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Ayahuasca

Die Jaguarmedizin des Amazonas

mit Beiträgen von

Arno Adelaars
Christian Rätsch
Alan Shoemaker
Nana Nauwald
Markus Berger
Kajuyali Tsamani

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Der Artikel von Christian Rätsch ist eine überarbeitete und ergänzte Fassung von „Ayahuasca, oder: die Reise zum Ursprung der Kultur - Psychoaktive Therapie bei den Shipibo-Indianern“, in: Ch. Gottschalk-Batschkus & Ch. Rätsch (Hg.), Ethnotherapien, Ethnotherapies, Berlin: VWB (Curare Sonderband 14/98), S. 136-144, 1998.

Der Artikel von Alan Shoemaker wurde von Claudia Müller-Ebeling aus dem Amerikanischen übersetzt (erschienen unter dem Titel „Ayahuasca Adventures, Magic to Miracles“ in Magical Blend 60, 1998).

Der Artikel von Arno Adelaars wurde von Rowan Kirschker und Markus Berger aus dem Englischen übersetzt (Originalbeitrag).

Der Artikel von Kajuyali Tsamani wurde von Libinei aus dem Spanischen übersetzt.

© 2016 der einzelnen Beiträge bei den Autoren

© 2016 Nachtschatten Verlag

Umschlag: Sven Sannwald

Layout: Janine Warmbier

Druck: Druckerei und Verlag Steinmeier, Deiningen

Printed in Germany

eISBN 978-3-03788-541-3

Alle Rechte der Verbreitung durch Medien aller Art und auf fotomechanischem Weg sind nur mit Genehmigung des Verlages erlaubt. Zuwiderhandlungen sind strafbar.

Inhalt

Christian Rätsch

Ayahuasca: Die Reise zum Ursprung der Kultur

Alan Shoemaker

Begegnung mit einem Siona-Ayahuasquero in Kolumbien

Arno Adelaars

Ayahuasca-Yagé

Psychedelische Rituale in den Niederlanden

Nana Nauwald

Das Geschenk der Anaconda

Die geometrische Musterkunst des Volkes der Shipibo

Markus Berger

Ayahuasca-Ethnobotanik

Kajuyali Tsamani

Huairasacha

Über die Autoren

Christian Rätsch

Ayahuasca: Die Reise zum Ursprung der Kultur

„Keine äußerliche Kulthandlung bietet ein so eindringlich als Realität geschautes Drama wie die sich gleichermaßen vor dem inneren und äußeren Auge vollziehenden Mythen im Ayahuasca-Rausch.“

WALTER ANDRITZKY (1989: 194)

Der Zaubertrank der Schamanen

Ayahuasca, der psychoaktive, visionäre und brechenerregende (emetische) „Zaubertrank“ vom Amazonas, steht im Zentrum des Schamanismus vieler dort ansässiger Indianerstämme. Ayahuasca ist unter folgenden Namen bekannt:

Ambihuasca, Ambiwáska, Ayahuasca (Quetschua „Ranke der Seelen“), Ayawáska, Biaxíi, Cají, Caapi, Calawaya, Camaramti (Shipibo), Chahua (Shipibo), Cipó, Daime, Dapa, Dapá, Djungle Tea, Djunglehuasca, Doctor, Dschungel-Ambrosia, El remedio (Spanisch „das Heilmittel“), Hoasca, Honi, lyaona (Zapara), Kaapi, Kahi, Kahpi, La droga (Spanisch „die Droge“), La purga (Spanisch „das Reinigende“), La soga, Masha (Shipibo), Metí, Mihi, Mii (Huaorani), Moca jene (Shipibo „bittere Brühe“), Muka dau (Cashinahua „bittere Medizin“), Natem (Achuar), Natema, Natemá, Natemä, Nepe, Nepi, Nichi cubin (Shipibo „gekochte Liane“), Nishi sheati (Shipibo „Lianengetränk“), Nixi Honi, Nixi paé, Notema, Ohoasca, Ondi (Yaminahua), Pilde, Pildé, Pinde, Pindé, Rao (Shipibo „Medizinalpflanze“), Remedio, Sachahuasca, Santo Daime, The brew, Uni (Conibo), Vegetal (Brasilianisch „Gemüse“), Yagé, Yajé, Yaxé.

