Autor
Prof. Dr. med. Walter van Laack
Facharzt für Orthopädie und Spezielle Orthopädische Chirurgie, Physikalische Therapie, Sportmedizin, Chirotherapie, Akupunktur
„Ich bin von Dir gegangen,
nur für einen Augenblick und gar nicht weit.
Wenn Du dahin kommst, wo ich hingegangen bin,
wirst Du Dich fragen, warum Du geweint hast.“
Unbekannter Autor
„Der Tod ist ein Horizont,
und ein Horizont ist die Grenze unseres Sehens.
Wenn wir um jemanden trauern,
freuen sich andere jenseits dieses Horizonts darüber,
ihn wieder zu sehen.“
Unbekannter Autor
„Niemand kennt den Tod. Es weiß auch keiner,
ob er nicht das größte Geschenk für den Menschen ist.
Dennoch wird er gefürchtet als wäre es gewiss,
dass er das schlimmste aller Übel ist.“
Sokrates (469–399 v.Chr.)
Vor allem zwei zentrale Ereignisse zeichnen jedes Leben aus: seine Geburt und seinen Tod. Während sich die Geburt seiner bewussten Wahrnehmung entzieht, weiß der Mensch um seinen Tod. Diese Erkenntnis beeinflusst ihn sein Leben lang. Mit ihr umzugehen, ist für jeden von uns schwierig, und jeder bewältigt das auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Krankheit und Tod eines lieben Verwandten oder Freundes erinnern früher oder später an das für jeden von uns irgendwann unvermeidliche Ende unseres momentanen irdischen Daseins.
Die meisten leiden zumindest unterbewusst stark unter der Vorstellung, sterben zu müssen. Manch einer verfällt, je älter er wird, sogar in panische Angst und fühlt sich schon bei den kleinsten Anzeichen selbst harmloser Erkrankungen vom Tod unmittelbar bedroht. Für sehr viele Menschen sind Sterben und Tod strenge Tabus und werden am liebsten verdrängt. Der Tod ist ein Tabuthema.
Menschen, die dem eigenen Tod ins Auge schauen müssen, werden nicht selten selbst von eigenen Angehörigen, häufiger aber noch von Ärzten und Pflegern mit ihrem Sterben allein gelassen.
Andere flüchten sich zu guten und schlechten Propheten, die ihnen den vermissten Halt mit einer Vielzahl ganz unterschiedlicher Vorstellungen von einem „Danach“ versprechen. Alle Religionen und religiöse Sekten, aber wohl auch alle esoterischen und okkulten Gruppen gründen vor allem darauf ihren Zustrom.
Tatsächlich kann jedoch kein Mensch wirklich wissen, was nach dem Tod passiert: Ob es überhaupt, und wenn ja in welcher Form, ein „Danach“, ja vielleicht sogar ein persönliches „Überleben“ des eigenen Todes gibt, entzieht sich letztlich auch weiterhin unserer Kenntnis und bleibt dem Glauben sowie unserer Intuition vorbehalten.
Ob ein „ausgewählter Prophet“ deshalb nun gut oder schlecht ist, scheint mir somit weniger eine Frage der konkreten Inhalte seiner ohnehin kaum auch nur annähernd wahrhaften Versprechen, Vorstellungen und Überzeugungen zum „Tod“ zu sein. Nein, ich glaube, gute Propheten unterscheiden sich von den schlechten vor allem dadurch, dass sie keine fundamentalistischen Dogmatiker sind, die für die Andersgläubigen nur Schimpf und Schande übrig haben und sie allein wegen ihrer anderen Vorstellungen dereinst zu Höllenqualen verdammt sehen. Vielmehr bemühen sich gute Propheten um zwar einfühlsame, aber auch sachlich fundierte Vermittlung und zugleich kritische Diskussion ihrer eigenen Überzeugungen oder gar Lehren.
Sie beschränken ihren missionarischen Eifer und zeigen stets Verständnis und Toleranz.
Legt man solche Forderungen zugrunde, haben die meisten Lehren, und darunter auch die großen Religionen der Weltgeschichte, im Laufe der Zeit leider immer wieder ganz offensichtlich versagt.
Dennoch ist es recht tröstlich festzustellen, dass sich mittlerweile einige zu mehr Toleranz durchgerungen und somit fortentwickelt haben. Anderen dagegen steht die Zeit der dringend benötigten Reifung wohl erst noch bevor.
Für viele Kritiker, darunter zahlreiche moderne Naturwissenschaftler, scheint jedoch jede Vorstellung von einem „Danach“, insbesondere die von einem „persönlichen Überleben“ des eigenen Todes, nur ein frommer, aber bereits wissenschaftlich widerlegter Wunsch zu sein. Man hält sie für eine Ausgeburt der sicher verständlichen menschlichen Hoffnung, nicht einfach sang-und-klanglos vergehen zu wollen. So wie der Mensch schon vor seiner Geburt nicht existierte, und von ihm nicht die geringste Spur die Welt zu bereichern schien, so sollte auch sein Tod konsequenterweise sein ein-für-allemal unwiderrufliches Ende darstellen. Schluss und aus!
Bestenfalls mag jemand noch in den Gedanken seiner Angehörigen und Freunde weiterleben – zumindest solange, bis auch diese schließlich einmal den unvermeidlichen Weg alles Irdischen gegangen sind. Der endgültige Tod wird damit bloß aufgeschoben, zu einer Art „Tod auf Raten“ gemacht. Solcherlei vermeintlichen Trost findet man bei uns derzeit regelmäßig in Traueranzeigen.
Das alles entspricht zwar dem heutigen Zeitgeist, ist aber nach meinem Dafürhalten auch ein zentrales Grundübel in unserer Gesellschaft. Ich sehe darin eine beträchtliche Mitschuld für viele menschliche Entgleisungen. Sie finden sich in der Dominanz egoistischer Lebenseinstellungen mit weiter wachsender Ellbogenmentalität, in lieblosen Entfremdungen zwischen vielen Menschen und nicht zuletzt auch in den oft wachsenden Zahlen krimineller Auswüchse gleich welcher Art wieder.
Selbst wenn Hoffnung und Wunschdenken dabei eine zentrale Rolle spielen sollten, dass seit Menschengedenken praktisch alle Mythen und Religionen dieser Welt ein „Danach“ – sehr oft sogar in Form eines persönlichen Überlebens des Todes – nahelegen, so bedeutet das natürlich nicht, dass es dieses „Danach“ auch wirklich gibt. Aber natürlich könnte es tatsächlich so sein. Zweifellos zu Recht nehmen naturwissenschaftliche Erkenntnisse in unserer heutigen Zeit eine Schlüsselrolle ein. Sie haben die Aufgabe, unsere Welt, die Materie, das Leben und damit auch den Menschen und mit ihm seinen Geist, zu erforschen. Der berühmte italienische Naturphilosoph Galileo Galilei (1564–1642) forderte für die naturwissenschaftliche Akzeptanz auch korrekterweise die „Reproduzierbarkeit“ der Beobachtungen.
