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PETER WALDECK

Seit 1995 arbeitet der Wiener Autor mit seiner Theatergruppe Casa Del Kung Fu im Bereich zwischen Literatur, Wrestling und Comic. Zwischen 1996 und 2006 veranstaltete er die Filmclubreihe Otakoon Saloon und widmete sich dem Texten von Comics. Die melancholische Comicserie »El Pablo versus El Diablo« (mit Jan Limpens) erschien regelmäßig in der Qualitätszeitung Folha de S. Paulo, der Tageszeitung mit der größten Verbreitung in Lateinamerika. Der Falter wählte sein Stück »Fantomas – das Action-Musical« unter die 10 besten Theaterproduktionen des Jahres 2008. Im Winter 2012 hatte sein Stück »Columbo Dreams« im Wiener Rabenhof Theater Premiere und feierte große Erfolge bei Kritik und Publikum.

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Im Zeitraum 2014/2015 schrieb der österreichische Philosoph und Schriftsteller Dr. Bruno Maria Haussmann die Reihe »Die 100 enttäuschendsten Sexfilme aller Zeiten« für die Online-Plattform von VICE Media Austria. Die Kritiken erschienen jeweils wöchentlich, bis die Reihe im Juni 2015 abrupt beendet wurde. Hier werden sie erstmals gebündelt in einem Band publiziert.

Sex und Enttäuschung – eine Einleitung

Von Marvin Latsko

Bevor ich Dr. Bruno Maria Haussmann kennenlernte, gelang mir alles, was ich anfasste. Gerade noch schrieb ich meine Facebook-Kolumne Der Niedergang und arbeitete in einer Start-up-Firma bis spät in die Nacht und – BANG! – war ich Chefredakteur des VICE-Magazins. Ich hatte ein gutes Händchen. Ich wusste, wie man Schlagzeilen formuliert, wie man Sex und Drogen in beinahe jeder Geschichte gewinnbringend unterbringt, wie man die Leute zum Klicken bringt. Aber nach zwei Jahren der grellsten und frechsten Geschichten fühlte ich mich auch ein bisschen leer. Natürlich waren Sex und Drogen fantastische Themen, ich liebe Sex und Drogen. Aber das war doch nicht alles. Früher hatten mich doch auch andere Sachen interessiert! Bücher zum Beispiel – natürlich habe ich wie alle anderen Die Gelungenheit gelesen. Was für ein sensationelles Buch! Man konnte prima zu dem Buch masturbieren, aber es war auch irgendwie deep. Und Bruno hatte in Interviews eine ungeduldige Weltsicht, bitter, aufrichtig und zynisch, mit der wir Jungen uns gut identifizieren konnten. Trotz seines Alters! Er war 57 Jahre alt, wenn er auch mit seinen langen nikotingelben Haaren eher aussah, als wäre er 57 Jahre tot.

Ich hatte nicht gedacht, dass wir bei VICE irgendetwas mit ihm machen würden. Ich dachte, er wäre eine Nummer zu gescheit für uns. Interview-Anfragen hatte er immer höhnisch abgelehnt. Dann erschien dieser kleine Gesprächsband im Merve Verlag, Jahrzehnt der Widerborstigen. Kein neuer Roman, sondern die Transkription eines Bühnengesprächs von Bruno Maria Haussmann und Bolle Gabriel, dem Drucker der RAF-Flugblätter. Mitten im Gespräch begannen sie sich über ihre Pornofilmsammlungen auszutauschen. Was einen guten Pornos ausmache und was einen schlechten. Es war ein fantastisches Gespräch.

Da kam mir die Idee für eine Kolumne. Bruno Maria Haussmann soll die schlechtesten Sexfilme besprechen. Auf VICE. Das wäre dann immer noch Schund. Aber großer Schund mit großen Gedanken.

Ich trat über seinen Agenten an ihn heran. Die Arbeit am nächsten Roman zögere sich etwas hinaus, meinte dieser, nicht ungewöhnlich nach so einem sensationellen Erfolg, so eine kleine Kolumne mit geringem Aufwand sei da gar nicht so falsch. Es komme eben auf die Bezahlung an. So wie immer.

