Das Buch

Harry stand vor dem orange-weißen Absperrband, als vor ihm ein Fenster im Hochparterre des Hauses aufging.

Katrine Bratt streckte den Kopf heraus.

»Lassen Sie ihn rein«, rief sie dem jungen Beamten zu, der ihm den Weg versperrte.

»Er kann sich nicht ausweisen«, protestierte der Polizist.

»Das ist Harry Hole«, rief Katrine.

»Wirklich?« Der Mann musterte Harry von Kopf bis Fuß, bevor er das Absperrband anhob. »Ich dachte, Sie wären bloß eine Legende«, sagte er.

Kommissar Harry Hole unterrichtet an der Polizeihochschule Oslo, seine Vorlesungen und Seminare sind überfüllt, denn seine Ermittlungserfolge waren spektakulär. Der Spezialist für Serienmorde hat die größten Kriminalfälle Norwegens gelöst und eine Verschwörung innerhalb der norwegischen Polizei aufgedeckt. Obwohl er inzwischen ein ganz anderes Leben führt, kann er sich dem Sog des Vampiristen-Falls nicht entziehen, der in Oslo die Schlagzeilen bestimmt. Harry Hole ist wieder im Spiel.

Der Autor

Jo Nesbø, 1960 geboren, ist Ökonom, Schriftsteller und Musiker. Er gehört zu den renommiertesten und erfolgreichsten Krimiautoren weltweit. Die Hollywood-Verfilmung seines Romans Schneemann wird von Martin Scorsese produziert.

Jo Nesbø lebt in Oslo.

www.nesbo.de

www.jonesbo.com

Von Jo Nesbø sind in unserem Hause bereits erschienen:

Fledermausmann (Harry Holes 1. Fall)
Kakerlaken (Harry Holes 2. Fall)
Rotkehlchen (Harry Holes 3. Fall)
Fährte (Harry Holes 4. Fall)
Das fünfte Zeichen (Harry Holes 5. Fall)
Erlöser (Harry Holes 6. Fall)
Schneemann (Harry Holes 7. Fall)
Leopard (Harry Holes 8. Fall)
Larve (Harry Holes 9. Fall)
Koma (Harry Holes 10. Fall)
Durst (Harry Holes 11. Fall)
Messer (Harry Holes 12. Fall)

Außerdem:

Headhunter
Der Sohn
Blood on Snow. Der Auftrag · Blood on Snow. Das Versteck



Übersetzt von Günther Frauenlob, Jahrgang 1965. Er arbeitet seit über 20 Jahren als literarischer Übersetzer für Norwegisch und Dänisch. Zu den von ihm übersetzten Autoren zählen u. a. Lars Mytting und Gard Sveen. Er lebt in Waldkirch in der Nähe von Freiburg.

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JO NESBØ

DURST

KRIMINALROMAN

Aus dem Norwegischen
von Günther Frauenlob

Verlagsqualität Ullsteinbuchverlage

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Die Originalausgabe erschien 2017

unter dem Titel Tørst

bei Aschehoug, Oslo.


ISBN 978-3-8437-1482-2


© 2017 by Jo Nesbø

© der deutschsprachigen Ausgabe

2017 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

Published by agreement with Salomonsson Agency

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Titelabbildung: plainpicture/© Ilona Wellmann (Landschaft mit Mann); Shutterstock / © Le Panda (Ausfransung); © Archiv Büro Jorge Schmidt (Hintergrund)

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Prolog

Er starrte in das weiße Nichts.

Wie er es seit bald drei Jahren tat.

Er sah niemanden, und niemand sah ihn. Abgesehen von den kurzen Augenblicken, in denen die Tür aufging und so viel Dampf entwich, dass er hin und wieder einen nackten Mann erkennen konnte, bevor die Tür sich wieder schloss und alles erneut in Nebel versank.

Das Bad würde bald schließen. Er war allein.

Er schlug das weiße Handtuch enger um die Brust, stand von der Holzbank auf, verließ den Raum, zog den Bademantel über und ging an dem leeren Becken vorbei in die Umkleide.

Keine plätschernde Dusche, keine türkischen Floskeln, keine nackten Füße auf den Fliesen. Er betrachtete sich im Spiegel. Berührte mit dem Finger die Narbe der letzten Operation. Er hatte eine Weile gebraucht, sich an das neue Gesicht zu gewöhnen. Seine Finger fuhren am Hals entlang und über die Brust, verharrten dort, wo das Tattoo anfing.

Er öffnete das Schloss am Umkleideschrank, zog sich die Hose an und schlüpfte in seinen Mantel, ohne vorher den noch feuchten Bademantel auszuziehen. Band sich die Schuhe. Er versi­cherte sich noch einmal, dass er allein war, und trat an den Umkleideschrank mit dem blauen Punkt auf dem Vorhängeschloss. Stellte die Nummer 0999 ein, nahm das Schloss ab und öffnete den Schrank. Einen Moment lang betrachtete er den großen, schönen Revolver, der darin lag. Dann legte er die Finger um den rotbraunen Schaft und steckte die Waffe in die Jackentasche. Er nahm den Umschlag und öffnete ihn. Ein Schlüssel, eine Adresse und ein paar weitere Informationen.

