Title Page
Buchbeschreibung
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
Epilog
Über die Autorin
Copyright
Ein Grieche für immer
(Jenseits des Olymps – Buch 4)
Tina Folsom
Nach einer schmerzhaften Trennung hat Eros, der Gott der Liebe, von der Liebe genug und weigert sich, weiterhin seine Pfeile abzuschießen. Infolgedessen verlieben sich die Menschen auf der Erde nicht mehr. Als Zeus Wind davon bekommt, wird er wütend und zwingt Eros’ beste Freunde, die Götter Triton, Dionysos und Hermes, ihm zu helfen. Sie sollen Eros’ Glauben an die Liebe wiederherstellen. Und wie besser könnten sie das in die Wege leiten, als dafür zu sorgen, dass Eros der verlockenden menschlichen Floristin Psyche, die genauso zynisch der Liebe gegenüber eingestellt ist wie Eros, über den Weg läuft?
MEHR VON TINA
Scanguards Vampire
Hüter der Nacht
Jenseits des Olymps
Der Clan der Vampire (Venedig)
Der Club der ewigen Junggesellen
Phoenix Code Serie mit Lara Adrian
* * * * *
Ein Grieche für Immer
Copyright © 2017 Tina Folsom
* * * * *
Liebe. Der größte Betrug aller Zeiten!
Eros schnaubte und wanderte ziellos die King Street im Zentrum von Charleston entlang. Ein Baldachin aus funkelnden Sternen überzog den Nachthimmel und sorgte für eine romantische Kulisse für die gemütlichen Restaurants, die die Straße säumten. Sie hatten ihre Fenster und Schiebetüren geöffnet, um an diesem ungewöhnlich warmen Valentinstag den Gästen ein Dinner unter dem Sternenhimmel bieten zu können. Doch lag keine Romantik in der Luft.
Trotz vieler verlockender Angebote wie Mehrgänge-Menüs zum halben Preis gab es nur wenige Kunden. Keine jungen Liebenden gingen Hand in Hand, um ihre Beziehung zu feiern, keine Heiratsanträge wurden heute Abend gemacht. Und das alles wegen Eros.
Pure Ironie! Er hatte den Valentinstag immer geliebt, denn es war der Tag, an dem er die Früchte seiner Arbeit in all ihrer Pracht hatte bewundern können. Erste Liebe, Verlobungen, glückliche Paare. Dafür hatte er gelebt, solange er zurückdenken konnte. Der Gott der Liebe zu sein, war ihm immer wie der beste Job auf Erden vorgekommen. Pfeile zu verschießen und dafür zu sorgen, dass die Menschen sich verliebten, war ihm nie eine Mühsal gewesen. Er war stolz darauf gewesen und sein Herz hatte sich jedes Mal erwärmt, wenn er zusah, wie ein weiteres Paar sich verliebte und ein gemeinsames Leben begann.
Doch ihm war dieses Glück, das er so vielen Sterblichen schenkte, nicht beschert worden. Nein, er, der Gott der Liebe, hatte so schmerzlichen Kummer erlitten, dass dies seinen Glauben an die Liebe völlig zerstört hatte. Er wusste jetzt, dass Liebe nur eine Illusion war. Sie war nicht echt. War es nie gewesen. Wie konnte er also guten Gewissens dafür sorgen, dass die Menschen sich verliebten, wo er doch wusste, dass alles nur eine Lüge war? Wozu, wenn Verliebtsein doch nur mit Schmerz und Kummer enden würde, mit Tränen und gebrochenen Herzen? Nein, so grausam konnte er nicht sein.
Also hatte er das Einzige getan, was er tun konnte, um den Menschen zu ersparen, was er durchgemacht hatte: Er hatte aufgehört, seine Pfeile zu verschießen. Aus unerklärlichen Gründen verliebten sich zwar immer noch einige Sterbliche, jedoch machten diese nur einen winzigen Bruchteil der Erdbevölkerung aus. Der Rest brauchte den kleinen Schubs, für den seine Pfeile sorgten. Und den er ihnen jetzt vorenthielt.
Als er weiterging, versuchten die Restaurantbesitzer, ihn zu betören einzutreten, doch er lehnte ab und wanderte weiter auf seinem ziellosen Pfad. Er kam an einem Geschäft namens In Vino Veritas, einem Weinladen, vorbei, der der Frau seines Freundes, des Gottes Dionysos, gehörte. Dio hatte vor einigen Jahren mit einer Sterblichen die wahre Liebe gefunden. Aber wie lange würde diese Beziehung andauern? Was, wenn Ariadne Dionysos eines Tages verließ, obwohl sie ihm im ersten Ehejahr einen Sohn geschenkt hatte? Wie konnte sich irgendjemand jemals sicher sein, dass ihre Liebe andauern würde? Wie sollten sie ihre Leben mit der Ungewissheit führen, dass die Liebe von einem auf den anderen Augenblick enden könnte?
Ein Blitz spaltete plötzlich, gefolgt von ohrenbetäubendem Donner, den Himmel. Eros blickte hinauf zu dem wolkenlosen Firmament, hob seine Hand und streckte den Mittelfinger aus.
„Leck mich, Zeus!“, zischte er leise.
Eros wusste nur zu gut, dass er gerufen wurde, doch er hatte nicht die Absicht, Zeus’ Einladung zum Olymp zu folgen. Offensichtlich war Zeus nicht erfreut darüber, da ein paar Augenblicke später weitere Blitze die Nacht erhellten und das Donnern bedrohlicher wurde.
„Ich habe dich schon beim ersten Mal gehört, alter Mann“, knurrte Eros. „Verstehst du keine Anspielung?“
Plötzlich spürte er eine Kraft seinen Körper ergreifen, und ihm wurde klar, dass er wegteleportiert wurde.
„Nein, und du offenbar auch nicht“, hörte Eros Zeus sagen, als er wieder festen Boden unter den Füßen verspürte.
Er musste sich nicht umsehen, um zu wissen, wo er sich befand – in Zeus’ Arbeitszimmer in dessen Palast auf dem Olymp. Hier war es frühmorgens. Große Glastüren führten hinaus auf eine Terrasse, von der aus man die sterbliche Welt Griechenlands überblicken konnte. Eine große, runde, spiegelartige Scheibe im Boden verschaffte Zeus einen Blick auf jeden anderen Ort der Welt: sein allsehendes Auge. Der Raum war opulent ausgestattet, so wie sich die Sterblichen den Palast eines Gottes vorstellen würden: Überall gab es weißen Marmor, Säulen, Wandmalereien und Deckenfenster. Doch Eros nahm sich nicht einmal eine Sekunde Zeit, die Schönheit mit einem Blick zu würdigen. Genauso wenig wie er sich Zeit nahm, seinen Großvater zu begrüßen, ein gut aussehender Mann in seinen besten Jahren. Wie immer war dieser vorzüglich in Designerklamotten gekleidet, die ihn aussehen ließen, als wäre er gerade von einem Fotoshooting für ein Männermagazin gekommen.
