Das unerschöpfliche Spektrum der Liebe – selten ist es in der Lyrik des 20. Jahrhunderts so vielstimmig besungen worden wie in den Gedichten Hermann Hesses.
»Wenn Hesse von Frauen und Eros berichtet, beginnt es zu duften und zu sprühen. Da streiten noch – wie Paul Valéry sagte – Sein und Nichtsein miteinander, und der Rang, den die Geliebte einnimmt, zeichnet zugleich den Liebenden aus. Geschwisterlichkeit waltet zwischen den Geschlechtern: alle würfeln ums Paradies mit der Aussicht, es für Minuten zurückzugewinnen.« Rudolf Hagelstange
Hermann Hesse, am 2. Juli 1877 in Calw/Württemberg geboren, 1946 ausgezeichnet mit dem Nobelpreis für Literatur, starb am 9. August 1962 in Montagnola bei Lugano.
Liebesgedichte
Ausgewählt von
Volker Michels
Suhrkamp
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 4124.
© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1953, 1977 und 1997
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eISBN 978-3-518-74385-0
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Betty, schöne Kellnerin,
Lach nicht so gemein!
Du sollst meine Königin
Und mein Engel sein.
Ach, du weißt nicht, wie ich litt,
Als mit Worten und mit Gesten
Du mir ferneren Kredit
Weigertest vor allen Gästen!
Wenn du heut nicht reagierst,
Ja dich strenger zeigst und kälter,
Wisse, daß du dann verlierst
Deinen Freund und deine Gelder!
[1892]
O lache, so lange dir blüht das Glück,
Genieße mit hoffnungsfreudigem Blick
Die schönen, goldenen Tage!
O trinke die Liebe Kuß auf Kuß,
Es schwindet, es flieht der süße Genuß,
Der Liebe folgt die Klage.
Und wenn du im Schmerze lange geweint,
So denke an deinen liebenden Freund
Und denke seiner mit Treue.
Ist Glück und Liebe dir auch vergällt,
So fluche nicht gleich der ganzen Welt,
O fliehe, o fliehe – die Reue!
[1892]
Auf einer Reise, heiß und matt,
Saß ich im überfüllten Wagen,
Ein altes, breites Zeitungsblatt
In beiden Händen aufgeschlagen.
Der Zug hielt an. Ich schaute auch
Wie andre müßig durch die Scheiben,
Sah Hüte, Schleier, halb im Rauch
Mir fensterlang vorübertreiben.
Da bog aus dunklem Seidenflor
Mit feiner Stirn und blonden Haaren
Ein schöner Frauenkopf sich vor,
Den ich gesucht seit vielen Jahren.
Ich schrak empor, und meine Hand
Fuhr zitternd nach dem Fensterrahmen,
Da hört ich im Gewühl genannt
Mit lauter Stimme ihren Namen.
Ich sah nun, den ich lang gehaßt,
Mit kühlem Gruße zu ihr treten,
Am Arm die leichte Reiselast,
Und hört ihn leise mit ihr reden.
Sie gingen weg. Der Pfiff erklang,
Ich sank zurück; ein schwerer, trüber,
Schmerzhafter Dunst ins Aug’ mir drang,
Und draußen flog die Stadt vorüber.
[1896]
Drüben überm Berge,
Wo die späten Glocken gehn,
Weiß ich eine große Stadt
Und ein kleines Haus drin stehn.
Drüben überm Berge
Und im Staub der großen Stadt
Weiß ich einen süßen Mund,
Der mein Herz vergiftet hat.
Drüben überm Berge,
Wo das lichte Leben wohnt,
Liegt die Welt und liegt mein Glück
Blind und fern im bleichen Mond.
Drüben überm Berge,
Wo die späten Glocken gehn,
Muß ich jede Nacht im Traum
Vor dem kleinen Hause stehn.
[1897]
Weil ich dich liebe, bin ich des Nachts
So wild und flüsternd zu dir gekommen,
Und daß du mich nimmer vergessen kannst,
Hab ich deine Seele mit mir genommen.
Sie ist nun bei mir und gehört mir ganz
Im Guten und auch im Bösen;
Von meiner wilden, brennenden Liebe
Kann dich kein Engel erlösen.
[1898]
Meine Lieder stehen
Vor deiner Tür,
Sie klopfen an und bücken sich:
Öffnest du mir?
Meine Lieder haben
Einen seidenen Klang
Dem Rauschen deines Kleides gleich
Im Treppengang.
Meine Lieder tragen
Ein Duften lind,
Ganz wie in deinem Lieblingsbeet
Der Hyazinth.
Meine Lieder kleidet
Ein schweres Rot,
Das deinem seidnen Kleide gleich
Knistert und loht.
Meine schönsten Lieder
Gleichen ganz dir.
Sie stehn an der Pforte und bücken sich:
Öffnest du mir?
[1898]
Ein Lieblingstraum, aus goldnen Nächten
Vortretend, schlank, in ernster Ruh,
Den Zauberschleier in der Rechten –
So schön bist du!
Mein Blick erstaunt und muß sich senken,
Mein Herz schließt alle Tore zu,
Dem Wunder heimlich nachzudenken –
So schön bist du!
So ziehen Sterne ihre Bahn,
Unwandelbar und unverstanden!
Wir winden uns in hundert Banden,
Du steigst von Glanz zu Glanz hinan.
Dein Leben ist ein einzig Licht!
Ich muß aus meinen Dunkelheiten
Sehnsüchtige Arme nach dir breiten,
Du lächelst und verstehst mich nicht.
Ich fragte dich, warum dein Auge gern
In meinem Auge ruht,
So wie ein reiner Himmelsstern
In einer dunklen Flut.
Du sahest lang mich an,
Wie man ein Kind mit Blicken mißt,
Und sagtest freundlich dann:
Ich bin dir gut, weil du so traurig bist.
[1898]
Hochmütig, schön und rätselhaft,
Der Mund voll Spott, die Stirn voll Stolz,
Der Blick voll loher Leidenschaft –
Und über deine Schulter hängt
Ein Bündel schweren Lockengolds.
Ich sah dich froh und mienenklar,
Sah dich in Nächten aufgerafft
Aus schwülem Bett mit wirrem Haar,
Ich sah dich hundertfach, doch jedesmal
Hochmütig, schön und rätselhaft.
[1898]
Rast haltend unter Edeltannen
Besinn ich mich der alten Zeit,
Da in mein erstes Knabenleid
Dieselben Waldesdüfte rannen.
An diesem Ort – – ich lag im Moose
Und träumte scheu und knabenwild
Ein blondes, schlankes Mädchenbild,
In meinem Kranz die erste Rose.
Die Zeit ging hin; der Traum ward alt
Und wich von mir. Ein andrer kam. –
Wie lang, daß der auch Abschied nahm!
Mich quält, wem jener erste galt.
Ja wem? Ich weiß nur noch: sie war
Holdselig, schlank und blond von Haar.
[1898]
Es geht ein Wind von Westen,
Die Linden stöhnen sehr,
Der Mond lugt aus den Ästen
In meine Stube her.
Ich habe meiner Lieben,
Die mich verlassen hat,
Einen langen Brief geschrieben,
Der Mond scheint auf das Blatt.
Bei seinem stillen Scheinen,
Das über die Zeilen geht,
Vergißt mein Herz vor Weinen
Schlaf, Mond und Nachtgebet.
[1899]
Ich soll dir Lieder singen –