Noch vor wenigen Jahrhunderten gab in unserem westlichen Kulturkreis das Christentum den Ton an. Im Laufe der Zeit konnten jedoch die meisten der vielen, bis dahin unantastbaren Dogmen mit den neuzeitlichen Beobachtungen nicht mehr Schritt halten. Heute sind wir mit vielen naturwissenschaftlichen Dogmen konfrontiert, und ich habe manchmal den Eindruck, dass auch sie mit den tatsächlichen Beobachtungen unserer Zeit nicht mehr Schritt halten...
Früher versuchten sich noch zahlreiche Philosophen als Korrektiv der religiösen Anschauungen. Bedeutende Philosophen, darunter Immanuel Kant (1724–1804), waren es, die damals den Naturwissenschaften den Weg zu ihrem großen Siegeszug über zementierte, aber unhaltbare religiöse Dogmen ebneten.
Heutzutage jedoch vermisse ich dieses Korrektiv der Philosophie, wenn es darum geht, moderne naturwissenschaftliche Dogmen gleichermaßen zu relativieren; denn nicht wenige davon scheinen bloß in allerlei Sackgassen zu führen. Das Pendel der Erkenntnis schlägt heute in die andere, eine rein materielle Richtung. Man reduziert alles auf materielle Gründe und Ursachen und spricht deshalb von „materialistischen Reduktionismus“. Genau das aber scheint mir genauso falsch zu sein wie früher die fundamentalistisch-religiösen Sichtweisen. Beide führten und führen leider zu vielen tragischen Konsequenzen für den Menschen. Tagtäglich erfahren wir das durch den Missbrauch von Technik, Biologie und Ressourcen genauso wie durch politisch-ideologisch oder fundamentalistisch-religiös motivierten Terrorismus.
Seit 1999 versuche ich in mittlerweile zahlreichen Büchern das Pendel zwischen den Polen zu fassen und in die Mitte zu bringen. Mein Ziel ist es, eine über die Grenzen einzelner Fach- und Wissensgebiete hinausgehende, alles verbindende und so ganzheitliche Perspektive aufzubauen, die fundiert und begründet Abstand von dem materialistischen „Zeitgeistreduktionismus“ nehmen kann.
Deshalb lege ich mein Augenmerk immer wieder ganz besonders darauf, eine derart alternative Sichtweise unserer Welt in sich streng logisch und in breiter Übereinstimmung mit den tatsächlichen Beobachtungen und Phänomenen, dazu möglichst übersichtlich und verständlich, darzustellen.
Zugleich mache ich jederzeit unmissverständlich deutlich, dass eine die modernen Wissenschaften vereinigende Theorie nur dann auch Sinn macht, wenn sie die vielen spirituellen Erfahrungen unzähliger Menschen jeder Epoche und überall auf dieser Erde nicht einfach ignoriert.
Ich selbst habe das Glück gehabt, im Laufe meines bisherigen Lebens schon recht häufig solche Erfahrungen machen zu dürfen, auch wenn die näheren Umstände dafür eher selten schön oder angenehm waren. Sie alle jedoch sagen mir heute zum Beispiel, dass es Geist genauso geben muss wie Materie, aber nicht einfach als ein Produkt von ihr, wie viele Wissenschaftler behaupten. Im Gegenteil: „Letztlich produziert Geist sogar erst Materie“ als Mittel zum Zweck. Folglich können Leben und Tod in ihrer ganzen Bedeutung nur dann wirklich erfasst werden, wenn man das Geistige nicht einfach „wegmaterialisiert“.
Über den Tod und ein „Danach“ zu sprechen macht daher nur dann Sinn, wenn man sich zuvor über das Geistige als eine Art „Urgrund“ in unserer Welt und damit auch über den Geist in jedem Leben dieser Welt Gedanken gemacht hat.
Natürlich gilt: Tatsächlich gesicherte naturwissenschaftliche Erkenntnisse dürfen dabei nicht angetastet werden. Andererseits muss man lernen, genau hinzuschauen und abzugrenzen zwischen echten Messungen, Beobachtungen, und Phänomenen und den daraufhin angestellten Interpretationen.
Gerade sie aber beherrschen oft die einflussreichen Medien unserer Welt und bilden so unser aller heutiges Weltbild. Hier steckt das zentrale Problem; denn vor allem die Interpretationen müssen besonders kritisch hinterfragt werden.
Mit meinen Büchern will ich einen Beitrag leisten, das philosophische Korrektiv zur Relativierung unseres vermeintlich schon so weit abgesicherten, modernen naturwissenschaftlichen Weltbilds zu sein. Dazu gehört aber genauso, die zahlreichen religiösen Lehren, die heute wachsende Zahl pseudoreligiöser sowie zweifelhafter esoterischer oder okkulter Strömungen ein wenig zu „begradigen“. Im Ergebnis, so bin ich heute überzeugt, wird der Tod als das unwiderrufliche Ende eines jeden von uns tatsächlich entzaubert werden können: Jedem Leser möchte ich die sorgsam begründete Hoffnung vermitteln, dass er seinen eigenen Tod tatsächlich überleben wird – und zwar im Vollbesitz seiner individuellen Persönlichkeit.
Erlauben Sie mir noch ein paar Bemerkungen zum Aufbau dieses Buches:
In den Jahren 2000 bis 2002 erschien meine dreiteilige Buchreihe „Eine bessere Geschichte unserer Welt“ mit den Bänden „Das Universum“, „Das Leben“ und „Der Tod“. In Anlehnung daran behandele ich in diesem Einteiler zunächst mehr die naturwissenschaftlichen Grundlagen und meine alternativen Anschauungen als entscheidende Basis für meine Trost spendenden Schlussfolgerungen.
Im zweiten Teil diskutiere ich dann in einem jetzt fiktiven Gespräch das Thema „Tod und Nahtoderfahrungen“ mit meinen beiden heute längst erwachsenen Söhnen Alexander und Martin. Als sie noch auf das Gymnasium gingen haben wir viele solcher und ähnlicher Gespräche und lebhaften Diskussionen geführt. Nur zu gerne lasse ich sie heute auch mit diesem Buch noch einmal aufleben.
Im Wesentlichen werden darin die einzelnen Elemente von Nahtoderfahrungen (NTE) einer kritischen Prüfung unterzogen, besonders auch, was ihre mögliche Beweiskraft in Bezug auf ein mögliches Überleben des Todes betrifft.
Der dritte Teil schließt meine Darlegungen mit einem Nachwort ab. Es folgt noch eine wunderschöne Metapher des niederländischen Naturphilosophen und früheren Harvard-Professors Henri Nouwen (1932–1996).