Und noch etwas lag im Schrank.

Etwas Schwarzes, aus Eisen.

Er hielt es ins Licht und bewunderte fasziniert die schmiedeeiserne Arbeit.

Er würde es gründlich reinigen müssen, bürsten, und spürte die Erregung, es endlich benutzen zu dürfen.

Drei Jahre. Drei Jahre in diesem weißen Nichts, dieser Leere einförmiger Tage.

Es war höchste Zeit, wieder vom Leben zu kosten.

An der Zeit, zurückzukehren.

Harry schrak aus dem Schlaf. Er starrte ins Halbdunkel des Zimmers. Da war er wieder, dieser Mann, er war zurück, er war hier.

»Wieder ein Alptraum, Liebster?« Die flüsternde Stimme neben ihm war ruhig und warm.

Er drehte sich zu ihr. Ihre braunen Augen musterten ihn. Und die Erscheinung verblasste und verschwand.

»Ich bin hier«, sagte Rakel.

»Und ich bin hier«, sagte er.

»Wer war es dieses Mal?«

»Niemand«, log er und legte seine Hand auf ihre. »Schlaf wieder ein.«

Harry schloss die Lider. Wartete, bis er sich sicher war, dass auch sie die Augen wieder geschlossen hatte, bevor er seine aufschlug und ihr Gesicht betrachtete. Dieses Mal hatte er ihn in einem Wald gesehen. Ein Moor mit weißen Nebelfetzen. Er hatte die Hand gehoben und etwas auf Harry gerichtet. Der tätowierte Dämon auf seiner nackten Brust war deutlich zu erkennen ge­wesen, bis der Nebel dichter geworden war und ihn verschluckt hatte. Wieder einmal.

»Ich bin hier«, flüsterte Harry Hole.

Teil I

Kapitel 1

Mittwochabend

Die Jealousy Bar war beinahe leer, und doch war die Luft drinnen zum Schneiden.

Mehmet Kalak beobachtete den Mann und die Frau, die am Tresen saßen, während er ihnen Wein einschenkte. Vier Gäste insgesamt. Der dritte saß allein an einem Tisch und trank winzige Schlucke von seinem Bier, und vom vierten sah er nur die Spitzen der Cowboystiefel, die aus einer der seitlichen Nischen des Lokals ragten. In dem schwachen Lichtschein über dem Tisch leuchtete hin und wieder ein Handydisplay auf. Vier Gäste, und das im September, abends um halb zwölf in der besten Kneipengegend Grünerløkkas. So durfte das nicht weitergehen. Manchmal fragte er sich ernsthaft, was ihn geritten hatte, seinen Job als Barchef in einem der angesagtesten Hotels der Stadt aufzugeben, um dieses heruntergekommene Lokal mit seiner versoffenen Klientel zu übernehmen. Hatte er wirklich geglaubt, er müsse nur die Preise anheben, um die alten Gäste durch bessere Kundschaft ersetzen zu können? Mittdreißiger aus dem Viertel mit viel Geld und wenig Problemen. Oder hatte er nach der Trennung einfach einen Ort gesucht, an dem er sich zu Tode arbeiten konnte? Vielleicht war der ausschlaggebende Punkt am Ende einfach das verlockende Angebot des Kredithais Danial Banks gewesen, nachdem bereits alle Banken abgewunken hatten. Oder die Tatsache, dass er in der Jealousy Bar ganz allein über die Musik bestimmen konnte und nicht irgendein bescheuerter Hotelchef, für den nur das Klingeln der Kasse Musik war. Zumindest war es ihm gelungen, die alten Stammgäste loszuwerden, sie hatten Zuflucht in einer billigen Kneipe drei Straßen weiter gefunden. Vielleicht musste er, um an neue Gäste zu kommen, sein Konzept noch einmal überdenken. Möglicherweise reichte ein Fernseher mit dem türkischen Fußballkanal nicht, um sich Sportsbar nennen zu können. Und was die Musik anging, musste er vielleicht mehr auf Mainstream setzen, U2 und Springsteen für die Männer und Coldplay für die Frauen.

»Ich hatte ja noch nicht so viele Tinder-Dates«, sagte Geir und stellte das Weinglas wieder auf den Tresen. »Trotzdem habe ich schon gemerkt, dass da eine Menge merkwürdiger Leute unterwegs ist.«

»Ach ja?«, sagte die Frau und unterdrückte ein Gähnen. Sie hatte blonde, kurze Haare. Mitte dreißig, dachte Mehmet. Schnelle, etwas hektische Bewegungen. Müde Augen. Vermutlich arbei­tete sie zu viel und versuchte das dann mit ebenso viel Sport zu kompensieren, um zu entspannen und wieder zu Kräften zu kommen. Wohl ohne Erfolg, dachte Mehmet und beobachtete, wie Geir das Glas mit drei Fingern am Stiel hielt, genau wie die Frau. Bei all seinen Tinder-Dates hatte er konsequent dasselbe bestellt wie die Frau, mit der er gekommen war. Von Whisky bis zu grünem Tee. Bestimmt wollte er damit signalisieren, wie gut sie auch in diesem Punkt zueinanderpassten.

