Ancient Love 1
Die Frau des Tribun
Helen Fox
© 2017 Amrûn Verlag
Jürgen Eglseer, Traunstein
Covergestaltung: Kim Leopold, ungecovert - Buchcover und mehr
Lektorat: Simona Turini
Alle Rechte vorbehalten
ISBN – 978-3-95869-584-9
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Kapitel I: Fabius Aquilius
(Tag 1 – Rom, 16 n. Chr.)
Der grelle Schein der Sonne strich unerbittlich über das Gesicht des Römers auf dem breiten Kissen- und Deckenlager und ließ ihn mit einem kräftigen Niesen erwachen. Kleine Staubflöckchen tanzten im Licht umher und verursachten ihm einen Stich im brummenden Schädel, als er versuchte, sich auf ein einzelnes dieser Flöckchen zu konzentrieren. Sein Niesen ließ auch in einen anderen, in der Nähe unter einem halb herab gerissenen Vorhang ruhenden Körper Bewegung kommen, von dem ein Brummen an das Ohr Marcus Fabius Aquilius’ drang, der müde in das Sonnenlicht blinzelte. Eine ganze Weile lang musste er überlegen, wo er sich gerade befand, ohne dass in seinem schmerzenden Kopf auch nur der kleinste Hinweis darauf vorhanden gewesen wäre. Auch der Raum selbst gab ihm keinen eindeutigen Aufschluss. Die üppigen Kissen hätten in jedem gehobeneren Haus liegen und die fein ziselierten Weinkannen aus Kupfer im Haushalt eines wohlhabenden Händlers ihren Platz finden können.
Erst die schlanke Hand mit überaus dunkler Haut ließ die Erinnerung zurückkehren. Aquilius schnappte nach Luft und blickte sich in dem reichlich unordentlichen Raum um, dessen träger Charme während der letzten Nacht so viel aufregender gewirkt hatte. Bei Tageslicht aber wirkte dieses Zimmer eines bekannten, hochklassigen Bordells in der größten Stadt der Welt genau so schal und öde, wie es die meisten Huren taten, wenn die Nacht erst einmal vorüber war. Langsam schob er den schlaffen Leib der dunkelhäutigen Frau neben sich beiseite, um sich aufrichten zu können. An sich herabblickend stellte er fest, dass er nackt war, verschwitzt zudem, und zumindest körperlich bereit, es noch einmal mit einer dieser Frauen aufzunehmen – hätte er es denn gewollt. Schnell rollte er sich auf die Seite, um seine morgendliche Erektion vor neugierigen Blicken zu verbergen und griff nach seiner reichlich zerknitterten Tunika. Erst als er sie sich übergestreift hatte, fühlte er sich wieder halbwegs wie ein Mensch. Allerdings wurde er sich erst nach einer Weile der eigentlichen Funktion des pelzigen Dinges bewusst, welches seinen Mund derzeit ausfüllte. Jede Bewegung seines Kopfes führte sofort dazu, dass Fabius Aquilius diese schmerzlich bereute, da das Echo in seinem Schädel zu einem heftigen Stechen wurde. Wie viel er am Abend vorher getrunken hatte, konnte er nicht sagen, aber angesichts seiner Kopfschmerzen musste es ein ganzes Weinfass gewesen sein.
»Willst Du schon gehen?«, flüsterte die dunkelhäutige Frau auf den Kissen neben ihm mit einem Lächeln und rekelte sich lasziv vor seinen Augen. Sie strich sich ihr lockiges schwarzes Haar aus dem Gesicht und wölbte den Rücken durch, um ihm ihre nackten, wohlgerundeten Brüste mit den dunklen Warzenhöfen zu präsentieren. Bruchstückhaft standen ihm die Bilder vor Augen, was diese außergewöhnliche Schönheit in der gestrigen Nacht mit ihm getan hatte. Das wenigste davon gehörte zu den Dingen, die man mit seiner Ehefrau tat, deswegen waren solche Ausflüge umso köstlicher.
