Vom Verfasser der Briefe eines Verstorbenen
Der Ausgang ist der Toren Orakel
Gibbon
Da das folgende Buch von Mehemed Ali seinen Titel hernimmt und viel von ihm darin die Rede sein wird, ein Mann, für dessen blinden Verehrer ich oft ausgegeben wurde, während ich der Meinung bin, daß über niemand blinder in Europa geurteilt wird als über ihn – so muß ich einige allgemeine Betrachtungen vorausschicken, um von vornherein meine Ansicht der politischen Ereignisse herauszustellen, welche nach meiner Rückkehr aus Ägypten alle Verhältnisse des Orients so sehr und so traurig verändert haben.
Es ist mir sehr wohl bekannt, daß ein geschlagener Held immer unrecht behalten muß und daß in der Gegenwart die triviale Masse der Menschen nie anders als nach dem Ausgang urteilt, bis später, wenn die momentanen Leidenschaften und Interessen schweigen, eine philosophischere Ansicht der Vergangenheit der historischen Wahrheit ihr Recht verschafft. So wurde einst Napoleon, nachdem er so lange als ein Meteor geglänzt, von Tausenden in den Staub herabgezogen und von den elendesten Wichten gelästert, ja ihm eine Zeitlang jedes Verdienst und jede Größe abgesprochen – weil er gefallen war. Nach einem Vierteljahrhundert schon, seit er vom Schauplatz verschwunden, zollt ihm die Menge von neuem Ehre und Bewunderung, und dasselbe Volk, das seiner überdrüssig ihn in der Not verließ, hat ehrfurchtsvoll und mit religiösem Pomp seine Asche über das Weltmeer zurückgeholt.
Ich denke nicht daran, Mehemed Ali mit Napoleon in eine Kategorie zu stellen, aber beide haben Berührungspunkte, und auch Mehemed Ali werden in der Folgezeit die Völker mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen und anerkennen müssen, daß sie dem Wirken dieses ausgezeichneten Geistes vor allem jene ebenso segensreiche als gewaltige Anregung verdanken, aus welcher der Keim einer neuen Bildungsepoche für den Orient entsprossen ist. Nur der Keim freilich, den er aber mit unermüdlicher Beharrlichkeit und so viel Einsicht und Erfolg, als für ihn und seine Zeit möglich war, treu gehegt und gepflegt hat. Denn man vergesse doch nicht, daß die Muselmänner im dreizehnten Jahrhundert ihrer Hedschira sich hinsichtlich ihrer Kulturfähigkeit, ganz außer Europa stehend, gewissermaßen noch in demselben Mittelalter befinden, in welchem auch wir einst nach einer gleichen Anzahl von Jahrhunderten seit Erscheinung unsres Propheten standen, und aus dem wir uns so schwer und nur durch Ströme von Blut herauszuarbeiten vermochten – daß also ein auch durch die kräftigste Hand hervorgerufener Fortschritt der Zivilisation in solcher Periode nicht auf einmal unsern heutigen Zustand erreichen kann. Wie aber war denn jenes Mittelalter bei uns beschaffen? Ich glaube, daß in Hinsicht auf Grausamkeit und Verbrechen, Rohheit und Sittenverderbnis, Willkür der Gewalt, Intoleranz und unerträglichen Druck der Mächtigen, durch alle Klassen herab, Ägyptens Zustand unter Mehemed Ali noch glänzend vor dem der meisten Länder des damaligen Europas hervortreten möchte.1
Auch Sultan Mahmud hat gleich Mehemed Ali den Fortschritt gewollt, doch war er offenbar hierin nur seines großen Gegners Schüler. Er hat, ihm nachahmend, zwar dasselbe System ergriffen, es aber mit unendlich mehr Übereilung, weniger Takt, Geist und Erfolg durchzuführen gewußt – dennoch ist auch er dadurch zur Förderung des großen welthistorischen Zweckes nichts weniger als unnütz geblieben, wenn auch er und seine eignen Länder weniger Vorteil daraus gezogen haben.
Die unbestreitbaren spezielleren Verdienste Mehemed Alis, wie sie als Fakta vor aller Augen stehen, sind folgende: Er hat mit bewunderungswürdigem Organisationstalent in einem der verwahrlosesten und verwildertesten Länder der Welt Ordnung und Sicherheit, die ersten Bedürfnisse eines zivilisierten Staates, in einem solchen Grade herzustellen gewußt, daß man sein unermeßliches Reich vom Taurus bis an die Grenzen Abessiniens, so weit sein Gebiet sich zwischen Meer und Nil und Wüste erstreckte, mit Gold beladen sicher und ohne Furcht durchziehen konnte, wo sonst jedem Schritt Beraubung und Tod drohte.
Er hat in der Ausübung der Justiz und in der Verwaltung innerhalb seines Gebiets mehr Gerechtigkeit und feste Norm eingeführt, als in irgendeinem andern orientalischen Staate annoch existiert.
Er hat den Fanatismus gebändigt, eine größere Toleranz in religiösen Dingen geübt, als in manchen christlichen Staaten stattfindet, und die Christen in seinen Ländern nicht nur beschützt, sondern selbst in einer Art bevorzugt, die fast zur Härte für die Muselmänner ward.
Er hat den Handel mit Europa nicht nur belebt, er hat ihn größtenteils neu geschaffen und durch die großartigsten Anlagen aller Art den in Ägypten gänzlich untergegangenen Sinn für Industrie wohltätig wieder erweckt.
Der Anbau der Baumwolle, des Indigos, des Zuckerrohrs, welcher mit immer steigendem Erfolg betrieben wurde, ist durch ihn erst hervorgerufen worden, und ein großer Teil dieser Produkte wird im eigenen Lande durch auf seine Kosten angelegte Fabriken verarbeitet. Ebenso vermehrte er bedeutend den Seidenbau in Syrien durch die ausgedehntesten Anpflanzungen des Maulbeerbaumes, die freilich durch den Befreiungskrieg (!) der Engländer größtenteils wieder zerstört worden sind.
Er hat für die Bildung der künftigen Generation ein Erziehungs- und Schulwesen gegründet, von dem man vor ihm im Orient seit Jahrhunderten gar keinen Begriff mehr hatte, und ungeheure Summen diesem edlen Zwecke geopfert.
Er hat mehr gebaut und mehr gemeinnützige Anstalten ins Leben gerufen als irgendein Beherrscher Ägyptens seit Saladins Zeiten.
Er hat zu alledem noch Mittel gefunden, er, dem Ägypten zufiel ohne ein Schiff und einen einzigen disziplinierten Soldaten, sich eine Flotte von zwölf Linienschiffen und zweimal soviel Fregatten und Korvetten zu bauen und eine europäisch geschulte Armee von mehr als 100 000 Mann zu schaffen. Und mit diesen Mitteln ist der albanesische Bauer, der erst im 35sten Jahre lesen lernte, der unbedeutende Häuptling, der hundertmal in seinem Leben nicht wußte, wo er sein Haupt mit Sicherheit hinlegen sollte, ein Fürst geworden, dessen Armeen zweimal den Beherrscher der Gläubigen auf seinem Throne zu Byzanz erzittern machten und dessen immer steigendes Ansehen ihm schon eine Stelle unter den Weltmächten anzuweisen begann.
