Platen: August Graf v. P.-Hallermünde, geboren zu Ansbach am 24. October 1796, † zu Syrakus am 5. December 1835, der kunstbegeistertste aller deutschen Dichter, hat im Leben wie noch Jahrzehnte nach seinem frühen Tode eine mehr von Gunst und Haß, als von sachlicher Würdigung ausgehende Beurtheilung über sich ergehen lassen müssen. Des Dichters Vater, August Philipp, stammte aus einer 1689 in den Reichsgrafenstand erhobenen alten Adelsfamilie der Insel Rügen; als Oberforstmeister des letzten Markgrafen von Ansbach vermählte er sich in zweiter Ehe 1795 mit Louise Freiin Eichler von Auritz. „In demselbigen Jahr als Uz wegstarb“, ward der Poet den „höchst würdigen Eltern“ geboren. Die Mutter, von welcher der Sohn den beharrlichen Eigenwillen geerbt zu haben scheint, war völlig in der französischen Bildung des 18. Jahrhunderts befangen, wie sie auch Zeitlebens mit ihm nur französischen Briefwechsel pflog; eine leidenschaftliche Leserin, erweckte sie auch in dem ihr jeder Zeit liebend vertrauenden Sohne gleiche Neigung. Weiße’s Kinderfreund reizte ihn früh zur dichterischen Nachahmung an und dieser kindische Dichtertrieb erstarkte, als auf die heiteren Jugendtage im elterlichen Hause die unerfreulichen Jahre militärischer Zucht folgten. Am 1. October 1806 trat P. in die erste Classe des Cadettencorps in München ein, dem er bis in den September 1810, wo er Aufnahme in das Erziehungsinstitut für königl. Edelknaben (Pagerie) fand, angehörte. Im Cadettencorps schloß er mehrere dauernde Freundschaften. Allein er fühlte sich unglücklich in der militärischen Zwangsanstalt, die alle drückenden Einrichtungen, unter denen einst Friedrich Schiller in der Karlsschule litt, kannte, ohne ähnliche Vortheile für die geistige Ausbildung zu gewähren. Dagegen konnte er in der Pagerie die Studien viel mehr nach Neigung betreiben; der Glanz der Hoffeste, an denen die Edelknaben dienend theilzunehmen hatten, erfüllte die Phantasie des heranwachsenden Knaben. Schon stand bei ihm fest, die Dichtkunst als Lebenszweck zu betreiben, während er als Beruf doch den, ihm vom Cadettencorps her eigentlich verhaßten Soldatenstand trotz mannigfacher Abmahnungen wählte. „Es sind“, schrieb er, „Motive welche nicht von dem Wesen des Soldatenstandes hergenommen sind, die mich bestimmen, sondern solche, die durchaus den Poeten betreffen – die viele Muße, die ich mir verspreche, die Hoffnung, die Welt zu sehen, der Aufenthalt in der Hauptstadt, die mir unter anderen Vortheilen besonders eine große Bibliothek bietet.“ Dagegen erschien ihm das Leben auf Universitäten verhaßt.
Am 21. März 1814 wurde P. zum Unterlieutenant im 1. Infanterieregiment „König“, das in München garnisonirte, ernannt; seine active Dienstleistung umfaßte nicht volle vier Jahre, als beurlaubt wurde er aber in den Regimentslisten bis zu seinem Tode fortgeführt, wie er durch königliche Gnade auch seinen Lieutenantsgehalt fortbezog. Hatte einst Ewald v. Kleist über der Lesung Miltons einmal die Ablösung der Wachen vergessen, so ließ sich Lieutenant Graf P., der an Selbstquälerei und Zweifelsucht wie pedantischen Neigungen eher an Heinrich v. Kleist erinnert, im Dienste mehr als eine Nachlässigkeit zu Schulden kommen, die seinen Strafbogen füllte. Schon im Frühjahr 1814 quälte ihn die Sehnsucht nach Italien. Am 17. Juli schrieb er in sein Tagebuch: „Unter andern Umständen vielleicht wäre ich ein Dichter geworden. Ich bin aber zu unvollkommen als Mensch.“ Im Gegensatze zu seinen französisch gesinnten Kameraden hatte er schon im Cadettencorps für Deutschlands Freiheit geschwärmt. Am 15. April 1815 marschirte sein Regiment gegen Frankreich, allein ehe die Reservebrigade den Rhein überschritt, war bei Belle-Alliance die Entscheidung gefallen. Statt erträumter Thaten ergab das ermüdende Herummarschiren in Frankreich nur patriotische Gedichte; unzufrieden rückte er am 12. December wieder in seiner Gamison München ein. Wenigstens hatte ihn der unblutige Feldzug von seiner aussichtslosen Liebe zu der schönen jugendlichen Marquise Euphrasie v. Boisseson geheilt. Im Juni 1816 trat er eine Reise in die Schweiz an, die ihm Heinrich Zschokke’s Bekanntschaft und bessere Gedichte, als er sie bisher zu Stande gebracht, eintrug. Vom 19. October bis Mitte Januar weilte er im Elternhause zu Ansbach. Pläne zu einer Reise nach Persien, zur Flucht nach Amerika, wo er als Sprachmeister sein Brod verdienen will, tauchen auf. Wichtig für seine Entwickelung wurde der Aufenthalt in Schliersee vom Juni bis October 1817.
