Das Buch
Alle wollen ewige Liebe - aber kaum jemand will ewig treu sein. Auch Frauen nicht, die meistens lange nicht zu ihrer Lust und Sexualität stehen. Sie haben One-Nights-Stands oder längere Affären, führen parallele Beziehungen, ohne dass ihre Partner etwas davon wissen. Meistens müssen sie dazu lügen, Geschichten erfinden, ein Doppelleben führen. Und manchmal finden sie dabei erst heraus, wie sie sexuell wirklich ticken.
Dieses wichtige Buch richtet sich an Frauen, die fremdgehen wollen oder fremdgegangen sind und sich fragen, wie es danach weitergeht, und an Männer, die herausfinden möchten, ob ihre Frauen einen Seitensprung gewagt haben oder mit dem Gedanken spielen.
Es gibt kaum jemanden, der in seinem Leben nicht einmal jemanden betrogen hat oder selbst betrogen wurde - und deshalb geht dieses Buch jeden an.
»Vielleicht sollten wir einfach anerkennen, dass Sexualität auch eine Art Heimat ist und ein Recht darauf hat, gelebt zu werden.« Michèle Binswanger
Die Autorin
Michèle Binswanger ist eine Schweizer Journalistin und Autorin. 2009 schrieb sie für den Schweizer Tages-Anzeiger den erfolgreichen »Mamablog«. 2010 wurde sie vom Branchenmagazin »Schweizer Journalist« zur Journalistin des Jahres gewählt, 2016 zur Gesellschaftsjournalistin des Jahres. 2011 erschien ihr Buch »Machomamas. Warum Mütter im Job mehr wollen sollen«. Heute schreibt sie für den Tages-Anzeiger.
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Zum Schutz der Personen wurden Namen und Biographien verändert und Handlungen, Ereignisse und Situationen abgewandelt.
ISBN 978-3-8437-1632-1
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017
© 2017 Michèle Binswanger
Covergestaltung: FAVORITBUERO, München
Umschlagmotiv: © Klyukva/ shutterstock
E-Book: LVD GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
Für meine Familie
Vorwort
Menschen scheitern, konstant und andauernd. Sie müssen Fehler machen, um zu lernen. Und sie müssen auch scheitern, um ihr Glück zu finden, denn dieses erwächst aus der Fähigkeit, Probleme zu meistern. Am verhängnisvollsten scheitern Menschen dort, wo es am meisten weh tut: in der Liebe. Fremdgehen ist die konventionellste Art, an der Liebe zu scheitern und einer der Hauptgründe, warum Beziehungen zerbrechen. Man kann vielleicht nicht auf richtige Art und Weise fremdgehen, aber man kann sich der Fallstricke bewusst werden, die sich aus dem Ideal monogamer Partnerschaften ergeben. Trotz all der Diskussionen über offene Beziehungen bleibt dieses Ideal in der Praxis ungebrochen – auch wenn wir immer wieder daran verzweifeln. Denn was das Fremdgehen angeht, ist die Fehlertoleranz besonders gering. Vielleicht kann man nicht auf eine richtige Art und Weise fremdgehen, aber man kann lernen, dass es nicht das Ende der Welt, nicht einmal der Beziehung sein muss.
Die Auseinandersetzung mit den in uns angelegten Konflikten lohnt sich, insbesondere, wenn Sie genug haben vom Modell serielle Monogamie, aber weder auf die tiefe Liebe einer langen Beziehung verzichten, noch Ihre Sexualität auf einen Menschen beschränken wollen. Es gibt niemals nur die eine Lösung, aber viele Möglichkeiten. Darum soll es in diesem Buch gehen.
Um das Problem mit der Treue spezifisch für Frauen zu erläutern, muss man sich ihrer Sexualität widmen – auch wie sie sich von der männlichen unterscheidet. Das ist nicht unproblematisch. Wer grundsätzlich von den Frauen und den Männern im Allgemeinen spricht und Aussagen über ihre spezifischen Eigenschaften trifft, begibt sich auf methodisches Glatteis, denn das Spektrum der individuellen Unterschiede ist groß und allgemeine Aussagen gelten deshalb nicht immer für jeden Einzelnen oder jede Einzelne. Und trotzdem gibt es generell Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Sie zeigen sich im Alltag, im Verlauf der Historie, in psychologischen Experimenten. Wenn in diesem Buch also pauschale Aussagen über die Männer und die Frauen im Allgemeinen getroffen werden, so geschieht dies mit aller Vorsicht und im Bewusstsein dieser individuellen Unterschiede.
Ich stütze meine Aussagen in diesem Buch auf Interviews mit Expertinnen und Experten und das Studium der entsprechenden Literatur. Vor allem aber geht es um die Geschichten von prominenten Fremdgeherinnen, historischen Personen und den zahlreichen Frauen unterschiedlichen Alters und aus verschiedenen Gesellschaftsschichten, die mir ihre Erfahrungen anvertraut haben, weil sie – wie ich – der Meinung sind, dass das Thema mit all seinen schwierigen, moralischen und weltlichen Konsequenzen eine öffentliche Diskussion verdient hat.
Prolog
Man soll das Handeln der Menschen nicht belächeln,
nicht beweinen, nicht hassen, sondern es verstehen.
