Nicht nur, dass Liam den Verlust seiner großen Liebe Noemi nicht verkraften kann, er fühlt sich auch für ihren Tod verantwortlich. Als seine Sehnsucht unerträglich wird, beginnt er sie zu malen - und kann seinen Augen kaum trauen, als Noemi aus dem Bild auf zauberhafte Weise zum Leben erwacht! Sie erzählt von der fernen Drachenwelt Longtiantang, in die sie nach ihrem Tod gelangt ist. Doch kaum hat Liam seine große Liebe wieder, taucht der mysteriöse Schlangenmensch Ngun auf und verlangt von Liam Unmögliches. Um Noemi nicht erneut zu verlieren, müssen Liam und sie in die exotische Welt Longtiantang reisen, wo ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
6 Monate später
Liams Blick schweifte übers Meer, das an diesem Tag behutsam seine Wellen ans Ufer trug, und blieb an Noemi haften. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, stand sie neben ihm und zog gedankenverloren mit ihrem großen Zeh weite Bögen durch den Sand. Sie trug ein trägerloses Strandkleid aus weißer Baumwolle, das ihre Anmut betonte und ihre Knöchel umflatterte. Vereinzelte schwarze Strähnen hatten sich aus ihrem locker hochgesteckten Haarknoten gelöst und umschmeichelten ihr Gesicht.
Schmunzelnd wandte sie sich zu ihm um. »Weißt du eigentlich, dass Drachen nicht nur Glück bringen, sondern auch in vielen Gebieten Chinas gottesgleich verehrt werden?« Begeisterung blitzte in ihren dunklen Augen auf, und wie immer schaffte sie es, Liam mit ihrer Euphorie anzustecken.
»Wirklich?« Er versank in ihren grün-gold gesprenkelten Iriden und vergaß Zeit und Raum.
Noemi griff nach seiner Hand, und ihre Finger verflochten sich miteinander, bevor sie ihn weiterzog. »Die Long verkörpern aber auch Naturphänomene wie Gewitter und Vulkane. Zudem ist jedem Fluss und jedem See ein Drache zugeordnet, der darin wohnt. Der richtige Umgang mit ihnen verhindert Fluten, der falsche hingegen …« Ein belustigtes Lächeln flog über ihr Gesicht. »Anstatt, wie ihre Ahnen, die Long zu besänftigen, sind viele Chinesen dazu übergegangen, sie zu verärgern, indem sie Gegenstände ins Wasser werfen oder die Statue des Drachenkönigs in die Sonne stellen, um Regen herbeizurufen.«
Liam lachte laut auf. »Klingt erfolgsversprechend!«
»Das Prachtexemplar in meinem Traum heute Nacht verkörperte Güte und Friedfertigkeit.« Ihre Stimme hatte einen weichen Klang angenommen, wie immer wenn sie sich in ihrer Fantasiewelt verlor. »Seine Schuppen schimmerten in allen Farbe im Licht eines Feuers, das alles in einen rötlichen Schein tauchte. Als ich ihm über die Flanke strich, blähte er seine Nüstern und stieß einen Luftschwall hervor. Doch instinktiv spürte ich, dass er mir nichts tun würde, und in dem Moment, als er sich zu mir wandte, erkannte ich die Weisheit in seinen Augen.«
Liam gab einen übertriebenen Seufzer von sich. »Ich wünschte, du würdest auch mal so über mich sprechen.« In gespielter Gekränktheit verschränkte er die Arme vor der Brust und verzog das Gesicht.
Noemi legte den Kopf schief, ein kleines Lächeln spielte um ihre Lippen.
Liam zuckte mit den Schultern, als wollte er sagen: Na, ist doch so!
Ihre Nase kräuselte sich, während sie in ein kehliges Glucksen ausbrach – die ersten Vorboten ihres Lachens, das Liam so sehr liebte. Schützend beschirmte sie mit einer Hand ihre Augen vor dem gleißenden Licht der Sonne und blickte zu ihm hoch.
