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Teresa Hill, Patricia Kay, Marie Ferrarella

BIANCA EXKLUSIV, Band 287

IMPRESSUM

BIANCA EXKLUSIV erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

Erste Neuauflage by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg,
in der Reihe: BIANCA EXKLUSIV, Band 287 – 2017

© 2009 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „The Texan’s Diamond Bride“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Patrick Hansen
Deutsche Erstausgabe 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe BIANCA, Band 1746

© 2008 by Patricia A. Kay
Originaltitel: „The Billionaire and His Boss“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Tatjana Lénárt-Seidnitzer
Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe BIANCA, Band 1709

© 2010 by Marie Rydzynski-Ferrarella
Originaltitel: „Fixed Up with Mr. Right?“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Valeska Schorling
Deutsche Erstausgabe 2011 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe BIANCA, Band 1772

Abbildungen: Joshua Resnick / 123RF, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733733070

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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Funkelnd wie ein Diamant

1. KAPITEL

Paige McCord lag ausgestreckt auf einem Hügel etwa eine Meile von Travis Foleys Ranch in Texas entfernt und spähte durch ihren starken Feldstecher. Es war der dritte Tag ihrer kleinen Erkundungsmission. Anfang November war es für die Jahreszeit warm, aber nicht zu heiß für eine solche Aktion. Das Herbstlaub entfaltete seine ganze Farbenpracht, aber Paige war nicht hier, um die Landschaft oder das Wetter zu genießen.

Auch wenn es einen bestimmten Anblick gab, von dem sie zugeben musste, dass er ihr gefiel.

Da kam er wieder.

Paige sah auf die Uhr. Fast halb vier.

„Du bist heute einen Tick zu spät, was?“, fragte sie leise und stellte das Fernglas schärfer, als der Mann den Trampelpfad zum Eingang der alten Mine hinaufging.

Paige war sechsundzwanzig und in Texas geboren und aufgewachsen. Sie war kein junges Mädchen mehr, das sich von einem Cowboy den Kopf verdrehen ließ, nur weil er sein ganzes Leben im Freien verbrachte und harte körperliche Arbeit verrichtete. Was ihm zugegebenermaßen kräftige Muskeln und eine sonnengebräunte Haut verlieh.

Hinzu kam die typische Art, sich zu bewegen, dieser wiegende Gang, noch dazu in abgetragenen, verwaschenen Jeans, die seine athletische Gestalt betonten.

Komplettiert wurde der lässige Look durch teure Stiefel, an denen die jahrelange harte Arbeit sichtbare Spuren hinterlassen hatte, einen breitkrempigen Hut, der nicht aus modischen Gründen getragen wurde, und Bartstoppeln, die zeigten, dass er schon im Morgengrauen aufgestanden war und seine Tage lang waren.

Er war ein Bild von einem Mann, aber Paige sah all das nicht zum ersten Mal. Außerdem hatte sie Wichtigeres zu tun, als einen attraktiven Mann zu bewundern.

In ihrem Leben schien sich alles viel zu schnell zu ändern, und der unerwartete Umbruch drohte sie aus der Bahn zu werfen.

Paiges ältere Brüder hatten sich gerade verlobt, und sie hoffte, dass die beiden wussten, was sie taten. Tate, ihr zweitältester Bruder, war nach zwei Einsätzen als Militärarzt in Nahen Osten nach Hause zurückgekehrt. Er hatte sich verändert und war nicht mehr derselbe Mann wie früher. Sie hatte sich eine Weile große Sorgen um ihn gemacht. Dann hatte er sich auch noch von seiner Verlobten Katie getrennt und sich kurz darauf mit Tanya verlobt, der Tochter der langjährigen Haushälterin der McCords. Paige mochte Tanya. Wirklich. Sie war nur immer davon ausgegangen, dass Tate irgendwann Katie heiraten würde. An die neue Situation konnte sie sich noch nicht recht gewöhnen.

Wenig später hatte ihr ältester Bruder Blake auf einmal Interesse an Katie gezeigt, und diese hatte gerade seinen Heiratsantrag angenommen!

Paige konnte noch immer nicht fassen, wie schnell das alles gegangen war. Sie hoffte nur, dass die beiden Brüder sich nicht entzweiten, denn ihre Familie hatte auch so schon genug Probleme.

Ihre Cousine Gabby, weltbekanntes Supermodel, verwandt mit dem italienischen Königshaus und Aushängeschild des Juwelenimperiums McCord Jewelers, hatte sich nicht mit einer Verlobung begnügt, sondern war mit ihrem Bodyguard durchgebrannt und hatte ihn gleich geheiratet!

Paige wurde fast schwindlig, wenn sie daran dachte.

Und als wäre das alles noch nicht genug, hatte Paiges Zwillingsschwester Penny plötzlich Geheimnisse vor ihr, nachdem sie beide immer unzertrennlich gewesen waren. Als Paige das letzte Mal mit Gabby gesprochen hatte, hatte ihre Cousine ihr alle möglichen Fragen über Penny gestellt, und sie hatte keine einzige beantworten können. Gabby war sicher, dass irgendetwas nicht stimmte.

Paige erkannte ihre Familie kaum wieder.

Selbst ihre Mutter war über Nacht ein anderer Mensch geworden.

Genau wie ihr jüngster Bruder.

Und ihr Vater, der vor fünf Jahren gestorben war.

Paige stand noch immer unter Schock. Erst in diesem Sommer hatte Eleanor McCord ihren Kindern gebeichtet, dass sie vor langer Zeit eine Affäre mit Rex Foley gehabt hatte – mit dem Patriarchen einer Familie, die seit dem Bürgerkrieg mit den McCords verfeindet war. Und nicht nur das, sie hatte Jahre später ein Kind von ihm bekommen! Charlie, ihr jüngster Bruder, war in Wirklichkeit Rex Foleys Sohn!

Nur vage erinnerte Paige sich an die Zeit, in der in der Villa der Familie in Dallas eine äußerst angespannte Atmosphäre geherrscht hatte. Sie und ihre Schwester waren durch die Räume geschlichen und hatten sich in den Ecken versteckt. Vor den aufgebrachten Wortwechseln und all den Tränen, die ihre Mutter vergoss, während ihr Vater angeblich auf einer Geschäftsreise war.

Jetzt, nach jenem schrecklichen Sommer, ging es zu Hause wieder ähnlich zu.

Irgendwann war ihr Vater zurückgekehrt, ihre Mutter hatte endlich zu weinen aufgehört, und dann war Charlie auf die Welt gekommen. Der fröhliche, liebenswerte Charlie.

Paige und ihre Schwester waren damals fünf gewesen und hatten sich riesig über das Baby gefreut. Für sie war der kleine Junge das schönste Geschenk gewesen, das sie jemals bekommen hatten, und sie hatten mit ihm gespielt, als wäre eine ihrer Puppen zum Leben erwacht.

