Herausgeber: Wolfram Völcker | Bildredaktion: Konstantin Bercht | Verlagslektorat: Miriam Halwani | Verlagsherstellung: Nadine Schmidt | E-Book-Produktion: LVD Gesellschaft für Datenverarbeitung mbH, Berlin | © 2011 Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, und Autoren; für die abgebildeten Werke von Karl Hofer und Hermann Nitsch: VG Bild-Kunst, Bonn; von Pablo Picasso: VG Bild-Kunst, Bonn, Succession Picasso | Erschienen im Hatje Cantz Verlag, Zeppelinstraße 32, 73760 Ostfildern, Deutschland, Tel. +49 711 4405-200, Fax +49 711 4405-220, www.hatjecantz.de | ISBN 978-3-7757-3142-3 (E-Book), ISBN 978-3-7757-2792-1 (Print) | Made in Germany | Für externe Links können wir keine Haftung übernehmen. Die Inhalte der verlinkten Seiten sind ausschließlich von deren Betreiber zu verantworten.
WAS KOSTET KUNST?
Ein Handbuch für Sammler, Galeristen, Händler und Künstler
Herausgegeben von Wolfram Völcker
Mit Beiträgen von Daniela Baumberg, Dirk Boll, Henrik Hanstein,
Isabel von Klitzing, Christian Knebel, Florian Mercker,
Andreas Schalhorn und Wolfram Völcker
Wolfram Völcker
Einleitung
Was kostet Kunst? Kann man Kunst überhaupt sinnvoll bewerten? Lässt sich der Wert der Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach oder der des Zauberbergs von Thomas Mann ermitteln? Gibt es einen Preis für Leonardo da Vincis Mona Lisa, für Pablo Picassos Guernica oder für den Isenheimer Altar von Matthias Grünewald? Und wenn ja, dürfen wir Kunst wie eine Ware behandeln und mit einem Preisetikett versehen? Diese grundsätzlichen Fragen wachen im Hintergrund über die Autoren dieses Handbuchs, wenn sie die wertrelevanten Aspekte von Kunstwerken qualifizieren und bemessen.
Dirk Boll differenziert etwa zwischen kunsthistorischem und Handelswert. Denn der Wert, den wir einem Kunstwerk beimessen, muss sich nicht zwangsläufig in einem Preis ausdrücken, und wenn doch, müssen sich beide Größen nicht decken. Kunstwerke mit einem hohen Handelswert müssen nicht unbedingt einen hohen kunsthistorischen Wert besitzen, und umgekehrt haben viele wertvolle Werke einen niedrigen Preis.
Für die Praxis des Kunstmarktes wollen wir zeigen, wie sich einzelne Wertschätzungen oder Bewertungen am Ende in einem Handelswert und damit in einem Preis ausdrücken. Täglich zeichnen Künstler, Kunsthändler und Auktionatoren viele Kunstwerke mit Preisen aus. Sie bewerten also Kunstwerke und es entsteht die Frage, nach welchen Kriterien, mit welchen Maßstäben diese Bewertungen vorgenommen und auf der Basis welcher Grundlagen die Preislisten dann getippt werden. Für den gelegentlichen Kunstkäufer, für den Sammler, aber auch für den Investor gibt es keine Verbraucherschutzorganisation, die vor bestimmten Erzeugnissen des Kunstmarktes warnt. Es gibt auch keine einfachen Überprüfungsmethoden.
Um die Frische eines Eis zu testen, taucht man es in ein Glas Wasser. Um den Wert eines Kunstwerkes zu messen, taugt der Test nicht. Auch das Bundeskartellamt und die Monopolkommission warnen nicht vor zu hohen oder zu geringen Kunstpreisen. Von der ehemaligen Bastion »Kunstkritik« kann der »Verbraucher« auch keine unabhängige Hilfe erwarten, denn in der vernetzten Welt bestimmen diejenigen die öffentliche Diskussion, die sie auch finanzieren. Der Bock ist hier zugleich der Gärtner, oder wie es die Galeristin Philomene Magers formuliert: »Wir wollen nicht nur die Dollars, sondern auch den Diskurs.«1 Kurzum, die Bewertung von Kunstgegenständen ist mitunter schwer verständlich, und die Preisfindung versteckt sich ganz gerne in der dunkelsten Ecke im Giftschrank des Kunsthandels.
