Vor wenigen Wochen berichteten Die Grenzboten über ein Gespräch zwischen Bismarck und Professor Dr. Otto Kämmel aus dem Oktober 1892, in dem sich der „Heros des Jahrhunderts“ die Maske des Konstitutionalismus mit dem ihm eigenen Zynismus selbst vom Gesicht riß. Bismarck äußerte unter anderm:
In Rom war aqua et igne interdictus, wer sich außerhalb der Rechtsordnung stellte, im Mittelalter nannte man das ächten. Man müßte die Sozialdemokratie ähnlich behandeln, ihr die politischen Rechte, das Wahlrecht nehmen. Soweit würde ich gegangen sein. Die sozialdemokratische Frage ist eine militärische. Man behandelt jetzt die Sozialdemokratie außerordentlich leichtsinnig. Die Sozialdemokratie strebt jetzt – und mit Erfolg – danach, die Unteroffiziere zu gewinnen ... In Hamburg ... besteht jetzt schon ein guter Teil der Truppen aus Sozialdemokraten, denn die Leute dort haben das Recht, nur in die dortigen Bataillone einzutreten. Wie nun, wenn sich diese Truppen einmal weigern, auf ihre Väter und Brüder zu schießen, wie der Kaiser verlangt hat? Sollen wir dann die hannöverschen und mecklenburgischen Regimenter gegen Hamburg auf bieten? Dann haben wir dort etwas wie die Kommune in Paris. Der Kaiser war eingeschüchtert. Er sagte mir, er wolle nicht einmal „Kartätschenprinz“ heißen wie sein Großvater und nicht gleich an Anfange seiner Regierung „bis an die Knöchel im Blut waten“. Ich sagte ihm damals: „Ew. Majestät werden noch viel tiefer hinein müssen, wenn Sie jetzt zurückweichen!“
„Die sozialdemokratische Frage ist eine militärische.“ Das drückt das ganze Problem aus; das sagt mehr und greift viel tiefer als der von Massowsche Notschrei: „Der einzige Trost, den wir haben, sind die Bajonette und Kanonen unsrer Soldaten.“[1] „Die sozialdemokratische Frage ist eine militärische.“ Das ist seit je der Grundton aller Scharfmachermelodien. Wem das die früheren Bismarckund Puttkanierschen Indiskretionen, die Alexandrinerrede, die Hamburger Nachrichten und der Vollblutjunker von Oldenburg-Januschau noch nicht beigebracht hatten, dem werden nach den Hohenlohe-Delbrückschen Enthüllungen, die um die Jahreswende ihre Bestätigung durch den Landgerichtsrat Kulemann gefunden haben, dem werden nach jenem lapidaren Wort Bismarcks die Augen aufgegangen sein.
Die sozialdemokratische Frage – soweit sie eine politische Frage ist – ist am letzten Ende eine militärische. Das sollte auch der Sozialdemokratie stets als Menetekel vor Augen schweben und als ein taktisches Prinzip ersten Grades gelten.
Der innere Gegner, die Sozialdemokratie, ist „gefährlicher als der äußere, weil er die Seele unsres Volkes vergiftet und uns die Waffen aus der Hand windet, ehe wir diese noch erheben“. So proklamierte die Kreuz-Zeitung am 21. Januar 1907 die Souveränität des Klasseninteresses über das nationale Interesse in einem Wahlkampf, der gerade „unter der wehenden Standarte des Nationalismus“ geführt wurde! Und dieser Wahlkampf stand unter dem Zeichen fortgesetzt gesteigerter Wahl- und Koalitionsrechtsbedrohung, unter dem Zeichen des „Bonaparteschen Degens“, mit dem Fürst Bülow in seinem Silvesterbrief um die Köpfe der deutschen Sozialdemokraten fuchelte, um sie ins Bockshorn zu jagen; er stand unter dem Zeichen eines zur Siedehitze gesteigerten Klassenkampfs.[2] Nur der Blinde und Taube kann leugnen, daß diese Zeichen und viele andre auf Sturm, ja auf Orkan deuten.
Damit hat das Problem der Bekämpfung des „inneren Militarismus“ aktuellste Bedeutung gewonnen.
Die Wahlen 1907 wurden aber auch geführt um die nationale Phrase, um die koloniale Phrase, um Chauvinismus und Imperialismus. Und sie haben gezeigt, wie beschämend gering trotz alledem die Widerstandskraft des deutschen Volks gegenüber den pseudopatriotischen Rattenfängereien jener verächtlichen Geschäftspatrioten ist. Sie haben gelehrt, welch grandiose Demagogie die Regierung, die herrschenden Klassen und die ganze heulende Meute des „Patriotismus“ zu entfalten vermögen, wenn es um ihre „heiligsten Güter“ geht. Sie waren für das Proletariat Wahlen der nützlichsten Klärung, Wahlen der Selbstbesinnung und der Belehrung über das soziale und politische Kräfteverhältnis, Wahlen der Erziehung, der Befreiung von der unglückseligen „Sieggewohnheit“, Wahlen des willkommenen Zwangs zur Vertiefung der proletarischen Bewegung und des Verständnisses für die Psychologie der Massen gegenüber nationalen Aktionen. Gewiß sind die Ursachen unsrer sogenannten Schlappe, die keine Schlappe war und über die die Sieger verblüffter waren als die Besiegten, gar mannigfaltige; kein Zweifel aber, daß gerade die militaristisch durchseuchten oder beeinflußten Teile des Proletariats, die freilich an sich schon dem Regierungsterrorismus am wehrlosesten ausgeliefert zu sein pflegen, zum Beispiel die Staatsarbeiter und Unterbeamten, der sozialdemokratischen Ausbreitung einen besonders festen Damm entgegengesetzt haben.