Wir verhandelten ein bisschen hin und her. Die Honorarforderungen wurden immer höher, schließlich wurde mir schwindlig von der Summe, aber ich wollte diese Kolumne unbedingt machen. Ich war außerstande einen geraden Gedanken zu fassen, da sagte ich zu.

Ich traf Bruno auf unserem jährlichen Verlagsfest. Er sah bleich aus, er rauchte wie ein Schlot und hatte seinen schmierigen Hund mit, Baxter. Der sah noch schlechter aus als sein Herrchen.

Bruno schüttelte mir die Hand und sagte gleich: »Ich will nicht nur kleine Kritiken schreiben, ich werde das von Film zu Film anders lösen. Manchmal werde ich den Inhalt als Geschichte schreiben, manchmal, wenn es wichtig ist, das Leben des Regisseurs in den Vordergrund stellen, manchmal werde ich beschreiben, was es in mir ausgelöst hat.«

Wir redeten über Enttäuschungen. Er erklärte mir ausführlich seine Theorie der aufklärerischen Enttäuschung. Als ich ihm von meinen Gedanken erzählen wollte, war Bruno Maria Haussmann plötzlich verschwunden. Nur Baxter, sein Hund, war noch da und wimmerte. Der Dubstep behagte ihm gar nicht. Ich nahm Baxter am Halsband und wir suchten Bruno überall. Nach über einer Stunde fanden wir ihn schließlich unter einem Tisch. Verdeckt vom Tischtuch lag er ausgestreckt auf dem Boden und las Aktienkurse auf seinem Handy.

Er wandte sich mir zu: »Aber es wird keine gewöhnliche Sexkolumne«, sagt er. Sein linkes Auge fiel zu. Er roch nach Rotwein, Zigaretten und Hundefutter. »Worüber wird denn in Sexkolumnen nie geredet? Über Sex! Immerzu geht es um Beziehungen. Oder um Haut. Oder um Nippel und ihre Nippelgates. Oder um Röcke und um die Hüften, die darüber quellen. Man liest von Männern, die Männer lieben und Frauen, die Frauen lieben, und von Männern, die sich als Frauen empfinden, aber Frauen lieben. Oder von Männern, die sich als Frauen empfinden, aber Frauen lieben, die unangenehme Büstenhalter tragen. Aber wird einmal so richtig gefickt? In den meisten Sex-Kolumnen erfährt man nichts vom schmatzenden Geruch, wenn ein fetter Schwanz die Möse pumpt!«

Er klopfte mir auf die Schulter. Bruno kroch aus seinem Lager unter dem Tisch und richtete sich auf. In nur wenigen Stunden hatte er alle Hoffnungen erfüllt, die ich in ihn gesetzt hatte.

»Aber damit das klar ist, ich lasse mir nicht dreinreden. Ich schreibe das, wie ich will.«

»Abgemacht!«, sagte ich und schlug ein.

Jetzt wollte Bruno mit seinem Hund tanzen, aber der ließ einfach nur den Kopf hängen. Baxter war todmüde. Bruno zuckte mit den Achseln und verließ mit ihm das Fest.

Ich war euphorisch. Auf dem Nachhauseweg tanzte ich und schlug ein Rad. Ich wusste ja nicht, dass ich eben mein Leben zerstört hatte.

Die 100 enttäuschendsten Sexfilme aller Zeiten

Gesammelte Kolumnen
von Dr. Bruno Maria Haussmann

Der Pizzabote (Italien, 1992)

»Hallo, der Pizzabote ist hier!«, ruft der Pizzabote. Aus der Gegensprechanlage meldet sich eine dünne, kaum wahrnehmbare Stimme. Der Pizzabote hält sein Ohr an den Lautsprecher, aber er hört nur statisches Rauschen. Ein Schnarren – da öffnet sich die Tür. Der Pizzabote tritt ein. Das Vorzimmer ist leer, auch das Wohnzimmer. Ebenso findet er niemanden in der Küche vor. Nur eine noch glühende Zigarette in einem Aschenbecher.

»Hallo!«, ruft der Pizzabote. »Hier ist der Pizzabote!«

Ein Geräusch? Aus dem Keller? Hoffnungsfroh blickt der Pizzabote auf. Die steile Treppe in das Untergeschoß eilt er hinab, mit der linken Hand sich auf dem Geländer abstützend, mit der rechten den Pizzakarton balancierend.

