Geschrieben Ende 1941 bis Mai 1946. Erstveröffentlichung unter dem Titel «Bend Sinister» 1947 im Verlag Henry Holt, New York, und in einer korrigierten Version 1960 im Verlag Weidenfeld and Nicolson, London.
Deutschsprachige Erstveröffentlichung unter dem Titel «Das Bastardzeichen» 1962 im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, übersetzt von Dieter E. Zimmer nach der Ausgabe von Weidenfeld and Nicolson.
Der Text folgt: Vladimir Nabokov, Gesammelte Werke, Band 7, herausgegeben von Dieter E. Zimmer.
Überarbeitete Ausgabe
3. Auflage Juli 2017
Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1996
Copyright © 1962, 1990, 1996, 2017 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
«Bend Sinister» Copyright © 1947 by Vladimir Nabokov
«Introduction» Copyright © 1964 by Vladimir Nabokov
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ISBN Printausgabe 978-3-499-15858-2 (Überarbeitete Ausgabe 2017)
ISBN E-Book 978-3-644-00120-6
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Eine Figur aus drei radialsymmetrisch angeordneten Spiralen o.ä.
Frz. Je regrette: Ich bedauere.
Krug denkt wohl zunächst daran, dass Gurk seinen Anfangsbuchstaben hinkritzeln soll, ein großes kyrillisches G, ein Г. Ein Gammadion besteht aus vier gekreuzten griechischen Gammas, und die haben die gleiche Form wie das kyrillische Г. Es ist ein anderes Wort für Hakenkreuz. Das Gammadion – später auch mit einer zerquetschten, aber noch zuckenden Spinne verglichen – ist Paduks Staatssymbol, wie das Symbol für Krug der Kreis ist.
Frz. C’est simple comme bonjour: Das ist einfach wie Guten Tag.
Frz. Pourvu qu’il ne pose pas la question atroce: Vorausgesetzt, er stellt die grausame Frage nicht.
Um Aufschluss über das Niveau der ersten drei Titel dieser Bestsellerliste zu erhalten, muss man sie hintereinander lesen. Der vierte Titel (Annunciata) spielt an auf den Roman Das Lied von Bernadette von Franz Werfel (1890–1945), der in einer Grotte beginnt (Massabielle in Lourdes) und in den Vereinigten Staaten als Comic-Strip endete.
Engl. follow the perttaunt jauncing ‹neath the rack / with her pale skeins-mate …: ein erfundenes Shakespeare-Zitat, das allerdings kaum übersetzbar wäre, da es aus einer Reihe veralteter und teilweise ungeklärter Wörter besteht. Perttaunt ist völlig unverständlich und kommt bei Shakespeare nur einmal in der Zusammensetzung perttaunt-like vor; rack kann u.a. ‹Futterraufe›, ‹Folterbank› oder ‹vom Wind getriebene Wolken› bedeuten; jauncing heißt ‹sich bäumen› und ist heute ebenso veraltet wie skeins-mate, Spießgeselle. Nabokovs «Einleitung (1963)» zufolge lässt dieses Pseudozitat das Akrobatenbild am Ende von Kapitel 4 erahnen.
Frz. Ce sont mes collègues et le vieux et tout le trimbala: Es sind meine Kollegen und der Alte und das ganze Gesindel.
Anspielung auf Gregor Samsa in Kafkas Erzählung Die Verwandlung, der sich in einen Käfer verwandelt sieht, nach Nabokov in einen Mistkäfer.
Frz. Bonsoir, cher collègue … On m’a tiré du lit au grand désespoir de ma femme. Comment va la vôtre?: Guten Abend, lieber Kollege … Zur tiefen Verzweiflung meiner Frau hat man mich aus dem Bett geholt. Wie geht es der Ihren?
Frz. Les morts, les pauvres morts ont de grandes douleurs. Et quand Octobre souffle …: Die Toten, die armen Toten haben große Schmerzen. Und wenn der Oktober weht … Zitat aus einem Gedicht von Charles Baudelaire (1821–1867), Tableaux parisiens, XV.
Frz. terrains vagues: Niemandsland.
Frz. culotte bouffante: kurze Pluderhose.
Frz. On va lui torcher le derrière, à ce gaillard-là: Man wird ihm den Hintern versohlen, diesem Kerl.
(Falsches) Engl., Ihs iht sih werriti (Is it the verity): Ist es die Wahrheit.
Engl. Gardyloo!, von frz. gardez l’eau!: Vorsicht Wasser! Warnruf in Städten des Mittelalters, wenn Spülicht aus den Fenstern der oberen Stockwerke auf die Straße gekippt wurde.
… wie damals, als ich aus der Zwillingsnacht des Keeweenawatin und der grausigen Laurentianischen Revolution durch die von Ghulen durchgeisterte Provinz Perm …: Diese Passage hat Nabokov entgegen seinen Gepflogenheiten erläutern lassen, und zwar in einem Brief seiner Frau Véra an seinen niederländischen Übersetzer Charles B. Timmer: «Dies ist eine schwierige Stelle. Sie entwickelt sich simultan auf mehreren Ebenen. Das Wort ‹Keeweenawatin› ist eine teleskopische Zusammenziehung der beiden Begriffe ‹Keewatin› (Name eines Schiefers des Archäozoikums, des ältesten [amerikanischen] Erdzeitalters) und ‹Keewanawan› (Unterabteilung des Proterozoikums). Das Laurentianische ist Teil des Archäozoikums, das Perm des Paläozoikums. Durch die früheste Neuzeit usw.: weitere teils existente, teils erfundene Erdzeitalter. Mit anderen Worten: aus der fernsten Vergangenheit durch alle Perioden der Erdgeschichte hindurch zur Gegenwart, während er mit dem Fahrstuhl die zahlreichen Stockwerke eines amerikanischen Wolkenkratzers hinauffährt. Einige Ergänzungen am Rande: Die ‹von Ghulen durchgeisterte Provinz Perm› verweist zum einen auf die Schrecken sowjetischer Arbeitslager [Perm ist eine Gebietshauptstadt westlich des mittleren Ural], zum anderen auf die esoterische Welt von Edgar Poes [Ballade] Ulalume (die hier durch den ähnlichen Rhythmus ins Spiel kommt, ‹ghoul-haunted region of Weir› lautet die Stelle, glaube ich [tatsächlich lautet sie «ghoul-haunted woodland of Weir»] … diese ferne Vergangenheit der Welt lebt unter uns mit ihrer Brutalität usw. nur ein paar Stockwerke entfernt fort … Das ‹Ich› (mein Zimmer, meine Hoteletage) nicht nur in der gegenwärtigen Welt, sondern auch in einer unendlich größeren tragisch einsam, wo die ganze Vergangenheit noch immer Gegenwart ist. ‹Zarte Hände› usw.: Die Fahrstühle werden meist von Schwarzen bedient (‹meine eigenen auf einem Negativ›: die schwarzen Hände des Fahrstuhlführers). ‹Sinkende Mägen, steigende Herzen›: häufige Empfindungen in den schnellen Fahrstühlen sehr hoher Gebäude. Durch all die Geschosse hindurch erreicht der schwarze Fahrstuhlführer nie das Paradies oder auch nur einen Dachgarten. Und die Welt, so die Implikation, ist zwar vom Archäozoikum zur Gegenwart gelangt und von Höhlenwohnungen zu Wolkenkratzern mit Dachgärten, vom wahren Paradies auf Erden jedoch noch ebenso weit entfernt. Nebenbei eine kleine Reflexion über die schreckliche Stellung der Schwarzen. ‹Aus den Tiefen des hirschbeköpften Saales› usw.: ganz sacht sagt dies in nuce, was das ganze Buch sagt: Professor Azureus mit seiner platten materialistischen Welt ist eine Art Troglodyt, der aus seiner Höhle kommt … Die ‹lange, runzlige Oberlippe› stützt den leisen Hinweis auf seine Affenhaftigkeit» (20.12.1949). Charles B. Timmers niederländische Übersetzung erschien erstmals 1961 unter dem Titel Bastaards im Verlag van Oorschot, Amsterdam.