Geir räusperte sich. Es waren sechs Minuten vergangen, seit die Frau die Kneipe betreten hatte, und Mehmet wusste, dass Geir jetzt zur Sache kommen würde.

»Du bist viel schöner als auf deinem Profilbild, Elise«, sagte er.

»Sagtest du bereits, aber trotzdem danke.«

Mehmet spülte ein Glas und tat so, als hörte er nicht zu.

»Sag mal, Elise, was erwartest du vom Leben?«

Sie lächelte etwas herablassend. »Einen Mann, der nicht nur auf das Äußere fixiert ist.«

»Wie recht du hast, ich bin ganz deiner Meinung, Elise, die inneren Werte zählen.«

»Das war ein Scherz. Ich bin auf meinem Profilbild viel attraktiver als in Wirklichkeit, und ich würde mal sagen, dass das auch auf dich zutrifft, Geir.«

»Hmm«, sagte Geir, lachte überrumpelt und starrte in sein Weinglas. »Ist doch ganz normal, dass man ein Foto nimmt, auf dem man gut getroffen ist. Du suchst also einen Mann. Was für einen Mann?«

»Einen, der gerne auch mal mit drei Kindern zu Hause bleibt.« Sie sah auf die Uhr.

»Haha.« Geir begann zu schwitzen. Sein glattrasierter Schädel glänzte bereits. Bald würden sich die ersten Schweißflecken auf seinem schwarzen Hemd abzeichnen, Schnitt Slimfit. Seltsam eigentlich, da er weder slim noch fit war. Er drehte das Glas in der Hand. »Elise, du hast genau meinen Sinn für Humor, auch wenn mir mein Hund im Moment als Familie reicht. Magst du Tiere?«

Tanrim, dachte Mehmet, er redet sich um Kopf und Kragen.

»Ob eine Frau die Richtige ist, spüre ich. Hier … und hier …« Er lächelte, senkte die Stimme und zeigte auf seinen Schritt. »Aber was das angeht, muss man ja erst einmal überprüfen, ob es auch stimmt. Oder was meinst du, Elise?«

Mehmet schüttelte sich innerlich. Geir setzte alles auf eine Karte und fuhr die Sache wieder einmal mit Vollgas gegen die Wand.

Die Frau schob das Weinglas zur Seite und beugte sich etwas zu Geir hinüber, so dass Mehmet sich anstrengen musste, ihre Worte zu verstehen.

»Kannst du mir eins versprechen, Geir?«

»Natürlich.« Sein Blick und seine Stimme hatten etwas Erwartungsvolles, als wäre er ein bettelnder Hund.

»Dass du, wenn ich jetzt gehe, nie wieder versuchst, Kontakt zu mir aufzunehmen?«

Mehmet konnte Geir nur dafür bewundern, dass er sich noch ein Lächeln abrang.

»Natürlich.«

Die Frau lehnte sich wieder zurück. »Nicht weil du wie ein Stalker wirkst, Geir, aber ich habe schon mal schlechte Erfahrungen gemacht, weißt du. Ein Typ hat mich hinterher verfolgt und sogar den Mann bedroht, mit dem ich später zusammen war. Ich hoffe, du verstehst, dass ich ein bisschen vorsichtig geworden bin.«

»Na klar.« Geir führte sein Glas an den Mund und leerte es. »Wie gesagt, da sind einige verdammt merkwürdige Leute unterwegs. Aber du musst keine Angst haben, dir passiert nichts. Statistisch gesehen ist das Risiko, ermordet zu werden, für einen Mann viermal höher als für eine Frau.«

»Danke für den Wein, Geir.«

»Sollte einer von uns dreien«, Mehmet gab sich Mühe, rasch wegzusehen, als Geir auf ihn zeigte, »heute Abend ermordet werden, stehen die Chancen, dass du das bist, eins zu acht. Oder Moment, da hab ich noch nicht einberechnet, dass …«

Sie stand auf. »Ich hoffe, du kommst noch drauf, Geir. Leb wohl.«

Noch eine ganze Weile, nachdem sie gegangen war, starrte Geir in sein Weinglas und nickte im Takt zur Musik, als wollte er Mehmet und allen möglichen weiteren Zeugen signalisieren, dass er längst über die Sache hinweg und diese Frau nicht mehr als ein dreiminütiger Popsong war, der ebenso schnell auch wieder in Vergessenheit geriet. Dann stand er auf, ohne sein Glas noch einmal zu berühren, und ging. Mehmet sah sich um. Die Cowboystiefel und der Typ, der quälend langsam sein Bier getrunken hatte, waren verschwunden. Er war allein. Plötzlich bekam er auch wieder Luft. Mit dem Handy wechselte er die Playlist und stellte endlich seine Musik an. Bad Company. Mit Musikern von Free, Mott the Hoople und King Crimson, einfach nur gut. Und mit Paul Rodgers als Leadsänger sowieso. Mehmet drehte die Lautstärke so hoch, dass die Gläser hinter dem Tresen zu klirren begannen.