„Was willst du?“, bellte Eros.
„Ein wenig Respekt wäre ein guter Anfang, Junge.“
„Ich bin nicht dein Junge!“
„Warum benimmst du dich dann wie einer? Du vernachlässigst deine Pflichten.“
Eros kniff die Augen zusammen. „Lass mich in Ruhe.“ Er versuchte, sich umzudrehen und wegzuteleportieren, verspürte jedoch eine seltsame Kraft, die seine Füße an den Boden fesselte und ihn unbeweglich machte.
„Du gehst nirgendwo hin. Also kannst du dir genauso gut anhören, was ich zu sagen habe.“
„Das wird ja viel bringen“, knurrte Eros leise.
„Da du anscheinend lieber woanders wärst, werde ich es kurz machen“, sagte Zeus mit angenehmer Stimme.
Doch Eros kannte seinen Großvater gut genug, um zu wissen, was sich unter dem scheinbar ruhigen Äußeren des anderen Mannes zusammenbraute. Oft genug hatte er eine von Zeus’ Schimpftiraden über sich ergehen lassen müssen und wusste daher, was jetzt kommen würde. Er hatte keine Angst. Es gab nichts, was der alte Mann tun oder sagen konnte, um ihn umzustimmen. Er hatte seine Entscheidung getroffen: Auf der Erde würde es keine romantische Liebe mehr geben.
„Hast du eine Ahnung, was für Probleme deine Untätigkeit verursacht hat?“, donnerte Zeus, dessen Gesicht plötzlich nur noch Zentimeter von Eros’ entfernt war, obwohl er nicht gesehen hatte, wie der Gott der Götter sich bewegt hatte.
Verdammt! Er hasste es, wenn Zeus das machte. Es verschaffte ihm unwillkürliches Herzrasen und er hatte geschworen, sich von Zeus nie aus dem Konzept bringen zu lassen. Instinktiv ballte er seine Hände zu Fäusten. Er hatte seinen Großvater noch nie geschlagen, aber für alles gab es ein erstes Mal.
„Du redest also nicht, wie, Junge?“
Das hasste er ebenfalls, die Art, wie Zeus ihn Junge nannte, als wäre er ein Diener und nicht ein Gott wie er. Doch verdammt nochmal, er würde nicht zulassen, dass der alte Mann ihn zu einer Reaktion anstachelte.
„Dann lass mich es dir bildlich darlegen, da du deine eigenen Fehler offensichtlich nicht sehen kannst.“ Er zeigte auf das allsehende Auge auf dem Boden. „Ganze Unternehmenszweige schließen wegen dir: Floristen, Hochzeitsplaner, Hotels, Hochzeitskapellen, Brautboutiquen. Es herrscht Wohnungsmangel, da niemand mehr mit jemand anderem zusammenzieht. Die Restaurants sind leer. Niemand verabredet sich mehr zu Dates. Hebammen wechseln ihren Beruf. Kapierst du es jetzt?“
Eros verkrampfte seine Schultern. „Bist du fertig?“
„Nein, ich bin nicht fertig! Ich bin erst fertig, wenn du wieder anfängst, deinen Job zu erledigen! Du bist der Gott der Liebe, verdammt noch mal! Du hast eine Pflicht. Und wie lange faulenzt du jetzt schon? Ein Jahr? Achtzehn Monate?“
Eros füllte seine Lunge mit Luft, unfähig, seine Antwort zurückzuhalten. „Ein Jahr, zwei Monate und dreizehn Tage, wenn du es genau wissen willst.“ Als hätte er je den Tag vergessen können, an dem er betrogen worden war.
„Reiß dich zusammen. Ich habe dir Zeit gegeben, Junge. Ich bin nachsichtig gewesen, aber die Sache ist außer Kontrolle geraten. Aphrodite ist über dein Verhalten entsetzt.“
„Lassen wir meine Mutter da raus.“
„Nein, lassen wir nicht.“ Einer von Zeus’ Mundwinkel zog sich leicht nach oben. Er wusste, dass Eros seine Mutter bedingungslos liebte, und würde das ausnutzen, wenn es ihm ins Konzept passte.
„Das ist ein Tiefschlag, Zeus, selbst für dich.“
„Wäre es dir lieber, wenn wir deinen Vater da hineinziehen?“
Eros dachte einen Augenblick lang über die Worte seines Großvaters nach. Zeus stritt sich ständig mit Ares, dem Gott des Krieges, und hatte alles getan, um dessen Beziehung zu Aphrodite zu zerstören. Vielleicht, weil Zeus Aphrodite für sich selbst hatte haben wollen – geiler alter Sack. Doch Zeus würde gegenüber Ares niemals zugeben, dass er es nicht schaffte, Eros wieder auf Kurs zu bringen. Also ließ er es darauf ankommen.
„Da der gute alte Dad einen guten Krieg liebt, glaube ich, wird er bei diesem kleinen Disput auf meiner Seite stehen.“ Eros verschränkte die Arme vor der Brust und wartete.
Zeus drückte seinen Zeigefinger in Eros’ Brustmuskeln. „Hör zu, Junge. Hol deinen magischen Bogen und deine Pfeile und fang an, sie vierundzwanzig Stunden am Tag abzuschießen.“
Eros bewegte sich keinen Zentimeter. „Schieß sie doch selbst.“
Zeus hob seine Arme und plötzlich schossen Blitze aus seinen Fingern. Die Blitze verließen den Raum durch die Türen und rollten den Berg hinab. Seine Wut war jetzt greifbar.
„Du weißt genauso gut wie ich, dass du der Einzige bist, der die Pfeile verschießen kann.“
Eros war sich dessen bewusst. Sollte ein anderer Gott je einen seiner Pfeile verschießen und jemanden damit treffen, könnte das verheerende Konsequenzen haben. Er erinnerte sich nur zu gut daran, was mit Triton geschehen war, nachdem Orion mit einem von Eros’ Pfeilen auf ihn geschossen hatte. Triton, der kurzzeitig seine Gotteskräfte verloren hatte, verliebte sich, obwohl die Pfeile normalerweise keine Wirkung auf einen Gott hatten. Und selbst nachdem er seine Kräfte wiedererlangt hatte, liebte Triton Sophia, die nun seine Frau war, immer noch, obwohl die Wirkung an diesem Punkt bereits hätte verpuffen müssen. Eros konnte nur darüber spekulieren, was passieren würde, wenn ein anderer Gott Menschen mit Eros’ magischen Pfeilen beschoss. Es war gut möglich, dass sie dann die entgegengesetzte Wirkung haben könnten.