Das vorliegende Handbuch funktioniert deshalb wie ein Scheinwerfer, den die Autoren auf die wertrelevanten Aspekte, die den Marktwert eines Kunstwerkes bestimmen, richten. Die Autoren gehen dabei ganz praktisch vor und liefern handfeste und nachvollziehbare Kriterien, mit deren Hilfe der geneigte Interessent und Sammler, aber auch der Künstler und Galerist lernt, den Wert eines Kunstwerkes selbst besser einzuschätzen. Wenngleich eine didaktische Idee der Abfolge zugrunde liegt, können die einzelnen Kapitel auch unabhängig gelesen werden, um sich über einzelne Wertaspekte zu informieren oder zu einer ganz bestimmten Frage nachzuschlagen.
Christian Knebel beleuchtet zunächst die grundlegenden Einflussfaktoren auf Kunstpreise und differenziert dann drei Teilbereiche des Kunstmarktes. Da auf diesen Teilmärkten ganz unterschiedliche Kunst gehandelt wird, sind die Bewertungsmethoden auch grundverschieden. Auf dem Primärmarkt wird die Kunst zu ihren Herstellungskosten plus einem kleinen Aufschlag gehandelt. Der Sekundärmarkt besteht aus kleinen Monopolen, die sich gegenseitig Konkurrenz machen. Künstler, die ein Monopol auf ihre Werke haben, sind auf der einen Seite unvergleichbar und singulär, aber andererseits für den Interessenten nicht selten durch das Werk eines anderen Künstlers austauschbar. Auf dem Tertiärmarkt sind die bekanntesten Künstler und die seltenen Werke zu Hause. Das Angebot dieser Monopole wird eng begrenzt und ist für den Sammler nicht mehr austauschbar. Das führt zu hohen Bewertungen und monopolistischen Preisen. Bei der Preisfindung auf diesem Teilmarkt wird gerne zur Seite, auf vermeintlich vergleichbare und bereits gehandelte Werke geschaut. Christian Knebel erläutert auch die Fallstricke und Probleme objektiv aussehender Statistiken und Preisdaten, von denen solche Vergleiche leben.
Nachdem die Marktgrundlagen deutlich geworden sind, erhellt Florian Mercker die juristischen Hintergründe von Kunstobjekten und ihrem Handel. Was genau wird mit dem Kunstwerk erworben? Sind Druckgrafiken, Fotoabzüge und unsignierte Studienblätter auch Originale? Ist der Künstler der Urheber seiner Werke, auch wenn sein Assistent sie gemalt oder gebaut hat? Die Antworten auf diese Fragen haben unmittelbaren Einfluss auf die grundlegende Bewertung von Kunstobjekten.
Einen wichtigen Einfluss auf den Handelswert hat die Geschichte eines Werkes. Wie Isabel von Klitzing ausführt, kann seine Herkunft, seine Provenienz den Marktwert stark erhöhen oder im Extremfall das Objekt wertlos machen. Hier tragen Kunstkäufer und Sammler eine Mitverantwortung, die – wird sie nicht ernst genommen – im Verlust des »rechtmäßig« erworbenen Stückes enden kann. Auch wenn auf der alten und klassisch modernen Kunst dabei ein besonderer Fokus liegt, spielt die Herkunft auch bei zeitgenössischen Werken eine Rolle. Ein abstraktes Bild vom Flohmarkt, signiert mit »Gerhard Richter«, könnte sich als unecht herausstellen, und der sensationelle Fund vom Dachboden hat fast immer eine Kriminal- und keine Werkgeschichte.