Elise ging die Thorvald Meyers gate hinunter. Rechts und links erhoben sich dreistöckige Häuser. Früher war das mal eine billige Arbeitergegend in einem der ärmsten Viertel einer armen Stadt gewesen. Heute kostete hier der Quadratmeter dasselbe wie in London oder Stockholm. September in Oslo. Die Dunkelheit war endlich zurück und die langen, irritierend hellen Sommernächte mit dem hysterisch-munteren Treiben bis zum nächsten Sommer Geschichte. Im September zeigte Oslo wieder seinen wahren Charakter: melancholisch, zurückhaltend, effizient. Eine solide Fassade, aber nicht ohne dunkle Ecken und Geheimnisse. Wie sie selbst. Sie beschleunigte ihre Schritte. Regen hing in der Luft, Nebel. Als würde Gott niesen, wie eine ihrer Männerbekanntschaften gesagt hatte. Wohl in dem Versuch, poetisch zu sein. Sie sollte diese Tinder-Scheiße wirklich lassen. Morgen. Es reichte. Sie hatte genug von Kneipen und geilen Kerlen, unter deren Blicken sie sich immer wie eine Nutte fühlte. Genug von verrückten Psychopathen und Stalkern, die sich festsaugten wie Zecken, ihr Zeit und Energie raubten, sie verun­sicherten. Genug von all den erbärmlichen Verlierern, in deren Nähe sie sich fühlte wie eine von ihnen.

Es hieß, Onlinedating sei das Nonplusultra, um jemanden kennenzulernen, und dass man sich dafür längst nicht mehr schämen müsse, da das ja alle täten. Aber das stimmte nicht. Menschen trafen einander auf der Arbeit, im Lesesaal der Uni, bei Freunden, beim Training, in Cafés, im Flugzeug, Bus, Zug. Sie begegneten sich, wie es sich gehörte, entspannt, ohne Druck, mit einer romantischen Illusion von Unschuld, Reinheit, in einer Laune des Schicksals. Sie wollte diese Illusion, wollte ihr Tinder-Konto löschen. Das hatte sie sich schon oft vorgenommen, aber dieses Mal würde sie es wirklich tun. Noch an diesem Abend.

Sie überquerte die Sofienberggata, nahm den Schlüssel heraus und schloss die Haustür gleich neben dem Gemüseladen auf. Sie öffnete sie, trat in den dunklen Flur und blieb wie angewurzelt stehen.

Da standen zwei.

Sie brauchte ein paar Sekunden, bis sich ihre Augen so weit an die Dunkelheit gewöhnt hatten, dass sie erkennen konnte, was die beiden machten. Ihre Hosenställe waren offen, und sie hielten ihre Schwänze in der Hand.

Sie wich nach hinten zurück, ohne sich umzudrehen, hoffte im Stillen, dass niemand hinter ihr stand.

»Verfluchtscheißeohsorry!« Der seltsame Ausruf, Fluch und Entschuldigung in einem, kam von einer jungen Stimme, achtzehn, vielleicht zwanzig, tippte Elise. Und ganz sicher nicht nüchtern.

»Ey!«, rief der andere. »Du pisst auf meine Schuhe.«

»Ich hab mich erschreckt.«

Elise schlug den Mantel enger um sich und lief eilig an den jungen Männern vorbei, die sich wieder zur Wand gedreht hatten. »Das ist kein Pissoir hier!«, schimpfte sie.

»Sorry, war dringend. Wird nicht wieder vorkommen.«

Geir hastete in Gedanken über die Schleppegrells gate. Es stimmte nicht, dass bei zwei Männern und einer Frau das Risiko für die Frau, ermordet zu werden, bei eins zu acht lag, so einfach war die Rechnung nicht. Warum musste alles immer so kompliziert sein?

