Über das Buch:
Südafrika 1938-1968
Die kleine Persomi ist ein tapferes, kluges Mädchen, das als Tochter einer weißen Familie in Südafrika in großer Armut aufwächst. Doch in der Schule macht ihr so schnell keiner etwas vor und so hofft sie, ihrer Herkunft eines Tages entfliehen zu können.
Als Persomi in einem Prozess gegen den Mann aussagen muss, der behauptet, ihr Vater zu sein, stellt sich für sie zum ersten Mal die Frage, ob das Gesetz auch für arme Menschen gilt. In ihr erwacht der Traum, Jura zu studieren. Und sich für ein Land einzusetzen, in dem jeder die gleichen Chancen auf Gerechtigkeit hat. Doch wird sie diesen Traum verwirklichen können? Oder werden enttäuschte Hoffnungen, tragische Missverständnisse und ungeahnte Herausforderungen ihr die Flügel stutzen?
Über die Autorin:
Irma Joubert lebt in Südafrika. Sie studierte Geschichte an der Universität von Pretoria und war fünfunddreißig Jahre lang Lehrerin an einem Gymnasium. Nach ihrer Pensionierung begann sie mit dem Schreiben. Die Historikerin liebt es, gründlich zu recherchieren und ihre Romane mit detailreichen Fakten zu untermauern. In ihrer Heimat und den Niederlanden haben sich ihre historischen Romane zu Bestsellern entwickelt und sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.
7. Kapitel
Ihr Berg ist uralt. Unveränderlich.
Er hat tiefe Abgründe und hohe, felsige Kämme.
Die Abgründe liegen verborgen im kühlen Schatten und seine Kämme erheben sich stolz und glühend in den letzten Sonnenstrahlen.
Ihr Berg ist immer da. Der Fluss kann vertrocknen, der Mond kann sich verdüstern, die Bäume können zu Brennholz verdorren und zu Asche vergehen, doch ihr Berg ist ewig.
Beth hat dasselbe über Gott gesagt.
Aber Beth hat gelogen.
Sie ist durch die Gegend gestreift, weit ab des Weges. Sie ist über Weidezäune und Ackerbegrenzungen geklettert und immer geradeaus in Richtung Sonnenuntergang marschiert, wo die Farm liegen muss. Sie ist gerannt und getrabt und ab und zu ist sie vornübergebeugt stehen geblieben, um wieder zu Atem zu kommen. Wegen der versteckten Kaninchenlöcher schaut sie unablässig vor sich auf den Boden und erst als ihr Berg als Richtungsgeber am Horizont auftaucht, schaut sie wieder auf. Mit großen Schlucken hat sie Wasser getrunken, aus Bohrlöchern und Viehtränken.
Es ist nicht wahr!
Kurz vor Sonnenuntergang kommt sie an ihrem Berg an.
Sie hat doch wieder mit dem Beten angefangen, jeden Abend, wenn sie Stille Zeit machen mussten. Nur in den Ferien hat sie es manchmal vergessen.
Doch Gott hat ihr nicht zugehört.
Ein Gott der Liebe hätte Gerbrand niemals …
Es kann nicht wahr sein!
Jetzt spürt sie den Boden ihres Berges unter ihren nackten Füßen. Das dürre Gras verpulvert unter ihren Füßen, die spitzen Steinchen pieksen sie in die Fußsohlen.
Nur ihre Füße fühlen noch etwas. Und ihr staubtrockner Mund und ihre Kehle.
In der Nähe der großen Kluft bleibt sie auf einem lauwarmen Felsen sitzen. Die Sonne ist inzwischen verschwunden. Ihr Berg verhält sich mucksmäuschenstill.
Irgendjemand hat einen Fehler gemacht, es kann nicht wahr sein. Es ist einfach unmöglich.
Ihr Kopf weiß es wohl, aber ihr Herz weigert sich zuzuhören.
Um sie herum ist alles reglos. Nirgendwo sind Zeichen von Leben zu entdecken.
Zusammen mit der Dunkelheit stellen sich die Gedanken ein, geradezu wie von selbst und es gibt kein Halten mehr.
Die Armee kann einen Fehler gemacht haben, schließlich sterben jeden Tag Hunderte von Soldaten auf dem Schlachtfeld.
Gedanken lassen sich nicht immer durch das Herz steuern.
Wir tragen Hundemarken, hat Gerbrand ihr einmal geschrieben; das sind Blechscheibchen mit deinem Namen darauf, damit die Armee dich identifizieren kann, wenn du irgendwo tot herumliegst oder so in Stücke gerissen bist, dass niemand mehr sehen kann, wer du bist. Das Elend beginnt erst, wenn deine Hundemarke genauso im Eimer ist wie du.
Du solltest nicht so grobe Sprüche machen, hat sie ihm zurückgeschrieben. Was macht die Armee in so einem Fall?