… der Kreis in Krug: krug ist das russische Wort für ‹Kreis›. Krugs Vorname ist Adam, das hebr. Wort für ‹Mann›; ‹Ember›, der Name seines Freundes, ist das ungarische Wort für ‹Mann›. «Adam … steht zu der anthropomorphen Gottheit des Buches [also zu seinem Autor Nabokov] in der gleichen Beziehung wie der biblische Adam zu seinem Schöpfer» (D. Barton Johnson, Worlds in Regression, Seite 197). Auf Deutsch ist ‹Krug› ein Gefäß mit einem Griff, und auch Adam Krug hat einen «Griff», an dem Paduks Regime ihn schließlich packt: die Liebe zu seinem kleinen Sohn.
Frz. à ses heures: gelegentlich, wörtl. zu seinen Stunden.
Frz. Ils ont du toupet pourtant: Sie sind aber ziemlich couragiert.
Frz. pauvres gosses: arme Gören.
Paduk, der Name des Diktators, klingt an engl. paddock (Kröte, Unke) an. Hamlet nennt seinen Onkel König Claudius, den Mörder seines Vaters, einmal paddock. (Hamlet zu seiner Mutter, der Königin: «Wer wenn nicht eine Königin, schön, nüchtern, klug, / Verhehlte einer Kröte, einer Fledermaus, einem kastrierten Kater / So teure Sorgen? Wer täte das?» III. 4, 189–191.) Paduks Spitzname ist «Kröte», engl. toad. D. Barton Johnson (Worlds in Regression; Ardis, Ann Arbor, MI, 1985, Seite 199) hört aus dem Wort toad auch das deutsche ‹Tod› heraus. Der ‹Krötenkuss› auf Seite 129 wäre demnach also auch ein ‹Todeskuss›. Russ. upadok bedeutet ‹Niedergang›.
Frz. en fait de souvenirs d’enfance: an Kindheitserinnerungen.
Lat. Buxum biblioformis, buchförmiger Buchsbaum, scherzhaft buchförmige Schachtel (box), ausgedrückt wie ein botanischer Artname.
Lat. sub rosa: im Vertrauen; wörtlich: unter der Rose (die im alten Rom bei Zusammenkünften als Emblem der Vertraulichkeit benutzt wurde).
Anspielung auf den grch. Mathematiker Archimedes, der bei der Eroberung seiner Heimatstadt Syrakus durch die Römer (212 v. Chr.) im Hof seines Hauses von einem Soldaten beim Zeichnen geometrischer Figuren angetroffen und erschlagen wurde. Sein letztes Wort soll gewesen sein: «Noli turbare circulos meos», «Störe meine Kreise nicht». Da russ. krug ‹Kreis› heißt, bedeutet der Satz auch: Keiner kann sich an unseren Krugs vergreifen. Hedron und Krug irren, wie Archimedes sich irrte.
Frz. qui m’effrayent, Blaise: die mich schaudern machen, Blaise. Blaise ist der Philosoph Blaise Pascal (1623–1662), der in seinen Pensées (III, 206) schrieb: «Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume macht mich schaudern.»
Frz. collier de chien: Hundehalsband.
Frz. en laid: in hässlich.
Engl. cline, in der Entomologie die morphologischen Abstufungen zwischen einer Art und einer Variante dieser Art.
Ein Skotom ist eine blinde Stelle im Gesichtsfeld. In Padukgrad heißt ein Platz nach Fradrik Skotoma.
Frz. le sanglot dont j’étais encore ivre: Zitat aus dem Hirtengedicht L’Après-midi d’un faune von Stéphane Mallarmé (1842–1898). An der Stelle beklagt sich der Faun, dass sich die Nymphe so umstandslos aus seiner Umarmung freigemacht hat – «ohne Mitleid mit dem Schluchzer, von dem ich noch trunken war».
Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen King Camp Gillette, dem Erfinder der Sicherheitsrasierklinge, und Sigmund Freud.
Wie Am Don nichts Neues eine Anspielung auf die Romane Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque (1898–1970) und Der stille Don von Michail Alexandrowitsch Scholochow (1905–1984) ist, so ist der andere Titel eine Anspielung auf Margaret Mitchell. Der Titel ihres Romans ist einem Gedicht von Ernest Dowson (1867–1900) entnommen, nämlich Non Sum Qualis Eram Bonae sub Regno Cynarae. Darin heißt es: «I have forgot much, Cynara! Gone with the wind, / Flung roses, roses, riotously with the throng, / Dancing, to put thy pale lost lilies out of mind.» (Ich habe viel vergessen, Cynara! Vom Winde verweht / weggeworfene Rosen, Rosen, die wild mit der Menge tanzten, / um deine bleichen verlorenen Lilien vergessen zu machen.) Im englischen Original heißt Maximows Schmöker Flung Roses.
Frz. Je resterai coi: Ich werde mich still verhalten.
Frz. Bon Voyage!: Gute Reise.