Hier entstand die „Hymne der Genien zum Säkularfest der Reformation“, die erste Arbeit, welche der ängstliche P. durch den Druck veröffentlichte (München 1817), wie auch der aus gleichem protestantischem Geiste entsprungene Schwank „Der Sieg der Gläubigen. Ein geistliches Nachspiel“, 1820 umgearbeitet und unter dem Titel „Die neuen Propheten“ zwei Jahre später in die vermischten Schriften aufgenommen. Den stets eifrig getriebenen historischen und sprachlichen Studien traten in Schliersee noch botanische zur Seite. Es war gewiß dilettantenhaft, wenn P. wähnte, ohne methodische Anleitung Naturwissenschaften treiben zu können, mehr als ihm selbst klar war, mag ihm dabei Goethe’s unerreichbares Beispiel vergeschwebt haben. Allein seinem vielfachen Umhertasten lag doch das richtige Gefühl zu Grunde, daß eine möglichst umfassende, auch auf das Kleinste achtende Ausbildung für das dichterische Auftreten, wie er es erstrebte, Vorbedingung sei. Damals in Schliersee schrieb er sich auch die „Lebensregeln“ (erst 1839 gedruckt) nieder, an deren Schlusse er, nachdem er bis dahin viel in französischer und englischer Sprache gedichtet hatte, den Grundsatz aufstellt, künftig nur der Muttersprache sich bedienen zu wollen, denn „was eine andere Sprache vor der deinigen voraus hat, was nicht in der deinigen liegt, glaube, daß dies auch nicht im Charakter der Nation liege!“ Seine litterarischen Studien wie die eigenen dichterischen Uebungen hatten bereits eine beträchtliche Ausdehnung angenommen. Auffallend dabei ist, mit welcher Vorliebe er classicistische Dichter wie Pope, Gray und französische wie Corneille, Racine, Delille, aus denen er übersetzte, und Voltaire immer wieder von Neuem vornahm. Tasso, Ariost, Cervantes, Guarini, den er besonders liebte, Camoens las er in der Ursprache neben Homer, Horaz, Xenophon, Tacitus. Horazens Oden machten bereits 1817 besonders tiefen Eindruck auf ihn, er las sie wieder und wieder und vertheidigte ihren Autor gegen diejenigen, welche Horaz nicht als Dichter, sondern nur als Nachahmer gelten lassen wollten. Als ausübender Dichter gehörte er jedoch der romantischen Richtung an. Nach dem Vorbilde von Müllner, den er in München noch bewunderte, dichtete er eine Tragödie „Der Hochzeitsgast“, daneben tauchen Konradin, nach dem Muster von Goethe’s Egmont, Pyramus und Thisbe, die Tochter Kadmus’, als Tragödienstoffe auf. Große Epen in freier oder streng gebildeten Stanzen werden wie Gustav Wasa und Odoaker in Angriff genommen oder theilweise wirklich ausgeführt, wie „Arthur von Savoyen“ und „Die Harfe Mahomets“. Elegien und Oden nach Horaz und Properz, Heroiden nach Pope, Balladen, Epigramme und didaktische Gedichte entstehen zahlreich, sogar der Plan zu einem Romane „Hinterlassene Papiere einer Nonne“ findet sich vor. Das meiste blieb unvollendet, in die späteren Sammlungen der Werke ging fast nichts von allen den Arbeiten über, die auch der Mehrzahl nach mehr den Einfluß von Platen’s Lectüre als dichterische Selbständigkeit zeigen. Allein in diesen mit unermüdlicher Hingabe betriebenen Versuchen erwarb er sich die Meisterschaft der Form. Hier hat er „nie zu träge“ die Kunst erlernt. Den Kriegsdienst im Frieden ertrug der Musenfreund nicht länger; die Gnade des Königs gewährte ihm das bereits verscherzte Pagenvorrecht einer Unterstützung auf drei Jahre, und er konnte Ostern 1818 die Universität Würzburg beziehen, um sich auf späteren Eintritt in den diplomatischen Dienst vorzubereiten. Am 25. August legte der 22jährige das nachträglich geforderte Abiturientenexamen ab. Im Herbste 1819 siedelte er nach Erlangen über, wo er mit Unterbrechungen bis zum Schlusse des Sommersemesters 1826 seine Studien fortsetzte; vgl. Engelhardt „Platen in Erlangen“ 1836 in Nr. 210–215 des Morgenblattes; G. Böhm, „Aus Platens Jugendzeit“, Münchener allg. Zeit. 1887 Nr. 268 u. 269.
In Würzburg hatte der Philosoph J. J. Wagner mehr verwirrend als fördernd auf ihn gewirkt, in Erlangen gab er sich Schelling’s glücklichem Einflusse hin. Am 19. Februar 1820 schrieb er in sein Tagebuch: „Entschluß mich fortan emsig mit den historischen und Naturwissenschaften zu beschäftigen, und meinem Trieb zur Poesie zu folgen, und lieber ein ganzer Mensch zu wetden, wenn es mir auch in Zukunft schlecht gehen sollte, als ein halber zu sein, und wär’s auch ein Gesandter. Lieber betteln als meine Individualität opfern“. In Erlangen selbst, wo er der Burschenschaft angehörte, sammelte sich ein wechselnder Freundeskreis um P., in den auf kurze Zeit auch Justus Liebig eintrat. (Carriere, Liebig und P. 1873 in Nr. 172–176 der Augsb. allg. Ztg.] Die Ferien benutzte er zu Reisen, die ihm in Bayreuth Jean Paul’s, in Ebern Rückert’s Freundschaft einbrachten, in Kassel ihn zu Jak. Grimm, in Jena zu Goethe führten. Die Rückreise von Wien führte ihn durch Böhmen und gab Anlaß, auch das Studium dieses slavischen Sprachzweiges zu beginnen, nachdem er sich die Kenntniß fast aller europäischen Sprachen bereits angeeignet. Als Frucht seiner orientalischen Studien erschienen Erlangen 1821 die „Ghaselen von August Graf v. Platen-Hallermünde“, denen er 1824 „Neue Ghaselen“ folgen ließ; Goethe inspirirte Eckermann’s rühmende Recension „Kunst und Alterthum“ IV, 3, 159, nachdem er selbst III, 3, 175 Platen’s Ghaselen als „wohlgefühlt, geistreich, dem Orient vollkommen gemäße, sinnige Gedichte“ gerühmt hatte. Das Formengebiet der deutschen Dichtkunst war durch dieses erste Auftreten Platen’s erweitert worden und die „Neuen Ghaselen“ bewiesen bereits, daß er jede Form auch mit Gehalt zu füllen wisse.
Im Herbste 1824 reiste P. zum ersten Male nach Italien; Venedig begeisterte ihn zu längerem Bleiben, die „Sonette aus Venedig“ (Erlangen 1825) geben in wunderbarer Vollendung die gewonnenen Eindrücke wieder, aber die ohne Urlaub unternommene Reise zog dem Lieutenant P. eine längere Arreststrafe in Nürnberg zu (2. Januar bis 22. März 1825). Während dieses Arrestes schrieb er seine Abhandlung „Das Theater als ein Nationalinstitut betrachtet“ und vollendete das Schauspiel „Treue um Treue“ (gedruckt 1828), das am 18. Juni in Erlangen mit großem Beifalle aufgeführt wurde; H. Brunner, über Aucassin und Nicolette, Kassel 1881; Wagner, Aucassin et Nicolete comme imitation de Floire et Blanchefleur et comme modèle de Treue um Treue, Arnstadt 1883. Schon vorher hatte er in den „Vermischten Schriften“ (Erlangen 1822) die dramatische Skizze „Marats Tod“ veröffentlicht, ein einactiges Geschichtsbild in Prosa, wie das spätere dreiactige geschichtliche Drama „Die Liga von Cambrai“ (Frankfurt 1833). Das erste Bändchen der Schauspiele (Erlangen 1824) hatte die heroische Comödie „Der gläserne Pantoffel“ und die Comödie „Berengar“ gebracht; dem ersteren Werke entspricht das Lustspiel „Der Schatz des Rhampsinit“ (1824), dem letzteren „Der Thurm mit sieben Pforten“, beide in den „Schauspielen“ (Stuttgart 1828).