Schließlich finden Sie einige Details noch einmal in einem Anhang vertieft. Ein ausführliches Glossar sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis runden das Buch schließlich ab.
Ich wünsche Ihnen eine anregende, interessante und hilfreiche Lektüre.
Aachen, im Februar 2011 Prof. Dr. med. Walter van Laack
Seit Menschengedenken berührt, fasziniert und ängstigt uns alle der Tod am meisten von allem. Der Mensch ist wohl das einzige Wesen auf der Erde, das um seinen eigenen Tod sicher weiß. Und dieses Wissen geht zweifellos weit über die eher rein instinktive Faszination, Aversion, aber auch Trauer bei den uns Menschen nächsten tierischen Verwandten, den Menschenaffen, hinaus.
Somit ist nur die Menschheitsgeschichte auch eine Geschichte des Umgangs mit dem eigenen Tod. Und immer schon stellte sich dabei wohl die Frage nach seiner Endgültigkeit. Es darf als sicher angenommen werden, dass sie seit jeher angezweifelt, ja sogar strikt verneint wurde. Der Tod und die Frage nach der Schöpfung von Universum und Leben sind die zentralen Themen aller Religionen und Mythen. Nach der Übersetzung aus dem Lateinischen bedeutet Religion etwas rücksichtsvoll und gewissenhaft Beachtendes sowie auf das Eigentliche, den Kern Zurückführendes.
Der Sinn und ihre Existenzberechtigung sind bei allen Religionen eng verknüpft mit ihrem Bemühen um des Menschen „Seelenheil“.
Schon die Vorstellung von einer (immateriellen) Seele beinhaltet und erfordert etwas Transzendentes, etwas Durchscheinendes aus einer anderen Dimension oder Welt, das es besonders hoch zu achten und gewissenhaft zu bewahren gilt.
Zwar sind die Zeugnisse von den Vorstellungen unserer artgenössischen Vorfahren und der nächsten menschlichen Verwandten (z.B. Neandertaler) von irgendeiner Form nachtodlicher Existenz erst wenige zehntausend Jahre alt und zeigen sich etwa in liebevollen Bestattungsriten oder durchaus anspruchsvollen Höhlenmalereien.
Von noch früheren Generationen fehlen uns bislang entsprechend eindeutige, gut erhaltene Funde. Wir sollten daraus aber nicht vorschnell schließen, der Mensch habe davor nicht ähnliche Gedanken gehegt. So lebte vor etwa einer halben Million Jahren der sogenannte Pekingmensch. Aus den spärlichen Funden seiner Existenz wissen wir zum Beispiel, dass er die Köpfe seiner verstorbenen Mitmenschen auf sehr systematische Weise abgelöst hatte. Warum das so war, weiß man zwar nicht genau. Man kann jedoch vorsichtig schließen, dass er sich schon damals seiner Toten sehr sorgfältig entledigen wollte, zumal man inzwischen weiß, dass in späteren Kulturen die abgetrennten Schädel anschließend separat und aufwändig beerdigt wurden. Das separate Bestatten der Köpfe, wie auch die früher bei Verstorbenen oft durchgeführten Fensterungen ihrer Schädelknochen, deuten auf den schon immer vorhandenen Glauben an eine immaterielle Seele hin, der man so den Austritt aus dem Kopf erleichtern wollte.
In der etwa 60.000 Jahre alten Shanidar-Höhle im heutigen Irak fand man klare Hinweise darauf, dass die Toten dort sehr liebevoll auf blühenden Kräutern zur letzten Ruhe gebettet wurden. Die amerikanische Religionswissenschaftlerin Carol Zaleski1 spricht in diesem Zusammenhang von einer schon vor vielen tausend Jahren verbreiteten, regelrechten „Bestattungsindustrie“.
Ich bin davon überzeugt, dass die Menschwerdung primär eine Art „geistiger Akt“ ist, der erst sekundär zu den typisch menschlichen Körperattributen, wie z.B. dem aufrechten Gang, führte. Ich glaube auch, dass bereits jedes Leben an sich primär etwas Geistiges ist und immer dann funktioniert, wenn organische Strukturen hinreichender Komplexität aufgebaut sind: Auch ein Radio empfängt noch nicht, wenn ihm einige Bauteile fehlen. Ist es aber vollständig und korrekt zusammengebaut, empfängt es nach dem Einschalten automatisch. Ich werde versuchen plausibel zu zeigen, dass Geist und Materie ganz einfach zwei polarsymmetrische Seiten ein und derselben Medaille „Welt“ sind. Anders gesagt: Sie sind einander spiegelbildlich und gegensätzlich. Zugleich bedingen sie sich gegenseitig, d.h. das eine entsteht aus dem anderen in dem Moment, wo dafür Stück für Stück die jeweils nötigen Voraussetzungen geschaffen worden sind.
Genau wie das Leben ist auch der Geist anfangs zunächst ziemlich wenig entwickelt, d.h. undifferenziert und unspezifisch. Im Verlauf der Geschichte entwickelt sich lebende Materie konsequent und zielstrebig zu immer höherer Ordnung. Ganz besonders gilt das für das allem Leben schon früh innewohnende Zentrale Nervensystem (ZNS). Das ZNS ist durchweg klar strukturiert und streng hierarchisch abgestuft. Nach meinem Dafürhalten wird es schließlich zur zentralen Konstante der Evolution allen Lebens. Dazu später mehr.
Mit der Entwicklung des ZNS einher geht nach und nach eine immer größere geistige Vervollkommnung. Diese wiederum führt zu einer immer feineren und stärkeren Differenzierung eines wachsenden Anteils des, wie ich glaube, real existierenden (Welt-)Geistes, einem immateriellen, weltumspannenden und alles durchdringenden Informationsfeld. Durch ständige Interaktion zwischen ihm und den hierfür empfänglichen Strukturen des ZNS entstehen auf Basis einer ständigen Rückkopplung letztlich auch immer komplexere und perfektere Körper und Körperorgane. Am allerdings wohl nur vorläufigen Ende dieser Entwicklung auf unserer Erde steht der Mensch (Anthropisches Prinzip).
Das Werkzeug der menschlichen Hand oder sein aufrechter Gang sind demnach charakteristische Folgen der Menschwerdung, aber nicht ihre eigentlichen Ursachen. Als zentrale Begleiterscheinung seiner geistigen Entwicklung keimt beim Menschen schließlich auch seine dann allgegenwärtige „intuitive Überzeugung“, dass dieser „geistige Kern“ seinen körperlichen Tod am Ende überleben wird.