»Wollen nicht, aber müssen. Es ist schon viel zu spät«, erwiderte Aquilius und seufzte. So hell, wie die Sonne jetzt schon schien, war er ganz sicher zu spät für den Empfang der Klienten seines Vaters. Mal wieder. Dieser fand an jedem Morgen statt und gab ihnen die Gelegenheit, ihren patronus um Hilfe zu bitten oder zu zeigen, dass sie zu seiner Verfügung standen.
»Müssen wird doch ein Mann wie du gar nichts.« Sie streckte sich genüsslich aus und robbte in Aquilius’ Richtung, bevor ihre Hand zielsicher ihren Weg zwischen seine Schenkel fand, genau dorthin, wo sich sein Bedürfnis wie jeden Morgen gereckt hatte. »Na gut, vielleicht doch ein bisschen etwas«, fügte sie lächelnd an. Mit einer Mischung aus Scham und langsam aufsteigender Begierde merkte Aquilius, dass er sich an ihren Namen nicht erinnerte, und genauso wenig daran, wieso sie eigentlich hier gelandet waren.
»Schon wieder direkt dabei?« Im hinteren Teil des Raumes richtete sich sein Freund und Saufkumpan Titus Balbus Rufus langsam auf und zog die weitaus üppigere Hure, die ihm wohl in der letzten Nacht zur Verfügung gestanden hatte, mit einem Arm an seinen Leib, bis sie leise auflachte und ihm mit einer Hand durch das kurze braunrote Haar fuhr.
»Im Gegensatz zu dir schlafe ich nicht bis in den Mittag«, gab Aquilius zurück und ließ ein Seufzen folgen, als seine Gespielin die Tunika emporschob, ihre Hände auf seinen Oberschenkeln platzierte und sich herab neigte. Schon der heiße Atem, der über ihre Lippen gegen die pralle Kuppe seines gereckten Schwanzes stieß, ließ Aquilius vorfreudig beben. Ihr Mund jedoch übertraf diese erste Verheißung noch. Heiß und weich schmiegte sich ihre Zunge um sein hartes Fleisch, dann schob sie ihren Kopf weiter vor und begann, ihn in ihren Mund zu saugen. Keuchend lehnte sich Aquilius zurück, schloss seine Augen und ließ sie einfach machen, diesen unerwarteten Genuss auskostend. Recht schnell war jeder Gedanke an die Stadtvilla seiner Familie beiseitegeschoben und an die lärmenden, nach der Aufmerksamkeit ihres patronus heischenden Klienten ohnehin.
Seine namenlose Gespielin wusste nur zu gut, was ihr Mund zu tun hatte – sie klemmte sein hartes Fleisch geschickt zwischen ihrem Gaumen und der Zunge fest und saugte ihn bei jeder Einwärtsbewegung tief ein, das quälende Gefühl süßer Enge auf die Spitze treibend. Die leisen, schmatzenden Geräusche, die beim Auf und Ab ihres Kopfes entstanden, peitschten Aquilius’ Lust umso mehr an. Dass er bei ihrer Haltung auch einen sehr guten Blick auf ihren angespannten Körper und den kleinen, trainierten Po hatte, machte die Sache noch ein gutes Stück angenehmer. Balbus Rufus verfolgte das Geschehen mit einem breiten Grinsen auf den Lippen und drückte den Kopf der Blonden schließlich auch in Richtung seiner Schenkel, damit ihm dieselbe Aufmerksamkeit zuteilwurde wie seinem Freund.