Berengar und der Thurm nähern sich durch ihren Stoff dem Schwanke, durch die ebenso anmuthige wie würdige Behandlung werden jedoch beide in eine höhere Sphäre gehoben. Treue um Treue, Pantoffel und Schatz zeigen den Dichter als Romantiker. Das Schauspiel sucht die nach J. Grimms Urtheil schönste aller altfranzösischen Dichtungen in ritterlichem Geiste vorzuführen, das beste Fouqué’scher Dichtung erscheint hier in idealer Steigerung; das Vorbild der Tieck’schen Comödie hat auf Pantoffel und Schatz eingewirkt. Die romantische Ironie herrscht vor und die Verquickung der Märchen von Aschenbrödel und Dornröschen zu einem, im Ganzen komisch behandelten Drama erscheint wenig lobenswerth trotz alles lyrischen Glanzes, den eine wirklich poetische Diction über das Ganze verbreitet. Das Herodot’sche Märchen hat durch die romantische Dramatisirung weniger als die deutschen eingebüßt. Als Vorstufe späterer Arbeiten erscheint in beiden Comödien die nach Tieck’s Muster geübte litterarische Satire bemerkenswerth. Goethe (Gespräche mit Eckermann I, 99) sah in den beiden Märchendramen den Einfluß Calderons, den P. allerdings in Würzburg und Erlangen eifrig studirte und tadelte den Mangel an innerer Fülle.
P. selbst erklärte im Frühjahre 1826 alles, was er bis dahin geschrieben, für Pfuschereien. Das Meisterstück, welches ihn in die Zunft der Unsterblichen einführen sollte, glaubte er in dem Lustspiel „Die verhängnißvolle Gabel“ (Stuttgart 1826) zu liefern. Dieser ersten großen Litteraturcomödie folgte einige Jahre später aus Italien die zweite, noch vollendetere „Der romantische Oedipus“ (Stuttgart 1829). P. selbst wußte recht wohl, daß ein Wettstreit mit Aristophanes sich nicht bloß auf das litterarische Gebiet beschränken dürfe. Nicht sein Wille, sondern die erbärmlichen deutschen Verhältnisse zwangen ihn, das politische Gebiet zu meiden oder doch nur flüchtig zu streifen. Hatte sich doch auch Rückert genöthigt gesehen, seine politische Komödie Napoleon unvollendet zu lassen. Litterarhistorisch erscheint P. als Nachahmer von Aristophanes; Tieck hatte diese Nachahmung unter Beiseitesetzung aller Form begonnen, Rückert weiterzubilden gesucht, P. als der erste schuf Kunstwerke, in der Form den besten hellenischen ebenwerthig, dem Geiste des Aristophanes verwandt und doch selbstständig. Die falschen litterarischen Tendenzen bekämpfte er als gefährliche Feinde einer gesunden Entwickelung unseres Volkes; die Vernichtung der unsittlichen Schicksalstragödie war nicht nur eine große ästhetische, sondern auch eine ethische That. Immermann freilich hat nach seinem Wollen und Wirken die Verurtheilung als Nimmermann nicht verdient; sein edles Streben hätte ihn eigentlich mit P. verbinden müssen (vgl. Bd. 159 in Kürschner’s „deutscher Nationallitteratur“, Stuttgart 1887), allein seine unnatürlich zu nennende Verbindung mit Heine mußte den Dichter des gewaltigen Merlin P. in ganz falschem Lichte erscheinen lassen. Ungerechtfertigt, ja frivol hatte Immermann einen Angriff auf P. begonnen, den dieser viel mehr sachlich als persönlich erwiderte. Der Verehrer von Goethes Iphigenie und Pandora und der Griechen bekämpfte in Immermann die überlebte falsche Romantik. Gesunde Elemente der Romantik hat P. selbst in Gedichten und Balladen, wie in seinen orientalischen Dichtungen Ghaselen, Hafisübersetzung, Abbasiden) aufgenommen. Es ist eine durchaus falsche Vorstellung, wenn man P. in seiner letzten Lebensperiode als einseitigen Verehrer der Antike darstellt. „Die Abbasiden“ (im Taschenbuche „Vesta“ für 1834), seine „Odyssee“, sind durch ihren Stoff romantisch. Seine Ilias sollte das große Epos „Die Hohenstaufen“ in der Nibelungenstrophe behandeln, also Stoff und Form romantisch, und dem Romantiker auf dem Throne, Friedrich Wilhelm IV. (damals, 1829, noch Kronprinz) sollte das Werk gewidmet werden. Wie Goethe zu gleicher Zeit an Tell und die Achilleis gedacht hatte, so schloß auch bei P. in seiner reifsten Zeit die classische Richtung keineswegs die Pflege romantischer Stoffe und Formen aus.
Am 3. September 1826 verließ er Erlangen, um, wie er wohl schon damals entschlossen war, dauernden Aufenthalt im Süden zu nehmen. Kaum auf italienischem Boden angelangt, begann er in Florenz seine Odendichtung, die er in Rom fortsetzte; daneben arbeitete er an Tragödien (Meleager, Tristan und Isolde). Im April 1827 ging er nach Neapel, wo ihn der Freundschaftsbund mit August Kopisch (s. A. D. B. XVI, 660) beglückte. Vom 23. November 1828 bis 28. April 1829 weilte er wieder in Rom. Den Antrag, eine Theaterzeitung in Berlin herauszugeben, lehnte er selbstverständlich ab, obwohl König Ludwig I. von Baiern den Dichter weniger, als dieser nach des Königs Brief vom Juni 1827 hätte erwarten dürfen, unterstützte. Am 12. September 1828 wurde er auf Schelling’s Betreiben zum außerordentlichen Mitgliede der königl. Akademie der Wissenschaften ernannt. Allein erst am 30. August 1832 kehrte er selbst, durch den Tod seines Vaters genöthigt, nach München zurück, nachdem er Italien nach allen Richtungen durchstreift hatte. Einzelne seiner Oden, Epigramme und Balladen waren im Morgenblatt, dem Taschenbuch für Damen und im deutschen Musenalmanach erschienen; eine mit peinlichster Sorgfalt getroffene Auswahl stellte er in dem Band „Gedichte“ (Stuttgart 1828, 2. Aufl. 1834) zusammen. Am 1. April 1833 war er wieder in Venedig, kehrte aber im Herbste nochmals nach München zurück, um im Frühjahr 1834 Deutschland für immer zu verlassen. Wieder ging er nach Neapel; es entstanden die 10 Hymnen, welche er selbst als das Beste, wie die Sonette für das Seelenvollste seiner lyrischen Sachen bezeichnete. Immer mehr traten die historischen Studien für ihn in erste Reihe. Sallust als Muster vor Augen hatte er die „Geschichten des Königreichs Neapel von 1414 bis 1443“ ausgearbeitet (Frankfurt 1833); eine Studie über den „Ursprung der Carraresen und ihrer Herrschaft in Padua“ ward begonnen. Mit der höchsten Vollendung der Prosa verband sich hier gründlichstes Quellenstudium. Schon hatte er in der „Liga von Cambrai“ versucht, ein Idealbild aus der venetianischen Geschichte zu skizziren; seinen folgenden Dichtungen wollte er historische Stoffe zu Grunde legen, denn lebhaft regte sich sein patriotisch-historischer Sinn. Er erkannte in Preußen den Hort Deutschlands und zürnte sehen zu müssen, wie wenig man dort der großen historischen Aufgabe Verständniß entgegenbrachte. Von dem barbarischen Russenthume aber sah er die Gefahr für Deutschland drohen; in diesem Sinne schrieb er den von der Censur unterdrückten „Briefwechsel zwischen einem Berliner und einem Deutschen“, seine Polenlieder, das zum Sprichwort gewordene Gedicht „Der Rubel auf Reisen“. In Piemont wurden ihm seine eigenen Gedichte confiscirt; den von dort ausgehenden Aufschwung seines geliebten Italiens sollte er nicht mehr erleben. Am 6. December 1835 wurde der edle deutsche Dichter, dem das undankbare Vaterland Henri Heine’s Frivolitäten vorgezogen hatte, in Syrakus begraben.
