1. Auflage Dezember 2016
Titelbild: Agnieszka Szuba
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eISBN: 978-3-944154-47-3
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TILL BURGWÄCHTER
Schnappschildkröten auf Granufink
Wem das eigene Leben zu mausgrau wirkt, zu sehr nach Wartebereich im Straßenverkehrsamt müffelt, wer sich in der Realität fortwährend wie ein Zuschauer bei einem Heimspiel des Vfl Wolfsburg fühlt, der kann sein Dasein durch die aufregende Welt der Fetische ein wenig aufpeppen. Entweder als faszinierter Beobachter oder, bei entsprechender Neigung, als Aktiver. Schon richtig, einen Fetisch sucht man sich in den seltensten Fällen aus, der ist einfach da oder eben nicht. Manche Fetische entstehen schon sehr früh im Leben, andere bilden sich erst später aus. Woher die Fetische kommen, warum sie erst ins Hirn und dann in den Unterleib dringen, weiß niemand so genau, es ist halt einfach so. Wobei es natürlich Unterschiede gibt, vor allem hinsichtlich der Durchführbarkeit.
Die gängigsten Formen des Fetischismus konzentrieren sich auf unbelebte Objekte oder (bisweilen) belebte Körperteile. Unbelebte Objekte sind in der Regel Stoffe wie zum Beispiel Lack, Leder, Pelz, Latex oder Gummi. Aber auch ganz bestimmte Kleidungsstücke wie Socken, Strumpfhosen, Regenmäntel oder Birkenstock-Sandalen sind hoch im Trend. Noch spezieller wird es, wenn sich der Fetisch auf die Bekleidung einer bestimmten Berufsgruppe konzentriert. Polizisten, Krankenschwestern, Piloten oder Feuerwehrmänner sind häufig anzutreffen, der graue Hausmeisterkittel, seltener, aber durchaus auch. Ob beim Rollenspiel mit diesem Utensil Sätze wie «Los Herr Krause, wechsle mir die Glühbirne im Flur, die flackert schon seit zwei Wochen», fallen, ist dem Verfasser dieser Zeilen leider nicht bekannt. Vereinzelt treten auch Liebhaber der so genannten Schamkapsel auf. Diese war allerdings schon vor über 500 Jahren en vogue und hatte ursprünglich eine durchaus sinnvolle Aufgabe zu erfüllen. Denn während der Körper und der Kopf der tapferen Rittersleute geschützt waren, konnte der Gegner ausgerechnet im Genitalbereich mit Lanze, Spieß oder Pike zustechen, was beim Angegriffenen, das dürfen wir mal als gegeben ansehen, selten für Begeisterung sorgte. Deshalb wurde die Schamkapsel entwickelt, anfangs nur eine einfache Erweiterung der Rüstung. Die Herren der Schöpfung kamen aber schnell dahinter, dass sich mit diesem Ding im wahrsten Sinne des Wortes prächtig einer auf dicke Hose machen ließ. Und so wurde die Schamkapsel unverhältnismäßig vergrößert und verziert. Manche gaben ihr gar die Form einer Gurke. Logisch, dass da die anderen Männer, die beruflich anderweitig orientiert waren, nachziehen mussten. Und so gab es bald auch Stoffhosen mit massiver Rohrverstärkung. Ende des 16. Jahrhunderts verschwand der Blickfang aus der Mode und ward nie wieder gesehen. Deshalb müssen heute lebende Anhänger dieser Fetisches auch ziemlich kreativ werden (oder sich einfach einen Porsche kaufen). Sollten Sie, liebe Leser, mal einen Mann in Ritterrüstung durch die Innenstadt stapfen sehen, loben Sie ihn bitte unbedingt für seine mächtige Schamkapsel. Das macht ihn sicher glücklich.
Die Fokussierung auf bestimmte Körperteile wie Beine, Füße, Brüste, Achselhöhlen, Hüftknochen, Hinterteile oder Ohren erklärt sich hingegen von selbst. Na ja, vielleicht nicht so ganz. Psychologen streiten bis heute darum, wie speziell diese Sehnsucht nach ausgewählten Regionen des Körpers zustande kommt. Eine beliebte Theorie ist jene, die besagt, dass dem Fetischisten sein Ziel aller Träume als Kind zu früh entrissen wurde. Bei der Brust durchaus nachvollziehbar, bei Achselhöhlen bedarf es allerdings schon eines gewissen Maßes an Fantasie. Und wer leidet schon Höllenqualen, weil Mama ihre Ohren immer hinter ihrer blonden Mähne versteckt hat? Und vor allem, was kann man mit den Lauschlappen schon groß anstellen? Obwohl, das wollen wir vielleicht lieber gar nicht so genau wissen.