»Welche bessere Art kann es schon geben, wach zu werden?«, keuchte Rufus nach einer Weile zufrieden, während Aquilius nur einige unartikulierte Geräusche von sich gab. Er hatte die Hände in das schwarze Haar seiner dunkelhäutigen Gespielin vergraben und bewegte seine Hüfte ihrem Kopf entgegen, seinen Genuss dadurch noch etwas vertiefend. Erst, als er bemerkte, dass er sich bald nicht mehr zurückhalten konnte, entließ er die Frau aus seinem Griff. Doch sie schien sich davon nicht zurückhalten zu lassen und machte einfach weiter. Statt einer Pause setzte sie noch viel mehr Nachdruck in ihre Bewegungen, bis Aquilius schließlich mit einem lauten Keuchen in ihrem Mund explodierte und Schub um Schub seines Samens darin vergoss. Seine Glieder waren angenehm matt, als sie sich schließlich zurückzog und mit einem wissenden Lächeln über seine Eichel leckte, bis kein einziger Tropfen mehr von seinem eben erlebten Genuss kündete.
»Warum hast du das gemacht?«, fragte Aquilius nach einer Weile, als die tanzenden Sternchen vor seinen Augen abgeflaut waren und auch aus Rufus’ Ecke nur noch genüssliches Atmen zu hören war. Sein Freund hatte es in diesem Moment wohl noch ein bisschen angenehmer getroffen, denn seine Gespielin hatte es sich auf seinen Schenkeln bequem gemacht und sich mit dessen Schwanz genüsslich gepfählt.
»Weil ich es wollte. Und weil wir eine sehr angenehme Nacht hatten«, entgegnete sie mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen, bevor sie sich erhob und einen der dünnen Stoffe, die inzwischen zerknittert auf den vielen Kissen lagen, zu sich raffte und um ihren geschmeidigen Leib wand. Schon war sie aus dem Raum und hinterließ nichts als angenehme Erinnerungen an ihr Können und ihre Freundlichkeit. Während Rufus sich noch mit seiner emsigen Reiterin abmühte, ging Aquilius in die Ecke des Raumes und erleichterte sich in den dort platzierten Nachttopf. Die seltsame Geräuschkulisse aus stetigem Plätschern und wollüstigem Keuchen aus dem Hintergrund brachte den Römer wieder zum Grinsen. Solche Sachen erlebte er immer nur, wenn er mit Balbus Rufus unterwegs war, dessen Hang zu den leiblichen Freuden geradezu legendär war. Aber wenn man wie Rufus mit einer sauertöpfischen Matrone verheiratet war, musste man eben schauen, wie man zurechtkam. Er hatte als der Sohn einer inzwischen durch zu viele Söhne verarmten Ritterfamilie so reich wie möglich heiraten müssen und dafür auch eine wenig ansprechende Gattin in Kauf genommen.
Leider war es in Rufus’ Fall dann eine Frau geworden, die zu einem unterdurchschnittlichen Äußeren auch noch den Charakter einer wahren Xanthippe mit sich brachte. Hätte sein Freund nicht jederzeit über das Vermögen seiner Frau verfügen können, hätte er vermutlich längst einen übervollen Schierlingsbecher leer getrunken. Aquilius besuchte Balbus Rufus und seine liebliche Gemahlin nicht gerne in deren Villa auf dem Aventin, nicht zuletzt, weil Aufidia Oresta keinen Hehl daraus machte, dass sie die Gewohnheiten ihres Mannes und seines besten Freundes verabscheute. Ihre missbilligenden Blicke verfolgten die beiden Männer bis hinein ins triclinium, wenn sie gemeinsam speisten, und erinnerten Aquilius verdächtig an das Verhalten seiner eigenen Mutter.
Seine Mutter! Siedend heiß fiel ihm ein, dass er längst zu Hause sein müsste, der brave Sohn eines aufrechten Römers, dessen Tun und Trachten für die Republik wichtig waren. Da Balbus Rufus noch immer mit seiner Gespielin zugange war und es wirkte, als würde er es noch eine Weile aushalten, hob der junge Fabier nur kurz die Hand und gürtete sein cingulum um die Hüfte, bevor er sich mit einem Kopfnicken verabschiedete.
