»Das Wunderkind kommt herein; – im Saale wird’s still. Und dann beginnen die Leute zu klatschen. Sie haben noch nichts gehört, aber sie klatschen Beifall …«
Thomas Mann,
»Das Wunderkind«
Gewidmet meiner Schwester Martha
ISBN 978-3-89798-508-7
eISBN 978-3-89798-614-5
© BuchVerlag für die Frau GmbH, Leipzig 2016
Bildverzeichnis: S. 125
Einband, Satz, Typografie: Uta Wolf
www.buchverlag-fuer-die-frau.de
Das Phänomen Wunderkind
Mathematiker & Naturwissenschaftler
Europas erste Professorin:
Laura Bassi
Fürst der Mathematik:
Carl Friedrich Gauß
Doppelte Nobelpreisträgerin:
Marie Curie
Genie mit Ansage: Norbert Wiener
Komponisten & Maler
Wen die Götter lieben:
Wolfgang Amadeus Mozart
Ideale Erziehung:
Felix Mendelssohn Bartholdy
Vom Vater unterrichtet, nach der Mutter benannt:
Pablo Picasso
»Das letzte Wunderkind«:
Erich Wolfgang Korngold
Philologen & Universalgenies
Auf der Suche nach Gott:
Blaise Pascal
Newtons Todfeind:
Gottfried Wilhelm Leibniz
Ein tragisches Kinderleben:
Christian Heinrich Heineken
Lebensthema Hieroglyphen:
Jean Francçois Champollion
»Inselbegabungen«: Rechnen, Schach, Klavier
Rechnen auf Befehl:
Moritz Frankl
Ein Experiment aus Ungarn:
Judit Polgar
Wenn das Klavier zum Lebensinhalt wird:
Lang Lang
Quellenverzeichnis
Sie können schon vor dem Schulanfang lesen und rechnen, beherrschen schnell Fremdsprachen, verstehen in Windeseile komplexe Zusammenhänge oder erlernen ein Musikinstrument rasant bis zur Konzertreife. »Wunderkinder« nennen Gesellschaft und Medien jene blitzgescheiten Heranwachsenden, die schon in der Kindheit herausragende Fähigkeiten zeigen. Es vergeht kaum ein Jahr, da nicht auf irgendeinem Gebiet ein neues Wunderkind ausgerufen wird – ob in der Wissenschaft oder in der Musik. Selbst der Sport, wo Kinder am ehesten Älteren körperlich unterlegen sind, kennt das Phänomen: Da wird ein talentierter 15-jähriger Fußballer als Wunderkind betitelt, und die amerikanischen Medien schreiben vom »German Wunderkind«, wenn sie den gar nicht mehr so jungen Basketballer Dirk Nowitzki meinen.
Dabei tut sich die Pädagogik ausgesprochen schwer mit Wunderkindern und umgeht den Begriff konsequent. Die Skepsis ist keinesfalls neu. Arnold Schönberg formulierte einst mit Blick auf seinen kindlichen Konkurrenten Erich Wolfgang Korngold bissig: »Ein Wunderkind ist jemand, der schon mit sechs so unbegabt ist wie andere erst mit sechzig.« Wissenschaftler schreiben lieber von »Hochbegabung«: Ist ein Kind auf vielen Gebieten talentiert, bezeichnen sie es als »mehrfach begabt«, während exzellente Fähigkeiten auf ausschließlich einem Gebiet als »Inselbegabung« gelten. Je nachdem, ob man einen Intelligenzquotienten von 140 oder 130 als Schwelle ansieht, zählen immerhin zwei bis vier Prozent der Bevölkerung zu den Hochbegabten – in Deutschland also bis zu 3,2 Millionen Menschen.
Dass es deutlich weniger Wunderkinder gibt, ist nicht von der Hand zu weisen. Manchmal wird das intellektuelle Potenzial von Hochbegabten schlicht nicht erkannt. Für andere wieder scheint die lange und mühevolle Ausbildung, die die Biografien aller Wunderkinder ausmacht, nicht attraktiv und wird als »nicht kindgemäß« abgelehnt. Umso erstaunlicher, dass es sogar Wunderkinder gibt, die einen unter der Norm von 100 liegenden Intelligenzquotienten haben und die dennoch in einem eng begrenzten Bereich extreme Fähigkeiten aufweisen. Dazu zählen beispielsweise neben einigen künstlerisch Hochbegabten auch kindliche Rechengenies, die unglaubliche Leistungen im Kopfrechnen erbringen, die aber ansonsten besondere Lernförderung brauchen.
Letztlich ist das Phänomen der Wunderkinder bis heute nicht erklärbar. In jüngster Zeit betont die Forschung wieder stärker genetische Faktoren, da bei Eltern von Hochbegabten oft ähnliche Begabungen beobachtet werden. Aber auch die Erziehung hat großen Einfluss, weil der Nachwuchs sein ererbtes Potenzial eben nur dann voll ausschöpfen kann, wenn er schon vom Kleinkindalter an gefördert wird.