Diese Stiche gehören zu den Beweisstücken für Bacons angebliche Autorschaft, die Baconianer (allen voran Sir Edwin Durning-Lawrence in seinem Buch Bacon is Shake-speare; Gay & Hancock, London, 1910) ausfindig gemacht haben. Zumindest die ersten beiden stammen vom Frontispiz der 1624 erschienenen Cryptomenytices von Gustavus Selenus (= August II., Herzog von Braunschweig-Lüneburg, 1579–1666), einem «vollständigen System der Kryptographie», und sollen zusammengenommen die Affäre Shakespeare–Bacon preisgeben. Nichts deutet in Wahrheit darauf hin, dass sie irgendetwas mit Shakespeare zu tun haben. Der gebückte Greis mit dem blättergeschmückten Hut und dem Speer in der linken Hand (laut Sir Edwin der Landmann Shakespeare in «Schauspielerstiefeln»), der auf dem einen Stich irgendein Papier (und keineswegs «eine Tasche mit Manuskripten und eine Banknote») von einem vornehmen Herrn (angeblich Bacon) entgegennimmt, ist schwerlich mit dem sehr viel jüngeren vornehmen Herrn auf dem zweiten Bild identisch, der irgendeine Kopfbedeckung (laut Sir Edwin einen heraldischen Turnierhut) über einen schreibenden Mann hält, welcher ebenfalls Bacon vorstellen soll. Der dritte Stich über Embers Bett ist wahrscheinlich nur die obere Hälfte des ersten: Dort sieht man einen Mann mit Hut und Speer auf einer Landstraße unterwegs zu einem befestigten kleinen Ort. Das größere runde Gebäude darin wurde von Baconianern als das Globe Theatre ausgegeben. Einen Wegweiser «Nach High Wycombe» gibt es auf dem Stich nicht; auch er müsste – wie die Unterschrift «Ink, a Drug» (Tinte, eine Droge) – eine spätere Zutat sein. Der Witz ist vermutlich der, dass dieser kleine Ort, zu dem der Mann mit dem Speer da unterwegs ist, nie und nimmer London sein kann, höchstens ein Ort an der Straße von Stratford nach London, wie es High Wycombe ist.
In diesem Kapitel 7 ist überraschenderweise von Shakespeare und insbesondere von Hamlet die Rede. Für Nabokov war Shakespeares Hamlet «das wahrscheinlich größte Wunder in der gesamten Literatur». Als höchste Manifestation individuellen Bewusstseins bildet er das genaue Gegenstück zu den Werten, die in Padukgrad gelten: Er ist genau das, was der Ekwilismus verneint und auszumerzen vorhat. Krugs und Embers von entlegenen Shakespeare-Scholien strotzendes Gespräch verteidigt Shakespeare gegen mehrere Arten von Missbrauch: gegen missgeleitete Gelehrsamkeit, bei der Scharfsinn in Irrsinn umschlägt (der Shakespeare/Bacon-Wahn); gegen ideologisch motivierte Fehlinterpretationen (die beiden Bücher von Professor Hamm, die Hamlet krampfhaft zu einem politischen Lehrstück uminterpretieren); gegen eine kommerzielle Verschleuderung (wie sie der amerikanische action-Film vorhat); und gegen unangemessene Übersetzungen.
Monsieur Homais ist der pseudogebildete Kleinstadtapotheker in dem Roman Madame Bovary von Gustave Flaubert (1821–1880), frz. le journal d’hier die Zeitung von gestern. Im ersten Teil des Romans, Kapitel 13, unterhalten sich die Herren Bovary und Homais, wie man die frisch verliebte Emma gesund machen könne. Homais schlägt allerlei Mittel vor und schließlich eine seelische Aufheiterung. «‹Inwiefern? Wie?›, sagte Bovary. ‹Tja, das ist die Frage! Das ist wirklich die Frage: That is the question!, wie ich in der Zeitung von gestern gelesen habe.»
Seit die Nordamerikanerin Delia Bacon 1856 ihren berühmten Vorfahr, den Philosophen Francis Bacon, für den eigentlichen Verfasser der Shakespeare’schen Dramen erklärte (sie kam wenig später ins Irrenhaus), wurde Shakespeares Autorschaft immer wieder in Zweifel gezogen. Zustatten kam diesem «heterodoxen» Zweig der Shakespeare-Forschung, dass über die Person des Dichters sehr wenig bekannt ist. Bis heute ergehen sich die Dissidenten in haarspalterischen und aberwitzigen Ratereien und Polemiken, die nicht nur Bacon, sondern nach und nach auch Dutzende seiner Zeitgenossen als die wahren Urheber des Shakespeare’schen Werkes ins Spiel brachten. Auf einige ihrer abstrusesten Methoden wird hier angespielt. Man stützte sich auf «Parallelstellen» und vage Ideenparallelen, zog Spiritisten zu Rate und «dechiffrierte» in abenteuerlichen Verfahren das Werk Shakespeares wie ein riesiges Kryptogramm, um Bacons Signum (irgendwelche dem Wort ‹Bacon› lautlich oder inhaltlich nahe kommenden Gebilde) und versteckte Geheimbotschaften darin aufzuspüren. Als eine weitere Quelle spitzfindiger Schlüsse erwiesen sich die wenigen vorhandenen Shakespeare-Unterschriften und Porträts und überhaupt der Buchschmuck der Elisabeth-Zeit. Die meisten dieser Beweise liefen darauf hinaus, dass der rohe, ungebildete Schauspieler und Kaufmann Shakespeare aus Stratford dem aristokratischen Philosophen und Politiker Bacon irgendwie (zum Beispiel durch Erpressung) den Ruhm gestohlen habe oder dass Bacon, der als Politiker nicht mit Bühnenstücken in Erscheinung zu treten wünschte, sich seiner als Strohmann bediente.
Eine Kopfleiste des ersten Folio-Bandes (1623) zeigt «in der Mitte eine fettglänzende, dicke Figur (bacon-faced, bacony) mit dem Steckkamm (back-comb)» (Alfred von Weber-Ebenhof: Bacon – Shakespeare – Cervantes; Anzengruber, Leipzig, 1917, Seite 48). Baconianer erblickten in diesem Buchschmuck also nicht nur einen Fettwanst, den sie als ‹Bacon› (= Schinkenspeck) identifizierten, sondern auch einige Figuren, deren Kopfschmuck man zur Not als back-comb (Haarschopf, Einsteckkamm) bezeichnen könnte – für sie ein Beweis mehr, dass ihr «Franz Speck» und nicht der «Speerschüttler» die Dramen geschrieben habe. Die Schapska könnte ein Pendant zu solchem beziehungsreichen Kopfschmuck darstellen: Sie klingt an russ. schapka (Mütze) an und, englisch ausgesprochen, an ‹Shakespeare›, so wie back-comb an ‹Bacon›.
Ham-let oder Homelette au Lard: engl. hamlet ist eigentlich ein Weiler, aber, wenn man es lächerlich wörtlich nimmt, auch ein kleiner Schinken; frz. omelette au lard wäre ein Speckomelett; das H am Anfang macht daraus ein Männchen im Speck. Von fern klingt darin aber auch homme de lettres an, sodass das Speckmännchen auch ein «Speckliterat» wäre.
Baconianer, die auch den Nachweis zu erbringen suchten, der tatsächliche Shakespeare sei nicht einmal des Schreibens kundig gewesen, haben die Echtheit der sechs vorhandenen Shakespeare-Unterschriften angezweifelt und behauptet, dass sie in Wirklichkeit von Gerichtsschreibern stammten. Beweis: die eine Unterschrift (unter einem Zeugenprotokoll aus dem Jahre 1612) sei routinemäßig abgekürzt, und der Analphabet Shakespeare habe sie mit einem Klecks unter dem S bestätigt.
Das Datum, an dem (einer Eintragung im Kirchenbuch von Worcester zufolge) der achtzehnjährige Shakespeare die Heiratslizenz erhielt. Die Ehe mit Anne Hathaway wurde einen Tag später geschlossen.
