Buch
Die junge Staatsanwältin Jennifer Parker begeht gleich an ihrem ersten Tag bei der Staatsanwaltschaft einen fatalen Fehler, und ihre berufliche Zukunft scheint ruiniert. Doch Jennifer kämpft um ihr Ansehen, macht sich als erfolgreiche Staranwältin einen Namen und verliebt sich in den verheirateten, aber überaus charmanten Politiker Adam Warner, der sich mit vollem Einsatz dem Kampf gegen New Yorks Mafia widmet. Damit scheint Ärger vorprogrammiert, denn Jennifer ist bald nicht nur die persönliche Anwältin des Mafia-Clans, sondern auch die heimliche Geliebte des gefürchteten Mafia-Bosses Michael Moretti.
Autor
Sidney Sheldon begeisterte bis heute über 300 Millionen Leser weltweit. Vielfach preisgekrönt – u. a. erhielt er 1947 einen Oscar für das Drehbuch zu »So einfach ist die Liebe nicht« –, stürmte er mit all seinen Romanen immer wieder die Spitzenplätze der internationalen Bestsellerlisten. Er zählt zu den am häufigsten übersetzten Autoren und wurde dafür sogar mit einem Eintrag ins »Guinness-Buch der Rekorde« geehrt. Im Jahr 2007, kurz vor seinem neunzigsten Geburtstag, verstarb Sidney Sheldon.
Von Sidney Sheldon bereits erschienen
Die Diamanten-Dynastie · Im Schatten der Götter · Kalte Glut · Zorn der Engel · Der Zorn der Götter · Schatten der Macht
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SIDNEY
SHELDON
Zorn der Engel
ROMAN
Deutsch von Claus Cornelius Fischer
Die Originalausgabe erschien 1980 unter dem Titel »Rage of Angels« bei William Morrow and Company, New York.
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Copyright der Originalausgabe
© 1980 by Sheldon Family Limited Partnership
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in whole or in part in any form.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe
© 1980 by Blanvalet Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign,
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(Markus Gann; Anton Hlushchenko; Javen)
JaB · Herstellung: sam
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-21389-3
V004
www.blanvalet.de
Für Mary,
das achte Weltwunder,
in Liebe
NEW YORK
4. SEPTEMBER 1969
Die Jäger bereiteten sich auf den Fangschuss vor.
Im Rom der Soldatenkaiser wäre der Wettkampf im Circus Neronis oder dem Kolosseum veranstaltet worden. Eine Meute hungriger Löwen hätte sich in einer blutbefleckten Arena an das Opfer herangeschlichen, begierig darauf, es in Stücke zu reißen. Aber wir leben im zivilisierten zwanzigsten Jahrhundert, und das Schauspiel fand im Sitzungssaal sechzehn des Gerichtsgebäudes von Downtown Manhattan statt.
An Stelle von Sueton hielt ein Gerichtsstenograf das Ereignis für die Nachwelt fest, und die täglichen Schlagzeilen über den Mordprozess hatten Dutzende Journalisten und Schaulustige angelockt, die schon um sieben Uhr morgens vor dem Gerichtssaal eine Schlange bildeten, um einen Sitzplatz zu ergattern.
Das Opfer saß auf der Anklagebank. Michael Moretti, ein schweigsamer, gutaussehender Mann Anfang dreißig, war groß und schlank. Sein flächiges, durchfurchtes Gesicht verlieh ihm einen rauen, fast etwas groben Ausdruck. Das schwarze Haar war modisch geschnitten, er hatte ein vorspringendes Kinn mit einem Grübchen, das gar nicht zu ihm zu passen schien, und tiefliegende olivschwarze Augen. Er trug einen maßgeschneiderten grauen Anzug, ein hellblaues Hemd mit dunkelblauem Seidenschlips und frisch geputzte, handgemachte Schuhe. Abgesehen von seinen Augen, die ununterbrochen durch den Gerichtssaal schweiften, bewegte Michael Moretti sich kaum.
Der Löwe, der auf ihn losging, war Robert Di Silva, der hitzige Bezirksstaatsanwalt von New York, der hier als Vertreter des Volkes auftrat. Im Gegensatz zu der Ruhe, die Michael Moretti ausstrahlte, schien Di Silva vor dynamischer Energie zu vibrieren. Er hastete durch das Leben, als hätte er sich schon bei der Geburt um fünf Minuten verspätet. Er war ständig in Bewegung, ein Sparringspartner unsichtbarer Gegner. Di Silva war von kleiner, kräftiger Statur und hatte graues, altmodisch kurz geschnittenes Haar. In seiner Jugend war er Boxer gewesen, woran die Narben in seinem Gesicht und die gebrochene Nase noch heute erinnerten. Einmal hatte er einen Mann im Ring getötet. Er hatte es nie bedauert. Auch in den Jahren danach war Mitleid für ihn ein Fremdwort geblieben.