Auch das rückt die antimilitaristische Frage und die Frage der Jugendbewegung, der Jugenderziehung für die deutsche Arbeiterbewegung, energisch in den Vordergrund und sichert ihren Anspruch auf zunehmende Beachtung.
Die folgende Schrift ist die Ausarbeitung eines Referats, das der Verfasser am 30. September 1906 auf der 1. Generalversammlung des Verbandes junger Arbeiter Deutschlands in Mannheim hielt. Sie macht sich nicht anheischig, etwas wesentlich Neues zu bieten; sie soll nur eine Zusammenstellung bereits bekannten, meinethalben gemeinplätzlichen Materials sein. Sie beansprucht auch nicht den Titel erschöpfender Vollständigkeit. Der Verfasser hat sich nach Kräften bemüht, das meist in Zeitungen und Zeitschriften unendlich zerstreute und verzettelte Material aus aller Herren Länder zusammenzuschaffen; und dank vor allem der Hilfe unsres belgischen Genossen de Man ist es gelungen, wenigstens einen Überblick über die antimilitaristische und die Jugendbewegung der wichtigsten Länder zu gewinnen.
Wenn hier und da Irrtümer unterlaufen sein sollten, so mögen sie durch die Schwierigkeit der Stoffbewältigung, aber auch die vielfache Unzuverlässigkeit der Quellen entschuldigt werden, die sich nicht selten selbst in Widersprüchen bewegen.
Auf dem Gebiete des Militarismus ist gerade in unsren Tagen vieles in schnellem Fluß, und zum Beispiel im Punkte der französischen und englischen Militärreformen wird die Darstellung der folgenden Zeilen gewiß durch die Ereignisse gar bald überholt werden.
Noch mehr gilt das aber von dem Antimilitarismus und der proletarischen Jugendbewegung, diesen neuesten Erscheinungen im proletarischen Befreiungskampf, die sich allenthalben in rascher Entwicklung und trotz mancher Rückschläge in erfreulichem Aufschwung befinden. So ist erst nach Drucklegung dieser Schrift in Erfahrung gebracht worden, daß die finnischen sozialistischen Jugendvereine an 9. und 10. Dezember 1906 ihren ersten Kongreß in Tammerfors abhielten, wo ein Verband jugendlicher Arbeiter Finnlands gegründet wurde, der sich der finnischen Arbeiterpartei anschließen wird und neben der Erziehung der jugendlichen Arbeiter zum Klassenbewußtsein auch den Kampf gegen den Militarismus in allen seinen Gestalten zur besonderen Aufgabe hat.
Man wird gegenüber der theoretischen Grundlegung unsrer Arbeit den Vorwurf allzu großer Kürze und ungenügender historischer Vertiefung zu erheben geneigt sein. Demgegenüber muß auf den aktuell politischen Zweck der Schrift verwiesen werden, den Zweck, den antimilitaristischen Gedanken zu fördern.
Mancher wird wiederum mit der Aufhäufung der zahlreichen oft anscheinend unerheblichen Einzelheiten besonders aus der Geschichte der Jugendbewegung und des Antimilitarismus unzufrieden sein. Diese Unzufriedenheit mag gerechtfertigt sein. Der Verfasser ging indessen von der Ansicht aus, daß erst durch die Einzelheiten, das Auf- und Abwogen der organisatorischen Entwicklung, das Werden und Wandeln der taktischen Grundsätze eine lebendige Anschauung und die erstrebte Nutzanwendung ermöglicht wird, zumal ja gerade bei der antimilitaristischen Agitation und Organisation die Hauptschwierigkeit im Detail liegt.
Berlin, den 11. Februar 1907
Dr. Karl Liebknecht
1. Vgl. das Deutsche Wochenblatt Arendts, Mitte November 1896. Weiter Sozialdemokratische Partei-Correspondenz, II. Jahrg., Nr.4.. (Siehe Kapitel 2.5 Rußland. Die Red.)
2. Abend des Stichwahltages (5. Februar 1907) wurden Truppen der Berliner Garnison mit scharfen Patronen versehen und zum Ausrücken bereitgehalten. Bekanntlich waren am 25. Juni 1905, dem vormaligen Stichwahltag, in Spandau die Pioniere bereits auf der Schönwalder Straße, um die über den Wahlausfall erregte Arbeiterschaft „zur Räson zu bringen“.
In den niedersten Kulturen, die keinerlei Klassenscheidung kennen, dient die Waffe in der Regel gleichzeitig als Werkzeug. Sie ist Mittel zum Nahrungserwerb (zur Jagd, zum Wurzelgraben usw.) ebenso wie Mittel zum Schutz gegen wilde Tiere, zur Abwehr feindlicher Stämme und zum Angriff gegen sie. Sie trägt so primitiven Charakter, daß ein jeder sie sich jederzeit leicht selbst verschaffen kann (Steine und Stöcke, Speer mit Steinspitze, Bogen usw.). Das gilt auch von den Schutzwehren. Da es, abgesehen von der ursprünglichsten aller Arbeitsteilungen, derjenigen zwischen Mann und Frau, noch keine nennenswerte Arbeitsteilung gibt und alle Glieder des Gemeinwesens wenigstens innerhalb es männlichen oder weiblichen Geschlechts nahezu die gleiche gesellschaftliche Funktion haben, da es also noch keine wirtschaftlichen oder politischen Herrschaftsverhältnisse gibt, so kann die Waffe innerhalb des Gemeinwesens nicht eine Stütze solcher Herrschaftsverhältnisse sein. Sie könnte aber eine solche Stütze selbst dann nicht sein, wenn es Herrschaftsverhältnisse gäbe. Bei der primitiven Waffentechnik sind nur demokratische Herrschaftsverhältnisse möglich.