Auch den Shakespeare darstellenden Kupferstich, den Martin Droeshout als Titelblatt zur Folio-Ausgabe von 1623 beigesteuert hat, deuteten sich die Baconianer in ihrem Sinn. In Sir Edwin Durning-Lawrence’ Buch Bacon is Shake-speare (Gay & Hancock, London, 1910) findet sich (auf Seite 23) der Satz, Droeshouts Porträt sei «schlau zusammengesetzt aus zwei linken Armen und einer Maske». Hinter der Maske soll sich natürlich Bacon verbergen, und gestützt auf die Gutachten von Londoner Schneiderzünften wurde der verzeichnete rechte Ärmelansatz als das linke Rückenteil des Ärmelansatzes desselben Rocks identifiziert, sodass dieser Kupferstich Shakespeare zwei linke Ärmel gäbe. Sir Edwin zufolge hat Bacon Shakespeares Stücke «mit der linken Hand» geschrieben. Der Baconianer Alfred von Weber-Ebenhof ging noch weiter und las aus dem ganzen Bild in Rebusmanier das Wort ‹linkshändig› heraus, welches englisch auch ‹unzuverlässig› bedeuten kann und von ihm als ‹pseudonym› verstanden wurde.
Links und unten: Zwei der Stiche aus dem Frontispiz der Cryptomenytices von Gustavus Selenus (Lüneburg, 1624). Oben: Martin Droeshouts Shakespeare-Porträt auf dem Titelblatt der First-Folio-Ausgabe von 1623.
Shakespeares Geburtsort Stratford-upon-Avon liegt in der Grafschaft Warwickshire.
Eine Anspielung auf Shakespeare-Forscher, die lokale Pflanzen mit einzelnen Textstellen in Shakespeares Werk in Beziehung gebracht haben. Der Johannisapfel (apple-john) ist eine Apfelsorte, die sich zwei Jahre halten und morsch am besten schmecken soll.
Frz. ruelle: Gasse.
In den grotesken Verdrehungen der Hamlet-Handlung, die er einem imaginären Professor Hamm («Professor Schinken») zuschreibt, entwickelt Nabokov einige Ideen weiter, die er bei einem wirklichen Hamlet-Deuter vorfand: Franz Horn (1781–1837), einem deutschen Literaten der romantischen Schule, der einen Kommentar zu Shakespeares Dramen und auch zu Hamlet veröffentlichte (Shakspeare’s Schauspiele, Teil 2; Brockhaus, Leipzig 1825). Im Hamlet-Band der von Horace Howard Furness herausgegebenen New variorum edition of Shakespeare (1877) sind einige Passagen daraus wiedergegeben (Zweiter Teil, Seite 281–284). In der Tat hielt Horn die ganze Hofgesellschaft von Helsingör für kränklich oder verderbt oder beides, ausgenommen nur Hamlets Vater, den ermordeten König Hamlet, und vielleicht noch den Totengräber; und in der Tat pries er demgegenüber Fortinbras genau in Hamms Worten («ein blühender, einfach schöner, wahrhaft gesunder Heldenjüngling»). Zwei Sätze in Hamms Elaborat sind fast identisch mit zwei (bei Furness auf Englisch abgedruckten) Sätzen bei Horn; von Nabokov stammen nur die drei Erweiterungen, die sowohl ihre historische Konsequenz wie ihre Absurdität deutlich machen. Horn (Teil 2, Seite 69): «Wir werden nämlich bei genauer Ansicht des unermesslichen Werkes gewahr, dass fast alle Personen desselben an zu großer Wortfülle leiden, und dass ebendeshalb bei ihnen das Wort seine schöne heilende Kraft verliert. Soll der Staat gerettet werden und ein neues Leben beginnen, so muss es auch in dieser Hinsicht anders werden, und das schlichte einfache Wort, von tüchtiger That begleitet, wieder seine Kraft gewinnen.» Hamm (Seite 155): «Wie in allen dekadenten Demokratien leiden im Dänemark des Stückes alle an Wortfülle. Soll der Staat gerettet werden, wünscht die Nation, sich einer neuen, robusten Regierung würdig zu erweisen, so muss alles anders werden; der gesunde Menschenverstand des Volkes muss Mondschein und Dichtung, diesen ganzen Kaviar, von sich speien, und das einfache Wort, verbum sine ornatu, das Mensch und Tier gleichermaßen verständlich ist und von tüchtiger Tat begleitet wird, muss wieder seine Kraft gewinnen.» Auch Horn spricht von Fortinbras’ «wohlgegründetem Recht auf das Reich» (nämlich Dänemark). Nabokov muss aber auch das deutsche Original von Horns Aufsatz konsultiert haben, denn er bezieht sich mindestens einmal auch auf eine Stelle, die bei Furness nicht zitiert ist: «Francisco dankt für die Ablösung, es sey bitter kalt und ihm schlimm zu Muthe (I am sick at heart); ein Wort, das sich unter andern Umständen für einen Soldaten nicht wohl eignet» (Seite 5). Bei Nabokovs Professor Hamm heißt es: «Man stelle sich nur die Moral einer Armee vor, in der ein Soldat … sagt, ihm sei schlimm zumut» (Seite 156).
Thomas Kyd, Verfasser des «Ur-Hamlet».
Fortinbras: ein französischer Name, aus lat. ferri brachium, Eisenarm, entstanden.
Die Dauer der Hamlet-Handlung ist mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen nachgerechnet worden: Sie schwanken zwischen drei Monaten und zehn Tagen. Auf keinen Fall jedoch kann zwischen der 4. Szene des vierten Aktes, in der der junge Fortinbras für seine Truppen die Durchmarscherlaubnis nach Polen erbittet, und dem Ende des Dramas, wenn «er siegreich eben / Zurück aus Polen kehrt», mehr als eine Woche liegen.
«Nein, die Gerichte waren gar nicht so zufällig, der Mord nicht so blind»: Bezieht sich auf Horatios Schlussrede (V. 2): «… so sollt ihr hören / Von Taten, fleischlich, blutig, unnatürlich, / Zufälligen Gerichten, blindem Mord …»
Frz. bref, la personne en question: kurz, die fragliche Person.
Der Film will natürlich alle einigermaßen sensationellen Vorfälle der Hamlet-Handlung ausschlachten, auch wenn sie noch so beiläufig erwähnt werden. So berichtet Horatio (I. 1) ganz allgemein von bösen Vorbedeutungen und Geistererscheinungen und führt unter anderem an, was sich vor der Ermordung Caesars zugetragen haben soll: «Kurz vor dem Fall des großen Julius, standen / Die Gräber leer, verhüllte Tote schrien / Und wimmerten die röm’schen Gassen durch» (englisch: «did squeak and gibber in the Roman streets», also «kreischten und schnatterten» – demnach müsste es sich um die Geister von Affen gehandelt haben).
