Zugleich ein Beitrag zur Dogmatik des sog. bedingten Gefährdungsdelikts
von
Alexandra Windsberger
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Über den „tatsächlichen Zusammenhang“ im Bankrottstrafrecht › Herausgeber
Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht
Herausgegeben von
Prof. Dr. Mark Deiters, Münster
Prof. Dr. Thomas Rotsch, Gießen
Prof. Dr. Mark Zöller, Trier
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Zugl.: Saarbrücken Univ., Diss., 2016
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Die Arbeit wurde im Sommersemester 2016 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes als Dissertationsschrift angenommen. Sie wurde für die Drucklegung aktualisiert und berücksichtigt den Stand von Rechtsprechung und Literatur bis einschließlich Dezember 2016.
Herzlich danken möchte ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Marco Mansdörfer, der die Anregung zu der vorliegenden Untersuchung gab und mir so eine in die Grundlagen der Strafrechtsdogmatik hineinreichende und deshalb vielseitige Forschungsarbeit ermöglichte. Er hat in seiner Betreuung stets das richtige Maß zwischen geistiger Anregung, akademischer Freiheit und wohlwollender doktorväterlicher Strenge walten lassen, wodurch es mir möglich wurde, die an mich gestellten Anforderungen zu bewältigen, ohne mich in zeitlicher oder inhaltlicher Hinsicht zu verlieren.
Weit mehr als eine angenehme Pflicht ist es mir, mich bei Herrn Prof. Dr. Heinz Koriath für sein großzügiges Engagement zu bedanken. Er hat mich und diese Arbeit auf vielfältige Weise gefördert und durch zahlreiche Anregungen und geduldige Gespräche das Gelingen der Arbeit wesentlich beeinflusst.
Mein Dank gilt ferner den Herausgebern und Professoren Dres. Mark Deiters, Thomas Rotsch und Mark Zöller für die Aufnahme in diese Reihe.
Den Herren Prof. Dr. Guido Britz, Dr. Jörg Habetha und Patrick van Bakel danke ich herzlich für die regen Diskussionen und den fachlichen Austausch, auch wenn ich nicht jede ihrer Kritiken berücksichtigt habe. Profitiert habe ich von diesen Streitgesprächen dessen ungeachtet immer.
Ein besonderer Dank gilt Frau Dr. Charlotte Schmitt Leonardy für den aufmunternden Zuspruch und ihren ökonomischen Sachverstand, der mir über schwierige Phasen und Fragen hinweghalf.
All denen, die das Entstehen dieser Arbeit mit Interesse begleitet haben, möchte ich an dieser Stelle wenigstens in toto sehr herzlich danken. Meinem lieben Freund Stefan Engel danke ich für den technischen Support, den er aus den USA in den Nachtstunden leistete. Ohne die Unterstützung meines geliebten Gatten, die im Einzelnen hier gar nicht hoch genug gewichtet werden kann, wäre diese Arbeit sicher sehr viel schlechter ausgefallen.
Die Arbeit wurde mit dem Dr.-Eduard-Martin-Preis 2017 der Universitätsgesellschaft des Saarlandes ausgezeichnet.
Saarbrücken im Januar 2017 Alexandra Windsberger
Vorwort › Widmung
Meinen Eltern
Vorwort
Einleitung
Teil 1Die dogmengeschichtliche Entwicklung
A.Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Geltungsbereich der Konkursordnung
I.Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Kontext des einfachen Bankrotts
1.Die „Bankrotthandlung“
2.Der Relativsatz „Schuldner, welche (...)“
3.Das Verhältnis zwischen Bankrotthandlung und Konkurs?
4.Die Rechtsnatur des Bankrotts in der Interpretation durch das Reichsgericht
II.Der „tatsächliche Zusammenhang“ in der Interpretation durch die konkursstrafrechtliche Rechtsprechung
1.Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Rahmen des § 210 Nr. 2 KO
a)Die Entscheidung des 1. Senats vom 21.11.1881
b)Die Entscheidung des 2. Senats vom 27.11.1896
c)Zusammenfassung
2.Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Rahmen des § 209 Nr. 4 KO und § 210 Nr. 2, Var. 2 KO
a)Die Entscheidung des 3. Senats vom 8.10.1883
b)Die Entscheidung des 1. Senats vom 8.12.1884
c)Die Entscheidung des 4. Senats vom 1.4.1892
d)Zusammenfassung
3.Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Rahmen des § 210 Nr. 1 KO
a)Die Entscheidung des 4. Senats des BGH vom 8.6.1920
b)Die Entscheidung des BGH vom 20.3.1951
c)Die Entscheidung des 1. Senats des BGH vom 8.5.1951
d)Zusammenfassung
4.Erste Zwischenbetrachtung: Der „tatsächliche Zusammenhang“ als unrechtsbegründender Faktor
a)Der „zeitliche“ Zusammenhang im Rahmen informationsbezogener Bankrotthandlungen
b)Der „sachliche“ Zusammenhang im Rahmen bestandsbezogener Bankrotthandlungen
c)Der „tatsächliche“ Zusammenhang als restringierendes teleologisches Korrektiv?
III.Der „tatsächliche Zusammenhang“ in der Interpretation durch das konkursstrafrechtliche Schrifttum: Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg?
1.Die Frage nach dem geschützten Rechtsgut
a)Zum Stand der Rechtsgüterlehre des 19. Jahrhunderts
b)Das geschützte Rechtsgut der Konkursdelikte
2.Der Relativsatz als Umschreibung der „Rechtsgutsbeeinträchtigung“
3.Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und „Rechtsgutsbeeinträchtigung“?
a)Der „tatsächliche Zusammenhang“ als „schuldindifferenter äußerer Zusammenhang“ zwischen Handlung und Erfolg?
b)Der „tatsächliche Zusammenhang“ als „präsumtiver Kausalzusammenhang“?
4.Zweite Zwischenbetrachtung: Der „tatsächliche Zusammenhang“ als verkappter Kausalzusammenhang?