Dann schicken sie der Familie ein Telegramm, in dem steht: „Vermisst“, war Gerbrands Antwort. Doch letzten Endes werde jeder durch die Armee identifiziert und erst dann schrieben sie: „Gefallen fürs Vaterland“, oder so etwas ins Telegramm.
Ich weiß es nicht genau, hat er geschrieben, denn ich habe noch nie so ein Telegramm bekommen.
Ich weiß es jetzt ganz genau, geht es ihr durch den Kopf.
Die Nacht ist stockfinster. Es ist Neumond und die Schleierbewölkung dämpft sogar das Licht der Sterne.
Der Schmerz in ihrem Inneren wird stärker als jeder mögliche Zweifel. Ihr Herz wird kälter und kälter. Denn sie weiß es ja. Und sie weiß auch, dass sie es weiß.
Mitten in der Nacht beginnt die Kälte in sie hineinzukriechen. Kurz vor Tagesanbruch ist die Kälte am schlimmsten.
Kurz bevor der Tag anbricht, bricht der Schmerz durch alle Barrieren hindurch. Wehrlos und ungeschützt liegt sie auf der kalten Felsplatte. Sie weint nicht, sondern spürt nur, wie ihr Herz bricht.
Ich werde aufstehen und zu Mama gehen, überlegt sie. Mama wird mich umarmen und mich fest an sich drücken. Und dann wird sie ihre Mutter umarmen und fest an sich drücken. Sie wird Hannapat auch drücken. Sie werden in einem Ring aus Armen stehen.
Inzwischen ist ihr Körper vor Kälte ganz steif. Das Herz tut ihr weh.
Erst als die Sonne ihren Körper durch und durch gewärmt hat, steht sie auf und geht langsam den Abhang hinunter nach Hause.
* * *
Ihre Mutter ist eine magere Frau mit trockenen, leeren Augen.
„Mama?“, begrüßt Pérsomi sie fragend.
„Herr Fourie ist dich holen gefahren“, antwortet Mamas Stimme. „Aber da warst du schon weg.“
„Ich bin gelaufen.“
Tante Sus ist überwältigt, ihr enormer Busen erdrückend heiß, ihre Augen rot und aufgequollen, ihre Umarmung erstickend. „Kind, Kind“, sagt sie im Jammerton. „Wo bist du denn jetzt die ganze Nacht gewesen?“
Onkel Attie zieht sich schnaufend die feuchte Nase hoch. „Deine Tante hat es gewusst!“, seufzt er. „Sie macht schon seit Monaten kein Auge mehr zu wegen all der Särge, die sie immer wieder sieht. Es werden noch viele Tote kommen.“
Hannapat weint spitz zulaufende Tränen. „Ich habe es gestern in der Schule gehört“, klagt sie. „Ich habe sofort angefangen zu weinen und nicht mehr damit aufgehört, ich habe nicht einmal geschlafen.“
Alle Nichten und Neffen starren sie mit ihren dummen, neugierigen Augen an. Überall sind Augen.
Sie schaut wieder zu ihrer Mutter, aber ihre Mutter ist tot.
* * *
Die Schule besteht nur aus Schuluniformen mit Armen, Beinen und Augen.
„Wie schrecklich für dich, Pérsomi.“ Zungen klacken mitleidig. „Wir beten für dich, hörst du.“
„Was genau ist denn passiert, Pérsomi?“, wollen sie wissen.
„Und wann bekommt ihr den Leichnam, Pérsomi?“, fragen sie. „Ihr dürft ihn sicher nicht mehr sehen, oder?“
Manchmal hört sie das Wort „Rotlitze“. Manchmal auch „Khakiefreund“ oder „Landesverräter“.
Aber sie hört nicht hin. Sie atmet, isst und macht ihre Hausaufgaben.
„Erzähl mir etwas von ihm, Pérsomi“, bittet Beth. Ihre Augen sehen sanft aus.
Doch Pérsomi schüttelt den Kopf.
„Komm, dann setz dich zu mir aufs Bett, damit ich für dich beten kann“, erwidert Beth.
„Die Geschichte mit deinem Bruder finde ich ganz furchtbar“, erklärt Reinier mit ernsten Augen.
„Danke“, entgegnet sie und beugt sich wieder über ihre Aufgaben.
„Pérsomi, wir sind bei dir und deiner Familie“, verkündet Herr Nienaber, der neben ihrer Bank stehen bleibt. „Wenn wir irgendetwas für dich tun können, wenn wir dir irgendwie helfen können, dann sag es uns bitte.“
„Vielen Dank, Herr Lehrer“, antwortet sie, ohne ihn anzuschauen; denn sie möchte nicht noch mehr Augen sehen.
Nach drei Tagen haben alle sie vergessen und beachten sie nicht mehr. Sie lösen ihre Matheaufgaben, essen ihre Pausenbrote und haben Spaß miteinander.
Auch sie macht ihre Matheaufgaben. „Das Fräulein legt sehr viel Nachdruck auf Trigonometrie, ich wette, dass wir in der Prüfung eine Menge davon bekommen“, flüstert Reinier.
