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Aus dem Englischen von Bärbel und Velten Arnold

ISBN 978-3-492-97527-8

August 2017

© Paul Finch 2016

Titel der englischen Originalausgabe: »Ashes to Ashes« bei Avon, HarperCollins

Publishers London 2017

© Piper Verlag GmbH, München 2017

Covergestaltung: zero-media.net, München

Coverabbildung: Valentino Sani/arcangel images

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

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Kapitel 1

Für die Sexshop-Inhaber Barrie und Les hatte Kundenpflege oberste Priorität.

Angesichts dessen, dass Pornografie längst als etwas ganz Normales galt, mochte manch einer diese Ansicht belächeln. Aber die Wahrheit war: Auch wenn die Leute so taten, als sei nichts dabei, Pornos zu konsumieren, redete man lieber nicht darüber. Und man war bestimmt nicht darauf erpicht, mit demjenigen, der einem das Zeug verkaufte, in irgendeiner Weise freundlichen Umgang zu pflegen. Man wollte einfach nur einkaufen und so schnell wie möglich wieder verschwinden, wobei das Erstandene anschließend zu Hause an einem geheimen Aufbewahrungsort verwahrt wurde, an dem es hoffentlich niemand jemals entdecken würde. Normalerweise würde kein Mensch auf die Idee kommen, dass ein freundlicher Umgang sich in so einer Art von Geschäft irgendwie auszahlen würde, doch Barrie und Les, die ihren Straßenecken-Sexshop Sadie’s Dungeon seit zwölf Jahren erfolgreich betrieben, sahen das überhaupt nicht so, vor allem Barrie nicht, und er war der Denker der beiden.

Barrie war davon überzeugt, dass es darauf ankam, den Sexshop-Besuch für die Kunden zu einem erfreulichen Erlebnis zu machen, damit sie gerne wiederkamen. Gerne – das war das Entscheidende. Klar, unterm Strich ging es darum, Qualitätsware anzubieten, aber dies hatte mit einem Lächeln auf den Lippen zu geschehen, und zugleich konnte man den einen oder anderen Scherz anbringen und sich dem Kunden gegenüber hilfsbereit zeigen. Wenn jemand um eine Information oder eine Empfehlung bat, versuchte man, dem Kunden zu helfen, und stand nicht einfach nur mit diesem gelangweilten, dumpfbackigen Ausdruck da, der in Großbritannien bei dienstleistendem Personal so häufig anzutreffen war.

Wenn man es so hielt, war es wahrscheinlicher, dass die Kunden erneut etwas im Sadie’s Dungeon kauften. Das zu verstehen war nicht besonders schwer. Und es funktionierte.

Selbst dieser Tage hatte der Kauf von pornografischem Schweinkram offenbar doch noch etwas Anrüchiges. Barrie und Les hatten schon alle möglichen Kunden in ihrem Laden gesehen, von abgerissenen, betrunkenen Radaubrüdern bis hin zu gut gekleideten Geschäftsmännern, doch alle hatten das Geschäft in der gleichen Weise betreten: mit etwas steifen Schultern, glänzenden Schweißperlen auf der Stirn und hin und her schießenden Blicken, als ob sie Angst hätten, ihrem Schwiegervater zu begegnen. Und ausnahmslos alle ließen sich nur zu gerne auf ein ihre Anspannung lösendes Schwätzchen mit den unerwartet freundlichen Typen hinter dem Tresen ein, allerdings erst, wenn ihre Ware in eine Tüte gepackt wurde. Es war beinahe so, als ob sie sehr erleichtert wären, das Ganze hinter sich gebracht zu haben. Als ob sie sich befreit genug fühlten, ein wenig zu plaudern und all die Scham, die sich in ihnen aufgestaut hatte, herauszulassen.

Für die Kunden war es wahrscheinlich auch eine Erleichterung, dass Sadie’s Dungeon so sauber und ordentlich war. Das alte Klischee, nach dem Sexshops von schmierigen, geilen Lüstlingen bevölkerte schmuddelige Läden mit verdreckten Schaufenstern und kaputter Leuchtreklame waren, die man vorzugsweise in Seitenstraßen antraf und in denen ausschließlich abgegriffene Pornoheftchen und Secondhandvideos angeboten wurden, die mit verdächtig klebrigen Fingerabdrücken übersät waren, gehörte der Vergangenheit an. Sadie’s Dungeon war ein sauberes, modernes Geschäft. Na gut, durch das Schaufenster konnte man nicht ins Innere blicken, und ein grelles Leuchtschild kündete davon, um was es sich bei dem Laden handelte, aber der Geschäftsraum hinter dem Vorhang aus herabbaumelnden Bändern im Eingang war geräumig, sauber und lichtdurchflutet. Es gab weder einen geschmacklosen Teppich, bei dessen bloßem Anblick einem schon übel wurde, noch wummernde Rockmusik oder eine psychedelische Lightshow. Noch wichtiger aber war vielleicht, dass Barrie und Les aus der Gegend stammten. Sie waren beide in Bradburn geboren und aufgewachsen. Bradburn war keine dieser für Lancashire typischen Kleinstädte, sondern eher eine weitläufige Ansiedlung auf einem ausgedehnten postindustriellen Brachland, doch selbst bei den Kunden, denen die beiden unbekannt waren, sorgte zumindest ihr Akzent, der verriet, dass sie aus der Gegend stammten, zusammen mit ihrem zuvorkommenden Auftreten für eine Atmosphäre der Vertrautheit und dafür, dass der Laden freundlich und ansprechend wirkte.