Noemi entsprach absolut nicht dem üblichen Bild von Chinesinnen. Sie war nicht verhalten oder darauf bedacht, ihr Gesicht zu wahren. Jede einzelne Gefühlsregung konnte er in ihrer Mimik lesen. Sicherlich lag das daran, dass sie bei deutschen Adoptiveltern aufgewachsen war und wenig von der chinesischen Kultur mitbekommen hatte.
Sie wurde ernst, stellte sich auf Zehenspitzen und strich ihm sanft durch seine dunklen Locken. »Du bist mein Alles«, flüsterte sie.
Ein starkes Kribbeln durchströmte einem Stromschlag gleich seinen Körper, als ihre Lippen zärtlich die seinen berührten. Er erinnerte sich noch so genau daran, weil er in diesem Moment das pure Glück verspürte.
Mein Alles …
»Liam …«, drang die Stimme seiner Schwester in sein Ohr und riss ihn unsanft aus seinen Gedanken. Er rutschte höher in den Liegestuhl, um Haltung anzunehmen.
Nichts konnte er weniger gebrauchen, als Merles einfühlsamen Blick, wenn sie merkte, dass er wieder seinen Erinnerungen nachhing. Er war hier, um Abschied zu nehmen.
Genau vor einem Jahr hatten sie hier auf Darß im Strandhaus ihrer Eltern den Urlaub verbracht. Merle, ihr Freund Julius, Noemi und Liam. Statt Noemi war diesmal sein bester Kumpel Raúl mitgekommen. Die gesamten Semesterferien wollten sie bleiben und Liam über seine Trauer hinweghelfen.
Der Duft frischer Pfefferminze stieg ihm in die Nase. Er sah auf, Merle hielt ihm eine dampfende Tasse hin. Er nahm sie entgegen und trank einen großen Schluck, der sich wohlig im Magen ausbreitete.
Mütterliche Sorge färbte ihre braunen Augen noch dunkler, als sie ohnehin schon waren. Sie sog die Luft ein und stemmte ihre Hände in die Hüften. Mit dem krausen Haar, das ihr bis zur Taille reichte, dem wallenden Kleid und der langen Kette erinnerte sie Liam tatsächlich an ihre Mutter, die trotz ihrer fast sechzig Jahre immer noch wie ein altersloser Hippie herumlief – wäre da nicht Merles dick umrahmte Brille gewesen, die ihr einen intellektuellen Touch verlieh.
In stiller Eintracht blickten sie auf die Ostsee. Schäumende Wellenkämme brausten heran und brachten das Meer in Wallung. Die kühle Brise, die herüberwehte, kündete von den ersten Anzeichen des Herbstes.
Er wusste genau, was sie dachte: Wie kann ich meinen Bruder nur auf andere Gedanken bringen? Ihre Fürsorge, die sich seit ihrer Schwangerschaft noch verstärkt hatte, hatte ihn nach Noemis Tod beinah erstickt.
Trotz allem war er Merle dankbar, dass sie nicht von seiner Seite wich, denn ohne sie hätten ihn seine Gewissensbisse und Selbstvorwürfe schon längst in den Selbstmord getrieben.
Vor drei Monaten hatten Noemi und Liam einen Autounfall gehabt. Ein bedeutender Tag sollte es werden, an dem er seine gesammelten Werke das erste Mal einer Galerie präsentierte. Als er auf der anderen Straßenseite direkt davor einen Parkplatz entdeckte, ordnete er sich trotz des Verbotszeichens auf der Linksabbiegerspur ein, um zu wenden. Der Lastwagenfahrer sah Liams quer stehenden Pkw zu spät, konnte nicht mehr ausweichen und krachte ungebremst in die Beifahrerseite. Noemi war sofort tot. Und das alles nur, weil Liams Ehrgeiz ihn dazu getrieben hatte, eine Sekunde unachtsam zu sein.