Im engl. Original the mobled moon, der verhüllte Mond. Es entspricht der vielumrätselten Wendung the mobled queen im Schauspielerbericht (II. 2, 480). Hamlet stolpert zunächst über das – demnach auch für ihn ungewöhnliche – Wort, findet es dann aber sehr treffend. Schlegel übersetzt mobled mit ‹schlotterich› und rettet damit nur die Ungewöhnlichkeit des Wortes ins Deutsche hinüber. Eigentlich bedeutet es ‹verhüllt›.
Der Schauplatz von Hamlets erstem Monolog ist nach seinen eigenen Worten «ein wüster Garten, der in Samen aufschießt» (I. 2, 135f.).
Hamlets erster Monolog beginnt: «O schmölze doch dies allzu feste Fleisch, / Zerging und löst’ in einen Tau sich auf! Oder hätte nicht der Ew’ge sein Gebot / Gerichtet gegen Selbstmord!» (Englisch: «Or that the Everlasting had not fixed / His canon ’gainst self-slaughter!») Die Quarto- und Folio-Ausgaben schreiben canon mit zwei n, und einige Gelehrte glaubten tatsächlich, Shakespeare habe eine Kanone und nicht den göttlichen Kanon im Sinn gehabt.
Hamlet hat in Wittenberg studiert. Dort lehrte 1586 auch der schließlich als Ketzer verbrannte italienische Philosoph Giordano Bruno (1548–1600). In seinem Variorum Hamlet (1877) schreibt der Herausgeber H.H. Furness (Teil 2, Seite 332): «Hamlet hätte [Giordano Brunos Vorlesungen] besuchen können, vorausgesetzt, er war wie die meisten Figuren Shakespeares ein Zeitgenosse des Dichters.»
Polonius soll seine Tochter Ophelia heimlich belauschen. Als es in Hamlets Gegenwart hinter der Tapete raschelt (III. 4, 24), fragt Hamlet: «Wie? was? eine Ratte?»
Reynaldo sollte Ophelias Bruder Laertes auf Polonius’ Geheiß in Paris überwachen (II. 1).
Bezieht sich auf eine immer noch umstrittene Stelle (I. 1, 63): «… in an angry parle, / He [King Hamlet] smote the sledded Polacks on the ice.» Schlegel übersetzte sicherlich richtig: «… als er in hartem Zweisprach / Aufs Eis warf den beschlittenen Polacken.» Sowohl die Quarto- als auch die Folio-Ausgaben haben jedoch nicht Polacks, sondern Pollax, poleaxe, u.a. Tieck und andere nach ihm schlugen darum vor, das fragliche Wort als ‹Streitaxt› zu verstehen und sledded entsprechend zu emendieren, nämlich daraus ein sledding oder richtiger sliding (schlitternd) zu machen.
Die Anspielungen auf Ophelias Tod beziehen sich alle auf die große Klage der Königin (IV. 7, 168ff.):
There is a willow grows aslant a brook,
That shows his hoar leaves in the glassy stream;
There with fantastic garlands did she come
Of crow-flowers, nettles, daisies, and long purples,
That liberal shepherds give a grosser name,
But our cold maids do dead men’s fingers call them;
There, on the pendent boughs her coronet weeds
Clambering to hang, an envious sliver broke;
When down her weedy trophies and herself
Fell in the weeping brook. Her clothes spread wide,
And, mermaid-like, a while they bore her up;
Which time she chanted snatches of old tunes,
As one incapable of her own distress,
Or like a creature native and undued
Unto that element; but long it could not be
Till that her garments, heavy with their drink,
Pull’d the poor wretch from her melodious lay
To muddy death.
In Schlegels Übersetzung:
Es neigt ein Weidenbaum sich übern Bach
Und zeigt im klaren Strom sein graues Laub,
Mit welchem sie phantastisch Kränze wand
Von Hahnfuß, Nesseln, Maßlieb, Kuckucksblumen,
Die lose Schäfer gröblicher benennen
Doch zücht’ge Jungfraun tote Mannesfinger;
Dort, als sie aufklomm, um ihr Laubgewinde
An den gesenkten Ästen aufzuhängen,
Zerbrach ein falscher Zweig, und nieder fielen
Die rankenden Trophäen und sie selbst
Ins weinende Gewässer. Ihre Kleider
Verbreiteten sich weit und trugen sie
Sirenen gleich ein Weilchen noch empor,
Indes sie Stellen alter Weisen sang,
Als ob sie nicht die eigne Not begriffe,
Wie ein Geschöpf, geboren und begabt,
Für dieses Element. Doch lange währt’ es nicht,
Bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken,
Das arme Kind von ihren Melodien
Hinunterzogen in den schlamm’gen Tod.
Umstritten sind darin vor allem zwei Stellen. Einige Ausgaben schreiben nicht «There with fantastic garlands did she come» (dort kam sie mit phantastischen Kränzen), sondern «Therewith fantastic garlands did she make» (damit wand sie phantastische Kränze); und «she chanted snatches of old lauds» (sie sang Stücke alter Hymnen) und nicht «of old tunes» (alter Weisen). Von Ophelias Liederschatz kann sich der Hamlet-Kenner einen Begriff machen.
Der andere Nixenvater ist James Joyce, der ‹Vater› der ‹Nixen› in Finnegans Wake; wrustling ist eine joycesche Übereinanderblendung von wrestling (ringend) und rustling (raschelnd).
Lat. Orchis mascula, engl. long purples, dt. Knabenkraut, bei Schlegel Kuckucksblumen: eine Orchideenart mit hodenförmigen Wurzelknollen und dunkel blau- oder rotvioletter Blüte. Die «kalten Jungfern» verwechseln sie mit einer anderen Orchideenart, Orchis maculata, dem lilablütigen gefleckten Knabenkraut, das englisch auch dead men’s finger (Totenfinger) heißt.
Über den Namen Ophelia haben sich die Forscher weidlich den Kopf zerbrochen. C.E. Browne nimmt an, er gehe auf den verliebten Schäfer Ofelia in der neunten Ekloge von Iacopo Sannazaros Arcadia zurück – die wahrscheinlichste Vermutung. Yonga dagegen leitet ihn von einem altdänischen Schlangennamen wie Ormilda ab. Ruskin meint, er sei griechischen Ursprungs: Opheleia, Dienstfertigkeit («ein dienender Engel»).
Anspielung auf Finnegans Wake von James Joyce (1882–1941). In dem Roman spielt das Nixen-Motiv eine beherrschende Rolle. Joyce war beeinflusst von der zyklischen Geschichtsphilosophie des Giovanni Battista Vico (1668–1744).
In der slawischen Mythologie ist die Russalka eine aus einem ertrunkenen Mädchen entstandene Flussnixe.
Der normannische Fechtmeister, der sowohl Hamlet als auch Laertes unterwies (IV. 7, 78ff.), hieß nach den Folio-Ausgaben Lamond, nach den Quarto-Ausgaben Lamord (der Tod).
Frz. l’aurore grelottant en robe rose et verte: Aurora, in einer grünen und rosa Robe fröstelnd. Zitat aus einem Gedicht von Charles Baudelaire (1821–1867), Le crépuscule du matin (Morgendämmerung) aus den Tableaux parisiens, XVIII.
