Mohamed El Bachiri | David Van Reybrouck
Mein Dschihad der Liebe
Aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert
FISCHER E-Books
David Van Reybrouck, geboren 1971, ist ein preisgekrönter Journalist und Bestsellerautor. Seine Bücher sind international erfolgreich, u.a. sein vielfach gelobtes Buch »Kongo. Eine Geschichte«.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Mohamed El Bachiri ist Belgier mit marokkanischen Wurzeln, Muslim und lebt in Molenbeek. Am 22. März 2016 verlor er seine Frau Loubna, seine große Liebe und die Mutter seiner drei Kinder, bei den Terroranschlägen in Brüssel. Die eindrucksvolle Rede, die er danach im belgischen Fernsehen hielt, berührte Millionen. In Mein Dschihad der Liebe – aufgezeichnet von David Van Reybrouck – spricht El Bachiri über seine Kindheit in Belgien, die Liebe zu seiner Frau und sein Leben nach den Anschlägen allein mit seinen drei Kindern. Es ist eine Hommage an die Liebe seines Lebens und eine humanistische Botschaft für die Verständigung der Religionen und gegen den Hass.
Dieses Buch wurde mit Unterstützung des Flämischen Literaturfonds herausgegeben (www.flandersliterature.be).
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die niederländische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel
»Een Jihad van Liefde«
im Verlag De Bezige Bij, Amsterdam/Antwerpen
© 2017 Mohamed El Bachiri und David Van Reybrouck
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2017 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Coverabbildung: © Anton Coene
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-490610-2
Der Koran, al-ḥuğurāt, 49:13
Der Koran, az-zumar, 39:18
Hadith, Sahîh al-Djâmi 7374 (Al-fath, 4/465).
Hadith, Sahîh al-Djâmi, 694 (Ahmad ibn Hanbal, 5/152).
Dschihad (Substantiv, m)
(Arab.: jihād, Anstrengung, Kampf auf dem Wege Gottes)
Anstrengung, die jeder Muslim auf sich nehmen muss, um seine Leidenschaften zu bezwingen (vom Propheten Mohammed als der »große Dschihad« betrachtet).
Kampf, um das Territorium des Islam zu verteidigen (als der »kleine Dschihad« betrachtet).
Larousse, Dictionnaire de français.
Loubna, Liebste,
nichts hat noch einen Reiz, nichts hat mehr einen Sinn.
Meine Träume waren die deinen, deine Träume die meinen.
Zusammen alt werden, Hand in Hand.
Die Kinder aufwachsen sehen, in Freude und Liebe.
Das war unser Weg, vorgezeichnet von Dem, der die Feder des Schicksals führt.
Das dachten wir zumindest.
Doch zu unserem großen Kummer erwartete uns ein anderes Schicksal.
Du warst meine Seelenverwandte, meine Vertraute, meine beste Freundin.
Liebe meines Lebens, Mutter meiner Kinder,
die, mit der ich immer lachte.
Wir hatten eine ernsthafte Beziehung, nahmen uns selbst aber nie zu ernst.
Unsere Geschichte gründete auf Liebe, Vertrauen und Respekt.
Einfache und doch starke Liebe.
Was für eine außergewöhnlich seltene Perle besaß ich.
Sie schenkte mir so viel Freude, einfach, indem sie bei mir war.
Was für ein Glück, eine so schöne, intelligente Frau
mit einem so großen Herzen zu haben …
Wir haben unsere Kinder immer beschützt gegen Krieg und Wahnsinn.
Aber das Schlimmste ist uns doch widerfahren.
Auge in Auge mit dem Unfassbaren – was soll ich den Kindern sagen?
Ich hatte frei.
Sie nahm die Metro.
Eine ihrer Freundinnen kam zu mir.
Sie sagte, es habe einen Anschlag gegeben.
Ich hatte sofort eine schlimme Vorahnung.
Ich sah, dass sie nach 9:10 nicht mehr online gewesen war.
Da wusste ich genug.
Ich ging zu meinen Eltern.
In eine Decke gehüllt, brach ich zusammen.
Ansonsten habe ich eine Art Gedächtnisverlust.
Ich befinde mich in einer anderen Dimension.
Nur so kann ich leben.
Wenn sie abends im Bett liegen, schreibe ich manchmal auf dem Display meines Handys. Texte und Sätze, die mir durch den Kopf gehen, manchmal auch Gedichte. Schreiben, Worte finden, wahre Worte.
Wenn ich über Liebe schreibe, komme ich deinem strahlenden Gesicht näher.
Es ist mitten in der Nacht.
Ich gehe die Treppe hinab.
Alles dreht sich.
Wo bin ich?
Der Kleine ist aufgewacht.
Er weint.
Er hat Hunger.
Er ist drei.
Unser Jüngster.
Wir haben drei.
Drei Söhne. Zehn, acht und drei Jahre alt.
Unsere Kinder.
»Meine Kinder«, muss ich jetzt sagen.
Ihr Name steht noch immer neben der Klingel.
Natürlich. Das hier ist ihr Zuhause.
Auch wenn sie nicht mehr hier lebt.
Auch wenn sie nicht mehr lebt.
Sie hatte einen leichten, ich einen festen Schlaf.
Am Anfang unserer Ehe musste ich mich daran gewöhnen.
Wie an so vieles.
Die Regelmäßigkeit, das Zusammenleben, all diese Dinge.
Ich schlief am liebsten mit einem Buch ein.