Immer wieder und wieder verteufelte er sich dafür und brachte seitdem keinen einzigen Pinselstrich mehr auf die Leinwand. Stattdessen hatte er seine Zeit auf der Couch eines Seelenklempners vergeudet. Als wenn der ihm den Schmerz und die Schuldgefühle nehmen könnte.
Merle drückte seine Schulter und ließ ihre Hand darauf ruhen. Ihr Beistand tat gut, doch gleichzeitig stieg diese verhasste Beklemmung in ihm hoch. Er stellte seine Tasse auf den Boden und versuchte sich gegen dieses Gefühl zu wehren. Schluckte. Doch sein Mund war so trocken, als hätte er Staub gegessen. Er atmete tief ein und schloss die Augen. Spürte, wie eine einzelne Träne seine Wange hinablief. Einerseits ein Fortschritt, dass er seine Trauer endlich herauslassen konnte, doch die Ausweglosigkeit schmerzte so sehr, dass ihm der Atem stockte und ihm die Kehle zuschnürte. Voller Verzweiflung stellte er die Füße auf den Boden und vergrub sein Gesicht in den Händen.
Er spürte Merles Hand über seinen frisch rasierten Kopf streichen. Was das Ganze nicht besser machte. Unwillkürlich brach ein Schluchzen aus ihm hervor, und ein unglaublicher Druck löste sich.
»Ist schon gut, lass alles raus«, beruhigte sie ihn.
Auf einmal schäumte eine ohnmächtige Wut in ihm hoch. Er konnte das Mitleid und die Sorge in der Stimme seiner Schwester nicht mehr ertragen. Wie hatte er nur dieser Reise zustimmen können? Niemals hätte er sich auf die schmerzliche Konfrontation mit seiner Vergangenheit einlassen dürfen. Ruckartig sprang er auf und stieß sie zur Seite. »Was ist gut?«, schrie er. »Nichts ist gut! Nichts wird jemals wieder gut sein ohne sie. Es war eine verdammte Scheißidee, hierherzukommen …«
Er stolperte die Treppen der Veranda hinunter und lief barfuß durch den Sand, weinte, dass es ihn innerlich fast zerriss.
Der Wind blies ihm kühl ins Gesicht, doch er spürte ihn kaum. All seine Befürchtungen trafen ein: Seine Gefühle brachen wie eine Orkanwelle über ihm zusammen, und er war ihnen hilflos ausgeliefert. Anstatt nach vorne zu blicken, holte die Vergangenheit ihn wieder ein.
Er rannte. Rannte um sein Leben, als könnte er so seinen Kummer hinter sich lassen. In diesem Moment blieb ihm nichts mehr, als sich an diese trügerische Hoffnung zu klammern.
»Sagt mir, was wir tun können.« Merle drückte die leicht verzogene Terrassentür fester zu, als es notwendig gewesen wäre.
»Lass ihn doch erst mal ankommen, und hör auf, dich wie eine Glucke aufzuführen.«
Julius ließ die Architekturzeitung auf seinen Schoß sinken und klemmte eine rapsblonde Haarsträhne hinters Ohr. »Gib ihm Zeit, sich zu verabschieden. Natürlich wird er hier mit alten Erinnerungen konfrontiert. Du selbst hast doch gesagt: Probieren wir es auf die harte Tour.«
»Schon. Aber es ist schrecklich, ihn so zu sehen. Mein kleiner Bruder war immer der Hansdampf in allen Gassen, dem der Schalk im Nacken saß. Seit Noemis Tod ist er nur noch ein einziger Trauerkloß. Ich habe Angst, dass er nicht mehr der Alte wird.«
Julius lehnte sich in den beigefarbenen Sessel zurück und verschränkte die Arme.
»Das wird er nicht. Niemals. Damit musst du dich abfinden.«
»Manchmal hasse ich dich«, zischte Merle und gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.