Dr. Benno Tschischwitz schrieb u.a. die Studien Shakespeare’s Hamlet in seinem Verhältnis zur Gesammtbildung namentlich zur Theologie und Philosophie der Elisabeth-Zeit (Halle, 1867) und Shakespeare’s Hamlet, vorzugsweise nach historischen Gesichtspuncten erläutert (Halle, 1868), in denen er Giordano Brunos Gedankengut in Hamlet nachspürte.
Frz. soupir de petit chien: Welpenseufzer.
Der Satz über Ophelia steht in Wilhelm Meisters Lehrjahre (Viertes Buch, Kapitel 14); er ist Wilhelm Meister in den Mund gelegt. Goethes Äußerungen über Hamlet sind in H.H. Furness’ Variorum-Ausgabe (1877) wiedergegeben (Zweiter Teil, Seite 272–275).
In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (mit Sicherheit ab 1626) waren in Deutschland mehrere englische Wanderschauspieltruppen unterwegs, die – zunächst auf Englisch, dann auf Deutsch – auch einige Shakespeare-Stücke im Programm hatten. Aus dem Jahre 1710 gibt es die Handschrift eines anonymen Stückes mit dem Titel Bestrafter Brudermord. Es handelt sich um eine ungemein vergröberte und banalisierte Fassung des Hamlet-Stoffes. Sie geht vermutlich auf einen um 1590 geschriebenen und verschollenen Ur-Hamlet des Dramatikers Thomas Kyd (1558–1594) zurück, den Shakespeare kannte und zur Grundlage für sein eigenes, 1602 uraufgeführtes Drama machte und den die englischen Schauspieler mit nach Deutschland brachten. Keineswegs gibt es ein «deutsches Original» für Shakespeares Hamlet, wie Professor Hamm behauptet.
In Shakespeares Hamlet (IV. 7, 40) überbringt ein Bote dem König einen Brief von Hamlet, in dem dieser seinen Onkel wissen lässt, dass er auf der Seereise nicht umgekommen sei und am Tag darauf zurückkehren werde. (Im Bestraften Brudermord überbringt in der Tat der Hofnarr Phantasmo diese Nachricht.) Der Bote sagt, er habe die Briefe von einem gewissen Claudio, und dieser von einem Kurier. Dieser Zwischenträger namens Claudio tritt nicht selber auf und wird in dem ganzen Stück kein weiteres Mal erwähnt. Es lässt sich somit nicht das Allergeringste von ihm sagen, und es braucht einen Interpreten vom Schlage des Professor Hamm, aus ihm einen «feiner [als Polonius] differenzierten Charakter» zu machen.
Der König nennt Polonius einmal den «Vater guter Zeitung» (II. 2, 42).
Die von Ember (praktisch ins Russische) übersetzte Stelle (III. 2, 259ff.) folgt Hamlets Lied vom wunden Reh (bei Schlegel «Ei, der Gesunde hüpft und lacht …»): «Sollte nicht dies [das Lied vom wunden Reh] und ein Wald von Federbüschen (wenn meine sonstige Anwartschaft in die Pilze geht) nebst ein paar gepufften Rosen auf meinen geschlitzten Schuhen mir zu einem Platz in einer Schauspielergesellschaft verhelfen, Herr?»
Engl. russet, rostbraun. Offenbar hatte Ember russet mantle in seiner Sprache mit laderod kappa wiedergegeben. Auf der Terrasse des Schlosses am Ende der ersten Szene des ersten Aktes (offenbar Embers Lieblingsszene) sagt Horatio:
But look, the morn, in russet mantle clad,
Walks o’er the dew of yon high eastern hill.
Schlegel:
Doch seht, der Morgen, angetan mit Purpur,
Betritt den Tau des hohen Hügels dort.
Dass Schlegel russet mit ‹Purpur› wiedergibt, hätten Ember wie Nabokov (der es besonders mit den Farben Lila und Violett sehr genau nahm) missbilligt.
Frz. Et voilà … et me voici … Un pauvre bonhomme qu’on traîne en prison … Je suis souffrant, je suis en détresse … coup d’état: So ist es also … und hier bin ich … Ein armer Kerl, den man ins Gefängnis schleppt … Ich bin leidend, ich bin in Not … Staatsstreich.
Frz. Il est saoul … Il est complètement saoul: Er ist betrunken … Er ist total betrunken.
Frz. chambre violette: violettes Zimmer.
Frz: Les Pensées: Die Gedanken. Gemeint sind die Pensées de M. Pascal sur la religion, et sur quelques autres sujets, qui ont esté trouvées après sa mort parmy ses papiers (Gedanken von Herrn Pascal über die Religion und einige andere Gegenstände, gefunden nach seinem Tode unter seinen Aufzeichnungen). Nachgelassenes apologetisches Werk von Blaise Pascal (1623–1662), das auf rationalistische Weise die Vorzüge christlichen Glaubens dartut.
Frz. à pas de loup: wörtlich: mit Wolfsschritten; leise, «auf Katzenpfoten».
H2SO4: Schwefelsäure, stark ätzend.
Frz. pour la bonne bouche … Notamment, une grande pièce bien claire: als Leckerbissen zu guter Letzt … Vor allem ein großes, helles Zimmer.
Wiederholte Anspielung auf Vom Winde verweht.
Menstratum: «Eine Kreuzung zwischen ‹Menstruation› und ‹Stratum› [Wolkendecke]» (Vladimir Nabokov am 10. Februar 1962 an den Übersetzer).
Frz. Crème Chantilly: gesüßte Schlagsahne, manchmal auch aromatisiert.
In der Höhle von Altamira, etwa 30 km westlich von Santander, entdeckte die fünfjährige Tochter des Grundherrn, Don Marcelino Sanz de Sautuola, um 1870 prähistorische Bilder von Rindern und anderen Tieren, aber nicht von Menschen und Neandertalern.
Frz. illusions hypnagogiques: hypnagoge Halluzinationen. Es handelt sich um lebhafte, aber meist unverbundene Vorstellungsbilder, die manche Menschen kurz vor dem Einschlafen vor sich sehen.
Alexander Henry Rhind (1833–1863), schottischer Anwalt und Ägyptologe, der in Luxor illegalerweise u.a. das Rechenbuch des Ahmes kaufte, den «Papyrus Rhind», und dem British Museum übersandte. Vermutlich stammte es ursprünglich aus dem Ramesseum, einem von Ramses II. erbauten Tempel in Theben-West.