Sie nickt.
Sie isst ihre Pausenbrote. „Ich weiß, dass ich nicht so viele Brote essen sollte!“, seufzt Beth. „Aber ich habe doch so einen Hunger.“
„Ja“, erwidert sie.
Gerbrand ist im Haus der Ernährer gewesen.
Das Brot bleibt ihr im Hals stecken.
Am Freitag fragt Herr Nienaber: „Könntest du vielleicht morgen Abend zum Babysitten kommen? Meine Frau und ich würden gern … Oder nein, du fährst am Wochenende doch sicher nach Hause?“
Nach Hause?
„Ich kann gerne zum Babysitten kommen, Herr Lehrer“, antwortet sie.
* * *
In jeder Schulstunde müssen sie das Datum oben rechts in die Ecke ihres Heftes schreiben und es unterstreichen. Das Datum verschiebt sich immer um einen Tag. Wie es sich gehört.
Am 2. November 1942 befiehlt Rommel den allgemeinen Rückzug aus Libyen, ein Befehl, den Hitler sofort kassiert. Der ist der Ansicht, dass die Deutschen weitere Niederlagen vermeiden können, wenn die Soldaten keinen Millimeter Boden räumen. Was ein geordneter Rückzug hätte werden können, wird so unterbrochen. Was ein hartnäckiges Nachhutgefecht hätte sein können, läuft auf diese Weise auf ein Desaster hinaus, schreiben die Zeitungen.
Am 2. November 1942 schreibt Pérsomi das Datum über ihren Aufsatz. Sie schreibt die Aufgabenstellung ab und zieht eine Linie darunter. Eine Dreiviertelstunde lang starrt sie auf das leere Papier vor ihr. „Kann ich meinen Aufsatz auch morgen abgeben?“, fragt sie am Ende der Stunde.
In den beiden Wochen danach erobert die Achte Armee mehr als tausend Kilometer Küstenlinie, bis in die Umgebung von Agheila. Ab dem 8. November landen große Mengen alliierter Truppen in Algerien. In Tunesien landen massive deutsche Verstärkungen, sagen sie im Radio, erzählt Reinier.
Am 8. November rennt Pérsomi um den Sportplatz. Ihre nackten Füße trommeln rhythmisch auf die heiße, harte Laufbahn. „Wir fangen langsam an, ganz ordentlich in Form zu kommen für den Wettkampf im nächsten Jahr!“, freut sich Herr Nienaber enthusiastisch. „Dieses Mal werden wir nicht nur den anderen Schulen zeigen, was eine Harke ist. Im nächsten Jahr werden ein paar von euch …“
Nächstes Jahr ziehe ich nach Johannesburg, weiß Pérsomi. Nächstes Jahr muss ich unsere Familie ernähren. Sie sagt jedoch nichts.
* * *
Stunden, Tage und Wochen fallen in ein schwarzes Loch und verschwinden. Wenn man hart genug arbeitet, weit genug rennt, schnell genug duscht und jeden Tag die Kleidung wäscht, hört man die Angstschreie all der Minuten und Sekunden in dem schwarzen Loch nicht mehr.
Die Nächte sind nicht einfach nur ein leeres, schwarzen Loch. Wenn die Lichter verloschen sind, wird es mucksmäuschenstill im Wohnheim. Beth beginnt ruhig und gleichmäßig zu atmen, doch bei Pérsomi will sich der Schlaf nicht einstellen.
Alle Nächte sind gleichermaßen furchteinflößend.
Unter der Schwärze der Nacht liegt ein Kummer, der sie festhält, eine Einsamkeit, die sie am Boden festkettet. Denn nachts kommt die Finsternis. Und die Erinnerung – ungebeten. Und zusammen mit der Erinnerung kommt der Verlust, heftig und schmerzhaft. Jedes Mal heftiger und schmerzhafter.
Die Gedanken stellen sich von selbst ein, jedes Mal wieder. Sie brechen sie in Stücke, zerschmettern sie.
Dann steht sie leise auf und stellt sich ans Fenster. Der Hinterhof des Wohnheims liegt totenstill in der Finsternis, in anderen Nächten erstrahlt er im hellen Mondlicht. Sogar der Hinterhof schläft.
Noch nie ist sie so traurig gewesen und so allein.
Sie schleppt sich in den Waschraum, um etwas Wasser zu trinken. Alles tut ihr weh.
Eines Nachts verwandelt sich das schwarze Loch in eine goldgelbe Wüste, in der sie herumirrt. Sie erkennt deutlich Gerbrands roten Haarschopf vor sich, sie weiß, dass er es ist, überall würde sie ihn erkennen. Sie wird froh darüber, denn er wird ihr helfen, wieder zur Farm zurückzufinden. Doch sobald sie die Hand nach ihm ausstreckt, explodiert der Sand zwischen ihnen durch eine Bombe. Am ganzen Leib zitternd wacht sie auf.
