninchen stürzte sich heldenhaft vom Fensterbrett unserer Wohnung im siebten Stock – worüber ich dermaßen erschrak, dass ich Schutzgitter anbrachte. Nie im Leben hätte ich an einen Hund oder eine Katze für sie gedacht, Geschöpfe, die dem Menschen nur allzu ähnlich sind.

Meine Tochter setzte sich auf die Fersen und strich dem Tier zaghaft übers Fell. Das Kätzchen erschauderte, streckte seine Pfoten und rieb den grauschwarz melierten Rücken an Anabels Beinen. Das war’s, damit war die Katastrophe perfekt. Obwohl ich alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hatte, war nun klar, dass sie nicht auf die Welt gekommen war, um Fische, Schildkröten oder Albino-Kaninchen zu versorgen: Sie war auf die Welt gekommen, um die Beschützerin dieser gefangenen Kreatur zu sein. Deshalb, und nur deshalb verstummte ich resigniert, als sie fragte, ob der Kleine bei uns bleiben dürfe. Als ich wieder zu Verstand kam, die Frage noch mal und noch mal hörte und Anabel schon am Saum meines Kleides zupfte – erlaubst du’s, Mama? erlaubst du’s? –, antwortete ich, gut, wir könnten es versuchen. Und bevor sie den Eindruck gewinnen konnte, ich würde leicht einknicken, fügte ich warnend hinzu, dass man mit einem solchen Versuch nicht immer Glück habe.

Dona Alcione fiel plötzlich ein, dass sie gehen, die noch übrigen Haushaltsaufgaben erledigen und auf dem Markt einkaufen müsse. Da es kein Zurück mehr gab und es mir mehr als ungerecht vorkam, diesen Freudenmoment meiner Tochter zu zerstören, öffnete ich der Nachbarin die Tür. Ich wusste nicht, ob ich ihr jetzt danken oder sie verfluchen sollte. Bevor sie in den Fahrstuhl stieg, rückte sie noch damit heraus, dass es wohl ein Kater sei. Sicher, wirklich sicher war sie nur damit:

Er ist voller Flöhe.

Flöhe. Von einem Moment auf den anderen saß da auf dem Wohnzimmerteppich ein Tier mit lauter Parasiten. Erst jetzt, und damit längst zu spät, dachte ich daran, was mein Mann wohl sagen würde, wenn er zum Abendessen nach Hause kam und den neuen Mitbewohner sah. Aber die ganze Zeit hoffte ich, er würde verstehen, dass Anabel und der Kater zusammengehörten, eine nicht zu leugnende Verbindung hatten, bei der Vater und Mutter einfach nachgeben mussten. Ich schaute zu dem Tier, das unsicher über die Teppichblumen tapste. Anabel war gnadenlos: Mama, was machen wir jetzt? Aber woher sollte ich das wissen? Der Blick meiner Tochter wartete voller Hoffnung auf meine erste liebevolle Geste: Ich, die Mutter, war in ihren Augen verantwortlich für Liebe und Erziehung. Also näherte ich mich, wenn auch nicht frei von Bedenken. Der Kleine hob den Kopf.

Miaute.

Ah, der Schmerz, wenn ein Junges maunzt. Ich wusste sofort, dass ich es füttern musste, die Flöhe entfernen – nur wie? –, ihn impfen lassen und etwas besorgen musste, wo er Pipi und Kacka machen könne.

Ganz vorsichtig und äußerst behutsam tat ich, was meine Tochter von mir erwartete: Ich nahm den Kleinen auf den Arm. Ein kleines Etwas mit warmem Körper und stumpfem Fell, ein Fliegengewicht, viel leichter als man annahm, Zärtlichkeit in den sanften Augen, als könnten Augen vor Freude seufzen, als es sich bei mir bequem machte. Ich trug ihn in die Küche und setzte ihn auf die Fliesen. Auf dem kalten Boden konnte er nur mit Mühe das Gleichgewicht halten, aber als ich ihm eine Untertasse mit Milch vorsetzte, stürzte er fast vornehm darauf zu. Er schleckte die Milch so genüsslich auf, wie es ihm nur zustand: Schließlich hatte er quälend lange warten müssen. Wir beide sahen zu, wie er mit leidvollem Ausdruck schmauste. Die Milch war Liebe unter Fremden.

Kurz bevor wir uns zum Mittagessen an den Tisch setzten, fragte meine Tochter, ob sie das Tierchen Zulu nennen könne. Warum?, wollte ich wissen. Die Hände in die Hüften gestemmt, erklärte sie mir nahezu empört, dass ich das Offensichtliche wohl nicht bemerkt hätte:

Weil er ganz schwarz ist.

Ich stimmte ihr mit einen Ausruf zu, der meine große Dummheit zu erkennen gab.

Am Nachmittag dann alles auf einmal: ein Besuch beim Tierarzt um die Ecke, eine gründliche Untersuchung – ja, es war ein Kater –, ein Mittel gegen Flöhe, Würmer, Impfungen, Spezialnahrung. Die Rechnungssumme kam mir äußerst hoch vor für ein so kleines Tier mysteriöser Herkunft. Und zu allem anderen musste ich diese Ausgabe jetzt auch noch rechtfertigen.