Sie war glücklich gewesen und hatte geglaubt, dass es immer so bleiben würde.

Alles nur Lügengebilde.

Noch immer litt sie unter den vielen Lügen, die erzählt worden waren, und sie fragte sich, wie die Familie damit fertigwerden sollte. Aber zu lange durfte sie nicht darüber nachdenken, wenn sie nicht in Tränen ausbrechen wollte.

Deshalb war Paige für jede Ablenkung dankbar. Zum Glück hatte sie eine Aufgabe gefunden, auf die sie sich voll und ganz konzentrieren musste.

Eine Aufgabe, die für ihre Familie sehr wichtig war.

Sie war heilfroh, Dallas und die angespannte Atmosphäre in der Villa der McCords für eine Weile hinter sich lassen zu können.

Es tat so gut, an einem herrlichen Novembertag im Gras zu liegen und durchs Fernglas einen Mann zu betrachten, der sie allein durch sein Aussehen auf andere Gedanken brachte.

Jetzt stieg er von seinem kastanienbraunen Pferd, ließ es in Ruhe aus dem nahe gelegenen Bach trinken und dann – heute schien wirklich Paiges Glückstag zu sein – knöpfte er auch noch sein Shirt auf.

Oh. Womit habe ich das verdient?

Er zog ein Tuch aus der Gesäßtasche, bückte sich, tauchte es ins Wasser und drehte sich zu Paige um.

Hastig nahm sie das Fernglas von den Augen, als könnte er sie auf diese Entfernung sehen. Sein Gesicht war nicht zu erkennen, aber Paige glaubte, er hätte es zu einem selbstbewussten und zufriedenen Grinsen verzogen.

Sie hob den Feldstecher wieder, richtete ihn auf den Mann und beobachtete gebannt, wie er sich nach dem langen Arbeitstag den Staub abwusch. Er blickte zum Himmel und ließ das Wasser über das Gesicht, den Hals und die wie gemeißelt aussehenden Muskeln an Brust und Bauch rinnen.

Was für ein Anblick.

Das Wasser muss kalt sein, dachte sie. Hier im Hügelland von Texas waren die Tage warm, aber nachts kühlte es stark ab. Manchmal herrschten nur fünf Grad. Das wusste sie, weil sie ihr Zelt nur wenige Meilen westlich von Travis Foleys Ranch im Nationalpark aufgeschlagen hatte. Die nahe gelegene Kleinstadt Llano mied sie, denn dort fiel jeder Fremde sofort auf.

Und niemand – schon gar nicht Travis Foley – durfte wissen, dass sie hier war.

Paige konzentrierte sich wieder auf ihren Cowboy. Seit zwei Tagen kam er nun schon her und arbeitete hart. Er brachte verirrte Rinder zur Herde zurück, reparierte beschädigte Weidezäune und hielt nach Eindringlingen Ausschau, während sein Chef Travis Foley vermutlich in seiner klimatisierten Villa am Rand der Ranch auf der faulen Haut saß, die Öldollar seiner Familie zählte oder die Aktienkurse verfolgte.

Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein Foley täglich in den Sattel stieg und sich auf seinem Land die Hände schmutzig machte.

Dafür hatte er Männer wie diesen Cowboy, den sie gerade beobachtete.

Er trocknete sich ab, knöpfte sein Shirt zu, lehnte sich gegen einen großen Felsbrocken und legte den Kopf zurück, als wollte er die Herbstsonne oder die warme Nachmittagsbrise genießen.

Aber vielleicht war er auch nur erschöpft von der Arbeit oder seinen eigenen Problemen. Oder er hatte sich nach der Stille und dem Frieden in diesem abgelegenen Winkel der Ranch gesehnt.

Hätte Paige die Zeit dafür, hätte sie die Pause mit ihm zusammen genossen und sie vielleicht sogar bis weit nach Sonnenuntergang ausgedehnt. Wie kam sie bloß auf solche Gedanken? Es war noch nie ihre Art gewesen, mit fremden Männern eine Nacht zu verbringen. Aber der Sommer war schlimm gewesen, und manchmal wurde es ihr zu viel. Die Sorgen gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf, und dann wurde der Druck so stark, dass sie einfach nur schreien wollte.

Dieser Mann, dieser Cowboy … konnte sie bestimmt alles vergessen lassen.

Und wenn es nur für eine einzige Nacht war. Leider hatte sie nicht mal dazu Zeit. Aber eine Frau durfte doch träumen, oder?

Wenn er wieder fort war, blieben ihr vierundzwanzig Stunden, bis er an den Bach zurückkehrte. Jedenfalls war es an den letzten drei Tagen so gewesen. Sie hatte ihre komplette Ausrüstung im Rucksack und wollte sich allein in die alte Silbermine wagen. Jeder, der sich mit stillgelegten Stollen auskannte, wusste, wie riskant dieses Unterfangen war. Aber sie hatte jede Vorsichtsmaßnahme getroffen und war auf alles vorbereitet.

Paige war fest entschlossen, in die Dunkelheit hinabzusteigen. Sie musste es tun.

Für ihre Familie. Außerdem hatte sie es ihrem Bruder Blake, dem Chef des Juwelenimperiums, fest versprochen.

Nimm dich zusammen, ermahnte sie sich. Sie durfte nicht mehr an den Cowboy denken. Wenn sie ihren Job richtig machte, würde sie ihm nie begegnen. Was eigentlich sehr schade war. Ein Mann wie er, unkompliziert und erdverbunden, wäre genau das, was sie in ihrer Situation brauchte. Sie legte den Feldstecher hin und nahm ihr Satellitentelefon heraus. Hier draußen mitten im Nichts war mit einem normalen Handy nicht viel anzufangen.

Blake meldete sich nach dem zweiten Läuten. „Und?“, fragte er gespannt.

„Alles klar. Ich gehe rein“, erwiderte sie. „Du weißt, was du zu tun hast?“

„Wenn ich bis Sonnenaufgang nichts von dir höre, rufe ich deinen Freund in der Bergbauabteilung der Universität an, und wir holen dich heraus“, versprach er. „Paige, bist du sicher, dass es ungefährlich ist? Ich will nicht, dass dir etwas zustößt.“

„Die Mine gibt es seit über hundert Jahren. Im letzten Jahr hat Travis Foley einigen Archäologen erlaubt, sie zu erkunden und die Höhlenzeichnungen zu dokumentieren. Ich habe eine Kopie ihres Berichts. Die Wände sind so stabil, wie man …“

„Trotzdem, ist es nicht riskant, allein hineinzugehen?“

Sie hatten lange genug darüber diskutiert und waren sich einig. Außer ihnen beiden durfte niemand davon wissen. Dafür stand einfach zu viel auf dem Spiel.

