cover image

H. G. Wells

Die Zeitmaschine

H. G. Wells

Die Zeitmaschine

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2020
Übersetzung: Felix Paul Greve
2. Auflage, ISBN 978-3-954189-28-1

null-papier.de/434

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ein­füh­rung

Die Ma­schi­ne

Der Zeit­rei­sen­de kehrt zu­rück

Das Rei­sen in der Zeit

In der gol­de­nen Zeit

Der Son­nen­un­ter­gang der Mensch­heit

Ein plötz­li­cher Schlag

Er­klä­rung

Die Mor­locks

Als die Nacht kam

Der grü­ne Por­zel­lan­pa­last

Im Dun­kel

Die Fal­le der wei­ßen Sphinx

Die wei­te­re Vi­si­on

Die Rück­kehr des Zeit­rei­sen­den

Nach der Er­zäh­lung

Epi­log

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

 

Ihr
Jür­gen Schul­ze

Einführung

Der Zeit­rei­sen­de (denn so wer­de ich am bes­ten von ihm re­den) setz­te uns eine ge­heim­nis­vol­le Sa­che aus­ein­an­der. Sei­ne grau­en Au­gen leuch­te­ten und zwin­ker­ten, und sein meist blas­ses Ge­sicht war ge­rötet und be­lebt. Das Feu­er brann­te hell, und die wei­chen Strah­len des Glüh­lichts in den Sil­ber­li­li­en tra­fen die Bläs­chen, die in un­se­ren Glä­sern auf­blitz­ten und ver­gin­gen. Un­se­re Stüh­le – von ihm er­fun­de­ne Pa­ten­te – um­arm­ten und lieb­kos­ten sich eher, als dass sie auf sich sit­zen lie­ßen, und es herrsch­te jene üp­pi­ge Nach-Tisch-At­mo­sphä­re, da die Ge­dan­ken an­mu­tig und frei von den Fes­seln der Prä­zi­si­on hin­lau­fen. Und er stell­te es fol­gen­der­ma­ßen dar – in­dem er ein­zel­nen Punk­ten mit ei­nem ha­ge­ren Zei­ge­fin­ger Nach­druck ver­lieh – wäh­rend wir da­sa­ßen und trä­ge sei­nen Ernst bei die­sem neu­en Pa­ra­do­xon (wo­für wir es hiel­ten) und sei­ne Frucht­bar­keit be­wun­der­ten.

»Sie müs­sen mir auf­merk­sam fol­gen. Ich wer­de die eine oder an­de­re Vor­stel­lung be­kämp­fen müs­sen, die fast all­ge­mein an­ge­nom­men ist. Die Geo­me­trie zum Bei­spiel, die man Sie auf der Schu­le ge­lehrt hat, grün­det sich auf einen Irr­tum.«

»Ist da­mit an­zu­fan­gen nicht et­was zu viel von uns er­war­tet?«, sag­te Fil­by, ein streit­lie­ben­der Mann mit ro­tem Haar.

»Ich will von Ih­nen nicht ver­lan­gen, dass Sie ir­gen­det­was ohne ver­nünf­ti­gen Grund an­neh­men, Sie wer­den bald so viel zu­ge­ben, wie ich von Ih­nen nö­tig habe. Sie wis­sen na­tür­lich, dass eine ma­the­ma­ti­sche Li­nie, eine Li­nie von ei­ner Di­cke nil, in Wirk­lich­keit nicht exis­tiert. Das hat man Sie ge­lehrt? Eben­so­we­nig eine ma­the­ma­ti­sche Flä­che. Das sind blo­ße Abstrak­tio­nen.«

»Das stimmt«, sag­te der Psy­cho­lo­ge.

»Auch ein Wür­fel kann, da er nur Län­ge, Brei­te und Tie­fe be­sitzt, in Wirk­lich­keit nicht exis­tie­ren.«

»Da er­he­be ich Ein­spruch«, sag­te Fil­by. »Na­tür­lich kann ein fes­ter Kör­per exis­tie­ren. Alle wirk­li­chen Din­ge – –«

»Das glau­ben die meis­ten Men­schen. Aber war­ten Sie einen Au­gen­blick. Kann ein mo­men­ta­ner Wür­fel exis­tie­ren?«

»Ver­ste­he Sie nicht«, sag­te Fil­by.