Stimmt die Provenienz und ist das Kunstwerk, das erworben werden soll, tatsächlich älter oder wurde von jungen Künstlern mit »innovativen« Materialien experimentiert, muss der Erhaltungszustand geprüft werden. Daniela Baumberg erläutert für Malerei, Zeichnung und Fotografie ganz anschaulich die augenfälligsten Erhaltungsprobleme. Mit dieser Hilfe lassen sich verbreitete Beschädigungen leicht selbst erkennen. Bei Unsicherheiten oder im Zweifelsfall – das gilt natürlich auch für die anderen wertbestimmenden Eigenschaften von Kunstwerken – sollte man sich von einem Experten beraten lassen. Ein schlechter Erhaltungszustand oder die Aussicht darauf führt jedenfalls meistens zu einer Wertberichtigung.
Sind rechtliche Stellung, Provenienz und Restaurierungszustand geprüft, widmen wir uns der Stellung des Künstlers in der Kunstgeschichte. Einen maßgeblichen Einfluss auf den Wert von Kunstwerken übt das Renommee des betreffenden Künstlers aus. Dirk Boll unterscheidet dabei also zwischen ästhetischem oder kunsthistorischem Wert und Handelswert auf der einen Seite und den verschiedenen Nutzen für den Sammler, die dem gegenüberstehen. Da das Œuvre eines Künstlers immer wieder neu zu den aktuellen Dingen der Gegenwart befragt wird, ändern sich die Ansichten über dessen Renommee im Zuge dieser Neubewertungen. Das Renommee ist also grundsätzlich keine Konstante, sondern verändert gegebenenfalls die Wertschätzung des Œuvres und hat damit letztendlich Einfluss auf den Preis.
Während Dirk Boll das Schaffen als Ganzes betrachtet, richtet Andreas Schalhorn seinen Fokus auf die Unterschiede und Funktionen von Kunstwerken innerhalb eines Œuvres. Er untersucht am Beispiel mehrerer Künstler des 18. bis 20. Jahrhunderts die künstlerischen Medien Zeichnung und Gemälde in ihrem jeweiligen Entstehungszusammenhang. Dabei steht das einzelne Werk immer in Wechselwirkung mit bereits geschaffenen Werken und im Kontext einer (sozio-) historischen Situation. Anhand von Beispielen erläutert Schalhorn, wie Künstler verschiedene Medien einsetzen, um ein bestimmtes Projekt zu realisieren. Der Blick in ein Werkverzeichnis kann zudem helfen, bestimmte Werkphasen zu identifizieren und diesen einzelne Werke zuzuordnen. Erst vor dem Hintergrund einer derartigen, zum Teil komplexen »Werkmatrix« lassen sich die verschiedenen Wertschätzungen, auch und gerade für die sogenannten Meisterwerke, erst verstehen.
In meinem Beitrag breite ich Maßstäbe für eine Bemessung der künstlerischen Qualitäten eines Kunstwerkes aus. Dazu gehören die Eigenschaften authentisch und glaubwürdig, eigenständig und innovativ sowie intensiv und evident. Kunstwerke von hoher Qualität vereinigen diese Qualitätsanforderungen. Mit Blick auf unwillkürliches Auffassen, unbewusstes Erkennen und emotionales Empfinden von Kunst verändert sich in der Qualitätsdiskussion Johann Wolfgang von Goethes Prinzip »Man sieht nur, was man weiß« zu »Man fühlt nur, was man weiß« und stellt der kognitiven Kunstrezeption die Perzeption, die intuitive Erkenntnis, zur Seite. Objektimmanente künstlerische Qualitäten müssen also eher gefühlt als kommunikativ vermittelt werden.
Jetzt haben wir die sechs Aspekte, die den Wert eines Kunstwerkes maßgeblich bestimmen, beisammen: rechtliche Stellung, Provenienz, Restaurierungszustand, Einfluss des Renommees, Stellung des Werkes im Œuvre und seine künstlerischen Qualitäten. Henrik Hanstein stellt sich der Aufgabe, den sechs Aspekten konkrete Zu- oder Abschläge beizuordnen, die am Ende in einen Preis münden.