IV.Stellungnahme: Der „tatsächliche Zusammenhang“ als Hilfsmittel einer erfolgsorientierten Auslegung
1.Dogmatische Inkonsistenzen
a)Strafe ohne Schuld
b)Auslegung contra legem
2.Anschlussprobleme
a)Beginn der Strafverfolgungsverjährung?
b)Inkonsistenzen im Bereich der Versuchsstrafbarkeit
c)Inkonsistenzen im Bereich der Teilnahmestrafbarkeit
3.Zusammenfassung
B.Die Verlagerung des Unrechtszentrums auf die Bankrotthandlung: eine Perspektivenverschiebung
I.Der Bankrott als abstraktes Gefährdungsdelikt
1.Unrecht durch abstrakte Gefährdung?
2.Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung als objektive Bedingung der Strafbarkeit?
3.Fortbestand des „tatsächlichen Zusammenhangs“?
II.Würdigung
1.Unangemessene Fixierung von Kriminalität
2.Der einfache Bankrott als Anwendungsfall einer mittelalterlichen Erfolgshaftung?
3.Der „tatsächliche Zusammenhang“ als ungeeignetes Mittel zur Beschränkung einer Erfolgshaftung
III.Der Beginn einer Reform des Konkursstrafrechts
1.Die Einwände der großen Strafrechtskommission gegen das geltende Konkursstrafrecht
2.Dogmatisch-konstruktive Ersetzung des „tatsächlichen Zusammenhangs“ durch eine Umgestaltung der Bankrottdelikte
a)Die Einführung eines konkreten Gefährdungsdelikts
b)Sonderproblem: Die Buchdelikte
3.Stellungnahme: Unzulänglichkeit der frühen Reformvorschläge
a)Die konkrete Gefahr als Surrogat für den Verletzungserfolg?
b)Einwände gegen die Beibehaltung der alten Rechtslage im Rahmen der Buchdelikte
4.Zusammenfassung
IV.Die Versöhnung mit dem Schuldprinzip: Das 1. WiKG
1.§ 283 StGB: Der Bankrott im Kontext der „wirtschaftlichen Krise“
a)Die wirtschaftliche Krise als neues unrechtsbegründendes Merkmal
b)Das geschützte Rechtsgut
c)Auffüllen des tatbestandlichen Unrechtsgehalts durch weitere normative Tatbestandsmerkmale
d)Neuverortung des Relativsatzes in § 283 Abs. 6 StGB
2.§ 283b StGB: Die Verletzung der Buchführungs- und Bilanzierungspflicht außerhalb der Krise
a)Abstraktes Gefährdungsdelikt außerhalb der Krise
b)Inhalt und Funktion des § 283b Abs. 3 StGB
3.Konsequenz für den „tatsächlichen Zusammenhang“ nach der Gesetzesreform
C.Rückschritt durch Rechtsanwendung?
I.Nichtbeachtung der Bezugsgegenstandsänderung
II.Die Entscheidung des BVerfG zu § 240 KO
III.Die Übertragung des „tatsächlichen Zusammenhangs“ durch die Rechtsprechung in der Bundesrepublik
1.Entscheidungssammlung zum „tatsächlichen Zusammenhang“ im Rahmen des § 283b StGB
a)Die Entscheidung des BGH vom 20.12.1978
b)Die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 27.9.1979
c)Die Entscheidung des BayObLG vom 8.8.2002
d)Die Entscheidung des BayObLG vom 3.4.2003
e)Der Beschluss des 1. Senats des BGH vom 19.8.2009
f)Die Entscheidung des 1. Senats des BGH vom 13.2.2014
2.Die Anwendung des „tatsächlichen Zusammenhangs“ auf § 283 StGB
a)Die Entscheidung des 3. Senats des BGH vom 23.8.1978
b)Die Entscheidung des 1. Senats des BGH vom 10.2.1981
c)Die Entscheidung des 3. Senats des BGH vom 30.8.2007
3.Ergebnis: Rückschritt durch Rechtsanwendung
IV.Der Lösungsansatz des bankrottstrafrechtlichen Schrifttums
1.Die herrschende Auffassung: Notwendigkeit eines Zusammenhangs zwischen Handlung und Bedingung
a)Der „tatsächliche Zusammenhang“ als sog. „Gefahrrealisierungszusammenhang“
b)Der „tatsächliche Zusammenhang“ als „schuldindifferenter Kausalzusammenhang“
c)Der „tatsächliche Zusammenhang“ in Gestalt des „Gegenbeweises der Ungefährlichkeit“
d)Der „tatsächliche Zusammenhang“ als „außerordentliches Zurechnungskriterium“
e)Der „tatsächliche Zusammenhang“ als „ungeschriebene Einschränkung“ des § 283 Abs. 6 StGB
2.Notwendigkeit eines Zusammenhangs zwischen Krise und Bedingung: Der krisenspezifische „Unmittelbarkeitszusammenhang“
3.Die Gegenauffassung: Kein Bedürfnis für ein übergesetzliches Korrektiv in Form eines Zusammenhangs
V.Stellungnahme: Notwendigkeit einer übergesetzlichen Korrektur?
Teil 2Materiellrechtliche Erforderlichkeit eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ als übergesetzliches Korrektiv?
A.Korrekturbedürfnis im Rahmen der §§ 283 ff. StGB?
I.Der „tatsächliche Zusammenhang“ als Symptom eines korrekturbedürftigen Delikts
1.Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Kontext sog. „Risikogeschäfte“ mit „positivem Ausgang“
2.Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Kontext der sog. „Krisenüberwindung“
3.Der „tatsächliche Zusammenhang“ zur Vermeidung eines „ewigen Delikts“
II.Das „bedingte Gefährdungsdelikt“ als Ursache?