»Ich weiß, mein Schatz. Aber es ist die Wahrheit. Er macht gerade eine schwere Entwicklung durch.«
»Klugscheißer.«
Merles Blick wanderte zu Raúl herüber, der auf dem Sofa fläzte. Er zog den schwarzen Fedora-Hut tief ins Gesicht und leckte über den Papierrand seiner selbstgedrehten Zigarette. Obwohl er genau wie ihr Bruder zwanzig Jahre alt war, haftete ihm noch immer etwas Kindliches an, das er wohl nie ablegen würde. Bei Diskussionen hielt er sich meist im Hintergrund, doch wenn er gefragt wurde, war er um keine flotte Bemerkung verlegen.
Merle hatte vorgeschlagen ihn mitzunehmen, in der Hoffnung, dass er für ein wenig Ablenkung und Erheiterung sorgte. »Was denkst du?«, wandte sie sich an ihn.
Raúl lehnte sich nach vorne und klopfte die Zigarette ein paar Mal auf den Glastisch, bevor er aufblickte. »Ich denke, ich gehe morgen mit ihm aufs Brett, vielleicht bringt ihn das auf andere Gedanken.« Lässig pflanzte er seine Chucks auf den Tisch, woraufhin Julius ihm einen missbilligenden Blick über den Rand seiner Zeitschrift zuwarf.
»Gute Idee. Aber ist das nicht zu kalt?« Sie schob mit dem Zeigefinger ihre Brille auf dem Naserücken hoch und stützte die Hände in die Hüften. »Ihr habt doch gar keine Neoprenanzüge dabei.«
»Beim Zittern hat man keine Zeit zum Nachdenken.« Raúl grinste verschmitzt und steckte die Zigarette in den Mundwinkel.
Merle nickte nur und strich über ihren kleinen Kugelbauch. Bei Raúl war Liam momentan besser aufgehoben als bei ihr. Er sah in ihr nur die große Schwester, die ihn einengte, und zusätzlich verstärkte ihre Gegenwart die Erinnerung an die gemeinsame Zeit mit Noemi.
Das Mädchen hatte ihn so glücklich gemacht. Die beiden hatten sich auf einem Schulfest kennengelernt, und seitdem war ihr kleiner Bruder, einst als Herzensbrecher der Oberstufe verschrien, nicht mehr von Noemis Seite gewichen.
Nach der Scheidung ihrer Eltern hatte er Geborgenheit gesucht, die er bei ihr gefunden hatte. Merle wusste, dass Liam eine Art Seelenverwandte in ihr gesehen hatte.
Raúl zog ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche und war im Begriff, die Zigarette anzuzünden.
Julius stöhnte demonstrativ. »Raul, du bist hier nicht allein!« Er klang fast wie ein Oberstudienrat kurz vor der Pensionierung, als er sich vorbeugte. »Nimm bitte Rücksicht auf Merle. In ihrem Zustand ist dein Rumgepaffe mehr als schädlich für sie!«
Merle verdrehte die Augen. Als ob ich das nicht alleine entscheiden könnte.
»Lo siento, amigo«, entschuldigte sich Raúl. »Übrigens – nur zur Info - mein Name wird Ra–ul ausgesprochen, die Betonung liegt auf dem U.« Er klemmte die Zigarette hinters Ohr und schenkte Julius ein entwaffnendes Lächeln.
»Mich stört das nicht!«, warf Merle ein. Die ständigen Maßregelungen ihres Freundes gingen ihr langsam auf die Nerven. »Schließlich haben wir selbst noch bis vor Kurzem gequalmt wie die Schlote, da brauchen wir uns wegen einer Zigarette nicht als Gesundheitsaposteln aufzuspielen.«
»Ja, fall mir noch in den Rücken!« Julius zupfte aufgebracht an seinem dichten Vollbart. »Es geht schließlich um unser Kind! Außerdem kann das Miteinander in einer Gruppe nur funktionieren, wenn man sich an gewisse Regeln hält.«
»Raúl hat doch gar nichts gemacht. Was bist du nur manchmal für ein Spießer!«
Merle schüttelte ärgerlich den Kopf und drehte ihm den Rücken zu.