1
Philomene Magers, zit. nach: Architectural Digest, 10, 2010, S. 146.
Christian Knebel
Navigation im Datendschungel
Segmentierung des Kunstmarktes, Vergleichswerte und Preistrends
Jeder Akteur im Kunstmarkt – egal ob kunstverliebter Sammler oder geldgetriebener Spekulant – kommt früher oder später zur Frage des Preises für ein Kunstwerk. Welche Faktoren des Kunstwerkes nun dessen Wert bestimmen, erklären die nachfolgenden Artikel dieses Sammelbandes ausführlich. Nur mit dem Blick auf ein Werk kann man allerdings nicht dessen vollständigen Marktwert bestimmen. Hierzu ist es vielmehr notwendig, sich den Zustand des Kunstmarktes an sich und auch die Preise vergleichbarer Werke anzuschauen.
Unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe
Warum braucht man überhaupt Informationen über (Vergleichs-)Preise auf dem Kunstmarkt, um ein einzelnes Kunstwerk korrekt bewerten zu können? Die Preisbildung für ein Kunstwerk basiert auf drei Säulen:
Die sich auf das Kunstwerk und dessen Zustand beziehenden Faktoren sowie jene, die durch den Künstler und kunsthistorische Aspekte erklärt werden, sind in diesem Sammelband umfassend erläutert. Es gibt allerdings allgemeine Faktoren, wie zum Beispiel die gesamtwirtschaftliche Lage, Geschmäcker und Präferenzen, die Kunstmarktsituation und die Preise von vergleichbaren Werken, die auch eine Rolle in der Bewertung spielen.
Bei der gesamtwirtschaftlichen Lage besagt der Stand der Forschung aktuell, dass Kunstmärkte mit einem Zeitversatz von drei bis sechs Monaten auf Schwankungen an den Aktien- und Immobilienmärkten reagieren. Schwieriger sind diese Erkenntnisse in Bezug auf die Stärke dieser Parallelbewegungen zu beurteilen. Es ist nicht klar, ob der Kunstmarkt entsprechenden Einbrüchen ebenbürtig stark folgt oder ob sich hier durch den zeitlichen Abstand eine Beruhigung oder eine Überreaktion einstellt. Dies scheint vielmehr durch weitere überlagernde Effekte bestimmt zu werden, die bisher noch kein Forscher systematisch erfasst hat.
Unter dem Stichwort »Geschmäcker und Präferenzen« ist dem Paradigma des Homo oeconomicus folgend festzuhalten, dass ein Kunstwerk nach vier ökonomischen Nutzendimensionen bewertet wird. Es gibt dabei materielle und immaterielle Nutzendimensionen:
1. Der materielle Wert wird zuerst einmal durch den Aufwand bei der Produktion des Werkes bestimmt. Auch dieser Wert kann bei einzelnen Kunstwerken bereits immense Summen erreichen, wenn man sich die aufwendigen Produktionsschritte vor Augen führt.
2. Ebenfalls ist der materielle Wert durch den finanziellen Profit bestimmt, den man mit dem Werk erzielen kann. Hierbei kann es zum einen um die Wertaufbewahrung gehen, um sich zum Beispiel ähnlich wie bei Gold oder Immobilien vor Inflation zu schützen. Aber auch der Spekulationsnutzen ist nicht zu verachten, denn mit dem richtigen Gespür für aufstrebende Kunstgattungen oder Künstlergruppen lassen sich innerhalb weniger Jahre große Dividenden erzielen.
3. Es existieren aber auch immaterielle Faktoren, die den Wert eines Kunstwerkes bestimmen können. Beim Konsumnutzen nimmt man an, dass der Besitzer eines Kunstwerkes beim Betrachten eine »ästhetische Dividende« erfährt und allein diesem Erlebnis einen Wert beimisst. Die Höhe der Wertschätzung hängt dabei immens von den eigenen Präferenzen für Stilrichtungen, Farben oder Formen ab. Die ästhetische Dividende ist zusätzlich auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher Kunsterfahrungen zu evaluieren. Kunstgenuss entsteht erst durch häufiges Betrachten von Kunst und mit steigendem Bildungsniveau.