Als mein Mann am Nachmittag nach Hause kam, wackelten in unserem Hochhaus die Wände: Wie um alles in der Welt hatte ich nur so unverantwortlich sein können? Und schon zählte er Seuchen, Krankheiten, Pilze, Viren, Bakterien, gefährliche Keime und Erreger auf. Anabel, die auf seinem Schoß saß, beschwichtigte ihn: Er müsse sich keine Sorgen machen, der Kater sei ganz sauber und geimpft, sie würde sich gut um ihn kümmern, er heiße Zulu, weil er schwarz sei. Da war nichts zu machen, das Schicksal der beiden war besiegelt. Es lag nicht allein an Anabels ehrlicher Begeisterung, dass er schon da seine Gefühle und sein Unwohlsein begrub. Er war geschlagen, als er Interesse für das Katerchen zeigte, schließlich weckten Lebewesen, die sich eigenständig fortbewegten, zärtliche Neugier in ihm.

Als ich mit dem Abendessen aus der Küche kam, bot sich mir folgendes Bild: auf dem Schoß meines Mannes saß Anababel, auf Anabels Schoß Zulu. Sie sahen glücklich aus.

Nachts sollte das Tierchen im Haushaltsraum schlafen, in einem Korb, der zuvor der Aufbewahrung von Obst gedient hatte. Ich machte das Licht aus, schloss die Tür, ging ins Zimmer meiner Tochter und gab ihr einen Gutenachtkuss. Anabel versuchte, mit mir zu verhandeln, wollte, dass das Kätzchen bei ihr schlief. Ich sagte, nein, daran solle sie gar nicht erst denken. Dennoch ging ich, Gott weiß warum, zurück zum Haushaltsraum und ließ die Tür einen Spalt geöffnet. Zulu erwachte zusammengerollt am Fußende meiner Kleinen.

Das Katerchen war unserer Zählung nach jetzt schon acht Monate alt. Es wuchs, wurde kräftig und muskulös, ein schnurrendes Wesen mit starker Persönlichkeit, das vor Stolz nur so strotzte. Er war ein glücklicher Kater, nicht nur, weil Anabel ihn liebte: Er war glücklich und zufrieden, ein Kater zu sein. Die Tage verbrachte er damit, ausgestreckt auf dem Sofa zu schlafen, sein Körper zuckend, als habe er einen wilden Traum. Seine Augen bekamen einen goldenen und durchscheinenden Glanz, und in seinem Blick lag die Gelassenheit von einem, der alle Geduld und Zeit der Welt hatte. Er fraß aus seiner Schüssel, die neben dem Herd stand, manchmal auch wählerisch stochernd. Lernte problemlos die Sandkiste zu benutzen, die ich in den Haushaltsraum gestellt hatte, und Anabel hatte größten Spaß daran, ihm zuzusehen, wie er Pipi machte. Es stimmte, selbst beim Verrichten grundlegender Bedürfnisse wirkte er piekfein.

Dann, an einem Samstagmorgen, kam Anabel atemlos in die Küche:

Mama, Zulu ist krank.

Ich hatte schon bemerkt, dass er häufiger miauend herumlief als sonst, hatte es aber nur für eins seiner Zipperlein gehalten. Also rannte ich ins Wohnzimmer, trocknete mir die Hände an der Schürze ab und sah, dass Zulu sich auf dem Boden wälzte und stark zusammenkrampfte. Ich wickelte ihn sofort in ein Handtuch und rannte mit ihm zur Tierärztin.

Die Ärztin musste ihn nicht lange untersuchen, um die Diagnose zu stellen. Bevor sie uns aufklärte, betonte sie aber, sie würde normalerweise fast ausnahmslos Hunde behandeln, selten käme jemand mit einer Katze in ihre Praxis, da könne sie sich schon einmal irren. Anabel war den Tränen nah und hörte sich alles an, ohne dass sie irgendetwas verstand. Mir ging es genauso. Ich bat die Ärztin, mir zu sagen, was Zulu habe. Die Tierärztin, knallrot im Gesicht, sagte, unser verwöhnter Liebling sei ganz sicher nicht krank. Was hat er dann?, fragte ich fast flehend. Sie senkte den Kopf und die Stimme und sagte:

»Zulu ist eine Katze.« Unverzüglich, noch röter als zuvor, was unmöglich schien, schossen dann die erlösenden Worte aus ihr heraus: »Und sie ist rollig.«

Aus Leben entsteht immer wieder neues Leben und damit auch neue Verbindungen, das wollten wir Anabel beibringen, als wir entschieden, was wir tun würden. Vorher sprachen wir natürlich mit der Tierärztin, die uns bei allem Notwendigen half.

Zilá geht es gut, sie ist eine außergewöhnliche und liebevolle Mutter, es ist wunderschön anzusehen, wie sie ihre Jungen säugt. Anabel verbringt Stunden damit, die sieben kleinen Katzenbabys zu beobachten, das Gesicht in die Hände gestützt, gerührt vom Anblick dieser kleinen Wesen, deren Geburt sie in ihrem eigenen Zimmer miterlebt hat. Auch meinen Mann habe ich schon erwischt, wie er auf dem Boden saß und den bezaubernden Anblick genoss, und ich vermute, dass er in solchen Momenten dann mit den Dränglern schimpft, die auf ihre Geschwister treten, um an die vollste Zitze zu kommen. Ich habe mir überlegt, dass ich zu Dona Alcione gehe, wenn die Kleinen zwei Monate alt sind, sie weiß immer, was man in solchen Fällen macht. Die gemeine Lösung habe ich verworfen: Jetzt bleibt die ganze Familie noch länger hier. Ich habe sehr viel von Anabel gelernt. Unter anderem den sanften und neuen Instinkt, für Dinge, die von anderen stammen, Liebe zu empfinden.

Aus dem Portugiesischen von Maria Hummitzsch

Einfachheit2.tif