Die erste Ausgabe der gesammelten Werke (Stuttgart 1839) in einem Quartbande besorgte des Dichters treuer Freund Graf Fugger; Goedeke lieferte die Biographie. Die einzige zuverlässige und am meisten enthaltende Ausgabe ist die von Karl Redlich in 3 Bänden mit Biographie in der Hempel’schen Classikersammlung herausgegebene, besonders werthvoll auch durch die „chronologische Uebersicht“. Aus dem umfangreichen dichterischen Nachlasse, den die Münchener Hof- und Staatsbibliothek verwahrt, hat auch Redlich nur weniges neu aufgenommen. Das von Engelhardt und Pfeufer herausgegebene Fragment „Platen’s Tagebuch 1796–1825“ (Stuttgart 1860) ist ein willkürlicher, vollständig principienlos hergestellter Auszug aus den 18, Platen’s ganzes Leben umfassenden Bänden der Platen’schen Tagebücher; kaum ein Satz ist unverändert wiedergegeben. Stehen der vollständigen Veröffentlichung dieser Tagebücher auch unüberwindbare Hindernisse entgegen, so wäre doch eine theilweise Erschließung derselben durch einen pietätvollen Verehrer Platen’s dringend zu wünschen. P. hat von Jugend an Rousseau’s Confessions bewundert; in seinen Tagebüchern haben wir ein Werk, das an Eigenart, an allgemein litterarischem wie an psychologischem Interesse den berühmten Confessions nicht nachsteht.
Platen’s formale Vorzüge werden allgemein bewundert; vgl. Jak. Grimm’s Urtheil („Briefe an hessische Freunde“, Marburg 1886). Die sorgsamere Pflege von Vers und Reim in der deutschen Dichtung ist von ihm ausgegangen. Seine Zucht und Schule haben viele, vor allen E. Geibel (Werke I, 96, 116, 217; III, 69; V, 67) dankbar anerkannt. Antike Formen, Trimeter und Anapäste, Oden und Disticha, vor allem Pindarische Hymnen hat kein Deutscher in ähnlicher Vollkommenheit wie er gedichtet; in orientalischen Formen hat Rückert ihn erreicht, für das Sonett ist er der unbestritten erste Meister. Der Vorwurf der Marmorglätte und Künstelei ist kein gerechter; P. hat nie der Form einen absoluten Werth zuerkannt, im Gegentheil ihre Vollendung für die höchste Selbstverleugnung des Künstlers erklärt (Aphorismen 11–19). Der deutschen Modelitteratur gegenüber hatte er das durchaus gerechtfertigte Selbstbewußtsein seiner historischen Mission; die Gegner suchten ihn als Aristokraten verhaßt zu machen. Er „freute sich seines Adels, weil er dessen Vorurtheile eher verachten konnte, ohne für neidisch und gemein gehalten zu werden“. Der edle Sinn, der diesen Ausspruch kennzeichnet, verleugnet sich nirgends in seinem ganzen Leben. Er war tief religiös, aber eben ein ganz antiker Mensch wie Winkelmann. Auch P. zog „aus der bildenden Kunst die größten Belehrungen“. Durch die Macht seines Genius die Bildung eines Jahrhunderts zu fördern und ihm seinen Stempel aufzudrücken wie Goethe, die alles ergreifenden Ideen einer neuen Zeit zum Gemeingut Aller zu machen wie Schiller, große ästhetische wie religiöse Reformen herbeizuführen wie Lessing, war P. nicht beschieden. Der deutschen Dichtkunst aber höhere Vollendung zu geben, als die Classiker selbst gethan, das Falsche in seiner Nichtigkeit enthüllend, die ewig wahren Ziele der Kunst aufzuweisen, tiefe Ideen würdig auszudrücken, das war eben ihm wie vielleicht keinem andern beschieden. Maßvoll und edel, schönheitstrunken und klarblickend rühmen wir ihn als einen unserer besten, dem die deutsche Litteratur und Bildung mehr verdankt, als es auf den ersten Blick scheint, obwohl er fast im Beginne seiner dichterischen Reise uns entrissen ward.
Die Hauptquelle für Platen’s Kenntniß bildet neben Redlich’s Ausgabe das ungedruckte Tagebuch. – Seine kurze Selbstbiographie Redlich III, 269. – Briefwechsel zwischen A. Graf v. Platen und Johannes Minckwitz nebst einem Anhang von (wichtigen) Briefen Platen’s an Gustav Schwab, Leipzig 1836. – Weitere Briefe im Octoberheft der deutschen Revue 1884. – L. Böhme, Zur Würdigung Platen’s, Annaberg 1879. – K. Strackerjan, Wilhelm Müller und Aug. Graf v. Platen, Oldenburg 1884. – Goethe’s Brief an Platen, Goethejahrbuch I, 270; vgl. VI, 201. – H. Welti, Geschichte des Sonetts in der deutschen Dichtung, Leipzig 1884. – Fernere Litteratur und ausführliche Biographie Goedeke III¹, 554–572.
Andre mögen Andre loben,
Mir behagt dein reich Gewand;
Durch sein eigen Lied erhoben
Pflückt dich eines Dichters Hand.
In des Regenbogens sieben
Farben wardst du eingeweiht,
Und wir sehen was wir lieben
An dir zu derselben Zeit.
Als mit ihrem Zauberstabe
Flora dich entstehen ließ,
Einte sie des Duftes Gabe
Deinem hellen bunten Vließ;
Doch die Blumen all’, die frohen
Standen nun voll Kummer da,
Als die Erde deinen hohen
Doppelzauber werden sah.
Göttin! o zerstör’ uns wieder,
Denn wer blickt uns nur noch an?
Sprach die Rose, sprach der Flieder,
Sprach der niedre Thymian.
Flora kam, um auszusaugen
Deinen Blättern ihren Duft:
Du erfreu’st, sie sagt’s, die Augen,
Sie erfreu’n die trunkne Luft.
Wer wüßte je das Leben recht zu fassen,
Wer hat die Hälfte nicht davon verloren
Im Traum, im Fieber, im Gespräch mit Thoren,
In Liebesqual, im leeren Zeitverprassen?
Ja, der sogar, der ruhig und gelassen,
Mit dem Bewußtseyn, was er soll, geboren,
Frühzeitig einen Lebensgang erkoren,
Muss vor des Lebens Widerspruch erblassen.
Denn Jeder hofft doch, daß das Glück ihm lache,
Allein das Glück, wenn’s wirklich kommt, ertragen,
Ist keines Menschen, wäre Gottes Sache.