„Gefallen auf dem Schlachtfeld, er hat sein Leben im Dienst für sein Volk geopfert“, schreibt die örtliche Zeitung. Pérsomi schneidet den kleinen Artikel aus und steckt ihn in ihre Bibel. Vielleicht wird sie eines Tages die Bibel doch wieder aufschlagen.
Jede finstere Nacht springt es sie wieder an: Gerbrand ist tot. Gerbrand, ihr großer Bruder. Und der einzige Ernährer ihrer Familie.
* * *
Früher oder später musste es so kommen.
Am 12. November 1942 dringen südafrikanische Panzerfahrzeuge in Tobruk ein. In einem Triumphzug. Die Männer der Zweiten Südafrikanischen Division werden befreit und die ehemalige italienische Marinebasis befindet sich in den Händen der Alliierten. Überall wehen die Fahnen.
Am 12. November 1942 wird Gerbrand Joachim Pieterse tief in der glühend heißen, kargen Erde des Bosvelds begraben. Auf seinem Sarg liegt eine reglose Fahne.
Am Tag zuvor hat Herr Fourie Pérsomi und Irene aus der Schule abgeholt.
„Ich gehe nicht auf die Beerdigung“, hat Pérsomi zu Beth gesagt.
„Du musst dorthin gehen“, hat die geantwortet. „Du musst an deine Mutter und an deine Schwester denken, für sie musst du hingehen. Du bist stark genug dazu.“
Als sie daraufhin geschwiegen hat, hat Beth hinzugefügt: „Darüber hinaus sagt der Herr Pfarrer immer, dass eine Beerdigung wichtig ist, denn dadurch wird es definitiv.“
„Es war schon definitiv, als die Italiener ihn totgeschossen haben“, hat Pérsomi erwidert.
Beth hat ihren Arm um sie geschlagen. „Du musst trotzdem hingehen“, hat sie entgegnet. „Ich werde für dich beten.“
Ihre Mutter hat immer noch keine einzige Träne geweint. „Morgen kommen sie und bringen Gerbrand“, verkündet sie teilnahmslos. „Mit dem Flugzeug haben sie ihn übers Meer geflogen.“
Sie hat ihrer Mutter nicht gesagt, dass Nordafrika nicht auf der anderen Seite des Ozeans liegt. Als das schwarze Loch auch das kleine Haus, in dem sie zusammen schliefen, zu verschlucken drohte, ist sie aufgestanden und weggerannt.
Es ist dunkel draußen, zunehmender Mond. Keine Wolken am Himmel und die Sterne strahlen hell. Außerdem kennt sie den Weg, sie kennt jeden Stein und jedes Grasloch, jede Ritze in ihrem Berg. Ruhig marschiert sie weiter.
Sie kann morgen nicht neben dem offenen Grab stehen, sie kann es einfach nicht!
Endlich erreicht sie die Höhle und die stille Nacht des Bosvelds umhüllt sie.
Sie hat gewusst, dass der Schlaf nicht kommen würde, dafür aber die Kälte. Die kalte Nacht ist allerdings erträglicher als das eiskalte Feuer, das sie von innen erfrieren lässt.
Sie rollt sich zusammen. Gegen den allgegenwärtigen dunklen Schmerz hilft nichts.
Stockend bewegt sich die Mondsichel über den nächtlichen Himmel.
Vor langer Zeit, als die Welt noch heil gewesen ist, hat Gerbrand ihr übers Haar gestrichen und gesagt, dass sie nicht weinen soll, weil er nicht wüsste, was man mit weinenden Mädchen anstellen solle. „Nicht mehr weinen, hörst du!“, hat er gesagt.
Seitdem hat sie nie wieder geweint.
* * *
Die Sonne geht jeden Morgen auf, schon seit Menschengedenken.
Mittlerweile weiß sie, was für ein Tag es ist. Die blindmachende Trauer ist augenblicklich wieder da.
Sie steht auf, geht das ganze Stück zur Quelle, trinkt Wasser und wäscht sich das Gesicht. Die Gedanken bleiben hängen und der Kummer sitzt überall.
Ziellos schlendert sie zur Höhle zurück. Die Gegend um sie herum ist totenstill.
Nach einer ganzen Weile bewegt sie sich zu dem Ort, von dem aus sie das Große Haus sehen kann. Rund um den Pferch herrscht geschäftiges Treiben, und aus dem Schornstein steigt ein Rauchwölkchen auf. Jetzt sitzen sie alle am Küchentisch und trinken Kaffee. Sie essen dort die langen Biskuitrollen, die die Großmutter von Irene immer im Außenofen backt.
„Jeder ist da, Klara und De Wet auch“, hat Hannapat gestern berichtet. „Und Onkel Freddie kommt auch und Tante Sus natürlich mit der ganzen Familie.“
„Herr Fourie hat lauter Stühle in die Scheune gestellt, mit einem Tisch für den Pfarrer ganz vorn“, hat Hannapat berichtet, nachdem sie kurz beim Großen Haus gewesen ist. „Tante Lulu hat mir diesen Pudding mitgegeben.“
„Und von Onkel Freddie haben wir dieses Hühnchen bekommen“, hat ihre Mutter erwidert. „Ein feiner Kerl, dieser Freddie le Roux.“
Hannapat ist jedoch die Einzige gewesen, die von dem Hühnchen und dem Pudding gegessen hat.