Wenn in dieser niedersten Kultur die Waffe innerhalb der Gemeinschaft höchstens zur Austragung individueller Konflikte dienen kann, so ändert sich das nach Eintritt der Klassenscheidung und der höheren Ausbildung der Waffentechnik. Der urwüchsige Kommunismus der niederen Ackerbauvölker mit ihrer Frauenherrschaftsverfassung kennt keine sozialen und daher normalerweise auch keine politischen Klassenherrschaftsverhältnisse. Ein Militarismus kommt im allgemeinen nicht auf; äußere Verwicklungen freilich zwingen zur Kriegsbereitschaft und erzeugen zeitweilig selbst militärische Despotien, die bei den Viehzuchtvölkern von vornherein wegen ihrer kriegerischeren Situation und der regelmäßig früheren Klassenscheidung eine sehr häufige Erscheinung bilden.
Sodann sei an das griechische und römische Heerwesen erinnert, in dem sich entsprechend der Klassenscheidung eine rein militärische Hierarchie fand, gegliedert je nach der Klassenlage des einzelnen, nach der sich wiederum die Güte der Bewaffnung richtete; ferner an die feudalen Ritterheere mit ihrem meist infanteristischen, stets viel schlechter gewehrt und gewappnetem Troß von Knappen, die nach Patrice Laroque mehr die Rolle von Gehilfen der Kombattanten als von Kombattanten selbst spielten. Daß man in der damaligen Zeit überhaupt eine Bewaffnung der unteren Klassen duldete und selbst herbeiführte, erklärt sich viel weniger aus der geringen allgemeinen Sicherheit, die der Staat den von ihm anerkannten Interessen der einzelnen zu bieten vermochte, die daher eine persönliche Bewaffnung aller in einem gewissen Sinne zum Bedürfnis machte, als aus der Notwendigkeit einer möglichsten Wehrhaftmachung der Nation oder des Staates für Angriff und Abwehr gegen den äußeren Feind. Die Differenzierung in der Bewaffnung der einzelnen Gesellschaftsklassen wahrte aber stets die Möglichkeit der Ausnutzung der Waffentechnik zur Erhaltung oder Herstellung des Herrschaftsverhältnisses. Die römischen Sklavenkriege beleuchten diese Seite der Sache in bemerkenswerter Weise.
Ein bezeichnendes Licht werfen auf unsre Frage auch der deutsche Bauernkrieg und die deutschen Städtekriege. Unter den unmittelbaren Ursachen für den ungünstigen Verlauf des deutschen Bauernkriegs steht die militärisch-technische Überlegenheit der kirchlich feudalen Heere mit in erster Reihe. Die Städtekriege des 14. Jahrhunderts gegen ebendiese Heere aber verliefen erfolgreich, nicht nur, weil in ihnen die Waffentechnik, insbesondere die Technik der Feuerwaffen, im Gegensatz zum Bauernkrieg des Jahres 1525 außerordentlich rückständig war, sondern vor allem infolge der großen wirtschaftlichen Macht der Städte, die als lokal abgegliederte soziale Interessensphären die Angehörigen dieser Sphären – und zwar ohne nennenswerte Beimischung anders interessierter Elemente – auf engem Raume zusammenzwangen, die weiter durch die Art des Städtebaues von vornherein eine taktische Position von etwa der gleichen Bedeutung innehatten wie die Feudalherren, wie Kirche und Kaiser in ihren Burgen und Festungen – das ist gleichfalls ein militärisch-technisches Element (Fortifikation) – und in deren Händen schließlich die Waffenerzeugung selbst in allererster Linie lag, wie denn ihre Bürger die überlegenen Vertreter der technischen Fertigkeiten überhaupt waren, die dem Ritterheer den Garaus machten.[5]
Festzuhalten ist als Ergebnis der Betrachtung gerade der Bauern- und Städtekriege die wichtige Rolle, die dem lokal getrennt oder örtlich gemischten Leben der verschiedenen Gesellschaftsklassen gebührt. Das Zusammenfallen der Klassengliederung mit der örtlichen Gliederung bedeutet eine Erleichterung des Klassenkampfes, nicht nur wegen der dadurch herbeigeführten Förderung des Klassenbewußtseins, sondern auch rein technisch infolge der damit verbundenen Erleichterung der militärischen Zusammenfassung der Klassengenossen sowie der Waffenproduktion und Waffenversorgung. Diese günstige lokale Klassengruppierung hat allen bürgerlichen Revolutionen[6] zur Seite gestanden, der proletarischen fehlt sie nahezu.[7]
Auch in den Söldnerheeren, die bis in unsre Zeit hineinragen, findet, ähnlich wie bei der Bewaffnung, eine direkte Umsetzung wirtschaftlicher Macht in physische Macht statt nach dem mephistophelischen Rezept: „Wenn ich sechs Hengste zahlen kann, sind ihre Kräfte nicht die meine? Ich fahre fort und bin ein rechter Mann, als hätt’ ich vierundzwanzig Beine“, und nach dem weiteren Rezept: divide et impera! (Teile und herrsche), welch beide Rezepte auch bei den sogenannten Elitetruppen angewandt sind. – Andrerseits zeigen – ähnlich wie einst schon die Prätorianer – gerade die italienischen Condottieri drastisch, welche politische Macht der Besitz der Waffen, der kriegerischen Übung und der strategischen Kunst verleihen kann; der Söldling griff kühn nach Fürstenkronen, spielte mit ihnen Fangball und ward zum natürlichen Anwärter der höchsten staatlichen Macht[8], eine Erscheinung, die sich in erregten Zeiten und Kriegsläuften, in denen die militärische Gewalt schlagfertig in den Händen einzelner ruht, bis in unsre Tage wiederholt: Napoleon und seine Generale, auch Boulanger!