Auch kommt es nie, wir wünschen blos und wagen:
Dem Schläfer fällt es nimmermehr vom Dache,
Und auch der Läufer wird es nicht erjagen.
Das berühmte Chalifengeschlecht der Abbasiden[1], das seinen Namen von dem Ahnherrn Abbas trägt, herrschte zu Bagdad, der prächtigen, in Mesopotamien an den Ufern des Tigris gelegenen Hauptstadt, über die Anhänger Mohammeds, die Welt der „Gläubigen“, mehr als fünfhundert Jahre (750–1258). Ihr glänzendster Vertreter ist Chalif Harun al Raschid[2], d. h. „der Gerechte“ (786–809), unter dessen Regierung das gewaltige Reich auch in Kunst und Wissenschaft zu hoher Blüte gedieh. Noch heute erfreut er sich Weltruhms als Held zahlreicher Geschichten in „Tausendundeiner Nacht“, der berühmten, im 15. Jahrhundert verfaßten arabischen Rahmenerzählung, in welcher das kluge Mädchen Schehersad durch immer neue spannende Märchen den grimmigen Sultan von seiner schlechten Gewohnheit abbringt, die Geliebte, bei der er einmal geruht hat, jeweils töten zu lassen.
Aus dieser Sammlung, die Platen bereits 1822 im Verfolg seiner orientalischen Studien „außerordentlich angezogen hatte“ („Tagebuch“, S. 231), wählte er teils ganze Novellen, teils einzelne Züge, um daraus das wundervolle Märchenbild der „Abbassiden“ zusammenzustellen. So entlehnte er die Geschichte vom Zauberpferd der gleichnamigen Erzählung[3], Assads und Amins Erlebnisse in der Magierstadt entnahm er der „Geschichte Nureddins mit Enis Aldjelis“[4], aus „Sindbads Reisen“ wählte er die Episode vom Walfisch, dessen breiter Rücken für eine Insel gehalten wird, das Motiv vom Vogel Rock und dem Diamantthal, die Rettung auf ein Eiland durch Ergreifen eines ins Meer ragenden Baumastes.[5]
Platen begann die „Abbassiden“ Ende 1828 in Siena während seiner Arbeit an dem größern Epos „Die Hohenstaufen“; er berichtet am 19. Dezember 1828 an Fugger: „Während ich über den Hohenstaufen brüte, schreibe ich einstweilen ein komisches oder ariostisches Epos, wozu ich den Stoff aus ‚Tausendundeiner Nacht‛ nehme.“ Es sollte ursprünglich 10 Gesänge umfassen und den Titel „Assur und Assad“ führen. Viel Schwierigkeit bereitete es dem Dichter, die rechte Form zu finden. Er begann mit Stanzen, ging dann zu Hexametern über, versuchte es auch einmal mit der Nibelungenstrophe, kehrte zum Hexameter zurück und gelangte erst spät, im April 1830, zu dem endgültigen Entschluß, ein „Gewand“ zu wählen:
„Ganz schlicht und einfach und bequem zu fassen,
Das kaum verhüllt den Stoff in keusche Massen.“
(S. 231[6].) Er schreibt an Fugger (Rom, den 16. April 1830, „Nachlaß“ II, 198): „Die dummen Leute sollen sehen, daß ich meine Verskunst nicht nötig habe, um etwas Gutes zu schreiben, ja, wie ich glaube, etwas weit Besseres, als ich bisher geschrieben habe.“ Die Verse sind fünffüßige Trochäen, in denen die epischen Volkslieder der Serben abgefaßt sind, und die auch Goethe im Klagesang der Frauen des Asan Aga angewendet hat.[7] Indem der Dichter mit den Trochäen Daktylen und Spondeen wechseln läßt, vermag er den Klang reicher zu modulieren; z. B. S. 249:
„Ihm beflügelte rasch der Gefühle Chaos
Seines Herzens lauten Schlag;“
oder S. 297:
„Die Beute
Doppelter Drangsal wählt der hoffende Jüngling
Schmerzensvolleren, aber ungewissern
Untergang.“
und zahlreiche andere Stellen. − Am 16. Januar 1830 berichtet Platen aus Rom den Frizzoni, seinen Freunden: „Im ersten Feuer habe ich bereits sechs Gesänge geschrieben“ („Nachlaß“ II, 190 f.), und von der gleichen Anzahl gibt er Fugger Kunde (Rom, 6. Februar 1830, „Nachlaß“ II, 194) mit dem Zusatze: „Ich denke in jedem Fall im Frühling oder im Sommer die noch fehlenden vier Gesänge hinzuzufügen und das Werk dann im Spätjahr herauszugeben.“ Aber am 6. Juli sind es immer nur erst sechs Gesänge, die er, wie er den Eltern aus Sorrent schreibt, bei Bunsen vorgelesen habe. Erst am Ende des Jahres, am 12. Dezember, teilt er seinen lieben Frizzoni aus Neapel die gute Nachricht mit, daß „das kleine Epos vollendet ist“.[8] Er fügt hinzu: „Was jedoch die Bekanntmachung desselben betrifft, so wird sie noch großen Verzögerungen unterliegen, da ich mit Cotta nicht ins reine kommen kann.“
In der That ließ die Veröffentlichung noch lange auf sich warten. Der Grund liegt in Platens Worten, die er wieder an die Frizzoni (Neapel, 19. April 1831, „Nachlaß“ II, 220 f.) richtet: „‚Die Abbassiden‛ für ein lumpiges Honorar abzugeben, wäre unklug; weil ich nicht einsehe, warum ich der einzige sein soll, der so schlecht honoriert wird, und weil ich zum Teil von dem Ertrag meiner Arbeiten leben muß, denn was ich sonst noch habe, reicht keineswegs aus.“[9] Ein Dr. Rost, ferner der Historiker Ranke und der Bonner Jurist Böcking bemühten sich vergeblich um einen Verleger. Erst 1833 gelang es ihm, durch Vermittelung eines gewissen Huber, „der ihn in München 1832 besuchte, dann später ein Gedicht schickte“ („Nachlaß“ II, 345), das Epos in dem zu Wien erscheinenden Almanach „Vesta“ aufgenommen zu sehen. Die selbständige Ausgabe erschien nach vielen, zum Teil vergeblichen Verhandlungen, z. B. mit Sauerländer in Frankfurt a. M., erst 1835 bei Cotta und war im November vollendet, aber Platen schied aus dem Leben, ehe er ein fertiges Exemplar zu Gesicht bekam.