Als die Sonne ungefähr ein Viertel ihres Weges am Himmel zurückgelegt hat, sieht Pérsomi eine Staubwolke heranziehen. Ein grünbrauner Armeelastwagen zuckelt schwerfällig den Feldweg hinauf, der zum Großen Haus führt. Jemand zeigt ihnen den Weg zur Scheune. Sie glaubt, dass es Irene ist, aber es ist zu weit weg, um sich wirklich sicher zu sein.
Sie weiß es: Das sind die Soldaten, die Gerbrand nach Hause gebracht haben.
Ihre Kehle fängt an zu brennen, sie schluckt und schluckt. Angespannt zieht sie die Knie an und presst sie gegen ihre Brust. Die Arme hat sie fest um sie herumgeschlungen, ihr Kopf sackt auf ihre Knie, und sie schließt die Augen.
„Manchmal zwingt uns der Herr auf die Knie“, hat Beth gesagt.
Sie kann nicht hinschauen, denn der Schmerz in ihrem Herzen ist zu groß.
Nach einer ganzen Weile öffnet sie ihre Augen wieder.
Der Lastwagen steht vor der Scheune. Der ganze Hof ist wie ausgestorben und totenstill.
* * *
Sie sieht schon von ferne, dass er kommt. Zunächst läuft er auf dem Weg zur Höhle beinahe an ihr vorbei, sieht sie dann aber doch.
Sie schaut in die andere Richtung, weil sie einfach kein Mitleid in seinen Augen sehen möchte.
„Dachte ich es mir doch, dass ich dich hier finden würde“, verkündet er, als er bei ihr ist.
Jetzt muss sie wohl aufschauen.
Er würdigt sie keines Blickes, sondern steht einfach da und schaut in die Ferne.
„Hallo, Boelie“, begrüßt sie ihn.
Er nickt nur. „Ich bin letzte Woche aus dem Lager entlassen worden“, erwidert er.
„Oh. Das habe ich nicht gewusst.“
Immer noch starrt er in die Ferne.
„Möchtest du dich nicht setzen?“
Jetzt sieht er sie zum ersten Mal wirklich an. In seinen dunklen Augen kann man nichts lesen. „Hallo, Pérsomi.“ Dann setzt er sich neben sie auf die Felsen.
„Die … Leute sind da“, sagt sie.
Er nickt, blickt aber nicht zur Seite.
Es bleibt lange still, dann sagt er: „Danke für deine Briefe.“
„Gern geschehen.“
„Ich … ich finde die Sache mit Gerbrand furchtbar schlimm.“
„Danke.“
Immer noch ist auf dem Hof dort in der Tiefe keine Bewegung zu erkennen. Um sie herum ist die Gegend totenstill.
Über die Felsplatte krabbelt eine Eidechse dicht neben ihnen vorbei, den kleinen Kopf in die Höhe gereckt. „Wenn sie uns sieht, erschrickt sie sich zu Tode“, erklärt Boelie leise.
Erschrocken krabbelt die Eidechse wieder weg.
„Bist du froh, dass du wieder zu Hause bist?“, will Pérsomi wissen.
Boelie zuckt mit den Schultern. „Sicher“, antwortet er.
Sie erkennt die Anspannung in seinen Händen und in der Geschwindigkeit, mit der er seine Augen abwendet. „Es muss sehr schlimm für dich gewesen sein“, sagt sie.
Darauf sagt er nichts.
Die Stille zwischen ihnen ist angenehm. Zum ersten Mal seit Wochen scheint eine Art Ruhe über Pérsomi zu kommen, eine seltsame Art von Ruhe. Die Trauer ist noch genauso heftig, aber ihr Körper fängt an, sich zu entspannen, schlaffer zu werden, so wie bei jemandem, der sehr, sehr müde ist.
Vielleicht ist das das Definitive, von dem Beth geredet hat. Vielleicht hat der Herr Pfarrer doch recht. Oder es kommt einfach daher, dass Boelie so still neben ihr sitzt.
Es vergeht eine weitere halbe Stunde der Ewigkeit, vielleicht noch eine Stunde. Dann kommt Leben auf den Hof dort unten. Menschen treten aus der Scheune heraus und der Lastwagen rollt langsam hinter ihnen her.
Erneut spürt Pérsomi, wie sich die eiserne Faust um ihr Herz krallt. Der Lastwagen wird jetzt den holperigen Weg durch das Baumstück hinunterfahren bis zum Fluss. Von da aus werden sie zu Fuß über den Fluss weitergehen, den kahlen Hang hinauf.
Seit gestern wartet das Grab in einem kleinen Abstand vom Beiwohnerhäuschen wie eine klaffende, raue Wunde.