Das Familienunternehmen McCord Jewelers steckte in finanziellen Schwierigkeiten, aber Blake behauptete, dass er Herr der Lage sei. Dasselbe würde ihr stolzer und sturer ältester Bruder aber auch dann sagen, wenn der Weltuntergang kurz bevorstand. Er wäre überzeugt, die Welt ganz allein retten zu können.

Paige war fest entschlossen, ihm zu helfen.

„Blake, ich mache meinen Doktor in Geologie und weiß, was ich tue. Außerdem war ich vor ein paar Wochen in der Mine, um den Bericht der Archäologen nachzuprüfen und sicherzustellen, dass ich die richtige Ausrüstung habe. Vertrau mir. Es wird alles gut.“

Und falls ausgerechnet der Cowboy sie dabei erwischte, sollte ihr das auch recht sein. Sie war zuversichtlich, dass sie sich herausreden und von der Ranch verschwinden konnte, bevor Travis Foley von ihrem ungebetenen Besuch erfuhr.

„Ich habe gehört, dass die Foleys an diesem Wochenende ein großes Familientreffen veranstalten. Also dürfte Travis Foley schon im Flugzeug nach Dallas sitzen. Seinetwegen brauchst du dir keine Gedanken zu machen.“

„Gut.“ Diesem Mann wollte Paige nun wirklich nicht über den Weg laufen.

„Aber was ist mit dem Wetter?“, fragte Blake. „Die Vorhersage ist nicht gerade ermutigend. Die Ausläufer des Wirbelsturms über dem Golf …“

„Die erreichen die Gegend nördlich von hier erst morgen. Ich habe einen Blick aufs Wetterradar geworfen. Ich gehe jetzt hinein und bin wieder weg, bevor es kritisch wird. Du machst dir zu viele Sorgen, Blake“, beruhigte sie ihren Bruder. „Ich melde mich morgen früh.“

Travis Foley stieg wieder aufs Pferd und ritt zu dem Felsvorsprung hinauf, hinter dem sich der Eingang der alten Mine verbarg. Hierher, in einen der abgelegensten Winkel der Ranch, die schon seinem Großvater gehört hatte, zog er sich zurück, um nachzudenken und seiner harten körperlichen Arbeit nachzugehen. An diesem Ort war er schon als Kind am liebsten gewesen.

Der Rest seiner Familie verstand ihn einfach nicht, und Travis verstand sie nicht. Sie waren Ölmanager und Politiker, wichtige Menschen in einer Welt, die sie für die einzig wahre hielten.

Für Travis war das hier die Welt, von der er immer geträumt hatte. Es war genau das Leben, das er führen wollte. Er wünschte, sie alle würden ihm den Frieden lassen, den er auf der Ranch gefunden hatte.

Aber seit man das alte spanische Schiffswrack im Golf von Mexiko gefunden hatte, redeten sämtliche Leute, die er kannte, nur noch vom Santa-Magdalena-Diamanten, der angeblich so groß und so wertvoll wie der berühmte Hope-Diamant war.

Einer von Travis’ Vorfahren, Elwin Foley, war an Bord gewesen, als das Schiff Anfang des 19. Jahrhunderts sank. Mitsamt dem Edelstein und einer Schatztruhe voller alter spanischer Silbermünzen. Niemand wusste genau, was passiert war. Entweder war der Diamant mit untergegangen, oder einer der Überlebenden hatte ihn an sich genommen. Jedenfalls war der Stein nie wieder aufgetaucht.

Travis’ Vorfahr hatte überlebt und die Ranch gekauft, die Travis jetzt bewirtschaftete. Er hatte dort nach Silber geschürft und ganz sicher nicht so gelebt wie jemand, der mit Diamanten ein Vermögen gemacht hatte. Im Gegenteil, er hatte hart gearbeitet und war bei einem Unfall in der Mine ums Leben gekommen, noch bevor er auf Silber gestoßen war.

Seinen Sohn Gavin hatte es noch härter getroffen – nach einer schweren Kindheit, in der seine Mutter ihn allein aufgezogen hatte, war er der Spielsucht verfallen und hatte die Ranch und die Schürfrechte beim Pokern an einen Mann namens Harry McCord verloren.

Travis fand es schrecklich, dass seine Familie und die McCords nach all den Jahren noch immer verfeindet waren. Gavin Foley hatte immer behauptet, von Harry McCord beim Pokern betrogen worden zu sein. Und als wäre das nicht schlimm genug, hatten die McCords wenig später auf der Ranch ein Silbervorkommen entdeckt und waren quasi über Nacht zu einer der reichsten Familien in Texas geworden.

Travis war das alles vollkommen egal. Seine Familie hatte es wenige Jahre später im Ölgeschäft zu Geld gebracht. Keiner von ihnen litt Not. Er missgönnte den McCords das Vermögen nicht, zu dem sie es erst mit Silber, dann mit Juwelen gebracht hatten.

Was er ihnen jedoch keinesfalls gönnte, war diese Ranch.

Denn wie sein Großvater vor ihm lebte er auf dem Land, schuftete und schwitzte, ohne dass es ihm jemals gehören würde.

Besitzer waren die McCords dank eines schlechten Blattes oder gezinkter Karten bei einer Pokerrunde vor über hundert Jahren, je nachdem, welcher Version der Legende man glaubte.

Um die Familienfehde zu beenden, hatte Eleanor McCord die Ranch vor zwanzig Jahren an Travis’ Großvater verpachtet, und Travis hatte sie vor zehn Jahren übernommen, aber eben nur als Pächter, nicht als Eigentümer. Und darüber wollte er lieber nicht zu lange nachdenken, weil er sonst wahrscheinlich ein Magengeschwür bekäme.

Leider blieb ihm jetzt nichts anderes übrig, denn der Trubel um den dämlichen Diamanten und die Familienfehde hatte von vorn begonnen.

Schatzsucher hatten im Golf von Mexiko im Wrack des gesunkenen spanischen Schiffs alte spanische Edelsteine gefunden.

Aber der Santa-Magdalena-Diamant war nicht darunter gewesen.

Und seitdem kursierte wieder das Gerücht, dass der berühmte Diamant nicht untergegangen, sondern gestohlen worden war – und zwar von Edwin Foley, der dieses Land zu einer Ranch gemacht und den Rest seines Lebens darauf verbracht hatte.

Deshalb vermuteten viele Menschen, dass der Stein sich noch immer hier befand.

Dauernd tauchten Schatzsucher, Edelsteinsammler und sogar Juwelendiebe auf Travis’ Ranch auf und suchten nach dem verfluchten Diamanten. Wussten diese Idioten denn nicht, dass er jedem, dem er gehörte, nichts als Unglück brachte?