Wie sehr das Gedicht feinfühlende Zeitgenossen zu packen vermochte, lehrt eine schöne Charakteristik desselben durch Gündel, der an Platen nach Durchlesung des Epos schrieb („Nachlaß“ II, 373): „Ich fand mich sogleich von der Schönheit des Gedichtes angezogen und ununterbrochen bis ans Ende festgehalten, wo das kunstreiche In- und Durcheinander jener lieblichen Schöpfungen so befriedigend sich abschließt. Es fühlt sich die Phantasie, ohne alle Ermüdung, mannigfach bereichert. Die verschiedenen Märchen gestalten sich, indem sie auseinander sich entwickeln, sich wieder ineinander verschränken und, obgleich selbständig ein jedes für sich, zum gemeinsamen Ziele gelangen, zu dem schönsten Ganzen; und so erscheint Ihr Gedicht, in dem Gebiete der Märchenwelt, ein entzückendes Familienepos, bei dessen Behandlung sich auf die sinnigste Weise griechische Kunst mit morgenländischer Art und Sitte verschwistert hat. Doch wird die Phantasie nicht bloß ergötzt, unser Gemüt sieht sich in gleichem Maße durch den innern Gehalt des Gedichtes gerührt und erhoben. Es weht durch das Ganze die zarteste Sittlichkeit; das Ingredienz des Bösen ist nur insoweit vorhanden, als es zur Verklärung des Schönen wirkt.“
Gegenüber dieser liebevollen, nicht unverdienten Charakteristik sei indes auch des nicht minder gerechten Vorwurfs gedacht, den ein Rezensent der „Blätter für litterarische Unterhaltung“[10] dem Dichter macht: daß er nämlich zu sehr in weite Fernen schweife und übersehe, daß die Poesie das Leben der Gegenwart schildern und gestalten solle.
Böswillig müssen freilich karikierende Angriffe erscheinen, wie sie der Dichter in den „Epigrammen“ (Bd. I, S. 274) gegenüber einem Kritiker zurückweist, von dem Platen den Frizzoni aus München am 15. Januar 1834 („Nachlaß“ II, 288) schreibt: „Der Rezensent sagt, durch das ganze Werk herrsche eine aalglatte Kälte, und die Charaktere seien wie hölzerne Hofschranzen, die sich umeinander herumbewegten. Es sei, fügt er hinzu, in Deutschland allgemein bekannt, daß ich durch äußere Glätte den gänzlichen Mangel an Gehalt zu verstecken suche.“[11]
1. ↑ Platen schreibt weniger richtig „Abbassiden“; in der Ausgabe der „Werke“ von 1839 setzten die Herausgeber gänzlich falsch „Abassiden“, und diese Schreibung erbte in allen späteren Drucken bis zu dem textgeschichtlich epochemachenden von 1877 fort, welcher die von dem Dichter gewählte Orthographie wieder einführte.
2. ↑ Über ihn vgl. G. Weil, „Geschichte der Chalifen“, Bd. II, S. 126–172 (Mannheim 1848), und besonders A. v. Kremer, „Kulturgeschichte des Orients unter den Chalifen“, Bd. II, S. 61 ff. (Wien 1877).
3. ↑ „Tausendundeine Nacht.“ Übersetzt von G. Weil. 3. Aufl., 2. Abdr., Stuttgart 1872, Bd. I, S. 338–354.
4. ↑ A. a. O., Bd. I, S. 324 ff., 332–338.
5. ↑ A. a. O., Bd. I, S. 357, 363 f., 358.
6. ↑ Vgl. Platen an Minckwitz (Neapel, 28. August 1835, Nachlaß VII, 416): „Diejenigen, die das einfache Versmaß der ‚Abbassiden‛ tadeln, verweise ich auf den Prolog, wo ich mich ausdrücklich darüber ausgesprochen.“
7. ↑ Vgl. über das Versmaß Putz in Schnorrs „Archiv für Litteraturgeschichte“, Bd. 10, S. 534 f. (Leipzig 1881).
8. ↑ Vgl. Platen an Bunsen vom 25. Dezember 1830 in F. Nippold, „Ch. K. J. Freiherrn von Bunsen“, Bd. I, S. 365 (Leipzig 1868): „Was das morgenländische Gedicht betrifft, so ist es seit dem 19. dieses fix und fertig. Ich habe die drei letzten Gesänge in sieben Tagen geschrieben und also die fast jahrelange Pause hinlänglich eingebracht. Es thut mir leid, daß ich Ihnen damals den Brouillon der sechs ersten Gesänge vorgelesen, da das Gedicht eigentlich bloß als Ganzes Effekt macht, und erst am Schlusse sich zeigt, wie die zerstreut scheinenden Märchen durch eine Art verbunden sind, wodurch eins das andere bedingt.“
9. ↑ Über die weiteren Schicksale von der Drucklegung vgl. „Nachlaß“ II, 224, 225, 227, 236, 245, 251, 255, 262, 275, 281, 282 f., 285 f., 345.
10. ↑ 1835, Nr. 322, S. 1328.
11. ↑ Eine lebhaft anerkennende Kritik vergleiche dagegen in Gersdorfs „Repertorium der gesamten Litteratur“, Bd. 6, S. 91 (Leipzig 1835).
Ich möchte wieder wie ein junger Schwärmer
Auf meinem Pegasus ein bischen reiten,
Doch da die Zeit betrübter wird und ärmer,
So möcht’ ich fliehn in fabelhafte Zeiten:
Ich, der ich ehedem, an Jugend wärmer,
Herunterstieg in spröde Wirklichkeiten,
Und mit dem Unverstand begann zu turnen,
Der stelzenhaft gespreizt sich auf Cothurnen.
Ihr wendet weg von jenem Volk der Zwitter
Die müden Augen, und ich muß es preisen,
Und will, da Viele mich verschrien als bitter,
Euch meine Süßigkeit einmal beweisen:
Die Sonne bring’ ich nach dem Ungewitter,
Einladend euch, mit mir ein Stück zu reisen,
Ein Märchen aus dem Orient zu lesen,
Der meiner Jugend schon so lieb gewesen!
Und weil mir vorgeworfen ward, es wäre
Mein Vers zu gut für eure blöden Ohren,
Und allzukunstreich meine ganze Sphäre,
Weil euch der Wein behagt unausgegohren,
Den sonst ich gern wohl durch Gedanken kläre,
So hab’ ich dießmal ein Gewand erkohren,
Ganz schlicht und einfach und bequem zu fassen,
Das kaum verhüllt den Stoff in keusche Massen.
Auch mir zuweilen macht’s ein bischen Galle,
Daß ich so wenig noch gethan auf Erden,
Und wenn ich euch im Ganzen nicht gefalle,
So führ’ ich deßhalb keineswegs Beschwerden;
Doch wünscht’ ich manchmal, wie die Andern alle,
Zu euern Klassikern gezählt zu werden:
Die Ehre freilich ist ein bischen mager,
Denn wer in’s Horn bläst, heißt sogleich ein Schwager.
Drum hab’ ich euch dieß neue Lied gesponnen,
Das weder Zeit mir noch Kritik verheere;
Es ist, wofern mir unter wärmern Sonnen
Gereift ein Lorbeer, seine reifste Beere:
Im alten Siena hab’ ich’s ausgesonnen,
Und dann mit mir geschleppt an beide Meere,
Und schlepp’ ich’s weiter, bitt’ ich nicht zu staunen,
Denn häufig wechseln meine Reiselaunen.