Langsam verschwindet der Lastwagen aus ihrem Gesichtsfeld. „Komm, lass uns irgendwohin gehen, wo wir etwas sehen können“, schlägt Boelie vor.
„Aber ich möchte nichts sehen.“
„Dann lass uns trotzdem woanders hingehen, du brauchst ja nicht hinzuschauen, wenn du nicht möchtest.“
Er steht auf und geht ein Stück nach links hinunter. Dort setzt er sich wieder in den trägen Schatten einer Gruppe wilder Obstbäume.
Nach einer Weile kommt sie nach. „Setz dich“, fordert er sie auf.
Doch sie bleibt stehen. Von hier aus können sie den Fluss sehen und auch das Beiwohnerhäuschen vor dem kahlen Hang. „Warum bist du eigentlich nicht dabei?“, will sie wissen.
Es schweigt einen langen Augenblick, bevor er antwortet: „Das sind Rotlitzen da unten, Pers.“
Sie nickt. Erst dann setzt sie sich neben ihn.
Am Fluss tauchen Leute auf. Sie sind zu weit weg, als dass man erkennen könnte, um wen es sich handelt. Die Soldaten holen den Sarg von der Ladefläche des Lastwagens und heben ihn sich auf die Schultern. Am Fluss lassen sie ihn wieder herunter und gehen vorsichtig über die Felsplatten, den Sarg zwischen sich. Dann heben sie ihn sich wieder auf die Schultern und steigen mühsam das letzte Stück den kahlen Hang hinauf.
Ein kleines Grüppchen Menschen folgt ihnen träge – die Handvoll Menschen, die an diesem drückend heißen Sommertag gekommen ist, um Gerbrand Pieterse im kahlen Hang hinter seinem Elternhaus zu begraben. Schweigend stehen sie um das Grab herum. Sie stehen dort eine lange Zeit. Nach einer Weile hebt einer der Soldaten etwas an den Mund. Durch die Stille der Landschaft hindurch hört Pérsomi eine Trompete. Die trägen Klänge wehen durch die Luft, erreichen ihre Ohren. Plötzlich fängt sie an zu zittern und ihr ganzer Körper bebt, als ob sie eine Erkältung bekäme. Schützend legt Boelie ihr den Arm um die Schultern.
Dann verstummt die Trompete wieder.
Die sechs Soldaten schultern ihre Gewehre, und sie sieht, wie die Gewehre zucken, während der Ehrensalut abgefeuert wird. Die Schüsse knallen durch die drückende Stille des Bosvelds.
Es fährt ein Schock durch Pérsomi hindurch, so als wären die Schüsse alle auf sie abgefeuert worden. Ihr ganzer Körper zuckt und der harte Panzer um ihr Herz bricht auf. Während ihr Herz blutet, zieht Boelie sie dichter an sich heran.
Dann ist erneut alles still. Heiß brennt die Sonne auf sie nieder. Sie zittert von Kopf bis Fuß. Boelie sagt nichts, er schaut nicht zu ihr, auch nicht zu dem Geschehen in der Tiefe, sondern hält sie einfach nur in seinem Arm.
Bewegungslos bleiben sie sitzen, bis alles vorbei ist, bis Jafta, Linksom und De Wet alles wieder zugeschaufelt haben, bis jeder weggegangen ist und ihre Mutter allein in dem Häuschen verschwunden ist.
Schließlich lässt Boelie seinen Arm sinken und lehnt sich zurück. „Das war es, Pérsomi“, erklärt er.
„Ja“, erwidert sie. „Jetzt ist alles vorbei.“ Auf einmal fühlt sie sich leer und todmüde. Nur der Stein in ihrer Brust wird immer größer und wächst, bis er ihr die Kehle abdrückt.
Boelie wühlt in seinen Taschen und sagt: „Hier, nimm das, ich habe dir etwas von dem Biskuit mitgebracht. Komm, lass uns zur Quelle gehen, ich habe Durst. Es ist unglaublich heiß, findest du nicht auch?“
„Ja“, antwortet sie. „Es ist sehr, sehr heiß.“
* * *
„Gehst du nicht nach Hause?“, will Boelie wissen, als die Sonne zu sinken beginnt.
„Nein.“
„Irgendwann einmal wirst du zurückmüssen.“
„Morgen. Heute Abend noch nicht.“
Als die Sonne beinahe untergegangen ist, fragt sie: „Gehst du nicht nach Hause, Boelie?“
„Nein.“
„Und wenn ich nun auch zurückgegangen wäre?“
„Dann wäre ich trotzdem noch hiergeblieben.“
Schweigend nickt sie.
Auf den Sonnenuntergang folgt immer eine kurze Zeit der Dämmerung. Das ist die Zeit, in der die Welt mit angehaltenem Atem auf das Erscheinen der ersten Sterne wartet. „So plötzlich erscheinen die Sterne“, bemerkt Pérsomi. „Es kann jeden Moment so weit sein.“
Boelie erwidert nichts, legt sich aber flach auf den Rücken und betrachtet den Nachthimmel.