Der Rückweg durch die erwachende Stadt so lange dauern, dass er vermutlich mit einem Donnerwetter von beiden Seiten würde rechnen müssen. Seine Mutter würde sich keinesfalls entgehen lassen, ihren ältesten Sohn an dessen Pflichten gegenüber der Familie zu erinnern, flankiert von seinem Vater, der zwar meistens ein gutmütiger Mann war, aber was den Aufstieg des Familienzweiges anging, keinen Spaß verstand. Wieder einmal hatte Aquilius das Gefühl, in den Erwartungen seiner Eltern ersticken zu müssen, als er das Bordell verließ. Balbus würde wie üblich für die Zeche aufkommen, weil er das gerne tat und er genau wusste, dass Aquilius die Sesterzen nicht halb so locker saßen wie ihm. Noch immer nutzte Fabius Cursor jede Gelegenheit, seinem Sohn klarzumachen, unter wessen Tisch dieser seine Sandalen streckte, und hatte dessen Geldmittel sehr beschnitten.
An einem Brunnen wusch sich Aquilius eilig das Gesicht und die bloßen Arme, währenddessen einige Frauen den trainierten, braun gebrannten Mann neugierig beäugten. Seiner Statur war gut anzusehen, dass er militärische Zucht hinter sich hatte, auch zwei kleinere Narben auf dem rechten Unterarm bewiesen, dass er sich nicht dafür zu schade war, sich in Gefahr zu begeben. Dazu der leichte Bartschatten und das schwarze, kurz geschnittene Haar, und so manche Mutter hätte wohl versucht, ihre Töchter in ein gutes Licht für ihn zu stellen. Allerdings nur so lange, bis sie erfuhren, dass Aquilius aus der Familie der Fabier stammte, einer der ältesten patrizischen gentes, und entsprechend für jede Plebejerin absolut außerhalb ihrer Reichweite.
Vom kalten Brunnenwasser erfrischt nahm Aquilius seinen Lauf wieder auf und zwängte sich durch die zu dieser Morgenstunde übliche Menschenmasse, die aus Händlern, einfachen Bürgern, Müßiggängern ohne Arbeit und Frauen bestand, welche dabei waren, für die tägliche Ernährung ihrer Familien einzukaufen. Natürlich hatten die meisten es überhaupt nicht eilig, sodass er sich nur durch Zuhilfenahme seiner Ellenbogen ein schnelleres Durchkommen verschaffen konnte. Jeder dieser Leute, die es sich zur Aufgabe gemacht zu haben schienen, gerade jetzt in seinem Weg stehenzubleiben, würde dafür sorgen, dass er noch ein bisschen später zu Hause auf dem Palatin eintraf. Wieder einmal verfluchte er die Tatsache, dass seine Eltern unbedingt eine Villa an der ersten Adresse Roms hatten erwerben müssen, denn alle Gelegenheiten, sich abseits des elterlichen Blickes zu vergnügen, befanden sich natürlich nicht dort, wo reiche Senatoren und eingebildete Patrizier des Nachts in Ruhe schlafen wollten.
Man musste manchmal die halbe Stadt durchqueren, was sich bei etwas längerem Vergnügen regelmäßig als Problem entpuppte. Und nach einer durchzechten Nacht unter den belustigten Blicken arroganter Haussklaven auf Einkaufstour den Berg hinauf keuchen zu müssen, entsprach auch nicht unbedingt Aquilius’ liebster Beschäftigung. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, als er endlich eine der Straßen erreicht hatte, auf denen sich weniger Menschen befanden und die geradewegs auf den Palatin führte. Ein Straßenhändler versuchte zwar, ihm ein süßes Hefegebäck anzudrehen, schreckte vor dem finsteren Blick des Fabiers jedoch schnell zurück und versuchte sein Glück lieber bei einem müßig vorbeischlendernden Passanten.
Mit der hohen Mauer der Villa seiner Eltern in direkter Sichtlinie wurden Aquilius’ Schritte deutlich langsamer. Jetzt durch die porta einzutreten würde bedeuten, dass jeder mitbekam, wie spät der älteste Sohn des Hauses am Morgen zurückkehrte – kein guter Plan.