Und weil so Mancherlei den Geist verführet,
So wechsl’ ich Aufenthalte gern und Ziele,
Und unter Welschlands Firmament gebühret
Ein bischen Trägheit, das bezeugen Viele:
Ich habe mehr gedacht als ausgeführet,
Und hätt’ ich alle jene Trauerspiele,
Zu denen ich den Plan gemacht, geschrieben,
Ich wäre nicht so unberühmt geblieben!
Nie kann der Mensch, wie viel er auch vollende,
Wie kühn er sei, sich zeigen als ein Ganzes,
Und was er ausführt, gleicht es nicht am Ende
Zerstreuten Blumen eines großen Kranzes?
Drum Heil den Dichtern, deren reicher Spende
Deutschland verdankt den Gipfel seines Glanzes,
Die nie mit Denken ihre Zeit verputzen,
Und statt des Geistes bloß die Federn nutzen!
Und will Begeistrung ihnen nicht erscheinen:
So hilft die Moccafrucht, so hilft die Rebe:
Vom Trunk erhitzt und auf gelähmten Beinen
Hält sich der deutsche Pindus in der Schwebe;
Ich zähle mich hingegen zu den kleinen
Poeten, der ich mäßig bin, und gebe
Mich ganz und gar für einen schlechten Prasser:
Auch misch’ ich täglich meinen Wein mit Wasser.
Drum konnt’ ich wenig eure Gunst gewinnen,
Entzünde nicht, da selbst ich nicht entzündet,
Da meine Musen, als Begleiterinnen
Des Wahren, nie dem Pöbel sich verbündet.
Es war ein allzu jugendlich Beginnen,
Daß ich, wie Joseph, meinen Traum verkündet;
Draus hat sich mir der Brüder Neid entsponnen,
Die gern mich würfen in den tiefsten Bronnen.
Doch bis hieher zu weit entferntem Strande
Kann Lieb’ und Haß den Dichter nicht beschreien!
Hier mag er weilen, unzerstreut vom Tande,
Vom bunten Wirrwarr deutscher Klatschereien;
Er konnte hier, in einem Zauberlande,
Die bange Brust von jedem Schmerz befreien:
Es steht bei dir, ihm vorzuziehn Lappalien,
Du nordisch Volk, ihn aber schützt Italien!
Deutschland verehrt zu vielerlei Pagoden,
Und Einer stets bekämpft des Andern Meinung:
Dieß trübe Chaos tausendfacher Moden,
In welchem Punkte fänd’ es je Vereinung?
Der Dichter steht auf einem solchen Boden
Gleich einer fremden sonderbar’n Erscheinung:
Er hört das wilde Heer von ferne wüten,
Erschrickt und flieht, und birgt sich unter Blüten.
Hier kann er froh sein und des Tags genießen,
Dort müßt’ er frieren, Buße thun und darben;
Hier kann Gesang am reinsten sich ergießen,
Denn welche Dichter lebten hier und starben!
Drum kann zu fliehn er sich noch nicht entschließen
Das Reich des stäten Lenzes und der Farben.
Indessen wünscht er sich geneigte Leser
Vom Strand der Donau bis zum Strand der Weser!
Zwar hie und da bewirkt er kein Behagen,
Weil ihn die Mandarine streng verbieten!
Doch, fürcht’ ich, wird sie Langeweile plagen,
Wenn sie die Welt zurückgeführt auf Nieten.
Auch läßt sich Wahrheit nicht so leicht verjagen:
Johannes Huß und andre Ketzer brieten,
Ihr Wort jedoch erklang von Ort zu Orte:
Welch eine Tugend ist die Kunst der Worte!
Zwar hier und da giebt’s keine Demagogen;
Doch Seelen giebt’s, durch Worte nicht erreichbar,
Mit siebenfachem Leder überzogen,
Dem Schild des Ajax im Homer vergleichbar.
Sie sind wie steile Klippen in den Wogen,
Auf ewig hart, auf ewig unerweichbar:
Es spritzt die Flut empor mit leisen Scherzen,
Und schmiegt sich an, als hätten Steine Herzen!
Doch nun erzähl’ ich, statt ein Grillenfänger
Zu scheinen euch und euch die Zeit zu rauben,
Wenn ihr mir anders noch ein Stündchen länger
Zuhören wollt und meinen Worten glauben,
Wenn anders je mich, wie Horaz den Sänger,
Als blondes Kind verliebte Turteltauben
Bestreut mit Lorbeer, den sie mit dem Schnabel
Für mich gepflückt im schönen Land der Fabel.
Tausend Zelten waren aufgeschlagen
Durch’s Gefilde vor den Thoren Bagdads,
Um das Fest des neuen Jahrs zu feiern:
Auf dem Throne saß der große Harun
Als Kalif mit allen Würdezeichen,
Rings im Cirkel seine Kronbeamten;
Doch zunächst die drei geliebten Söhne
Prinz Amin und neben Assur Assad.
Durch die Gärten lag zerstreut die Menge,
Trank und Speise wurde rings vertheilt ihr.
Unter Lauben, aus Jasmin gebildet,
Ruhten Frau’n und Männer; doch die Knaben
Schlangen Tänze mit den jüngsten Mädchen.
Vor des Herrschers Pavillon indessen
Trat ein Mohr mit einem Pferd am Zügel:
Nicht ein Roß war’s aus arabischem Blute,
Nicht ein Hengst aus Andalusien war es!
Nein − von Künstlerhand aus Holz gebildet,
Erz die Hufe nur und Gold die Mähne.
Zum Kalifen sprach der Mohr: Beherrscher
Aller Gläubigen, aller Völker Sultan!
Manche Gabe bringt an diesem Tage
Zum Geschenk dir deiner Sklaven mancher;
Doch die wundervollste biet’ ich selbst dir:
Mehr als Troja’s Pferd, wiewohl’s ein großes
Reich zerstörte, schätz’ ich diesen Rappen,
Den ein Magier durch Magie gebildet.
Wenn du je von Hippogryphen hörtest,
Die verschmähn der Erde Grund zu stampfen;
Flatternd aber durch den Äther schweben;
Wenn du’s je für eine Fabel hieltest,
Bilden kann ich aus der Fabel Wahrheit.
Auf den Rappen schwang sogleich der Mohr sich,
Flog empor und schien ein Punkt im Luftmeer,
Senkte wieder dann zum Zelt herab sich.
Alles staunte, staunend sagte Harun:
Wahrlich, mehr gilt dieses Pferd, als meiner
Krone hundert beste Kronjuwelen:
Willst du diese, nimm sie, laß den Gaul mir!
Ihm versetzte drauf der Mohr: Beherrscher
Aller Gläubigen, aller Völker Sultan!
Gold und Edelsteine wiegen keinen
Zauber auf, wie diesen! Nur die Schönheit
Im Verein mit hoher Würde. Laß mich
Dein Wesir, o Harun Alraschid sein,
Dein Wesir, und laß als deiner Tochter
Ehgemal mich ihren Schleier lüften!
Meine Wünsche sind, wie meine Gaben,
Groß und kühn, Kalif! Erwäge beide!
Lange schwieg der überraschte Harun.
Allzufrech erschien des Mohren Fodrung;
Doch der Rappe war ein solches Wunder,
Daß der höchste Preis an Wert gering schien.