»Kann ein Wür­fel, der über­haupt kei­ne Zeit dau­ert, exis­tie­ren?«

Fil­by wur­de nach­denk­lich. »Of­fen­bar«, fuhr der Zeit­rei­sen­de fort, »muss je­der wirk­li­che Kör­per in vier Di­men­sio­nen Aus­deh­nung ha­ben: er muss Län­ge, Brei­te, Tie­fe und – Dau­er ha­ben. Aber in­fol­ge ei­ner na­tür­li­chen Schwach­heit des Flei­sches, die ich Ih­nen im Mo­ment er­klä­ren will, nei­gen wir dazu, die­se Tat­sa­che zu über­se­hen. Es gibt wirk­lich vier Di­men­sio­nen; wir nen­nen sie die drei Ebe­nen des Rau­mes, und eine vier­te, die Zeit. Es herrscht je­doch die Nei­gung, zwi­schen den ers­ten drei Di­men­sio­nen und der vier­ten einen un­wirk­li­chen Un­ter­schied zu ma­chen, weil sich zu­fäl­li­ger­wei­se un­ser Be­wusst­sein in­ter­mit­tie­rend vom An­fang un­se­res Le­bens bis zum Ende der vier­ten Di­men­si­on ent­lang be­wegt.«

»Das«, sag­te ein sehr jun­ger Mann, der krampf­haf­te An­stren­gun­gen mach­te, sei­ne Zi­gar­re über der Lam­pe an­zu­zün­den, »das … ist wahr­haf­tig ganz klar.«

»Nun ist es sehr merk­wür­dig, dass dies in so aus­ge­dehn­tem Maße über­se­hen wird«, fuhr der Zeit­rei­sen­de mit ei­nem leich­ten An­fall von Hei­ter­keit fort. »In Wirk­lich­keit meint man dies mit der vier­ten Di­men­si­on, ob­gleich man­che, die von der vier­ten Di­men­si­on re­den, nicht wis­sen, dass sie es mei­nen. Es ist nur eine an­de­re Art, die Zeit an­zu­se­hen. Es gibt kei­nen Un­ter­schied zwi­schen der Zeit und ei­ner der drei Di­men­sio­nen des Rau­mes, au­ßer dass sich un­ser Be­wusst­sein auf ih­rer Li­nie be­weg­t. Aber ei­ni­ge Nar­ren ha­ben die­se Idee auf der ver­kehr­ten Sei­te zu fas­sen be­kom­men. Sie ha­ben alle ge­hört, was sie über die­se vier­te Di­men­si­on zu sa­gen ha­ben?«

»Ich nicht«, sag­te der Bür­ger­meis­ter aus der Pro­vinz.

»Es liegt ein­fach so. Vom Raum im Sin­ne un­se­rer Ma­the­ma­ti­ker spricht man als von et­was, was drei Di­men­sio­nen hat, die man Län­ge, Brei­te, Tie­fe nen­nen kann, und was stets mit Hil­fe drei­er Ebe­nen, de­ren jede im rech­ten Win­kel zu den bei­den an­de­ren steht, de­fi­nier­bar ist. Aber ei­ni­ge phi­lo­so­phi­sche Leu­te ha­ben ge­fragt, warum ge­ra­de drei Di­men­sio­nen? – warum nicht noch eine Rich­tung, die im rech­ten Win­kel zu den drei an­de­ren steht? – und sie ha­ben so­gar ver­sucht, eine vier­di­men­sio­na­le Geo­me­trie zu kon­stru­ie­ren. Pro­fes­sor Si­mon Ne­w­comb hat das erst vor ei­nem Mo­nat oder so der New-Yor­ker Ma­the­ma­ti­schen Ge­sell­schaft aus­ein­an­der­ge­setzt. Sie wis­sen, dass man auf ei­ner Flä­che, die nur zwei Di­men­sio­nen hat, die Fi­gur ei­nes drei­di­men­sio­na­len Kör­pers dar­stel­len kann, und eben­so, mei­nen Sie, kön­ne man durch Mo­del­le von drei Di­men­sio­nen einen von vier dar­stel­len – wenn man nur der Per­spek­ti­ve der Sa­che Herr wer­den könn­te. Se­hen Sie?«