Baruch Spinoza
»Er wolle keine Beziehung, sagte mir der Mann, in dessen Bett ich nach einer feuchtfröhlichen Nacht gelandet war. Ich war achtzehn Jahre alt, er siebenundzwanzig – und mir war das recht. Ich sagte ihm, ich käme selber gerade aus einer Beziehung. Wolle mich einfach ein bisschen rumtreiben ohne Verpflichtungen. Wir waren uns einig und trafen uns wieder. Wir kochten zusammen, machten ausgedehnte Touren mit dem Bike, besuchten Konzerte und lagen lange Sonntage im Bett. An einem dieser Sonntage, ich war inzwischen zwanzig, sprachen wir über unser Verhältnis. Unsere Beziehung. Ob es in diesen Jahren daneben vielleicht noch andere gegeben habe. Es hatte. Erst schilderte er mir ein paar Liebesabenteuer. Dann gab ich meine Handvoll zum Besten. Worauf er schweigsam wurde, sich schließlich anzog und mich verließ.
Nach zwei Wochen kam er zurück und bat mich, es nochmals zu versuchen. Ich lehnte ab. Nicht wegen seiner anderen Geschichten, sondern weil er unsere Abmachung verraten hatte: Wir sind zusammen, weil wir uns viel bedeuten. Treue ist dafür keine Bedingung. Und ich wollte keinen Mann als Partner, der sich selber sexuelle Freiheiten herausnahm, die er aber seiner Partnerin nicht zugestehen konnte.«
Die Mehrheit der Menschen wünscht sich, dass ihre Beziehung ihnen alles bietet: eine emotionale Heimat, Stabilität und sexuelle Erfüllung. Die Liebe ist, wie Paartherapeut Klaus Heer sagt, monogam. Nur der Mensch ist es nicht.
Nach dem Erlebnis mit dem eifersüchtigen Mann hat die Frau studiert, einen Beruf erlernt und viele Krisen gemeistert. Noch mehr Krisen hat sie passiv miterlebt, von Freundinnen und Freunden. Und immer ging es um dasselbe. Insbesondere wenn Kinder im Spiel sind, erlahmt die Lust auf den Partner mit den Jahren. Nicht aber der Appetit auf Sex. Für viele Frauen erwacht dieser Appetit erst dann wirklich, wenn sie schon verheiratet sind und Kinder haben. Und oft richtet er sich dann nicht auf den Mann an ihrer Seite, sondern zum Beispiel auf den Arbeitskollegen – oder den Freund der Freundin. Manche gehen sexuelle Affären ein, andere versagen sich das, können aber nicht verhindern, dass sie sich immer weiter von ihrem Partner entfremden.
Wenn wir auch einige Monate, vielleicht sogar Jahre gut mit unseren Lügen leben können, so stolpern wir irgendwann doch darüber.
So wie bei Tina. Sie führte genau das Leben, von dem die meisten jungen Frauen träumen, wenn man sie nach ihren Zukunftsplänen fragt. Sie war Mitte 30, hatte zwei Kinder, einen Mann, eine Karriere, ein Haus. Alles lief rund; es schien Tina an nichts zu fehlen. Im Gegenteil: Ihr Leben war so süß wie eine reife Sommerfrucht. Und dann zerplatzte sie an einem einzigen Nachmittag. Oder vielmehr nach allem, was diesem Nachmittag folgen sollte.
Tina dachte, dass sie sich selbst gut kenne. Ihr Leben, ihre Familie, ihre Träume, ihre Möglichkeiten. Sie hatte sich immer für eine ernste und ehrgeizige Person gehalten, die sich an ihre Versprechen hielt. Bis eines Tages der blonde Michael in Tinas Büro schlenderte und sich als neuer Mitarbeiter vorstellte. Sie kannte Michael von früher, er war nett und lustig und sie verbrachte gern ihre Zeit mit ihm. Sie waren Arbeitskollegen, die zusammen in die Mittagspause gingen, nichts mehr. Dachte sie. Bis er eines Tages vorschlug, nach Feierabend ein bisschen rauszufahren, an den Waldrand. Es war Frühling, und Tina sagte ja, warum nicht? Sie meldete sich zu Hause ab und nach Feierabend zog sie mit Michael los. Sie setzten sich auf eine Wiese, ein hübsches Plätzchen. Dort saßen sie nebeneinander und streckten ihre Gesichter in die Sonne. Und dann drehte er sich plötzlich zu ihr, sah sie an und berührte ihren Arm. Dann umarmte und küsste er sie, einfach so. Sie war überrascht, es blieb ihr aber nicht viel Zeit, sich das genauer zu überlegen.
Es gibt einen Unterschied zwischen »willens« und »bereit« sein, etwas zu tun: Man kann im Sessel sitzen und willens sein, das Haus zu verlassen, aber bereit dazu ist man erst, wenn man Schuhe und Mantel angezogen hat. Hätte man Tina vor ihrer Affäre interviewt – sie hätte Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Loyalität und Treue als zentrale Säulen ihres moralischen Universums bezeichnet. Sie hätte gesagt, dass sie immer nach den Regeln spielen würde und sie hätte ihr späteres Verhalten – wenn man es ihr damals als das von jemand anderem geschildert hätte – als unmoralisch verurteilt. Sie war willens, eine auf Treue und Vertrauen basierende Beziehung bis an ihr Lebensende zu führen. Nun zeigte sich aber, dass sie dazu doch nicht bereit war.
Als Michael sie küsste, leistete sie keine Sekunde Widerstand. Das war alles nicht vorgesehen gewesen. Zweigleisig zu fahren war für sie nie in Frage gekommen. Vorgesehen war, dass Tina sich an den Plan hielt. Und der Plan war, ein anständiges Mädchen zu bleiben. Doch der hielt gerade so lange an, wie ein Nervenimpuls einer Berührung der Haut bis zum Hirn eines Menschen dauert. Bald wälzten sie sich auf der Wiese herum. Und sie schämten sich nicht einmal dafür.