»Verdammte Scheiße!«, fluchte Les auf seinem Hocker hinter der Ladenkasse.

»Was ist los?«, fragte Barrie, der nur mit halbem Ohr hinhörte.

»Wieder keine Einnahmen, verdammt!«

»Ne?« Barrie war abgelenkt, da er gerade damit beschäftigt war, eine der Auslagen besser zu präsentieren.

Als sie Sadie’s Dungeon eröffnet hatten, waren die Umsätze zunächst hervorragend gewesen, doch seitdem war das Geschäft beständig schlechter geworden – vor allem dank des Internets und trotz der gewissenhaften Kundenpflege der beiden Inhaber.

»Mach dir nicht ins Hemd«, entgegnete Barrie, bewusst entspannt. »So schlecht stehen wir auch nicht da. Wir werden schon klarkommen.«

Obwohl Les diesen leichtfertigen Optimismus nicht teilte, neigte er dazu, auf Barrie zu hören, der zweifellos das Hirn hinter Sadie’s Dungeon und in Les’ Augen ein sehr helles Köpfchen war.

»Sonja, wir schließen gleich!«, rief Les in den Flur, der sich hinter dem Tresen befand.

»Okay, ich ziehe mich an«, erwiderte eine weibliche Stimme.

In dem Moment klingelte die Türglocke, und die Eingangstür ging auf. Die Brise brachte die Bänder zum Flattern, im gleichen Moment kam eine massige Gestalt rückwärts in den Laden gestapft, die etwas Schweres hinter sich herzuschleppen schien.

Les, der gerade DVDs wieder richtig in das entsprechende Regal einsortierte, drehte sich um. »Entschuldigung, der Herr – wir schließen gerade!«

Der Kunde blieb stehen, drehte sich jedoch nicht um. Stattdessen bückte er sich ein wenig vor, als sei das, was er hinter sich herwuchtete, nicht nur schwer, sondern zugleich sperrig. Sie sahen, dass er unter seinem silberfarbenen Mantel stahlbeschlagene Stiefel und eine weite, unförmige Hose aus dickem, dunklem Material trug.

»Wir haben geschlossen«, stellte Barrie klar und ging den rechten Gang entlang in Richtung Eingang.

Im Gegensatz zu Les, der klein, untersetzt und kahl geschoren war, brachte es Barrie mit seinen eins zweiundneunzig auf eine stattliche Größe, die er auch einzusetzen wusste. Mit seinem dichten dunklen Haarschopf sah er außerdem recht gut aus.

»Entschuldigen Sie! He, Mann!«

Die Gestalt kam ganz in den Laden hinein, die Tür hinter ihr war von irgendetwas blockiert und nach wie vor offen. Als sie sich aufrichtete, sahen sie, dass sie einen Motorradhelm trug.

»Scheiße!« Les riss eine Schublade auf und nahm einen selbst gebauten Totschläger heraus, ein Stück mit Stoff umwickeltes Eisenkabel.

Barrie hätte ebenfalls gewaltbereit reagieren können, doch in dem Augenblick drehte die Gestalt sich um, und ihr Anblick ließ ihn erstarren. Er wusste nicht, was ihn mehr bannte, das lange, golden getönte Schweißerschutzvisier, das vorne an dem Helm des Eindringlings angenietet worden war und dessen Gesicht völlig verbarg, oder die auf ihn gerichtete kohlrabenschwarze Stahldüse, an der ein Gummischlauch befestigt war, der sich um den Körper des Kerls schlängelte zu einem hinter ihm befindlichen, auf eine Sackkarre geschnallten Benzinkanister.

Les schrie heiser und riss die Klappe in dem Tresen hoch, doch es war zu spät.

Ein behandschuhter Finger drückte einen Hebel herunter, woraufhin eine Flamme aus der Düse schoss und Barrie von Kopf bis Fuß erfasste. Während er schreiend und brennend rückwärtstaumelte, erlosch die Flamme an der Düse abrupt und hinterließ eine ölschwarze wabernde Rauchwolke. Der Eindringling rückte weiter vor und schoss einen weiteren Feuerstrahl ab. Die Stichflamme dehnte sich im ganzen Laden aus wie ein Ballon, breitete sich nach links und rechts aus, als der Eindringling sich zu den Seiten umwandte, und erfasste alles in ihrem Weg. Les schleuderte seinen Totschläger, der den Eindringling jedoch verfehlte, und stürmte durch den hinteren Bereich des Ladens zum Notausgang. Doch der Angreifer folgte ihm mit auf ihn gerichteter Düse und schoss einen erneuten Feuerschwall ab, der Les komplett erfasste, während er hilflos an der Druckstange des Notausgangs herumhantierte.

Die abgehängte Decke krachte herunter, die sich verbiegenden Platten enthüllten zischende Rohre und Funken sprühende Stromleitungen. Doch der Eindringling hielt die Stellung, eine ausdruckslose, felsartige Horrorerscheinung, massig, mit goldenem Gesicht, in seinem Schutzanzug vor den herabregnenden Trümmern und der Hitze und den Flammen geschützt. Er drehte sich langsam und systematisch zu allen Seiten um, stieß weitere Stichflammen brennenden Benzins aus und badete alles, was er sah, in Feuer, bis das Inferno von einer Wand bis zur anderen tobte und der Laden sich in eine lodernde Hölle verwandelt hatte. Die tosenden Flammen übertönten sogar die Schreie der beiden Ladeninhaber, die im Zentrum des Infernos umhertaumelten und zusammensackten wie zwei schmelzende menschliche Kerzen.