Julius brummte etwas Unverständliches.
Merles Blick fiel zur Terrassentür. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, stand Liam davor und schien unschlüssig, ob er eintreten sollte. Als er in ihre Richtung blickte, lächelte sie ihm aufmunternd zu. Er schlüpfte durch die Schiebetür, strich über seinen Kopf und kratzte sich am Nacken – ein Zeichen, dass ihm die Situation von vorhin äußerst unangenehm war.
»Setz dich zu mir, Hermano!« Raúl klopfte neben sich aufs Polster.
»Hermano« nannte er Liam immer, wenn er ihm seine Zuneigung zeigen wollte. Seit nunmehr zwölf Jahren waren sie befreundet, kannten einander in- und auswendig, die Bezeichnung Bruder kam ihrer Beziehung wirklich am nächsten.
Liam tapste zu ihm und ließ sich in die Couch fallen.
Julius hüstelte vernehmlich und zeigte Merle sein umwerfendes, schiefes Lächeln.
»Was haltet ihr von einer großen Portion Schinkennudeln mit einer schönen Flasche Rotwein?« Er strich über seinen Bart und blickte erwartungsvoll auf Liam.
Manchmal war Julius wirklich zum Knutschen, dachte Merle. Sie schaffte es nie, lange böse auf ihn zu sein, denn er wusste, wie er die Situation wieder zurechtbiegen konnte. Meist reichte sein reumütiger Blick schon aus, um sie zu besänftigen.
Liam nickte und lächelte schief. »Klingt gut.«
»¡Ay, qué rico!«, rief Raúl und sprang auf. »Das klingt nicht gut, sondern sensationell!
Ich deck schon mal den Tisch und werde nebenbei den Wein verkosten. Nicht dass da Korken drin ist oder so.« Er zwinkerte Merle zu, und sie musste sich eingestehen, dass sie sich seinem spanischen Charme nicht entziehen konnte.
»Sorgst du bitte für ein kuschliges Feuer, Bruderherz?«, wandte sich Merle an Liam und zeigte auf die Holzscheite neben dem in Stein gefassten Kamin, der an kühlen Abenden wie diesem für behagliche Wärme sorgte.
»Geht klar!«, sagte Liam und stand auf.
Da die Küche in den Essbereich überging und gleichzeitig mit dem Wohnzimmer verbunden war, hatte Merle nun jeden ihrer fleißigen Männer im Blick.
Raúl stellte Rotweinkelche aus der Glasvitrine auf den abgeschliffenen Holztisch in der Mitte des Raumes, während er mit angenehm rauer Stimme irgendein spanisches Lied vor sich hin sang.
Merle liebte das alte Fachwerkhaus mit Reetdach, das ihre Eltern vor zwanzig Jahren gekauft hatten. Die dunklen Holzbalken an der Decke bildeten einen wunderschönen Kontrast zu den weißen Wänden und gaben dem Wohnbereich einen rustikalen Touch. Jeden Sommer kam sie hierher, um ihre Ferien zu verbringen. Bei ihrer Ankunft am Mittag hatte sie ein paar Kräutertöpfe auf die Fensterbank gestellt, und nun zog der Duft von frischem Basilikum und Rosmarin durch den Raum.
Während Raúl und Julius sich um die Vorbereitungen fürs Abendessen kümmerten, setzte sich Merle in den Lieblingssessel ihres Vaters vor den Kamin und sah Liam zu, wie er Feueranzünder und Papier unter die Holzscheite stopfte, ehe er ein brennendes Streichholz daran hielt. Es fiel ihr schwer, ungezwungen und locker mit ihm umzugehen. Doch sie gab sich Mühe, sich das nicht anmerken zu lassen.
»Ich muss oft an die Legende der kleinen Sunda-Inseln denken, die uns Noemi an einem Abend wie diesem erzählte. Erinnerst du dich?«
Liam blickte zu ihr hoch und schien nicht zu wissen, wovon sie sprach.