Erst viel später führte das nun gereifte, selbständige, und bewusst gesteuerte Denkvermögen langsam zur Infragestellung dieser frühen intuitiven Einsicht. Diese Zweifel sind inzwischen besonders groß, da man heute vor allem glaubt, man dürfe sich allein auf das sinnlich Erfahrbare berufen. Darunter versteht man alles, was wir mit unseren materiellen Instrumenten, z.B. mit Augen, Ohren, Nase, Zunge und Händen erfassen und aus den „Zutaten“ unserer materiellen Umgebung, also stets innerhalb desselben Systems, als technische Hilfen für unsere Beobachtungen und Messungen erschaffen. So aber ist man gar nicht in der Lage, mehr als bloß rein Materielles zu erkennen. Wir können mit unseren Sinnen unsere Welt tatsächlich nur ausschnittsweise erfahren. Immanuel Kant (1724-1804) hat deshalb in den 1780er Jahren darauf hingewiesen, dass wir uns keineswegs allein auf das sinnlich Erfahrbare – heute würden wir besser von naturwissenschaftlichen Beobachtungen sprechen – verlassen dürfen. Kant forderte, die jedem Menschen innewohnende individuelle Vernunft zu benutzen, um die Ergebnisse unserer Sinneserfahrungen so erst ins rechte Licht zu setzen. Man muss sie auch im großen Zusammenhang betrachten und gegebenenfalls relativieren. Unsere Vernunft ist jedoch nicht selbst sinnlich erfahrbar und ganz offensichtlich doch real existent. Für Kant beweist sie deshalb die Existenz des Geistigen, das die materielle Erfahrungswelt transzendiert.
Der aus Prinzip ungläubige, allein auf sinnliche Wahrnehmung abstellende und jede Intuition und seine immaterielle, reale Vernunft leugnende Mensch tapst aber, so meine ich, aufgrund einer falsch verstandenen „Emanzipation" seines Denkens, auf der Leiter seiner eigenen geistigen Evolution herunter und nicht weiter hinauf.
Prähistorische Schamanen haben sich schon vor vielen tausenden von Jahren in Trance auf Reisen begeben und dabei andere, geistige oder traumartige Welten aufgesucht. Durch ihre Fähigkeit zur Ekstase seien sie, so die Überlieferungen, fähig gewesen, allein durch ihren Willen ihre Körper zu verlassen und mystische Reisen durch den Kosmos zu unternehmen. Manch ein Schamane soll in der Lage sein, die Seelen Verstorbener zu begleiten oder zu besuchen und Verbindungen zwischen Himmel und Erde herzustellen, um so auch dem irdisch verkörperten Menschen zum Beispiel bei Krankheiten zu helfen. Vieles mag Legende sein, manches auch plumpe Täuschung. Alles zusammen haben die Erzählungen von solchen Traum- und Jenseitsreisen über Generationen hinweg zu einer ungeheuer vielfältigen Mischung, einem Sammelsurium aus Fakten und Erzählungen, Legenden und Märchen geführt. Weitere Zutaten im Laufe der Zeit wurden sicher politische, ethische und moralische Vorstellungen und Forderungen manch mächtiger Gruppen und Staatslenker.
Daraus entwickelten sich die verschiedensten gesellschaftlichen und kulturellen Anschauungen, Mythen und letztlich auch die großen Weltreligionen.
Immer und überall und schon zu allen Zeiten kreiste dabei alles um immer dieselben drei zentralen Dreh- und Angelpunkte:
Erstens geht es um die Frage nach einem Schöpfergott, einer schöpferischen Kraft, einer schöpferischen Dimension oder auch um mehrere, hierarchisch oder familiär gegliederte Götter und Gottheiten, die dem Menschen überlegen sind.
Zweitens findet sich in allen Religionen stets eine geistige Dimension, die von der sinnlich wahrnehmbaren materiellen Ebene zu unterscheiden ist. Als Mensch ist man selbstverständlich bereits Teil auch dieses geistigen Bereichs.
Drittens gibt es schließlich immer eine konkrete Vorstellung von irgendeiner Form der Fortexistenz nach dem eigenen Tod.
Auch wenn sich die verschiedenen Kulturen in ihren konkreten Vorstellungen von einer nachtodlichen Existenz erheblich unterscheiden, das Prinzip des Überlebens des eigenen Todes ist ihnen allen gleich.
Dies fasst Jakob Ozols, Professor für Vor- und Frühgeschichte, wie folgt zusammen: „Nach dem Tode trennt sich die Seelengestalt von dem Körper und führt ihr eigenes, weitgehend vom Körper gesondertes Leben weiter .... Sie [die Seele] kann mühelos große Entfernungen überwinden ... Sie ist auch nicht mehr an eine bestimmte Zeit gebunden, und sie kann wie das Vergangene so auch das Zukünftige erleben.“
Nicht nur die Seele eines Toten, auch die eines Lebenden könne das nach übereinstimmender Ansicht früher Kulturen grundsätzlich bereits in ähnlicher Weise. Hierzu wieder Jakob Ozols: „Bei Lebenden verlässt sie den Kopf nur nachts oder in außerordentlichen Situationen, wie plötzlichem Erschrecken, schwerer Krankheit oder bei besonderen Zuständen wie in der Trance und Ekstase. Die Seelengestalt darf aber nicht lange ausbleiben. Wenn sie nicht bald zurückkehrt, wird der Mensch krank, er ist vielen Gefahren ausgesetzt, und bei längerer Abwesenheit der Seelengestalt muss er sogar sterben ... Sie kann ferner die Seelengestalten längst verstorbener Menschen treffen, Geistern begegnen und ungewöhnliche Abenteuer bestehen.“
Im antiken Orient führten die Toten eine Art stummes Schattenleben. Im alten Testament klagt Hiob darüber, dass es ihm in seinem kurzen Leben nicht besser gehe, da er doch bald wieder ins Land der Finsternis und des Dunkels eingehen müsse.2
Ähnlich dachten auch die alten Griechen. Nach Homer scheidet sich nach dem Tod die Psyche vom Körper ab. Doch für ihn entspricht die Psyche nicht der heutigen Vorstellung von einer Seele: In ihr sieht er nur eine Art Hauch, ein quasi bedeutungsloses Erinnerungsbild oder einen Schatten, der rastlos in der Unterwelt, dem Hades, umherzieht, sich aber durchaus noch den Lebenden zeigen kann.