Nichtsdestotrotz zuckte Eros mit den Schultern, denn es war ihm egal. Er hatte vor einem Jahr, zwei Monaten und dreizehn Tagen aufgehört, an die Liebe zu glauben. „Tja, das ist doof. Also sind wir hier fertig.“
„Ich sage, wann wir fertig sind!“, donnerte Zeus noch lauter als zuvor. „Ich werde dich bestrafen! Hörst du mich?“
„Ich höre dich und das tut auch halb Griechenland.“ Eros deutete mit seinem Daumen über die Schulter und zeigte auf die Welt der Sterblichen am Fuße des Berges. „Nur zu. Bestrafe mich! Dann siehst du ja, ob es mir was ausmacht.“
Zu seiner Überraschung stieß Zeus ein lautes Seufzen aus. „Warum, Eros?“
„Wahre Liebe ist eine Lüge. Ich hätte es schon früher erkennen sollen.“ Er starrte seinen Großvater an und hoffte, dass er vielleicht jetzt Verständnis bei ihm finden würde. „Wie kann ich das den Sterblichen antun? Dafür sorgen, dass sie sich verlieben, und dann zusehen, wie ihnen das Herz gebrochen wird? Hab doch Mitgefühl!“
„Wir werden alle gelegentlich enttäuscht“, wich Zeus aus.
„Enttäuscht? Du denkst, ich wurde enttäuscht? Betrogen kommt der Sache schon eher nahe.“ Der Gedanke daran verursachte ihm immer noch einen bitteren Geschmack auf der Zunge.
„Nichts kann so schlimm gewesen sein –“
Eros hob die Hand. „Woher willst du das wissen? Du hast noch nie jemanden geliebt außer dich selbst.“
Zeus zog, offensichtlich überrascht, eine Augenbraue hoch. Langsam schüttelte er den Kopf. „Ich habe viele Frauen geliebt.“
„Du meinst, du hast sie begehrt“, korrigierte Eros ihn. Zeus war bekannt für seine starke Libido, seine Affären und seine vielen unehelichen Kinder, sowohl in der Welt der Götter als auch in der Welt der Sterblichen.
Zeus kniff die Augen zusammen. „Ich kenne den Unterschied zwischen Liebe und Begierde. Aber vielleicht brauchst du eine Lektion.“
„Kein Interesse.“ Selbst das Verlangen hatte ihn verlassen. Über ein Jahr lang hatte er schon keine Frau mehr berührt. Er hatte keinen Drang nach Sex, keinen Appetit, einer Frau nachzusteigen, kein Interesse an wildem Bettsport.
Einen Augenblick lang herrschte Stille in Zeus’ Arbeitszimmer, dann drehte sich der Gott der Götter abrupt um und schritt zu seinem Schreibtisch. Er setzte sich und blickte dann zu Eros hoch. „Mein Blut läuft durch deine Adern. Bilde dir nicht ein, dass du dich so sehr von mir unterscheidest. Du brauchst die Liebe genauso wie der Rest von uns. Und das werde ich dir beweisen.“
„Ja, viel Glück damit“, spottete Eros. „Sind wir fertig?“
„Für heute.“
Eros machte kehrt.
„Und Eros, ich glaube nicht, dass du weißt, was Liebe ist. Zumindest noch nicht“, behauptete Zeus.
„Wenn das der Fall ist, werde ich es von dir ganz sicher nicht lernen.“ Ohne auf Zeus’ Antwort zu warten, teleportierte Eros davon.
Dionysos hatte das Wochenende mit seiner Frau Ariadne und seinem Sohn Thoas auf seinem Weingut in Napa verbracht und hatte sie alle am frühen Morgen wieder zurück in ihr Haus in Charleston teleportiert. Nachdem er Ari im In Vino Veritas, ihrer Weinhandlung, abgesetzt hatte, hatte er geplant, mit seinem Sohn an der Hafenpromenade spazieren zu gehen. Er liebte es, Zeit mit ihm zu verbringen, besonders jetzt, da Thoas angefangen hatte, zu laufen und munter zu plappern. Der Junge hatte dichtes, dunkles Haar und sah aus wie eine Miniaturversion von Dio. Dieser hätte nicht glücklicher darüber sein können, dass Ari ihm einen Sohn geschenkt hatte.
Wenn er auf den Abschnitt seines Lebens zurückblickte, bevor er Ariadne kennengelernt hatte, als er ein unverbesserlicher Schürzenjäger und Trunkenbold gewesen war, hätte er sich nie vorstellen können, wie sehr er es lieben würde, eine Familie zu haben und der Liebe seines Lebens treu zu sein. Vielleicht sollte er Zeus bitten, den Job als Gott des Weines und der Ekstase jemand anderem zu geben – obwohl er Wein immer noch mochte und Ekstase mit Ari eine häufige Begebenheit und besser als je zuvor war.
Sein Spaziergang mit Thoas wurde durch eine SMS des Gottes der Seefahrer und Matrosen, seines besten Freundes Triton, unterbrochen.
Dringend, lautete es in der Nachricht. Beweg deinen Hintern hierher, pronto.
Hierher war Tritons Haus in der Battery Street, eine riesige alte Villa, die seine sterbliche Frau Sophia geerbt und in ein Bed and Breakfast verwandelt hatte, das Olympus Inn.
Dio sah sich um. Viele Leute schlenderten umher, waren auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule. Er hob seinen Sohn in seine Arme.
„Wir werden Onkel Triton besuchen“, verkündete er dem Jungen.
Thoas stieß ein gurgelndes Lachen aus. „Triton, zip-zip!“ Er klatschte aufgeregt in die Hände.
„Sorry, Thoas, heute kein zip-zip.“ Es waren einfach zu viele Menschen in der Nähe, die hätten sehen können, wie er teleportierte – eine Handlung, die Thoas wegen der Geschwindigkeit der Reise zip-zip nannte. Thoas liebte es und Dio versuchte ständig, ihm einzubläuen, wie wichtig es war, diese Sache geheim zu halten, in der Hoffnung, dass sein Sohn bald verstehen würde, wann Teleportieren akzeptabel war und wann es vermieden werden musste. „Wir wollen nicht erwischt werden, erinnerst du dich?“
Thoas warf ihm einen enttäuschten Blick zu. „Kein zip-zip?“
„Vielleicht später, okay?“ Als er den traurigen Blick seines Sohnes bemerkte, fügte Dio hinzu: „Willst du auf meinen Schultern reiten?“
„Ja!“
Er hob den Jungen auf seine Schultern und machte sich auf den Weg zum Bed and Breakfast, wobei er Thoas an den Händen festhielt, damit er nicht nach hinten fallen konnte. An der Tür, die während der Öffnungszeiten immer offen stand, hob er Thoas herunter, trug ihn die Treppe hinauf und stellte ihn dort wieder auf die Füße.