Doch auch im Keller ist niemand, nur ein Dutzend vermoderter leerer Umzugsschachteln und in der Ecke eine leise glucksende Waschmaschine, in der helle Wäsche eingeschäumt wird. Da vernimmt der Pizzabote Gelächter von oben. Er hastet die Stiege hinauf. Doch noch immer sind Küche, Wohnzimmer und Vorraum leer.

Gelächter. Es muss aus dem obersten Stockwerk kommen.

»Hallo!«, ruft er. »Ich bin der Pizzabote!« Er geht die Stiege hoch und ruft es noch mal: »Hallo, ich bin der Pizzabote!«

»Ich bin hier«, antwortet eine weibliche Stimme. Der Pizzabote kann sie aber nicht verorten – zur gleichen Zeit ist ein Auto vorbeigefahren.

»Wo sind Sie?«, ruft er, doch er bekommt keine Antwort. »Ich bin der Pizzabote! Der Pizzabote!«, ruft er. »Ich bin der Pizzabote!«

Er findet das Badezimmer leer vor. Auch ein Arbeitszimmer ist leer, auch der Fitness-Raum, auch das WC. Näh- und Bastelraum: leer. Nur noch eine Tür, die er nicht geöffnet hat. Dahinter hört er wieder das Gelächter. Und was für sympathisches Gelächter! Es muss eine unfassbar mitfühlende Frau sein. Aus dem Lachen wird Keuchen, helles, stoßweise vorgebrachtes Keuchen, dazwischen honigsüßes Seufzen. Der Pizzabote schmunzelt. Er hat den Türknauf in der Hand, hält inne, bevor er ihn niederdrückt. Er stellt sich vor, wie er eine unbekleidete, lachende Blondine in einem Garten jagt und ihr herzhaft in die Brüste beißt. Er schüttelt die Fantasie ab und öffnet die Tür. So viel Fröhlichkeit in seinem Gesicht. Es ist das Schlafzimmer, das Bett ist nicht gemacht und das Zimmer ist leer. Aus dem offenen Fenster dringt beißender Benzingestank.

»Hallo? Ich bin der Pizzabote …«

Vagina Dentata (USA, 1992)

Es ist jetzt Jahre her, da kam mir ein Zahn in Baxters Maul selbst für Hundeverhältnisse auffallend faulig und kaputt vor. Tippte ich mit meinem Finger dagegen, jaulte der arme Hund besonders hell. Ich machte mich mit ihm auf den Weg zu einem Tierarzt, einem jungen Mann, der mir von mehreren Seiten empfohlen worden war, nachdem mein voriger Tierarzt eine junge Thailänderin geheiratet hatte und zu ihr gezogen war.

Der neue Tierarzt trug eine blondierte Stoppelglatze und Ohrringe und strotzte vor Entscheidungskraft. Er verzog sogleich das Gesicht, als er in Baxters Maul blickte. Der Zahn müsse raus, das sei das größte Elend, das er je in einem Hundemund entdecken musste. Wir vereinbarten einen Termin, um Baxter den Zahn zu reißen. Diesen Zahn würde er dann dem zahntechnischen Labor schicken, und dort würde man ein Replikat aus Zahngold erstellen, das wir nach etwa zwei Monaten in Baxters Maul befestigen sollten, wenn der Kiefer sich genug gefestigt hätte, um ihn anzubohren. Beim ersten Termin wurde der Zahn mit Aufwendung sämtlicher Hebelwirkungen gerissen. Als er dann sauber gespült in einer Schale lag, wirkte er gar nicht mehr so übel.

Es sei nicht so, dass der Zahn kaputt gewesen wäre, sagte der Tierarzt nun, der Schmerz sei aufgrund einer unangenehmen Entzündung entstanden, die man mit Tabletten hätte behandeln können, aber er befinde sich auf Kriegsfuß mit der Pharmabranche, und Tatsache sei, dass Baxter mit diesem Zahn einfach schwach und unterwürfig gewirkt hätte und nie höchstmöglich erfüllt durchs Leben hätte gehen können. Ein Goldzahn wirke einfach dope, noch jedes Haustier, dem er einen Goldzahn verpasst hatte, wurde danach von Fremden als kompetenter eingeschätzt.