»Ich glau­be«, mur­mel­te der Bür­ger­meis­ter aus der Pro­vinz; und in­dem er die Brau­en zu­sam­men­zog, ver­sank er in sich, und sei­ne Lip­pen be­weg­ten sich wie bei ei­nem, der mys­ti­sche Wor­te wie­der­holt. »Ja, ich glau­be, jetzt sehe ich’s«, sag­te er nach ei­ni­ger Zeit und hell­te vor­über­ge­hend auf.

»Nun, ich will Ih­nen nicht vor­ent­hal­ten, dass ich seit ei­ni­ger Zeit an die­ser Geo­me­trie der vier Di­men­sio­nen ge­ar­bei­tet habe. Ei­ni­ge mei­ner Re­sul­ta­te sind son­der­bar. Hier, zum Bei­spiel, se­hen Sie das Por­trät ei­nes Man­nes im Al­ter von acht, ein zwei­tes im Al­ter von fünf­zehn, ein drit­tes im Al­ter von sieb­zehn, ein vier­tes im Al­ter von drei­und­zwan­zig Jah­ren, und so wei­ter. All das sind of­fen­bar gleich­sam Lek­tio­nen, drei­di­men­sio­na­le Dar­stel­lun­gen sei­nes vier­di­men­sio­na­len Seins, das ein fes­tes und un­ver­än­der­li­ches Ding ist.«

»Wis­sen­schaft­ler«, fuhr der Zeit­rei­sen­de nach ei­ner Pau­se fort, wie sie zur rech­ten As­si­mi­la­ti­on sei­ner Wor­te er­for­der­lich war, »wis­sen recht gut, dass die Zeit nur eine Art von Raum ist. Hier se­hen Sie eine be­lieb­te wis­sen­schaft­li­che Riss­zeich­nung, einen Wet­ter­be­richt. Die­se Li­nie, der ich mit mei­nem Fin­ger fol­ge, zeigt die Be­we­gun­gen des Baro­me­ters. Ges­tern stand es so hoch, ges­tern Abend ist es ge­fal­len, heu­te Mor­gen wie­der ge­stie­gen und dann lang­sam bis hier her­auf. Das Queck­sil­ber hat doch die­se Li­nie in kei­ner der all­ge­mein an­er­kann­ten Raum­di­men­sio­nen ge­zo­gen? Aber si­cher­lich hat es eine sol­che Li­nie ge­zo­gen, und die­se Li­nie, müs­sen wir also fol­gern, lief die Zeit­di­men­si­on ent­lang.«

»Aber«, sag­te der Arzt, in­dem er eine Koh­le im Feu­er scharf fi­xier­te, »wenn die Zeit wirk­lich nur eine vier­te Raum­di­men­si­on ist, wie kommt es, dass man sie als et­was an­de­res an­sieht und im­mer an­ge­se­hen hat? Und warum kön­nen wir uns nicht in der Zeit um­her­be­we­gen wie wir uns in den an­de­ren Di­men­sio­nen des Rau­mes be­we­gen kön­nen?«

Der Zeit­rei­sen­de lä­chel­te. »Sind Sie so si­cher, dass wir uns im Raum frei be­we­gen kön­nen? Rechts und links und vor­wärts und rück­wärts kön­nen wir uns frei ge­nug be­we­gen, und das ha­ben die Men­schen auch im­mer ge­tan. Ich gebe zu, wir be­we­gen uns in zwei Di­men­sio­nen frei. Aber auf und ab? Da be­schränkt uns die Schwer­kraft.«

»Nicht ganz«, sag­te der Arzt. »Es gibt Bal­lons.«

»Aber vor den Bal­lons hat­te der Mensch – von krampf­haf­ten Sprün­gen und den Une­ben­hei­ten der Erde ab­ge­se­hen – kei­ne Frei­heit ver­ti­ka­ler Be­we­gung.«