Somit sind auch die Toten, denen Odysseus auf seiner Fahrt begegnet, außerordentlich trostlose Gestalten, und der Schatten Achills klagt, dass sogar ein Dasein als Sklave auf Erden der Herrschaft über das ganze Totenreich vorzuziehen sei. Allerdings könnten die toten Seelen durch das Trinken von Opferblut ihr Bewusstsein zeitweilig wiedererlangen. Dieses Bild ändert sich jedoch im fünften Jahrhundert vor Christus, vermutlich unter dem Einfluss eines ganz anderen Jenseitsbildes der alten Ägypter. Ein klassisches Indiz dafür sind die luxuriösen Grabkammern in den riesigen Pyramiden. Sie symbolisierten die kosmische Hierarchie und den Aufstieg in andere Dimensionen. In ihre Grabkammern legte man den verstorbenen Pharaonen alles, was man in einem jenseitigen Leben gebrauchen können sollte. Mit Hilfe von allerlei Beschwörungsformeln und Gebeten, die man in großer Vielzahl in die Wände eingraviert hatte, wurde es so dem Verstorbenen erleichtert, in die Gesellschaft der Gottheit(en) aufzusteigen und schließlich mit Osiris, dem Totengott, zu verschmelzen. Im Jenseits kam es zum Gericht über das eigene Leben: Der Verstorbene wurde nach der Sittlichkeit seiner Handlungen und auch nach der Ernsthaftigkeit seiner rituellen Todesvorbereitungen beurteilt. Dem Gericht folgten dann Belohnung oder Strafe. Das jenseitige Leben unterschied sich für die für gut befundenen grundsätzlich kaum von ihrem diesseitigen. Im Gegenteil, im Totenreich erlangte der Verstorbene Zugang zu allen erdenklichen Vergnügungen und allem Schönen, aber auch zu dem Wissen der ganzen Welt und zum Geheimnis der Zeit. Diese Vorstellungen wurden zur Grundlage für den späteren christlichen Glauben an die Existenz eines Himmels, aber wohl auch für den Islam, denkt man nur an die naiven Gedanken an das Paradies als Belohnung für die erfolgreiche Verbreitung des Islam selbst mit kriegerischen – oder nach Ansicht mancher Fundamentalisten – mit terroristischen Mitteln.
Daneben gab es aber auch ein Schreckensreich des Todes, in das die Schlechten kamen und natürlich mit allen Mitteln versuchten, wieder zu entkommen. Wenn ihnen das nicht gelang, so starben sie später noch einen zweiten, dann endgültigen Tod. Diese altägyptische Vorstellung prägte viel später den christlichen und islamischen Glauben an die Existenz einer Hölle. Sie beeinflusste auch nachhaltig das griechische Bild von Tod und Jenseits. Die ehemals schattenhaft bedeutungslose Psyche wird nun aufgewertet: Sie wird zu einem unabhängigen Träger der persönlichen menschlichen Identität. In dieser Zeit tritt wohl auch erstmals der Glaube an die Reinkarnation auf, also die Seelenwanderung mit immer neuer fleischlicher Wiedergeburt.
Das Leben im Jenseits war nun auch für die Griechen maßgeblich bestimmt durch das diesseitige Handeln. Man unterschied den Geist, der sich nach dem Tod mit dem kollektiven Weltgeist verband, von der individuellen Seele. Sie gelangte nach dem Tod in das trostlose Schattenreich der Unterwelt, den Hades. Erst in der spätgriechischen Antike unterschied man zwischen dem Abstieg der Seelen der Verstorbenen in den Hades einerseits und ihren Aufstieg in höhere geistige Dimensionen andererseits. Und so kam es, dass für die spätantiken griechischen Gnostiker bereits die leibliche Geburt als Abstieg in die Unterwelt gedeutet wurde, von der aus es bei entsprechend gutem Verhalten nur noch die Möglichkeit des Aufstiegs gab.
Die Römer hatten keinerlei eigene Jenseitsvorstellungen. Sie orientierten sich mehr an den Sichtweisen ihrer Nachbarn, besonders denen von Griechen und Etruskern. Man ehrte aber die Verstorbenen, weil man es für möglich hielt, dass sie irgendwie auch nach ihrem Tod mit den Lebenden in Verbindung blieben.
Besonders in intellektuellen Kreisen spielten Jenseitsvorstellungen kaum eine Rolle und man glaubte gemeinhin auch nicht daran, für seine Handlungen nach dem eigenen Tod mal belohnt oder bestraft werden zu können. Allerdings hielt man solcherlei Überlegungen für sehr willkommene Mittel in der Politik, andere nach eigenem Belieben zu beeinflussen.
Auch die Wurzel von Christentum und Islam, das Judentum, wartete zunächst nicht mir eigenen detaillierten Jenseitsvorstellungen auf.
Wohl gab es das Scheol, ein Schattenreich der Toten, das sich vom irdischen Leben diametral unterschied. Erst viel später gewann die Lehre von einer „Auferstehung des Leibes“ immer mehr an Bedeutung. Sie wurde in ein „messianisches Zeitalter“ gelegt und die Zeit im Grab wurde zu einer Art „Wartephase“ darauf. Auch eine Seele kommt später ins Gespräch. Sie durfte, wenn sie im Leben gut war, bis zur „endgültigen Entscheidung“ im himmlischen Paradies auf ihre spätere Auferstehung warten.
Eine böse Seele musste dagegen in die Hölle (Deschehenna). Diese Wendung im Judentum ist wohl vor allem auf den Einfluss jüdischer Mystiker zurück zu führen, etwa den Vertretern der Makkaba-Mystik, einer esoterischen Bewegung, die sich in Palästina und Babylon innerhalb des rabbinischen Judentums entwickelte.3
Offenbar, so schreibt Carol Zaleski, fand man an dieser rabbinischen Literaturgattung großen Gefallen, was dann auch zu einer Ausschmückung von Legenden der biblischen Propheten und Herrscher führte. Beispielsweise wurde so Moses' Vision vom Gelobten Land in den Midrasch-Texten des Mittelalters zu einer kompletten Reise durch Himmel und Hölle. Sie dürfte auch der Nährboden der berühmten „Göttlichen Komödie“ des italienischen Dichters Dante Alighieri (1265-1321) gewesen sein.
Immer waren „Jenseitsreisen“ der eigentliche Ausgangspunkt der detaillierteren Jenseitsvorstellungen. Von einigen Auserwählten wurden sie bei zumeist völliger Gesundheit erlebt, also ohne dass sie in Todesnähe geraten mussten. Daher wäre der Begriff „Bewusstseinsreisen“ vielleicht zutreffender.
Sie ähneln jedoch in vieler Hinsicht den „echten“ Nahtoderfahrungen (NTE), von denen sehr viele Menschen in Todesnähe berichten und auf die ich ja noch ausführlich eingehen werde. Deshalb belasse ich es an dieser Stelle bei dem durchaus zweideutig zu verstehenden Begriff der „Jenseitsreisen“.
Durch das Weitererzählen über viele Generationen hinweg wurden sie selbst zu Legenden und im Laufe der Zeit mit anderen Legenden verwoben. Dadurch entstanden weitere und entscheidende Bausteine komplexer religiöser Lehren.