Robert Di Silva war von brennendem Ehrgeiz erfüllt, und er hatte sich bei dem Kampf um seine gegenwärtige Position weder auf Geld noch auf Beziehungen stützen können. Im Zuge seines Aufstiegs hatte er sich den Anstrich eines zivilisierten Beamten gegeben; aber unter der Tünche war er ein Straßenschläger geblieben, der weder vergaß noch vergab.
Unter normalen Umständen hätte sich der Staatsanwalt heute nicht im Gerichtssaal sehen lassen. Er verfügte über einen großen Stab, und jeder seiner gehobenen Assistenten wäre fähig gewesen, die Anklage zu vertreten. Aber im Fall von Moretti hatte Di Silva von Anfang an gewusst, dass er die Sache selber in die Hand nehmen würde.
Michael Moretti machte Schlagzeilen; er war der Schwiegersohn von Antonio Granelli, dem capo di tutti capi, dem Don der größten östlichen Mafia-Familie. Antonio Granelli wurde alt, und überall hieß es, Moretti werde den Platz seines Schwiegervaters einnehmen. Moretti war an zahllosen Verbrechen von Körperverletzung bis zum Mord beteiligt gewesen, aber kein Staatsanwalt hatte ihm jemals etwas nachweisen können. Zu viele gute Anwälte standen zwischen Moretti und den Männern, die seine Befehle ausführten. Di Silva hatte selber drei frustrierende Jahre mit dem Versuch verbracht, Beweismaterial gegen Moretti zusammenzutragen. Dann hatte er auf einmal Glück gehabt.
Camillo Stela, einer von Morettis soldati, war bei einem Mord während eines Raubüberfalls verhaftet worden. Um seinen Kopf zu retten, hatte Stela gesungen. Es war die schönste Musik, die Di Silva je gehört hatte – ein Lied, das die mächtigste Mafia-Familie des Ostens in die Knie zwingen, Michael Moretti auf den elektrischen Stuhl und Robert Di Silva auf den Gouverneurssessel des Staates New York bringen würde. Schon andere Gouverneure hatten den Sprung ins Weiße Haus geschafft: Martin Van Buren, Grover Cleveland, Teddy Roosevelt und Franklin Roosevelt. Di Silva hatte fest vor, der Nächste zu sein.
Das Timing war perfekt. Im nächsten Jahr standen Gouverneurswahlen an, und der einflussreichste politische Boss des Staates war schon bei Di Silva vorstellig geworden. »Mit der Publicity, die Ihnen dieser Fall einbringen wird, haben Sie alle Chancen, für die Wahl zum Gouverneur aufgestellt zu werden und auch die nötigen Stimmen zu kriegen, Bobby. Nageln Sie Moretti fest, und Sie sind unser Kandidat.«
Robert Di Silva war kein Risiko eingegangen. Er hatte den Fall Moretti mit peinlicher Sorgfalt vorbereitet, seine Assistenten auf jedes Beweisstück, jedes lose Ende, jeden juristischen Fluchtweg angesetzt, die Morettis Anwalt vielleicht benutzen konnte, um ihnen ein Bein zu stellen. Nach und nach waren alle Schlupflöcher versiegelt worden.
Die Auswahl der Geschworenen hatte fast zwei Wochen gedauert, und der Staatsanwalt hatte darauf bestanden, sechs Ersatzgeschworene zu bestimmen, damit der Prozess nicht noch mittendrin platzte. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass Mitglieder der Jury in einem Verfahren gegen einen wichtigen Mafioso verschwanden oder tödliche Unfälle erlitten. Di Silva hatte höllisch genau darauf geachtet, dass die Geschworenen von Anfang an völlig isoliert waren, dass sie jeden Abend an einem sicheren Ort eingeschlossen wurden, wo niemand sie finden konnte.
Der Schlüssel im Fall gegen Michael Moretti war Camillo Stela, und als Di Silvas Starzeuge wurde er besser bewacht als der Direktor des FBI. Der Staatsanwalt erinnerte sich nur zu gut daran, wie Abe »Kid Twist« Reles als Zeuge der Anklage aus einem Fenster im sechsten Stock des Half Moon Hotels auf Coney Island »gefallen« war, obwohl er von einem halben Dutzend Polizeibeamten bewacht wurde. Di Silva hatte Camillo Stelas Wächter persönlich ausgesucht, und vor Prozessbeginn war Stela jede Nacht in ein anderes Versteck gebracht worden. Jetzt und für die Dauer der Verhandlung wurde Stela, bewacht von vier bewaffneten Deputies, in einer isolierten Zelle unter Verschluss gehalten. Niemand durfte in seine Nähe, denn Stela war nur deswegen bereit auszusagen, weil er glaubte, Staatsanwalt Di Silva sei fähig, ihn vor Michael Morettis Rache zu schützen.
Es war der Morgen des fünften Verhandlungstages.