Wichtige Lehren über den Einfluß der außerpolitischen Lage auf die Gestaltung von Heerwesen und Militarismusim allgemeinen predigt die Geschichte der deutschen „Befreiungskriege“. Als nach den jämmerlich verlaufenen Koalitionskriegen gegen die Französische Revolution im Jahre 1806 das feudal-ständische Heer Friedrichs II. von der bürgerlichen Armee Frankreichs wie in einem Mörser zermalmt war, standen die hilflosen deutschen Regierungen vor der Alternative: entweder sich dauernd dem korsischen Eroberer auf Gnade und Ungnade ergeben, oder ihn mit seinen eignen Waffen schlagen, mit einer bürgerlichen Armee der allgemeinen Volksbewaffnung. Ihr Selbsterhaltungstrieb und die spontane Regung des Volkes drängten sie auf den zweiten Weg. Es begann jene große Periode der Demokratisierung Deutschlands, insbesondere Preußens, geschaffen durch den Druck von außen, der die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Spannungen im Innern zeitweilig milderte. Man brauchte Geld und begeisterte Freiheitskämpfer. Der Wert des Menschen an sich wuchs. Seine gesellschaftliche Eigenschaft als Werterzeuger und präsumtiver Steuerzahler und seine natürlich-physische Eigenschaft als Träger körperlicher Kraft, als Träger von Intelligenz und Begeisterungsfähigkeit gewannen entscheidende Bedeutung und ließen seinen Kurs, wie stets in Zeiten allgemeiner Gefahr, steigen, den Einfluß der Klassendifferenzierung sinken; das „Preußenvolk“ hatte, um im Militärwochenblattjargon zu reden, „allen Hader in langjähriger Fremdherrschaft unterdrücken gelernt“. Wie so oft spielten die Finanz- und die Militärfrage eine revolutionierende Rolle. Manche wirtschaftlichen, sozialen und politischen Hemmungen wurden beseitigt. Industrie und Handel, die finanziell in erster Linie wichtig waren, wurden gefördert, soweit dies der kleinlich-bürokratische Geist Preußen-Deutschlands vermochte. Selbstpolitische Freiheiten wurden eingeführt oder wenigstens – versprochen. Das Volk stand auf, der Sturm brach los. Die Scharnhorst-Gneisenausche Armee der allgemeinen Volksbewaffnung jagte in den großen Befreiungskriegen den „Erbfeind“ über den Rhein zurück und setzte dem Welterschütterer, der das Frankreich der großen Revolution unterwühlt hatte, ein schmähliches Ziel, obwohl sie nicht einmal diejenige demokratische Einrichtung war, die Scharnhorst und Gneisenau hatten schaffen wollen. Nachdem der Mohr – das deutsche Volk – so seine Schuldigkeit getan hatte, erhielt er den gehörigen „Dank vom Hause Habsburg“. Die Karlsbader Beschlüsse folgten auf die Völkerschlacht bei Leipzig; und einer der wichtigsten Akte der Metternichtigkeit eidbrüchigen und fluchwürdigen Angedenkens war, nachdem der Druck von außen beseitigt und alle reaktionären Teufel im Innern wieder losgelassen waren, die Vernichtung der demokratischen Armee der Freiheitskriege, für die zwar die kulturell hochstehenden Gebiete Deutschlands reif sein mochten, die aber unter dem Bleigewicht der ostelbisch-borussischen Unkultur mit fast allen Herrlichkeiten der großen Volkserhebung jäh zusammenbrach.
Ein oberflächlicher Blick über die Entwicklung des Heerwesens schließlich ergibt, in welch energischer Abhängigkeit Art der Zusammensetzung und Umfang der Armee nicht nur von der sozialen Gliederung, sondern auch, und in weit höherem Maße, von der Waffentechnik stehen. Die umwälzende Wirkung, die zum Beispiel die Erfindung der Feuerwaffen in dieser Richtung geübt hat, ist eine der markantesten Tatsachen der Kriegsgeschichte.
1. Natürlich auch des von ihr untrennbaren Regulators der physischen Kraft: der geistigen Kraft, insofern sie eine möglichst gute Ausnutzung der physischen Kraft bewirkt und sich fremde physische Kraft dienstbar macht, und zwar durch diese so disponible und erworbene physische Kraft. In welchem Umfang eine solche Dienstbarmachung physischer Kraft als soziale Erscheinung stattfindet, das heißt vermöge des großen Maßes und der Regelmäßigkeit, in denen sie von den einzelnen Interessengruppen gegeneinander stattfindet, in die Gestaltung des gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisses mitbestimmend eingreift, hängt im wesentlichen und für die Regel von der wirtschaftlichen Lage der Interessengruppen ab und ist in einigen wichtigen Beziehungen im folgenden erörtert.
2. „In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe rnrer materiellen Produktivkräfte entsprechen.“ Karl Marx. (Zur Kritik der politischen Ökonomie, in: Karl Marx und Friedrich Engels: Ausgewählte Schriften, Bd.1, Dietz Verlag, Berlin 1958, S.557. – Die Red.)
3. Zu den eigentlichen Waffen nebst Munition und Schutzwehren aller Art, einschließlich des Beleuchtungswesens, zu den Festungen und Kriegsschiffen tritt z.B. noch das militärische Kommunikationswesen (Pferde, Wagen, Fahrräder, Wege und Brückenbau, Binnenschiffe, Eisenbahn, Automobil, Telegraph, drahtlose Telegraphie, Telephon usw.), auch des Fernrohrs, der Luftschiffe, der Photographie und der Spürhunde sei nicht vergessen.