Nicht, dass sie sich dadurch abschrecken ließen. Als hätte Travis im November nichts Besseres zu tun, als Leute davon abzuhalten, sich den Hals zu brechen, seine Rinder in Panik zu versetzen, die Zäune zu beschädigen oder sich von Schlangen beißen zu lassen.

Seit das Schiffswrack entdeckt worden war, hatten er und seine Männer schon fünf Eindringlinge vertrieben.

Noch schlimmer – Travis’ Familie war überzeugt, dass die McCords etwas im Schilde führten und vielleicht sogar schon jemanden auf den Diamanten angesetzt hatten.

Hatte Gavin Foley nach dem Verlust der Ranch den Stein gefunden und ihn dann hier für einen seiner Nachfahren versteckt, wenn sie das Land irgendwie wieder in ihren Besitz gebracht hatten? Und waren die McCords nach all den Jahren zufällig auf einen Hinweis gestoßen, wo sich das Versteck befand?

Travis bezweifelte es, seine Familie nicht.

Er selbst wollte mit der Fehde nichts zu tun haben, hatte jedoch versprochen, die stillgelegte Silbermine täglich zu kontrollieren. Vor einigen Wochen hatte er am Eingang Fußspuren entdeckt. Er war einige Meter weit hineingekrochen, hatte aber sonst nichts Verdächtiges gefunden.

Trotzdem, irgendjemand hatte sich unbefugt Zutritt zur Mine verschafft.

Seitdem ritt Travis an jedem Nachmittag hier vorbei.

Heute schien alles ruhig zu sein.

Er stieg aus dem Sattel, ging unter dem langen, breiten Felsvorsprung zum Eingang und lauschte.

Nichts. Keine ungewöhnlichen Geräusche. Die einzigen Fußspuren stammten von ihm selbst. Mit einem Rechen, den er im Gebüsch versteckt hatte, beseitigte er sie.

Doch als er danach einen kräftigen Schluck aus seiner Wasserflasche nahm, beschlich ihn das eigenartige Gefühl, dass er nicht allein hier draußen war, und dass jemand ihn beobachtete.

Dieses Gefühl hatte er vorhin schon gehabt. Unten am Bach. Als er den Schmutz aus dem üblen Kratzer wusch, den er sich bei der Reparatur des zerschnittenen Stacheldrahtzauns zugezogen hatte.

Niemand hatte das Recht, ihn heimlich zu beobachten. Jedenfalls nicht hier. So weit das Auge reichte, gehörte das Land zur Ranch, und wenn jemand es ohne seine Erlaubnis betreten hatte und ihm nachspionierte, würde Travis ihn finden und zur Rede stellen.

2. KAPITEL

Paige musste zugeben, dass sie sich gern hier draußen aufhielt. In letzter Zeit hatte sie viel zu lange am Computer gesessen und an ihrer Doktorarbeit geschrieben. Eigentlich sollte sie ihrem Bruder Blake dankbar sein, dass er sie hergeschickt hatte.

Als hochqualifizierte Geologin und leitende Edelsteinkundlerin im Juwelenimperium ihrer Familie faszinierte sie die Vorstellung, einen Stein zu finden, der es an Größe und Reinheit angeblich mit dem berühmten Hope-Diamanten aufnehmen konnte. Natürlich würde sie damit auch das angeschlagene Unternehmen McCord Jewelers retten, aber daran dachte sie in diesem Moment nicht.

Jeder, der wie sie um die Welt reiste und nach den in der Erde verborgenen Schätzen suchte, träumte von so einem Fund.

Jetzt stand Paige vor dem Eingang der Mine, und vor Aufregung klopfte ihr Herz so heftig, dass sie nach Luft schnappen musste.

Sie nahm den großen Rucksack ab, holte den Helm mit der LED-Leuchte heraus, schaltete sie ein und legte ihn so hin, dass er im Schatten des Felsvorsprungs Licht spendete. Dann zog sie den alten Overall an und hängte sich eine kleine Taschenlampe an einer Kordel um den Hals. Eine zweite befand sich zusammen mit den Ersatzbatterien, einem Seil, dem Proviant, einem Notizbuch und der Kamera in dem kleinen Rucksack, den sie in den Stollen mitnehmen würde.

Ihr Haar hatte sie zu einem langen Zopf geflochten, den sie in den Overall schob. Sie setzte den Helm auf, atmete tief durch und verschwand in der dunklen, kühlen Stille der alten Mine.

Travis konnte es nicht fassen, dass die Frau sich allein in den Stollen traute!

Er hatte sie aus sicherer Entfernung beobachtet, seit sie die Hügelkette überquert hatte, die die Grenze zwischen der Ranch und dem Nationalpark bildete. Zielstrebig hatte sie den Felsvorsprung angesteuert, und ihre Ausrüstung wirkte professionell. Den Hut hatte sie tief ins Gesicht gezogen. Sie holte einen Helm mit Lampe heraus, überprüfte noch mal, ob sie alles dabeihatte, was sie in der Mine brauchte. Dann war sie plötzlich wie vom Erdboden verschwunden.

Travis hätte wetten können, dass sie nicht allein nach unten klettern, sondern auf einen Begleiter warten würde. Um beide zu erwischen, hatte er gewartet.

Im letzten Jahr war Travis hier gewesen, als ein Team von Archäologen den Stollen erkundet und die uralten Höhlenzeichnungen fotografiert und dokumentiert hatte. Keiner der erfahrenen Forscher hatte sich jemals allein hineingetraut!

Aber diese Frau riskierte es!

„Wie kann man nur so dumm sein?“, knurrte er. Sein Pferd warf ihm einen fragenden Blick zu. Er schüttelte den Kopf. „Dich meine ich nicht, Murphy.“

Er stieg auf und ritt zur Mine. Vielleicht sollte er den Sheriff anrufen und die Frau festnehmen lassen. Als abschreckendes Beispiel für mögliche Nachahmer.

Aber dazu musste er erst verhindern, dass sie verunglückte.

Bei dem Felsvorsprung band er Murphy an einen Baum, fischte die Stablampe aus der Satteltasche, nahm den Hut ab, wischte sich den Schweiß von der Stirn, schüttelte nicht zum ersten Mal an diesem Tag den Kopf und fluchte leise auf verschwundene Diamanten, Familienfehden, Schatzsucher und Frauen.

Am Eingang schaltete er die Lampe ein, hielt sie jedoch auf den Boden gerichtet, um die Frau nicht vorzuwarnen. Dann schlich er in leicht gebückter Haltung in den Stollen, bis er den Schacht erreichte, der senkrecht nach unten führte, wo der nächste Stollen weiter ins Gestein führte. Bis hierher war Travis früher schon einmal gekommen, aber nie ohne Begleitung. Die an der Wand des Schachts befestigte Leiter war aus Metall und erst im letzten Jahr überprüft worden.