Bei den Siona und Secoya, die im ecuadorianischen Amazonas-Tiefland leben, heißt der Schamane yagé unkuki, „der Ayahuasca-Trinker“. Der Schamane der benachbarten Cashinahua wird moca-ya, „einer, der Ayahuasca hat“, genannt. Der Schamane der im peruanischen Amazonas-Tiefland heimischen Shipibo-Indianer wird als nishi sheamis, „Ayahuasca-Trinker“ bezeichnet. Daraus hat sich im lokalen Spanisch das Wort ayahuasquero – heute meist als „Ayahuasca-Schamane“ übersetzt – entwickelt. Ein Mensch wird zum Schamanen, wenn er von den Pflanzengeistern dazu berufen wird – entweder im Traum oder in einer Ayahuasca-Vision.1

Obwohl in der Gegend um die peruanische Dschungelstadt Pucallpa (Laguna Yarinacocha, Río Ucayali) fast jeder Mensch, ganz gleich ob Indianer oder Mestize, Ayahuasca-Erfahrungen gemacht hat, werden doch nur wenige Ayahuasca-Trinker zu Schamanen. Der Schamane bezieht seine schamanische Heilkraft (ani shinan) von seinem Wissen (onanti), das er durch seinen häufigen, mitunter täglichen Ayahuasca-Genuss erhält. Manche Ayahuasqueros verfügen über eine geradezu unglaubliche Erfahrung.

So hat zum Beispiel Don Agustín Rivas über 3000 mal Ayahuasca genommen!

In Pucallpa gibt es eine Reihe von sehr angesehenen Mestizen-Ayahuasqueros, die Ayahuasca-Therapien auf einem synkretistischen Hintergrund ausüben.2 Auch die peruanischen Mestizo-Ayahuasqueros achten die Ayahuasca-Pflanzen als „Lehrmeister“ (plantas maestras) ihrer Heilkunst. Besonders eindrucksvoll sind die Darstellungen solcher „Meisterpflanzen“ in den Malereien des ehemaligen Ayahuasqueros Pablo Amaringo. Seine visionären Bilder zeigen die ganze Ayahuasca-Mythologie, auch die synkretistischen Elemente, die Regenwald-Pharmakopöe und die andere Wirklichkeit des schamanischen Universums (LUNA & AMARINGO 1991).

Zur Ayahuasca-Chemie

Der Ayahuasca-Trank ist eine einzigartige pharmakologische Kombination aus der harmalinhaltigen Ayahuasca-Liane Banisteriopsis caapi und den DMT-haltigen Chacruna-Blättern (Psychotria viridis). Harmalin ist ein MAO-Inhibitor; er hemmt die Ausschüttung des körpereigenen Enzyms Monoaminooxidase (kurz: MAO). Die MAO baut normalerweise den visionär-psychedelischen Wirkstoff DMT (= N,N-Dimethyltryptamin) ab, noch bevor er über die Blut-Hirn-Schranke in das zentrale Nervensystem eindringen kann. Nur durch diese Kombination von Wirkstoffen kann der Trank seine bewusstseinserweiternde Wirkung ausüben und Visionen auslösen.

Die Kultur der Ayahuasca-Menschen

„Dort, in den Welten der Götter,

werde ich euch lehren.

Wo die Welt mit Musterstreifen verziert ist…“

Ayahuasca-Lied der Shipibo

(ILLIUS 1991: 313)

Der Ayahuasca-Schamanismus wird bis heute von den Shipibo-Indianern gepflegt und als kostbares Erbe altindianischer Weisheit gehütet. Die Shipibo-Conibo siedeln im peruanischen Ucayali-Gebiet. Das friedliche Volk umfasst etwa 28000 Menschen. Sie leben vom Fischen, Jagen, Sammeln und vom Feldbau. Sie kultivieren Maniok, Mais, Bananen und verschiedene Knollengewächse. Die Männer ziehen auf die Jagd in die unendlichen Weiten des Amazonas-Regenwaldes oder fischen von ihren wendigen Einbäumen. Kunsthandwerk – wie töpfern, weben und Stoffe mit Mustern versehen – ist reine Frauensache.

Alle materiellen Kulturgüter werden von den Frauen mit den sogenannten quené verziert. Die quené sind charakteristische Muster, die auf vereinfachte Weise die unter Ayahuasca-Einfluss sichtbaren geometrischen und graphischen Strukturen, Energielinien und psychedelischen Muster andeuten. Die quené sind aber mehr als nur Zierde oder Ornamentierung; sie stellen ein Kommunikationssystem, eine Art Schrift als Medium mit der anderen Wirklichkeit dar. So lernen die Schamanen von den Tieren des Waldes, z.B. vom Kolibri, die Bedeutungen der Muster. Der Kolibri (pino ehua) gilt als besonders begabter Maler und Bote aus der „wahren Wirklichkeit“; er zieht die Muster mit seinem Schnabel:

„Die Kolibris haben Muster,

die goldenen Kolibris haben Muster,

an den Spitzen ihrer Schnäbel haben sie Muster.

Damit lasse ich sie den Körper reinigen.

Eine mächtige Blüte!