Bei den vier Zweizeilern handelt es sich um vier weit auseinanderliegende (Prosa-!)Stellen aus dem Roman Moby Dick von Herman Melville (1819–1891), die sich nach dem gleichen metrischen Schema skandieren lassen; in der deutschen Übersetzung von Richard Mummendey (Winkler-Verlag, München, 1964) stehen sie auf den Seiten 60, 76, 89 und 200. Auch der folgende Absatz bezieht sich auf Moby Dick. Auf Seite 424 findet sich die Stelle: «Nur einen einzigen süßeren Tod kann man sich vorstellen – den eines Honigjägers aus Ohio, der in einem hohlen Baumstumpf nach Honig suchte und einen so ausnehmend großen Vorrat davon fand, dass er, als er sich zu weit überlehnte, hineinfiel und darin einbalsamiert umkam. Wie viele, glaubt ihr wohl, sind so in Platos Honighaupt versunken und seiner Süße zum Opfer gefallen?» Und auf Seite 307 heißt es: «Wie es gerade meine Laune will, werde ich sie [die Geschichte vom Walfangschiff ‹Town-Ho›] so wiedergeben, wie ich sie einst am Vorabend irgendeines Festtages in Lima einem Kreise von spanischen Freunden zum Besten gegeben habe …»
Willem de Sitter (1872–1934), niederländischer Mathematiker, Physiker und Astronom, Professor an der Universität Leiden und Direktor des dortigen Observatoriums.
Jacobus Cruquius (zweite Hälfte 16. Jh.), flämischer Philologe, Professor in Brügge, gab 1578 eine vollständige Horaz-Ausgabe heraus. Er hatte noch die Handschriften im Benediktiner-Kloster der Sankt-Peters-Abtei auf dem Blandinberg in Gent, Ostflandern, benutzt, die 1566 verloren gingen, als das Kloster in der Reformationszeit von französischen Truppen besetzt und aufgelöst wurde. Blankenberge ist heute ein Ostseebad 60 km NW von Gent. Dort befand sich die Sankt-Peters-Abtei nicht.
Ivar Aasen (1813–1896), norwegischer Schriftsteller, der aus verschiedenen Bauerndialekten eine der beiden neunorwegischen Schriftsprachen schuf, das Landsmål (Nynorsk).
George Psalmanazar (1679–1763), ein aus Frankreich stammender Hochstapler, der behaupete, der erste nach Europa gelangte Ureinwohner Formosas (des heutigen Taiwan) zu sein. 1704 veröffentlichte er in England ein Buch voller erfundener Geschichten über Formosa, u.a. der, dass dort jedes Jahr den Göttern die Herzen von 18000 Jungmännern geopfert wurden; die Körper seien von den Priestern gegessen worden.
Frz. petit éternuement intérieur: kleines inneres Niesen.
Gleich am Anfang der Lügengeschichten des Barons Münchhausen, die meisten verfasst von Rudolph Erich Raspe, anonym angeblich in England veröffentlicht, 1786 von Gottfried August Bürger frei ins Deutsche zurückübersetzt, steht die vom angebundenen Pferd: «Des Reitens müde stieg ich endlich ab, und band mein Pferd an eine Art von spitzem Baumstaken, der über dem Schnee hervorragte. Zur Sicherheit nahm ich meine Pistolen unter den Arm, legte mich nicht weit davon in den Schnee nieder und that ein so gesundes Schläfchen, dass mir die Augen nicht eher wieder aufgingen, als bis es heller lichter Tag war. Wie groß war aber mein Erstaunen, als ich fand, daß ich mitten in einem Dorfe auf dem Kirchhofe lag! Mein Pferd war anfänglich nirgends zu sehn; doch hörte ichs bald darauf irgendwo über mir. Als ich nun emporsah, so wurde ich gewahr, dass es an den Wetterhahn des Kirchturms gebunden war und von da herunterhing … Das Dorf war nämlich die Nacht über ganz und gar zugeschneit gewesen; das Wetter hatte sich auf einmal umgesetzt; ich war im Schlafe nach und nach, so wie der Schnee zusammengeschmolzen war, ganz sanft herabgesunken; und was ich in der Dunkelheit für den Stummel eines Bäumchens … gehalten, … das war das Kreuz oder der Wetterhahn des Kirchturms gewesen. Ohne mich nun lange zu bedenken, nahm ich eine von meinen Pistolen, schoss nach dem Halfter, kam glücklich auf die Art wieder an mein Pferd und verfolgte meine Reise.»
Lat. Femineum lucet (sic) per bombycina corpus: (so) schimmert der weibliche Körper durch die Seide. Zitat aus einem Epigramm (Buch 8, Nummer 68) von Martial (ca. 38–104).
Frz. Sanglot: Schluchzer.
Russ. raduga moja: mein Regenbogen.
Lakedaimon ist ein anderes Wort für Sparta, die stärkste Militärmacht im antiken Griechenland. Nabokov an Edmund Wilson: «Ich arbeite wie wild an meinem Roman [Das Bastardzeichen] … Ich verabscheue Plato, ich hasse Lakedaimon und alle Perfekten Staaten» (24. Dezember 1945).
Frz. en escalier: wörtlich: als Treppe; im Treppenfall. Gemeint sind die typographisch gebrochenen, treppenartig angelegten Verszeilen, wie sie für die sowjetische Lyrik von Wladimir Majakowskij (1893–1930) typisch waren.
Grch. noumenon: das Gedachte; ein reines «Gedankending», das keine sinnlich erfahrbare Entsprechung hat.
Frz. mouches volantes: wörtlich fliegende Fliegen, dt. fliegende Mücken, lat. muscae volitantes. Es handelt sich um kleine, sich im Gesichtsfeld bewegende Punkte oder Flecken, hervorgerufen durch kristalline Ablagerungen im Glaskörper.
Lorentz-FitzGerald-Kontraktionen sind benannt nach dem niederländischen Physiker Henrik A. Lorentz (1853–1929) und dem irischen Physiker George F. FitzGerald (1851–1901), die unabhängig voneinander auf das Phänomen stießen, dass ein Körper in Bewegung eine Verkürzung seiner Länge erfährt; Einstein benutzte ihre Berechnungen in seiner Relativitätstheorie.
Heraklit, Parmenides und Pythagoras sind drei vorsokratische griechische Philosophen. Der pessimistische Heraklit (um 500 v. Chr.) galt als der «weinende Philosoph» und wird von Krug wohl darum «die Trauerweide» genannt. In der Kosmogonie des Parmenides (um 500 v. Chr.) geht alles auf zwei Urelemente zurück: «die lichtlose Nacht, ein dichtes und schweres Gebilde» und «das ätherische Flammenfeuer, das milde, gar leichte», und darum wohl nennt Krug Parmenides «der Rauch» – der hat, wie der Gedanke, an beiden Elementen teil. Der Philosoph und Mathematiker Pythagoras (570?–510? v. Chr.) hielt für das innerste Wesen der Dinge die Zahl; was er hier auf den Boden zeichnet, sind offenbar Parallelogramme, mit denen er sich tatsächlich viel beschäftigte.
Ein Schach-Mephisto ist der im sogenannten Schach-Automaten früherer Jahrhunderte versteckte Schachspieler. Im lat. Wort cogito steckt außer dem Verb (cogitare, denken) auch das Pronomen (ich), wie in lat. cogito ergo sum, ich denke, also bin ich.