Jennifer Parker wohnte der Verhandlung an diesem Tag zum ersten Mal bei. Zusammen mit fünf anderen jungen Assistenten der Staatsanwaltschaft, die an diesem Morgen mit ihr vereidigt worden waren, saß sie am Tisch des Anklägers.
Sie war eine schlanke dunkelhaarige Frau von vierundzwanzig Jahren. Sie hatte einen blassen Teint, ein intelligentes, lebhaftes Gesicht und grüne nachdenkliche Augen. Es war ein eher attraktives als schönes Gesicht, ein Gesicht, das Stolz, Mut und Sensibilität widerspiegelte und schwer zu vergessen war. Steif wie ein Ladestock saß sie auf ihrem Stuhl, als stemme sie sich gegen unsichtbare Geister aus der Vergangenheit.
Jennifer Parkers Tagesbeginn war eine Katastrophe gewesen. Da die Vereidigungszeremonie im Büro des Staatsanwalts auf acht Uhr morgens angesetzt worden war, hatte Jennifer bereits am Abend zuvor ihre Kleidung zurechtgelegt und den Wecker auf sechs Uhr gestellt, damit sie noch genug Zeit hatte, sich die Haare zu waschen.
Der Wecker klingelte nicht. Jennifer wurde erst um halb acht wach. In panischer Hast zog sie sich an. Dann brach ihr ein Absatz ab, und schließlich riss sie sich eine Laufmasche in den Strumpf, so dass sie sich noch einmal umziehen musste. Sie schlug die Tür ihres winzigen Apartments zu – eine Sekunde bevor ihr einfiel, dass sie ihren Schlüssel drinnen vergessen hatte. Ursprünglich hatte sie den Bus zum Gericht nehmen wollen, aber daran war jetzt nicht mehr zu denken. So hetzte sie sich nach einem Taxi ab, das sie sich nicht leisten konnte, und fiel zu allem Überfluss einem Fahrer in die Hände, der ihr während der ganzen Fahrt erzählte, warum es mit der Welt zu Ende gehe.
Als Jennifer schließlich völlig außer Atem das Gerichtsgebäude in der Leonard Street Nr. 155 erreichte, war sie eine Viertelstunde zu spät dran.
Im Büro des Staatsanwalts hatten sich fünfundzwanzig Anwälte versammelt, die meisten frisch von der Universität, jung, zu allem bereit und begierig, für den Staatsanwalt von New York zu arbeiten.
Das Büro war eindrucksvoll. Es war mit einer getäfelten Wandverkleidung versehen und ruhig und geschmackvoll eingerichtet. Es gab einen riesigen Schreibtisch mit drei Stühlen davor und einem komfortablen Ledersessel dahinter, einen mit einem guten Dutzend Stühlen bestückten Konferenztisch und mit juristischer Fachliteratur gefüllte Wandregale. An den Wänden hingen handsignierte Bilder von J. Edgar Hoover, John Lindsay, Richard Nixon und Jack Dempsey.
Als Jennifer in das Büro platzte, den Kopf voller Entschuldigungen, unterbrach sie Di Silva in der Mitte eines Satzes. Er hielt inne, blickte sie an und sagte: »Für was, zum Teufel, halten Sie das hier? Eine Teeparty?«
»Es tut mir furchtbar leid, ich …«
»Ich pfeife darauf, ob es Ihnen leidtut. Wagen Sie es nicht noch einmal, zu spät zu kommen!«
Die anderen sahen Jennifer ausdruckslos an, bemüht, ihr Mitgefühl zu verbergen.
Di Silva wandte sich wieder der Gruppe zu und sagte scharf: »Ich weiß, warum Sie alle hier sind. Sie werden mir so lange an den Fersen kleben, bis Sie glauben, mir alles abgeschaut und sämtliche Tricks im Gerichtssaal gelernt zu haben. Und wenn Sie sich dann für reif halten, werden Sie die Fronten wechseln und einer von den teuren, nassforschen Strafverteidigern werden. Aber vielleicht ist unter Ihnen ein einziger, der gut genug ist, um – vielleicht – eines Tages meinen Platz einzunehmen.« Di Silva nickte seinem Assistenten zu.
»Vereidige sie.«
Mit gedämpfter Stimme leisteten die Anwälte den Eid.
Als die Zeremonie vorbei war, sagte Di Silva: »In Ordnung, Sie sind jetzt vereidigte Justizbeamte, möge Gott uns beistehen. Es konnte Ihnen nichts Besseres passieren als dieses Büro, aber erwarten Sie nicht zu viel. Sie werden in Akten und Papierkrieg ersticken – Vorladungen, Zwangsvollstreckungen – all die wunderbaren Dinge, die man Ihnen auf der Uni beigebracht hat. Eine Verhandlung werden Sie frühestens in ein oder zwei Jahren führen.«
Di Silva unterbrach sich, um eine kurze, dicke Zigarre anzuzünden. »Zurzeit vertrete ich die Anklage in einem Fall, von dem einige von Ihnen vielleicht schon gehört haben.« Seine Stimme war scharf vor Sarkasmus. »Ich kann ein halbes Dutzend von Ihnen als Laufburschen gebrauchen.«
Jennifers Hand war als erste oben. Di Silva zögerte einen Augenblick, dann wählte er sie und fünf andere.
