Glaubenszeugen im
Nationalsozialismus
Bildnachweis:
Franz Jägerstätter: © Erna Putz
Otto Neururer: © Diözese Innsbruck
Jakob Gapp: © Diözese Innsbruck
Carl Lampert: © Archiv des Kapuzinerklosters Innsbruck
Engelmar Unzeitig: © Archiv Redaktion Mariannhill, Reimlingen
Josef Mayr-Nusser: © Josef Mayr-Nusser-Archiv, Diözese Bozen-Brixen
Clemens August von Galen: © Diözese Innsbruck
Franz Reinisch: © Diözese Innsbruck
Johann Gruber: © Sevda Chkoutova/Papa Gruber Kreis, St. Georgen an der Gusen
Angela Autsch: © Diözese Innsbruck
Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“
2017
© Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck
Umschlaggestaltung, Layout und digitale Gestaltung: Tyrolia-Verlag
Unter Verwendung eines Bildes von Sakarin Sawasdinaka/Shutterstock
Lithografie: Arthilito, Lavis (I)
Druck und Bindung: FINIDR, Tschechien
ISBN 978-3-7022-3632-8 (gedrucktes Buch)
ISBN 978-3-7022-3649-6 (E-Book)
E-Mail: buchverlag@tyrolia.at
Internet: www.tyrolia-verlag.at
Vorwort
Seliger Franz Jägerstätter (1907–1943)
Nicht Kerker, nicht Fesseln
Wie frei sind wir?
Mut zum Gewissen
Architektur des Krieges – Säulen des Friedens
Erinnerung und Verantwortung
Seliger Otto Neururer (1882–1940)
„Bewusste Täuschung und besonders gemeine Gesinnung“
Seliger P. Jakob Gapp SM (1897–1943)
„Liebe zu allen, gleich welcher Rasse und Religion“
Seliger Provikar Carl Lampert (1894–1944)
Selig, die um meinetwillen verfolgt werden
Seliger P. Engelmar Unzeitig CMM (1911–1945)
„Wenn keiner geht, gehe ich“
Seliger Josef Mayr-Nusser (1910–1945)
Wie ich es vor Gott und meinem Gewissen schuldig bin
Seliger Clemens August Kardinal von Galen (1878–1946)
Leben ist heilig
P. Franz Reinisch SAC (1903–1942)
Kein Eid auf den Führer
Johann Gruber (1889–1944)
Verbrecher oder Märtyrer?
Sr. Angela Autsch (1900–1944)
Ein Engel in der Hölle
Anmerkungen
„Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Diese bekannte Aussage von Theodor Wiesengrund Adorno verschafft existentiellen Fragestellungen Raum: Gibt es ein „richtiges“ Leben in schwierigen Verhältnissen? Gibt es innere Freiheit in der Diktatur, unter Zwang und im Gefängnis? Gibt es gelebte Menschenwürde in Zeiten der Verachtung und des Hasses? Kann Liebe inmitten von Gewalt und Terror gelebt und verwirklicht werden? Gibt es ein Leben in der Wahrheit inmitten der Verblendungen und Ideologien? Wo leuchten Versöhnung und Frieden auf, wenn der Krieg als Naturgesetz betrachtet wird?
Zehn Jahre nach der Seligsprechung von Franz Jägerstätter im Linzer Mariendom am 26. Oktober 2007 sind in diesem Band Predigten, Betrachtungen und Meditationen zu Glaubenszeugen gesammelt, die im Kontext der Gedenkkultur in den Diözesen Innsbruck und Linz stehen. Es ist eine Spurenlese des Ausschau-Haltens nach dem ausgesetzten Menschen, nach dem leidenden Gott angesichts des Wahnsinns, des Terrors in der Zeit des Nationalsozialismus. Opfer, Zeugen und Märtyrer haben der Barbarei standgehalten, wollten das Unrecht nicht mitmachen, leisteten ihm Widerstand und haben unschuldig Verfolgten geholfen. Es gab in der damaligen Zeit Gerechte, die sich nicht vom Sog der Ideologie haben mitreißen lassen. Sie mussten ihr Leben lassen, weil sie kleine Zeichen der Solidarität mit Kollegen gesetzt haben. Sie haben ihr Leben für die Rettung anderer riskiert.