Da ward er endlich, nach so großen Taten und Siegen, wie weiland der gefürchtete Korse (nur mit weit weniger gutem Grunde) von europäischen Interessen in den Bann getan und ist in diesem ungleichen Kampfe mit unvorhergeahnter Schnelligkeit unterlegen.
Wie zu erwarten stand, beeiferte sich sofort eine Herde von Kläffern verschiedener Parteien maßloser als je über den schon so lange beneideten, kranken Löwen herzufallen und zugleich jubelnd über alle diejenigen den Stab zu brechen, welche, früher in stupider Blindheit, diesen besiegten Mann für ausgezeichnet und groß hielten und solches sogar öffentlich auszusprechen wagten.2
Man findet in Mehemed Alis Unglück noch mehr Ähnlichkeiten mit dem Schicksal Napoleons, erstens: daß er in Wahrheit nur durch einen Zusammenfluß der ungünstigsten, nicht vorherzusehenden Umstände, die von ihm selbst größtenteils nicht mehr abhängen, gefallen ist; zweitens, daß ihn im Augenblick der Entscheidung sein mächtiger Aliierter, auf dessen Mitwirkung er alle seine Pläne basiert hatte, verließ; drittens endlich, daß er sein früheres Glück nicht mit der Konsequenz eines Alexander oder Cäsar verfolgt und nie die Sachen ohne Anhalt zum völligen Ende zu bringen gesucht hatte. Napoleon wie Mehemed Ali hätten an Alexanders Stelle schon nach der ersten Schlacht mit dem Perserkönig Friede gemacht – freilich nicht ohne die Idee, gelegentlich wieder anzufangen, aber im Glück ist es eben nötig, die Gelegenheit vollständig zu benutzen, die da ist. Im Unglück zeigte sich jedoch Mehemed Ali kaltblütiger und klüger als Napoleon, wenngleich seine Handlungsweise nicht eben heroisch zu nennen ist.
Denn von dem Augenblick an, als er sich, von Frankreich im Stich gelassen, der vereinten Macht Englands und Österreichs preisgegeben sah, verteidigte er sich eigentlich nur noch pro forma, da er zu klug war, um nicht mit einem Blick zu übersehen, daß jetzt für ihn der Erfolg auf die Länge unmöglich geworden. Weil er nun weder eigensinnig noch eitel genug ist, um nur alles – oder nichts zu wollen, so gab er, da der Tag einmal unglücklich und dies nicht zu ändern stand, statt alles auf eine Karte zu setzen, lieber das ganze Spiel auf. Die Möglichkeit, es bei einer bessern Chance wieder anzuknüpfen, blieb ihm ohnedies. Nachdem nun sogar St. Jean d'Acre eigentlich nicht genommen, sondern durch die unwiderstehliche Kraft von fünfhundert Feuerschlünden auf Büchsenschußweite in die Luft gesprengt und vernichtet worden war, dachte der Vizekönig nur noch daran, sich zu erhalten, was noch zu erhalten war.3 Ich weiß aus bester Quelle, daß Ibrahim von Anfang an Instruktionen in diesem Sinne von seinem Vater hatte, was auch allein die Lauheit und ganz negative Kriegführung dieses sonst so feurigen und determinierten Soldaten erklären kann.
Die Rolle eines Mannes wie Mehemed Ali ist aber nie als ganz ausgespielt zu betrachten, solange er in Freiheit lebt und noch alle Elemente der Macht in seiner Hand hält. Dies hat er sich aber, sowie seine faktische Unabhängigkeit, mit vieler Geschicklichkeit zu bewahren gewußt, und wer kann vorhersagen, ob die Vorsehung, die ihm einmal eine welthistorische Bestimmung gab, dieses Amt ihm schon gänzlich abgenommen hat. Abgeschmackt ist es aber jedenfalls, aus dessen jetzt so sehr verminderter Bedeutung folgern zu wollen, daß ein Mann, der durch das Außerordentliche seiner Taten so lange Jahre hindurch die Blicke der Welt auf sich zog, von jeher nur ein Taschenspieler gewesen sei, der dem Orient und Europa ein bloßes Blendwerk vorgemacht. Dies wäre wahrlich noch weniger schmeichelhaft für die Betrognen als den Betrüger.
Wahr ist es aber und merkwürdig, daß ein Hauptgrund des schnellen Falles Mehemed Alis gerade in seinem verdienstvollen Wirken zu suchen ist.
Denn dadurch, daß er die Völker des Orients zu einer höhern Bildung zu erheben suchte, daß er zu diesem Behuf immer mehr und mehr selbst europäischen Sitten und Gebräuchen sich näherte, vieles davon allgemein einzuführen suchte und seine ganze Regierung diese Tendenz immer deutlicher verfolgen ließ, auch daß der Sultan, seinem Beispiel folgend, denselben Weg einschlug – erwachte ein ganz neuer Sinn im Orient. Jene seit langem so stationär gebliebenen Völker begannen zu ahnen, daß sie fremden Einflusses bedürftig seien und daß ihnen nur Verschmelzung mit europäischer Kultur – ich meine nicht durch bloße servile Nachäffung, noch weniger durch religiöse Bekehrung – eine neue, eigne, organische Umbildung und dadurch künftig einen weit sicherern und glücklicheren inneren Zustand gewähren könne, als sie bisher unter irgendeinem muhamedanischen Szepter genossen hatten. Eine direkte Oberherrschaft europäischer Mächte erschien daher schon seit geraumer Zeit vielen unter ihnen nicht nur möglich, sondern auch wünschenswert – denn sie erhielten dann aus erster Hand, was ihnen Mehemed Ali nur mittelbar und unvollständig geben konnte. Als daher die Engländer und Deutschen gegen diesen feindlich in die Schranken traten, kam ihnen überall Syriens Bevölkerung fast jubelnd entgegen und fiel ohne Halt vom ägyptischen Gouvernement ab, bis auf den einzigen Emir Beschir, der eine tiefere Einsicht und überdies mit Mehemed Ali nur ein gleiches Interesse hatte. Demohngeachtet wußten die Syrier recht gut, daß sie, selbst unter Ibrahims Säbelszepter und den vielfachen partiellen Bedrückungen seiner Günstlinge (denn Mehemed Ali hatte leider Syrien seinem Sohne fast unumschränkt übergeben), doch immer noch weit besser dran waren, als sie unter des Sultans schwachem Regiment je gewesen, und daß sie auch wiederum in ein weit größeres Elend versinken müßten, wenn die alten Verhältnisse zurückkehrten – aber sie hofften dunkel auf ganz neue Verhältnisse, einen neuen Herrn von europäischer Hand. Ein großes Motiv hierzu lag schon darin, daß in Syrien, besonders im Litorale und dem Libanon, ein großer Teil der einflußreichsten Bewohner bereits Christen sind, ein anderer, ebenso mächtiger, die Drusen, keine kirchliche Intoleranz kennen und sich im Gegenteil mit jeder Religion sehr leicht abzufinden wissen.4 Aber selbst eine große Anzahl der gebildeten Muselmänner gab solchen Gedanken Raum, und mit Verwunderung fand ich diese mit den ehemaligen fanatischen Ansichten dieser Länder so stark kontrastierende Idee nicht allein in Syrien, sondern selbst in Kleinasien, wenn auch nicht den Massen völlig klar, doch keimend und unter den mehr Selbstdenkenden auffallend verbreitet.