Er war an der Romsdalsgata vorbeigelaufen, als ihn irgendetwas bewog, sich umzudrehen. Etwa fünfzig Meter hinter ihm ging ein Mann. Er war sich nicht ganz sicher, aber war das nicht der Typ, der auf der anderen Straßenseite das Schaufenster betrachtet hatte, als er aus der Jealousy Bar herausgekommen war? Geir legte einen Zahn zu und lief nach Osten in Richtung Dælenenga und Schokoladenfabrik. Es war kein Mensch auf der Straße, aber an der Haltestelle stand ein Bus. Vermutlich war er etwas zu früh dran und musste warten. Geir sah sich um. Der Typ war noch immer hinter ihm, in gleichbleibendem Abstand. Geir hatte Angst vor dunkelhäutigen Menschen, das war von Anfang an so gewesen, dabei konnte er den Mann gar nicht richtig erkennen. Sie waren dabei, den weißen, gentrifizierten Bereich des Viertels zu verlassen und näherten sich den Sozialwohnungen mit den Massen von Ausländern. Geir sah bereits das Haus, in dem er wohnte. Hundert Meter noch. Als er sich wieder umdrehte, bemerkte er, dass der Mann hinter ihm schneller lief. Aus Angst, einen traumatisierten, aus Mogadischu geflohenen Somalier hinter sich zu haben, begann auch Geir zu rennen. Er war seit Jahren nicht mehr so schnell gelaufen, und bei jedem Schritt hämmerte es in seinem Kopf. Er erreichte sein Ziel, fand auf Anhieb das Schlüsselloch, schlüpfte ins Haus und warf die schwere Tür hinter sich zu. Keuchend lehnte er sich gegen das feuchte Holz, seine Beinmuskulatur brannte. Er drehte sich um und warf einen Blick durch das kleine Glasfenster in der Haustür, das sich auf Augenhöhe befand. Er sah niemanden. Vielleicht war das ja gar kein Somalier gewesen. Geir musste lachen. Verdammt, wie schreckhaft man werden konnte, wenn man über Mord redete. Oder hatte es damit zu tun, was Elise über diesen Stalker gesagt hatte?

Geir war noch immer außer Atem, als er seine Wohnungstür aufschloss. Er nahm ein Bier aus dem Kühlschrank, sah, dass das Küchenfenster offen war, und schloss es. Dann ging er in sein Arbeitszimmer und schaltete die Lampe ein.

Er drückte eine Taste auf der Tastatur des PCs, und der große 20-Zoll-Bildschirm erwachte.

Er setzte sich davor, tippte »Pornhub« und »French« ins Suchfeld, suchte die Fotos durch, bis er eines mit einer Frau fand, die Elises Haarfarbe und Frisur hatte. Die Wohnung hatte dünne Wände, so dass er sich die kleinen PC-Kopfhörer in die Ohren steckte, bevor er das Bild anklickte, die Hose aufmachte und über die Knie nach unten zog. Die Frau ähnelte Elise so wenig, dass Geir irgendwann die Augen schloss und sich auf das Stöhnen konzentrierte, während er gleichzeitig versuchte, an Elises schmalen, etwas strengen Mund, ihren höhnischen Blick und die korrekte, aber trotzdem sexy Bluse zu denken. Nur so konnte er sie haben. Sonst niemals.

Geir hielt inne. Öffnete die Augen. Ließ seinen Schwanz los und spürte, wie sich ihm die Nackenhaare in dem kalten Luftzug, der durch die Tür drang, aufstellten. Er war sich ganz sicher, die Tür geschlossen zu haben. Er hob die Hand, um die Ohrstöpsel rauszuziehen, wissend, dass es zu spät war. Viel zu spät.

Elise legte die Sicherheitskette vor, streifte im Flur die Schuhe ab und fuhr wie gewohnt mit dem Zeigefinger über das Foto von sich und ihrer Nichte Ingvild, das im Rahmen des Spiegels klemmte. Sie wusste nicht wirklich, warum sie das tat, es war ihr einfach ein tiefes Bedürfnis, genau wie sie sich immer wieder die Frage stellte, was eigentlich nach dem Tod mit den Menschen geschah. Sie ging ins Wohnzimmer ihrer kleinen, gemütlichen Zweizimmerwohnung und legte sich aufs Sofa. Warf einen Blick auf ihr Handy. Eine SMS von der Arbeit. Die Sitzung am nächsten Morgen war abgesagt. Sie hatte dem Typ, den sie gerade getroffen hatte, nicht gesagt, dass sie als Anwältin für Vergewal­tigungsopfer arbeitete. Und dass die Statistik, dass Männer häufiger ermordet wurden, nicht stimmte. Bei sexuell motivierten Morden waren Frauen viermal häufiger die Opfer. Genau deshalb hatte sie gleich nach ihrem Einzug das Schloss ausgewechselt und die Sicherheitskette montieren lassen, mit deren Mechanismus sie noch immer zu kämpfen hatte, wenn sie die Kette vorlegen oder lösen wollte.

Sie öffnete Tinder. Drei der Männer, die sie am frühen Abend markiert hatte, hatten reagiert. Genau das war das Faszinierende an diesem Spiel. Es ging nicht darum, sie zu treffen, sondern zu wissen, dass es sie irgendwo dort draußen gab und dass diese Männer sie wollten. Sollte sie sich einen letzten kleinen Flirt gönnen? Einen letzten virtuellen Dreier mit ihren noch verbliebenen Kandidaten, ehe sie ihr Konto und die App endgültig löschte?