Er konnte nur hoffen, dass er die Frau im nächsten, tiefer gelegenen Stollen einholte und nicht noch weiter in das verschachtelte Labyrinth vordringen musste. Vorsichtig stieg er nach unten. Als er den Stollen erreichte, blieb er stehen und sah nach links und rechts.

Hatte sie inzwischen gemerkt, dass sie nicht mehr allein war? Hatte sie ihn gehört? Sie hatte nicht viel Vorsprung, und er hoffte, dass sie sich langsamer bewegte als er, denn soweit er wusste, war sie noch nie in der Mine gewesen und musste sich hier unten erst orientieren.

Oder war dies nicht ihr erster Besuch?

Travis lauschte, bis er ein Klirren und einen unterdrückten Fluch hörte. Vielleicht war sie ja mindestens so nervös wie er, und er konnte sich anschleichen und sie halb zu Tode erschrecken.

Eigentlich war er ein Gentleman und tat so etwas nur ungern, aber nach einem solchen Schrecken würde sie ihre Lektion lernen und nicht wieder so leichtsinnig handeln. Er schaltete die Lampe aus und tastete sich mit der rechten Hand an der kühlen Felswand entlang. Schon nach wenigen Schritten tauchte vor ihm ein Lichtschein auf, und er sah, was die Frau betrachtete.

Eine der Höhlenzeichnungen.

Es war ein Adler.

Die festen Stiefel, der weite Overall und der Helm lagen im Halbdunkel, während sie die Nase fast gegen den Fels presste, in den jemand vor vielleicht fünftausend Jahren den Umriss des großen Raubvogels geritzt hatte.

Travis war sicher, dass sie hinter dem Diamanten her war.

Warum sah sie sich dann die Zeichnungen an?

Leise zog er sich zurück, um abzuwarten, was sie als Nächstes tun würde. Nach einer Weile kehrte sie zum Schacht zurück. Was hatte sie jetzt vor? Die rechte Seite des Stollens erkunden oder weiter in eine Tiefe von etwa dreißig Metern hinabsteigen?

Er fand es schon jetzt unheimlich, so viel Fels zwischen sich und dem Sonnenschein zu haben.

Das würde sie doch bestimmt nicht wagen.

Travis lugte um die Ecke. Sie kniete am Rand des Schachts und leuchtete hinein.

„Um Himmels willen!“, murmelte er, bevor er zu ihr eilte, sie an der Taille packte und zurückriss.

Sie schrie so laut auf, dass er fast befürchtete, die Mine könnte einstürzen. Er hob sie hoch, und sie zappelte und strampelte mit den Beinen, bis sie sich an der Wand gegenüber abstoßen konnte.

Travis taumelte zurück und prallte ziemlich unsanft mit dem Rücken gegen den Fels. Er biss die Zähne zusammen, ließ einen Arm an ihrer Taille und hielt mit der freien Hand ihre Arme fest.

Endlich hörte sie auf zu schreien.

„Ganz ruhig“, keuchte er ihr ins Ohr. „Sie können nicht weglaufen, und ich werde nicht zulassen, dass Sie noch weiter nach unten klettern.“

Sie gab auf. Der Helm war ihr vom Kopf gerutscht, und der Lichtschein der Lampe erhellte nur den rechten Teil des Stollens. Die Frau konnte Travis nicht sehen. Und er sie auch nicht.

Sie atmete heftig, aber dass er sie gepackt und außer Gefecht gesetzt hatte, bereitete ihm kein schlechtes Gewissen. Hätte er etwa untätig zusehen sollen, wie sie sich verletzte, verirrte oder gar in den Schacht stürzte?

„Sie haben mich zu Tode erschreckt!“, fuhr sie ihn zornig an.

Travis lockerte seinen Griff weit genug, um sie in seinen Armen zu sich zu drehen. Dann presste er sie mit seinem ganzen Körper gegen die Wand.

„Tatsächlich?“, entgegnete er, das Gesicht so dicht an ihrem, dass er ihren Atem fühlen konnte. „Und Sie haben mir Angst gemacht. Haben Sie eine Ahnung, wie gefährlich es ist, sich ganz allein hier unten herumzutreiben?“

„Ich weiß, was ich tue. Ich bin Geologin.“

„Wissen Sie auch, dass Sie sich unbefugt auf Privatgelände befinden?“, fragte er und straffte die Schultern, um noch einschüchternder zu wirken.

„Nun … ja“, gab sie nach einem Moment zu.

Er wich ein Stück zurück, ließ sie aber nicht los.

Sie war klein und schlank. Und jung. Er glaubte nicht, dass sie einen Fluchtversuch unternehmen würde, also gab es keinen Grund mehr, sie festzuhalten. Außerdem ließ sich nicht übersehen, wie attraktiv sie war. Jede Berührung war riskant, denn sie lenkte Travis von wichtigeren Dingen ab.

Er ließ sie los, blieb jedoch so dicht vor ihr stehen, dass er sie jederzeit wieder packen konnte. „Wenn ich den Sheriff rufe, verbringen Sie mindestens eine Nacht hinter Gittern, ist Ihnen das klar?“, fragte er.

Sie seufzte. „Das wollen Sie mir doch nicht antun, oder?“

„Wenn ich Sie nicht anders davon abhalten kann, wieder so eine Dummheit zu begehen, dann bleibt mir keine andere Möglichkeit.“

„Hören Sie, es tut mir leid. Ich wollte nur …“

„Den blöden Diamanten finden? Ja, das habe ich schon mal gehört.“

„Haben Sie eine Vorstellung, was für eine Chance das ist?“

„Allerdings. Es geht um einige Millionen Dollar, und Sie denken, Sie können über Nacht reich werden.“

„Nein. Um das Geld geht es mir nicht“, behauptete sie. „Ich will ihn nur entdecken. Wenn der Santa-Magdalena-Diamant sich wirklich irgendwo hier unten befindet, wäre es ein sensationeller Fund. Wissenschaftler verbringen fast ihr ganzes Leben mit der Suche, aber die meisten von ihnen finden niemals ein solches Prachtexemplar. Wie könnte jemand, der an der Universität Karriere machen will, sich eine solche Gelegenheit entgehen lassen?“

Travis runzelte die Stirn. Die Frau klang, als würde sie es ernst meinen. Genau wie die Archäologen, die im letzten Sommer die Höhlenzeichnungen untersucht hatten.

Er konnte ihre Faszination nicht recht nachvollziehen, aber ihre Begeisterung war ihm wesentlich sympathischer als die Geldgier der Schatzsucher.

Vielleicht beneidete er sie sogar um ihren Traum. Mit dreißig war Travis im Großen und Ganzen mit seinem Leben zufrieden, aber hin und wieder erschien es ihm eine Spur zu ruhig und vorhersehbar.