»Geht runter in Sitzungssaal sechzehn.«
Als sie den Raum verließen, wurden ihnen Ausweise ausgehändigt. Jennifer hatte sich von der Art des Staatsanwalts nicht einschüchtern lassen. Er muss hart sein, dachte sie. Schließlich hat er einen harten Job. Und jetzt arbeitete sie für ihn. Sie gehörte zum Stab des Staatsanwalts von New York! Die scheinbar endlosen Jahre der Schinderei an der juristischen Fakultät waren vorbei. Irgendwie hatten ihre Dozenten es geschafft, das Gesetz abstrakt und verstaubt wirken zu lassen, aber Jennifer hatte das versprochene Paradies dahinter dennoch nicht aus den Augen verloren: die wirkliche Rechtsprechung über menschliche Wesen und ihre Torheiten. Jennifer hatte als Zweitbeste in ihrer Klasse abgeschnitten. Sie bestand das Examen im ersten Anlauf, während ein Drittel ihrer Kommilitonen, die es mit ihr versucht hatten, durchgefallen waren. Sie hatte das Gefühl, Robert Di Silva zu verstehen, und sie war sicher, dass sie jeder Aufgabe gewachsen war, die er ihr geben würde.
Jennifer hatte ihre Hausaufgaben erledigt. Sie wusste, dass dem Staatsanwalt vier verschiedene Büros unterstellt waren, und sie fragte sich, welchem sie zugeteilt werden würde. Es gab über zweihundert Assistenten der Staatsanwälte und fünf Staatsanwälte, einen für jeden Bezirk. Aber der bedeutendste Bezirk war natürlich Manhattan, und den beherrschte Robert Di Silva.
Jetzt, im Gerichtssaal, saß Jennifer am Tisch des Anklägers und erlebte Di Silva bei der Arbeit, einen energischen, unbarmherzigen Inquisitor.
Jennifer warf einen flüchtigen Blick auf den Angeklagten, Michael Moretti. Trotz allem, was sie über ihn gelesen hatte, konnte Jennifer ihn sich nicht als Mörder vorstellen. Er sieht wie ein junger Filmstar in einer Gerichtsszene aus, dachte sie. Er bewegte sich nicht, nur seine tiefliegenden dunklen Augen verrieten seine innere Unruhe. Unaufhörlich blickten sie hin und her, drangen in jeden Winkel des Raums, als suchten sie nach Fluchtmöglichkeiten. Aber es gab keine. Darauf hatte Di Silva geachtet.
Camillo Stela wartete im Zeugenstand. Wäre Stela ein Tier geworden, dann hätte er als Wiesel das Licht der Welt erblickt. Er hatte ein schmales, ausgemergeltes Gesicht mit dünnen Lippen und gelben vorstehenden Zähnen. Sein Blick war unstet, und man hielt ihn schon für einen Lügner, ehe er auch nur den Mund geöffnet hatte. Robert Di Silva war sich der Mängel seines Zeugen bewusst, aber sie zählten nicht. Das Einzige, was zählte, war seine Aussage. Er hatte grauenvolle Geschichten zu erzählen, Geschichten, die noch nie erzählt worden waren, und sie hatten den unmissverständlichen Klang der Wahrheit.
Der Staatsanwalt trat an den Zeugenstand, wo Camillo Stela vereidigt worden war.
»Mr. Stela, ich möchte, dass sich die Jury darüber im Klaren ist, dass Sie sich nicht freiwillig als Zeuge zur Verfügung gestellt haben und dass der Staat Sie nur deshalb zu dieser Aussage überreden konnte, weil er Ihnen gestattet hat, sich nur wegen Totschlags und nicht, wie ursprünglich, wegen Mordes zu verantworten. Ist das richtig?«
»Ja, Sir.« Stelas rechter Arm zuckte.
»Mr. Stela, ist der Angeklagte, Michael Moretti, Ihnen bekannt?«
»Ja, Sir.« Stela vermied es, zum Tisch des Angeklagten hinüberzublicken.
»Welcher Art war Ihre Beziehung?«
»Ich habe für Mike gearbeitet.«
»Wie lange kennen Sie Michael Moretti?«
»Ungefähr zehn Jahre.« Stelas Stimme war fast unhörbar.
»Könnten Sie bitte etwas lauter sprechen?«
»Ungefähr zehn Jahre.« Sein Nacken zuckte.