Anhand von Opfern, Zeugen und Märtyrern wird auf die Quellen der Widerstandskraft geschaut. Was war das Prinzip und Fundament ihres Lebens und Glaubens in dunklen Zeiten, und wie haben sie einen Richtungssinn, eine Orientierung gewonnen? Wie haben sie in der Verfolgung, im Angesicht des Todes ihre innere Kraft gestärkt? Was stärkt das Rückgrat gegen die Übermacht der Not? Wie konnten sie Resignation und Zynismus entgegenwirken?
Der wichtigste Beitrag des christlichen Glaubens für eine Kultur der Erinnerung ist das Wachhalten der Frage nach den Toten und ihrem Geschick. Christen erinnern sich der Toten, nicht damit sie leben, sondern weil sie leben. Sie hoffen auf Leben und Gemeinschaft mit den Verstorbenen über den Tod hinaus. In der „memoria passionis“ geht es um die Verweigerung, sich damit abzufinden, dass die Toten in alle Ewigkeit tot bleiben, die Besiegten besiegt und die Durchgekommenen und Erfolgreichen in alle Ewigkeit oben bleiben. Wir gedenken der Opfer und Zeugen, weil die Beziehung zu den Verstorbenen nicht fertig ist, vielleicht noch offene Rechnungen da sind, weil es noch Wunden gibt, Verletzungen heilen sollen oder noch Abschied von Trübungen heilsam ist. Wir gedenken derer, die durch ihr moralisch-ethisches Handeln und durch ihren Tod den Namen Gottes geheiligt haben: „Kiddusch Haschem“, d. h. die Heiligung des Namens Gottes (Lev 22,32; Lev 21,6). Es dient dem Frieden, das Gedächtnis vergangener Leiden wachzuhalten in dem Sinn, dass die Schreckensbilder der Vergangenheit davor abhalten sollen, in der Gegenwart die Hölle des Krieges zu entfachen.
Linz, im Frühjahr 2017+ Manfred Scheuer
Franz Jägerstätter1 wurde am 20. Mai 1907 in St. Radegund, Oberösterreich (Diözese Linz), als Kind der ledigen Bauernmagd Rosalia Huber geboren. Sie und der Vater, Franz Bachmeier, konnten als Magd bzw. Knecht nicht heiraten. Die Erziehung des Kindes übernahm die Großmutter, Elisabeth Huber, eine liebevolle, fromme und vielseitig interessierte Frau. Die materielle Not während des Ersten Weltkrieges war in der Region groß. In der Schule wurde das Kind Franz wegen seiner Armut benachteiligt. Die Mutter heiratete 1917 den Bauern Heinrich Jägerstätter, der bei der Hochzeit das Kind seiner Frau adoptierte. Inspiriert durch den (Adoptiv-)Großvater interessierte sich Franz als Heranwachsender für Bücher, darunter auch für religiöse Literatur. Von seinem Adoptivvater erbte er den Bauernhof.
1927 bis 1930 arbeitete Franz Jägerstätter im Erzabbau in Eisenerz (Steiermark). Dort erfuhr er sich geistig und religiös entwurzelt und machte eine Glaubens- und Sinnkrise durch. 1933 wurde er Vater einer unehelichen Tochter, Hildegard. 1935 lernte er Franziska Schwaninger kennen, sie heirateten am Gründonnerstag 1936. Die Ehe wurde zum Wendepunkt im Leben Franz Jägerstätters. In der Folge sei er ein anderer geworden, so die Nachbarn. Franz und Franziska beteten miteinander, und die Bibel wurde zum Lebensbuch des Alltags. Franziska über diese Zeit: „Wir haben einer dem anderen weitergeholfen im Glauben.“ Aus der Ehe gingen drei Töchter hervor, Rosalia (* 1937), Maria (* 1938) und Aloisia (* 1940).