Schnell vom Sitze sprang Amin dagegen,
Harun’s Erstgeborner, auf und sagte:
Sohn Mohadi’s, großer Abbasside!
Kannst du zaudern, dieses Hexenmeisters
Kecken Anspruch mit dem Tod zu strafen?
Abgewogen gegen Fürstenehre
Scheint der größte Diamant ein Sandkorn:
Mehr als Bagdad, mehr als tausend Städte
Gilt der fliegende Rappe; darfst du aber
Diesen Sklaven bis zum Thron erheben,
Aller Schätze holden Schatz, Amine,
Deine Tochter, einem Neger opfern?
Länger wäre nicht, nach solchem Entschluß,
Harun Alraschid das Bild der Weisheit!
Nur ein Blendwerk ist vielleicht des Mohren
Zauberpferd; ich will es selbst versuchen:
Trägt es mich, und liefert mir die Probe,
Zahle dann mit Gold und Gut, Kalif, es,
Aber nicht mit deiner Kinder Wohlfahrt.
Sprach’s Amin, und schwang sich auf den Rappen,
Flog empor und schien ein Punkt im Luftmeer;
Doch vor Harun Alraschid verzweifelnd
Warf der Mohr sich hin und rief: Beherrscher
Aller Gläubigen, aller Völker Sultan!
Ohne Schuld an deines Sohns Verderben,
Wenn’s den Unvorsichtigen trifft, du siehst mich:
Eh’ zuvor ich ihn belehren konnte,
Allzuplötzlich stieg empor der Jüngling!
Schwingt sich Einer auf des Rosses Rücken,
Fliegt sogleich in alle Höh’n hinauf es;
Doch, um wieder es sanft herabzulenken
Nach der Erde, dient die kleine Schraube
Unter’m Hals des flücht'gen Wunderpferdes.
Wenn der Prinz sie nicht entdeckt, so fliegt es
Ewig weiter durch den Raum der Sterne,
Bis zuletzt ihn Müdigkeit und Hunger
Jeder Kraft entledigen, bis zuletzt ihn
Jäher Todessturz am Fels zerschmettert,
Oder tief in die tiefe See hinabtaucht.
Namenloser Schmerz ergriff den Vater,
Namenloser Schmerz das ganze Bagdad:
Schnell zur Trauer sank das Fest zusammen,
Wie zur Asche sinkt ein Jubelfeuer,
Das von Fischern am Johannisabend
Aufgeschichtet ward aus alten Scheitern,
Die das Meer am sandigen Ufer auswarf.
Eingekerkert ward sogleich der Neger,
Ausgesendet wurde Bot’ um Bote
Gegen Nord und Ost und Süd und Abend;
Keine Kunde kam und kein Amin kam:
Tiefe Schwermut, immer tiefer nährte
Harun Alraschid, der Sohn Mohadi’s.
Doch zum Bruder eines Morgens sagte,
Bei der Hand ihn zärtlich fassend, Assad:
Vielgeliebter, durch dieselbe Mutter
Mir Verwandter, meines Auges Apfel!
Thatenlos nicht länger, als Beschauer,
Mag ich ansehn unsers Vaters Leiden,
Dem ich schadenfroh vielleicht erscheine,
Weil die Flucht des ältern Sohns dem Throne
Näher bringt mich selbst. Ich will davonziehn,
Ihn, und wär’s am fernen Sonnenaufgang,
Wär’s am Sonnenuntergang, zu suchen;
Sollt’ ich nichts als seine Leiche finden,
Laß beerdigen mich des Bruders Asche!
Ihm erwiedert Assur: Süßer Assad!
Glaubst du denn, ich könnte je die Seele
Vom Gespielen meiner Jugend scheiden?
Laß zusammen uns im Land umherspähn!
Traurig ist es, durch die Welt verlassen,
Ungesellig allein sich durchzuwinden;
Jedes Hinderniß erscheint verdoppelt,
Ja, der Mensch verzehrt sich selbst in sich nur,
Der allein an fremde Menschen anstößt;
Aber brüderliche Liebe zaubert
Jeden Gram hinweg, und durch Gemeinschaft
Sind Gefahren als Genuß zu schätzen.
Ihm erwiedert sein gerührter Bruder:
Allzu reizend malst du jene Fahrt mir,
Allzureizend durch den Bund der Freundschaft;
Aber nein, du mußt des Vaters Trost sein!
Soll verwaist er aller Söhne werden?
Zwei verschwinden ihm, der dritte bleibe!
Ihm versetzt der jüngste Sproß des Abbas:
Beide Söhne mögen ihm den dritten,
Arm in Arm, an seine Brust geleiten!
Frommt ein thatenloser Sohn dem Harun?
Unser Vater einst eroberte kühn sich
Manches Reich, ihm dienten hundert Völker:
Selbst der Herr des fernsten Abendlandes,
Carl, der Sohn Pipins, der mächtige Cäsar,
Schickt an Harun Alraschid Gesandte!
Nicht verweichlichen darf der Stamm des Großen!
Besser ist’s, er sieht die Söhne sterben,
Als verkümmern auf dem Sammt der Polster.
Leere Täuschung nenn’ ich Glück und Ruhe:
Bloß im Eden, zwischen schönen Jungfrau’n,
Ziemt die Rast dem kampfesmüden Kämpfer;
Doch der Mensch, bevor zu ruhn gedenkt er,
Wissen muß er erst, wovon er ausruht.
Laß in’s Ferne wandern uns, Geliebter!
Glückt es nicht, den Bruder aufzufinden,
Stähle doch und kräftige doch die Welt uns!
So besprachen sich die Abbassiden.
Als zu graun begann der nächste Morgen,
Nahmen Beide vom Kalifen Abschied,
Unterm Vorwand eines großen Jagens:
Doch sie ließen diesen Brief zurück ihm:
Harun Alraschid, Kalif in Bagdad!
Wenn du nicht zu sonst gewohnter Stunde
Assur wiederkehren siehst und Assad,
Traure nicht, denn dir zum Troste flohn sie,
Deine Söhne suchen deinen Sohn auf!
Bald entfernten sich vom Jagdgefolge,
Beide Brüder durch der Wälder Dickicht,
Ueber Berg und über Haide schweifend,
Forschend überall und kurze Rast nur
Unter’m Dache bärtiger Hirten findend.
Eines Tags, an eines Stromes Ufer,
Der dem Hochgebirg entbrauste, trafen
Einen Fischerknaben beide Brüder.
Dieser Knabe, den sie fragten, sagte:
Gestern sah ich durch die Luft ein Wesen,
Großgeflügelt, doch unkenntlich, schweben;
Für den Vogel Rock, o Freunde, hielt ich’s;
Der aus jenen sandigen Wüsten seinen
Raub entführt, Elephanten selbst hinwegträgt
Ueber Berg und Meer zu felsigen Inseln,
Wo er brütet seine Rieseneier!
Doch es war vielleicht der fliegende Rappe,
Welchem nachforscht eure Neubegierde.
Also sprach der Knabe. Diesem falschen,