Solcherlei findet sich in allen Kulturen. Keltische Legenden über Reisen in Länder „unterhalb der Wellen“ oder „oberhalb des Nebels“ zeugen davon genauso wie zum Beispiel germanische Sagen über Hel und Walhall4. Eine irisch-keltische Geschichte erzählt von der Seele eines Verstorbenen, die vor ihrem Aufbruch in „die andere Welt“ noch einmal auf ihren leblosen früheren Körper blickt und ihn ein letztes Mal mit den Worten küsst: „Hab Dank, dass du mich beherbergt hast und so lange so gut zu mir warst“.
Und in einem Buch aus der persisch-zarathustrischen Welt erzählt Arda Viraz von einem Priester, der freiwillig ein Narkotikum einnimmt, um sich auf eine Reise in die andere Welt zu begeben5.
Dass man aus dem alten Testament der Bibel kaum etwas über Jenseitsreisen erfährt, bedeutet deshalb nicht, dass es sie im Judentum nicht gegeben hat. Sie finden sich nur nicht in den „legitimierten“, sog. kanonischen Schriften, dafür aber nicht minder zahlreich in den verborgenen Überlieferungen, den sog. Apokryphen.
So wurde vor allem die ausführliche Beschreibung der Jenseitsreise eines Nachfahren Adams, die des Henoch, berühmt:
Das (apokryphe) äthiopische Buch Henoch schildert dessen Jenseitsreise: „...Sie nahmen mich fort und versetzten mich an einen Ort, wo die dort befindlichen Dinge wie flammendes Feuer sind, und wenn sie wollen, erscheinen sie wie Menschen. (...) Ich sah die Örter der Lichter, die Vorratskammern der Blitze und des Donners und in der äußersten Tiefe einen feurigen Bogen. (...) Sie versetzten mich an die lebendigen Wasser und an das Feuer des Westens, das die jedes Mal untergehende Sonne empfängt. Ich kam bis zu einem Feuerstrome, dessen Feuer wie Wasser fließt und der sich in ein großes Meer im Westen ergießt. (...) ... drei Räume sind gemacht, um die Geister der Toten zu trennen; und so ist eine besondere Abteilung gemacht für die Geister der Gerechten da, wo eine helle Wasserquelle ist....“
Zu den nichtkanonischen Schriften wird auch die Erzählung von der „Himmelfahrt des Jesaja“ gerechnet, wo es, wie Stefan Högl schreibt, am Ende heißt: „Und der Engel, der mich führte, fühlte, was ich dachte, und sprach: Wenn du dich schon über dieses Licht freust, wie vielmehr, wenn im siebentem Himmel du das Licht sehen wirst, wo Gott und sein Geliebter ist, woher ich gesandt worden bin, der in der Welt Sohn genannt werden soll. (...) Denn das Licht daselbst ist groß und wunderbar.“
Einige Religionen sind vermutlich überhaupt erst durch die innere „geistige Wandlung“ ihrer Stifter entstanden, die nach den Überlieferungen wohl typische Merkmale von Jenseitsreisen erlebt zu haben scheinen. Beispielhaft hierfür können wohl auch der Islam und der Buddhismus angeführt werden.
Der Islam geht auf den Propheten Mohammed (ca. 570–632) zurück, ein in Mekka geborener arabischer Kaufmann, der um 610 n.Chr. vermutlich infolge von Jenseits- bzw. Bewusstseinsreisen direkt von Gott (Allah) Botschaften empfangen haben will und daraus zunächst in Medina seine Lehre entwickelte. Nach moslemischer Auffassung sind die ihm zuteil gewordenen Offenbarungen der endgültige und absolute Ausdruck des göttlichen Willens. Die islamische Lehre ist im Koran niedergeschrieben und soll unter allen Menschen verbreitet werden. Von dieser missionarischen Vorstellung leitet sich auch der Begriff vom „heiligen Krieg“ ab, dem „Jihat“, der in seinem Ursprung aber keineswegs kriegerisch gedacht war.
Auch die islamischen Jenseitsvorstellungen ähneln denen des Christentums: Der Tod ist nicht mehr das wirkliche Lebensende, sondern nur eine Zeit des Übergangs von einem vergänglichen irdischen Leben in ein dauerhaftes ewiges Leben. Der Verstorbene wird schon bald nach seinem Tod durch die Engel Mungkar und Nakir verhört, wobei er seinen Glauben an Allah beweisen muss. Deshalb wird der Moslem traditionell ohne Sarg und nur in einem Leichtuch verhüllt beerdigt; denn sonst wäre es den Engeln nicht möglich, ihn zum Verhör zu wecken. Nach dem Verhör – und damit kommt das jüdisch-christliche Element zur Geltung – darf er ruhen bis zum „Jüngsten Tag“. An diesem wird auch im Islam zwischen Guten und Bösen getrennt: Die Guten landen im Paradies, die Schlechten in der Hölle ewiger Verdammnis. Im Unterschied zum Nicht-Mohammedaner, dem Ungläubigen, wird sich Allah dem gläubigen Mohammedaner jedoch irgendwann erbarmen und ihn so doch noch von seinen Höllenqualen befreien.
Siddharta Gautama, genannt Buddha oder „der Erleuchtete“, war ursprünglich ein reicher Prinz im heutigen Nepal. Mehr als 500 Jahre v.Chr., wurde er erst als junger Erwachsener mit Armut, Krankheit und Tod konfrontiert, Dinge, die ihm bis dahin völlig unbekannt waren. Aufgrund dieser Schlüsselerlebnisse nahm er den Status eines hinduistischen Bettelmönchs an. Ausgedehnte Meditationen, die auch ihn zu einer Reihe von Jenseitsreisen verholfen haben sollen, wandelten sein Innerstes ganz fundamental. Mit seinen Vorstellungen begründete er eine neue, aus dem Hinduismus hervorgehende Religionslehre, den Buddhismus.
Sowohl in den hinduistischen Traditionen Indiens und des Fernen Ostens, wie auch im Buddhismus, lässt sich eine beeindruckende Anzahl von Jenseitsreisen nachzeichnen.6 In seiner berühmten Feuerpredigt vergleicht Buddha das Leben mit einer Flamme, die immer weiter brennt, da sie durch die drei Fehler, Begierde, Hass und Verblendung, stets wieder neu angefacht wird. Der Mensch müsse sich daher hiervon abwenden, um ins Nirwana7 zu gelangen und damit dem sich ständig wiederholenden Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt zu entfliehen. Für Buddha ist dieser Kreislauf die logische Folge aus der Beobachtung, dass alles Sichtbare des Universums kommt und vergeht, um dann in anderer Form wieder neu aufzutreten. Damit baut er auf den damals schon bekannten, spät-hinduistischen Vorstellungen auf. Doch im Gegensatz zu einer landläufigen westlichen Auffassung ist das Nirwana keineswegs der Zustand des „Nichts“, sondern vielmehr der seliger Erlösung, des höchsten Glücks oder auch ewiger und unveränderlicher Seelenruhe. Dabei befindet man sich im Zustand einer dauerhaften, ruhigen und zugleich glücklichen Stille des (selbst-) bewussten Gemüts. Buddha selbst weist im Suttapitaka den Gedanken strikt zurück, im Nirwana sei das Ende des Seins erreicht.