»Im­mer konn­ten sie sich ein we­nig auf und ab be­we­gen.«

»Leich­ter, weit leich­ter ab als auf.«

»Und in der Zeit kön­nen Sie sich gar nicht be­we­gen; vom ge­gen­wär­ti­gen Mo­ment kön­nen Sie nicht fort.«

»Mein lie­ber Herr, ge­ra­de da sind Sie im Irr­tum. Gera­de da ist die gan­ze Welt im Irr­tum. Wir kom­men be­stän­dig vom ge­gen­wär­ti­gen Mo­ment fort. Un­se­re geis­ti­ge Exis­tenz, die im­ma­te­ri­ell ist und kei­ne Di­men­sio­nen hat, läuft von der Wie­ge bis zum Gra­be mit geist­för­mi­ger Ge­schwin­dig­keit die Zeit­di­men­si­on ent­lang. Genau, wie wir ab­wärts wan­dern wür­den, wenn wir un­ser Da­sein fünf­zig Mei­len über der Erd­ober­flä­che be­gän­nen.«

»Aber die große Schwie­rig­keit ist die«, un­ter­brach der Psy­cho­lo­ge, »Sie kön­nen sich im Raum in al­len Rich­tun­gen be­we­gen, aber Sie kön­nen sich nicht in der Zeit hin und her be­we­gen.«

»Das ist der Kern mei­ner großen Ent­de­ckung. Aber Sie ha­ben Un­recht, wenn Sie sa­gen, wir kön­nen uns in der Zeit nicht hin und her be­we­gen. Wenn ich mich zum Bei­spiel ei­nes Er­eig­nis­ses sehr leb­haft er­in­ne­re, gehe ich zum Mo­ment sei­nes Ge­sche­hens zu­rück: ich wer­de geis­tes­ab­we­send, wie Sie sa­gen. Ich sprin­ge auf einen Mo­ment zu­rück. Na­tür­lich ha­ben wir kein Mit­tel, ir­gend­wie län­ge­re Zeit da­hin­ter­zu­blei­ben, so we­nig ein Wil­der oder ein Tier Mit­tel hat, sechs Fuß über dem Bo­den zu blei­ben. Aber ein zi­vi­li­sier­ter Mensch ist in die­ser Hin­sicht bes­ser dran als der Wil­de. Er kann im Bal­lon ge­gen die Schwer­kraft stei­gen, und warum soll­te er nicht hof­fen, dass er ein­mal wer­de im­stan­de sein, sei­ne Fahrt die Zeit­di­men­si­on ent­lang zu un­ter­bre­chen oder zu be­schleu­ni­gen oder so­gar um­zu­keh­ren und in ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung zu wan­dern?«

»O, das«, be­gann Fil­by, »ist al­les – –«

»Wa­rum nicht?«, frag­te der Zeit­rei­sen­de.

»Es ist ge­gen die Ver­nunft«, sag­te Fil­by.

»Ge­gen wel­che Ver­nunft?«, frag­te der Zeit­rei­sen­de.

»Sie kön­nen be­wei­sen, dass weiß schwarz ist«, sag­te Fil­by, »aber Sie wer­den mich nie über­zeu­gen.«

»Vi­el­leicht nicht«, sag­te der Zeit­rei­sen­de. »Aber Sie be­gin­nen jetzt, das Ziel mei­ner Un­ter­su­chun­gen in der Geo­me­trie der vier Di­men­sio­nen zu se­hen. Schon vor lan­ger Zeit ahn­te ich et­was von ei­ner Ma­schi­ne – –«

»Um durch die Zeit zu rei­sen?«, rief der sehr jun­ge Mann.

»Die in je­der Rich­tung des Rau­mes und der Zeit fährt, wie es ihr Füh­rer will.«

Fil­by be­gnüg­te sich mit La­chen.

»Aber ich habe ex­pe­ri­men­tel­len Be­weis«, sag­te der Zeit­rei­sen­de.