4. Siehe Kapitel 1-4.4 Italien. – Die Red.
5. Auch die italienische Entwicklung des 15. Jahrhunderts bietet hier allergrößtes Interesse, das zu vertiefter Untersuchung geradezu reizt. Sie bekräftigt allenthalben unsre Grundauffassung. Vgl. Burckhardt, Die Cultur der Renaissance in Italien, 9. Auflage, Bd.1, S.105ff.
6. Auch der russischen in ihrem ersten Stadium; dafür ist – von den unzähligen sonstigen Belegen – besonders charakteristisch der bewaffnete Moskauer Aufstand vom Dezember 1905, dessen erstaunliche Zähigkeit sich aus dem Zusammenarbeiten des Gros der städtischen Bevölkerung mit den im Feuer stehenden, übrigens nur wenig zahlreichen Revolutionären erklärt. Die in Moskau glänzend entwickelte Taktik des städtischen Guerillakrieges wird epochemachend sein.
7. Das Zusammenarbeiten in Fabriken usw. und das Zusammenwohnen in „Arbeitervierteln“ und dergleichen kommt hier immerhin in Betracht.
8. Vgl. Burckhardt, Die Cultur der Renaissance in Italien, Bd.1, S.22ff.
Aus alledem folgt, daß sich der Umfang und der besondere organisatorische Charakter der Armee wesentlich nach der internationalen Lage, nach der Funktion der Armee gegen den äußeren Feind richtet. Die internationale Spannung, die heute in der Regel eine sehr hohe ist und – selbst in den noch nicht kapitalistischen Staaten schon wegen der Konkurrenz mit und zum Schutze gegenüber den kapitalistischen Staaten – zur Ausnutzung aller waffenfähigen Bürger sowie zur schroffsten Organisationsform, dem flehenden Heer der allgemeinen Wehrpflicht, drängt, kann durch natürliche Ursachen, wie zum Beispiel die insulare Lage Englands und – im Verhältnis zu den übrigen Großstaaten – auch der Vereinigten Staaten von Amerika, und durch künstlich-politische Ursachen, wie zum Beispiel die Neutralerklärung der Schweiz und der Niederlande, eine sehr beträchtliche Abschwächung erfahren.
Dagegen ist die Funktion des „Militarismus nach innen“, gegenüber dem inneren Feind, als Werkzeug im Klassenkampf eine stete notwendige Begleiterscheinung der kapitalistischen Entwicklung, wie denn selbst Gaston Moch „die Wiederherstellung der Ordnung“ als „legitime Funktion einer Volksarmee“ bezeichnet. Und wenn der Militarismus in dieser seiner Funktion dennoch sehr verschiedene Formen aufweist, so erklärt sich das einfach dadurch, daß dieser Zweck bisher ein mehr nationaler, seine Erfüllung nicht so sehr durch internationale Konkurrenz geregelt ist, daß er in sehr verschiedener Art erreicht werden und daher viel mehr nationale Eigentümlichkeiten ertragen kann. Übrigens werden auch England und Amerika (wo zum Beispiel von 1896 bis 1906 das stehende Landheer von etwa 27.000 auf etwa 61.000 Mann verstärkt, die Zahl der Marinemannschaften verdoppelt, das Budget des Kriegsdepartements auf das Zweieinhalbfache, das des Marinedepartements auf mehr als das Dreifache gesteigert worden ist und für 1907 von Taft wieder zirka 100 Millionen mehr gefordert werden) immer mehr in die Bahn des europäisch-festländischen Militarismus getrieben, was sicherlich in erster Reihe durch die Veränderung der internationalen Lage und die Bedürfnisse der jingoistisch-imperialistischen Weltpolitik, in zweiter Reihe aber unverkennbar durch die Veränderung der inneren Spannung, die Steigerung der Klassenkampfgefahr veranlaßt ist. Die militaristischen Anwandlungen des englischen Kriegsministers Haldane aus dem September 1906 stehen schwerlich nur in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem energischen selbständigen Auftreten der englischen Arbeiterschaft auf der politischen Bühne.[34] Die Neigung zur Einführung einer allgemeinen Wehrhaftmachung nach Schweizer Muster, die in England trotz der für sie inszenierten gewichtigen Agitation vorläufig noch zurückgedrängt ist, für die Vereinigten Staaten aber in der Botschaft Roosevelts vom 4. Dezember 1906 bedeutsamen Ausdruck gefunden hat, ist kein Symptom des Fortschritts. Sie heißt trotz alledem eine Verstärkung des Militarismus im Vergleich zum gegenwärtigen Zustand, und sie liegt immerhin auf der abschüssigen Bahn zum stehenden Heer, das lehrt gerade die Schweiz.
Unverkennbar besitzt der Militarismus mit Rücksicht auf die große Mannigfaltigkeit der Kombinationen zwischen den Faktoren, die Maß und Art der besonderen Bedürfnisse eines Schutzes nach außen und nach innen bestimmen, eine beträchtliche Vielgestaltigkeit und Wandlungsfähigkeit, die sich am ausgeprägtesten im Heerwesen zeigt. Diese Wandlungsfähigkeit bewegt sich aber allenthalben innerhalb der Grenzen, die jene dem Militarismus unbedingt wesentliche Zweckbestimmung einer kapitalistischen Schutzwehr setzt. Die Entwicklung kann hier dennoch zeitweilig geradezu divergieren. Während zum Beispiel Frankreich unter Picquart ernstlich an eine energische Abkürzung der Übungszeit der Reserve- und Territorialtruppen[35], an die Reform des „Biribi“ und die Abmchaffung der militärischen Sondergerichtsbarkeit[36] geht, quittierte im Herbst 1906 der Präsident des deutschen Reichsmilitärgerichts, von Massow, seinen Dienst, weil die militärische Kommandogewalt (das preußische Kriegsministerium) durch Gesetzesinterpretationen formell und ohne Unischweife in die Unabhängigkeit der Militär- gerichte eingreift (Rundschreiben vom Frühjahr 1905), eine Unabhängigkeit, die freilich schon durch die Maßregelung der Richter des Bilse-Prozessest eine eigenartige Kommentierung erfahren hatte. Diese „französischen Zugeständnisse“ sind fast ausschließlich dem Antiklerikalismus zu verdanken: Der Klerikalismus hat eine wichtige Stütze in der Armee; die Regierung bedarf des Proletariats im „Kulturkampf“. Diese Kombination ist natürlich weder ewig, noch auch aus einer wesentlichen, dauernden Entwicklungstendenz entsprossen; sie beruht auf einer ihrem Wesen nach vorübergehenden Konstellation und geht mit energischer Befehdung des Antimilitarismus, wie gezeigt, Hand in Hand.