„Sollen wir Onkel Triton suchen?“, fragte er den Jungen und beugte sich zu ihm hinab. Triton war natürlich nicht Thoas’ Onkel sondern Dios Cousin, aber der Junge war noch nicht alt genug, um den Unterschied zu kennen und sowohl Sophia als auch Triton behandelten Dios Sohn wie ihren Neffen.
Es stellte sich heraus, dass eine lange Suche unnötig war. Sophia, Tritons liebliche Frau, kam aus dem Esszimmer und lächelte ihn an. „Morgen, Dio. Er ist in seinem Arbeitszimmer.“
„Morgen, Sophia.“
Sie näherte sich Thoas. Er rannte auf sie zu und warf sich in ihre ausgebreiteten Arme, darauf vertrauend, dass sie ihn auffangen würde. Sie knuddelte ihn kurz und blickte dann hoch. „Soll ich auf ihn aufpassen, während du mit Triton redest?“
Dio wollte gerade das Angebot annehmen, als Thoas sich aus ihren Armen wand und wieder auf ihn zurannte. „Onkel Triton“, brabbelte er.
Dio lächelte Sophia an. „Ich glaube, er will bei den Jungs bleiben.“ Er nahm seine Hand. „Weißt du, was so dringend ist?“
Sophia zuckte mit den Schultern. „Bin mir nicht sicher. Hermes ist vor ein paar Minuten hier aufgetaucht. Er sagte, Zeus wolle eine Unterredung.“
„Na, das ist ja einfach großartig. Hoffentlich kommt mir mein Frühstück nicht wieder hoch.“ Zeus zu sehen stand nicht sehr weit oben auf der Liste seiner Lieblingsaktivitäten. Normalerweise brauchte er ein paar Drinks, bevor er seinen Erzeuger ertragen konnte.
„Ich dachte, dass ihr euch zur Zeit besser vertragt“, sagte Sophia.
Dio zwang sich zu lächeln. „Weil wir uns weniger sehen.“
Sophia kicherte. „Ah, also gab es einen Grund ...“ Sie wandte sich zur Treppe. „Wir sehen uns später.“
„Bis dann.“ Er sah ihr nach, wie sie die Treppe in den zweiten Stock hochstieg und beugte sich dann zu seinem Sohn hinab. „Sieht so aus, als würdest du heute Opa sehen.“ Und glücklicherweise war Zeus ganz vernarrt in seinen Enkel. Vielleicht würde das den Druck von Dio nehmen, denn immer wenn Zeus unangekündigt auftauchte oder nach einem Gespräch verlangte, bedeutete das schlechte Neuigkeiten. Mit seinem Sohn an der Hand begab sich Dio zu Tritons Arbeitszimmer, das sich am Ende des langen Korridors befand und Ausblick auf den großen gepflegten Garten bot. Dio klopfte kurz, wartete auf das „Herein“ und trat ein.
Triton saß nicht an seinem Schreibtisch, wo er sich normalerweise um die Finanzen und anderen Angelegenheiten des Bed and Breakfasts kümmerte. Stattdessen lehnte er an dessen Kante, während Hermes, der Götterbote – und ein weiterer von Zeus’ vielen Söhnen – vor dem Fenster auf und ab wanderte. Aus den Augenwinkeln sah Dio eine Bewegung und drehte den Kopf. Zeus erhob sich aus einem bequemen Sessel.
„Wurde auch Zeit, dass du auftauchst!“, knurrte Zeus offensichtlich schlecht gelaunt.
Dio entschied sich, diese unverschämten Worte nicht mit einer Antwort zu würdigen, ließ Thoas’ Hand los und beugte sich zu dem Kind hinunter. „Willst du hi zu Opa sagen?“
„Nein!“, ließ Thoas verlauten und klammerte sich plötzlich verzweifelt an Dios Bein. Das musste er seinem Sohn lassen: Er hatte gute Instinkte. Es war besser, sich dem alten Mann nicht zu nähern, wenn er so schlecht gelaunt war.
Zeus blickte den Jungen nur kurz an, nickte und sagte: „Dann eben später.“ Dann wanderte sein Blick zu Dio, Triton und Hermes und sein Gesichtsausdruck wirkte entschlossen. Dies war kein Familienbesuch. Der Gott der Götter war gekommen, um etwas Geschäftliches zu besprechen.
Dio wechselte einen Blick mit seinen zwei besten Freunden, doch beide schwiegen, offensichtlich ebenso ahnungslos darüber, weswegen Zeus dieses Mal so angepisst war.
„Jetzt, da wir endlich alle versammelt sind, lasst mich zur Sache kommen“, fing Zeus an. Seine Stimme war tief und harsch, fast wie der Donner, der in diesem Teil der Welt oft durch den Himmel rollte. „Eros tanzt aus der Reihe.“
Ein kollektives erleichtertes Seufzen ging durch den Raum. Anscheinend war Dio nicht der Einzige, der angenommen hatte, etwas in seinem Verhalten wäre der Auslöser für Zeus’ Verärgerung gewesen.
„Was meinst du mit aus der Reihe?“, wagte Hermes zu fragen.
Schlechter Zug. Zeus drehte sich um, um Dios Halbbruder finster anzublicken. „Er weigert sich, seine Pfeile zu verschießen.“
„Oh“, murmelte Hermes und senkte den Blick auf seine geflügelten Sandalen.
Triton knurrte etwas Unverständliches und Dio hustete, während er das Haar seines Sohnes streichelte. Sie alle wussten nur zu gut, dass ihr Freund in einer Flaute steckte und eine Pause von seiner normalen Tätigkeit machte. Offensichtlich war diese Tatsache Zeus schließlich zu Ohren gekommen.
„Verdammt!“, fluchte Zeus. „Ihr wusstet alle davon? Und keiner hat es für notwendig erachtet, mich früher darüber zu informieren?“
Schulterzucken folgte Zeus’ Frage. Was sollten sie auch antworten?
„Er braucht nur eine Pause“, sagte Dio in der Hoffnung, dass Zeus Eros eine Auszeit gönnen würde. Der Kerl hatte viel durchgemacht.
„Ja“, stimmte Triton mit ein, „er wird bald wieder so gut wie neu sein.“
„Total“, fügte Hermes hinzu.