Es ist daher nur der Wahrheit angemessen, wenn ich sage, daß die heutigen Sieger größtenteils Mehemed Ali selbst jenen gewichtigen Vorteil, das Volk auf ihrer Seite gefunden zu haben, danken müssen, ein Vorteil, dessen Dasein ihn desto leichter stürzte (wie dasselbe Streben auch Mahmuds Macht untergrub), aber dem Orient im ganzen doch der größte Gewinn bleibt, hätte auch Mehemed Ali nur, gleich den Massen, sich selbst unbewußt «der Gottheit lebendiges Kleid gewirkt».
Gewiß ist es zugleich, daß eine solche, den letzten Ereignissen schon zuvorgegangene Stimmung in den Völkern des Orients, auch in Zukunft jeder europäischen Macht, die sie wird ausbeuten wollen und können, eine entscheidende Einwirkung auf jene Länder sehr erleichtern muß, und die Zeit wird kommen, wo dies geschieht.
Findet dann eine gegenseitig heilsame Durchdringung der so lange geschiedenen Bildungselemente beider Weltteile statt, so wird dies ohnfehlbar zu einer Hauptepoche in der Geschichte wie im allgemeinen Fortschritt der Menschheit führen, und beschattet dergestalt einst, in mehr oder weniger ferner Zeit, ein solcher fruchtbeladner Baum die Welt, so wird man auch Mehemed Ali eines Ehrenplatzes an seinem Fuße nicht berauben können.
Es bleibt mir nun bloß noch übrig, einiges Persönliche anzuführen, was ich ganz übergehen würde, wenn es nicht der Schwachen und Leichtgläubigen wegen nötig wäre.
Man hat in mehreren öffentlichen Blättern behauptet, ich nähme nur deshalb so leidenschaftlich Mehemed Alis Partie, weil er mich mit Geschenken und Gnaden überhäuft, ja man gab beinahe zu verstehen, ich stünde so gut wie in seinem Solde.
Diesen Insinuationen liegt wenig Wahres zum Grunde.
Was die mir erwiesenen Gnaden und Gunst betrifft, so habe ich mich deren allerdings eine geraume Zeitlang in seltnem Grade zu erfreuen gehabt und werde derselben auch stets mit Dankbarkeit und persönlicher Genugtuung gedenken, besonders, daß der Vizekönig einmal, auf meine alleinige Fürsprache, einem der angesehensten und reichsten Kaufleute Kahiras die gesetzlich verwirkte Freiheit wie den Verlust des größten Teils seines Vermögens ohne Rückhalt zurückgab. Während dieser Zeit ward ich auch durch viele Monate nach orientalischer Sitte als des Fürsten Gast betrachtet und als solcher für Wohnung und Lebensmittel, wie sie das Land liefert, freigehalten, in Kahira und Alexandrien sogar mit einer Pracht, der ich gern enthoben gewesen wäre, da sie mir viel «gêne» verursachte, und auch jedermann weiß, daß die orientalische Gastfreiheit der Großen an ihre Diener oft teurer bezahlt werden muß, als sie wert ist. Übrigens war es Mehemed Ali bekannt, daß der Bey von Tunis mich ganz mit derselben Munifizenz behandelt hatte.
Was aber die Geschenke betrifft, so kann ich versichern, daß ich von Mehemed Ali nie ein anderes Geschenk erhalten habe als ein nacktes Füllen, was nur dadurch einen großen Wert für mich bekam, daß er es selbst für mich im Gestüt von Schubra auswählte. Auch Ibrahim Pascha gab mir deren zwei von seiner Zucht durch Baki Bey.
Der Transport dieser Tiere, für die ich ein eignes Schiff nach Triest mieten mußte, hat mich weit mehr gekostet, als sie wert waren, und unter den echten arabischen Pferden, die ich später selbst in der Wüste kaufte, ist keins, was nicht den Preis dieser drei Füllen zehnmal überstiege.
Ein sonderbarer Umstand ist es, beiläufig gesagt, daß Mehemed Alis munterer Hengst, der ein gutes Jagdpferd geworden war, beim Sprunge über einen Bach sich tödlich beschädigte an demselben Tage, wo St. Jean d'Acre fiel.
Indessen, ich blieb vielleicht zu lange im ägyptischen Reich. Der Charakter der Orientalen ist voller Argwohn, und Mehemed Ali hat mehr als irgendeiner nur zu oft triftige Ursache gehabt, Europäern zu mißtrauen.
Die Auszeichnung, die er mir zuteil werden ließ, die unverdiente Bedeutendheit, die er mir beilegte, hatten bei vielen einflußreichen Personen, Europäern wie Türken, in hohem Grade Neid und Mißgunst erregt, wozu noch kam, daß ich, wenn Mehemed Ali es verlangte, ihm meine Ansichten über jedermann ganz ungescheut (vielleicht auch ungescheit) mitteilte. So gewahrte ich denn bald, daß Intrigen aller Art gegen mich in Bewegung gesetzt wurden, kümmerte mich aber wenig darum. In dieser Zeit, das heißt während meines zweiten Aufenthaltes in Kahira (wo ich Mehemed Alis generöse Gastfreiheit ganz abgelehnt hatte), sandte ich einen Artikel in die Augsburger Allgemeine Zeitung, in dem sich einige sehr unschuldige Bemerkungen über die korpulente Beschaffenheit des jüngeren Sohnes des Vizekönigs, Said Bey, befanden, die aber ein übles Ansehen durch den unglücklichen Umstand erhielten, daß die Redaktion für gut fand, dem erwähnten Aufsatz die Überschrift: «Der dicke Prinz» zu geben. Dies ward übersetzt und Mehemed Ali vorgelesen. Von diesem Augenblick an bemerkte ich eine gewisse Kälte und verminderte Vertraulichkeit in seinem Wesen, die mich betrübten, gegen die ich aber nichts mehr tun konnte, da jede Explikation das Übel nur ärger machen mußte. Später, als ich in Syrien war, wo Ibrahim herrschte und ein sichrer, direkter Verkehr mit Mehemed Ali mir nicht mehr möglich war, wußte man meine Abwesenheit wohl noch besser zu benutzen, um mich der Gunst des Vizekönigs zu berauben. Denn nach einer anfangs sehr glänzenden Aufnahme in Syrien durch Soliman Pascha kam ich bald infolge einiger unangenehmer Vorfälle, an denen ich durchaus keine Schuld hatte und von denen im Verlaufe dieses Werks spezieller die Rede sein wird, mit Ibrahim Paschas Gouvernement in ein höchst unfreundliches Verhältnis, und die deshalb von mir an Mehemed Ali gerichtete Beschwerde blieb ohne alle Antwort.