Wieder beginnt der vertraute Kummer die Leere ihres Herzens zu füllen.
„Warum wärst du trotzdem noch hiergeblieben?“, will sie wissen.
„Ich brauche die Zeit“, antwortet er. „Und die Stille.“
Nach einer ganzen Weile fügt er hinzu: „Ich wollte damit nicht sagen, dass du den Mund halten sollst, verstehst du? Wenn du redest, ist das auch eine Art von Stille. Wenn du Lust hast zu reden, dann rede einfach.“
„Nein, das muss ich eigentlich nicht.“
Immer deutlicher werden die Sterne über ihnen erkennbar. „Man kann die Sterne beinahe anfassen“, sagt Pérsomi.
Vielleicht ist Gerbrand jetzt dort, aber das sagt sie nicht laut.
Wieder viel später sagt sie: „In Tobruk gibt es nur weiße Häuschen mit Flachdächern und die sind alle in Trümmer geschossen. Das hat Gerbrand schon im Juli geschrieben. Und der Hafen ist voller Öl wegen all der gesunkenen Schiffe.“
Über El Alamein schreibt Gerbrand, dass es nur eine einfache Bahnstation sei, viel kleiner noch als die Bahnstation in ihrem Dorf.
Das erzählt sie lieber nicht; denn ihr Kopf, ihr Herz und ihre Zunge möchten nichts mit El Alamein zu tun haben.
„Ich bin Gerbrand nicht böse, Pers, ich möchte, dass du das weißt“, erklärt Boelie irgendwann in der Nacht. „Gerbrand ist mein Freund gewesen, von Kindheit an, und das wird er auch für immer bleiben.“
Sie nickt in der Dunkelheit. „Du bist auf die Regierung böse“, erwidert sie. „Wegen allem, was sie unseren Afrikaanerjungen angetan haben.“
„Ja. Du verstehst es.“
Irgendwo hoch in den Felsen fängt plötzlich ein Pavianjunges schrill an zu kreischen. Der Rest der Truppe bellt und grunzt vor Missvergnügen, weil ihre Nachtruhe gestört ist. „Das ist auch so ein Volk von Streithähnen“, bemerkt Boelie.
„Gerbrand hat einmal geschrieben, dass er viel an dich denken musste, als du im Lager gesessen hast“, erzählt sie. „Er hat geschrieben, dass er sich lieber … erschießen lassen würde, als sich hinter Stacheldraht einsperren zu lassen.“
Und wieder schwappt die Traurigkeit über sie, schwillt an, dehnt sich aus. Ein Lager wird auch wieder abgebaut und der Stacheldraht zusammengerollt, denkt sie. „Die Alternative ist nur so definitiv.“
Die Traurigkeit wird nahezu übermächtig, schnell versucht sie einen Damm dagegen aufzuschütten. Sie muss an etwas anderes denken. „Fängst du jetzt mit dem Rückhaltebecken an?“, fragt sie.
„Ja-a, jedenfalls, wenn ich meinen Vater davon überzeugen kann, dorthinein Geld zu investieren“, antwortet er.
Wenn Gerbrand noch da wäre, hätte er Boelie helfen können, schießt es ihr durch den Kopf. Gerbrand ist … war sehr geschickt.
Wie Hochwasser steigt die Traurigkeit allmählich an und überspült beinahe den Damm.
„Außerdem darf ich nicht von der Farm weg“, erklärt Boelie. „Und wenn ich nicht verrückt werden will, muss ich irgendetwas zu tun haben.“
„Ja“, erwidert sie und setzt sich aufrecht hin. Es scheint so, als wolle die Traurigkeit sie mitreißen, die Flutwelle reißt ihr Herz mit, staut sich bis in ihre Herzkammern hinein.
„Eigentlich habe ich die Pläne für das Becken schon lange in der Schublade, im Lager habe ich daran gearbeitet“, erläutert Boelie und setzt sich ebenfalls aufrecht hin.
Jetzt ist die Flutwelle fast nicht mehr zu stoppen.
„Wahrscheinlich muss ich noch jemanden dazuholen, der sich mit Dynamit auskennt, um die Felsen Stück für Stück wegzusprengen. Ich habe mir die Gegend gestern einmal genauer angeschaut und da …“
Jetzt bricht der Damm und die Sturmflut spült alle Sandsäcke mit, reißt sie auf, zerschmettert sie im Strom. Eine nicht aufzuhaltende Flutwelle überspült den Damm. Verzweifelt schnappt sie nach Luft, presst sich die Hände vors Gesicht.
„Pérsomi?“
Der Damm bricht auseinander, als ob er mit Dynamit gesprengt worden wäre, und die Bruchstücke fliegen ihr um die Ohren. Ihr Körper wird auseinandergerissen. Die Schluchzer reißen sich von ihr los und ein unbeherrschbarer Weinkrampf ergreift Besitz von ihr.