Interessant ist von diesen Gesichtspunkten aus Rußland, dem die hochgradige Spannung seiner außerpolitischen Lage die allgemeine Wehrpflicht aufgezwungen hat und das sich als asiatisch-despotischer Staat einer inneren Spannung ohnegleichen gegenüber sieht. Der innere Feind des Zarismus ist nicht nur das Proletariat, sondern außerdem die gewaltige Masse der Bauernschaft und des Bürgertums, ja selbst ein großer Teil des Adels. Neunundneunzig Prozent der russischen Soldaten sind ihrer Klassenlage nach dem zarischen Despotismus erzfeind. Niedere Bildung, nationale und religiöse Gegensätze, auch wirtschaftliche und soziale Interessenwidersprüche, ferner mehr oder weniger sanfter Druck durch den weitverzweigten bürokratischen Apparat sowie die ungünstige örtliche Gliederung, daß ungenügend ausgebildete Verkehrswesen und anderes hemmen die Ausbildung des Klassenbewußtseins aufs äußerste. Durch ein mit allen Hunden gehetztes System der Elitetruppen, zum Beispiel der Gendarmerie und vor allem der Kosaken, die durch gute Bezahlung und anderweitige materielle Versorgung, durch weitgehende politische Privilegien, durch Einrichtung der halbsozialistischen Kosakengemeinwesen geradewegs zu einer besonderen gesellschaftlichen Klasse gestaltet und so an das herrschende Regime künstlich gefesselt sind, sucht sich der Zarismus gegenüber der Gärung, die bis tief in die Reihen der Armee gedrungen ist, eine genügende Zahl von Getreuen zu sichern. Und zu alledem, zu diesen „Hofhunden des Zarismus“, treten noch hinzu die Tscherkessen[37] und sonstigen im Reich der Knute wohnenden Barbarenvölker, die unter anderen in der Ostseeprovinz-Konterrevölution wie Wolfsrudel über das Land losgelassen wurden, und alle übrigen bewaffneten Kostgänger des Zarismus, deren Zahl Legion ist, die Polizei und ihre Helfershelfer sowie – die Hooligans, die schwarzen Banden.
Aber wenn schon in den bürgerlich-kapitalistischen Staaten die Armee der allgemeinen Wehrpflicht als Waffe gegen das Proletariat ein krasser, zugleich furchtbarer und bizarrer Widerspruch in sich selbst ist, so ist das Heer der allgemeinen Wehrpflicht unter dem zärisch-despotischen Regierungssystem eine Waffe, die sich notwendig mehr und mehr mit niederschmetternder Wucht gegen den zarischen Despotismus selbst wenden muß, woraus sich gleichzeitig ergibt, daß die Erfahrungen auf dem Gebiete der antimilitaristischen Entwicklung in Rußland nur mit großer Vorsicht für die bürgerlich-kapitalistischen Staaten zu verwenden sind. Und wenn die Bemühungen der herrschenden Lassen des Kapitalismus in den bürgerlich-kapitalistischen Staaten, das Volk zum Kampfe gegen sich selbst zu kaufen, und zwar noch gar zu einem großen Teil mit den dem Volke selbst zu diesem Zwecke abgenommenen Geldmitteln, schließlich zum Scheitern verurteilt sind, so sehen wir vor unsern Augen bereits, wie die verzweifelten und jämmerlichen Versuche des Zarismus, die Revolution gewissermaßen durch Bestechung zu kaufen, in der Misere der russischen Finanzwirtschaft ein schnelles und klägliches Fiasko erleiden, und zwar trotz aller Rettungsaktionen des skrupellosen internationalen Börsenkapitals. Gewiß, die Anleihefrage ist eine wichtige Frage, mindestens für das Tempo der Revolution; aber sowenig Revolutionen gemacht werden können, sowenig oder noch weniger können sie gekauft werden[38], nicht einmal mit den Mitteln des Großkapitals der Welt.
1. Zu Unrecht sagt Bernstein in La Vie Socialiste vom 5. Juni 1905, die heutigen militaristischen Institutionen seien nur ein Erbe der mehr oder weniger feudalen Monarchie.
2. Vgl. nur Rußland, bei dem aber ganz besondere, nicht aus den inneren Verhältnissen erwachsene Umstände zu dem Resultat mitgewirkt haben. Stehende Heere auf anderer Grundlage als der allgemeinen Wehrpflicht sind zum Beispiel die Söldnerheere. Milizen kannten auch die italienischen Städte des 15. Jahrhunderts.(Burchardt, Die Cultur der Renaissance, Bd.1, S.527.)