4. Ein weiterer immaterieller Faktor ist der Statusnutzen von Kunst. Dieser Aspekt zielt auf den Besitz von Kunst ab, wenn man damit seinen sozialen oder ökonomischen Status in der Gesellschaft darstellen kann. Damit wird Kunst zum Kommunikations- und Ausdrucksmittel für das persönliche Selbstbild.
Insgesamt sind die Bewertungsmaßstäbe für Kunst – egal ob auf Aspekte des Künstlers, des Kunstwerkes oder der allgemeinen Marktlage bezogen – schwer zu beurteilen und zu messen. Auf der Suche nach greifbaren Informationen wird man also zwangsläufig auch die Marktsituation zu Rate ziehen wollen.
Kunstmarkt und Akteure
Um im Dschungel an Informationen zum Kunstmarkt Durchblick zu bekommen ist es hilfreich, sich zuerst die verschiedenen Segmente desselben anzuschauen. Hier halten sich die Ökonomen an die von David Throsby entwickelte Markthierarchie: Auf dem Primärmarkt tummeln sich als Käufer und Verkäufer hauptsächlich Privatpersonen, die keinen professionellen Handel mit Kunst betreiben. Als Anbieter findet man Künstler, die ihre Werke auf kleinen Kunstmärkten, Flohmärkten oder direkt aus dem Atelier verkaufen.
Es ist schwer, hier gehandelte Stücke von Dekorationsartikeln oder kunsthandwerklichen Erzeugnissen zu unterscheiden, da oft die künstlerische Qualität nicht stimmt. Das Angebot an Stücken auf dem Primärmarkt ist nahezu unendlich, was dazu führt, dass die Verkaufspreise sehr nah an den Produktionskosten für das jeweilige Werk liegen. Die Produktionskosten können dabei trotzdem sehr unterschiedlich sein: Kleine Aquarelle sind für unter 50 Euro und in kürzester Zeit zu produzieren; aufwendige Metallskulpturen erfordern da schon einen langwierigen Herstellungsprozess und auch einen deutlich höheren Material- und Werkzeugeinsatz und können leicht 1000 Euro übertreffen. Durch das Überangebot herrscht eine sehr große Konkurrenz. Trotz der zu vermutenden Größe des Primärmarktes ist es unmöglich, Aussagen über das genaue Transaktionsvolumen oder die realisierten Preise zu treffen, da die Käufe unbeobachtet bleiben. Es existieren nur grobe Schätzungen, dass im Jahr 2005 circa 80 Prozent des weltweiten Kunsthandels von circa 20 bis 30 Milliarden US-Dollar auf den Primärmarkt entfallen sind. Einen weiteren groben Anhaltspunkt kann allerdings eine Statistik des Hauses Artprice geben, die die Verteilung der Verkaufspreise am Kunstmarkt aufzeigt:1
Hier kann man deutlich erkennen, dass die Hälfte der Transaktionen auf dem sichtbaren Kunstmarkt den Wert von 1000 Euro nicht übersteigt. Der Gesamtkunstmarkt besteht also zu einem großen Teil aus finanziell geringwertigen Transaktionen. Durch das Internet hat der Primärmarkt in letzter Zeit noch an Gewicht gewonnen, da dort Transaktionen zwischen Privatpersonen deutlich erleichtert werden und auch durch entsprechende Marktplätze Unterstützung finden.