Es blieb nicht bei dieser einen Begegnung. Tina hatte schon fast vergessen, wie Sex geht – abgesehen davon, dass er irgendwo in der Grauzone unterhalb des Kinns stattfindet. Sie hatte nicht nur die Beziehung zu ihrem Mann vernachlässigt, sondern auch die zu ihrem eigenen Körper. Nach Michael kam bald ein anderer. Und dann noch ein anderer. Wenn sie zu ihrem Liebhaber fuhr und ihr Herz im Brustkorb klopfte, als ob es sich aus seinem Gefängnis befreien wollte, dann schwor sie sich, niemals zu bereuen.
Bis sie aufflog und ihre Beziehung in die Brüche ging. Dann bereute sie. Nicht den Seitensprung selber, sondern dass sie ihre Bedürfnisse nicht früher erkannt und sie gegenüber ihrem Mann offengelegt hatte. Denn hätte sie nicht zuerst sich selbst und dann ihren Mann belogen, hätte sie ihn auch nicht so verletzt. Hätte sie ihre Bedürfnisse offengelegt, hätte er darauf reagieren, seine Konsequenzen ziehen können. Er hätte sich weniger hintergangen und ohnmächtig gefühlt. Vielleicht hätte ihre Ehe eine Chance gehabt. Wäre sie nur ehrlich gewesen. Aber lieber als sich der Auseinandersetzung zu stellen, hatte sie sich selbst und ihm etwas vorgemacht.
Ich habe viele Beziehungen am Problem falscher Treueerwartungen zerbrechen gesehen. Und viele Fremdgeherinnen haben mir erzählt, dass ihr Verhalten sie selbst überrascht hat. Dass ihr moralisches Urteil über Fremdgeher immer eindeutig gewesen war – bis sie selber in eine Situation schlitterten, in der sie sich nicht mehr im Griff hatten. Dass sie erst dann begriffen, dass die Sache vielleicht komplizierter ist, als sie ursprünglich gedacht hatten.
Die meisten Menschen wissen, wie es sich anfühlt, die erste große Liebe zu betrügen. Es passiert in einem schäbigen Hotelzimmer, auf einem Boot, am Strand. Man befindet sich in einer besonderen Stimmung, leichtsinnig, vielleicht betrunken. Das Handy liegt im Hotel, ist auf lautlos gestellt, die Batterien sind leer. Da ist dieser Mann oder diese Frau, die Situation ist vollkommen, wie im Paradies. Ein magischer Moment kommt zum anderen, wie unter der Regie eines geheimen Zaubers. Und die wenigsten Menschen möchten die Erinnerung an solche Momente missen, weil wir damit an den Wurzeln unserer Herkunft rühren.
Dass Frauen ihre Bettgefährten stets vorsichtiger gewählt haben als umgekehrt, weil sie das Risiko der Schwangerschaft trugen, besagt nichts über ihre Lust. Tatsache ist, dass die Erfindung der Pille und die Emanzipation das weibliche Sexualverhalten revolutioniert haben. Heute ist es für Frauen durchaus nicht mehr ausgefallen, eine größere Anzahl Sexualpartner zu haben, sich selber zu befriedigen oder sich auf gleichgeschlechtliche Beziehungen einzulassen. Ich kenne Single-Frauen, die mit vielen verschiedenen Männern schlafen und das auch genießen. Aber sie achten tunlichst darauf, dass niemand davon erfährt. Denn Schwangerschaften lassen sich verhüten, aber eine Frau riskiert noch immer ihren Ruf, wenn sie sich verhält wie ein Single-Mann und Gelegenheiten beim Schopf packt. Also ganz normal.
Ich hatte schon einige Erfahrung mit untreuen Freunden, bevor ich selber meine erste große Liebe betrog. Er war amerikanischer Student in der Schweiz, und nach zwei Jahren Beziehung fuhren wir erstmals getrennt in die Ferien. Er zum Theaterfestival, ich zum Klettern mit ein paar Leuten. Aber dann reisten alle ab, nur mein Kletterpartner und ich blieben zurück. Wir sicherten uns in der Wand, saßen Seite an Seite vor dem Kocher, lagen nebeneinander im Zelt. Und plötzlich lagen wir aufeinander. Nicht weil ich eine Beziehung zu diesem Mann wollte, sondern weil es die naheliegendste Sache der Welt war. Als ich von den Ferien zurückkam und meinem Freund davon erzählte, stand er auf und sagte: »Ich gehe. Zurück nach Amerika.« Ich war am Boden zerstört.
Unser Wunsch nach einer langjährigen, tiefen Partnerschaft entspricht letztlich der Sehnsucht danach, eine Familie, eine Heimat zu haben. Ein legitimer, ein menschlicher Wunsch.
Ich frage mich heute: Ist es vielleicht gar nicht die Untreue, die Ehen kaputtmacht, sondern die unrealistische Erwartung, dass Sex nur innerhalb der Ehe stattfinden soll? Und betrifft dieses Problem Frauen nicht auch deshalb besonders, weil sich ihre Sexualität anders entwickelt als die der Männer? Weil sie oft Jahre brauchen, bis sie überhaupt Freude an ihrer Sexualität entwickeln? Weil sie dann meistens schon in einer festen Partnerschaft stecken, einer Ehe, einer Familie? Warum pathologisieren wir Fremdgeher und stigmatisieren sie moralisch, wenn sie doch eigentlich der Normalfall sind? Warum halten wir es für normaler, von einer monogamen Kurzzeitbeziehung zur nächsten zu eilen, als außereheliche, sexuelle Kontakte in Kauf zu nehmen? Warum halten wir dieses als serielle Monogamie bekannte Muster für tauglicher, als uns vom Dogma der Monogamie zu verabschieden? Ist es vielleicht gar nicht der Partner, der uns betrügt, sondern die Liebe selbst? Zerstört uns also nicht die Untreue, sondern die Treue? Vielleicht sollten wir einfach anerkennen, dass Sexualität auch eine Art Heimat ist und ein Recht darauf hat, gelebt zu werden. Dass wir uns in unseren individuellen Bedürfnissen finden und nicht nach für uns vorgesehenen Rollen leben müssen. Einfacher werden Beziehungen dadurch nicht. Aber wenn man davon ausgeht, dass jede Beziehung ein Kunstwerk ist, so lohnt es sich, es wenigstens zu versuchen.