Eine mächtige Ayahuasca-Blüte.“

(Ayahuasca-Gesang, n. ILLIUS 1991: 61)

Der Kolibri ist ein wichtiger Lehrer der Schamanen und Künstlerinnen:

„Im Kern ist die Shipibo-Conibo-Therapie eine Sache der Anwendung eines visionären Designs in Verbindung mit der Wiederherstellung der Aura. Da sich alle Individuen seit der frühen Kindheit therapeutischer Behandlung unterziehen, kann man davon ausgehen, dass sich jede Person mit den DesignMustern durchtränkt fühlt. Die Muster sind dauerhaft und bleiben sogar nach dem Tod bei der Seele einer Person und helfen ihr, sich als Shipibo-Conibo in der anderen Welt zu identifizieren.“ (GEBHART-SAYER 1985: 144f.)

Die geistige und materielle Kultur der Shipibo ist total von Ayahuasca geprägt bzw. durchtränkt. Ihre Gesänge handeln von den Erfahrungen unter Ayahuasca-Einfluss. Ihre Kunst ist ein ständiger Versuch, das durch Ayahuasca Geschaute graphisch mitzuteilen; es somit in den Alltag, in die Alltags-Wirklichkeit hinüberzubringen, ja, den Alltag mit der visionären Ayahuasca-Welt zu erfüllen und zu bereichern. Und das seit alters her: „Gute quené zu besitzen, bedeutet, Shipibo-Conibo zu sein.“ (ILLIUS 1991: 172)

Die Shipibo sind echte „Ayahuasca-Menschen“. Als ich Alberto, einen älteren Schamanen in dem Ort San Francisco (an der Laguna Yarinacocha) nach der Religion der Shipibo fragte, sah er mich mit erstauntem Lächeln an und antwortete: „Religion? Wir haben keine Religion; wir trinken Ayahuasca.“ Das heißt, die Shipibo verzichten auf Priester, die Gottes Wort verkünden und teuer verkaufen. Stattdessen trinken sie ihren heiligen Trank und erfahren die Göttlichkeit des Waldes, des Wassers, der Sterne, der Pflanzen, Tiere und Menschen. Das Trinken von Ayahuasca stellt die eigentliche Therapie dar. Wenn man Ayahuasca trinkt, wird man direkt ins Herz der Dinge geführt und vom Geist des Waldes empfangen. Von ihm erhält man Wissen, Gesundheit und Liebe.

Zur Heilung einer Krankheit müssen immer sowohl der Körper als auch der Geist behandelt werden. Dafür gilt den Shipibo der geheimnisvolle Ayahuasca-Trank als ideale Medizin. Ayahuasca hat zum einen eine extrem starke psychoaktive Wirkung auf den Geist bzw. das Bewusstsein, welche sich in fantastischen Visionen und magischen Reisen in andere Welten ausdrückt. Andererseits wird der Körper durch den bitteren, adstringierenden (zusammenziehenden) Trank derart in Aufruhr versetzt, dass sich die Organe durch heftiges Erbrechen und plötzliche Durchfälle von allen Krankheitskeimen befreien. Ayahuasca ist kein Hausmittel, es ist das mächtigste Instrument im traditionellen Schamanismus der Amazonas-Indianer. Ayahuasca ist keine „sanfte Medizin“; Ayahuasca ist drastisch und extrem: knallharte Pharmakologie.

Für die Shipibo-Schamanen ist Ayahuasca oder moca, jene „bittere Brühe“, untrennbar mit dem Regenwald verbunden, der Trank gilt als „Essenz des Waldes“. Durch die Kraft der Ayahuasca sieht der Schamane die Geistwesen (yoshinbo) oder „Pflanzenmütter“, die in den Pflanzen und Tieren des Waldes gegenwärtig sind. Mit ihnen kommuniziert er, von ihnen erhält er das Wissen um ihr innerstes Wesen. Er lernt so die Bedeutung jedes einzelnen Tieres, jeder einzelnen Pflanze versteht, warum jede Art ihren notwendigen Platz im „Kreis des Lebendigen“ hat. Von den Baumgeistern kann man auch Gesänge empfangen oder erlernen. Es gehört zu den kulturell geförderten Zielen, dass man als Individuum bei einer Ayahuasca-Zeremonie einen eigenen, ganz persönlichen Gesang empfängt, der einem bei späteren Ritualen Kraft verleiht und die Zentriertheit fördert, sowie die Visionen strukturiert und deutlicher erscheinen lässt.

Besonders wichtig für die Reise in das Land der Visionen ist der shono, der Weltenbaum, bei den Shipibo meist als Lupuna gedeutet, der höchste Dschungelriese (bis 50 m hoch).3acuronihuiacuronacuron(caya)