Der Sekundärmarkt ist in regionalen oder nationalen Clustern organisiert. Die Anbieter sind hier vorrangig organisierte Galerien oder Händler, die sich auf einige Künstler, spezielle Kunstgattungen oder Stilrichtungen spezialisiert haben. Käufer sind sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen und kleine Museen. Das Angebot auf dem Sekundärmarkt ist begrenzt. Die angebotenen Stücke können allerdings gut substituiert werden, das heißt der Käufer findet Alternativen am Markt, die seinem Kaufwunsch entsprechen. Daher spricht man hier von einem Markt mit monopolistischer Konkurrenz. Preise werden oft anhand einfacher Heuristiken, wie zum Beispiel Höhe mal Preis mal Multiplikator, ermittelt, was später noch genauer erläutert wird. Auf dem Sekundärmarkt treten erstmals Mittelsmänner auf (Galerien, Kunsthändler, Berater), die zwischen dem Anbieter und dem Nachfrager für ein Kunstwerk vermitteln und auch daran verdienen. Es wird geschätzt, dass weltweit mehr als 70000 Händler und Galerien existieren. Davon sind wiederum circa 4000 für einen Umsatzanteil von 75 Prozent verantwortlich. Ein Kern von ungefähr 1000 Händlern und Galerien hingegen dominiert den Sekundärmarkt mit einem Umsatzanteil von nahezu 50 Prozent. Der gleichen Studie kann man entnehmen, dass 2006 ein Umsatz von circa 22,5 Milliarden Euro auf alle Kunsthändler entfallen sein soll. Man kann allerdings auch an der Art der Daten erkennen, dass sich die hier erhobenen Fakten fast ausschließlich auf Umfragen beziehen und daher mit Vorsicht zu genießen sind. In der Regel sind die Transaktionen auf dem Sekundärmarkt ebenfalls nicht für unbeteiligte Dritte beobachtbar.
Der Tertiärmarkt ist der Kunstmarkt, von dem man klassischerweise in der Presse liest: international agierende Auktionshäuser, Händler und Galerien. Hier werden Kunstwerke bekannter Künstler gehandelt, die sowohl kunsthistorisch relevant sind als auch den allseits bekannten Kunstgattungen und Stilrichtungen entsprechen. Die Akteure auf dem Tertiärmarkt sind die ebenfalls aus der Presse bekannten Gesichter. Wohlhabende Sammler, große Museen beziehungsweise deren Direktoren und das Who’s who des Kunstmarktes treffen sich zu den alljährlich wiederkehrenden Veranstaltungen in New York, London, Paris, Basel, Miami und so weiter. Transaktionen werden nahezu immer durch Profis arrangiert, die als Vermittler zwischen Angebot und Nachfrage agieren und dafür auch entsprechend entlohnt werden. Das Angebot auf diesem Markt ist klar begrenzt, und es besteht fast keine Substituierbarkeit der Stücke, das heißt ein Interessent für ein spezielles Werk ist genau auf dieses Werk konzentriert und wird keine Alternative in Betracht ziehen. Es handelt sich um einen Markt, auf dem der Anbieter eines Werkes ein Monopol besitzt und dementsprechend auch die monopolistischen Preise im oberen Bereich rangieren. Preise werden hier durch sogenannte »Setzung« festgelegt, das heißt der Anbieter (Monopolist) setzt den gewünschten Kaufpreis als Wertbehauptung in den Markt und hofft auf einen Nachfrager, der bereit ist, diesen Preis zu zahlen. Dabei orientiert sich der Anbieter oft an Vergleichswerten und den Charakteristika des Kunstwerkes. Das Spiel von Angebot und Nachfrage kann nur sehr begrenzt in Kraft treten; einzig bei Auktionen bekommt man das Gefühl einer gewissen Marktdynamik. Der Tertiärmarkt wird von den großen Auktionshäusern Sotheby’s und Christie’s dominiert. Beispielsweise wurden im Jahr 2008 34,44 Prozent der Umsätze des Auktionsmarktes über Sotheby’s abgewickelt und sogar 39,15 Prozent über den Konkurrenten Christie’s. In US-Dollar ausgedrückt heißt das für das Jahr 2007 (das umsatzstärkste Jahr der Auktionshäuser, bevor die Kunstmarktblase 2008 platzte), dass die beiden größten Auktionshäuser einen Jahresumsatz von knapp über 11 Milliarden auf sich vereint haben.