Auch im Buddhismus wimmelt es nur so von Himmelsparadiesen: Beispielhaft hierfür sei das „Reine Land von Amitabha“ genannt, das voll ist von mit kostbaren Edelsteinen geschmückten Bäumen und lieblich duftenden Flüssen. In ihm gibt es aber auch feurige Höllen, wo Sünder an Ambosse gekettet und von breit grinsenden Teufeln geröstet werden.8
In den Upanischaden, den heiligen Texten der hinduistischen Tradition Indiens, finden sich ebenfalls viele Geschichten über den Abstieg ins Totenreich. Solche Wanderungen helfen auch bei der Läuterung der Lebenden, um damit ihren Kreislauf der ständigen Wiederkehr beenden zu können.9
Eine einzigartige und zugleich sehr detaillierte Jenseitsversion liefert das Bardo Thodöl oder Bar do thos grol, besser bekannt als das Tibetanische Totenbuch des tibetischen Buddhismus, dem Lamaismus.
Zwar ist es nur eins von vielen Zeugnissen für eine nachtodliche Existenz – ich schätze aber, es ist das bekannteste. Dabei ist es dem altägyptischen Totenbuch recht ähnlich und beschreibt sehr genau den Weg des Bewusstseins vom Sterben, über verschiedene Phasen des eigentlichen Totseins in einer Art „Zwischenreich“, bis hin zur nachfolgenden Reinkarnation, also der fleischlichen Wiedergeburt in einem neuen irdischen Leben.
Wie in fast allen anderen Mythen und Religionen auch wird der Verstorbene, nachdem ihm langsam sein körperlicher Tod bewusst geworden ist, mit den Taten und Untaten seines zurück liegenden Lebens konfrontiert. Zu den wesentlichen Prinzipien dieser Sphäre, dem „Bardo des Erlebens der Wirklichkeit“, gehört auch die Erkenntnis, dass das Denken in der Lage ist, Wirklichkeit und Erfahrung zu schaffen. Jeder Gedanke wird zu einer vollständigen und totalen Erfahrung. Aus dieser Sicht werden Himmel und Hölle zu nachtodlichen Zustandsbildern seiner selbst. Nach dem Motto, „Gleiches zu Gleiches gesellt sich gern“, erleben verwandte Seelen diesen Zustand gemeinsam.
Eine weit verbreitete Kernthese des christlichen Glaubens ist auch heute noch die von den Kirchen wörtlich genommene, sinnlich erfahrbare, fleischliche Auferstehung des Menschen am „Jüngsten Tag“, dem Tag des großen Gerichtes durch Gott. Dafür gibt es sicher mehrere Ursachen. Zum einen gründet sie auf denselben Vorstellungen der schon auf den persischen Propheten Zarathustra zurückgehenden Religion des Zoroastrismus, ungefähr 600 v.Chr. Ihre heilige Schrift, das Avesta, spricht bereits von einer Auferstehung der Seele wie auch der des Leibes. Später wird die Weltvollendung als Zeitpunkt benannt: „Der Ruhmesglanz ist es, der dem Weisen Herren eigen ist, damit der Weise Herr die Geschöpfe erschaffe, die vielen und schönen, die vielen und vortrefflichen, die vielen und wundervollen, die vielen und strahlenden; damit sie das Leben wundervoll machen, nicht alternd, nicht sterbend, nicht verwesend, nicht faulend, ewig lebend, ewig gedeihend, so dass freies Belieben herrscht. Wenn die Toten wieder auferstehen werden, für die Lebenden Vernichtungslosigkeit kommen wird, dann wird er die Existenz nach seinem Willen erneuern“. Der Religionswissenschaftler Hans-Joachim Klimkeit fasst die Endphase dieser Auferweckung wie folgt zusammen: „...schließlich die freudige gegenseitige Begrüßung aller guten Menschenseelen, die sich jetzt auch wieder mit ihrem Leib vereinigen können. Sie gehen ins Lichtreich des Weisen Herren zu einem unsterblichen und ewigen Leben ein“.10
Daneben basiert der Glaube an eine fleischliche Auferstehung vermutlich auf zeitgenössischen jüdischen Vorstellungen. Er wird dann quasi rückwirkend bewiesen durch die Erzählung von der Auferstehung Jesu Christi am dritten Tag nach seiner Kreuzigung.
Hierdurch gibt es in der katholischen Dogmatik das Problem des „leeren Grabes“ Jesu, das ja durch mehrere Zeugen belegt sein soll.
Der Würzburger Theologieprofessor Otmar Meuffels wies jedoch auf einer Vortragsveranstaltung der Domakademie Würzburg11 im Oktober 2001 darauf hin, dass die biblische Geschichte „vom leeren Grab Jesu“ in den ältesten Auferstehungszeugnissen12 gar nicht erwähnt wird. Vielmehr sei sie wohl eine „gemeinsysnoptische Ostererzählung, die die Auferstehungsbotschaft voraussetzt und ihren zentralen Inhalt veranschaulichen soll...13 Die Geschichten vom leeren Grab dienen als sekundäre Versinnbildlichung der Verkündigung der dem Glauben evidenten Erfahrung des lebendigen Gottes. Sie sind Zeugnisse dafür, wie der Glaube seine Heils-/Auferstehungserfahrung sinnhaft deutet, und keine historisch beweisbaren Tatsachenberichte.“
Ohnehin ist in der populären, d.h. der veranschaulichten Lehre des Christentums eine Dreiteilung jenseitiger Ebenen schon immer präsent: Es gibt Himmel, Hölle und Fegefeuer, in dem die Seelen offenbar die Zeit bis zum Jüngsten Tag, dem des hohen Gerichtes, je nach Lebenseinstellung verbringen durften, bzw. mussten. Und längst ist der Himmel bis dahin ein Ort der Engel und Heiligen und ebenso natürlich von Gott selbst.
Ein auch nach meiner Auffassung typisches Beispiel für den Erwerb nachtodlicher Glaubensperspektiven mit Hilfe von „Bewusstseins- oder Jenseitsreisen“ stellt wohl der Apostel Paulus dar. Zunächst verfolgte er, damals noch Saulus, die Christen14. Später aber wurde er ein glühender Verehrer Jesu Christi und der christlichen Lehre15.