Zeus trat einen Schritt auf Dio zu. „Pause? Er ist ein verdammter Gott! Er bekommt keine Pause. Er braucht eine Lektion, die er nicht vergessen wird. Habt ihr eine Ahnung, was seine Untätigkeit in der Welt auslöst?“
„Ein paar Leute weniger verlieben sich.“ Dio zuckte mit den Schultern. „Keine große Sache.“
„Keine große Sache?“ Zeus stand jetzt direkt vor ihm. „Lass mich dir erklären, was für eine verdammt große Sache das ist.“ Er durchbohrte Triton und Hermes mit finsterem Blick, um zu verdeutlichen, dass die Erklärung für sie alle gemeint war. „Es gibt eine Wohnungsnot, weil junge Leute alleine leben. Sie ziehen nicht mehr zusammen. Sie leben nicht zusammen, verloben sich nicht, heiraten nicht. Geschäfte schließen: Floristen, Hochzeitsplaner. Selbst Restaurants. Niemand hat mehr Dates, niemand kauft mehr Blumen für seine neue Liebe. Hotels beschweren sich über gewaltige Unterbelegungen, besonders an Wochenenden, wenn die Geschäftsreisenden wieder zuhause sind. Es gibt keine jungen Paare mehr, die zusammen verreisen. Die Geburtenrate sinkt drastisch. Krankenhäuser stellen Hebammen und Krankenpfleger aus.“
Dio räusperte sich. „Sicherlich haben die Leute immer noch Sex. Ich meine –“
„Ja, sie haben immer noch Sex“, unterbrach Zeus ihn, zog sein Handy aus seiner Tasche und zeigte darauf. „Das ist alles, was sie haben. Sie benutzen irgendeine App, um eine Affäre zu haben. Tinger oder so.“
„Tinder?“, fragte Hermes.
Zeus blickte den Götterboten mit zusammengekniffenen Augen an.
Hermes hob schnell seine Hände in einer Abwehrhaltung. „Ich muss vor kurzem einen Artikel gelesen haben. Ich habe sie selbst nie benutzt. Penny und ich, wir sind sehr glücklich.“
Dio konnte das bestätigen. Das Paar konnte die Finger nicht voneinander lassen und der Anblick dieser Turteltauben war kaum zu ertragen.
„Ja, was auch immer. Das Einzige, was in dieser Wirtschaft noch hoch ist, sind die Downloads dieser Tinder-App und Kondomverkäufe. Alles, was die Leute machen, ist Sex haben. Es gibt keine emotionale Verbindung. Kein Interesse an einer Beziehung. Sie sehen keine Zukunft. Die Welt ist wegen Eros zum Scheitern verdammt. Nur weil ihm von irgendeinem Flittchen das Herz gebrochen wurde.“
„Es war eine schwere Trennung“, verteidigte Triton seinen Freund. „Er hat sie geliebt.“
Zeus machte eine abfällige Handbewegung. „Bullshit! Dieser Junge hat noch nie eine Frau wirklich geliebt. Er hat keine Ahnung, was wahre Liebe ist. Sonst würde er Millionen von Sterblichen nicht ihr Glück verwehren.“
Dio seufzte. „Warum versuchst du nicht, mit ihm zu reden? Ich bin sicher, er wird sich wieder fangen, wenn du ihm deine Argumente vorlegst.“
„Was zum Teufel denkt ihr, habe ich gestern gemacht?“, knurrte Zeus. „Ich habe ihn zu mir gerufen. Und was macht er? Er spuckt mir praktisch ins Gesicht und sagt mir, ich solle ihn am Arsch lecken.“
Dio blickte seine zwei Freunde an. Beide verzogen das Gesicht. Ja, was Zeus beschrieb, klang sehr nach etwas, was Eros tun würde.
„Und er weigert sich strikt, seine Pfeile weiterhin zu verschießen“, fuhr Zeus fort.
Dio hob resignierend seine Hand. „Dann weiß ich nicht genau, was du von uns willst. Alles, was wir tun können, ist ihm da durchzuhelfen, damit er irgendwann sein altes Ich wiederfindet.“
Ein hinterhältiges Grinsen formte sich auf Zeus’ Lippen. „Und damit liegst du falsch. Damit liegt ihr alle falsch.“ Er zeigte auf alle drei. „Ihr werdet dafür sorgen, dass er seine Pfeile wieder verschießt. Ihr habt einen Monat.“
„Was?“, würgte Hermes heraus.
„Aber wie?“, grummelte Triton.
Dio schüttelte den Kopf. „Er braucht Zeit, damit seine Wunden heilen.“
„Bullshit! Er muss seinen Kopf aus seinem Arsch ziehen und seine Pflicht tun. Und ihr drei werdet dafür sorgen, dass er genau das macht.“
„Wir können da nichts machen“, sagte Dio schwer seufzend. „Man kann so was nicht erzwingen.“
Zeus kniff die Augen zusammen und neigte seinen Kopf leicht zur Seite. „Ich wette, ihr werdet es euch anders überlegen, wenn ihr herausfindet, was für euch auf dem Spiel steht.“
Dio schluckte. Ihm gefiel Zeus’ Tonfall nicht; immer wenn er diese Stimmlage verwendete, waren schlechte Nachrichten vorprogrammiert. „Was für uns auf dem Spiel steht?“
„Ihr habt einen Monat, um Eros wieder ins Bogenschützengeschäft zu bringen. Oder ich werde euch alle aus der Welt der Sterblichen verbannen und ins Exil in den Olymp sperren.“ Er machte eine dramaturgische Pause. „Ohne eure Frauen.“ Er blickte hinab, wo Thoas immer noch an Dios Bein hing. „Oder eure Kinder.“
Dios Herz blieb stehen. Instinktiv zog er seinen Sohn in seine Arme hinauf, presste ihn an seine Brust und hielt ihn fest. „Das ist absolute Scheiße. Das kannst du nicht machen.“
„Kann ich und werde ich.“
Als die Drohung durch den Raum hallte, konnte Dio spüren, dass es Triton und Hermes genauso ging wie ihm. Keiner von ihnen wollte seine Familie verlieren. Beide hatten aus wahrer Liebe geheiratet und waren bereit, für die Frauen, denen ihre Herzen gehörten, alles zu riskieren.
Ernüchtert fragte Dio: „Was erwartest du von uns?“
„Sorgt dafür, dass er wieder an die Liebe glaubt.“
„Aber wie?“
„Das ist eure Sache. Aber macht schnell. Meine Geduld geht zur Neige.“
Bevor jemand noch etwas sagen konnte, verschwand Zeus vor ihren Augen.
Thoas deutete mit dem Arm auf die Stelle, wo sein Großvater nur Augenblicke zuvor noch gestanden hatte, und sagte: „Zip-zip, Bullshit.“
Dio wollte fluchen. „Thoas!“ Zeus hatte ihnen nicht nur eine unmögliche Aufgabe gestellt, sondern seinem zweijährigen Sohn auch noch ein Schimpfwort beigebracht. „Ari wird mich umbringen.“
Eine schwere Hand landete auf seiner Schulter. Er drehte den Kopf und sah, wie Hermes ihn stirnrunzelnd anblickte. „Das ist gerade das Geringste unserer Probleme. Außerdem bist du unsterblich. Sie wird dich wahrscheinlich nur ein paar Wochen mit Sexentzug strafen. Du wirst schon wieder. Das hast du schon einmal überlebt.“
Der Seitenhieb entging Dio nicht. Vor seiner Ehe hatte Ari ihn mit Abstinenz gestraft, um sich für sein schreckliches Benehmen ihr gegenüber zu rächen. „Danke, dass du mich erinnerst.“
„Wofür sind Freunde denn da?“
„Können wir uns wieder auf das aktuelle Problem konzentrieren?“, unterbrach Triton.