Bevor er Wochen später die Operation wieder rückgängig gemacht hatte – ich hatte ihm mit einer ausgewogenen Mischung aus Anwalt und Gewalt gedroht –, löste der junge Tierarzt seine Praxis auf und zog nach New York, um sich der Entourage eines weit entfernten Bekannten von Busta Rhymes anzuschließen – der junge Tierarzt verstand sich nämlich eigentlich als Rapper. Innerhalb eines Jahres schaffte er es, zwei Zeilen auf der B-Seite der neuen Platte eines aufsteigenden Gangsterrappers – Ragga D oder Ragga P, oder so ähnlich – vortragen zu dürfen, dann wurde dieser allerdings erschossen und die Spuren des Tierarzts verloren sich in Philadelphia. Zurück blieb eine große Lücke in Baxters Maul. Zu meinem Glück gelang es mir, mir diese über die Jahre hinweg schönzureden.

Von Zähnen handelt auch Vagina Dentata, dieses Gipfelwerk des delayed disappointments, einem Porno aus den frühen 90er Jahren.

Drei Zahnärzte besuchen einen Ärztekongress in Atlanta. Nach einem harten Tag voller Overhead-Folien, leise sprechender Langeweiler und unüberzeugender Anpreisungen neuer Zahnbohrtechnologien betrinken sich die Zahnärzte verzweifelt in einer Bar und versuchen einander durch Erzählungen ihrer sexuellsten Eskapaden aufzuheitern. Bevor sie so richtig zum Punkt kommen, werden sie von einer mysteriösen schwarzhaarigen Frau angesprochen, die ihnen allerhand erotische Abenteuer in Aussicht stellt. Sie hat das wilde Verlangen, es auf einem Zahnarztstuhl zu treiben. Schnurstracks geht es in die nächste Zahnarztpraxis – einer der drei kommt aus Atlanta –, wo die Frau ihr Geheimnis lüftet. Sie habe gelogen, es gäbe jetzt keinen Sex, es tue ihr leid, aber die Herren wären ja wohl sonst nicht mitgekommen. Es sei nämlich so: Die Frau sei im Besitz einer sogenannten Vagina Dentata, also einer zahnbestückten Möse, das sei so weit nicht schlimm, meint sie, sie müsse eben nur aufpassen, dass sie ihre Geschlechtsverkehrspartner nicht versehentlich beißt, das passiere ihr auch wirklich nur selten, aber in letzter Zeit habe sie so schreckliche Zahnschmerzen, ob man da nicht was machen könne.

Die Herren besehen sich das Ganze, und ja, wirklich, da ist ein großes Loch im zweiten Zahn oben hinten, diese Gegend ist irgendwie schlecht geputzt, nicht so gut wie die anderen Zähne, die sind dafür wirklich vorbildlich geputzt. Der schlechte Zahn wird angebohrt und plombiert, vorne beim Schneidezahn ist auch eine Stelle, die sollte man beobachten. Die Frau solle morgen anrufen und sich einen Termin für einen Besuch in drei Monaten ausmachen. Zur Kontrolle. Man verabschiedet sich.

Das Kalksex (Österreich, 2004)

Aber warum eigentlich die enttäuschendsten Filme und nicht die schönsten, die erotischsten? Oder wenigstens die schlechtesten?