Den Nationalsozialisten, die in Österreich 1938 die Macht übernahmen, verweigerte Jägerstätter von Anfang an jede Zusammenarbeit oder Unterstützung, denn Christentum und Nationalsozialismus waren für ihn völlig unvereinbar. 1940 wurde er zum Militärdienst einberufen, auf Betreiben der Heimatgemeinde aber zweimal unabkömmlich gestellt. Einer weiteren Einberufung wollte er nicht mehr Folge leisten, denn mitzukämpfen und zu töten, sodass Hitler die ganze Welt beherrschen könnte, sah er als Sünde an. Die Mutter, Verwandte und auch befreundete Priester versuchten, ihn umzustimmen. Seine Frau Franziska hoffte zwar auch auf einen Ausweg, stand aber zu ihm in seiner Entscheidung: „Wenn ich nicht zu ihm gehalten hätte, hätte er gar niemanden gehabt.“
Nach der erneuten Einberufung meldete sich Franz Jägerstätter am 1. März 1943 bei seiner Stammkompanie in Enns, erklärte aber sofort, „dass er auf Grund seiner religiösen Einstellung den Wehrdienst mit der Waffe ablehne, … dass er gegen sein religiöses Gewissen handeln würde, wenn er für den nationalsozialistischen Staat kämpfen würde; … er könne nicht gleichzeitig Nationalsozialist und Katholik sein; … es gebe Dinge, wo man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen; auf Grund des Gebotes ‚Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst‘ dürfe er nicht mit der Waffe kämpfen. Er sei jedoch bereit, als Sanitätssoldat Dienst zu leisten“ (Aus der Begründung des Reichskriegsgerichtsurteils vom 6. Juli 1943).
Wegen Wehrkraftzersetzung wurde Franz Jägerstätter zum Tod verurteilt und am 9. August 1943 in Brandenburg/Havel enthauptet. Die beiden Seelsorger, Pfarrer Kreutzberg in Berlin und Pfarrer Jochmann in Brandenburg, sahen in ihm einen Heiligen und Märtyrer. Im Jahre 1965 verwies Erzbischof Thomas D. Roberts bei der Arbeit an der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils in einer schriftlichen Eingabe auf die einsame Gewissensentscheidung Franz Jägerstätters: „Märtyrer wie Jägerstätter sollen nie das Gefühl haben, dass sie allein sind.“ Franz Jägerstätter wurde am 26. Oktober 2007 im Linzer Mariendom seliggesprochen.
„Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“2 So lautet ein berühmtes Diktum von Theodor W. Adorno. Er sagt das im Zusammenhang mit der Kritik am Wohnen unter der Überschrift „Asyl für Obdachlose“. – Gibt es kein humanes Leben angesichts der Bedrohung und der Gewalt? Gibt es ein „richtiges“ Leben in bedrückenden Verhältnissen? Kann man gut leben und arbeiten in entfremdenden Systemen und Zwängen? Das gilt in ganz unterschiedlichen Bereichen: Was im Bereich von Wirtschaft, Wissenschaft oder Medien wichtig ist, wird meist erschlossen über Kennziffern, Benchmarks und Rankings. Und doch erreichen Zahlen und das Ökonomieprinzip insgesamt nicht die Herzmitte des Menschen, ja sie können zwischenmenschliche Beziehungen vergiften und verhexen. Gibt es überhaupt einen Vorrang des Menschen vor dem Kapital? Kann Wirtschaft human sein angesichts der Börsen und Aktienkurse, angesichts der „Sachzwänge“ eines undurchschaubaren Marktes? Oder was ist mit der zunehmenden Bürokratie in der Schule, in den Krankenhäusern, in der Verwaltung? Unter der Dokumentationspflicht leiden fast alle, die mit Pflege zu tun haben. Kann man gut Arzt sein im gegenwärtigen Gesundheitssystem, gut pflegen unter den derzeitigen politischen Rahmenbedingungen? Und die Politik? „Treiben Sie keine Politik. Rauchen Sie lieber Tabak, das verdirbt nur die Gardinen.“ So lautete der Rat einer Frau an einen Mann in Gustav Freytags Komödie „Die Journalisten“. Viele Menschen sind der Auffassung, dass die Politik den Charakter eines anständigen Menschen verderbe. Oft hört man den Satz: „Politik ist nun einmal ein schmutziges Geschäft.“ Oder kann Politik so etwas sein wie „angewandte Liebe zur Welt“ (Hannah Arendt)? Können wir individuell, d. h. als Einzelne und privat Christen sein in Zeiten der öffentlichen Säkularisierung, wenn die Bereiche der Politik, der Wirtschaft oder auch der Wissenschaft so abgehandelt werden, als ob es Gott nicht gäbe („etsi Deus non daretur“)? Können wir heute das Evangelium leben, oder geht das nur in einer Gegenwelt bzw. Scheinwelt der Wahrheit und Liebe, die von der Gegenwart, von den Fragen und Nöten der Leute nicht beeinflusst ist? Geht Glauben nur fundamentalistisch mit Mustern wie Freund-Feind, Schwarz-Weiß?