»Das wäre für den His­to­ri­ker au­ßer­or­dent­lich be­quem«, mein­te der Psy­cho­lo­ge. »Man könn­te zu­rück­rei­sen und zum Bei­spiel den an­er­kann­ten Be­richt der Schlacht bei Has­tings prü­fen!«

»Mei­nen Sie nicht, Sie wür­den Auf­merk­sam­keit er­re­gen?«, sag­te der Arzt. »Un­se­re Vor­fah­ren wa­ren nicht sehr duld­sam ge­gen Anachro­nis­men.«

»Man könn­te sein Grie­chisch von Ho­mers und Pla­tos Lip­pen ler­nen«, mein­te der sehr jun­ge Mann.

»In dem Fall wür­den Sie im Ex­amen si­cher durch­fal­len. Die deut­schen Ge­lehr­ten ha­ben das Grie­chi­sche so sehr ver­bes­sert.«

»Und dann die Zu­kunft«, sag­te der sehr jun­ge Mann, »Den­ken Sie nur! Man könn­te all sein Geld an­le­gen, es mit Zin­sen an­ste­hen las­sen und vor­ausei­len!«

»Um eine Ge­sell­schaft zu fin­den«, sag­te ich, »die auf streng kom­mu­nis­ti­scher Ba­sis er­rich­tet ist.«

»Von al­len wil­den, aus­schwei­fen­den Theo­ri­en!«, be­gann der Psy­cho­lo­ge.

»Ja, so schi­en es mir; und des­halb habe ich nie da­von ge­spro­chen, bis –«

»Ex­pe­ri­men­tel­ler Be­weis!«, rief ich. »Sie wol­len das be­wei­sen?«

»Das Ex­pe­ri­ment!«, rief Fil­by, der ge­hirn­mü­de wur­de.

»Las­sen Sie uns Ihr Ex­pe­ri­ment im­mer­hin se­hen«, sag­te der Psy­cho­lo­ge, »ob­gleich das al­les Un­fug ist, wis­sen Sie.«

Der Zeit­rei­sen­de sah sich lä­chelnd im Krei­se um. Dann ging er, im­mer noch leicht lä­chelnd, die Hän­de tief in den Ho­sen­ta­schen, zum Zim­mer hin­aus, und wir hör­ten sei­ne Schu­he den lan­gen Gang bis zu sei­nem La­bo­ra­to­ri­um hin­un­ter.

Der Psy­cho­lo­ge blick­te uns an. »Ich möch­te wis­sen, was er ge­fun­den hat?«

»Ir­gend­ein Ta­schen­spie­ler­stück«, sag­te der Arzt, und Fil­by ver­such­te, uns von ei­nem Be­schwö­rer zu er­zäh­len, den er zu Burs­lem ge­se­hen hat­te, aber ehe er noch mit sei­ner Vor­re­de fer­tig war, kam der Zeit­rei­sen­de zu­rück, und Fil­bys An­ek­do­te brach zu­sam­men.

Die Maschine

Was der Zeit­rei­sen­de in der Hand hielt, war ein glit­zern­des Rah­men­werk aus Me­tall, kaum grö­ßer als eine klei­ne Uhr, und sehr fein ge­ar­bei­tet. Es war El­fen­bein dar­an und eine durch­sich­ti­ge, kris­tal­li­ni­sche Sub­stanz. Und jetzt muss ich aus­führ­lich wer­den, denn was folgt, ist – wenn man nicht sei­ne Er­klä­rung an­nimmt, et­was ab­so­lut Un­er­klär­li­ches. Er nahm einen der klei­nen acht­e­cki­gen Ti­sche, die im Zim­mer um­her­stan­den, und stell­te ihn vors Feu­er, mit zwei Fü­ßen auf den Ka­min­tep­pich. Auf die­sen Tisch stell­te er den Mecha­nis­mus. Dann zog er einen Stuhl her­an und setz­te sich. Der ein­zi­ge an­de­re Ge­gen­stand auf dem Ti­sche war eine klei­ne Lam­pe mit Lam­pen­schirm, de­ren hel­les Licht voll auf das Mo­dell fiel. Au­ßer­dem stan­den viel­leicht ein Dut­zend Ker­zen um­her, zwei da­von in Mes­sing­leuch­tern auf dem Ka­min­sims, und meh­re­re in Wand­leuch­tern, so­dass das Zim­mer glän­zend er­leuch­tet war. Ich saß in ei­nem nied­ri­gen Ses­sel, dem Feu­er am nächs­ten, und zog ihn so­weit vor, dass ich fast zwi­schen dem Zeit­rei­sen­den und dem Ka­min zu sit­zen kam. Fil­by saß hin­ter ihm und sah ihm über die Schul­ter. Der Arzt und der Bür­ger­meis­ter aus der Pro­vinz be­ob­ach­te­ten ihn im Pro­fil von rechts, der Psy­cho­lo­ge von links. Der sehr jun­ge Mann stand hin­ter dem Psy­cho­lo­gen. Wir wa­ren alle auf dem Qui­vi­ve. Es scheint mir un­glaub­lich, dass uns un­ter die­sen Be­din­gun­gen ein noch so fein er­son­ne­ner und noch so ge­schickt aus­ge­führ­ter Streich ge­spielt wer­den konn­te.