Manch ein Menschenkind konzentriert sich lieber auf den handwerklichen Bereich, wo damit nicht unbedingt die Sado-Maso-Schiene gemeint ist. Vielmehr lieben diese Exemplare bestimmte Stoffe, die gemeinhin eher im Werkunterricht zu vermuten sind. Zum Beispiel Holz, ein wirklicher schöner Rohstoff, der bei manchen Mitbürgern allerdings erotische Synapsen zum Vibrieren bringt. Die Ausgestaltung ist auch hier mannigfaltig, manche fühlen sich bei einem simplen Waldspaziergang wie im Mittelpunkt einer römischen Orgie. Andere wiederum brauchen das Holz möglichst nah an ihrem Körper. Zu diesem Zwecke begeben sie sich in die Garage oder in den Bastelraum und sägen sich mal eben das passende zurecht. Unterhosen und Strümpfe dürften selbst für geschickte Bastler ein wenig schwierig werden, aber andere Accessoires wie Krawatten, Broschen oder Knöpfe sind machbar. Apropos Knöpfe, es gibt wohl auch eine kleine Gruppe von Männern, die darauf steht, sich Knöpfe unter die Vorhaut zu schieben, um dann zu onanieren. Wunder der Evolution!
Ein weiterer beliebter Werkstoff ist Gips. Wo andere Menschen froh sind, die Notaufnahme nur aus der Entfernung sehen zu müssen, schmieren sich diese Kandidaten mit Wonne mit diesem Mineralstoff ein, lassen ihn aushärten und marschieren damit in der Öffentlichkeit umher, damit sie geil werden. Andere wiederum lieben nur das Gefühl des feuchten Gipses an ihren Händen oder unterhalb der Gürtellinie und schütten sich regelmäßig eine Portion in den Schritt. Ob das Aushärten und Abziehen dabei ebenfalls Lust erzeugt, wird wieder von Einzelfall zu Einzelfall entschieden. Zumindest wäre es mal interessant zu erfahren, wie viele solcher Gips-Fetischisten wirklich Ärzte oder Krankenschwestern geworden sind. Oder Stuckateure.
Ein bisschen schwieriger gestaltet sich das Leben für Menschen, die sich selbst als «Amelos» bezeichnen, wobei der Klang dieses Wortes skurrilerweise schon in die richtige Richtung deutet. Und nein, es handelt sich dabei nicht um die Pazifisten (auf die Betonung achten), sondern um Damen und Herren, deren sexuelle Präferenz es ist, sich zu gehandicapten Personen hingezogen zu fühlen. Und zwar solchen, denen Gliedmaße fehlen. Deshalb wird diese Neigung auch Amputationsfetischismus genannt. Nun gibt es auf der Welt leider (oder gottlob, je nach Sichtweise) eine ganze Menge Menschen, denen eine Hand, ein Arm, ein Bein oder noch mehr abhanden gekommen ist. Aber viele dieser Amputierten finden es irgendwie gar nicht schmeichelhaft, wenn sie und ihre sexuelle Anziehungskraft ausschließlich auf etwas reduziert werden, was gar nicht (mehr) da ist. Deshalb kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen «Amelos» und Gehandicapten, auch wenn es auf der anderen Seite durchaus erfüllte Kooperationen und/oder Beziehungen gibt. Wer keine Geduld oder keinen Mut hat, sich auf dem Markt der Kriegsversehrten oder in der Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses umzuschauen und jetzt sofort ganz dringend eine Amputation benötigt, der greift mal eben zur Laubsäge und erledigt das an sich selbst. Ja, auch diese Fälle sind bekannt. Der Nachteil an dieser Methode: Wer auf gekappte Hände oder Füße steht, hat maximal vier glückliche Momente, danach geht das Material aus. Und da Menschen keine Eidechsen sind, deren Schwanz nach Abwurf von alleine nachwächst, war es das dann für immer. Eine ziemlich anstrengende Präferenz mit nicht zu unterschätzendem Schmerzpotenzial.