»Würden Sie sagen, Sie waren ein Vertrauter des Angeklagten?«
»Einspruch!« Thomas Colfax, Morettis Verteidiger, sprang auf. Er war ein großer silberhaariger Mann in den Fünfzigern, der consigliere des Syndikats und einer der gerissensten Strafverteidiger des Landes. »Der Staatsanwalt versucht, den Zeugen zu beeinflussen.«
Richter Lawrence Waldman sagte: »Stattgegeben.«
»Ich formuliere die Frage neu. In welcher Eigenschaft arbeiteten Sie für Mr. Moretti?«
»Man könnte sagen, ich war eine Art Feuerwehrmann für leichte Fälle.«
»Würden Sie das etwas genauer erklären?«
»Nun ja, also, wenn sich ein Problem stellte, wenn jemand aus der Reihe tanzte, dann beauftragte Mike mich damit, die Sache wieder in Ordnung zu bringen.«
»Wie haben Sie das gemacht?«
»Nun ja – mit Gewalt, wissen Sie.«
»Könnten Sie der Jury ein Beispiel geben?«
Thomas Colfax war wieder auf den Beinen. »Einspruch, Euer Ehren! Dieser Teil des Verhörs ist unerheblich.«
»Abgelehnt. Der Zeuge kann die Frage beantworten.«
»Also, Mike verleiht zum Beispiel Geld zu einem bestimmten Zinssatz, klar? Vor’n paar Jahren liegt Jimmy Serrano mit seinen Zahlungen im Rückstand, und da schickt Mike mich hin, damit ich Jimmy eine Lektion erteile.«
»Worin bestand diese Lektion?«
»Ich hab ihm die Beine gebrochen. Verstehen Sie«, erklärte Stela ernsthaft, »wenn man einem so was durchgehen lässt, probieren alle anderen es auch.«
Aus den Augenwinkeln konnte Robert Di Silva den schockierten Ausdruck auf den Gesichtern der Geschworenen erkennen.
»Abgesehen davon, dass Michael Moretti ein Kredithai war – in welche anderen Geschäfte war er noch verwickelt?«
»Ach Gott, in alles, was es so gibt. Was Sie auch aufzählen, er war dabei.«
»Ich möchte aber, dass Sie die Geschäfte aufzählen, Mr. Stela.«
»Ja, gut. Also, im Hafen, da macht Mike einen ganz guten Schnitt bei der Gewerkschaft. Genauso in der Textilbranche. Na ja, dann war Mike noch im Glücksspiel, kassierte bei den Musikboxen, der Müllabfuhr und den Wäschereien. Das war’s so ungefähr.«
»Mr. Stela, Michael Moretti steht vor Gericht wegen der Morde an Eddie und Albert Ramos. Kannten Sie die?«
»Klar.«
»Waren Sie dabei, als sie getötet wurden?«
»Ja.« Stelas ganzer Körper schien zu zucken.
»Wer genau hat sie getötet?«
»Mike.« Für eine Sekunde kreuzten sich Stelas und Morettis Blicke, dann sah Stela rasch in eine andere Richtung.
»Michael Moretti?«
»Richtig.«
»Warum wollte der Angeklagte, dass die Brüder Ramos sterben sollten?«
»Na ja, Eddie und Al nahmen Wetten an …«
»Sie waren Buchmacher? Illegale Wetten?«
»Ja. Mike hatte herausgefunden, dass sie für sich selber absahnten. Er musste ihnen eine Lektion erteilen, weil, nun schließlich arbeiteten sie für ihn, verstehen Sie? Er dachte …«
»Einspruch!«
»Stattgegeben. Der Zeuge soll sich an die Tatsachen halten.«
»Nun, tatsächlich hat Mike mir befohlen, die Jungs einzuladen …«
»Eddie und Albert Ramos?«
»Genau, zu einer Party im Pelikan. Das ist ein Privatclub am Strand.« Sein Arm begann erneut zu zucken. Als Stela das bemerkte, versuchte er, ihn mit der anderen Hand festzuhalten.
Jennifer Parker warf einen Blick auf Michael Moretti. Er verfolgte das Verhör teilnahmslos, ohne sich zu bewegen.
»Was geschah dann, Mr. Stela?«
»Ich habe Eddie und Al in den Wagen geladen und zum Parkplatz gefahren. Als die Jungs aus dem Wagen stiegen, hab ich gemacht, dass ich aus dem Weg kam, und Mike begann loszuballern.«
»Haben Sie die Brüder Ramos hinfallen gesehen?«
»Ja, Sir.«
»Und sie waren tot?«
»Zumindest wurden sie beerdigt, als wären sie tot gewesen.«
Ein Raunen ging durch den Gerichtssaal. Di Silva wartete, bis wieder Stille herrschte. »Mr. Stela, sind Sie sich bewusst, dass Ihre Aussage in diesem Saal Sie selbst belastet?«
»Ja, Sir.«
»Und dass Sie unter Eid stehen und dass es um das Leben eines Menschen geht?«
»Ja, Sir.«
»Sie haben mit eigenen Augen gesehen, wie der Angeklagte, Michael Moretti, kaltblütig zwei Männer erschossen hat, weil sie ihn übers Ohr gehauen hatten?«
»Einspruch! Der Staatsanwalt beeinflusst den Zeugen.«
»Stattgegeben.«
Staatsanwalt Di Silva betrachtete die Gesichter der Geschworenen, und ihre Mienen sagten ihm, dass er den Fall gewonnen hatte.