Und was ist mit der Kirche selbst? Der im Februar 1945 von den Nazis hingerichtete Jesuit Alfred Delp hat schon damals massiv die Selbstgenügsamkeit und Inzüchtigkeit im kirchlichen Leben kritisiert.3 Die Verbürgerlichung und Bürokratisierung führt zu einem Menschentyp, „vor dem selbst der Geist Gottes, man möchte sagen, ratlos steht und keinen Eingang findet, weil alles mit bürgerlichen Sicherheiten und Versicherungen verstellt ist“4. Der Bürger ist für ihn „das ungeeignetste Organ des Heiligen Geistes“5. „Aber die Amtsstuben! Und die verbeamteten Repräsentanten. Und diese unerschütterlich-sicheren ‚Gläubigen‘! Sie glauben an alles, an jede Zeremonie und jeden Brauch, nur nicht an den lebendigen Gott.“6 Können wir Kirche in der Nachfolge Jesu leben in Zeiten massiver Kirchenkritik, bei den persönlichen Verletzungen und Kränkungen, im Ärger über die Vorgänge der letzten Monate, bei den konkreten Amtsträgern und in den real existierenden Gemeinden?
Selige in der NS-Zeit wie Franz Jägerstätter haben sich die innere Freiheit in der Diktatur und im Gefängnis bewahrt. Die äußere Gefangenschaft war für Franz Jägerstätter ein Ort der inneren Freiheit und des Friedens: „Solange man ein ruhiges Gewissen haben kann, dass man kein schwerer Verbrecher ist, kann man auch im Gefängnis im Frieden leben.“ „Wenn man gegen niemanden Rachegedanken hat und allen Menschen verzeihen kann, … so bleibt das Herz in Frieden“7 (Brief an Franziska vom 7. 5. 1943). Das Gefängnis sieht er als Ort an, wo er die „schönsten Exerzitien machen“8 kann. Er fühlt sich dort von Gott nicht verlassen, weil er die Kommunion empfangen kann.9 Die Kerkermauern können den Glauben und die Liebe zu Franziska nicht zerstören: „Wenn ich auch jetzt hinter Kerkermauern sitze, so glaub ich dennoch auch weiterhin auf deine Liebe und Treue bauen zu dürfen“10 (Brief an Franziska vom 9. 4. 1943). Die äußere Verblendung führte zu keiner Abstumpfung des Gewissens, die Meinung der Massen nicht zur Anpassung seiner Urteilskraft, die Nazi-Ideologie nicht zur Menschenverachtung und Gottlosigkeit, die äußere Unfreiheit nicht zur Knechtung des Willens, das Gehabe der Macht der Starken nicht zum Willen zur Macht. „Werde hier nun einige Worte niederschreiben, wie sie mir gerade aus dem Herzen kommen. Wenn ich sie auch mit gefesselten Händen schreibe, aber immer noch besser, als wenn der Wille gefesselt wäre. Offensichtlich zeigt Gott manchmal seine Kraft, die er dem Menschen zu geben vermag, [jenen] die ihn lieben und nicht das Irdische dem Ewigen vorziehen. Nicht Kerker, nicht Fesseln auch nicht der Tod sind es imstande, einen von der Liebe Gottes zu trennen, ihm seinen Glauben und den freien Willen zu rauben. Gottes Macht ist unbesiegbar“11 (Aufzeichnungen aus der Zeit nach der Verurteilung zum Tod).