3. In dem bekannten Briefe an Bluntschli (Dezember 1880) heißt es: „Der ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, und der Krieg ein Glied in Gottes Weltordnung. In ihm entfalten sich die edelsten Tugenden des Menschen, Mut und Entsagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit mit Einsetzung des Lebens. Ohne den Krieg würde die Welt in Materialismus versumpfen.“ Wenige Monate vorher hatte Moltke geschrieben: „Jeder Krieg ist ein nationales Unglück“ (Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten, Berlin o.J., Bd.V, S.195, auch S.200) und 1841 in einem Artikel der Augsburger Allgemeinen Zeitung gar: „Wir bekennen uns offen tu der viel verspotteten Idee eines allgemeinen europäischen Friedens.“
4. Der Wert des gesamten auswärtigen Handels der Welt ist nach Hübners Tabellen von 75.224 Millionen im Jahre 1891 auf fast 109.000 Millionen im Jahre 1905 gestiegen.
5. „Was heutzutage unsere Situation kompliziert und erschwert, das sind unsere überseeischen Bestrebungen und Interessen.“
6. Moltkes Anschauungen hierzu waren höchst abenteuerlich. Die Zeit der Kabinettskriege ist nach Ihm zwar vorüber, dafür hält er aber die Parteiführer für frevelmütige, gefährliche Kriegsprovokanten. Die Parteiführer und – die Börse! Freilich hat er auch hie und da tiefere Einsicht. (Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten“, Bd.III, 1ff., 126, 155, 158.)
7. Die durch jene phantastische Ausgeburt des englischen Jingoismus, betitelt: Die Invasion von 1910, immerhin gekennzeichnet wird.
8. Frankreich hat im Jahre 1906 aus Anlaß des Marokkostreites weit über 100 Millionen zur militärischen Sicherung seiner Ostgrenzen aufgewendet!
9. Über den angeblichen, nicht recht geklärten Plan des Hamburger Reedereiabgeordneten Seniler, Fernando Po à la Jameson zu kapern, vgl. die Debatten der Budgetkommission vom Anfang Dezember 1906.
10. Dem tut keinen Abbruch, daß er sich vorläufig noch gegen die allgemeine Wehrpflicht ausgesprochen hat, was die Kreuz-Zeitung vom 29. November 1906 um deswillen bedauert, weil – die allgemeine Wehrpflicht das englische Volk zu einer besseren Würdigung des Ernstes eines Krieges erziehen müsse! In Deutschland freilich hat nach dem Willen der Kreuz-Zeitungs-Ritter die allgemeine Wehrpflicht nur die Bedeutung, dem Volke Blut- und Gutopfer aufzuzwingen, während die Entscheidung über Krieg und Frieden im Würfelbecher derer ruht, für die der Ernst des Krieges am wenigsten existiert. Fürs Ausland weiß man sogar die Demokratie zu schätzen! – Wegen der starken Tendenz zur allgemeinen Miliz, die sich in England und Amerika zeigt, vgl. Teil 5 dieses Kapitels, Rußland.
11. Vgl. Teil 5 dieses Kapitels, Rußland, Kapitel 1-4.2, Noch eine Zwickmühle des vorliegenden Bandes und die Botschaft Roosevelts vom 4. Dezember 1906.
12. Durch den Marokkokonflikt hauptsächlich begründet.
13. 23¾ Millionen für die Marine, 51 Millionen für das Landheer, 7 Millionen Zinsen, Summa: eine Steigerung um etwa 85 Millionen Mark gegen den Etat von 1906/1907! Rosige Aussichten auf weitere „uferlose“ Flottenrüstungen macht ein offenbar inspirierter Artikel im Reichsboten vom 21. Dezember 1906. Und dazu die riesigen kolonialen Kriegsausgaben (Chinaexpedition 454 Millionen, Südwestafrikanischer Aufstand bisher 490 Millionen, Ostafrikanischer Aufstand 2 Millionen usw.), über deren Einforderung es soeben, am 15. Dezember 1906, zum Konflikt und zur Reichstagsauflösung gekommen ist.
14. Vgl. zum Beispiel Berliner Tageblatt vom 27. Oktober 1906. Vor allem der berüchtigte Antrag Ablaß vom 15. Dezember 1906 und die liberale Wahlparole zum 25. Januar 1907.
15. La Revue vom 1. Oktober 1906. Die „tatsächlich erzielten Erfolge“ der deren von denen die Redaktion der Revue orakelt, sind tiefes Geheimnis.
16. Dernburg in der Reichstagssitzung vom 29. November 1906.
17. Frankreich hat seit dem 51. Dezember 1900 eine förmliche Kolonialarmee, mit der die bösesten Erfahrungen gemacht sind: Vgl. Hamburgischer Correspondent Nr.621 vom 7. Dezember 1906, auch Fußnote 5 und, S.65 des vorliegenden Bandes. In Deutschland wird geschäftig an ihrer Herstellung gearbeitet Es geht im Geschwindschritt auf sie zu.
18. Dessen koloniale Ausgaben selbst nach Dernburgs Denkschrift vom Oktober 1906, trotz aller darin praktizierten Bilanzverschleierung, weit überwiegend militärischer Art sind.
19. Vgl. Péroz, France et Japon en Indochine“; Famin, L’armèe coloniale; E. Reclus in Patriotisme et colonisation; Däumig, Schlachtopfer des Militarismus. In Die Neue Zeit, XVIII. Jahrgang (1899/1900), 2. Bd., S.565, über die Bataillone d’Afrique S.569. Ferner für Deutschland selbst Abg. Untreu am 3. Dezember 1906 im Reichstag.
20. Auch das Disziplinarwesen nimmt hier eine besonders zugespitzte Form der Bestialität an. Ober Frankreichs Fremdenlegion und die Bataillons d’Afrique vgl. Däumig, Schlachtopfer des Militarismus; über die Abschaffung des „Biribi“: Teil 5 dieses Kapitels, Rußland und Kapitel 1-3.2, Soldatenerziehung.