B.Das „bedingte Gefährdungsdelikt“ als Bezugsgegenstand
I.Zur Rechtsnatur des bedingten Gefährdungsdelikts
II.Sonstige „bedingte“ Delikte des besonderen Teils
1.Der Tatbestand des § 231 StGB
2.Der Tatbestand des § 323a StGB
3.Der Tatbestand des § 186 StGB
4.Der Tatbestand des § 113 StGB
5.Der Tatbestand des § 104a StGB
6.Der Tatbestand des § 130 OWiG
7.Zwischenergebnis: Allgemeines Korrekturbedürfnis des „bedingten Gefährdungsdelikts“
C.Allgemeines Anforderungsprofil an das „bedingte Gefährdungsdelikt“
I.Die Minimalanforderungen an das Schuldprinzip
1.Das Kongruenzgebot
2.Interdependenz von Kongruenzgebot und Abzugsthese
3.Das gleichzeitige Erfordernis eines „hinreichenden“ Tatbezugs
4.Die Paradoxie der objektiven Bedingung der Strafbarkeit
II.Schlussfolgerung: Zwei Interpretationsmöglichkeiten des bedingten Gefährdungsdelikts
1.Das bedingte Gefährdungsdelikt im Kontext der Verbindungsthese
2.Das bedingte Gefährdungsdelikt im Kontext der Trennungsthese
3.Konsequenz für das Bankrottstrafrecht
Teil 3Anwendung auf das Bankrottstrafrecht
A.Interpretationsvorschlag des § 283 Abs. 1 StGB nach der Verbindungsthese
I.Ausgangspunkt: § 283 Abs. 6 StGB als „Erfolgskomponente“
II.Konsequenz: Erfordernis einer Deckungsbeziehung
1.Verknüpfung über einen Kausalzusammenhang?
a)Maßstab der Verursachung eines Erfolges
b)Formulierung eines Kausalgesetzes im Sinne des § 283 Abs. 1 StGB
2.Verknüpfung über einen Schuldzusammenhang?
3.Verknüpfung über einen tatsächlichen Zusammenhang?
III.Ablehnung der Verbindungsthese
B.Interpretationsvorschlag des § 283 Abs. 1 StGB nach der Trennungsthese
I.Dogmatische Vorüberlegungen zum Strafgrund abstrakter Gefährdungsdelikte
1.Abstraktionsüberschuss abstrakter Gefährdungsdelikte?
2.Strafgrund der abstrakt gefährlichen Handlung?
a)Legitimation abstrakter Gefährdungsdelikte nach der Präsumtionstheorie
b)Legitimation abstrakter Gefährdungsdelikte auf Grund der „generellen Gefährlichkeit“ bestimmter Tätigkeiten
3.Strafgrund des „ungefährlichen Einzelfalls“?
a)Zulassung des Gegenbeweises der Ungefährlichkeit
b)Teleologische Reduktion bei erwiesener Ungefährlichkeit der Handlung?
II.Stellungnahme: Das hier vertretene Konzept zur Begründung abstrakter Gefährdungsdelikte
1.Das Schutzkonzept
a)Das abstrakte Gefährdungsverbot im Wirtschaftsstrafrecht als gesetzlich fixierte Maximin-Regel
b)Materielle Anforderungen an abstrakte Gefährdungsverbote
c)Gefahrprognose allein durch den Gesetzgeber
d)Ausschluss der Rückschau
2.Reduktionsbedürfnis des ungefährlichen Einzelfalls
a)Unzulässigkeit teleologischer Reduktionen
b)Einschränkungsmöglichkeit ausschließlich über gesetzlich normierte „persönliche Strafausschließungsgründe“
3.Das „bedingte Gefährdungsdelikt“ als Sonderfall
III.Zwischenergebnis und Konsequenz für den weiteren Gang der Arbeit
C.Anwendung der Trennungsthese auf § 283 Abs. 1 StGB
I.Der situative Kontext der Regulierung: Die Krise
1.Konkretisierung der Krise als außergewöhnliche Entscheidungssituation
2.Konsequenz für die Einordnung des Bankrotts als abstraktes Gefährdungsdelikt?
II.Strafgrund der bestandsbezogenen Gefährdungsalternativen
1.Die herrschenden Auffassungen zum geschützten Rechtsgut der bestandsbezogenen Tatalternativen
a)Schutz der materiellen „Befriedigungsinteressen“ der Gläubiger?
b)Schutz vor „enttäuschtem Vertrauen“?
c)Schutz sonstiger „kollektiver“ Rechtsgüter?
2.Stellungnahme: die bestandsbezogenen Tatalternativen als abstrakte Vermögensgefährdungsdelikte
a)Unzureichende präventive Gläubigerschutzvorschriften des Zivilrechts
b)Der Bankrott als eine Art „Gläubigeruntreue“?
aa)Besondere Verhaltenspflichten des Schuldners in der Krise
bb)Das Schuldverhältnis in der Krise als besonderes Treueverhältnis
cc)Die Gefährdungsverbote des § 283 Abs. 1 StGB als Verfügungsverbote
c)Die einzelnen bestandsbezogenen Tatalternativen als untreueähnliche Pflichtverletzung
aa)§ 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB
bb)§ 283 Abs. 1 Nr. 2 StGB
cc)§ 283 Abs. 1 Nr. 3 StGB
dd)§ 283 Abs. 1 Nr. 4 StGB
ee)§ 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB
ff)Zusammenfassung
d)Unrechtsausschluss durch Einwilligung aller Gläubiger?