Zu leer.

Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal von etwas so begeistert gewesen war wie diese schöne Fremde von der Chance, den Diamanten zu finden. Aber er hatte nicht vor, länger als nötig hier unten zu bleiben. „Kommen Sie schon.“ Er bückte sich nach ihrem Helm und setzte ihn ihr auf. Als der Lichtstrahl sein Gesicht erfasste, wandte er sich rasch ab. „Ihre Erkundungstour ist vorbei. Wir steigen nach oben.“

Wieder seufzte sie. „Kann ich mich nicht noch ein bisschen umsehen, wo wir schon einmal hier sind? Was schadet es denn?“

„Der nächste Stollen liegt in über dreißig Metern Tiefe.“

„Ich weiß.“

Sie hörte sich an, als würde sie sich darüber freuen.

Dann wurde ihm etwas bewusst. „Sie wissen es? Was soll das heißen?“

„Ich weiß es von den Plänen.“

„Sie haben Pläne von der Mine?“, fragte Travis verblüfft.

„Natürlich. Die Menschen, die diese Stollen angelegt haben, haben sie gezeichnet. Natürlich sind sie nicht so genau wie die heutigen Pläne, aber wenn man solche historischen Dokumente sucht, findet man sie auch. Von den Wissenschaftlern, die diese Höhlen erkundet haben, gibt es ebenfalls welche. Wie gesagt, das hier ist kein Hirngespinst. Ich bin Wissenschaftlerin. Und Sie könnten mir helfen.“

„Warum sollte ich das tun?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Wegen des Geldes? Angeblich ist hier eine mit Juwelen verzierte Truhe voller spanischer Münzen versteckt. Silbermünzen. Selbst ein Cowboy muss doch einsehen, was das für eine Chance ist. Mit einem solchen Vermögen könnten Sie sich eine eigene Ranch kaufen, wenn Sie das wollen. Und … Sie müssten mir gar nicht helfen, sondern … einfach nur niemandem erzählen, dass ich hier war. Dass ich noch mal zurückgekommen bin und weitergesucht habe. Ich würde Sie dafür bezahlen, dass Sie den Mund halten.“

„Sie würden noch mal in die Mine gehen? Allein?“, fragte Travis ungläubig.

„Ja. Sie könnten oben bleiben, nur für den Fall, dass ich in Schwierigkeiten gerate. Sie bräuchten nur jemanden anzurufen. Ich habe Freunde, die mich herausholen würden.“

Travis fluchte leise. „Sie sind verrückt, ein solches Risiko einzugehen.“

„Manche Menschen gehen in ihrem Leben nie Risiken ein, das finde ich viel schlimmer.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich denke gar nicht daran, hier unten mit Ihnen zu diskutieren. Los, steigen Sie schon auf die Leiter.“

Paige hatte noch keine zwei Stufen auf der Leiter zurückgelegt, da gab es ein heulendes, pfeifendes Geräusch in der Mine.

Und dann, als es kurz erstarb, war ein dumpfes Prasseln zu hören. Es hörte sich an, als würden harte Gegenstände aufeinanderprallen. Danach setzte das Heulen wieder ein.

„Was zum Teufel ist das?“, fragte Travis, als sie beide erstarrten.

Wenn es das war, was er befürchtete, wäre er bereits von einem herabstürzenden Felsbrocken getroffen worden. Es sei denn, die Katastrophe begann weiter unten oder oben in der Nähe des Eingangs und hatte sie nur noch nicht erreicht.

„Wind“, sagte sie.

„Wind – und was noch?“

„Ich bin nicht sicher“, erwiderte seine tapfere Höhlenforscherin und klang schon nicht mehr so zuversichtlich wie vor einem Moment.

Er fluchte. „Verschwinden wir von hier. Sofort.“

Sie kletterte weiter und schien sich in der Dunkelheit wesentlich besser zurechtzufinden als er. Hastig folgte er. Als er den obersten Stollen erreichte, tastete sie nach seiner Hand, ergriff sie und zog ihn hinter sich her.

Das unheimliche Heulen wurde immer lauter, und Travis rechnete noch immer damit, von einem herabstürzenden Felsbrocken getroffen zu werden, aber das passierte nicht.

Stattdessen stieß er sich auf dem Weg nach draußen mehrmals den Kopf, weil er sich in dem niedrigen Stollen schneller bewegte, als ein Mann seiner Größe es tun sollte. Die Menschen, die hier Silber gesucht hatten, mussten deutlich kleiner gewesen sein.

Kurz vor dem Eingang glaubte Paige, Regen riechen zu können, aber davon konnte das dumpfe Prasseln kaum stammen.

Dass sie im Freien waren, merkte Travis erst nach einigen Sekunden, denn unter dem Felsvorsprung war es fast so dunkel wie im Stollen. Das Gestein bildete ein natürliches Dach, das sie vor den außer Kontrolle geratenen Elementen schützte.

Der Himmel war nahezu schwarz und alles um sie herum wie in einen grauen Nebel gehüllt. Verblüfft starrte Travis auf die weißen Golfbälle, die über den Boden zu hüpfen schienen.

Hagel.

Er hämmerte auf den Fels und die Erde und prallte mehrmals zurück, bis er schließlich liegen blieb. Der Sturm schien zuzunehmen, und sein Pferd war längst weg. Das Tier hatte den Wetterumschwung rechtzeitig gespürt und war nach Hause galoppiert.

Travis und die Frau fanden eine Stelle, an der sie aufrecht stehen konnten, und pressten sich an die Felswand unterhalb des Vorsprungs. Er atmete schwer, blutete aus einem Kratzer am Kopf und fühlte, wie ihm das Adrenalin durch den ganzen Körper strömte.

Als er ihr im grauen Dämmerlicht einen Blick zuwarf, schämte er sich, dass er unten im Schacht fast in Panik geraten war. Zugleich war er wütend auf die Frau, die sie beide in diese Situation gebracht hatte. Aber vor allem war er heilfroh, dass sie es nach draußen geschafft hatten.

Sie lagen nicht unter Tonnen von Fels begraben, sondern saßen nur in einem heftigen Sturm fest.

Travis schüttelte den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können, und lächelte. Dann begann er zu lachen.

Vielleicht, weil das hier das Letzte war, womit er gerechnet hatte. Nicht zu glauben – er war in eine stillgelegte Silbermine geklettert, um eine zu allem entschlossene, halb verrückte Frau herauszuholen, und hatte auf dem Rückweg um sein Leben gefürchtet, nur um einen Moment später festzustellen, dass er nie in Gefahr gewesen war.