Irgendwann in der endlosen Ewigkeit spürt sie Boelies starken Arm um sich. Sie dreht sich zur Seite und klammert sich an ihm fest. Nach einer ganzen Weile hat sie zum Weinen keine Kraft mehr. Ab und zu findet noch ein vereinzelter Schluchzer seinen Weg nach oben.
„Wie fühlst du dich jetzt?“, will er wissen.
„Leer.“ Sie setzt sich auf. „Tut mir leid.“
„Macht nichts.“
Lange sitzen sie schweigend nebeneinander, es ist allerdings kein unbehagliches Schweigen, sondern eine nachdenkliche Stille. „Was findest du eigentlich am schlimmsten?“, will er wissen.
„Ich wollte Gerbrand noch so vieles fragen“, antwortet sie leise. „Er war mein großer Bruder.“
„Was denn? Du kannst auch mich fragen, ich bin auch ein großer Bruder.“
„Na, zum Beispiel …“ Sie zögert einen Augenblick. „Zum Beispiel, wer wirklich mein Vater ist.“
„Darauf weiß ich auch keine Antwort“, erklärt er. „Frag doch deine Mutter.“
„Sie weigert sich, es mir zu sagen. Aber Gerbrand war damals schon alt genug, um sich vielleicht erinnern zu können, wer immer mal bei meiner Mutter zu Besuch war.“ Sie überlegt kurz. „Vielleicht hätte er es noch gewusst.“
„Hmm.“ Schweigen. „Und weiter?“
„Wie ‚und weiter‘?“
„Was hättest du Gerbrand noch fragen wollen?“
„Das weiß ich nicht mehr.“ Die Traurigkeit nimmt wieder Besitz von ihr. „Ich wollte im nächsten Jahr mit Gerbrand nach Johannesburg ziehen“, entgegnet sie dann. „Er wollte fliegen lernen, aber davor hätte er erst noch sein Zulassungsexamen bestehen müssen.“
Er überlegt eine Weile und will dann wissen: „Warum wolltest du denn nach Johannesburg ziehen?“
Ihre Kehle zieht sich wieder zu. „Um zu arbeiten“, murmelt sie gedämpft.
Wieder fängt sie zuckend an zu weinen, aus der tiefsten Tiefe ihres Seins suchen sich die Schluchzer ihren Weg. „Es tut mir leid, ich kann nichts dagegen machen“, schluchzt sie. „Ich weine … sonst … nie.“
„Ganz ruhig, Pérsomi“, tröstet er sie unbeholfen und nimmt sie wieder in den Arm. „Ganz ruhig, Pers.“
Nach einer Weile kommt sie zur Ruhe, obwohl ab und zu noch ein Zittern ihren Körper durchfährt. Boelie streicht ihr mit seinem Zeigefinger die losen Haare aus dem Gesicht. Dann legt er ihr eine Hand auf die Wange und streichelt ihr mit der anderen über den Kopf. „Es macht nichts, Pérsomi, es macht gar nichts“, sagt er, während er ihr weiterhin übers Haar streicht.
Als sie ganz leer ist, erklärt er: „Du ziehst nicht nach Johannesburg. Du bleibst hier auf der Dorfschule und machst dein Zulassungsexamen.“
Müde schüttelt sie den Kopf.
„Du lernst wie ein Weltmeister und bist darüber hinaus eine prima Sportlerin. Du bekommst mit Sicherheit ein Stipendium.“
Eine lähmende Müdigkeit durchzieht sie. Langsam schüttelt sie den Kopf. „Wir haben zu Hause nichts zu essen.“
„Die Armee wird deiner Mutter Gerbrands Pension ausbezahlen“, erwidert er nach einer Weile.
Wie von selbst bewegt sich ihr Kopf langsam hin und her. Willenlos.
„Das wird aber nur sehr wenig sein“, fügt er hinzu.
Wie von selbst nickt sie. Müde.
Er überlegt lange. Dann verkündet er: „Pérsomi, ich verspreche dir, dass wir einen Ausweg finden werden. Ich verstehe es, ich verstehe es wirklich. Aber ich verspreche dir hier und jetzt, dass du nächstes Jahr in der Prüfungsklasse sitzen wirst und im Jahr darauf dein Zulassungsexamen für die Universität ablegst.“
Die Müdigkeit übermannt sie. Ich glaube ihm, wird ihr klar – ich glaube ihm, so wie man seinem großen Bruder glaubt.
* * *
„Ich muss mich vor zehn im Polizeibüro gemeldet haben“, bemerkt er, nachdem sie lange und gierig an der Quelle Wasser getrunken haben. Die Sonne strahlt schon hoch vom wolkenlosen Himmel.
„Dann musst du jetzt weg“, entgegnet sie.
„Aber kannst du es jetzt aushalten?“
Sie schaut ihm direkt in die schwarzen Augen. „Ja, Boelie. Die Trauer ist noch nicht vorbei, aber ich kann sie jetzt aushalten“, antwortet sie ihm.
Teil 2