Nein. Jetzt löschen.

Sie öffnete das Menü, tippte die entsprechenden Befehle ein und wurde zu guter Letzt gefragt, ob sie ihr Konto wirklich endgültig löschen wollte.

Elise starrte auf ihren Zeigefinger. Er zitterte. Mein Gott, war sie inzwischen abhängig? Abhängig von dem Kick, dass da draußen jemand war, der sie wollte, ohne zu wissen, wer oder wie sie war? Sie kannten alle nur ihr Profilbild. War sie tatsächlich abhängig oder nur angetriggert? Das würde sie herausfinden, wenn sie ihr Konto jetzt löschte und sich fest vornahm, einen Monat ohne Tinder auszukommen. Einen Monat. Wenn sie das nicht schaffte, lief wirklich etwas grundverkehrt mit ihr. Der zitternde Finger näherte sich der Delete-Taste.

Und wenn sie abhängig war? Wäre das so schlimm? Wir wollen doch alle begehrt werden und jemanden haben. Sie hatte gelesen, dass ein Säugling sogar sterben konnte, wenn er nicht ein Minimum an Hautkontakt bekam. Sie bezweifelte zwar, dass das stimmte, fragte sich andererseits aber auch, was der Sinn des Lebens war, wenn es nur aus Arbeit bestand, die ­einen auffraß, und ein paar sogenannten Freunden, die sie nur aus Pflichtgefühl traf oder weil die Angst vor der Einsamkeit sie mehr quälte als das ewige Gejammer dieser Menschen über Kinder, Männer oder die Abwesenheit von mindestens einem davon. Und vielleicht war ihr Traummann ja gerade jetzt bei Tinder? Also, okay, eine letzte Runde. Das erste Bild, das aufpoppte, wischte sie nach links in den Mülleimer, in das Feld »Dich will ich nicht«. Ebenso das zweite. Und das dritte.

Ihre Gedanken kreisten in immer weiteren Bahnen. Sie war bei dem Vortrag eines Psychologen gewesen, der engen Kontakt zu einigen der schlimmsten Sexualverbrecher des Landes hatte. Er hatte berichtet, dass Männer für Sex, Geld und Macht töteten, Frauen hingegen aus Eifersucht und Angst.

Sie hielt inne. Das schmale Gesicht auf dem Bildschirm kam ihr irgendwie bekannt vor, auch wenn es unterbelichtet und ­etwas unscharf war. Es wäre nicht das erste Mal, Tinder brachte auch Leute zusammen, die sich räumlich ganz nah waren. Und laut Tinder war dieser Mann weniger als einen Kilometer entfernt. Vielleicht wohnte er sogar im gleichen Viertel. Das unscharfe Bild bedeutete, dass der Betreffende die Tips für die beste Tinder-Taktik ignoriert hatte, was an sich ein Pluspunkt war. Der Text bestand aus einem einfachen »Hallo«. Kein Versuch, besonders aufzufallen. Nicht gerade phantasievoll, aber selbstbewusst. Ja, es würde ihr definitiv gefallen, wenn ein Mann auf einer Party zu ihr käme, sie mit festem Blick ansehen, einfach nur »Hallo« sagen und damit die unausgesprochene Frage stellen würde: »Bist du bereit, weiterzugehen?«

Sie schob das Bild nach rechts. In die Rubrik »Auf dich bin ich neugierig«.

Und hörte das fröhliche Klingeln, das ihr ein weiteres Match verkündete.

Geir atmete heftig durch die Nase.

Er zog die Hose hoch und drehte sich langsam mit seinem Stuhl herum.

Der PC-Bildschirm war das einzige Licht im Zimmer, es fiel auf den Oberkörper der Person, die hinter ihm stand. Das Gesicht konnte er nicht erkennen, nur die weißen Hände, die ihm etwas entgegenstreckten. Es war ein Lederriemen mit einer Schlaufe am Ende.

Die Person trat einen Schritt näher, und Geir wich automatisch zurück.

»Weißt du, was mich noch mehr ankotzt als du?«, flüsterte die Stimme im Dunkeln, während die Hände den Lederriemen strafften.

Geir schluckte.

»Dein Köter«, sagte die Stimme. »Dein Scheißköter, für den du alles tun wolltest. Und der auf den Küchenboden kackt, weil du nicht mit ihm rausgehst.«

Geir räusperte sich. »Aber, Kari …«

»Los, raus! Und rühr mich nicht an, wenn du dann ins Bett kommst!«

Geir nahm das Lederband, und die Tür wurde zugeworfen.

Er blieb im Dunkeln sitzen und kniff die Augen zusammen.

Neun, dachte er. Zwei Männer und eine Frau, ein Mord. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau ermordet wird, beträgt eins zu neun, nicht eins zu acht.