Der Zeit­rei­sen­de sah erst uns an und dann den Mecha­nis­mus. »Nun?«, sag­te der Psy­cho­lo­ge.

»Die­ses klei­ne Ding«, sag­te der Zeit­rei­sen­de, in­dem er die El­len­bo­gen auf den Tisch stütz­te und über dem Ap­pa­rat die Hän­de zu­sam­mendrück­te, »ist nur ein Mo­dell. Es ist mein Ent­wurf zu ei­ner Ma­schi­ne, um durch die Zeit zu rei­sen. Sie wer­den be­mer­ken, dass es selt­sam ver­quer aus­sieht und die­se Wel­le dort son­der­bar fun­kelt, gleich­sam als wäre sie ir­gend­wie un­re­al.« Er zeig­te den Teil mit dem Fin­ger. »Auch ist hier ein klei­ner wei­ßer He­bel und dort noch ei­ner.«

Der Arzt stand aus sei­nem Stuh­le auf und sah sich das Ding an. »Es ist wun­der­voll ge­ar­bei­tet«, sag­te er.

»Die Ar­beit dar­an hat zwei Jah­re ge­dau­ert«, er­wi­der­te der Zeit­rei­sen­de. Dann, als wir alle dem Bei­spiel des Arz­tes ge­folgt wa­ren, sag­te er: »Jetzt möch­te ich, dass Sie mich klar da­hin ver­ste­hen: wenn ich die­sen He­bel hin­über­drücke, so glei­tet die Ma­schi­ne in die Zu­kunft fort, und die­ser He­bel kehrt die Be­we­gung um. Die­ser Sat­tel ist der Sitz ei­nes Zeit­rei­sen­den. Ich wer­de den He­bel gleich drücken, und die Ma­schi­ne wird los­ge­hen, Ich wer­de ver­schwin­den, in die Zu­kunft ge­hen und fort sein. Se­hen Sie das Ding gut an. Se­hen Sie auch den Tisch an und über­zeu­gen sich, dass kein Be­trug ge­schieht. Ich will nicht die­ses Mo­dell ver­lie­ren und mir nach­her nach­sa­gen las­sen, ich sei ein Quack­sal­ber.«

Es trat eine Pau­se von viel­leicht ei­ner Mi­nu­te ein. Der Psy­cho­lo­ge schi­en mich an­re­den zu wol­len, aber er gab sei­ne Ab­sicht auf. Dann streck­te der Zeit­rei­sen­de den Fin­ger ge­gen den He­bel aus. »Nein«, sag­te er plötz­lich, »las­sen Sie mir Ihre Hand.« Und er wand­te sich dem Psy­cho­lo­gen zu und nahm des­sen Hand in sei­ne und sag­te ihm, er sol­le den Zei­ge­fin­ger aus­stre­cken. So schick­te der Psy­cho­lo­ge sel­ber das Mo­dell der Zeit­ma­schi­ne auf sei­ne end­lo­se Rei­se. Wir alle sa­hen den He­bel sich dre­hen. Ich bin ab­so­lut si­cher, dass kein Be­trug vor­lag. Es ent­stand ein Wind­hauch, und die Lam­pe fla­cker­te auf. Eine der Ker­zen auf dem Ka­min­sims wur­de aus­ge­bla­sen, und die klei­ne Ma­schi­ne dreh­te sich plötz­lich, wur­de un­deut­lich, war viel­leicht eine Se­kun­de lang wie ein Geist zu se­hen, wie ein Wir­bel schwach glit­zern­den Mes­sings und El­fen­beins; und sie war fort – ver­schwun­den. Ab­ge­se­hen von der Lam­pe, war der Tisch leer.