Die verschiedenen Beziehungsmodelle
Fremdgehen ist die konventionellste Art, sich
über Konventionen zu erheben.
Vladimir Nabokov
In Büchern und Artikeln übers Fremdgehen wird oft mit großem Aufwand dargelegt, warum der Mensch keine monogame Spezies ist. Eine echte monogame Spezies hätte Sex, wie es der Idealvorstellung des Vatikans entspricht: regelmäßig, sachlich, schweigend und nur zu Reproduktionszwecken. Es gibt unter den näheren Verwandten des Menschen nur eine wirklich monogam lebende Art, den Gibbonaffen, der in Südostasien in Baumkronen lebt und uns auch sonst nicht besonders ähnelt. Ganz anders unsere Cousins Schimpansen und Bonoboaffen, beide bekannt für ihre vielfältige und promiskuitive Sexualität, wobei uns in sexueller Hinsicht die Bonobos – von der Literatur gerne als Hippies unter den Affen bezeichnet – am ähnlichsten sind. Sie nutzen Sex für alles Mögliche: zur Entspannung, um Konflikte innerhalb der Gruppe oder angespannte Situationen mit anderen Gruppen zu lösen. Auch ihr Verhalten beim Sex ähnelt dem unseren. Sie blicken sich in die Augen, berühren einander zärtlich und geben sich Zungenküsse. Nur lange, monogame Partnerschaften bilden sie nicht.
Für Verfechter der Monogamie ist unsere tierische Natur kein Argument gegen die exklusive Beziehungsform. Denn wir sind ja nicht bloß Affen. Wir haben auch ein außerordentliches Gehirn, einen Verstand, der es uns ermöglicht, Städte zu bauen und iPhones zu bedienen und Kriege zu führen. Und uns moralisch, also sozialverträglich zu verhalten. Dieser Verstand erlaubt uns auch die Beherrschung unserer Triebe und unterscheidet uns vom Affen, so ihr Argument. Tatsächlich ist es eine Frage der Moral, ob man sich in die Ordnung fügt oder sie stört, ob man sich an Versprechen hält oder sie bricht, ob man Erwartungen erfüllt oder nicht. Wer gegen die Moral verstößt und damit willentlich andere verletzt, ist ein Schweinehund. Oder eine Schlampe. Aber die Monogamie-Verfechter machen es sich mit ihrer Annahme, der Verstand alleine vermöge uns zu steuern, zu einfach. Erstens benutzen Fremdgeher sehr wohl ihren Verstand, wenn sie sich davon überzeugen, dass niemand von ihrem Fehltritt erfährt und damit auch niemand verletzt wird. Und zweitens unterschätzen sie die Macht unserer tierischen Natur, wenn es um Sex geht. Was unsere Fähigkeit zur Selbstkontrolle angeht, sind wir in vielen Hinsichten nicht weiter über das Tierreich erhaben als ein Wellenreiter über den Ozean. Unsere kognitiven Fähigkeiten sind sehr effektiv, wenn es darum geht, Verhaltensweisen einzufordern oder zu rechtfertigen. Aber sie versagen regelmäßig dabei, unsere Leidenschaften im Zaum zu halten. Eine der mächtigsten Energiequellen überhaupt ist der menschliche Wille, angefeuert von Verlangen.
Der Mensch ist also nicht von Natur aus monogam. Populationsgenetische Untersuchungen des Schweizerischen Nationalfonds haben ergeben, dass erste monogame Beziehungsformen erst mit der Erfindung der Landwirtschaft vor rund 20.000 Jahren aufkamen. Ebenfalls bekannt ist, dass unsere Vorfahren nicht nur mit ihresgleichen verkehrten, sondern auch mit anderen Hominidenarten. Die regelmäßigen Romanzen zwischen Homo sapiens und Neandertaler haben sich sogar in unserem Erbgut niedergeschlagen, das bis zu vier Prozent Neandertaler-DNS enthält. Doch der Mensch ist auch nicht einfach polygam. Man spricht vielmehr von gemischten Paarungs-Strategien. Gemeint ist, dass wir im Verlauf der Jahrhunderte und je nach Kultur verschiedene Beziehungsmodelle kultivierten – manche Gesellschaften lebten streng monogam, andere polygam – also ein Mann mit mehreren Frauen –, manche polyandrisch – also eine Frau mit mehreren Männern – oder promiskuitiv, das heißt, wenn beide mehrfache und parallele Beziehungen pflegen. Die jeweils gelebten Beziehungsformen kommen mit eigenen moralischen Grundsätzen und Beurteilungen aus. Anthropologen haben ausgerechnet, dass in der vorindustriellen Zeit nur rund 16 Prozent der Gesellschaften streng monogame Beziehungsmodelle bevorzugten, also die exklusive und langfristige Bindung mit einem Partner. In ein paar vereinzelten Gesellschaften pflegten Frauen Beziehungen mit mehreren Männern. In den verbleibenden 80 Prozent lebten die Menschen promiskuitiv. Zwar gingen sie Ehen ein oder bildeten längere, stabile Partnerschaften mit monogamem Anspruch, aber der gelegentliche Seitensprung war so verbreitet wie toleriert, und zwar nicht nur bei den Männern, sondern auch bei den Frauen.