Dazu gibt es zwei Antworten: Die eine erzählt von der Wichtigkeit der Enttäuschung, der Chance, wenn in die Zukunft projizierte Ereignisse nicht eintreten oder anders eintreten oder genauso eintreten, aber nicht das erwartete Glücksgefühl hinterlassen. Es gibt so viele Arten, enttäuscht zu werden, so viele, zu enttäuschen. Ein Sexhengst, der im Laufe eines mehrwöchigen Drehs immer dicker wird; bildende Künstler, die sich an den verruchten Underground-Vibe des Pornos anhängen wollen und dann zu feige sind, den Weg durchzuhalten; schwierige Genies, die subversiv unter dem Deckmantel des Pornos komplizierte Themen anbringen wollen, die aber von noch subversiveren Produzenten mit nachträglich billig gedrehten und in den Film eingefügten Fickszenen ausgetrickst werden; hochbegabte Independent-Filmemacher, die daran scheitern, ihren kunstvollen Anspruch durchzusetzen, meistens deswegen, weil sie ihre Freundin in der Hauptrolle besetzen, die weder spielen noch eine Dialogzeile gänsehautfrei über die Lippen bringen kann und – was noch viel schlimmer ist – beim Ficken an sich jämmerlich versagt, zu laut schreit, zu dumm schweigt, theatralisch mit den Augen himmelwärts blickt, beim Küssen beißt oder Männern in falsch verstandener Zügellosigkeit in das Arschloch spuckt; Künstler, also, Künstler, meistens, immer wieder Künstler, die darin versagen, Trieb mit Theorie zu verbinden, aber eben auch unerklärbare 360°-Twists in der intendierten sexuellen Nischengruppe, fehlschlagende Gehaltsverhandlungen, die den Film ab der Hälfte sexfrei, ja manchmal sogar frei von Darsteller- und Darstellerinnen sein lässt; die Freundin des Produzenten, die vor der Kamera aufgrund der Einnahme von Anti-Depressiva nicht performen kann; der Freund der Pornoproduzentin, der nicht damit umgehen kann, dass er vom Objekt der Begierde zum plötzlichen Untertanen heruntergestuft wird und nun mit gänzlich anderen Launen und Tonalitäten seiner Liebhaberin konfrontiert wird, und deren herrische Ambition unterläuft, indem er während des Drehs beim Geschlechtsverkehr leise »Mein Tumor, mein Tumor, ich habe solche Schmerzen« wispert, aber so leise, dass es erst in der Nachbearbeitung zu hören sein wird.

Jedenfalls muss ein Film, der enttäuscht, zu Beginn immer interessant gewirkt haben. Man muss zugreifen gewollt haben. Wer sich von Grimms Märchen für lüsterne Pärchen etwas Tolles erwartet, dem kann ich auch nicht helfen – aber wer konnte ahnen, dass die Porno-Parodie des Romans Das Kalkwerk von Thomas Bernhard unter dem Titel Das Kalksex so missraten würde?

Die Wiener Künstlertruppe MonoRot wollte eine Sexkomödien-Version dieses trostlosen Leckerbissens filmen, an einem Wochenende in einem stillgelegten Gasthaus in Oberösterreich. Um sich zu lockern, schnupften sie zahlreiche Drogen, aber sie wurden nicht locker, die Scham, sich voreinander auszuziehen, war größer als gedacht, es fehlte ihnen einfach am exhibitionistischen Drang der 68er, so dunkelten sie alles ab, hüllten sich in lange Nachthemden, nahmen noch mehr Drogen, stärkere Drogen, ruinierten die feinziselierten Texte durch zombieartiges Lallen und schliefen prompt auf dem Weg zur Penetration auf dem versifften Sofa ein, wegen des vielen Heroins.

Die zweite Antwort: habe ich vergessen.

Ok, denken Sie jetzt, ich verstehe das mit der Enttäuschung, aber wo bleibt der Sex? So eine Sexkolumne braucht doch auch Sex! Dann will ich mich nicht wegducken, ich habe ja schließlich einen Ruf zu verlieren, und erzähle davon, als ich das letzte Mal fickte.