Bildet man nun die drei Teilmärkte des Kunstmarktes grafisch ab, kommt man auf die klassische Pyramidenform, bei der der Primärmarkt die große Basis bildet und der Tertiärmarkt die kleine und exklusive Spitze darstellt. Hier kann man nun noch die verschiedenen Akteure auf Seite des Angebots hinzufügen: Künstler, Künstlerkollektive und auch deren zahlreiche Assistenten bei der Kunstproduktion. Auf der Nachfrageseite platzieren sich Privatpersonen, Firmen und Museen. Dazwischen findet man die bereits angesprochenen Vermittler in Form von Kunstberatern, Händlern, Galeristen und Auktionshäusern – wobei die Relevanz dieser Vermittler in den höher entwickelten Formen des Kunstmarktes zunimmt.
Diese klassischen Marktstrukturen und Theorien werden in letzter Zeit immer mehr aufgeweicht: Klare Unterscheidungen zwischen Auktionshäusern und Galerien fallen schwerer, weil sich die Vorgehensweisen und Geschäftsmodelle immer mehr angleichen. Auktionshäuser beteiligen sich zum Beispiel an Galerien.
Auch findet man neue Akteure und Funktionsweisen auf dem Kunstmarkt. Der Einfluss der Medien und Kritiker in Form von Kommentatoren des Kunstmarktes nimmt enorm zu. Ähnlich wie in anderen Bereichen des Lebens ist Aufmerksamkeit zu einem preisbeeinflussenden – allerdings schlecht messbaren – Faktor geworden. Künstler sind darum bemüht, diese Aufmerksamkeit rund um ihr Werk zu erzeugen. Ebenso erzeugen aber auch die Käufer von Kunst diese Aufmerksamkeit rund um ihren Besitz (zum Beispiel private Ausstellungshäuser, große Leihgaben oder provozierte »Skandale«) und werden damit zu Prosumenten. Sie konsumieren Kunst und produzieren die Aufmerksamkeit darum, die wiederum den Preis der Werke beeinflusst.
Zusammenfassend kann mal also sagen, dass Nennungen von Kunstpreisen mit Vorsicht zu genießen sind, weil ein Großteil des Kunstmarktes verdeckt stattfindet. Es können allenfalls verlässliche Aussagen über die Preise auf dem Tertiärmarkt gemacht werden.
Vergleichswerte als Anhaltspunkte
Die Marktsituation lässt sich am besten durch Vergleichswerte bestimmen. Hier gibt es verschiedene Formen:
Einfache Heuristiken
Experten sind für bestimmte Teilmärkte fähig, mit ihrem »Bauchgefühl« Preise für Kunst zu bestimmen. Sie bedienen sich dabei häufig einfacher Heuristiken. Ein Beispiel dafür ist eine Berechnungsformel für Bilder, die rein über das Format und einen Multiplikator funktioniert. Dabei rechnet man Höhe plus Breite des Werkes und multipliziert diesen Wert mit einem Wertmultiplikator für das entsprechende Medium beziehungsweise für den jeweiligen Künstler. Der Multiplikator liegt bei ganz jungen Künstlern häufig unter zehn. Künstler und Handel sind bemüht, den Faktor kontinuierlich zu steigern, um so eine Wertentwicklung zu erzeugen und zu dokumentieren und gegebenenfalls einem steigenden Interesse an den Werken Rechnung zu tragen. Bekanntere Künstler verwenden für ihre Werke deshalb nicht selten einen Faktor über hundert und auch weit darüber hinaus.
Für Künstler und Handel hat die Faktorbewertung den Vorteil, dass alle Objekte eines Mediums relative und vergleichbare Werte erhalten. Für den Künstler ist zum Beispiel die Zeichnung einer Serie so gut und deshalb auch genauso bewertet wie eine andere aus der gleichen Serie oder dem gleichen Schaffensjahr. Auch aus rein praktischen Gründen ist eine Einzelbewertung wie im Auktionsgeschäft im Primär- und Sekundärmarkt unüblich.