In den heutigen westlichen Gesellschaften pflegen wir vorgeblich geschlossene, monogame Beziehungen. Das ist zumindest die Idealvorstellung, auch wenn die Erfolgsquote nicht besonders groß zu sein scheint. Die Männer haben im Laufe der Geschichte bewiesen, dass sie sich mit dem monogamen Modell besonders schwertun. Mark Twain brachte die Tragikomik in seinen Tagebüchern auf folgende Formel: »Ihrem Temperament entsprechend, und dieses ist das wahrhaft göttliche Gesetz, sind viele Männer Ziegen und können nicht anders als fremdgehen, wenn sich ihnen eine Gelegenheit bietet. Allerdings gibt es einige wenige, die ihrem Temperament entsprechend in der Lage sind, ihre Reinheit zu bewahren und die Gelegenheit vorüberziehen zu lassen, wenn die Frau nicht besonders attraktiv ist.«
Viele Filme und literarische Genres widmen sich dem männlichen Konflikt zwischen biologisch gesteuertem Geschlechtstier und sozial verantwortungsvollem Wesen. Für Ersteres ist jede Frau eine potentielle Schlampe, was für Letzteren ein eigentlicher Affront ist, wie überhaupt jedes Scheitern vor der Macht seiner Triebe.
Den Grund für den ewigen Konflikt trägt der Mann zwischen den Beinen. Männer brüsten sich gern, dass all die tollen Erfindungen von der Dampfmaschine bis zum Smartphone auf ihr Konto gehen, und dass diese kognitiven Glanzstunden des Menschengeschlechts im Grunde nur der sublimierten Energie ihres Geschlechtstriebs geschuldet sind. Angesichts der Karriere, die unsere Spezies hingelegt hat, kann man ermessen, wie gewaltig dieser Geschlechtstrieb sein muss. Der Penis ist des Mannes bester Freund und Kumpel und – manchmal auch sein ärgster Feind. Er verfolgt seine eigenen Interessen und führt nicht selten ein Eigenleben, schläft, wenn der Mann ihn wach braucht, wacht, wenn er schläft, und oft betätigt er sich als Souffleur für schlechte Ideen. Der Komiker Bill Burr drückt es so aus: »Als Mann gehörst du zur großen Bruderschaft der Eier. Deine Eier sprechen zu dir. Und als Mann kannst du lange dagegen ankämpfen. Aber ab und zu musst du ihnen zuhören.« Deshalb lässt sich das Verhältnis zwischen Mann und seinem Geschlechtsteil am besten als eines der gegenseitigen Abhängigkeit beschreiben. Zwischen Mann und Schwererziehbarem.
Für den Komiker Louis CK grenzt die schiere Vehemenz des männlichen Triebs an Folter, weil Männer konstant in den unmöglichsten Situationen von pornographischen Vorstellungen heimgesucht würden. Man fragt eine Bibliothekarin nach einem Buch über Abraham Lincoln und schon kniet sie vor einem und will den Samen wie eine Hostie entgegennehmen. Der Komiker macht sich über Frauen lustig, die in Sachen sexueller Triebe mitreden wollen. Etwa wenn sie behaupten, auch manchmal ganz schön geil durch die Welt zu wandeln. Der Unterschied liegt im Zwang, sagt Louis CK: »Frauen sind Touristen im Feld sexueller Perversionen, wir Männer werden hier gefangen gehalten. Frauen sind Jane Fonda auf einem Panzer. Wir sind John McCain in der Hütte. Es ist ein Alptraum.« Diese Behauptung mag nicht auf alle Männer gleichermaßen zutreffen, ist aber in der Tendenz sicher richtig.
Nicht nur der allgegenwärtige Trieb macht dem Mann in Sachen Monogamie zu schaffen. Hinzu kommt noch der genuine Reiz des Neuen, das eine ganz besondere Anziehungskraft auf uns Menschen ausübt. In der Literatur als Coolidge Effekt bekannt, ist das Phänomen bei einer Vielzahl von Säugetieren zu beobachten. Bei Ratten sieht das folgendermaßen aus: Setzt man einem Männchen ein Weibchen vor die Nase, dann bespringt dieses seine neue Gespielin zunächst enthusiastisch, bis nach einer Weile das sexuelle Interesse erlahmt. Wird das Weibchen durch ein neues ersetzt, kommt der alte Elan beim Männchen zurück. Der Name dieses Phänomens rührt von einer Anekdote über den amerikanischen Präsidenten Calvin Coolidge, der mit seiner Frau in den zwanziger Jahren eine Hühnerfarm besuchte. Während der Tour erkundigte sich die First Lady, wie es gelinge, so viele Eier mit so wenigen Hähnen zu produzieren. Der Bauer erklärte ihr stolz, dass seine Hähne Dutzende Male am Tag den Akt zu vollziehen in der Lage seien. »Vielleicht könnten Sie das dem Präsidenten gegenüber auch erwähnen«, meinte Frau Coolidge. Darauf erkundigte sich der Präsident, ob der Hahn denn immer mit derselben Henne kopuliere. Der Farmer antwortete: »Keineswegs, er wechselt von einer zur anderen.« Worauf der Präsident meinte: »Vielleicht erwähnen Sie auch das gegenüber der First Lady.«
Der dominante Trieb und der ewige Reiz des Neuen sind Gründe genug, um früher oder später Mitglied im größten männlichen Club in der Geschichte der Menschheit zu werden: dem Club der Fremdgeher. Prominente Mitglieder finden sich darin, ihre Namen und Geschichten geben seit Jahrhunderten Stoff her für Dramen aller Art. Es kommen immer neue dazu: Bill Clinton, Strauss-Kahn, Silvio Berlusconi, Tiger Woods. Sie alle ließen sich beim Seitensprung erwischen und mussten unerfreuliche Konsequenzen ertragen. Besonders, weil sie für ihre Fehltritte nicht nur vor ihren Partnerinnen, sondern auch vor der Öffentlichkeit geradestehen mussten. Es ist schlimm genug, wenn man wie im Fall von Tiger Woods, von der Mutter seiner Kinder mit dem Golfschläger aus dem Haus gejagt wird, mit dem Auto flüchtet und dann einen Unfall verursacht. Und wenn man alles abstreitet, sich danach aber beinahe täglich angebliche Liebhaberinnen öffentlich melden und die Geschichten ihrer sexuellen Abenteuer mit dem Fremdgeher in der Presse genüsslich ausgeschlachtet werden. Oder wenn man, wie Bill Clinton, drei Monate aus dem Schlafzimmer des Weißen Hauses verbannt wird, während der politische Gegner es sich zum persönlichen Ziel macht, den Seitensprung zu beweisen. So sehr, dass er die Indizienkette bis zu den Spermaspuren auf dem Kleid der Nebenbuhlerin verfolgt und dieses Kleid schließlich als Beweismittel vor Gericht den Geschworenen präsentiert – und man vor der Weltöffentlichkeit der Lüge überführt wird. Schlimmer als die Schuldgefühle ist für jeden Fremdgeher nur die Angst vor dem Auffliegen.