Seitdem habe ich, obgleich ich noch über sechs Monate im Lande verblieb, vom Gouvernement weder etwas angenommen noch ferner mit ihm das geringste zu tun gehabt, bis auf eine, in langen Intervallen fortdauernde Korrespondenz mit Bogos Bey, der sich stets gleich gegen mich geblieben ist und mich auch des Vizekönigs freundlicher Gesinnung immer versichert hat, ohne daß ich dergleichen für mehr als eine Phrase der Courtoisie genommen hätte. Demohngeachtet gab mir dies später Gelegenheit, mich bei der bekannten Verfolgung der Juden in Damaskus für einen unter ihnen, von dessen Unschuld ich überzeugt war, bei Bogos Bey zu verwenden, und die Danksagungen, die ich von der in Rede stehenden Person erhielt, haben mir den guten Erfolg verbürgt.
Man sieht also, daß meine Beziehungen zu Mehemed Ali nicht immer ungetrübt geblieben sind und ich, gerade dem Ende nach, aus persönlichen Rücksichten wenig Beruf fühlen könnte, für ihn die Feder zu führen, wenn mich nicht die wahrste Verehrung für die hohen Eigenschaften und die große historische Wirksamkeit dieses Fürsten heute wie damals bewegen, wenigstens unparteiisch das, was ich für Wahrheit halte, über ihn zu sagen und dadurch, soweit meine schwachen Kräfte reichen, ihn gegen die vielen ungerechten Anklagen und schiefen Beurteilungen zu verteidigen, mit denen namentlich deutsche Schriftsteller und deutsche Berichte ihn zu verfolgen so viel Beharrlichkeit zeigen, was um so auffallender ist, da die ausgezeichnetsten Männer unter den Engländern und Franzosen, wie noch neuerlich der tapfere Commodore, der ihn so hart bekämpft, ihm stets weit mehr Gerechtigkeit widerfahren ließen.
1. Sogar die Gebräuche waren damals ganz dieselben bei uns wie noch heute im Orient. Denn die Damen ritten noch Visiten und aßen gleich den Männern mit den Fingern. Gabeln wurden erst zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts erfunden.
2. Als ein possierliches Beispiel erinnere ich mich unter anderem eines Korrespondenten der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom Rheine, der unmittelbar nach dem Falle von St. Jean d'Acre ausrief: «Mehemed Ali hat kapituliert! Der Mann ist entlarvt, der jahrelang die Geister hingehalten und die Federn zu Lob oder Tadel beschäftigt hat. Die Freunde, die ihn so hoch gepriesen, verstummen in seiner Not!» Ich erwiderte ihm damals: «Ach nein, lieber Rheinländer, nicht alle! Du selbst aber hättest besser geschwiegen. Du hast gesprochen – und Du bist entlarvt!»
3. Die Engländer selbst rühmten sich im Morning Chronicle, einem ministeriellen Blatt, daß durch den immensen Vorteil, den ihre beweglichen Seebatterien jetzt durch die großen Fortschritte in diesem Fach darbieten, keine Festung, die vom Meere aus beschossen werden könne, einer Flotte von 5-600 Feuerschlünden mehr zu widerstehen imstande wäre. Das waren also leichte Lorbeeren!
4. Der Emir Beschir war Christ und Muhamedaner zugleich und wäre auch noch Jude geworden, wenn ihm dies den Szepter Syriens hätte verschaffen können.
Eine goldne, feurige Sonne leuchtete mir zum ersten Tage des neuen Jahres 1837, eine warme, balsamische Luft wehte über dem wollüstig sich schaukelnden Meere, doch schwarze Wolken rollten einzeln am Himmel und verdeckten von Zeit zu Zeit das wohltätige Gestirn des Tages – ein Bild des irdischen Lebens, wenn dies zu den glücklichsten gehört. In höchster Pracht glänzte der Ida auf Kandia, vom frisch über Nacht gefallenen Schnee in ein flimmerndes Gewand fleckenlosen Weißes gekleidet, gehoben noch vom dunklen, tief ausgezackten Kranz der Berge und Felsen, die sich gleich einer treuen Leibwache um ihn her lagerten. Sanft glitten wir in der bequemen Feluke über den Wasserspiegel hin und näherten uns mit taktmäßigen Ruderschlägen der Brigg des Vizekönigs von Ägypten Semendidschad5, die mich in einer kahlen Bucht der Insel Dia erwartete und jetzt mit dem Donner ihrer Kanonen empfing. Sie hat ein historisches Interesse, diese kleine Brigg, denn auf ihr entfloh Osman Pascha, des Vizekönigs undankbarer Liebling, zum türkischen Sultan nach Konstantinopel.
Ich bestieg sie mit meinem geringen Gefolge und befand mich in wenig Augenblicken als der alleinige Europäer (nur mit Ausnahme eines einzigen meiner Diener, der ein Deutscher ist) unter einigen hundert Kandioten, Arabern, Türken und Negern fremdartigen Anblicks und mir meist unverständlicher Rede. Doch jeder von ihnen beeiferte sich, mir seine Ergebenheit zu bezeigen, außerdem waren des Kapitäns Zimmer, mit allen nötigen Bequemlichkeiten versehen, mir auf Mustapha Paschas Befehl zuvorkommend eingeräumt worden, und alles versprach daher die angenehmste Fahrt über die Libysche See. Doch kannte ich mein Unglück auf dem Meere bereits zu gut, um je solcher Hoffnung mit Zuversicht Raum zu geben.