Er wandte sich wieder an Camillo Stela. »Mr. Stela, ich weiß, dass es Sie sehr viel Mut gekostet hat, hier in den Zeugenstand zu treten und auszusagen. Ich möchte Ihnen im Namen der Bürger dieses Staates danken.«
Di Silva wandte sich an Thomas Colfax. »Ihr Zeuge.«
Thomas Colfax erhob sich beinahe anmutig. »Ich danke Ihnen, Mr. Di Silva.« Er warf einen kurzen Blick auf die Uhr an der Wand und wandte sich dann zur Richterbank. »Wenn Sie gestatten, Euer Ehren, es ist jetzt fast Mittag. Ich würde mein Kreuzverhör gern ohne Unterbrechung durchführen. Darf ich vorschlagen, dass das Gericht sich jetzt zum Mittagessen zurückzieht und ich mein Kreuzverhör am Nachmittag abhalte?«
»Einverstanden.« Richter Lawrence Waldman ließ den Hammer auf die Richterbank fallen. »Die Verhandlung wird auf zwei Uhr vertagt.«
Alle Anwesenden im Gerichtssaal standen auf, als sich der Vorsitzende erhob und durch eine Seitentür ins Richterzimmer ging. Im Gänsemarsch verließen die Geschworenen den Saal. Vier bewaffnete Deputies umgaben Camillo Stela und eskortierten ihn durch eine Tür an der Stirnseite des Raums zum Aufenthaltsraum der Zeugen.
Fast sofort war Di Silva von Reportern umzingelt.
»Wollen Sie eine Erklärung abgeben?«
»Wie sind Sie mit dem Verlauf bis jetzt zufrieden, Herr Staatsanwalt?«
»Wie wollen Sie Stelas Sicherheit gewährleisten, wenn alles vorbei ist?«
Normalerweise hätte Robert Di Silva einen solchen Aufruhr im Gerichtssaal nicht toleriert, aber in Anbetracht seiner politischen Ambitionen wollte er sich mit der Presse gut stellen, und so beschloss er, höflich zu ihnen zu sein.
Jennifer Parker beobachtete, wie der Staatsanwalt die Fragen der Reporter parierte.
»Glauben Sie, dass Sie eine Verurteilung erreichen?«
»Ich bin kein Wahrsager«, hörte sie Di Silva bescheiden antworten. »Ich will der Jury nicht vorgreifen, meine Damen und Herren. Die Geschworenen werden entscheiden müssen, ob Mr. Moretti unschuldig oder schuldig ist.«
Jennifer bemerkte, wie sich Michael Moretti erhob. Er wirkte ruhig und entspannt. Jungenhaft war das Wort, das ihr einfiel. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass er all der schrecklichen Dinge, deren er angeklagt war, schuldig sein sollte. Wenn ich einen Schuldigen bestimmen müsste, dachte sie, wäre es Stela mit seinem ewigen Zucken.
Die Reporter waren abgezogen, und Di Silva beriet sich mit den Angehörigen seines Stabs. Jennifer hätte ihren rechten Arm dafür gegeben zu hören, worüber sie sprachen. Sie bemerkte, wie einer der Männer etwas zu Di Silva sagte, sich aus der Gruppe um den Staatsanwalt löste und zu ihr eilte. Er hielt einen großen Manilaumschlag in der Hand. »Miss Parker?«
Überrascht sah Jennifer auf. »Ja.«
»Der Chef möchte, dass Sie dies Mr. Stela geben. Er soll sein Gedächtnis mit den Papieren etwas auffrischen. Colfax wird heute Nachmittag versuchen, seine Aussage in der Luft zu zerfetzen, und der Chef möchte sicher sein, dass er sich nicht in Widersprüche verwickelt.«
Er händigte Jennifer den Umschlag aus, und sie sah zu Di Silva hinüber. Ein gutes Omen, dachte sie, er erinnert sich an meinen Namen.
»Am besten beeilen Sie sich. Der Chef hält Stela nicht gerade für schnell von Begriff.«
»Ja, Sir.« Jennifer sprang auf. Sie ging zu der Tür, durch die Stela verschwunden war. Ein bewaffneter Deputy versperrte ihr den Weg.
»Kann ich Ihnen helfen, Miss?«
»Büro des Staatsanwalts«, sagte Jennifer trocken. Sie förderte ihren Ausweis zutage und wies ihn vor. »Ich habe Mr. Stela einen Umschlag von Mr. Di Silva zu übergeben.«
Der Uniformierte prüfte den Ausweis sorgfältig, dann öffnete er die Tür, und Jennifer stand im Aufenthaltsraum des Zeugen. Es war ein kleines, ungemütlich wirkendes Zimmer, das lediglich einen abgenutzten Tisch, ein altes Sofa und ein paar Holzstühle enthielt. Stela saß auf einem der Stühle, sein Arm zuckte unkontrolliert. Außer ihm befanden sich noch vier bewaffnete Deputies in dem Zimmer.