Angesichts der Vehemenz seiner Triebe zeigt der Mann in der Regel viel Verständnis für das moralische Versagen seiner Mitbruderschaft. Immerhin sind sie die Bruderschaft der Eier – solange nicht die eigene Frau involviert ist. Sex ist ein einfaches physisches Bedürfnis, ausgelöst durch den Anblick attraktiver Körper, meistens weiblichen Geschlechts. Wobei wie überall auch das verfügbare Kapital den Ausschlag gibt: Das Ausmaß männlicher Tugend korreliert mit der Charakterstärke des betreffenden Individuums – die sich wiederum aus der Anzahl der Gelegenheiten ergibt, die der Mann gefahrlos in Anspruch nehmen könnte.
Und die Frauen? In den großen Seitensprung-Dramen ist ihnen in der Regel die Rolle der betrogenen Ehefrau zugedacht. Sie leiden still, mit abgewandten Gesichtern und zusammengekniffenen Lippen – oder aber sie rächen sich und machen dem Fremdgeher das Leben zur Hölle. Manche stellen ihre Männer publikumswirksam auf die Straße oder fassen teuflische Rachepläne, um ihn für sein moralisches Versagen bis in alle Ewigkeiten zu bestrafen. Etwa indem sie ihm alles wegnehmen, was ihm etwas bedeutet: Familie, Kinder, Geld, Besitz. Im Teilen sind wir nicht besonders gut, vor allem dann nicht, wenn Liebe im Spiel ist. Liebe ist kompliziert.
Was sicher ist: Auch Frauen fällt monogames Verhalten nicht ganz natürlich zu – auch wenn ihnen jahrhundertelang eine angeborene Neigung zur Sittlichkeit attestiert wurde. Auch Frauen reizt die Grenzüberschreitung. Sie peitscht nicht das Testosteron an; deshalb sind sie vorsichtiger und gehen weniger Risiken ein. Aber ein Trieb ist genauso mächtig: Liebe, in all ihren verschiedenen Erscheinungsformen. Wer sich verliebt, erfährt eine Art Rausch, sagt die amerikanische Anthropologin Helen Fisher. Für den Verliebten hat die Welt nur noch ein Zentrum: den Geliebten, der aus allen anderen herausleuchtet und damit zum Mittelpunkt seines Denkens und Sehnens und Fühlens wird. Der Verliebte macht sich vom Geliebten abhängig, sucht den Rausch und nimmt Enttäuschung in Kauf. Er kann nicht anders. Romantische Liebe ist ein Trieb, genauso stark wie der Sextrieb, mit dem sie zusammenhängt. Romantische Liebe motiviert zwei Menschen dazu, sich emotional so eng aneinander zu binden, dass sie sich nahe genug kommen, um auch komplizierte Projekte zusammen anzugehen, zum Beispiel gemeinsam Nachwuchs aufzuziehen. Diese rauschhafte Liebe möchte exklusive Zweisamkeit und sie möchte ewig währen. Was sehr unrealistisch ist, denn die Liebe wandelt sich, sie kann sich setzen und Wurzeln schlagen und sich vom Sextrieb entfernen. Doch dieser Trieb bleibt. Und zwar ziemlich mächtig.