Es ist stark anzunehmen, dass Paulus selbst ein Nahtodeserlebnis hatte, das zu einer „Jenseitsreise“ führte, wodurch er zu einer ganz neuen Sichtweise der Dinge fand. Im zweiten Brief an die Korinther berichtet er davon. Er hielt es wohl für besser, sich selbst nicht damit in Verbindung zu bringen, weshalb er in dritter Person spricht (12.01-04):
„... Ich kenne einen Menschen in Christus, der vor vierzehn Jahren – ob im Leibe, das weiß ich nicht, oder außer dem Leibe, das weiß ich nicht, Gott weiß es – bis zum dritten Himmel entrückt wurde. Und ich weiß, dass der betreffende Mensch – ob im Leibe, das weiß ich nicht, oder außer dem Leibe, das weiß ich nicht, Gott weiß es – ins Paradies entrückt wurde und unsagbare Worte vernahm, die einem Menschen auszusprechen versagt sind.“
Hervorzuheben ist hier natürlich die zweifache Wiederholung des Einschubs „ob im Leibe, das weiß ich nicht, oder außer dem Leibe, das weiß ich nicht, Gott weiß es“. Nach meiner Auffassung dürfte dies auf eine verbreitete und verständliche Unsicherheit aller „Jenseitsreisenden“ zurückzuführen sein: Die Betroffenen empfinden sich ausnahmslos auch weiterhin als „körperlich intakt“. Dennoch scheinen sie zu merken, dass sie es im herkömmlichen, d.h. im für sie bislang bekannten irdisch fleischlichen Sinne gar nicht mehr sind.
Nach früher urchristlicher Auffassung scheint das Leben also keineswegs mit dem Tod zu enden und auch nicht nur zunächst, d.h. bis zu einem „Jüngsten Tag“, zu „pausieren“. Dies belegt sogar Jesus Christus selbst, als er nach seiner Kreuzigung auf Golgatha einem seiner beiden Leidensgenossen zurief16: „Wahrlich, ich sage dir: Heute (noch) wirst du mit mir im Paradiese sein“.
Was Jesus’ Auferstehung betrifft, kann uns der Apostel Paulus jetzt einmal mehr entscheidend weiterhelfen. Damit fügt sich auch die christliche Auffassung ganz harmonisch in eine anscheinend weltweit identische, urmenschliche Sichtweise ein: Dem körperlichen Tod des Menschen folgt danach unmittelbar eine Daseinsform des eigentlich wahren, und zwar geistigen Lebens: Auf die Frage nach dem „Wie“ der Auferstehung17 antwortet Paulus im ersten Brief an die Korinther u.a. (15.42–47):
„... so verhält es sich auch mit der Auferstehung der Toten. Gesät wird in Verweslichkeit, auferweckt in Unverweslichkeit. ... Gesät wird ein sinnenhafter Leib, auferweckt ein geistiger Leib. So gut es einen sinnenhaften Leib gibt, gibt es auch einen geistigen... Aber nicht das Geistige kommt zuerst, sondern das Sinnenhafte, dann das Geistige. Der erste Mensch ist aus Erde, ist Staub; der zweite Mensch stammt aus dem Himmel.“
Dies scheint mir eines von vielen Zeugnissen, das zeigt, dass der frühe christliche Glaube unter der „Auferstehung der Toten“ tatsächlich wohl eher eine Art „Wandlung“ verstand – und zwar die Wandlung von einer materiellen Identität in eine geistige, die ihm jedoch zuvor auch schon anhaftete, weil sie ihm von Gott als seine (eigentliche) „Gestalt“ gegeben ist.
Diese Interpretation ergibt sich, wie ich glaube, ebenfalls sehr schön aus der folgenden Passage, die wieder aus dem ersten Korintherbrief des Apostels Paulus stammt (15.35–37):
„... mit was für einem Leibe kommen sie? (Anm. von mir: Die Toten) Du Tor! Was du säst wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt. Und was du säst hat noch nicht die Gestalt, die entstehen wird; es ist nur ein nacktes Samenkorn... Gott gibt ihm die Gestalt, die er vorgesehen hat, jedem Samen eine andere.“
Der irdische Körper wird, so Paulus, zum Zeitpunkt des Todes von einem himmlischen Körper, dem geistigen Leib, abgelöst.
Zudem findet sich in diesem Abschnitt ein Zeugnis für das Geistige jeden Lebens. Materie lebt nicht aus sich selbst heraus. Der Tod wird also auch in der christlichen Tradition zur Scheide zwischen zwei unmittelbar angrenzenden und ineinander übergehenden Dimensionen des Lebens, der vor- und der nachtodlichen. Erneut ist es Paulus, der, diesmal in seinem Brief an die Philipper, davon ziemlich eindeutig Zeugnis ablegt (01.21–24):
„Denn für mich ist das Leben Christus und das Sterben Gewinn. Gilt es aber, weiterzuleben im Fleische, so bedeutet mir das ein fruchtreiches Schaffen, und so weiß ich nicht, was ich vorziehen soll. Es zieht mich nach beiden Seiten hin. Ich habe das Verlangen, aufzubrechen und mit Christus zu sein; denn das wäre weitaus das Bessere; das Verweilen im Fleisch aber ist notwendiger um euretwillen“.
Viele Christen nehmen jedoch nur das lange gehegte, aber dennoch nicht aktuelle institutionelle Dogma der katholischen Kirche wahr, wonach der Tod erst einmal das Ende eines jeden bedeutet und irgendwann, eben am „Jüngsten Tag“, die Auferstehung folgen soll. Ein christlicher Priester beerdigt heute den Verstorbenen mit den Worten „aus Staub bist du und zu Staub wirst du.“ Die Anrede „du“ wird von den Hinterbliebenen natürlich mit der Persönlichkeit des Verstorbenen und nicht nur mit seinem materiellen Körper in Zusammenhang gesetzt, selbst dann, wenn das nicht mehr der aktuellen katholischen Auffassung entspricht. Damit wird ein essentieller Glaube des Urchristentums zerstört, nach dem es ein unmittelbares Weiterleben nach dem Tod gibt, und der heutige Christ wird zutiefst verunsichert und berechtigter Hoffnungen beraubt. Dass dies ein seelsorgerischer Frevel ist, muss wohl nicht weiter erläutert werden. Auch wenn es Sie erstaunen sollte, aber mit der wahren christlichen Auffassung, auch mit der modernen katholischen, hat das tatsächlich nichts zu tun. Dies soll zunächst ein Zitat des sehr beliebten früheren Papstes Johannes Paul II (1920–2005) aus dem Jahr 1998 belegen: Und liest man die von Papst Johannes Paul II gebilligten vom 17. Mai 197918Die Kirche hält an der Fortdauer der Subsistenz eines geistigen Elementes nach dem Tode fest, das mit Bewusstsein und Willen ausgestattet ist, so dass das ‚Ich des Menschen’ weiterbesteht, wobei es freilich in der Zwischenzeitseiner vollen Körperlichkeit entbehrt...“