Schade, dass er ihr Gesicht nicht richtig sehen konnte. Es wurde immer dunkler, und sie hatte die Lampe an ihrem Helm ausgeschaltet, weil das Licht ihn jedes Mal blendete, wenn sie sich in seine Richtung drehte. Trotzdem ahnte er, dass sie lächelte.

Und dann lachte auch sie. „Ganz schön unheimlich dort unten, was?“

„Mehr als nur das“, gab Travis zu. „Und ich glaube, Ihnen ging es auch so. Auf dem Weg nach oben haben Sie ein ziemliches Tempo vorgelegt.“

„Na ja, ich …“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin wirklich froh, dass ich nicht allein dort unten war, als der Sturm losbrach.“

„Ich auch.“ Angst oder nicht, etwas so Aufregendes hatte er seit Monaten nicht mehr erlebt, und das bewies einmal mehr, wie langweilig und eintönig sein Leben sonst verlief. Deshalb tat es ihm wirklich nicht leid, dass er die Frau erwischt hatte, und er bereute auch nicht, dass er ihr in die Mine gefolgt war. Eigentlich hatte er auch gar nichts gegen die Blitze, die jetzt über den Himmel zuckten, und die ohrenbetäubenden Donnerschläge, die ihnen folgten.

Solche Gewitter gab es in Texas häufig, und als Kind hatte er immer das Gefühl geliebt, dass gleich alles Mögliche passieren konnte und niemand davor sicher war. Manchmal sehnte Travis sich danach zurück.

Wieder wich die Frau zurück, und er musste sie festhalten. „Wenn Sie noch einen Schritt zurück machen, stoßen Sie sich den Kopf“, warnte er und legte eine Hand um ihren Hinterkopf. „Genau hier.“

Sie berührte seine rechte Schläfe. „Sie haben sich schon gestoßen. Es blutet.“

Vorsichtig, ganz vorsichtig und so unauffällig wie möglich erwiderte er den Druck ihrer Finger.

Sie trug einen Overall, der nicht erkennen ließ, wie sie darunter aussah. Selbst das dunkle Haar war fast ganz darunter verborgen. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, um den Mann anzusehen, während er sie mit seinem Körper vor dem Wind schützte.

„Meinen Sie, es ist der Wirbelsturm?“, fragte sie.

„Ich bin nicht sicher.“

„Laut dem Wetterbericht soll er im Norden bleiben.“

„Sagen Sie es ihm“, erwiderte er trocken.

Sie zog einen Schmollmund, und Travis versuchte, zu ignorieren, wie hinreißend die gespitzten Lippen aussahen. „Ich meine nur … ich habe alles gut vorbereitet, aber jetzt … jetzt sitzen wir beide hier fest, was?“

„Stimmt“, sagte Travis und stellte verblüfft fest, dass er es nicht bedauerte.

3. KAPITEL

Travis hatte absolut nichts dagegen, die Nacht unter dem Felsvorsprung zu verbringen. Aber das durfte er sich nicht anmerken lassen, denn er wollte die Frau nicht ängstigen. Vermutlich war sie nicht gerade begeistert, allein mit einem wildfremden Mann in der Dunkelheit zu sitzen.

Also wich er zurück, bis der Regen ihn im Gesicht traf, und ging etwas zur Seite, um ihr mehr Raum zu geben.

Wenn jemand auf einer Ranch wie dieser arbeitete, kam es häufig vor, dass er Schutz vor schlechtem Wetter suchen musste. Das gehörte eben dazu, wenn man fast den ganzen Tag im Freien verbrachte. Als Geologin war ihr das bei Exkursionen sicher auch schon passiert.

Keine große Sache.

Der Felsvorsprung schützte sie vor dem Regen, und wenn es sein musste, konnten sie hier warten, bis der Sturm sich legte.

Die Frau war kaum richtig zu erkennen, und deshalb verließ Travis sich auf seinen Instinkt. Sie wirkte kein bisschen beunruhigt, sondern gefasst und … als hätte sie etwas vor. „Was denken Sie?“, fragte er.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin nur froh, dass wir dem Regen entkommen sind.“

„Ja.“ Er nickte. „Was noch?“

„Dass ich schon schlimmeres Wetter erlebt habe.“

„Ich auch.“ Aber das war es nicht, worüber sie sich den Kopf zu zerbrechen schien.

„Mein Jeep steht auf der anderen Seite der Hügelkette, etwa eine Meile von hier. Aber wir könnten wohl …“

Ein Blitz zuckte über den Himmel, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donnerschlag.

Travis hätte schwören können, dass sie zusammengezuckt war.

Hatte seine kleine Diamantensucherin etwa Angst?

„Sie wollen doch sicher nicht riskieren, von einem Blitz getroffen zu werden“, sagte er.

„Nein.“ Sie klang wie eine Frau, die nur zu gut wusste, was ein Blitz anrichten konnte. „Ich dachte nur … der Jeep steht nicht weit von hier …“

„Selbst ohne das Gewitter wäre es schwierig. Bei einem solchen Wolkenbruch wird der Boden unbefahrbar.“

Sie seufzte. „Das habe ich befürchtet.“

Wenn die feinkörnige texanische Erde zu nass wurde, ging man darauf wie auf Treibsand.

„Hey, wo ist denn Ihr Pferd?“, fragte sie.

„Das ist längst weg. Er mag auch kein Gewitter. Das ist das Einzige, was ihn dazu bringt, mich im Stich zu lassen. Hier gibt es nicht viel, woran ich ihn festbinden kann, nur ein paar dürre Büsche, und die reißt er aus, wenn er nur den Kopf dreht.“

„Oh. Na gut … Also müssen wir … Aber morgen früh ist das Gewitter doch bestimmt vorbei, und wir schaffen es zum Jeep, oder?“

„Vielleicht. Obwohl … bei dem aufgeweichten Boden kommen Sie selbst mit Allradantrieb nicht weit. Jedenfalls im Gelände. Sie stehen doch im Gelände, oder?“

„Ja.“

„Keine Sorge. Falls wir es nicht zu Ihrem Wagen schaffen, gibt es etwa eine Meile von hier eine alte Jagdhütte. Der Weg dorthin liegt hoch und ist wahrscheinlich noch nicht überschwemmt. Wir brechen im Morgengrauen auf. Bis dahin müsste das Gewitter vorbei sein. Außerdem werden die Cowboys so bald wie möglich ausschwärmen, um nach Schäden zu suchen. Über kurz oder lang findet uns jemand.“

„Und hier sind wir sicher? Vor einer Überschwemmung?“

„Vorläufig schon. Keine Angst. Ich lebe seit fast zwanzig Jahren auf dieser Ranch und kenne jeden Winkel. Ich passe auf Sie auf, Red.“

„Red?“

Er lächelte. „Ihr Haar ist doch rot, oder? Bei dem Licht bin ich nicht sicher, aber als Sie vorhin zum Eingang der Mine …“

„Ja, es ist rot.“

„Dachte ich’s mir doch.“ Dass ihr Temperament dazu passte, sagte er nicht. „Haben Sie damit ein Problem? Die Nacht hier zu verbringen, meine ich. Uns bleibt wirklich nichts anderes übrig …“

„Ich weiß. Ich glaube Ihnen“, unterbrach sie ihn. „Also sollten wir es uns wohl … bequem machen. Richtig?“

Travis nickte. „Haben Sie etwa Angst vor mir, Red?“

„Nein, natürlich nicht“, protestierte sie heftig.