„Nur wenige Menschen ahnen, was Gott aus ihnen machen könnte, wenn sie sich ihm vorbehaltlos anvertrauen“ (Ignatius von Loyola). „Alle Menschen werden als Originale geboren, die meisten sterben leider als Kopien“ (Blaise Pascal). Gott ist kein Konkurrent, kein Rivale des Menschen. Gott ist kein dämonischer Vampir, der den Menschen mit seiner Freiheit und mit seinem Selbstbewusstsein aufsaugen und verschlingen würde. In der Menschwerdung Gottes wird der Mensch unendlich wichtig, unsagbar groß und schön, weil beschenkt durch Gott selbst und mit ihm selbst. So ist die „Ehre Gottes der lebendige Mensch“ (Irenäus von Lyon). – Franz Jägerstätter hat nicht zu groß von der Macht der Nazis gedacht und nicht zu klein von den Möglichkeiten Gottes mit ihm. Er hat die Wahrheit gelebt in einer Welt der Lüge, die Liebe in einer Welt der Verachtung, er hat das Leben geliebt in einer Welt des Totenkopfes. Und er hat geglaubt in einer Welt der Blindheit und der Verblendung. Jägerstätter war keiner, der der Mehrheit nach dem Mund geredet hat. Er wollte sich nicht auf allgemeine Vorschriften und Regeln ausreden. Er ist ein „einsamer Zeuge“ des Gewissens. Jägerstätter spricht sehr deutlich von Verantwortung und Verantwortungslosigkeit, von Sünde und Schuld, auch im Hinblick auf den Krieg und die damit verbundenen Verbrechen.12
Das Verhalten der Kirche in Österreich im Jahre 1938 sieht Franz Jägerstätter als Gefangennahme bzw. als Sich-gefangen-nehmen-Lassen der Kirche an. Er fragt, was es denn für ein Unterschied sei, wenn auch nicht eine Kirche mehr geöffnet sei, wenn die Kirche doch ohnehin zu allem schweige, was geschehe. Er setzt sich mit der äußeren und inneren Zerstörung der Kirche auseinander: „Wäre ein Mensch imstande, sämtliche Kirchen der Welt zu zerstören, die ja wieder aufgebaut werden können, würde er kein so schweres Verbrechen begangen haben als einer, der imstande ist, einen Menschen um den Glauben zu bringen. … Aber nach meiner Ansicht hat jener mehr Erfolg am Zerstörungswerk der Seelen, der die Kirchen stehen lässt, ja sogar zum Bau der Kirchen beisteuert und mehr mit List und Schlauheit arbeitet, als einer, der gleich das Kirchenabreißen anfangt und sämtliche Priester verhaften lässt. Werden da einem (mit) Kirchen noch etwas geholfen sein, wenn man nicht mehr viel oder gar nichts mehr glaubt“13 (Aufzeichnungen aus der Zeit nach der Verurteilung zum Tod)?
„Sind die Priester [ist uns mit den Priestern?] noch so viel geholfen, wenn sie dort schweigen müssen, wo sie reden sollten? Ist vielleicht einem Arzt viel geholfen, wenn man ihn zu einem Menschen holt, der an schwerer Blutung daniederliegt und dem Arzt ist es verboten, dem Patienten einen Verband anzulegen?“14 Franz Jägerstätter hat die Kirche seiner Zeit und auch das Schweigen der Priester und Bischöfe gegenüber dem nationalsozialistischen Wahnsinn kritisch gesehen. Seine Kritik war aber sicher nicht oberflächlich, sondern kam von der Wurzel des Glaubens her: „Oberflächenmenschen finden am meisten Anlass zum Nörgeln am Tun und Lassen der kirchlichen Behörde.“15 So ist er zu einem Geburtshelfer einer neuen Gestalt von Kirche geworden.
(Michel de Certeau). Franz Jägerstätter hat Kirche gelebt und aufgebaut. Er hat sein Leben und Sterben „für andere“ verstanden. Und so ist sein Tod ein Same für den Glauben heute: „Semen est sanguis Christianorum. – Ein Same ist das Blut der Christen“17