3.Zusammenfassung: Hinreichender Unrechtsgehalt der bestandsbezogenen Tatalternativen
III.Strafgrund der informationsbezogenen Tatalternativen
1.Die herrschenden Auffassungen zum Strafgrund der informationsbezogenen Tatalternativen
a)Schutz vor unzureichender Selbstinformation des Schuldners
b)Schutz vor unzureichender Fremdinformation der Verfahrensbeteiligten im Insolvenzverfahren
2.Stellungnahme
a)Einwände gegen die herrschende Meinung
b)Einwände gegen die behauptete Strukturähnlichkeit zu den Urkundsdelikten
c)Die Buchdelikte als Blankettstraftatbestände
d)Die Buchdelikte als Vermögensgefährdungsdelikte?
aa)Buchführungsverstöße gemäß § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB i.V.m. § 239 HGB
bb)Vernichtung von Unterlagen gemäß § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB i.V.m. § 257 Abs. 1 und Abs. 4 HGB
cc)Bilanzpflichtverstöße gemäß § 283 Abs. 1 Nr. 7 StGB i.V.m. §§ 242, 243 HGB
3.Zusammenfassung: Hinreichender Unrechtsgehalt der informationsbezogenen Tatalternativen in der Krise
IV.Zwischenergebnis nach der Abzugsthese
V.Zur Bedeutung der objektiven Strafbarkeitsbedingung in § 283 Abs. 6 StGB
1.Die objektive Strafbarkeitsbedingung als Zweckmäßigkeitserwägung
2.§ 283 Abs. 6 StGB als eine Art „Vorbehaltsklausel“
3.Konsequenz: Verzicht auf einen „tatsächlichen Zusammenhang“
a)Ungerechtigkeit einer vom „tatsächlichen Zusammenhang“ gelösten, zufälligen Strafverschonung?
b)Strafbefreiende Berücksichtigung der Nachholung der Buchführungs-/Bilanzierungspflicht vor Eintritt der Bedingung?
c)Erforderlichkeit einer zeitlichen Beziehung zwischen Handlung und Bedingung?
d)Berücksichtigung der Krisenüberwindung vor Bedingungseintritt?
aa)Berücksichtigung einer Sanierung im Schutzschirmverfahren
bb)Berücksichtigung einer freien Sanierung vor Bedingungseintritt
VI.Gesamtergebnis für § 283 Abs. 1 StGB
D.Anwendung der Trennungsthese auf § 283b StGB
I.Anwendung der Abzugsthese: Kein hinreichender Unrechtsgehalt in § 283b Abs. 1 StGB
II.Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung?
III.Der „tatsächliche Zusammenhang“ als Hilfsmittel?
IV.Gesamtergebnis für § 283b StGB: Unangemessene Sanktionswahl des Gesetzgebers
Teil 4Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
A.Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Kontext des § 283 StGB
B.Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Kontext des § 283b StGB
Literatur
Stichwortverzeichnis
1
Der 1. Strafsenat des BGH hat zuletzt im Rahmen des § 283b StGB festgestellt, dass eine Strafbarkeit wegen Buchführungspflichtverletzung neben den tatbestandlichen Voraussetzungen von einem weiteren ungeschriebenen Merkmal abhänge.[1] Damit bestätigte der 1. Senat die seit nunmehr 130 Jahren vorherrschende obergerichtliche Rechtsprechung[2] und die Ansicht des bankrottstrafrechtlichen Schrifttums[3], wonach zwischen der tatbestandlichen Bankrotthandlung und der objektiven Strafbarkeitsbedingung des „wirtschaftlichen Zusammenbruchs“ in § 283 Abs. 6 StGB ein „irgendwie gearteter“[4], „noch näher zu bestimmender“, „tatsächlicher Zusammenhang“[5] bestehen müsse.
2
Das ungeschriebene Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ stellt im Bankrottstrafrechts inzwischen eine Selbstverständlichkeit dar, ähnlich der Vermögensverfügung beim Betrug. Dieser allgemein für erforderlich gehaltene Zusammenhang ist hierbei nicht nur ein Spezifikum des Bankrottstrafrechts, sondern insgesamt ein Unikum im gesamten Strafrecht, dessen nähere Konturen auch nach 130 Jahren Rechtspraxis nicht geklärt zu sein scheinen. Bei seinem Versuch einer Konkretisierung betonte das Bayerische Oberste Landgericht den Verzicht auf einen Kausalzusammenhang einerseits, obgleich es den Zusammenhang in die Nähe einer Art Zurechnungszusammenhang rückte: „In der Rechtsprechung ist aber das grundsätzliche Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ zwischen Buchdelikt und objektiver Strafbarkeitsbedingung anerkannt. Danach müssen im Zeitpunkt des wirtschaftlichen Zusammenbruchs wenigstens noch irgendwelche Auswirkungen vorhanden sein, die sich als gefahrerhöhende Folge der Verfehlung darstellen.“[6]
3
Soweit die Bestrafung des Schuldners davon abhängen soll, ob sich die in der Handlung zum Ausdruck kommende Gefahr „tatsächlich realisiert“ oder zumindest „erhöht“ hat,[7] liegt eine Deutung als Kausal- und Zurechnungszusammenhang durchaus nahe; dies soll er nach herrschender Meinung jedoch gerade nicht sein.[8] Die Bezeichnung eines normativen Zusammenhangs ist jedoch – ebenso wie seine Fixierung als „sachlich“, „äußerlich“, „irgendwie geartet“ – überaus unbestimmt und kann nur schwer in die allgemeine Strafrechtslehre eingeordnet werden. Der Zusammenhang wird daher mancherorts als „Blind-Formel“[9] bezeichnet, die in bestimmten Fallkonstellationen nur noch „fiktive Züge“ trage. Insofern erstaunt es nicht, dass resignierende Deutungen, an den Zusammenhang seien „keine hohen Anforderungen zu stellen“[10], da sein Vorliegen „in aller Regel vermutet“[11] werde, die Auslegung bestimmen. In bestimmten Konstellationen obliege daher dem Täter der Gegenbeweis eines fehlenden Zusammenhangs. Die Bildung einer hinreichenden Definition, die auf allseitige Zustimmung treffen kann, scheint folglich in weiter Ferne.[12]
4
Da der „tatsächliche Zusammenhang“ offensichtlich ein den Normanwendungsbereich korrigierendes, ungeschriebenes Merkmal darstellt, dass keinen Anknüpfungspunkt im Wortlaut der Norm findet, stellt sich noch vor der Frage seiner inhaltlichen Konkretisierung die Frage nach seiner materiell-rechtlichen (Nicht-)Erforderlichkeit. An der Frage nach der Existenzberechtigung des „tatsächlichen Zusammenhangs“ brechen sich sodann weitere unterschiedlichste Fragen. Zunächst wird daher die dogmengeschichtliche Herkunft des Merkmals näher in den Blick zu nehmen sein, wobei insbesondere die reichsgerichtliche Rechtsprechung zu den Strafbestimmungen der Konkursordnung thematisiert werden muss, da das Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ ursprünglich auf eine Entscheidung des Reichsgerichts zum einfachen Bankrott (§ 210 KO) aus dem Jahre 1881 zurückgeht. Diese Rechtsprechung des RG zum „tatsächlichen Zusammenhang“ übertrug der BGH sodann, obwohl die Bankrotttatbestände ihrerseits im Zuge des 1. Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität im Jahre 1976 einer umfassenden Reform unterzogen wurden. Daher wird ein besonderes Augenmerk auf die Frage gelegt, inwieweit der Transfer reichsgerichtlicher Anschauungen bei zwischenzeitlich verändertem Bezugsobjekt überhaupt noch überzeugen kann, oder ob sich der „tatsächliche Zusammenhang“ zwischenzeitlich nicht sogar entkontextualisiert hat.