Als Jennifer eintrat, sagte einer von ihnen: »He, hier hat niemand Zutritt.«
Die Wache draußen rief: »Das geht in Ordnung, Al. Büro des Staatsanwalts.«
Jennifer übergab Stela das Kuvert. »Mr. Di Silva möchte, dass Sie Ihr Gedächtnis hiermit etwas auffrischen.«
Stela blinzelte. Er hörte nicht auf zu zucken.
Auf ihrem Weg zum Mittagessen kam Jennifer an der offenen Tür des verlassenen Sitzungssaals vorbei. Sie konnte nicht widerstehen und betrat den Raum für einen Moment.
Im hinteren Teil des Saals standen fünfzehn Zuschauerbänke zu beiden Seiten des Mittelgangs. Gegenüber der Richterbank gab es zwei lange Tische, der linke trug ein Schild mit der Aufschrift Kläger, der rechte eins mit dem Wort Angeklagter. Der Geschworenenstand enthielt zwei Reihen von je acht Stühlen. Ein ganz gewöhnlicher Gerichtssaal, dachte Jennifer, ganz schlicht – sogar hässlich, aber dennoch das Herz der Freiheit. Dieser Raum und alle anderen Gerichtssäle auf der ganzen Welt stellten nichts Geringeres dar als den Unterschied zwischen Zivilisation und Barbarei. Das Recht auf einen Prozess vor einer Jury von Gleichgestellten war das Kernstück einer jeden freien Nation.
Sie war jetzt ein Bestandteil dieses Justizsystems, und in diesem Augenblick, da sie allein im Gerichtssaal stand, war Jennifer von überwältigendem Stolz erfüllt. Sie würde alles tun, um sich dieses Systems würdig zu erweisen und es zu erhalten. Lange Zeit blieb sie bewegungslos stehen, dann wandte sie sich zum Gehen.
Vom anderen Ende der Halle drang plötzlich ein leises Summen an ihr Ohr, das lauter und lauter wurde und sich in einen Höllenlärm verwandelte. Alarmglocken schrillten. Jennifer hörte das Geräusch von rennenden Füßen im Korridor und sah Polizeibeamte mit gezogenen Waffen zum Eingang des Gerichtsgebäudes rennen. Ihr erster Gedanke war, dass Michael Moretti geflohen war, dass er es irgendwie geschafft hatte, den Wächtern zu entwischen. Sie stürzte auf den Korridor. Es war wie in einem Irrenhaus. Menschen liefen wie Ameisen durcheinander, versuchten, den Lärm der Klingeln zu überbrüllen. Wachen mit Schnellfeuergewehren hatten die Ausgänge besetzt. Reporter, die ihren Redaktionen telefonisch ihre Storys durchgegeben hatten, rannten auf den Korridor, um herauszufinden, was los war. Am Ende der Halle sah Jennifer Staatsanwalt Di Silva, der mit hochrotem Gesicht einem halben Dutzend Polizisten Instruktionen erteilte.
Mein Gott, gleich hat er einen Herzanfall, dachte sie.
Sie bahnte sich einen Weg durch die Menge, in der Annahme, sie könnte vielleicht von Nutzen sein. Als sie sich näherte, blickte einer der Deputies, die Camillo Stela bewacht hatten, auf. Er hob seinen Arm und deutete auf sie. Fünf Sekunden später war sie mit Handschellen gefesselt und unter Arrest gestellt.
Nur vier Leute hielten sich in Richter Lawrence Waldmans Zimmer auf: der Richter, Staatsanwalt Di Silva, Thomas Colfax und Jennifer.
»Sie haben das Recht auf die Anwesenheit eines Anwalts, bevor Sie eine Aussage machen«, informierte der Richter Jennifer, »und Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern. Falls Sie …«
»Ich brauche keinen Anwalt, Euer Ehren! Ich kann erklären, was passiert ist.«
Robert Di Silva beugte sich so dicht zu ihr, dass Jennifer eine Ader an seiner Schläfe pochen sehen konnte. »Wer hat Sie dafür bezahlt, dass Sie Camillo Stela das Kuvert gegeben haben?«
»Mich bezahlt? Niemand hat mich bezahlt!« Jennifers Stimme zitterte vor Empörung.
Di Silva ergriff einen vertraut aussehenden Manilaumschlag auf Richter Waldmans Tisch. »Niemand hat Sie bezahlt? Waren Sie nicht gerade bei meinem Zeugen und haben ihm dies gegeben?« Er schüttelte den Umschlag, und ein gelber Kanarienvogel fiel auf den Tisch. Sein Genick war gebrochen.