Der Entdeckungsreisende John Speke (1827–1864) erreichte 1862 die Stelle, wo der Weiße Nil aus dem Victoria-See fließt, und telegraphierte an die Royal Geographic Society: «Informiere Sir Roderick Murchison dass alles gut steht und der Nil erledigt ist.»
Lat. Da mi basia mille: Gib mir tausend Küsse. Zitat aus einem Liebesgedicht (Nummer 5) von Catull (1. Jh. v. Chr.): «Wir wollen leben, meine Lesbia, und lieben und uns von dem Klatsch griesgrämiger alter Männer nicht stören lassen. Sonnen mögen untergehen und wieder aufgehen: Uns bleibt, wenn einmal das kurze Licht [brevis lux] untergegangen ist, der Schlaf einer ewigen Nacht. Gib mir tausend Küsse [da mi basia mille], dann hundert, dann noch einmal tausend …»
Phokus ist eine andere Schreibweise für lat. focus, Brennpunkt. In gewisser Weise steht Phokus – der unsichtbare potenzielle Retter – im Brennpunkt des Romans. Krug verkennt auch diesmal die Zeichen und vertraut sich stattdessen dem Spitzel Quist an.
Frz. que j’ai été veule: was bin ich schlapp gewesen.
Frz. voilette: kurzer Schleier.
Frz. cette petite Phryné qui se croit Ophélie: diese kleine Phryne, die sich für Ophelia hält. Phryne war eine griechische Hetäre des vierten Jahrhunderts, die vermutlich dem Bildhauer Praxiteles Modell für Aphrodite stand.
Frz. chemin de fer: wörtlich: Eisenbahn; ein anderes Wort für das Kartenglücksspiel Baccarat.
Frz. connu, mon vieux: bekannt, mein Alter.
Lat. puella: Mädchen.
Lat. Brevis lux. Da mi basia mille: Kurzes Licht. Gib mir tausend Küsse. Umgestelltes Catull-Zitat.
Russ. mersawez: Schuft, Halunke, Scheusal.
Landessprachl. dragozennyj: Teuerster.
«Kolokololitejschtschikow» ist ein russischer Zungenbrecher, Bedeutung ‹Glockengießer›.
Russ. tschinownik: Staatsbeamter.
Kleine Frauen (Originaltitel Little Women), ein populärer Jugendroman von Louisa May Alcott (1832–1888).
Frz. même jeu, in der gleichen Art.
Unter Jarowisation oder Vernalisation versteht man in der Botanik die künstliche Kältebehandlung von Samen und Keimlingen, um ihre Entwicklung zu beschleunigen. Sie war eine der Methoden, von der sich Stalins Chefbiologe Lyssenko Ertragssteigerungen versprach.
Russ. Jablotschko, kudash ty tak kotischsa?: Äpfelchen, wohin rollst du? «Ein bolschewistisches Soldatenlied in der Zeit der Revolution. ‹Äpfelchen› sollte ‹Bourgeois› bedeuten» (Véra Nabokov an den Übersetzer, 10. Februar 1962). Der Vers gehört zu einer tschastuschka, einem schnellen russischen Ulklied. In den ersten Jahren nach der russischen Revolution war sie in vielen Varianten populär, etwa: «Oj, jablotschko, / Kuda kotischsja? / W wetscheka popadjosch, / Ne worotischsja!» (He, Äpfelchen, wo rollst du hin? Wenn dich die Tscheka kriegt, kommst du nicht zurück!) Eine deutsche Variante lautete: «Wohin rollst du, Äpfelchen? Roll doch in mein Näpfelchen.»
Wohl eine Anspielung auf das 1912 eröffnete hochvornehme Hotel Astoria in St. Petersburg, keine 300 m entfernt vom Stadthaus der Familie Nabokov. Nach der Revolution wohnten dort führende Kommunisten, Lenin sprach von einem Balkon.
Der Morpho ist ein großer tropischer Falter in Südamerika, Gattung Nymphaliden. Er fällt auf durch das leuchtende metallische Blau seiner Flügeloberseiten.
Engl. My aunt has a visa. Uncle Saul wants to see uncle Samuel. The child is bold: Meine Tante hat ein Visum. Onkel Saul will Onkel Samuel besuchen. Das Kind ist kühn. – Übungssätze aus Sprachlehrbüchern. Der letzte kam in der Englisch-Prüfung zum Erwerb der amerikanischen Staatsangehörigkeit vor; Nabokov selber wurde er bei dieser Gelegenheit 1945 vorgelegt, und er verdrehte ihn scherzhaft zu the child is bald (das Kind ist kahl).
Frz. c’est la tragédie des cabinets … C’est atroce: Das ist die Tragödie der Toiletten … Das ist grausam.
Die «Einleitung» wurde im September 1963 für eine Sonderausgabe des Time Reading Program geschrieben, die 1964 in New York erschien, aber den korrigierten Text der Londoner Ausgabe von 1960 verwendete.
Grch., «Wortumbildung», eine Art des Wortspiels, bei der Wörter miteinander verkoppelt werden, die semantisch oder etymologisch nicht zusammengehören, sich jedoch im Klang ähneln. Beispiele: ‹Eile mit Weile›, ‹Wer rastet, der rostet›.
Nicht das Arabisch des Koran oder Kuran ist gemeint, sondern eine Hybridisierung der Sprachen von Kurland (also Lettisch) und der Ukraine.
Ziguta ist ein russischer Name für den hochgiftigen Wasserschierling (lat. Ciguta virosa). Mit einer Schierlingsinfusion wurde 399 v. Chr. der griechische Philosoph Sokrates hingerichtet.
Für Véra
Eine längliche Pfütze, in den groben Asphalt gedrückt; wie ein phantastischer Fußstapfen, der bis zum Rand mit Quecksilber gefüllt ist; wie ein spatelförmiges Loch, durch das man den unteren Himmel sehen kann. Umgeben, bemerke ich, von den Tentakeln einer diffusen schwarzen Feuchtigkeit, in der ein paar stumpfe, schlappe, schwärzliche Blätter kleben. Vermutlich ersäuft, ehe die Pfütze auf ihre jetzige Größe schrumpfte.
Sie liegt im Schatten, doch enthält sie eine Probe jener Helligkeit dort drüben, wo Bäume stehen und zwei Häuser. Genauer hinsehen. Ja, sie spiegelt einen Ausschnitt blassblauen Himmels, ein zartes Kinderblau – Milchgeschmack in meinem Mund, weil ich vor fünfunddreißig Jahren einen Becher von ebenjener Farbe besaß. Auch ein knappes Gestrüpp kahlen Gezweigs spiegelt sie und, abgehackt von ihrem Rand, die braune Krümmung eines kräftigeren Astes, dazu einen schrägen leuchtenden hellgelben Streifen. Du hast etwas fallen lassen, das gehört dir, hellgelbes Haus im Sonnenschein dort drüben.
Wenn den Novemberwind seine wiederkehrenden eisigen Spasmen befallen, kraust ein rudimentärer Wellenwirbel den Glanz der Pfütze. Zwei Blätter, zwei Triskelen[1]