5
Im Anschluss ist die gegenwärtige Diskussion um den „tatsächlichen Zusammenhang“ im Kontext der Dogmatik der abstrakten Gefährdungsdelikte[13] näher in den Blick zu nehmen. Gerade die Frage nach einer deliktsspezifischen Verknüpfung von Gefährdungsdelikt und schuldindifferenter objektiver Strafbarkeitsbedingung bedarf hierbei einer besonderen Betrachtung. Denn das Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ müsste sodann in Übereinstimmung mit den Anforderungen an das Schuldprinzip konkretisiert, in seiner Reichweite anhand objektiver Parameter bestimmt und einem praktikablen Anwendungsbereich zugewiesen werden. Soweit die Einpassung des „tatsächlichen Zusammenhangs“ in das bestehende, kriminalstrafrechtliche System nicht kohärent begründbar ist, werden im letzten Teil das Bedürfnis nach dem limitierenden Merkmal des „tatsächlichen Zusammenhangs“ grundsätzlich in Frage gestellt und eine alternative Herangehensweise vorgeschlagen.
BGH wistra 2014, 354 (354).
Siehe hierzu eine ausführliche Bestandsaufnahme der Rechtsprechung unter Rn. 21 ff. und Rn. 127 ff.
Ein Überblick über das bankrottstrafrechtliche Schrifttum, das das Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ postuliert, unter Rn. 158 ff.
BGH wistra 2014, 354 (354).
Vgl. zum Standpunkt der Rechtsprechung: BGHSt 1, 186 (191); 28, 231 (232) = JR 1979, 512; MDR 1981, 454 (454); OLG Düsseldorf NJW 1980, 1292 (1292); BayObLG wistra 2003, 30 (30); BGH wistra 2014, 354 (354). Zur Perspektive der Lehre: Tiedemann in: LK-StGB 9. Bd, Vor § 283 Rn. 91; Habetha Bankrott und strafrechtliche Organhaftung, S. 293; Moosmayer Einfluss der InsO, S. 194; Penzlin Strafrechtliche Auswirkungen der InsO, S. 182; Bosch in: SSW-StGB, § 283 Anm. 18. m.w.N.
Vgl. BayObLG wistra 2003, 30 (30).
Zum sog. „Gefahrrealisierungszusammenhang“ vgl. insbesondere Otto in: Gedächtnisschrift für Bruns, S. 265 (282).
RGSt 4, 418; BGHSt 1, 186 (191); Geisler Objektive Bedingungen der Strafbarkeit, S. 490; Moosmayer Einfluss der InsO, S. 189.
Geisler Objektive Bedingungen der Strafbarkeit, S. 490.
Borchardt in: Schmidt, Insolvenzrecht, § 283 Rn. 35.
Tiedemann in: LK-StGB 9. Bd., Vor § 283 Rn. 92.
Zu diesem Ergebnis kommt auch Geisler Objektive Bedingungen der Strafbarkeit, S. 484.
Die Tatbestände der §§ 283 ff. StGB werden vor diesem Hintergrund nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum den abstrakten Gefährdungsdelikten zugeordnet. Vgl. dazu u.a.: BGH NStZ 2008, 401 (401); Tiedemann in: LK-StGB 9. Bd., § 283 Rn. 6; Bosch in: SSW-StGB, § 283 Rn. 1; Kindhäuser in: NK-StGB, § 283 Rn. 3; Bittmann in: Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 12 Rn. 311 ff.; D.-M. Krause Ordnungsgemäßes Wirtschaften, S. 210; Hoyer in: SK-StGB, Bd. V, Vor § 283 Rn. 4; Heine in: Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rn. 1; Dannecker/Hagemeier in: Dannecker/Knierim/Hagemeier, Insolvenzstrafrecht, Rn.1017 ff.; Richter in: Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 81 Rn.11 ff.
A.Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Geltungsbereich der Konkursordnung
B.Die Verlagerung des Unrechtszentrums auf die Bankrotthandlung: eine Perspektivenverschiebung
C.Rückschritt durch Rechtsanwendung?
Teil 1 Die dogmengeschichtliche Entwicklung › A. Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Geltungsbereich der Konkursordnung
6
Von Vielen wird gegenwärtig im Rahmen der §§ 283 ff. StGB darauf hingewiesen, dass zwischen Bankrotthandlung und Zahlungseinstellung ein „Zusammenhang“ bestehen müsse, dessen Inhalt noch immer weitestgehend ungeklärt sei.[1] Auch in der Rechtsprechung des BGH ist das Erfordernis eines solchen „Zusammenhangs“ grundsätzlich anerkannt.[2] Hierbei stützt sich die neuere Judikatur des BGH zumeist auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1951[3], die indessen § 240 der Konkursordnung in der Fassung vom 20.5.1898[4] zum Gegenstand hatte. Diese Entscheidung im ersten Band der amtlichen Sammlung verweist nunmehr ihrerseits auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Konkursordnung.[5] Erforderlich ist es daher, gewissermaßen die Primärquellen des „tatsächlichen Zusammenhangs“ näher zu untersuchen.