Es war vor ein paar Wochen, als ich mich in einer Absinth-Bar im zweiten Bezirk mit meinem Freund, dem Kulturphilosophen Franz Sebastian Scheck, wegen irgendeiner Lächerlichkeit (Stanley Kubrick?), an die ich mich nicht einmal mehr richtig erinnern kann (Shelley Duvall?), mittel-übel zerstritt und frühzeitig das Lokal verließ. Auf dem Nachhauseweg roch ich an einem Blumentopf, um meinen Ärger wegzuschnuppern und wurde dabei so geil, dass mir die Tränen in die Augen traten. Freudig streckte ich die Arme aus und lief ins Puff. Dabei schürfte ich mit meinem rechten Handrücken scharf an einer Hauswand. Als ich im Puff ankam, war ich bleich geworden, aus meiner Wunde rollte das Blut. Zwei Freudenmädchen verbanden mir die Hand. Ich muss schrecklich ausgesehen haben, sie schüttelten mit düsterer Miene ihre Köpfe, man reichte mir ein großes Glas Schnaps. Im Zimmer mit Bianca fühlte ich mich unwohl, der Schnaps war eine schlechte Idee gewesen. Als ich in sie eindringen wollte, schlug ich mir den Kopf an der Bettkante an. Ein schmerzliches Ungeschick, aber ich machte weiter. Doch all das Stoßen und der feinduftende Sexschweiß halfen nichts. Ich hatte mich ins Dunkle gesoffen. Meine Sicht der Dinge wurde umschlungen von dröhnenden Beulenschmerzen, dann von einer banalen tieftraurigen Besoffenheit. Mir war, als sähe ich Biancas Gesicht zum ersten Mal richtig. Ihre Augen waren geschlossen, die Augenlider verklebt von Zwiebeln und Schminke, ihre Nase zerkratzt, ihre Zähne rochen nach Zigaretten, ihre Zunge krümmte sich im Schatten.

Am nächsten Tag erwachte ich verkatert, trostloses Licht strahlte in den Raum. Bianca war schon gegangen, auf dem Nachtkästchen lag ein Zettel mit einer kargen Grußbotschaft von ihr.

Pretty Girl Masturbates To Orgasm (youporn, 2013)

Neulich stieß ich im Internet auf ein Pornovideo, das mir Besorgnis bereitete.

Eine junge Frau, Anfang 20, sitzt auf einem Sofa und krault sich zeitlupenhaft die Schamlippen. Ihr Gesicht glüht, eine reizvolle Mischung aus Verzückung und Scham. Der Clip verläuft eine Zeit lang erwartungsgemäß zwischen erhitzten Wangen und schnelleren Kreisbewegungen, bis plötzlich ein raues Klingeln das kaum vernehmbare Stöhnen und Maunzen unterbricht. Das Kreisen stoppt und die Finger bewegen sich von der nassen Klitoris zur Handytastatur. Die junge Frau spricht polnisch. Ihr Vater ist dran mit einer schrecklichen Mitteilung. Mutter ist tot. Die näheren Umstände werden nicht klar. Man hört ja nur ihre Antworten und nicht die Erzählung des Vaters. Das Telefonat dauert jedenfalls lange qualvolle Minuten. Kein Schnitt, kein Fade out erbarmt sich und beendet die erkaltete Szenerie. Auch nach dem Gespräch endet der Film nicht gleich, sondern erst eine Viertelstunde später, während der man das Schluchzen der Frau, die ins Off gewandert ist, vernehmen kann, genauso leise wie eben noch ihr Stöhnen.

Als der Film zu Ende war, blieb ich verwirrt zurück. Gab es da niemanden, der kontrollierte, was alles online gestellt wurde – sich die Filme vorab besah? Wie konnte so etwas passieren?

In dieser Nacht ging ich mit einer bleichen Laune zu Bett. Lange starrte ich an die Zimmerdecke und dachte, dass es aber tatsächlich so ist, dass man meistens am Telefon vom Tod der Mutter erfährt und nicht etwa durch Zurufe beim Verlassen eines Lichtspielmuseums oder, wie in meinem Fall, durch ein Telegramm des Ratsgremiums einer Kommune im Waldviertel.

Christine – Entweihung im Sommer (Frankreich, 1984)

Christine, ein 20-jähriges Mädchen aus gutem Pariser Hause, besucht ihren Onkel in der italienischen Schweiz. Sie soll einen Sommer lang auf dessen Pferdefarm aushelfen und dabei Italienisch lernen. Außerdem plant Christine – das hat sie ihren Eltern aber nicht auf die Nase gebunden –, ihre Unschuld zu verlieren und das Leben zu genießen, fernab der strengen Wertvorstellungen ihrer Familie. Doch der Onkel ist hochverschuldet und impotent. Auch die wenigen aus Loyalität verbliebenen Knechte und Mägde sind alle impotent. Sex ist nichts anderes als ein unwillkommener Gedanke an eine schönere Zeit. Begegnen sich Mägde auf dem engen Flur und streift dabei versehentlich eine Hand den Hintern einer anderen, dann verdüstert sich der Blick der Berührten. Sie erstarrt und blickt zu Boden, auf dem sich lichte Staubbälle tummeln. Die Augenbrauen beben. Die Unterlippe wird gekaut. Eine Tür öffnet sich im Untergeschoß, die Staubbällchen wirbeln davon, die Magd seufzt und macht sich wieder an die Arbeit.