Gegen Abend fanden wir auch schon ein von den heftigen Südwinden der vorigen Woche aufgewühltes Meer, das, uns wild entgegenströmend, dem durch günstigen Nord getriebnen Schiff die widerlichsten Stöße gab, und in der Nacht steigerte sich der Wind fast zum Sturm. Die zierliche Ordnung, welche ich in meiner Kajüte mühsam hergestellt, fand bald ein klägliches Ende. In wenig Augenblicken waren alle Tische mit Papieren, Büchern, Flaschen, Gläsern unter fürchterlichem Gekrache übereinandergestürzt, und während ich mich an mein Bett anklammerte, um wenigstens meinen eignen Posten zu behaupten, rollte auf dem Verdeck eine Tonne über den Glasdom meiner Schlafkammer hin und sandte diesen in hundert Scherben zerschmettert, gleich spitzen Schloßen, auf mich nieder. An ein Aufräumen dieser chaotischen Massen war bei dem fortwährenden gewaltigen Schwanken der Brigg, über welche die Wellen mehrmals hinwegströmten, gar nicht zu denken. Überdem befanden sich alle meine Leute schon seit mehreren Stunden in einer solchen Agonie der Seekrankheit, daß ich in den zwei Tagen und Nächten, wo dieses Wetter andauerte, keinen davon mehr zu sehen bekam. Hätte sich nicht ein alter Neger aus dem Sennar meiner erbarmt, ich wäre ohne allen Beistand geblieben, denn weder der Kapitän, von dem der Neger mit einiger Verachtung sagte, er sei selbst seekrank, noch sonst jemand von der Schiffsmannschaft ließen sich blicken. Überhaupt schien viel Verwirrung beim Kommando zu herrschen, und alle Evolutionen gingen mit einem Lärm und zugleich einer Langsamkeit vor sich, die man auf europäischen Kriegsschiffen nicht gewohnt ist, so daß, hätte ich nur diese Brigg von Mehemed Alis Flotte kennengelernt, ich mir eine sehr ungünstige Idee von derselben gebildet haben würde. Es war nichts zu tun, als sich mit Geduld zu waffnen, so ruhig als möglich im Bett zu verweilen und es den zerbrochen umhergestreuten Effekten zu überlassen, sich von selbst nach und nach wieder untereinander festzurollen. Fünfzig Stunden brachte ich in dieser Lage mit türkischem Phlegma zu, von der Krankheit selbst nur mäßig heimgesucht, aber fast jeder Bewegung unfähig und nur selten, mit nicht geringer Mühe, das Kunststück versuchend, eine Tasse Fleischbrühe, die mir der Neger, wie ein Seiltänzer sich gebärdend, herbeibrachte, auszutrinken, ohne die Hälfte derselben ins Bett fließen zu lassen, oder ein mageres Stück Hammelfleisch mit den Fingern zu zerpflücken, um der unumgänglichsten Nahrung nicht ganz zu entbehren.
Erst am dritten Tage, während wir beständig mit eingezognen Segeln geschifft, die Nächte aber uns sogar furchtsam «en panne» gelegt und dennoch fünf bis sechs Miglien in der Stunde im Durchschnitt zurückgelegt hatten, besänftigte sich der Sturmgott, das Meer ward bemerklich ruhiger, und mit großer Freude erfuhr ich von einem meiner endlich wiederauferstandenen Diener, daß Abukirs Bai sich schon seitwärts hinter den schwankenden Wellen zeige und Alexandrias Arsenal am Horizonte sichtbar werde. Obgleich noch betäubt und von dem heftigsten Kopfschmerz als gewöhnliche Folge der Seekrankheit geplagt, warf ich schnell meinen Mantel um und kletterte zum Verdeck hinan. Noch immer stiegen die aschgrauen Wogen bis an des Schiffes Rand, noch immer war man das Spiel einer auf- und niedergeschwungenen Schaukel – doch in erträglicherem Maße als bisher, und der Anblick des schon vom Nil gefärbten Meeres, der Anblick Ägyptens – des lang ersehnten – ließ mich bald alles Leid vergessen. Noch einige Stunden – und da lag sie vor mir, des unsterblichen Makedoniers stolze Stadt, – mit allen ihren tausend romantischen Erinnerungen, neu geboren durch einen neuen makedonischen Helden der Geschichte, schon glanzvoll wieder erwachsen zwischen der Wüste und dem Meer, halb europäisch, halb orientalisch aus den Wellen emporsteigend und gleich einer Fata Morgana über flachen Sandufern thronend, welche hinter den räumenden Wellenreihen bald jählings aufzutauchen, bald ebenso schnell wieder zu verschwinden schienen. Ohne sichtbare feste Basis erblickte man, wie in der Luft schwankend, weiße Paläste, krenelierte Wälle, grüne Palmenhaine, des Pompejus hohe Säule und vor ihr einen Wald von Masten aus dem Meere ragend, der von einem Ende des majestätischen Hafens bis zum andern reichte. Ein Fort nimmt jetzt die Stelle des alten berühmten Pharus der Ptolemäer ein, und des Vizekönigs weitläufige Residenz trennt den neuen Hafen von dem alten, welche beide ihre Benennungen vertauscht haben – denn der älteste ist heute wieder der allein gebrauchte geworden, der sogenannte neue ohne Schiffe und versandet.
Das ganze Schauspiel war im hohen Grade aus dem Gewöhnlichen heraustretend, doch je näher wir kamen, je außerordentlicher ward die Szene, vor allem der Anblick der Flotte, dieses kolossalen Werkes von nur acht Jahren in der Hand eines schöpferischen Genius. Wir befanden uns im Anfang des Bairam und zehn Linienschiffe, jedes von mehr als hundert Kanonen, sechs Fregatten über fünfzig und einige zwanzig Korvetten und Briggs, in langen Reihen aufgestellt und mit unzähligen Flaggen der verschiedensten Farben vom Gipfel der Maste bis zum Verdeck herab bedeckt, boten ein Festgepränge von seltner Pracht. Kaum aber hatte der Pilot uns durch den seichten Eingang hindurchgeführt, als von allen Forts und von allen Schiffen ein Feuer begann, das den vollständigsten Begriff einer Seeschlacht gab. In wenigen Sekunden verschwanden die Paläste, die Schiffe, das Meer selbst vor unsern Augen, und nichts als ein wirbelnder Rauch erfüllte die Atmosphäre, nichts blieb sichtbar als die roten Blitze der Feuerschlünde, nichts hörbar als ihr betäubender Donner, rechts und links und vor und hinter uns, als habe ganz Alexandrien sich in einen feuerspeienden Vulkan verwandelt. Der Geist des Mannes, der hier waltet, schien auf den Wassern zu schweben, um sich in aller seiner Macht und Größe kundzutun. Es war ein erhebendes Gefühl, ein herrlicher Empfang an der Grenze des geheimnisvollen Reiches, des Landes alter und neuer Wunder, das endlich vor mir lag, und ich dankte tief ergriffen meinem Stern, der mich nach manchem Sträuben, nach mancher mir in den Weg geworfenen Gefahr zuletzt dennoch glücklich hergeführt.
5. Ich beziehe mich, die Orthographie der arabischen Worte betreffend, auf Semilasso in Afrika. Ich schreibe sie nicht arabisch, sondern nach dem Klange, für Ohren und Augen der Deutschen.
Wir hatten kaum geankert, als man mir schon den Besuch des Major-Generals der Flotte, Besson Bey, ankündigte, der, durch den Seraskier Kandias von meiner Ankunft unterrichtet, mit großer Zuvorkommenheit mir eine Wohnung in seinem Hotel auf dem neuen Ibrahimsplatze anbot und mir zugleich ankündigte, daß seine Equipage mich, sobald ich bereit sein würde, am Ufer erwarte.
Dieser hoch von Mehemed Ali geehrte Franzose, die eigentliche Seele der hiesigen Marine, ist derselbe ehemalige französische Kapitän Besson, welcher Napoleon in Rochefort anbot, ihn nach Amerika zu führen, und als der Kaiser, trotz allem Flehen Bessons, bei dem für ihn so schicksalsschweren Entschluß verblieb, sich dem Edelmut der Engländer anzuvertrauen! noch einen Tag vor dem Kaiser allein absegelte und – auf seiner ganzen Fahrt keinem einzigen feindlichen Schiffe begegnete!