Alle schwie­gen eine Mi­nu­te lang. Dann sag­te Fil­by, er lie­ße sich hän­gen.

Der Psy­cho­lo­ge er­hol­te sich aus sei­ner Er­star­rung und blick­te plötz­lich un­ter den Tisch. Da lach­te der Zeit­rei­sen­de hei­ter. »Nun?«, sag­te er mit ei­ner Re­mi­nis­zenz an den Psy­cho­lo­gen. Dann stand er auf, ging zum Ta­bak­krug auf dem Ka­min­sims und be­gann sich, uns den Rücken zu­ge­kehrt, sei­ne Pfei­fe zu stop­fen.

Wir starr­ten ein­an­der an. »Hö­ren Sie«, sag­te der Arzt, »ist das Ihr Ernst? Mei­nen Sie im Ernst, dass die­se Ma­schi­ne in die Zeit ge­reist ist?«

»Si­cher­lich«, sag­te der Zeit­rei­sen­de und bück­te Sich, um einen Fi­di­bus am Feu­er an­zu­zün­den. Dann wand­te er sich um, wäh­rend er die Pfei­fe an­zün­de­te, und sah dem Psy­cho­lo­gen ins Ge­sicht. (Der Psy­cho­lo­ge woll­te zei­gen, dass er nicht aus den An­geln ge­ho­ben war, nahm sich eine Zi­gar­re und ver­such­te, sie un­be­schnit­ten an­zu­zün­den.) »Noch mehr – ich habe da hin­ten« – er zeig­te nach dem La­bo­ra­to­ri­um – »eine große Ma­schi­ne fast fer­tig, und wenn sie zu­sam­men­ge­setzt ist, den­ke ich sel­ber eine Rei­se zu ma­chen.«

»Sie wol­len sa­gen, die Ma­schi­ne sei in die Zu­kunft ge­wan­dert?«, sag­te Fil­by.

»In die Zu­kunft oder die Ver­gan­gen­heit – wo­hin, weiß ich nicht si­cher.«

Nach ei­ner Pau­se hat­te der Psy­cho­lo­ge eine In­spi­ra­ti­on. »Sie muss in die Ver­gan­gen­heit ge­wan­dert sein, wenn sie ir­gend­wo­hin ge­wan­dert ist«, sag­te er.

»Wa­rum?«, sag­te der Zeit­rei­sen­de.

»Weil ich an­neh­me, dass sie sich im Raum nicht be­wegt hat, und wenn sie in die Zu­kunft ge­wan­dert wäre, wür­de sie noch im­mer hier sein, weil sie die­se Zeit hät­te durch­wan­dern müs­sen.«

»Aber«, sag­te ich, »wenn sie in die Ver­gan­gen­heit ge­wan­dert wäre, hät­te sie zu se­hen sein müs­sen, als wir in die­ses Zim­mer ka­men, und letz­ten Don­ners­tag, als wir hier wa­ren, und den Don­ners­tag da­vor und so fort.«

»Erns­te Ein­wän­de«, be­merk­te der Bür­ger­meis­ter aus der Pro­vinz mit ei­ner Mie­ne der Un­par­tei­lich­keit, in­dem er sich zum Zeit­rei­sen­den wand­te.