Als Christine nach dem Sommer wieder zu ihren Eltern zieht, ist auch sie impotent geworden.

Der Suppenmeister (Japan, 1976)

Ein erotischer Zeichentrickfilm des Regisseurs Yoshiyuki Yamamoto, nach Motiven des populären Zeichners Hokusai Toba.

Hinter vorgehaltener Hand spricht man bewundernd von den Suppen des Suppenmeisters. Der Geruch seiner Suppen ähnele nämlich einem gewissen Frauenduft, der schon viel Applaus und lobende Worte in der Menschheitsgeschichte über sich ergehen lassen musste. Die Männer nippen an der köstlichen Suppe, es ist strengstens verboten, sie zu löffeln. Während man an der Suppe nippt und schlürft, wirft sie sich in Wogen der Ekstase an den Rand der Schüssel. Wenn die Wellen an das Porzellan schlagen, vermeint der Schlürfende ein sehnsüchtiges Stöhnen zu hören. Im kräuselnden Schaum der Suppe bilden sich wunderschöne Formen, die die Fantasie anregen. Eine Knospe, ein Frauenbein, eine schaudernde Kirschblüte. Bald schon ist der ganze Ort suppensüchtig. Der Ruf der Suppen geht weit über die Grenzen des Dorfes hinaus. Ein benachbarter Fürst hört von den strengen Verboten des Suppenmeisters und fühlt sich angespornt. Seit seiner frühesten Jugend ist es ihm unmöglich, sich an Verbote zu halten. Sieht er ein Verbot, muss er gleich zuwiderhandeln. Wäre er nicht Fürst, wäre ihm dies niemals möglich, aber er ist nun einmal Fürst. Er lässt die Pferde satteln und macht sich mit seinen Männern auf den Weg zur sagenumwobenen Suppe. Die Dorfbewohner, die ob seines anarchistischen Charakterzugs genau Bescheid wissen, inszenieren allerhand Listigkeiten, um den Fürsten vom Dorf abzuhalten. Doch keine soll klappen.

Der Fürst kommt in das Dorf und löffelt laut klappernd die Suppe. Triumphierend ruft er aus: »Klapperdiklapp!«, und weiter: »Klapperdiklapp!« Immer wieder schlägt er den Löffel an den Rand der Suppenschüssel und ruft: »Klapperdiklapperdiklapp!«, bis er sich die Hose heruntergezogen hat und sein halb schlaffes, halb interessiertes Ding in die Suppe hängt. Der Suppenmeister bekommt es gar nicht mehr mit, längst ist er schimpfend weitergezogen. »Dann werden die verfluchten Suppen eben nicht erlöst«, sagt er und verschwindet mit seinem Maultier, den Kochtöpfen, Pfannen, Pulvern und Kräutern in einen grünlichen Nebel.

Das Schloss des Affen (Polen, 1981)

Unlängst brachte mir mein Freund Franz Sebastian Scheck ein seltenes Juwel mit, wohl auch als Entschuldigung, weil er vor Wochen geglaubt hatte, mich würgen zu müssen, um die Ehre von Shelley Duvall zu verteidigen.

Als er bei einem Symposium in Heidelberg sprechen sollte, entdeckte er im Hotelzimmer auf dem Pornokanal eine selten gezeigte erotische Delikatesse, Das Schloss des Affen, den letzten Film des leninistischen Filmregisseurs Watobek Kaczmarek. Franz filmte den Fernseher mit seinem Handy ab und überbrachte mir den Film auf einem USB-Stick.