In der Evolutionspsychologie wird gern das Bild der tendenziell passiven und lustlosen, aber eifersüchtigen Frau gezeichnet. Der Mann gilt als ewiger Jäger und Sklave seiner Natur, der seine unbegrenzten Spermavorräte möglichst weit in der Welt verteilen will, die Frau als reserviertes und berechnendes Geschlecht mit begrenzten reproduktiven Ressourcen und eher lahmem Sextrieb. Er scheffelt Geld, um Frauen mit teuren Autos und wertvollen Uhren zu beeindrucken und zu einem schnellen Abenteuer zu motivieren. Hat er eine gefunden, die ihm für Nachwuchs geeignet scheint, bindet er sie an sich und stellt eifersüchtig sicher, dass sie sich nicht anderweitig vergnügt. Die Frau hingegen fährt gemäß dieser Theorie eine doppelte Strategie: Sie sucht zwecks Nachkommenschaft einen vielversprechenden Genpool mit einem dicken Bankkonto, den sie in einer monogamen Beziehung an sich zu binden sucht. Hat sie ihr Ziel erreicht und einen Mann gefunden, der die Miete zahlt, ihr hilft, die Windeln zu wechseln und den Abfall rausbringt, willigt sie künftig ein, dem ehelichen Beischlaf stattzugeben, so oft es eben nötig ist. Daneben hat sie die eine oder andere Affäre mit einem jungen Lederjacken-Typ, insbesondere um die Zeit des Eisprungs mit dem unbewussten, aber evolutionär begründeten Plan, dem Langweiler von Ehemann ein Kuckuckskind der Lederjacke unterzujubeln. Eine evolutionäre Strategie, die man Diversifikation nennen könnte, wenn sie denn zutreffen würde. Es ist die Vulgär-Version von Darwins Evolutionstheorie, die bis heute in den Kommentarspalten des Internets wieder und wieder erzählt wird. Doch das macht sie nicht wahrer. Denn wenn die sexuelle Natur der Frauen derart passiv und zurückhaltend wäre: Mit wem betrügen all diese Fremdgeher eigentlich ihre Frauen? Wer sind alle die leichten Mädchen, die sich Sex ungetrübt von moralischen Skrupeln nehmen, wann und wo sie wollen? Die im Club nicht die Nummer ihres Verehrers ins Handy tippen wollen, sondern die Nummer gleich dort schieben? Von diesen Frauen gibt es viele. Aber es ist auch in der Gegenwart nicht angesagt, allzu offen zu diesem Lebenswandel zu stehen – nicht nur ihren Partnern, sondern auch nicht den anderen Frauen gegenüber.
Die distinguierte Schlampe, also die Frau, die ihre Sexualität lustvoll und ohne Scham lebt, ist eine ambivalente Figur. In der Realität wird sie verurteilt, doch Literaten und Künstler hat sie schon immer fasziniert. Catherine Deneuve hat ihr im französischen Klassiker Belle de Jour ein Denkmal gesetzt. Mit ihrem perfekt symmetrischen Gesicht unter den beängstigend blonden Haaren, mit ihrer heimlichen Leidenschaft, sich in einem Bordell erniedrigen zu lassen, verkörpert sie die Frau, von der Männer mit 16 träumen und an die sie sich noch mit 60 erinnern. Doch im echten Leben werden distinguierte Schlampen weniger enthusiastisch gefeiert – im Gegenteil. Weibliche Sexualität ist auch heute noch ein gesellschaftliches Minenfeld. Traditionell gehört ihr Körper nicht den Frauen selbst, sondern jemand anderem, meistens ihrem Mann. Das war aber nicht immer so.
Bevor Landwirtschaft und Monogamie erfunden wurden, lebten die Menschen in engen sozialen Gemeinschaften als Jäger und Sammler. Weil das Überleben des Einzelnen von der Gruppe abhing, war zu teilen obligatorisch: Beute und Schutz wurden ebenso geteilt wie die Sexualpartner, denn die Gemeinschaft war wichtiger als das Individuum. Alle waren eng verbandelt und pflegten parallel verschiedene sexuelle Beziehungen; monogame Partnerschaften gab es nicht. Und die Frauen spielten eine wichtige und anerkannte Rolle in der Gemeinschaft. Die Ökonomisierung der weiblichen Sexualität begann, als mit der Landwirtschaft das Konzept des Eigentums Einzug hielt. Das erlaubte die Akkumulation von Reichtum, dadurch wurde die Erbfolge wichtiger und damit die Kontrolle darüber, ob die Kinder, denen man das alles weitergeben würde, auch wirklich die eigenen waren. Die Frauen wurden zur Kinderaufzucht beordert, was ihnen mehr Sicherheit gab. Aber sie zahlten einen hohen Preis: Sie mussten ab jetzt gute Ehefrauen und brave Mädchen sein. Ihre Rolle wurde in Abhängigkeit zum Mann definiert, als Teil seines Besitzes, den er sich verdienen und verteidigen musste. Auch deshalb musste er sicherstellen, dass die Kinder, für die er so schuftete, auch seine eigenen waren. Die Frauen hatten sich damit zu arrangieren, dass Männer sich sexuelle Freiheiten nahmen, aber weibliche Untreue scharf geahndet wurde. Wer sich dabei erwischen ließ, verlor nicht selten alles: Ansehen, Stellung, soziale Sicherheit und manchmal auch das Leben.
Wir haben viel gelernt in den letzten Jahrhunderten. Zum Beispiel wie man den Anschein wahrt. Wie man so tut, als entspreche man den Erwartungen der anderen – und sich daneben trotzdem so viele Freiheiten wie nötig nimmt. Wenn es irgendwie möglich ist.
Das Dilemma der Frauen
Die Mehrheit der Frauen (ein Glück für sie
und die Gesellschaft) ist nicht sehr mit sexuellen
Gefühlen irgendwelcher Art belastet.