Ich bat nur um einige Zeit, das Chaos meiner Sachen auf dem Schiff zu ordnen, und als ich nach einer halben Stunde am neuen Quai ans Land stieg (ohne irgendeine Belästigung der dienstbeflissenen Popülace zu empfinden, wie sie zum Beispiel in Algier und mehreren andern Hafenstädten so peinlich wird), fand ich bereits einen eleganten englischen Wagen mit zwei arabischen Pferden bespannt und mehrere riesige Kamele zum Transport meiner Effekten vor. Sehr zufrieden, wieder festen Boden unter mir zu fühlen, sprang ich eilig in die Britschka und rollte im raschen Trabe durch die engen Gassen des noch türkisch gebliebenen Teiles der Stadt, mit seinem ebenso bunten als schmutzigen Gewühl, seinen roten, weißen und grünen Soldaten mit blitzendem Gewehr und – wie H. v. Prokesch so treffend sagt – seinen orientalischen Schichten von Gestank und Wohlgerüchen. So gelangte ich bis zum Frankenquartier, dessen nettes, reinliches Ansehn und seine ganz im europäischen Stil erbauten Paläste jede Stadt unseres zivilisierteren Weltteils zieren würden, obgleich ein Teil des Bodens, auf dem sie stehen, erst kürzlich dem Meere abgewonnen wurde. Hier wohnen auch sämtliche fremde Konsuln, deren des Bairams wegen aufgezogne ungeheure Flaggen den festlichen Anblick des Ganzen um so mehr erhöhten, da nach allen diesen Fahnen, die an hohen Mastbäumen auf den obersten Terrassen der Häuser wehen, leichte Wendeltreppen, gleich Schneckentürmen, bis an die höchste Spitze der Masten hinaufführen.
Der liebenswürdige General empfing mich an der Pforte seines Hotels, wies mir eine reich möblierte, weitläufige Reihe Zimmer im ersten Stockwerk an, machte mich dort mit Herrn Roquerbes, dem preußischen Konsul, bekannt, der, wie ich vernahm, über mir in demselben Hause wohnte, und sorgte so gütig und vollständig für alle meine Bedürfnisse, daß mir auch nicht das Geringste zu wünschen übrigblieb.
Schon am andern Tage war die Antwort des Vizekönigs auf die Seiner Hoheit zugesandten Briefe angekommen, worauf Bogos Bey, der erste und vertrauteste Minister Mehemed Alis, mich mit seinem Besuche beehrte.
Bogos Bey ist ein Armenier und Christ, der als Dragoman seine Karriere begann, sich aber durch sein Talent, seine Treue und ein in hohem Grade konziliantes Benehmen gegen Hohe und Geringe die volle Gunst seines Herrn und viel Popularität bei Fremden und Einheimischen, besonders den geringeren Klassen, zu erwerben gewußt hat. Seine Erscheinung zeichnet sich durch die größte Einfachheit aus, und seine Formen, obgleich die eines Mannes von Welt, sind fast von studierter Demut, wiewohl keineswegs ohne Würde, noch selbst ohne das wohl merkbar werdende Gefühl seiner Wichtigkeit im Staat wie des hohen Einflusses, den er bei seinem Herrn genießt. Nur einmal und vor langer Zeit, sagt man, schwankte diese Gunst aus unbekannten Gründen, und Mehemed Alis Zorn ward in solchem Grade rege, daß er Bogos' heimliche Hinrichtung befahl. Der Konsul Rosetti rettete ihn auf fast abenteuerliche Weise und hielt ihn so lange verborgen, bis der Pascha, der seinen Befehl längst ausgeführt glaubte, tiefen Schmerz bezeigte, einen Mann verloren zu haben, der ihm unentbehrlich sei.
Man wagte jetzt, Mehemed Ali die Wahrheit zu entdecken, und von diesem Augenblick an hat, soviel man weiß, das Vertrauen, welches er Bogos Bey geschenkt, nie einen zweiten Stoß erlitten. Aber auch des Ministers Dankbarkeit gegen die Familie seines Retters hat sich selbst nach dessen Tode noch auf seine hinterlassenen Erben ausgedehnt und ebenfalls nie einen Augenblick gewankt.
Alle Handelsgeschäfte, aller Verkehr mit den Konsuln wie die äußere Politik werden durch Bogos Bey geleitet, und da der Vizekönig bis jetzt noch der einzige gigantische Kaufmann seines Reiches ist, auch Politik und Handel hier mehr noch und spezieller als anderswo miteinander zusammenfließen, so kann man danach den Umfang seines Wirkungskreises und seiner Geschäfte abmessen. Er ist jetzt ein Mann von einigen sechzig Jahren, mit blitzenden kleinen Augen, deren Feuer und listigen, etwas unsteten Ausdruck er sehr charakteristisch durch das stets tief herabgezogene Tuch seiner Kopfbedeckung möglichst zu mildern und zu verbergen sucht. Ohne alle Geschäftsaffektation und leicht zugänglich ist er doch von unermüdlicher Arbeitsamkeit, dabei von einer sich nie verleugnenden Affabilität gegen jedermann, ein Feind alles Luxus und aller Ostentation tief verschwiegen und gewiß der Schlauste unter den Schlauen. Über dies letztere klagt der Handelsstand, dennoch hat jeder lieber mit ihm als mit anderen Mächtigen hier zu tun, denn die List tritt wenigstens immer sanfter auf als die rohe Gewalt, wenn auch die Resultate zuletzt oft dieselben bleiben.
Ich werde wahrscheinlich häufig Gelegenheit haben, auf diesen für Ägypten so bedeutenden Mann zurückzukommen, hier möge es genügen hinzuzufügen, daß unsre erste, sehr verschiedne Gegenstände berührende Unterhaltung mein lebhaftestes Interesse erweckte, so wie die freundlichen und schmeichelhaften Worte, welche er mir von seiten Seiner Hoheit überbrachte, in der Tat ebensosehr meine Verwunderung als meine lebhafteste Dankbarkeit hervorrufen mußten. Während meines diesmaligen Aufenthaltes in Alexandrien sah ich ihn nur noch einigemal in seinem eignen Hause, aber jeder Besuch bekräftigte die vorteilhafte Meinung, die mir seine erste Erscheinung eingeflößt. Ich mußte dabei in gleichem Maße den Scharfsinn bewundern, mit dem er europäische Zustände und Politik beurteilte, als mir die sichere Gewandtheit des vollendeten Hofmanns und die Grazie der Formen an einem Manne auffielen, dem alle Art europäischer Bildung stets fern geblieben war. Endlich ist es fast Pflicht, hier meinen Dank für die völlig unverdienten Auszeichnungen auszusprechen, die mir auf Befehl des Vizekönigs durch ihn zuteil wurden. Equipagen und Reitpferde Seiner Hoheit wurden zu meiner Disposition gestellt, man sandte mir eine Ehrenwache, die ich nur mit Mühe ablehnen konnte, bei meinem Besuch der Flotte ward ich vom Admiral mit denselben Ehrenbezeigungen wie in Kandia empfangen, und jedes Verlangen, das ich nur äußerte, es mochte sein, wo es wollte, beeiferte man sich sogleich mit der größten Bereitwilligkeit zu erfüllen sowie mich alles sehen zu lassen, was ich wünschte, ohne dabei der geringsten Geheimniskrämerei Raum zu geben6.