Hermes nickte und Dio tat es ihm gleich.
„Wir müssen uns mit Eros zusammensetzen und ihm sagen, was auf dem Spiel steht. Ich bin sicher, dann wird er wieder vernünftig und es renkt sich wieder alles ein“, behauptete Hermes.
Dio schüttelte den Kopf. „Er ist zu stur und ehrlich gesagt bemitleidet er sich ein wenig zu sehr. Er wird nicht nachgeben. Er hat bereits Zeus’ Zorn riskiert. Er hat nichts zu verlieren.“
Triton drückte sich vom Tisch weg. „Ich stimme Dio zu. Wir sagen Eros nichts von Zeus’ Forderung. Es würde ihn nur dazu bringen, sich noch mehr zu sträuben.“
„Aber wenn er wüsste, was für uns auf dem Spiel steht“, fügte Hermes hinzu, doch Triton stoppte ihn.
„Er darf nichts davon wissen oder er wird einen offenen Krieg mit Zeus anzetteln. Liebe wird dann das Letzte sein, woran er denkt.“
Hermes hob kapitulierend die Hände. „Was schlägst du dann vor? Warten, dass er verdammt nochmal darüber hinwegkommt und wieder Pfeile schießt?“
Dio packte ihn am Arm. „Hermes, nicht vor meinem Sohn.“
„Was?“
„Du hast verdammt gesagt.“
„Oh, sorry.“ Hermes zuckte mit den Schultern. „Aber jetzt hast du es auch gesagt.“
Dio seufzte.
„Ich habe eine Idee. Will sie jemand hören?“, fragte Triton zwanglos.
Köpfe drehten sich zu ihm. „Schieß los“, sagte Dio.
„Als er und Gloria schlussgemacht haben, hat er seinen Glauben an die wahre Liebe verloren. Ergo müssen wir dafür sorgen, dass er wieder an die Liebe glaubt. Simpel.“
„Und wie sollen wir das deiner Meinung nach machen?“, fragte Hermes, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Einfach: dafür sorgen, dass er sich verliebt.“
„Aber –“
„Götter brauchen die Hilfe von Eros’ Pfeilen nicht, um sich zu verlieben. Wir müssen nur die richtige Frau für ihn finden und sicherstellen, dass die Umstände stimmen, damit er sein Herz öffnet. Es ist ein bisschen manipulativ, aber sobald wir sie zusammenbringen und die Chemie stimmt, müssen wir nur abwarten.“
„Darf ich dich daran erinnern, dass wir nur einen Monat haben?“, sagte Dio. Er streichelte das weiche Haar seines Sohnes. „Und ich werde Ari und meinen Sohn nicht verlassen.“
„Das wirst du auch nicht müssen“, versicherte ihm Triton. „Nicht, wenn wir zusammenarbeiten und die richtige Frau finden. Wir wissen alle, worauf Eros in Bezug auf Aussehen und Persönlichkeit steht. Das sollte nicht zu schwierig sein.“
„Und die Frau? Was, wenn sie nicht empfänglich ist?“, fragte Hermes mit zweifelnder Stimme.
„Bist du schon jemals einer Frau begegnet, die Eros widerstehen konnte, wenn er seinen Charme anwarf?“, fragte Triton.
Dio fing an zu grinsen und Hermes schloss sich an. Eros hatte eine besondere Ausstrahlung auf die Damen. Widerstand war zwecklos, sobald er jemanden im Auge hatte.
„Gut“, meinte Triton. „Dann machen wir uns an die Arbeit. Suchen wir eine Frau, von der er nicht die Finger lassen kann.“
„Abgemacht. Machen wir’s.“ Dio blickte Thoas an. „Stimmt’s, Sohn?“
Sein Sohn schenkte ihm ein zahnloses Grinsen, als hätte er jedes Wort verstanden, das die Männer gesagt hatten.
„Okay“, sagte Triton wie ein Geschäftsmann. „Wen kennen wir?“
Psyche hievte die Blumenerde von der Ladefläche ihres Pickup-Trucks und warf sie über ihre Schulter. Ihre Gartengeräte hatte sie bereits in den Garten des Olympus Inn, einem Bed and Breakfast, für das sie sich um die Blumenarrangements kümmerte, getragen. Gärtnerarbeiten vor Ort gehörten für gewöhnlich nicht zu ihren Dienstleistungen, aber nachdem viele ihrer regelmäßigen Aufträge – nämlich Blumen für Verlobungen und Hochzeiten zu liefern – ausgeblieben waren, hatte sie Sophia, die Besitzerin der Pension, gefragt, ob sie ihren Garten auf Vordermann gebracht haben wolle.
Sie hatte Glück gehabt. Sophia, eine nette Frau im selben Alter wie Psyche, hatte gesagt, dass sie sowieso nach einem Gärtner suchte, da sie und ihr Mann Triton diese Arbeit nicht länger selbst erledigen konnten. Keiner der beiden habe einen grünen Daumen, hatte sie behauptet. Ob das stimmte, oder ob Sophia irgendwie die ernste Lage, in der Psyche sich befand, gespürt hatte und helfen wollte, war nicht wichtig. Es war ein Auftrag und Psyche war dankbar dafür. Ihr kleiner Blumenladen war in finanziellen Schwierigkeiten. Vor zwei Monaten hatte sie ihre Assistentin entlassen müssen, weil sie den Lohn nicht mehr hatte bezahlen können. Doch trotz gravierender Kürzungen bei ihren Fixkosten war sie sich nicht sicher, ob ihr Geschäft überleben würde.
Seltsamerweise war ihr Blumengeschäft nicht das einzige, dem es so schlecht ging. Sie hatte bemerkt, dass überall in Charleston kleinere Floristen geschlossen hatten. Nur die größeren und die, die gewerbliche Aufträge bekamen, wie etwa Gartenarbeiten in Firmen und öffentlichen Gärten, überlebten. Psyche war entschlossen, dass ihr Geschäft eins davon sein würde und dass ihr Traum, einen eigenen Laden zu haben, nicht sterben würde, selbst wenn das bedeutete, dass sie sich bei anderen Dingen einschränken musste.
Psyche trug den schweren Sack Erde in den Garten und ließ ihn neben ihren Werkzeugen fallen. Der Garten war eine wunderschöne Oase mit farbenprächtigen Blumen, Büschen und kleinen Bäumen und einem beschaulichen Brunnen in der Mitte – auch wenn viele der Pflanzen gestutzt werden mussten. Der Zugang von der riesigen Villa aus war durch Glastüren in den Räumen im Erdgeschoss gegeben sowie über eine hölzerne Treppe, die mit dem großen Balkon im zweiten Stock des Hauses verbunden war. Auch dort führten Glastüren auf den Balkon. Einige waren offen und Psyche konnte die Stimmen mehrerer Männer hören.