»Kei­ne Spur«, sag­te der Zeit­rei­sen­de; und zum Psy­cho­lo­gen: »Sie den­ken. Sie kön­nen das er­klä­ren. Es ist eine Wahr­neh­mung un­ter der Schwel­le, wis­sen Sie, ver­flüch­tig­te Wahr­neh­mung.«

»Na­tür­lich«, sag­te der Psy­cho­lo­ge und be­ru­hig­te uns. »Das ist et­was ganz Ge­wöhn­li­ches in der Psy­cho­lo­gie. Da­ran hät­te ich den­ken sol­len. Das ist ein­fach ge­nug und hilft dem Pa­ra­do­xen wun­der­voll. Wir kön­nen die­se Ma­schi­ne so we­nig se­hen und wahr­neh­men, wie wir die Spei­che ei­nes wir­beln­den Ra­des oder ei­ner Ku­gel, die durch die Luft fliegt, se­hen kön­nen. Wenn sie fünf­zig oder hun­dert­mal so schnell durch die Zeit wan­dert wie wir, wenn sie eine Mi­nu­te durch­läuft, wäh­rend wir eine Se­kun­de durch­lau­fen, so wird der Ein­druck, den sie macht, na­tür­lich auch nur ein Fünf­zigs­tel oder ein Hun­derts­tel von dem sein, den sie ma­chen wür­de, wenn sie nicht durch die Zeit wan­der­te. Das ist ganz klar.« Er fuhr mit der Hand durch den Raum, wo die Ma­schi­ne ge­stan­den hat­te. »Sie se­hen?«, sag­te er la­chend.

Wir sa­ßen eine Mi­nu­te oder so und starr­ten den lee­ren Tisch an. Dann frag­te uns der Zeit­rei­sen­de, was wir von dem al­len hiel­ten.

»Heut abend klingt al­les plau­si­bel ge­nug«, sag­te der Arzt, »aber war­ten Sie bis mor­gen. War­ten Sie auf den ge­sun­den Men­schen­ver­stand des Mor­gens.«

»Möch­ten Sie die Zeit­ma­schi­ne sel­ber se­hen?«, frag­te der Zeit­rei­sen­de. Und zu­gleich nahm er die Lam­pe und führ­te uns den lan­gen Gang zu sei­nem La­bo­ra­to­ri­um hin­un­ter. Ich er­in­ne­re mich leb­haft des fla­ckern­den Lichts, sei­nes wun­der­li­chen, brei­ten Kop­fes in der Sil­hou­et­te, des Schat­ten­tan­zes, als wir ihm alle folg­ten, ver­wirrt, aber un­gläu­big, und wie wir dort im La­bo­ra­to­ri­um eine grö­ße­re Aus­ga­be des klei­nen Mecha­nis­mus er­blick­ten, den wir vor un­se­ren Au­gen hat­ten ver­schwin­den se­hen. Tei­le wa­ren aus Ni­ckel, Tei­le aus El­fen­bein und an­de­re wa­ren ohne Fra­ge aus Fels­kris­tall ge­schlif­fen und ge­schnit­ten. Die Ma­schi­ne war ziem­lich fer­tig, nur die ge­wun­de­nen Kris­tall­wel­len la­gen noch un­voll­en­det auf der Bank ne­ben ei­ni­gen Zeich­nun­gen, und ich nahm eine in die Hand, um sie bes­ser zu be­trach­ten. Es schi­en Quarz zu sein.

»Hö­ren Sie«, sag­te der Arzt, »ist es Ih­nen wirk­lich Ernst? Oder ist es ein Trick – wie der Geist, den Sie uns ver­gan­ge­ne Weih­nach­ten zeig­ten?«

»Auf der Ma­schi­ne«, sag­te der Zeit­rei­sen­de und hielt die Lam­pe hoch, »will ich die Zeit er­for­schen. Ist das klar? Es ist mir in mei­nem gan­zen Le­ben nie mehr Ernst ge­we­sen.«

Kei­ner von uns wuss­te recht, wie er es neh­men soll­te.

Ich be­geg­ne­te über der Schul­ter des Arz­tes Fil­bys Auge, und er blin­zel­te mir fei­er­lich zu.

Der Zeitreisende kehrt zurück

Ich glau­be, da­mals glaub­te kei­ner von uns so recht an die Zeit­ma­schi­ne. Die Sa­che ist die, der Zeit­rei­sen­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­