Der Film, eine lange Zeit verbotene, wüste philosophisch-pornografische Abhandlung über die Geschlechterverhandlungen zwischen Mensch und Tier, wird seinem Ruf durchaus gerecht. Nach einer zähen Durststrecke zu Beginn wurde bald in durchaus akzeptablen Abständen mal in der einen, mal in der anderen Konstellation gefickt. Gerade aber als der Film so richtig Fahrt aufnehmen wollte, stieß mein Freund gegen das Handy, unabsichtlich, ohne es zu bemerken, und veränderte den Blickwinkel auf drastische Weise. Denn anstelle des Fernsehbildschirms sah ich nun Franz, wie er sich in seinem Hotelzimmer die Zeit vertrieb. Nur mit einem Unterhemd bekleidet, saß er auf seinem Bett und schrieb hektisch Notizen in sein Moleskine, schrieb sich geradezu in einen Rausch. Immer lauter krächzte sein Stift über das Papier. Je schneller er schrieb, desto verärgerter wurde sein Gesichtsausdruck. Schließlich offenbarte er eine gleichermaßen wütende, wie auch von tiefer Trauer verzerrte Fratze. Er riss bebend die letzten Seiten aus dem Notizbuch, zerfetzte sie in kleine Stücke, öffnete das Fenster und warf sie in die Dämmerung. Er rief den zerfetzten Notizen etwas hinterher, was, konnte ich beim besten Willen nicht sagen, seine Stimme war zu verheult.

How Clowns Die (USA, 1999)

How Clowns Die – Wie Clowns heute sterben ist kein reiner Sexfilm, aber ein interessantes Nebenwerk des sonstigen PornoMeisterregisseurs Swing La Haven.

In 45 sperrigen Kurzfilmen werden Clown-Darsteller am Ende ihres Lebenswegs gezeigt. Ein Clown ordert in einem Burger King ein Grillhuhn und gerät in eine Auseinandersetzung mit dem Personal, wobei er sich so in Rage brüllt, dass er einen Herzinfarkt bekommt. Ein alter Mann entschlummert friedlich im Zug. In Ägypten hat ein Clown Spielschulden und wird erstochen. Ein dicker rauchender Clown hustet, fällt um und steht nicht mehr auf. Ein Clown wird von einem Löwen angefallen und verspeist – doch halt!, das wünscht er sich nur. In Wirklichkeit liegt er mit einem schäbigen Zirkusdirektor im Bett und träumt von einem glorreichen Tod in der Manege. Später wird er sich mit Benzin überschütten, sich anzünden und dabei versuchen, seine Ex-Geliebte zu umarmen und selbstverfasste Gedichte zu proklamieren. Doch die Zunge wird als Erste brennen und niemand wird seine Gedichte verstehen. In einer kalten Winternacht startet ein Mann sein Auto und sinkt mit einem schweren Seufzer zurück auf die Nackenstütze. Ein Streit zwischen zwei Clowninnen, der eskaliert, aus Hupen werden Messer, die Bühne färbt sich rot. Diverse statische, langatmige Szenen im Krankenhaus. Ein vor vielen Zeiten berühmter Kinderclown liegt im Sterbezimmer. Als finanzielle Probleme dazukommen, weint er mehrere Tage, er kann nicht mehr aufhören, ein Beben und Seufzen, ein lang gezogenes Geheul, bis er entkräftet zu Boden fällt.

Manche halten diesen Film für eine bittere Abrechnung mit der Porno-Industrie. Swing La Haven, der unter dem ökonomischen Druck der Sexindustrie gelitten hat wie kein Zweiter, wollte eine Kakophonie auf ermattete Lebenswege inszenieren, »Thank fuck to all«, »Smell my Zerrissenheit« usw., doch warum er dies ausgerechnet mit dem Geld von Fairlight Productions, einer der größten Porno-Filmproduktionsfirmen von Silicon Valley, machen wollte, bleibt ein Rätsel. Es war doch klar, wie das enden musste, gegen La Havens Willen wurden Szenen nachgedreht, und so wird der an sich berührende Film mit absurden Bums-Szenen durchflickt, die mit dem Rest außer ein paar Clownnasen wenig gemein haben.

Schnee und Frau (Kirgisien, 1995)

»Schnee und Frau« ist der Erotik-Klassiker Kirgisiens, was viel über die Erotik-Industrie Kirgisiens aussagt.