Sie schaute einen Augenblick nach oben. Die Stimmen kamen aus Tritons Büro. Seit einem Jahr besuchte sie nun schon fast jede Woche die Pension und wenn sie sich um die Blumenarrangements im Haus kümmerte, holte sie sich dort im Büro ihre Schecks ab. Sie hatte sich in dem Moment in das Haus verliebt, in dem sie es das erste Mal betreten hatte. In dessen Garten zu arbeiten sah sie als ein Privileg an.
Eine ganze Weile später wischte sie sich den Schweiß von der Augenbraue und bewunderte die neue Reihe mehrjähriger Pflanzen, die sie angelegt hatte. Sie setzte sich auf ihre Fersen zurück und nahm einen Schluck aus ihrer Wasserflasche. Es war ziemlich warm, obwohl es erst Mitte Februar war. Der Fünfzehnte, um genau zu sein. Und der einzige Grund, warum sie das Datum wusste, war, weil am Vortag Valentinstag gewesen war. Als sie gestern Abend den Laden geschlossen hatte, hatte ihr Umsatz nicht einmal ein Viertel der Einnahmen des vorhergehenden Valentinstags ausgemacht. Und selbst im Jahr zuvor war der Valentinstag nicht umwerfend gewesen. Sie seufzte. Aber es war sinnlos, sich darüber Gedanken zu machen.
„Ist alles in Ordnung, Psyche?“
Psyche drehte den Kopf und sah, wie Sophia die Treppe vom Balkon herunterkam.
Sie stand auf und lächelte ihre Kundin an. „Alles in Ordnung. Ich hoffe, dir gefallen die Farben.“ Sie deutete auf die neu angepflanzte Blumenreihe. „Ich dachte, ihr könntet etwas Abwechslung brauchen.“
Sophia, die eine eng geschnittene marineblaue Caprihose und eine locker sitzende cremefarbene Bluse trug, gesellte sich zu ihr auf den Rasen. Ihr langes dunkles Haar streichelte ihre Schultern und sie sah aus, als wäre sie frisch aus einem teuren Haarsalon gekommen. Psyche konnte sich nur vorstellen, wie sie im Gegenzug aussehen musste. Wahrscheinlich wie eine Vogelscheuche, mit Haarsträhnen, die ihr aus dem Pferdeschwanz hingen, und Schmutzflecken auf ihrer zerrissenen Jeans und dem babyblauen Top.
Mit einem Blick auf die Blumen sagte Sophia: „Sie sind wunderschön! Ich bin so froh, dass du das machst. Triton und ich haben einfach nicht die Zeit dafür. Mit den Gästen ist zu viel zu tun im Haus, weißt du.“
„Ich bin wirklich dankbar für den Job. Und es ist ein wunderschönes Grundstück. Ich habe euren Garten immer bewundert. Er hat so viel Potenzial.“ In dem Moment, als sie es sagte, wollte sie es auch schon wieder zurücknehmen. „Ich meine, ich will nicht sagen, dass er in schlechtem Zustand ist oder so –“
Mit einer Hand auf Psyches Unterarm unterbrach Sophia sie. „Du darfst es ruhig sagen. Wir haben ihn verkommen lassen und hätten dich schon vor langer Zeit anstellen sollen. Leider mussten in der Zwischenzeit viele Pflanzen sterben.“ Sie verzog das Gesicht und lachte dann. „Aber ich sehe, dass er jetzt in guten Händen ist.“
Psyche erwiderte das Lächeln einfach, da sie nicht wusste, wie sie auf das Kompliment antworten sollte.
„Oh, bevor ich es vergesse“, fügte Sophia hinzu, „meinst du, wir könnten deine Arbeiten an den Blumenarrangements im Haus von Mittwoch auf Donnerstag verlegen? Es ist nur so, dass die meisten unserer Lieferungen mittwochs kommen und da schwirren einfach zu viele Leute im Haus herum.“
„Das ist kein Problem. Ich komme gerne donnerstags. Es ist ja nicht so, als ginge es im Laden zurzeit sehr zu.“
Sophia warf ihr einen mitleidigen Blick zu. „Nicht viele Hochzeiten, wie?“
Psyche schüttelte den Kopf. „Selbst wenn man bedenkt, wie viele Floristen bereits geschlossen haben, ist immer noch nicht genügend Arbeit für alle da.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich komme schon zurecht.“ Sie versuchte zu lachen. „Zumindest gibt mir das genügend Zeit, um mich mit meiner Versicherungsgesellschaft zu streiten.“
Sophia runzelte die Stirn. „Willst du damit sagen, dass sie immer noch nicht bezahlt haben?“
„Nein. Keinen Cent.“ Sie und Sophia hatten in den letzten paar Wochen immer wieder über den Wasserschaden in ihrer kleinen Eigentumswohnung gesprochen. „Sie behaupten, der Zustand hätte schon vorher bestanden.“
„Das ist doch lächerlich“, schnaubte Sophia.
„Das habe ich ihnen auch gesagt, aber sie meinten, dass der vorherige Besitzer das hätte offenlegen müssen, als ich die Wohnung gekauft habe, oder dass zumindest die Wohnungsinspektion das hätte aufzeigen müssen. Sie sagen, dass ich den vorherigen Besitzer verklagen soll.“
Sophia schüttelte angewidert den Kopf. „Ist das nicht wieder mal typisch? Sobald eine Versicherung etwas zahlen soll, geben sie jemand anderem die Schuld. Und was machst du jetzt?“
Psyche zog in einer hilflosen Geste eine Schulter hoch. „Ich habe ihnen den Bericht meines Klempners geschickt. Seine professionelle Meinung ist, dass der Schaden durch normalen Verschleiß verursacht wurde und der vorherige Besitzer das nicht hatte wissen können. Also sollte die Versicherung das decken. Aber um seinen Bericht anzufertigen, musste er noch einen größeren Teil der Wand freilegen, damit er wirklich sehen konnte, was los war. Meine Wohnung ist jetzt praktisch unbewohnbar.“
„Oh mein Gott! Dann wohnst du gerade in einem Hotel?“
Psyche schüttelte den Kopf. „Ich wünschte, dem wäre so! Aber da die Versicherung sich weigert, für den Schaden aufzukommen, weigern sie sich auch, für eine alternative Unterbringung zu zahlen. Ich schlafe zurzeit im Büro meines Ladens. Und ich dusche mich im Fitnessstudio.“
„Das tut mir so leid, Psyche“, sagte Sophia sanft. „Ich wünschte, ich könnte dir helfen. Aber wir sind momentan wegen der Mystery Writers Convention, die in der Stadt ist, ausgebucht. Und die Woche danach ist eine große –“
Psyche winkte ab und unterbrach sie schnell. „Keine Sorge deswegen. Das könnte ich sowieso nie annehmen. Aber danke für das Angebot; das ist wirklich lieb von dir. Ich komme schon zurecht. Und wer weiß, vielleicht wird der Bericht des Klempners die Versicherungsgesellschaft endlich überzeugen.“
Sie zweifelte daran. Trotzdem war es nicht Sophias Problem, dass Psyche auf einer durchgesessenen Couch in ihrem Büro schlief, weil sie sich nicht leisten konnte, sich ein anderes Apartment zu mieten. In ihrem Budget war kein Platz dafür, nicht nachdem sie den Klempner bezahlt hatte und noch ihren Kredit sowie die Miete für den Laden zahlen musste.