Mehmet fuhr mit dem alten BMW langsam aus dem Zentrum in Richtung Kjelsås. Villen, Fjordblick, frischere Luft. Er bog in seine stille, schlafende Straße ein. Sah einen schwarzen Audi R8 neben der Garage vor seinem Haus stehen. Mehmet bremste langsam ab, überlegte einen Augenblick, Gas zu geben und weiterzufahren, wusste aber ganz genau, dass er die Sache damit nur aufschob. Andererseits war Aufschub genau das, was er brauchte. Aber Banks würde ihn überall finden, und vielleicht war der Zeitpunkt jetzt ja ganz passend. Es war dunkel und still. Keine Zeugen. Mehmet parkte am Straßenrand. Öffnete das Handschuhfach. Starrte auf das, was er seit Tagen dort liegen hatte, weil er wusste, dass dieser Moment irgendwann kommen würde. Er nahm es heraus, steckte es in die Jackentasche und ­atmete tief durch. Dann stieg er aus dem Auto und ging auf das Haus zu.

Die Tür des Audis öffnete sich, und Danial Banks stieg aus. Als Mehmet ihn im Pearl of India getroffen hatte, wusste er, dass der pakistanische Vor- und der englische Nachname vermutlich ebenso falsch waren wie die Unterschrift auf dem sogenannten Dokument, das sie unterzeichnet hatten. Aber das Geld, das er ihm über den Tisch geschoben hatte, war echt gewesen.

Der Kies vor dem Haus knirschte unter Mehmets Schuhen.

»Schönes Haus«, sagte Danial Banks, der jetzt mit verschränkten Armen an seinem Auto lehnte. »Und das hat deine Bank als Sicherheit nicht akzeptiert?«

»Ich wohne hier nur zur Miete«, sagte Mehmet. »In der Kellerwohnung.«

»Dumm für mich«, sagte Banks. Er war viel kleiner als Mehmet, trotzdem wirkte er größer, so wie er dastand und seinen Bizeps unter der Anzugjacke massierte. »Dann nützt es uns nichts, die Bude einfach abzufackeln, damit die Versicherung deine Schulden zahlt, oder?«

»Nein, das tut es wohl nicht.«

»Das ist dann wiederum dumm für dich, denn dann muss ich zu den Mitteln greifen, die weh tun. Willst du Details?«

»Willst du nicht erst wissen, ob ich bezahlen kann?«

Banks schüttelte den Kopf und zog einen Gegenstand aus der Tasche. »Deine Rate ist seit drei Tagen fällig, und ich habe dir gesagt, dass Pünktlichkeit das A und O ist. Damit ihr endlich kapiert, dass so etwas nicht toleriert wird, muss ich reagieren, keine Ausnahmen, weder bei dir noch bei anderen Schuldnern.« Er hielt den Gegenstand ins Licht der Garagenlampe. Mehmet schnappte nach Luft.

»Ich weiß, dass das nicht sonderlich originell ist«, sagte Banks, legte den Kopf schief und musterte den Seitenschneider. »Aber effektiv.«

»Aber …«

»Du darfst dir den Finger aussuchen. Die meisten entscheiden sich für den kleinen Finger der linken Hand.«

Mehmet spürte sie in sich aufsteigen. Die Wut. Seine Brust hob sich, als er seine Lungen mit Luft füllte. »Ich habe eine bessere Lösung, Banks.«

»Ach ja?«

»Ich weiß, dass sie nicht sonderlich originell ist«, sagte Mehmet und steckte die Hand in die Tasche. Holte es heraus. Richtete es auf Banks. Legte auch die zweite Hand darum. »Aber effektiv.«

Banks starrte ihn überrascht an. Nickte langsam.

»Da hast du recht«, sagte Banks, nahm das Geldbündel, das Mehmet ihm hinstreckte, und zog die Banderole ab.

»Das deckt die fällige Rate samt Zinsen«, sagte Mehmet. »Du darfst gerne nachzählen.«

Pling.

Ein Tinder-Match.

Der triumphale Handyton, wenn jemand, den du bereits nach rechts verschoben hast, dein Bild ebenfalls nach rechts schiebt.

Elise schwirrte der Kopf, ihr Herz galoppierte.

Sie kannte den Tinder-Effekt und wusste, dass der Aufregung eine erhöhte Herzfrequenz folgte. Und dass eine ganze Reihe von Glückshormonen freigesetzt wurde, von denen man, wie sie jetzt wusste, abhängig werden konnte. Aber nicht deshalb galoppierte ihr Herz so wild.

Denn das Pling war nicht von ihrem Telefon gekommen. Es war nur exakt in dem Moment zu hören gewesen, als sie das Bild nach rechts geschoben hatte. Das Foto der Person, die sich laut Tinder weniger als einen Kilometer entfernt befand.

Sie starrte auf die geschlossene Schlafzimmertür. Schluckte.