21. Dieser heuchlerische und zugleich schamhafte Schleier wird jetzt mit allem wünschenswerten Zynismus abgeworfen: vgl. den Artikel von G.B. in der Monatsschrift Die deutschen Kolonien (Oktober 1906) und von Strantz auf dem alldeutschen Verbandstag (September 1906): „Wir wollen in den Kolonien nicht die Leute zu Christen machen, sondern sie sollen für uns arbeiten. Dieser Humanitätsdusel ist geradezu lächerlich. Die deutsche Sentimentalität hat uns einen Mann wie Peters geraubt.“ Weiter Heinrich Hartert in Der Tag vom 21. Dezember 1906: „Es sei Pflicht der Mission, sich ... den gegebenen Verhältnissen anzupassen“; sie hat sich aber „vielfach dem Kaufmann direkt lästig gemacht“. Hier liegt der kolonialpolitische Hauptstreitpunkt zwischen Zentrum und Regierung, aus dem allein mich der im Dezent- her 1906 von dem „Kaufmann“ Dernburg entfesselte wütende Kampf gegen die sogenannte Nebenregierung des Zentrums versteht. – Auch hier gilt fürs Ausland die göttliche „Antwort Alexanders“. Für Amerika predigt die Kreuz-Zeitung vom 29. September 1906 Die einfache Ausrottung ganzer Indianerstämme ist so inhuman und unchristlich, daß sie unter keinen Umständen verteidigt werden kann – zumal es sich für die Amerikaner keineswegs tun ein to be or not to be handelt.“ Wo es sich darum handelt – nach Auffassung der Kolonialchristen! – darf also auch der Bekenner der Nächstenliebe, „ganze Stämme ausrotten“!
22. Vgl. die denkwürdigen Verhandlungen des Deutschen Reichstags vom 28. November bis zum 4. Dezember 1906, in denen die Eiterbeule aufgestochen wurde.
23. Vgl. Hamburger Nachrichten vom 5. November 1906.
24. Die Opfer der Kriege von 1799 bis 1904 (außer dem Russisch-Japanischen) an Menschenleben werden auf etwa 15 Millionen veranschlagt.
25. Vgl. Fußnote 3 und Moltke, Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten, Bd.II, S.288. Danach soll der Krieg die Sittlichkeit und. Tüchtigkeit bis aufs äußerste steigern, besonders die moralische Energie fördern.
26. Auch die Aufgabe, die bestehende innere Ordnung zu verbarrikadieren, fällt dem Militarismus nicht nur in der kapitalistischen, sondern in allen Klassengesellschaftsordnungen zu.
27. Vgl. den französischen Kulturkampf während des Konflikts vom Dezember 1906.
28. Vgl. die oberschlesischen Wahlkrawalle von 1905.
29. Vgl. Fuchsmühl.
30. Näheres Teil 5 dieses Kapitels, Rußland und Kapitel 2-5.
31. 1905/1906: 229.820. In den Native States 1903: 136.837.
32. Die Werbung wird immer schwieriger, der Prozentsatz der angeworbenen Ausländer wächst – ein, Tatsache, die die amerikanische Regierung beunruhigt
33. Vgl. Kapitel 2-2 Schweiz.
34. Die scharfe arbeiterparteifeindliche politische Haltung gerade Haldanes zeigen die von Rothstein berichteten Tatsachen in der Neuen Zeit, 25. Jahrgang (1906/07), 1. Bd., S.121; ob auch der Schulgesetzkonflikt zwischen Ober- und Unterhaus im November/Dezember 1906 ein Symptom solcher verschärften Spannung ist, kann erst die Zukunft lehren. Die neuestens gemeldete Ablehnung der allgemeinen Wehrpflicht durch Haldane steht damit nicht in Widerspruch, sondern im Einklang.
35. Von der Kammer im Dezember 1906 vorläufig abgelehnt.
36. Vgl. besonders Unterstaatssekretär Chéron in der Kammerverhandlung vom 10. Dezember 1906 und l’Humanité vom 11. Dezember 1906. Dazu Kapitel 1-3, Fußnote 14.
37. In der Dünazeitung vom 4. (17.) Dezember 1906 spricht selbst Landrat von Sivers-Römershof von den „blutdurstigen Tscherkessen“.
38. Auch nicht in der jetzt ins Auge gefaßten modernen Form der Verschacherung und Diskontierung von Konzessionen und natürlichen Schätzen an amerikanische Trust; des „dernier cri“ im doppelten Sinne der zarischen Finanzpolitik.
Jener richtige „militärische Geist“, auch „patriotischer Geist“ und in Preußen-Deutschland „Geist der Königstreue“ benannt, bedeutet kurzweg jederzeitige Bereitschaft, auf den äußeren und auf den inneren Feind nach Kommando loszuschlagen. Zu ihrer Erzeugung ist an und für sich am geeignetsten völliger Stumpfsinns wenigstens eine möglichst niedrige Intelligenz, die es ermöglicht, die Masse wie eine Herde Vieh zu treiben, wohin es das Interesse der „bestehenden Ordnung“ vorschreibt. Das Geständnis des preußischen Kriegsministers von Einem, ihm sei ein königstreuer Soldat, auch wenn er schlecht schieße, lieber als ein minder gesinnungstüchtiger, selbst wenn er noch so gut schieße, ist sicherlich dem tiefsten Herzen dieses Vertreters des deutschen Militarismus entsprungen.
Aber der Militarismus befindet sich hier in einer bösen Zwickmühle. Waffentechnik, Strategie und Taktik fordern heute von dem Soldaten ein nicht geringes Maß an Intelligenz[1] und machen den intelligenteren Soldaten ceteris paribus auch zu dem tüchtigeren.[2]