Teil 1 Die dogmengeschichtliche Entwicklung › A. Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Geltungsbereich der Konkursordnung › I. Der „tatsächliche Zusammenhang“ im Kontext des einfachen Bankrotts
7
Das Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ entstammt einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1881.[6] Gegenstand der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zum „tatsächlichen Zusammenhang“ waren die §§ 209 ff. KO in der Fassung vom 10.2.1877:
§ 209 KO: Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt haben, oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, werden wegen betrüglichen Bankerutts mit Zuchthaus bestraft, wenn sie in der Absicht, ihre Gläubiger zu benachteiligen, 1. Vermögensstücke verheimlicht oder bei Seite geschafft haben, 2. Schulden oder Rechtsgeschäfte anerkannt oder aufgestellt haben, welche ganz oder teilweise erdichtet sind, 3. Handelsbücher zu führen unterlassen haben, deren Führung ihnen gesetzlich oblag, oder 4. ihre Handelsbücher vernichtet oder verheimlicht oder so geführt oder verändert haben, dass dieselben keine Übersicht des Vermögenszustandes gewähren.[7]
§ 210 KO: Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt haben, oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, werden wegen einfachen Bankerutts mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft, wenn sie 1. durch Aufwand, Spiel oder Differenzhandel mit Waren oder Börsenpapieren übermäßige Summen verbraucht haben oder schuldig geworden sind, 2. Handelsbücher zu führen unterlassen haben, deren Führung ihnen gesetzlich oblag, oder dieselben verheimlicht, vernichtet oder so unordentlich geführt haben, dass sie keine Übersicht ihres Vermögenszustandes gewähren, oder 3. es gegen die Bestimmung des Handelsgesetzbuchs unterlassen haben, die Bilanz ihres Vermögens in der vorgeschriebenen Zeit zu ziehen.[8]
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Die Konkursordnung in der Fassung vom 10.2.1877 basierte größtenteils auf den konkursstrafrechtlichen Bestimmungen des code de commerce, den reichsgesetzlichen Bestimmungen des 19. Jahrhunderts, mithin den §§ 259 ff. des Preußischen StGBs sowie den §§ 281 ff. des StGBs für das deutsche Reich.[9] Die erste Konkursordnung regelte, wie bei gleichzeitigem Andrängen mehrerer Gläubiger gegen einen insolventen Schuldner zu verfahren war.[10] In drei Büchern regelte die Konkursordnung das materielle Konkursrecht, das Konkursverfahren und im dritten Buch die Strafbestimmungen.[11] Die erste Reform des Konkursrechts von 1898 verlagerte die konkursstrafrechtlichen Bestimmungen von §§ 209 ff. auf die §§ 239 ff. KO, ohne relevante inhaltliche Änderungen vorzunehmen. Der Tatbestand des betrügerischen Bankrotts gemäß § 239 KO n.F. war mit § 209 KO a.F. identisch.[12] Lediglich der Anwendungsbereich des einfachen Bankrotts (§ 210 a.F./§ 240 n.F. KO) wurde um eine Nummer erweitert:
§ 240 KO: „Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt haben, oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, werden wegen einfachen Bankerutts mit Gefängnis bestraft, wenn sie (...) 2. in der Absicht, die Eröffnung des Konkursverfahrens hinauszuschieben, Waren oder Wertpapiere auf Kredit entnommen und diese Gegenstände erheblich unter dem Werte in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise veräußert oder sonst weggegeben haben (...).“
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Unabhängig davon, ob es sich um einen betrügerischen oder um einen einfachen Fall des Bankrotts handelte, war eine Bestrafung nach den §§ 209 ff./§§ 240 ff. KO stets an zwei kumulative Voraussetzungen geknüpft:
1.) | Einerseits die schuldhafte (vorsätzliche oder fahrlässige) Vornahme einer der beschriebenen wirtschaftswidrigen Handlungen (Bankrotthandlungen). |
2.) | Und andererseits die Tatsache, dass der Täter ein „Schuldner“ ist, welcher „seine Zahlungen eingestellt hat, oder über dessen Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist“.[13] |
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Gegenstand der Rechtsprechung zum „tatsächlichen Zusammenhang“ war in erster Linie der Tatbestand des „einfachen Bankrotts“, da die besondere Gläubigerbenachteiligungsabsicht im Rahmen des betrügerischen Bankrotts in der Regel nicht nachzuweisen war. Schwierigkeiten bereitete im Rahmen des „einfachen Bankrotts“ die Frage, ob bereits die Koexistenz der oben genannten Merkmale – „Bankrotthandlung“ und „Relativsatz“ – genügte, um den Täter wegen Bankrotts zu bestrafen oder aber eine Beziehung beider Merkmale zueinander erforderlich war.