6. Bogos Bey ist, wie bekannt, kürzlich gestorben, ein großer Verlust für den Vizekönig, denn dieser hatte wenig treuere und gewiß keinen gescheiteren Diener. Der neidische Haß der Großen wagte erst an Bogos Beys Grabe sich zu verraten. Alle Europäer haben nur Ursache, sein Andenken zu ehren, und dieses auch durch ihre Teilnahme bewiesen.
Mein erstes Geschäft nach Beseitigung der gesellschaftlichen Pflichten war natürlich, die wenigen Überreste aus alter Zeit zu besichtigen, die Alexandrien noch aufzuweisen hat. Nur weit sich zwischen dem Meer und dem See Mareotis hinerstreckende Hügelreihen von Schutt, die Jahrtausende gebildet, sind von so vielen vergangenen Herrlichkeiten und einer Stadt mit 600 000 Einwohnern übriggeblieben, welche lange als die zweite der Welt angesehen wurde und es vielleicht wieder einmal werden kann. Doch mag man in diesem Gewirr noch deutlich die Lage jener Hauptstraße erkennen, welche vom kanopäischen Tore bis zur Nekropolis, 30 Stadien lang von Ost nach West, führte. Viele Säulen, die längs derselben noch vor zehn Jahren standen, wurden seitdem niedergerissen und zum Teil beim Bau des Arsenals verwandt. Von der zweiten prachtvollen Straße, die jene erwähnte vom Tor der Sonne nach dem des Mondes durchkreuzte, ist selbst die Spur verschwunden, und nur die sogenannte Pompejussäule, die Nadeln der Kleopatra und die Katakomben verdienen einen Besuch. Sie sind sämtlich so unzähligemal beschrieben worden, daß ich sie mit wenigen Worten abfertigen kann. Ich besah sie auf einem unterhaltenden Spazierritt in Gesellschaft des Herrn Lesseps, des eleganten Konsuls Frankreichs und eines jungen Arztes, Herrn Aubert, der sich während der letzten Pest- und Choleraepochen durch seine Intrepidität und Geschicklichkeit viel Ehre hier erworben hat. Er versicherte uns, daß er den Tod der Pestkranken für einen der angenehmsten halte, denn wenig Schmerz und heitre Phantasien führten den Kranken sanft hinüber in das unbekannte Land. Übrigens verläßt die Pest Alexandrien fast nie ganz, und auch jetzt ereigneten sich stets mehrere Fälle dieser Art, obgleich die eigentliche Epidemie längst aufgehört hat. Glücklicherweise ist die Pest von allen ansteckenden Krankheiten diejenige, deren man sich durch Vorsicht am leichtesten erwehren kann; weit fürchterlicher in jeder Hinsicht erscheint ihre grausame Schwester, die Cholera.
An den Nadeln der Kleopatra (ein hyperpoetischer Name!), worunter man zwei Obelisken aus rosafarbnem Granit versteht, von denen der eine umgeworfen ist und die vereint einst vor dem Tempel Cäsars standen, fiel mir die gewaltige Wirkung der Witterung in einem so günstigen Klima auf, welche an der Ostseite des noch aufrecht stehenden Obelisken die über einen Zoll tief eingemeißelten Hieroglyphen fast ganz zerstört hatte, während die Schrift an der westlichen Seite noch wie neu erscheint. Inmitten der kahlen hohen Schutthaufen, wo sich diese Nadeln befinden, machen sie nur wenig Effekt, obgleich ihre Massen von 80 Fuß Länge aus einem Stück an sich ansehnlich genug sind. Schade, daß ihre Versetzung heutzutage zuviel Schwierigkeiten macht, um sie so leicht zu neuen Zwecken anzuwenden. Herr von Prokesch erzählt, daß der liegende Obelisk dem Könige Englands von Mehemed Ali geschenkt ward, der sich sogar erbot, ihn bis ans Meer auf seine Kosten schaffen zu lassen. Der hergesandte Ingenieur fand aber den weitern Transport zu kostspielig. Leider haben die Franzosen sich von einer gleichen Rücksicht bei dem Obelisken von Theben nicht abschrecken lassen – ich sage leider! denn dort ist eines der erhabensten und noch fast vollständigen Monumente des Altertums, der prachtvolle Tempel zu Luxor, durch die Wegnahme des einen seiner Obelisken vor dem Eingang ganz wesentlich entstellt worden, während die Versetzung der hiesigen beiden Nadeln nach Europa dort noch glänzend angewandt werden und hier nichts verderben könnte. Beide müßte man freilich nehmen, denn ein einzeln stehender Obelisk ist eine Anomalie, die bei den Ägyptern nie vorkam. Sie benutzten die Obelisken nie anders als doppelt zum Schmuck ihrer grandiosen Eingänge.
Die Säule des Pompejus, jetzt dem Diocletian zugeschrieben, gewährt von ihrer Spitze ein interessantes Belvedere auf Wüste, Meer und Stadt, und ihr an 50 Fuß hoher Schaft aus poliertem Granit von ägyptischer Arbeit ist schön, das übrige, von den Römern Hinzugefügte, barbarisch und die kahle nähere Umgebung desolat, überdies rund umher so voll Rattenlöcher, daß das schnelle Reiten wahrhaft gefährlich wird, wovon wir ein Beispiel erlebten.
Die Katakomben nebst den lächerlich so getauften «Bädern der Kleopatra», kleine Felsenkammern, die das Seewasser anfüllt und die vielleicht zum Waschen der Leichen dienten, aber gewiß keine Bäder waren, sind es kaum wert, daß man sich der Unbequemlichkeit ihrer Durchkriechung unterzieht. Sie haben viel Ähnlichkeit mit denen von Milo und wenig Ägyptisches, noch weniger etwas durch Kunstwert Ausgezeichnetes, obgleich zuweilen europäische Kleinstädter auch hier in Ekstase geraten zu müssen glauben. Dem Fellah, welcher uns mit einem Bündel Kienholz vorleuchtete, ging diese Leuchte aus, und wir mußten lange in der Dunkelheit bei erstickender Hitze verweilen, ehe er den Ausweg gefunden hatte, um eine neue Fackel zu holen. So unbedeutend nun auch die noch vorhandenen Altertümer Alexandriens über der Erde sind, so wundert es mich dennoch, daß man nicht häufigere und besonders gründlichere Nachgrabungen unter ihr in diesen unermeßlichen Schutthaufen versucht hat; besonders wenn man bedenkt, daß gerade hier zuerst die Hieroglyphenschrift in die Sprache der Eroberer übersetzt wurde, und vielleicht eine einzige gefundene doppelte Inschrift, gleich dem Steine von Rosetta, bei dem jetzigen Stande der Forschung hinlänglich wäre, die umfassendsten Resultate zu gewähren!7