So lief er eilig die Mauer entlang und bog in den schmaleren Weg ein, den sich die Villa mit der gegenüberliegenden Behausung der Nachbarn teilte und auf welchem für gewöhnlich die Sklaven oder Fuhrwerke unterwegs waren, um Güter und Tiere zu den großen Gebäuden zu führen. Auch Musikanten oder sonstige Bediente, die extra für Gastmähler engagiert wurden, mussten den Umweg über den Hof nehmen, da die Eingangstür der Fabianischen Stadtvilla der Repräsentation diente und gar nicht breit genug war, um mehr als zwei Personen zur gleichen Zeit einzulassen.
Aquilius spähte an den massiven Torflügeln vorbei auf den Hof, auf dem bereits geordnete Geschäftigkeit herrschte. Einige der Haussklaven liefen hin und her, um Körbe mit Waren zu entladen, die während der Nacht geliefert worden waren, ein anderer striegelte das Lieblingspferd seines Vaters, das dieser nicht in einem Stall außerhalb der Villa stehen haben wollte, obwohl er nur selten Zeit zum Reiten fand. So musste Timotheus, der griechische Stallmeister, den stattlichen Hengst nicht nur pflegen, sondern auch täglich bewegen. Timotheus war es auch, der Aquilius als Erster erspähte und ihm grüßend zuwinkte.
»Junger dominus , der Herr hat schon nach dir suchen lassen«, begrüßte der Grieche den Fabier mit einem breiten Grinsen auf dem wettergegerbten Gesicht.
»Und was hast du ihm gesagt?«
»Dass du heute früh morgens aus dem Haus gegangen bist, um spazierenzugehen, weil du deine Glieder beweglich halten willst.« Überrascht blickte Aquilius sein Gegenüber in der einfachen, etwas zerknitterten Tunika an, dann gab er dem Sklaven einen kräftigen Hieb mit der Hand auf den Oberarm.
»Du bist wie immer meine Rettung, Timo, ich kann dir gar nicht genug danken!«
Verschwörerisch zwinkerte der Mittdreißiger dem jüngeren Mann zu. »Solange es nicht jeden Tag vorkommt – und zu sehr nach Wein stinken solltest du auch nicht, das weißt du.« Aquilius nickte, klopfte dann dem Hengst sachte gegen den Hals und streichelte, als das Tier ihm schnaufend die Nüstern zuwandte, über dessen Kopf.
»Du Gierschlund, ich habe nichts für dich«, sagte der Fabier und schob sich an Timotheus und dem großen Pferd vorbei in Richtung des Gebäudes. Geschickt wich er einem Sklaven aus, der einen Sack Getreide ins Innere schleppte und zur Küche abbog, während Aquilius sein cubiculum anstrebte. Jetzt war eine frische Tunika dringend nötig, und vielleicht würde er auch …
»Aquilius!« Oder eher nicht. Die herrische Stimme seiner Mutter hätte er unter Tausenden erkannt. Vermutlich hätte sie ihn auch von den Ufern des Flusses Styx zurück zu den Lebenden getrieben, träfe sie ihn dort nach einer schweren Verwundung an.
»Was kann ich für dich tun, Mutter?«, entgegnete er schicksalsergeben und sah sich mit dem Idealbild einer stolzen römischen matrona konfrontiert: Ihr bodenlanges blütenweißes Gewand war ansprechend drapiert, die zartlila palla umrahmte ihr Gesicht und hing in duftigen Stoffwolken um ihren Leib. Ihre Frisur mit den hochgekräuselten schwarzen Locken, durch die sich nur wenige silberne Strähnen zogen, saß so perfekt, als hätte sie gerade erst ihre Sklavinnen entlassen, welche sie für den Tag zurechtmachten. In seiner Erinnerung hatte er seine Mutter immer nur makellos erblickt, egal bei welchem Anlass oder an welchem Tag.