Entsetzt starrte Jennifer den Vogel an. »Ich … aber einer Ihrer Männer … gab mir …«
»Welcher meiner Männer?«
»Ich … ich weiß nicht.«
»Aber Sie wissen, dass es sich um einen meiner Männer handelte.« Di Silvas Stimme klang ungläubig.
»Ich habe ihn mit Ihnen sprechen gesehen, und dann kam er zu mir, gab mir den Umschlag und sagte, Sie wollten, dass ich ihn Mr. Stela gebe … Er … er wusste sogar meinen Namen.«
»Davon bin ich überzeugt. Wie viel haben sie Ihnen bezahlt?«
Ein Alptraum, dachte Jennifer, es ist alles nur ein Alptraum. Ich werde jeden Augenblick aufwachen, und dann ist es sechs Uhr morgens, und ich ziehe mich an und mache mich auf den Weg, um in den Stab des Staatsanwalts aufgenommen zu werden.
»Wie viel?« Der Zorn in Di Silvas Stimme war so heftig, dass Jennifer aufsprang.
»Werfen Sie mir vor …?«
»Ihnen vorwerfen!« Robert Di Silva ballte die Fäuste. »Lady, ich habe noch nicht einmal angefangen. Wenn Sie aus dem Gefängnis herauskommen, werden Sie zu alt sein, um auch nur einen Penny von dem Geld auszugeben.«
»Es gibt kein Geld.« Jennifer starrte ihn an.
Thomas Colfax hatte die ganze Zeit ruhig zugehört. Jetzt unterbrach er das Gespräch und sagte: »Entschuldigen Sie, Euer Ehren, aber ich fürchte, das hier führt zu nichts.«
»Der Meinung bin ich auch«, erwiderte Richter Waldman. Er wandte sich an den Staatsanwalt. »Wie sieht’s aus, Bobby? Ist Stela immer noch bereit, sich dem Kreuzverhör zu stellen?«
»Kreuzverhör? Er ist ein Wrack. Hat die Hosen gestrichen voll. Er wird das nicht noch einmal durchhalten.«
Thomas Colfax sagte glatt: »Wenn ich den Hauptzeugen der Anklage nicht ins Kreuzverhör nehmen kann, Euer Ehren, muss ich auf die Einstellung des Prozesses dringen.«
Jeder in dem Raum wusste, was das bedeutete. Michael Moretti würde den Gerichtssaal als freier Mann verlassen.
Richter Waldman sah den Staatsanwalt an. »Haben Sie Ihrem Zeugen mitgeteilt, dass er wegen Missachtung des Gerichts festgenagelt werden kann?«
»Ja. Aber Stela hat vor denen mehr Angst als vor uns.« Er warf Jennifer einen giftigen Blick zu. »Er glaubt nicht mehr daran, dass wir ihn beschützen können.«
Richter Waldman sagte langsam: »Dann gibt es, fürchte ich, keine Alternative, als dem Wunsch der Verteidigung zu folgen und den Prozess einzustellen.«
Robert Di Silva stand da und hörte, wie seinem Fall der Garaus gemacht wurde. Ohne Stela hatte er nichts in der Hand. Michael Moretti war jetzt außerhalb seiner Reichweite, aber nicht Jennifer Parker. Er würde sie für das bezahlen lassen, was sie ihm angetan hatte.
Richter Waldman sagte: »Ich werde Anweisung geben, den Angeklagten auf freien Fuß zu setzen und die Jury zu entlassen.«
Thomas Colfax sagte: »Danke, Euer Ehren.« Sein Gesicht drückte nicht den geringsten Triumph aus.
»Falls nichts anderes anliegt …«, begann der Richter.
»Es liegt etwas anderes an!« Robert Di Silva deutete auf Jennifer Parker. »Ich möchte, dass sie belangt wird – wegen Behinderung der Justiz, wegen Bestechung eines Zeugen bei der Hauptverhandlung, wegen Verschwörung …« Vor lauter Wut verhaspelte er sich.
Endlich fand Jennifer ihre Stimme wieder. »Sie können keinen einzigen dieser Vorwürfe beweisen, weil sie nicht wahr sind. Ich … ich mag dumm gewesen sein, aber das ist auch alles, dessen ich schuldig bin. Niemand hat mich bestochen, damit ich irgendetwas tue. Ich war der festen Meinung, ein Paket für Sie abzugeben.«
Richter Waldman blickte Jennifer an und sagte: »Was auch immer Ihre Motive gewesen sein mögen, die Folgen waren äußerst unglückselig. Ich werde darauf dringen, dass die Disziplinarabteilung eine Untersuchung in die Wege leitet und Ihnen, falls die Umstände es erfordern, Ihren Titel entzieht.«
Jennifer fühlte sich plötzlich schwach. »Euer Ehren, ich …«
»Das ist so weit alles, Miss Parker.«
Jennifer blieb noch einen Augenblick stehen und starrte in ihre feindseligen Gesichter. Es gab nichts mehr, was sie noch hätte sagen können. Mit dem gelben Kanarienvogel auf dem Tisch war alles gesagt.