Baron Acton, 1875
Moralische Gefühle bezüglich Sitte und Anstand sind tief in uns verankert. Zwar haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Partnerschaften seit dem 19. Jahrhundert markant gewandelt; die Ehe hat mit dem Wirtschaftswunder und später mit der Frauenbewegung ihre wirtschaftliche und soziale Bedeutung zunehmend verloren. Unser Beziehungsleben hat sich seit der Erfindung der Pille und der digitalen Revolution dramatisch gewandelt und damit auch die individuelle Einstellung zur Sexualität. Dennoch pflegen wir gesamtgesellschaftlich noch immer ein Liebesmodell, das aus Bürgertum und Romantik stammt. Während in vormodernen Ehen außereheliche Sexualität, zumindest beim Mann, dazugehörte, begann man im Bürgertum die innereheliche Sexualität aufzuwerten und die außereheliche zu sanktionieren. Die moralischen Regeln sind sogar eher noch strenger geworden. Auch für Männer ist Promiskuität heute etwas, mit dem sie sich öffentlich besser nicht mehr zu sehr brüsten. Was die Frauen angeht, so haben sie in gewissen Milieus heute sicherlich größere Freiheiten als früher, auch was ihre Sexualität angeht. Doch vieles ist beim Alten geblieben. Promiskuitive Frauen werden nach wie vor moralisch verurteilt. Tatsächlich ist das Team des englischen Psychologen Michael E. Price in einer neueren Studie der Frage nachgegangen, welche Faktoren Einfluss darauf nehmen, wie weibliche Promiskuität moralisch beurteilt wird. Sie haben eine Theorie aufgestellt, die den etwas ungelenken Titel trägt: »female economic dependence theory of anti-promiscuity morality«. Wir wollen sie der Einfachheit halber Schlampen-Theorie nennen. Die Psychologen gingen folgender Frage nach: Lassen sich in einer Gesellschaft Faktoren bestimmen, welche direkt die moralische Einstellung zu weiblicher Promiskuität beeinflussen? Welche Faktoren üben am meisten Einfluss auf diese aus? Konservatismus, Religion, Ethnie, Alter? Die Schlampen-Theorie besagt, dass ein Faktor entscheidender ist als alle anderen: die ökonomische Unabhängigkeit der Frau. Meistens wird jedoch in anderen Kategorien gedacht. Es zeigte sich zum Beispiel, dass besonders konservative oder religiöse Gesellschaften eine rigidere Sexualmoral an den Tag legen als individualistische und säkulare. Das trifft auch tatsächlich zu, nur sind Religion oder Konservatismus allein keine hinreichend genauen Kriterien für eine entsprechende Einstellung. Gemäß der Schlampen-Theorie ist ein anderes Kriterium viel entscheidender, wenn es um die moralische Einstellung einer Gesellschaft gegenüber dem promiskuitiven Verhalten geht. Es ist nämlich die soziale Stellung der Frau, die den Ausschlag gibt: Je größer die Bedeutung der Erbfolge in einer Gesellschaft, desto kritischer begegnet eine Gesellschaft weiblicher Promiskuität. Je unterlegener Frauen den Männern in puncto Bildungsstand und individuellem Einkommen sind, desto rigider ist die Sexualmoral bezüglich dieser Frauen, desto empfindlicher reagiert man auf sogenannte »Schlampen«, und zwar bei beiden Geschlechtern. Und natürlich erwarten Männer, die mehr verdienen als ihre Partnerinnen, dass diese sich mit niemand anderem vergnügen als ihrem Göttergatten. Frauen, die ihr eigenes Geld verdienen und damit sozial unabhängiger sind, zeigen hingegen weniger Aversionen gegen »Schlampentum«. Und auch Männer, die mit solchen unabhängigen Frauen befreundet oder bekannt sind, haben weniger gegen Promiskuität einzuwenden als solche, in deren Umfeld traditionelle Abhängigkeitsrollen verbreitet sind.
Wenn man die Klatschspalten der Hochglanzmagazine durchforstet, findet man zahlreiche Indizien für die Stichhaltigkeit der Schlampen-Theorie: Denn diese Frauen würden sich entsprechende Freiheiten nicht herausnehmen, wenn sie nicht darauf zählen könnten, dass ihr Umfeld sie dafür nicht verdammt. Es gibt nicht nur prominente Fremdgeher, sondern auch viele prominente Fremdgeherinnen.
Prinzessin Diana war unglücklich in ihrer Ehe mit Prince Charles – und pflegte bis zu ihrem Tod im Autobahntunnel an der Seite ihres Liebhabers Dodi Al-Fayed mannigfaltige Affären, unter anderem mit dem Kavalleristen James Hewitt, dem Rugbyspieler Will Carling, dem Kunsthändler Oliver Hoare und ihrem Bodyguard Barry Mannakee.
Auch Heidi Klum soll sich während ihrer Ehe mit Seal auf eine Affäre mit ihrem Bodyguard eingelassen haben. Zwar zelebrierte die Modelmama und Mutter von vier Kindern das Ehegelöbnis jährlich mit viel Pomp auf einer Südseeinsel. Als sich die beiden 2012 scheiden ließen, betonten sie die Zuneigung, die sie noch immer füreinander empfänden, doch Seal deutete in verschiedenen Interviews an, dass der Grund für die Trennung eine Affäre Klums mit ihrem Bodyguard Martin Kirsten gewesen sei.
Schauspielerinnen sind besonders gefährdet, wenn sie über lange Zeit mit ihren Filmpartnern in engem Kontakt stehen, oft für Monate getrennt von ihren Lebenspartnern und abgeschottet von der Außenwelt. Kristen Stewart und Robert Pattinson, die beiden Hauptdarsteller aus dem Vampir-Hit »Twilight«, galten als Hollywoods neuestes Traumpaar, als Kristen Stewart in flagranti beim Seitensprung erwischt wurde. Sie hatte auf dem Set eine Affäre mit dem 21 Jahre älteren und verheirateten Regisseur Rupert Sanders. Kurz darauf bekannte sie sich zu ihrer Homosexualität und datet heute nur noch Frauen.
Madonna soll nicht nur ihren ersten Gatten Sean Penn betrogen haben, sondern auch den zweiten Guy Ritchie – und zwar mit dem New York Yankees-Star Alex Rodríguez. Madonna bestand darauf, sie und Rodríguez seien bloß gute Freunde, Seelenverwandte gar. Doch wenig später trennten sich nicht nur Rodríguez und seine Frau; auch Guy Ritchie wollte die Scheidung.