»Du warst über Nacht fort, nicht wahr?«, begann Aemilia Tertia sogleich das Fragenbombardement, während sie ihren Ältesten einer kühlen Musterung unterzog.
»Ich war spazieren. Solange ich nicht viel zu tun habe, kann ich wenigstens meinen Leib ertüchtigen«, entgegnete er unwillig. Wenn der treue Timotheus schon für ihn gelogen hatte, dann musste er so fair sein und dessen Darstellung unterstützen, damit der Sklave nicht bestraft wurde.
»Und woran liegt es, dass du nichts zu tun hast? Du hättest längst versuchen können, sinnvolle Freundschaften zu pflegen, aber stattdessen treibst du dich nur mit diesem nichtsnutzigen eques herum und vertrödelst deine Zeit mit Huren!« Der Blick seiner Mutter bewies, dass sie sehr wohl wusste, wo er die Nacht verbracht hatte, oder es sich zumindest gut vorstellen konnte. Seufzend nickte Aquilius und setzte dann ein charmantes Lächeln auf. Angriff war bei ihr immer noch die beste Verteidigung.
»Dieser nichtsnutzige eques hat sehr viele Freunde, die ebenfalls Ritter sind, und deren Freunde ihn als einen sehr großzügigen und freundlichen Mann kennen. Wenn er sich für mich einsetzt, gewinne ich eine Menge Unterstützer und muss nicht selbst an jede Tür klopfen.« Aemilia Tertia hob eine ihrer dünnen, sauber gezupften Brauen und neigte sich dann ein kleines Stück weit in die Richtung ihres ältesten Sohnes. Er trat nicht schnell genug zurück und wurde sofort Zeuge ihres angeekelten Naserümpfens.
»Wenn du es nötig hast, deine politischen Unterstützer in Bordellen oder Weinhäusern zu finden, solltest du besser nicht darauf hoffen, so bald ein Amt zu bekleiden«, beschied die Hausherrin ihren Sohn mit knappen Worten und drehte sich auf dem Absatz ihrer Damensandale um. »Dein Vater will übrigens mit dir sprechen, solltest du heute irgendwann nüchtern genug dafür sein.« Ohne eine Antwort Aquilius’ abzuwarten, rauschte Aemilia Tertia in Richtung des Gebäudeinneren und ließ ihren Ältesten seufzend zurück. Sie hatte etwas an sich, das ihm den Gedanken an eine eigene Ehe restlos verdarb, weil er insgeheim fürchtete, dass sich seine Ehegattin auf dieselbe freudlose Weise entwickeln und zu einer wahren Furie werden könnte.
Mit der geschlossenen Tür zwischen sich und dem Rest seiner anstrengenden Familie atmete der junge Fabier auf. Sein schlichtes cubiculum war nicht gerade einladend, aber er wollte es derzeit nicht anders. In einer Ecke befand sich ein Rüstungsständer, auf dem er seine Legionsausrüstung ausgestellt hatte, dazu das cingulum mit dem Schwert in der schlichten, inzwischen abgeschabten Lederscheide, dazu ein schmales Bett, ein Sitzschemel und ein Schreibtisch. Wer zwei Jahre in einem Zelt auf diversen germanischen Böden zugebracht hatte, für den war dies noch immer ziemlicher Luxus, für seine Mutter jedoch ein ständiger Grund für deutliches Kopfschütteln.
Sie verstand einfach nicht, dass sich sein Blick auf Rom und auf die verschwenderische Welt, aus der er stammte, während seiner Zeit in Germania verändert hatte. Seit der Stamm der Marser unter den Schwerthieben der Legionäre ausgelöscht worden war, fand er sich nicht mehr wirklich in der Welt seiner Eltern mit all ihren Ansprüchen und Wünschen zurecht. Eine Weile lang hatte es ausgereicht, sich wilde Vergnügungen in allen möglichen Betten zu suchen, um die dunklen Nächte voller Erinnerungen schneller vorbeistreichen zu lassen. Egal, mit welcherFrauen er schlief, vergaß er sie doch jedes Mal, sobald er die jeweiligen Häuser oder Zimmer verließ. Einen bleibenden Eindruck hatte nur eine einzige hinterlassen.