Das Geräusch musste aus der Nachbarwohnung gekommen sein. Im Haus wohnten viele Singles, viele potentielle Tinder-Nutzer. Und es war mittlerweile vollkommen still, sogar in der Wohnung unter ihr, in der die Mädels eine Party gefeiert hatten, als sie zu ihrem Date gegangen war. Sie wusste, dass es nur eine wirksame Methode gab, um eingebildete Monster loszuwerden. Man musste sich ihnen stellen.

Elise stand vom Sofa auf und ging die vier Schritte zur Schlafzimmertür. Zögerte. Ein paar Vergewaltigungsfälle, an denen sie gearbeitet hatte, gingen ihr durch den Kopf.

Sie riss sich zusammen und öffnete die Tür.

Blieb auf der Schwelle stehen und rang nach Luft. Weil keine da war, auf jeden Fall keine, die sie einatmen konnte.

Das Licht am Bett brannte, und das Erste, was sie sah, waren die Sohlen der Cowboystiefel, die aus dem Bett herausragten. Jeans und ein paar lange, übereinandergeschlagene Beine. Der Mann, der dort lag, war wie auf dem Foto halb im Dunkeln, unscharf. Er hatte sein Hemd aufgeknöpft und die Brust entblößt. Das Gesicht, das darauf tätowiert war, bannte sie. Der stumme Schrei. Als hinge es irgendwie fest und versuchte rauszukommen. Auch Elises Schrei blieb stumm.

»So sehen wir uns also wieder, Elise«, flüsterte er.

Aufgrund der Stimme wusste sie, warum ihr das Profilbild so bekannt vorgekommen war. Die Haarfarbe war verändert, das Gesicht schien operiert worden zu sein, sie sah noch die Narben.

Er hob die Hand und schob sich etwas in den Mund.

Elise starrte ihn entgeistert an und wich langsam zurück. Dann drehte sie sich um, bekam Luft in die Lungen und wusste, dass sie diese Luft zum Laufen verwenden sollte, nicht zum Schreien. Es waren fünf, höchstens sechs Schritte bis zur Wohnungstür. Sie hörte das Bett knarren, aber sein Weg war länger. Wenn sie es ins Treppenhaus schaffte, konnte sie schreien, dann würde man ihr helfen. Sie drückte die Klinke nach unten und versuchte, die Tür aufzureißen, aber sie ging nicht auf. Die Sicherheitskette. Sie schloss die Tür ein wenig und versuchte, die Kette zu lösen, aber das alles ging viel zu langsam. Wie in einem Alptraum. Viel zu langsam. Etwas legte sich ihr über den Mund, und sie wurde nach hinten gezogen. Verzweifelt schob sie den Arm über der Kette durch den Türspalt und bekam den Türrahmen zu fassen. Sie versuchte zu schreien, aber die große, nach Nikotin stinkende Hand lag zu fest auf ihrem Mund. Er riss sie nach hinten und drückte die Tür zu. Er flüsterte ihr ins Ohr: »Gefalle ich dir nicht? Du siehst auch nicht so gut aus wie auf deinem Profilbild, Baby. Wir sollten uns ein bisschen besser kennenlernen, damals hatten wir ja nicht genug Z-Zeit.«

Die Stimme. Und dieses abstoßende Stottern. Sie kannte beides. Sie trat wild um sich und versuchte, sich loszureißen, aber sie steckte wie in einem Schraubstock fest. Er zog sie vor den Spiegel. Legte seinen Kopf auf ihre Schulter.

»Es war nicht dein Fehler, dass ich verurteilt wurde, Elise, die Beweise waren überwältigend. Aber deshalb bin ich nicht hier. Würdest du mir glauben, wenn ich sage, dass das alles ein Riesenzufall ist?« Er grinste. Elise starrte in seinen offenen Mund. Sein Gebiss sah aus, als wäre es aus Eisen, schwarz und rostig mit spitzen Zacken in Ober- und Unterkiefer, wie eine Bärenfalle.

Es knirschte leise, als er den Mund aufmachte, es musste da ­irgendwo eine Feder geben.

Sie erinnerte sich an die Details des Falls. An die Fotos vom Tatort. Und wusste, dass sie bald sterben würde.

Dann biss er zu.

Elise Hermansen schrie in seine Hand, als sie das Blut aus ihrem eigenen Hals spritzen sah.

Er hob den Kopf wieder. Sah in den Spiegel. Ihr Blut tropfte ihm von den Augenbrauen, von den Haaren und lief ihm über das Kinn.

»Das nenne ich ein M-Match, Baby«, flüsterte er. Dann biss er noch einmal zu.

Vor ihren Augen begann sich alles zu drehen. Sein Griff lockerte sich, aber er brauchte sie auch nicht mehr festzuhalten. Eine lähmende, finstere Kälte nistete sich in ihr ein. Sie befreite eine Hand und streckte sie in Richtung des Fotos am Spiegel aus. Versuchte, es zu berühren, doch die Fingerspitzen erreichten es nicht ganz.