7. Wie wir hören, hat Lepsius diesen großen Fund in Philae getan. Glück auf!
Da es die Zeit noch erlaubte, setzten wir unsern Weg bis zu der ganz kürzlich angelegten Eisenbahn fort, bestimmt, Steine zu den neuen Bauten am Meere zu führen. Hier arbeiteten eine große Menge Fellahs, Männer, Weiber und Kinder, deren Lohn der Vizekönig bei allen öffentlichen Arbeiten eben um einen halben Piaster erhöht hatte. Da ich in den meisten Relationen über Ägypten die kläglichsten Jeremiaden über das Elend dieser unglücklichen Klasse gelesen hatte, so war ich nicht wenig verwundert, meistens kräftige, gesund aussehende und lustige Menschen zu finden, die singend und lachend ihre Arbeit verrichteten, von den Aufsehern höchst nachsichtig behandelt wurden und selbst das Bakschis (Trinkgeld), um das sie uns ansprachen, nur im Scherz zu verlangen schienen. Ihr Ansehen war allerdings zerlumpt, aber wo sieht man es im Orient wie auch in Griechenland anders? Das Klima verlangt so wenig, und Ordnung und Reinlichkeit gehört noch nicht zu den Tugenden dieser Länder. Ich habe später diesem Gegenstand fortwährende Aufmerksamkeit geschenkt und die feste Überzeugung gewonnen, daß die hiesigen Fellahs im Vergleich mit manchen andern ihrer Kameraden in Europa, zum Beispiel den irländischen Bauern, welche doch Untertanen des erleuchtetsten Gouvernements in der zivilisierten Welt sind, oder den armen Webern im Vogtlande, von denen ich erst heute, im Jahre 1843, in den Zeitungen las, daß sie ihren täglichen Verdienst höchstens auf zwei Gröschel bringen könnten, und wenn ihre einzige Nahrung, die Kartoffeln, fehlschlugen, dem Hungertode nahe kämen – daß, sage ich, diese Fellahs sich, obgleich mancher Härte und Willkür ausgesetzt, die ich nicht ableugnen will, doch immer noch in einer Lage befinden, welche viele unsrer Proletarier oft beneiden könnten.
Die Häuser der Fellahs sind meistens kleine Hütten von an der Sonne gedörrten Lehmsteinen oder auch nur von getrocknetem Lehm aufgeführt, ohne eine andere Öffnung als die Türe. Aber diese Wohnungen sind meistens dicht und warm im Winter, immer vor leichtem Regen und Unwetter, was ohnedem so selten hier eintritt, geschützt, schattengebend im Sommer und geräumig genug für die geringen Bedürfnisse dieser Leute, während in Griechenland selbst die Wohlhabenderen unter den Landleuten selten ein Dach besitzen, das nicht Schnee und Regen durchließe, und erinnert man sich vollends der von erstickendem Rauch angefüllten Schweineställe, in denen die armen Irländer hungern und die in jenem verhältnismäßig so kalten Klima fast gar keinen Schutz gewähren, so richtet sich das Mitleid nach einer ganz andern Seite.
Die Fellahs sind arm; aber in den geringsten Dörfern Ägyptens, wo ich hinkam, fand ich fast immer Brot, Milch, Butter, Käse, Eier, Gemüse in Fülle, auch Geflügel, in den größeren selbst Schlachtfleisch, was man uns gern für einen sehr billigen Preis zum Verkauf anbot, sobald nur kein Gouvernementsbeamter dabei war, deren Raubsucht allerdings zu den Kalamitäten Ägyptens gehört – während in Griechenland häufig Zwiebeln und ein fast ungenießbares Maisbrot das einzige sind, was man sich verschaffen kann, auch die Leute selbst dort in der Regel von gleicher Kost leben müssen wie in Irland von Kartoffeln und Whiskey. Endlich hörte ich noch nie, daß ein Fellah verhungert sei, was zur Schande der Menschheit bei den irländischen Bauern notorisch schon öfters vorgekommen ist und vielleicht heute noch möglich sein mag.
Die Fellahs sind ferner höchst elend gekleidet, aber auch hier ist der Vergleich zu ihrem Vorteil, denn erstens bedürfen sie bei dem milden Klima fast gar keiner Kleidung; zweitens habe ich bis jetzt noch nicht gesehen, daß die hiesigen Weiber, gleich den irländischen Frauen und Mädchen der gemeinen Klasse, nicht einmal Lumpen genug besaßen, um ihre Blöße soweit zu bedecken, als es die Schamhaftigkeit gebietet. Im Gegenteil erblickt man die Weiber der Fellahs, wenn auch oft in zerrissenen Gewändern, doch immer wie die übrigen Morgenländerinnen bis an den Mund verhüllt, wozu sie meisten 5-6 Goldstücke, in einer Reihe vorn vom Antlitz bis auf die Brust herab aufgenäht, tragen, was ebenfalls mit der bodenlosen Armut nicht recht übereinstimmen will, von der unsre philantropischen Reisenden uns ein so abschreckendes Bild entwerfen, weil sie wohl den Strohhalm im fremden Auge, aber den Balken im eigenen nicht sehen. Ich glaube, daß mitten in Paris und London teilweise gräßlicheres Elend nachzuweisen ist, als in ganz Ägypten gefunden werden kann. Auch hörte ich nie von Selbstmorden, die bei uns so häufig sind, und die außerordentliche Abneigung der Fellahs, Soldaten zu werden, die sie zu den grausamsten Selbstverstümmlungen treibt, ist gleichfalls kein Beweis, daß sie sich in ihrem jetzigen Zustande so überschwenglich elend fühlten. Wer aber frisch aus Europa hier debarkiert und zum erstenmal das gemeine Volk in Schmutz und Lumpen gehüllt sieht, was im Orient gang und gäbe, in Europa aber nur die Livree des höchsten Elends ist, dessen Einbildungskraft wird zu leicht ergriffen, und er sieht von nun an mit gefärbter Brille, im Fall er nicht gar absichtlich falsch sehen will. Dahin gehören aber viele. Der größte Teil der europäischen Kaufmannschaft zum Beispiel, namentlich in Alexandrien, ist dem Vizekönig aufsässig, aus Brotneid, weil er als einziger Kolossalkaufmann seines Landes sie durch sein System verhindert, die unwissenden Ägypter nach Belieben im freien Handel zu bevorteilen, und dies wohl zum Teil selbst übernimmt, überdies aber die Spekulanten mit überlegner Schlauheit und Macht häufig zwingt, ihm seine eignen Waren teurer abzukaufen, als es ihnen nachher Profit bringt.