Er streckte sich auf seinem Bett aus, schlüpfte aus den Sandalen und schloss die Augen. Vor dem frühen Mittag war sein Vater erfahrungsgemäß nicht mit seinen Klienten fertig, sodass er jetzt auch noch etwas Schlaf nachholen konnte. Doch trotz der relativen Ruhe seines Zimmers wollte sich die nötige Entspannung einfach nicht einstellen. Aquilius wälzte sich auf dem Bett hin und her, streckte die Beine aus, zog die Tunika aus, bis er nur noch vom Lendentuch bekleidet war, aber in so ziemlich jeder Haltung war ihm die Unterlage entweder zu unbequem oder zu weich.
Die Augen nach einer Weile wieder öffnend, verschränkte er die Finger über dem Bauch und starrte an die schlicht gestrichene Decke. Es war, als triebe er im endlosen Fluss seines Lebens wie ein steuerloses Ruderboot dahin und hätte längst den Blick auf das Ufer verloren. Vielleicht gab es da auch gar kein Ufer mehr. Die grauen Augen dieser jungen Frau von damals verfolgten Aquilius noch immer.
Er war sich nicht einmal sicher, ob sie je existiert hatte oder ob sie nicht einfach ein verwirrender, fiebriger Traum gewesen war, der ihn seither nicht mehr loslassen wollte. Zwischen all den namenlosen Frauengesichtern, die er in den letzten Wochen gesehen hatte, war dieses das Einzige, welches ihm auch in der tiefsten Nacht vor Augen stand, mit ihrem offenen, klaren Blick, der ihm bis auf den Grund seiner Seele geblickt hatte.
Ob sie gewusst hatte, dass sein erstes Opfer an jener kalten Vollmondnacht eine grauhaarige Frau, vielleicht gar eine Großmutter, gewesen war? Noch immer schien ausgerechnet dieses Blut an seinem Schwert zu kleben und entweihte seine Waffe auf eine Weise, die nicht wieder gutzumachen war.
Im Kampf Mann gegen Mann war es für ihn kein Problem, Blut zu vergießen, weil die Verhältnisse klar waren. Sein Gegner wusste, was ihn erwartete, und beide wollten dasselbe – siegen und das eigene Leben bewahren. Aber sich vorzustellen, dass Germanen über seine eigene Familie herfielen, um seine Mutter abzuschlachten, war ungemein absurd und erschreckend zugleich.
Vielleicht war es gar Diana gewesen, die ihm dieses Trugbild geschickt hatte, weil er Frauen getötet hatte? Hatte ihn die Göttin mit Sehnsucht nach etwas verflucht, das ihm doch niemals in die Hände fallen würde? Das vermutlich nicht einmal existierte? Keine der Frauen seither hatte ihren klaren Blick gehabt, dieses unendlich reine Antlitz.
Seufzend wälzte sich Aquilius auf die Seite und griff nach dem diskret neben seinem Bett bereitgestellten irdenen Weinkrug, in dem ein gar nicht so schlechter Falerner auf ihn wartete. Glücklicherweise hatten die Haussklaven noch nicht damit aufgehört, ihren heimgekehrten Kriegshelden zu verhätscheln. Die meisten von ihnen kannten ihn schon seit seiner Kindheit und hatten schon damals die Strenge seiner Mutter mit gelegentlichen süßen Kuchen aus der Küche und dem einen oder anderen verstohlenen Schluck Wein aus einem Becher seines Vaters gemildert.
Erst als der Krug zur Hälfte geleert war, verschwanden die Bilder in seinem Kopf. Seine stille Verfolgerin mit ihren blauen Augen hob die Mundwinkel, schenkte ihm ein gnädiges Lächeln und verblasste, als er dann doch endlich unter dem klaren Schein der Mittagsonne Schlaf fand.