Dann doch lieber einen nachhaltigen Rohstoff zu seiner Gottheit erklären, wie wäre es zum Beispiel mit Schweiß? Was kann es Heißeres geben, als im Hochsommer mit Skiunterwäsche, in Daunenjacke und gefütterten Stiefeln durch die Altstadt zu latschen und sich an der eigenen Marinade zu erfreuen? Für die meisten Menschen eine ganze Menge, aber auch der Wärmefetisch hat seine Anhänger. Wenn sich der Nachbar eine Sauna ins Bad einbauen lässt, muss das also nicht zwangsläufig etwas mit einem Gesundheitsfimmel zu tun haben. Vielleicht möchte er oder sie auch einfach nur durchgehend vor sich hin saften. Selbiges geht natürlich auch in der überfüllten U-Bahn, wobei wir uns dann schon wieder im Bereich zweier anderer Fetische bewegen. Der Toucheurist liebt es, Fremde zu berühren, die ihre Einwilligung dazu nicht gegeben haben. Wer sich dem Frotteurismus hingibt, geht noch einen Schritt weiter. Hier geht es darum, den eigenen Körper an den erogenen Zonen des Gegenübers zu reiben, sich quasi in den siebten Himmel zu schubbern. Allerdings auch ohne Genehmigung des Reibesubjektes. Eine ganz schön gefährliche Neigung, denn gerade in der U-Bahn oder im ausverkauften Stadion ist nicht immer zu erkennen, ob der 150-Kilo-Klops neben der ausgewählten Dame nicht doch zufällig ihr Lover ist, der es minder unterhaltsam findet, wenn dahergelaufene Frotteuristen sein Schätzchen als Rubbellos missbrauchen. Ein Besuch im Zoo erscheint da doch schon viel entspannter. Obwohl das auch nicht für jeden Menschen gilt. Gewisse Gruppen werden an diesem Ort, wo die Paviane ihre nackten Hintern präsentieren als wären sie Tapferkeitsmedaillen aus dem Afrikafeldzug oder die frechen kleinen (vierbeinigen) Luder aus dem Streichelzoo keck durch das Gatter lugen, ganz hibbelig und wollen den Viechern ans Fell. Zoophilie oder Sodomie ist per Definition streng genommen kein Fetisch, sondern eine Paraphilie, wobei die Grenzen da mittlerweile verschwimmen. So oder so, die Leberwurst im Schritt, damit Hasso schwanzwedelnd beigeht, ist ganz schön harter Tobak. Deshalb hat die erfindungsreiche Sextoy-Industrie da ein paar Angebote. Wer will, kann sich eine aus Gummi nachgebildete Wildschweinschnauze in der richtigen Höhe an die Innenwand seiner Duschkabine pappen. Ganz mutige wählen das Modell «Rüssel des afrikanischen Elefanten» und erleben einfach mal nach, wie sich Dönerfleisch am Spieß fühlen muss. So genannte «Petplayer» wiederum benötigen keinen sexuellen Kontakt zu Tieren, sie wären einfach nur selber gerne Pferd, Hund oder Ameisenbär und (ver)kleiden sich entsprechend. Ernst wird es nur bei denen, die unbedingt ein Schlachtschwein sein wollen und sich bei ihren Sessions extreme Wunden zufügen lassen, um sich möglichst authentisch in die Welt des Fleischgroßhandels einfühlen zu können. Ob diese Menschen alle vegetarisch oder vegan leben, ist nicht belegt. Aber es wäre zumindest nachvollziehbar.
Der Verfasser dieser Zeilen hält von alledem im Übrigen nichts, sondern präferiert den simplen, gewöhnlichen Sex. Immer sonntags ziehe ich mir mein Robbenkostüm aus Naturfell über, füttere meine Schnappschildkröten mit Granufink (die wollen das doch auch) und lasse mich dann von meinem asexuellen Nachbarn in gebrauchte Frischhaltefolie einwickeln, während im Fernsehen zwingend ein alter Film mit Theo Lingen laufen muss. Ach ja, Normalität kann so entspannend sein.