Sie lächelte Sophia an und scherzte: „Manchmal bedauere ich es, keine Beziehung zu haben. Momentan wäre ein Freund mit einer Wohnung wirklich praktisch.“
Sophia kicherte. „Die sind auch noch für andere Dinge gut, weißt du.“
„Das sagt man. Aber ich bin schon seit einiger Zeit an niemandem mehr interessiert. Das kann man nicht erzwingen, stimmt’s?“ Auch wenn sie ein paar Männer kennengelernt hatte, hatte es einfach nicht gefunkt und sie hatte das Daten aufgegeben.
„Es passiert immer, wenn man es am wenigsten erwartet. So war es bei Triton und mir. Und ich weiß nicht, was ich ohne ihn tun würde“, sinnierte Sophia. „Er ist mein Ein und Alles.“
„Ihr könnt euch glücklich schätzen, euch gefunden zu haben.“
„Du könntest auch jemanden finden.“
Psyche wischte sich ein paar Tropfen Schweiß von der Augenbraue. „So einfach ist das nicht. Und um ehrlich zu sein, bin ich alleine glücklich.“ Sie zeigte auf die Blumenbeete. „Ich sollte mich wieder an die Arbeit machen.“
Sophia nickte. „Wenn du später etwas Kühles zu trinken möchtest, komm einfach in der Küche vorbei. Alice gibt dir etwas.“
„Danke, Sophia.“
Sophia ging zurück ins Haus und Psyche kniete sich wieder ins Gras. Sie hob ihr Werkzeug auf und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den Pflanzen vor ihr zu, während sie die Stimmen, die aus Tritons Büro drangen, ignorierte. Sie blendete sie so gut wie möglich aus, doch obwohl sie keine genauen Worte heraushören konnte, wusste sie dennoch, dass die Männer aufgewühlt waren.
Sie seufzte und schüttelte den Kopf. Sie diskutierten wahrscheinlich über irgendetwas Triviales wie zum Beispiel das letzte Football- oder Baseball-Spiel. Nicht dass sie überhaupt wusste, ob gerade Football- oder Baseball-Saison war. Noch ein Vorteil, wenn man keinen Freund hatte: Sie musste sich keine Sportsendungen im Fernsehen anschauen.
Als Psyche mit dem Bepflanzen fertig war, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Was war nur los mit dem Wetter? Es war erst Februar und es war bereits glühend heiß. Schweiß rannte ihren Hals hinab und verschwand unter ihrem Tanktop. Sie fühlte sich klebrig und unbehaglich und wischte sich immer wieder den Nacken und die Stirn mit ihren schmutzigen Händen hab. Sie brauchte etwas Kühles zu trinken und eine Dusche. Aber zuerst brauchten die neuen Pflanzen Wasser, andernfalls würden sie im Handumdrehen verwelken.
Psyche stand auf und streckte sich, dann blickte sie sich nach dem Gartenschlauch um. Sie fand ihn an einem Haken vor einem kleinen Schuppen neben dem Haus hängen. Sie ging hinüber und hob ihn herunter, während sie den Wasserhahn aufdrehte. Doch nichts passierte. Kein Wasser kam aus dem Schlauch. Als sie dem Wasserrohr folgte, das außen am Fundament des Hauses entlanglief, wurde der Grund dafür sofort offensichtlich: Das Rohr führte ins Leere. Es war nicht angeschlossen.
Großartig, jetzt würde sie das Wasser aus dem Haus herausschleppen müssen.
Eros war gerade auf dem Weg zum Eingang des Olympus Inn, als er bemerkte, dass das Tor zum Garten offen stand. Abkürzungen waren ihm immer willkommen, deshalb marschierte er hinein. Er hörte männliche Stimmen aus Tritons Arbeitszimmer kommen und erkannte nicht nur Tritons, sondern auch Dios und Hermes’ Stimmen. Worüber diskutierten sie und warum war er nicht dazu eingeladen worden? Er war immer bereit, mit seinen Freunden zu quatschen, und dass sie sich ohne ihn trafen, verärgerte ihn etwas.
Er versuchte, der Konversation im zweiten Stock zu lauschen, eilte an der Garage vorbei auf die Treppe zu, bog um die Ecke und hob den Fuß auf die erste Stufe. Weiter kam er nicht. Stattdessen stieß er mit etwas zusammen oder besser gesagt mit jemandem, der zwei Eimer Wasser trug. Bevor er sich fangen konnte, taumelte er nach hinten und griff, im verzweifelten Versuch, Halt zu finden, nach einem der Eimer.
Wasser ergoss sich über ihn, als er auf dem Rücken landete, wo das Gras seinen Aufprall etwas dämpfte. Und als wäre das nicht genug, fiel einen Sekundenbruchteil später eine keuchende Frau auf ihn, deren Knie nur knapp seinen Schritt verfehlte, als sie im Anschluss daran vergeblich versuchte aufzustehen.
„Scheiße!“, fluchte sie.
„Mist, ich bin klatschnass!“
Sie schaffte es schließlich, von ihm herunterzuklettern. Erst jetzt bekam er einen guten Blick auf sie. Sie war genauso durchnässt wie er und ihr nasses kastanienbraunes, schulterlanges Haar war so zerzaust, dass es aussah, als hätte es schon seit Monaten keinen Kamm mehr gesehen. Ihr Tanktop war durchgeweicht. Unwillkürlich wurden seine Augen auf das gezogen, was darunter lag. Perfekt runde und feste Brüste, deren Nippel vom kalten Wasser hart waren.
Nun, das war ja einfach perfekt! Eine Sirene! Konnte er von diesen lästigen Frauen denn nie seine Ruhe bekommen? Bei Hades, er war zum Scheitern verurteilt!
„Danke für die Dusche“, sagte er, bevor sie den Mund öffnen konnte. „Einen Eimer Wasser ins Gesicht zu bekommen, ist genau, was ich heute gebraucht habe.“
Ihre Augen weiteten sich. „Was haben Sie denn erwartet? Sie