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Basis des Bankrottdelikts im Sinne der §§ 209 ff. KO waren eine Reihe bestimmter Bankrotthandlungen.[14] Die Normierung einzelner Handlungen folgte der Konzeption der Konkursdelikte des code de commerce.[15] Die darin geschaffenen Regelungen zum französischen Insolvenzstrafrecht konnten in der Folgezeit erheblichen Einfluss auf die Rechtsentwicklung in Deutschland gewinnen und galten als Vorbild für die Konkursstrafbestimmungen.[16] Bestraft wurden Kaufleute, die ihre Zahlungen einstellten, aus zwei Gründen: wegen „banqueroute simple“[17] und „banqueroute frauduleuse“[18]. Wegen „banqueroute simple“ war strafbar, wer sich in einer der im Gesetz beschriebenen Situationen befand[19]: also wer „übermäßige häusliche Ausgaben“[20] machte, wer beim Glücksspiel oder bei Börsenspekulationen große Summen verbrauchte[21], wer Waren verschleudert hat[22] oder Handelsbücher nicht führte[23]. Nach Ansicht der französischen Gesetzgebung lag in diesen einzelnen Handlungen „oftmals“ die Ursache des Konkurses.[24] Für die Beurteilung der Strafbarkeit genügte mithin das Vorliegen einer der normierten Handlungen, von der sodann auf einen strafbaren Bankrott geschlossen wurde[25], weshalb die Handlungen zu Recht als „Präsumtionen des Verbrechens“ interpretiert wurden.[26] Die 1. Konkursordnung übernahm diese Normkonzeption des code de commerce im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, währenddessen sich ohnehin ein Übergang vom liberalen formalisierten Strafrecht hin zu einem Strafrecht als Steuerungselement für Wirtschaftsabläufe vollzog, was allgemein zu einer deutlichen Expansion des Nebenstrafrechts führte.[27]
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Eine Bestrafung der aufgeführten Bankrotthandlung hing zusätzlich davon ab, ob die Tatsache der „Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung“ in der Person des Schuldners eingetreten war.[28] Auch die Beibehaltung des Relativsatzes folgte Art. 585 ff. des code de commerce, wonach ausschließlich „le commercant failli“ wegen Bankrotts zu bestrafen war.[29] Für einen strafbaren „banqueroute simple“ musste der Kaufmann die Tathandlung nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit („cessation des paiements“) vornehmen[30], es sei denn ihm gelang zwischenzeitlich die Überwindung seiner Zahlungsunfähigkeit.[31]
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Die Auslegung und Anwendung des so konzipierten Bankrotttatbestandes[32] bereitete der Rechtspraxis in Deutschland in der Folgezeit jedoch erhebliche Schwierigkeiten.[33] Wollte man den Relativsatz in die Kategorie der typischerweise bei Sonderdelikten vorkommenden besonderen persönlichen Merkmale einordnen[34], nötigte dies zu dem Schluss, dass im Hinblick auf den Eintritt des Konkurses zumindest Vorhersehbarkeit hätte verlangt werden müssen, was de facto ausgeschlossen war. Daher interpretierten manche die Zahlungseinstellung lediglich als „den Umstand, von dessen Vorhandensein die Anwendung der Vorschriften des vorliegenden Abschnitts“ abhänge[35], ohne dass die Zahlungseinstellung durch die beschriebenen Tathandlungen hätte herbeigeführt werden müssen.[36] Die Gegenansicht sah den Schwerpunkt des Unrechts gerade in der Zahlungseinstellung[37], da erst in diesem Moment eine Gefahr für die Konkursgläubiger entstehe. Vereinzelt wurde vertreten, dass es sich „lediglich um ein Anzeichen des eigentlich vorausgesetzten Merkmals der Zahlungsunfähigkeit“ handele.[38] Die Bedeutung des Relativsatzes und seine Funktion innerhalb des Gesamtunrechtstatbestandes waren mithin gegen Ende des 19. Jahrhunderts weitestgehend ungeklärt, was dazu führte, dass die Grenzen des strafrechtlich relevanten Bereichs nicht hinreichend konturiert waren.
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Demgegenüber bestand Einigkeit, dass zwischen Bankrotthandlung und Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung jedenfalls kein Kausalzusammenhang [39] erforderlich war, was sich bereits aus dem Wortlaut der Norm[40] und der historischen Entwicklung[41] ergeben sollte. Die französische Gesetzgebung verzichtete auf einen Kausalzusammenhang und einen Verschuldensnachweis im Hinblick auf den Konkurs[42], was gleichsam die konzeptionelle Besonderheit der Strafbestimmungen des code de commerce gegenüber denen der Reichspolizeiordnungen war.[43] Die „Schuldfrage“ im Strafrecht wurde von der französischen Gesetzgebung als verfahrensrechtliches Problem angesehen, weshalb Napoleon einer Konzeption der Konkursdelikte folgte, die bereits in den Stadtrechten des 13. und 14. Jahrhunderts vorherrschend war. Zu dieser Zeit wurde bereits auf Grund äußerer Merkmale – im Rahmen des Bankrotts die „Flucht des zahlungsunfähigen Schuldners“ – auf die Strafbarkeit des Täters „geschlossen“.[44] War der Kaufmann flüchtig, so unterstellte man, dass es sich um einen selbstverschuldeten Konkurs und kriminelles Verhalten handelte[45], was belegt, dass strafrechtliche Schuld eine bloße Vermutung war. Zu Beginn des Jahrhunderts, insbesondere durch die Reichspolizeiordnungen von 1548, vollzog sich eine erste Wende im Hinblick auf die „Schuldfrage“.[46] Die Strafbarkeit wegen Bankrotts hing erstmals von der Frage ab, ob und inwieweit der Schuldner seinen Konkurs tatsächlich verursachte und verschuldete.[47] Dem Rechtsgefühl der damaligen Zeit entsprach es, nur den „verdorbenen“[48], betrügerischen, ganz und gar nicht ehrbaren Kaufmann, der seinen Ruin gezielt herbeiführte, um daraus ein Geschäft zu machen, zu bestrafen und nicht denjenigen, der zufällig oder unverschuldet durch Krieg, Unglück oder Naturkatastrophe in Konkurs geriet.[49] Dem folgte auch das von Friedrich des Großen in Auftrag gegebene Preußische Allgemeine Landrecht (ALR) von 1794[50], wonach gemäß § 1479 „Kaufleute, welche durch Unglücksfälle zu zahlen unvermögend geworden sind“, nicht der Bestrafung wegen Bankrotts unterworfen wurden.[51] Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hat sich mehr und mehr die auf das Menschenbild der Aufklärung zurückgehende Rechtsauffassung durchgesetzt[52], dass schuldlos Handelnde, also auch unwillentlich in Konkurs geratene Kaufleute, kein strafbedürftiges Unrecht verwirklichen.