„Dazu haben Sie nämlich keinen Grund. Ich tue Ihnen nichts. Wir sitzen hier zusammen fest. Keine große Sache. Es wird eine etwas ungemütliche Nacht, mehr nicht. Machen wir einfach das Beste daraus.“

Er hatte recht. Paige wusste es. Das Problem war nur … ihr graute vor Gewittern.

Und vor der Nacht mit diesem Mann.

Dabei hatte sie genau davon geträumt, als sie ihn vorhin mit seinem Pferd am Bach gesehen hatte. Sie hatte sich vorgestellt, dass sie eine Frau war, die sämtliche Hemmungen ablegte und eine Nacht mit einem wildfremden Mann verbrachte.

So eine Frau war sie nie gewesen. Denn ein Mädchen aus einer reichen, noch dazu prominenten Familie … Na ja, ihr Vater hatte sie und ihre Schwester schon früh davor gewarnt, dass es Jungen gab, die hinter ihrem Geld her waren. Natürlich hatte sie nicht auf ihn gehört – und eine schmerzhafte Lektion gelernt. Seitdem war sie Männern gegenüber misstrauisch und glaubte ihnen nicht, wenn sie beteuerten, an ihr interessiert zu sein. Man konnte nie wissen, ob sie nicht nur hinter ihrem Geld her waren.

Aber Träume waren erlaubt.

Und jetzt schien einer in Erfüllung zu gehen.

Zum ersten Mal. Es war, als hätte die Natur ihre Sehnsucht gespürt und ihr eine Nacht mit diesem Mann beschert.

Fassungslos schüttelte Paige den Kopf, um den albernen Gedanken zu vertreiben, und leerte ihre Taschen aus.

„Mal sehen, was wir haben. Eine zweite Taschenlampe, Batterien, ein paar Energieriegel, eine kleine Flasche Wasser, ein Notizbuch und eine Kamera. Und meinen großen Rucksack habe ich vorhin …“ Sie verstummte, als sie sah, dass er bereits dorthin unterwegs war. „Sie haben mich beobachtet?“

„Ja“, gab er zu, während er zielsicher das Gebüsch ansteuerte, in dem sie den Rucksack versteckt hatte. Er fand ihn auf Anhieb und brachte ihn ihr.

Sie wollte protestieren, aber dazu hatte sie kein Recht. Schließlich hatte er nichts anderes getan als sie mit ihm.

Sie wühlte darin und holte eine größere Wasserflasche, mehr Proviant, Streichhölzer und eine Decke heraus.

Er nahm die Decke und betrachtete sie anerkennend. „Die können wir gut gebrauchen“, sagte er.

Dann nahm sie ihr Satellitentelefon heraus, und er warf ihr einen überraschten Blick zu.

„Ich bin nicht dumm“, erklärte sie. „Ich bin nicht hergekommen, ohne mich abzusichern. Wenn mein Bruder bis sechs Uhr morgen früh nichts von mir gehört hat, kommt er her, um mich herauszuholen.“ Sie zögerte und blickte nachdenklich in die Dunkelheit hinaus. „Meinen Sie …“

„Niemals“, unterbrach er sie. „Nicht bei diesem Wetter.“

Sie versuchte es trotzdem. „Ich muss“, erklärte sie ihrem Cowboy. „Mein Bruder dreht sonst durch.“

Aber natürlich behielt er recht. Kein Signal. Sie waren von der Außenwelt abgeschnitten.

Paige steckte das Telefon weg.

Ihr Bruder hielt sich für jemanden, der Berge versetzen konnte. Wenn er sich Sorgen um Paige machte, würde er hier auftauchen und damit verraten, dass die McCords den Diamanten finden wollten. Und wenn die Foleys davon erfuhren, würden sie dafür sorgen, dass sie nie wieder einen Fuß auf ihr Land setzte.

Ja, sie musste Blake informieren. Spätestens bei Tagesanbruch, möglichst früher.

Paige packte weiter aus, bis sie den dicken Pullover und die Thermohose fand. Sie zog den staubigen Overall aus und ersetzte ihn durch eine zweite, wärmende Schicht über Jeans und Top.

Nachdem sie und Travis sich etwas von ihrem Proviant geteilt hatten, schlug er vor, es sich so bequem wie möglich zu machen. Es war zwar noch nicht spät am Abend, aber je früher sie schliefen, desto eher konnten sie aufstehen und versuchen, sich zum Ranchhaus oder ihrem Jeep durchzuschlagen.

Paige sah sich um. „Die Stelle dort ist am weitesten vom Regen weg und am trockensten.“

Er nickte zustimmend.

Sie breitete den Overall an der Rückwand des Felsvorsprungs aus und lud ihren Cowboy mit einer Handbewegung ein.

Er setzte sich so hin, dass er die Umgebung im Auge behalten konnte.

„Sind Sie sicher, dass uns hier nichts passieren kann?“, fragte sie.

„Ziemlich sicher. Aber ich will kein Risiko eingehen. Deshalb halte ich die Augen offen.“

Sie setzte sich neben ihn und blickte ebenfalls in die Dunkelheit hinaus.

„Wir brauchen nicht beide wach zu bleiben“, sagte er. „Kommen Sie schon, Red. Ich beiße nicht.“

Er streckte einen Arm aus, und nach kurzem Zögern lehnte sie sich bei ihm an. Sein Körper war warm und muskulös. Er deckte sie zu, und nach einem Moment lag ihr Kopf an seiner Brust.

Dann fühlte sie seine Hand an ihrem Gesicht und seine Finger vor den Augen. Er wollte sie vor dem grellen Schein der Blitze schützen.

„Schlafen Sie ruhig“, sagte er. „Ich lasse nicht zu, dass Ihnen etwas zustößt.“

Paige versuchte es. Sie versuchte es wirklich.

Aber der Wind nahm zu, und bei jedem Blitz fiel es ihr schwerer, ruhig zu bleiben und sich die Angst nicht anmerken zu lassen. Am liebsten hätte sie sich so eng wie möglich an ihren Cowboy geschmiegt. Mach, dass es aufhört.

Es war kindisch, sich vor einem Gewitter zu fürchten. Trotzdem hatte sie Angst.