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Einem anderen Verständnis von „Gerechtigkeit“ folgte die französische Gesetzgebung durch Napoleon[53] nachdem zahlreiche große „Fallimente“ französischer Unternehmen einen überaus schädlichen Einfluss auf die Volkswirtschaft und das gesellschaftliche Miteinander Frankreichs hatten.[54] Die Tatsache, dass 1805 eine große französische Handelskette mit 30 Millionen Passiven ihre Zahlungen einstellte und trotzdem weiterhin enormen Aufwand tätigte, veranlasste Napoleon zur Schaffung eines „Bankbruchstrafgesetzes“,[55] das strenge Strafen enthalten sollte.[56] Dieses Gesetz differenzierte zwar zwischen der einfachen „fallite“ (im Sinne der schlichten Zahlungseinstellung) und dem banqueroute (im Sinne eines betrügerischen Verhaltens), dennoch sollten beide Fälle strafrechtlich erfasst werden.[57] Anknüpfungspunkt der Vorwerfbarkeit war nicht mehr das „Insolventwerden“ des Schuldners, sondern einzelne konkret benannte Handlungen, die das schuldnerische Vermögen verminderten, was rechtstatsächlich dazu führte, dass auch „le banqueroute simple“ und damit der unverschuldet in Konkurs geratene Kaufmann bestraft werden konnte.[58] Zwischen „banqueroute fradeuleuse“ und „banqueroute simple“ wurde danach differenziert, ob der Schuldner bei Vornahme der Bankrotthandlung mit (betrügerischer Fall) oder ohne (einfacher Fall) „Gläubigerbenachteiligungsabsicht“ handelte[59]; die – schädlichen oder gar positiven – Auswirkungen der Handlung waren gänzlich unbeachtlich. Diese Art der Normkonstruktion war kriminalpolitisch motiviert und konnte die Nachweisschwierigkeiten im Hinblick auf die Kausalitätsfrage[60] oder die Konkursursache[61] weitestgehend beseitigen.[62]
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Die Konkursstrafbestimmungen der 1. Konkursordnung übernahmen diese Normkonzeption, was gleichsam den Bezugsgegenstand der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zum „tatsächlichen Zusammenhang“ bildete:
– | Die Normen der Konkursstrafbestimmungen dienten nach Ansicht des Gesetzgebers dem Schutz „der Sicherheit des Handels“ und dem Schutz „der Sicherheit des Kredits“.[63] |
– | Der „Angriff“ des Bankrotttäters im Hinblick auf diese Schutzobjekte bestand in der Vornahme einer der beschriebenen „wirtschaftswidrigen Handlungen“, welche keine Verletzungsqualität aufweisen und nicht ursächlich für den Konkurs werden mussten.[64] |
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Die Strafbarkeit wegen Bankrotts hing zusätzlich davon ab, dass der Konkurs (Zahlungseinstellung oder Verfahrenseröffnung) in der Person des „Schuldners“ tatsächlich eintrat. Die Konkursursache war unerheblich.[65]
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Da demnach bereits die Koexistenz der tatbestandlichen Merkmale eine Strafbarkeit auslöste und darüber hinaus weder die Einordnung der Zahlungseinstellung/Konkurseröffnung noch das Verhältnis dieser Merkmale zum Täterverhalten geklärt waren, bereitete die Frage nach der Rechtsnatur des Bankrotttatbestandes der Rechtsanwendung bereits sehr früh Schwierigkeiten[66]:
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„Indem das Strafgesetz eine Reihe sehr verschieden gearteter Handlungen und Unterlassungen als einfachen Bankrott unter Strafe stellt, liegt solcher Strafandrohung wohl der gesetzgeberische Gedanke zu Grunde, dass jene Handlungen und Unterlassungen als Kriterien einer leichtsinnigen, verschwenderischen, unordentlichen Geschäftsführung erfahrungsgemäß in einem ursächlichen Zusammenhang zum Bankbruch zu stehen pflegen. Diesen ursächlichen Zusammenhang aber, der sich überdies nach den unberechenbaren Wechselfällen des Verkehrslebens meist jedem zweifellosen Nachweis entzieht, erfordert das Gesetz nicht als Moment des objektiven Tatbestandes, folglich auch nicht als Merkmal des subjektiven Tatbestandes, sei es als vorsätzliche oder sei es als fahrlässige Verschuldung gedacht. Das Strafgesetz begnügt sich vielmehr mit der positiven Satzung: ‚Schuldner, welche Ihre Zahlungen eingestellt haben, oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, werden wegen einfachen Bankrotts ... bestraft, wenn sie...‘ (...). Von Fahrlässigkeit im strafgesetzlichen Sinne, von fahrlässiger Verschuldung eines kausal zuzurechnenden Erfolges[67] ist hier nirgends die Rede, und ist es deshalb von vornherein verfehlt, den einfachen Bankrott in seinem legalen Tatbestande schlechthin als Fahrlässigkeitsdelikt zu bezeichnen.“[68]
„Dergleichen Operationen (Spiel, Wette, Differenzgeschäfte) beeinträchtigen das Vertrauen auf die dauernde Kreditfähigkeit und rechtfertigen, (...) die gesetzliche Fiktion, dass solche zum eingetretenen Vermögensverfalle und der daran geknüpften Zahlungseinstellung, in mehr oder weniger ursachlicher Beziehung stehen. Diese unsolide Weise des Geschäftsbetriebes soll der strafrechtlichen Ahndung verfallen.“[69]
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Parallel zum einfachen Bankrott nach Art. 587 des code de commerce wurden damit wirtschaftswidrige Handlungen pönalisiert, welche die Verletzung oder Gefährdung der Gläubigerrechte fingierten bzw. präsumierten[70], sofern beide Tatbestandsmerkmale[71] tatsächlich eintraten.[72] Es genügte, wenn der Täter wusste oder sich vorstellen konnte, „dass er Handlungen vornimmt, welche ihm die Möglichkeit, den Ansprüchen seiner Gläubiger gerecht zu werden, rauben werden oder rauben können.“[73] Zentraler Gegenstand der Rechtsprechung des RG war im Anschluss daran die Frage, ob die gesetzliche Fixierung von Kriminalität, welche die bloße „Koexistenz“ von Bankrotthandlung und Konkurs genügen ließ, um Strafe zu verhängen, einer restriktiven Korrektur bedurfte. In diesem Kontext fand das Erfordernis eins „tatsächlichen Zusammenhangs“ erstmals Erwähnung.