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© 2017 LangenMüller in der
F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, Stuttgart
© für das eBook: 2017 LangenMüller in der
F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel
Umschlagmfoto: Paul Gooney / Arcangel Images
Satz: Ina Hesse
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-7844-8331-3

Distanzierungserklärung
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PROLOG

Niemand hätte es für möglich gehalten. Es war Kriegszeit. Die Schweiz eingeschnürt von den Achsenmächten. Die Armee hatte eine letzte Verteidigungsstellung im sogenannten Alpenreduit be-zogen. Den Zugang schützten militärische Festungswerke an strategischen Stellen im gesamten Alpenraum. Auch im Gantrisch-gebiet, südwestlich von Bern, baute das Militär Bunker in den Berg hinein. Auf einer Strecke von zwanzig Kilometern sollten Festungsartilleriegeschütze wichtige Übergänge sperren. Das Land war für den Fall eines deutschen Angriffs gewappnet.

Allerdings erwiesen sich die Festungen im Gantrischgebiet als nutzlos. Schießversuche nach Kriegsende ließen die Bunker beim ersten Schuss einstürzen, weil betrügerisch, aus Profitgier und niederen Motiven untaugliches Material verbaut worden war.

Der Skandal fand 1950 seine Aufarbeitung im legendären Bunkerprozess vor dem Divisionsgericht 3b in Bern. Nach Ansicht von Beobachtern kamen die Verantwortlichen allerdings mit zu milden Strafen davon, einige leider ungeschoren.

Drei Jahre nach dem Prozess erhitzte 1953 ein brutaler Mord in Rüschegg die Gemüter. Der Ort lag am Fuß der Gantrischkette, wo sich die sabotierten Bunker verbargen. Der Sohn der grausam Getöteten war rasch als Täter ermittelt. Das Geschworenengericht von Bern fand ihn schuldig, verurteilte ihn zu lebenslänglichem Zuchthaus. Es schien, als hätten zwei dramatische Ereignisse in dieser, von bodenständigen Leuten behüteten Gegend schließlich ihr unrühmliches Ende gefunden.

Man ging zur Tagesordnung über. Das Land sah sich im Aufbruch, die Wirtschaft boomte, die Armee hatte ihren Auftrag er-füllt.

Doch 1968, fünfzehn Jahre nach dem Mord von Rüschegg gelangten die Behörden in den Besitz neuer Tatsachen, die vermuten ließen, dass der verurteilte Sohn einem schlimmen Justizirrtum zum Opfer gefallen war.

In Bern bildete das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement EJPD eine Sonderabteilung, um das neue Beweismaterial zu untersuchen. Detektiv Ken Cooper, ein Agent mit amerikanisch-schweizerischer Staatsangehörigkeit, hatte für das FBI in Virginia schwere Gewalttaten aufgeklärt, was ihm Respekt und Anerkennung einbrachte. Nach seiner Rückkehr in den Polizeidienst der Kantonspolizei Zürich zählte er zu den begehrten und erfolgreichsten Ermittlern. Dann sah er sich prompt nach Bern in die Sondereinheit versetzt.

Cooper brachte die Ermittlungen rasch vorwärts, doch immer wieder sollte eine aussichtsreiche Spur in der Sackgasse enden. Nicht einmal er ahnte, dass die kriminellen Akteure des sabotierten Festungsbaus mit dem brutalen Mord von Rüschegg verhängnisvoll verknüpft waren – und nicht zögern würden, mit tödlicher Gewalt zurückzuschlagen.

1

THORBERG. Der Name klang unheilvoll. Ein Zuchthaus. Nur Schwerverbrecher saßen oben auf dem Felsen hinter feuchten Mauern ein. Er war einer von ihnen. Sie hatten ihn gegen seinen Willen hierher gebracht und riefen ihn wie im Militär. Mit dem Nachnamen zuerst.

»Neidegger Hans?«

»Hier, zu Befehl, Oberaufseher. Ja, hier, Gefangener 1-6-1.«

Wo sonst sollte er denn sein, wenn nicht hier?

Er hatte andere Sorgen, als sich darum zu kümmern, wie sie ihn ansprachen. Stellte er Fragen, erhielt er Stockhiebe.

Er befand sich schon lange auf Thorberg. Beinahe sein halbes Leben. Und die Zeit verging unendlich langsam. Er fühlte nicht fünfzehn Jahre, es kam ihm vor wie hundert. Doch es spielte keine Rolle mehr. Bald würde die Hoffnung auf Thorberg sterben. Seine Gesuche um vorzeitige Entlassung wurden alle abgelehnt. Weil er einen Wärter geprügelt hatte. Aber das war bloß Vorwand. Auch ohne sein Aufbäumen gegen Schikane und heimliche Schläge der Wärter würden sie ihn nicht mehr rauslassen. Lebenslänglich hieß, dass er im Zuchthaus abkratzte, ob auf natürliche Weise oder durch einen »bedauerlichen Unfall«, war sowieso egal. Was hieß das anderes als aus dem Weg räumen?

Vielleicht würden sie ihn so lange mit ihren »erzieherischen« Methoden quälen, bis er endgültig als irrer, gemeingefährlicher Verbrecher ohne Chance auf Besserung feststünde. Wenn seine Anwältin die Eingabe richtig machte und sie ihn als Verrückten in eine Psychiatrische verlegten, hätte er wenigstens eine komfortable Zelle, könnte Bücher lesen, sogar in die Röhre gucken. Er hätte eine um ihn besorgte Betreuerin, könnte Kreuzworträtsel lösen und bekäme Medikamente, die ihn alle Schmerzen vergessen ließen.

Aber auch sein letztes Gesuch auf Verlegung in den Sicherheitstrakt der psychiatrischen Anstalt wurde abgelehnt. Seine Anwältin hatte ihm die schlechte Nachricht mit betrübter Miene überbracht. Aber sie, sie konnte wieder hinaus, frei und unbeschwert.

Er nicht, nie mehr.

Offiziell Gefangener 1-6-1, wie die Telefonnummer für die Zeitansage. Deshalb nannten sie Neidegger Hans nur »Zytfigger«.

Er richtete sich auf seiner Zellenpritsche auf und schaute auf die Armbanduhr. Er wollte nicht zurückblicken, zum Epizentrum der üblen Geschichte. Aber warum eigentlich nicht. Jetzt wo alles hoffnungslos aussah, begann er an sie zu denken.

An die Ermordung von Max und Nedia Neidegger. Er Schweizer, die Mutter aus Algerien. Sein Vater Max hatte es nicht leicht, als er mit der dunkelhäutigen Frau in die Schweiz kam. Die Kombination war fremd, exotisch, sogar in den Städten. Viel hat sich seither nicht geändert. Fremdes Lumpenpack seien sie, so hieß es oft einmal.

Neidegger stand auf, Zeit für das Training. Sein Overall war hässlich braun, auf dem Rücken die Buchstaben L und L: Lebenslänglich. Er sah darin eine Art Warnung, vor der Bestie Reißaus zu nehmen.

Er ließ sich auf den kalten Zementboden fallen und machte zweihundert Liegestütze, zuerst auf den Handflächen, dann auf den Fingerspitzen. Danach kamen die Kniebeugen dran. Zweihundert, immer rasche zehn, dann Pause, wieder zehn, bis seine Brust explodieren wollte. Dann folgten Konzentrationsübungen wie Yoga und solche für Gleichgewicht, Kraft und Beweglichkeit. Dabei konnte er mit seinen Zehen die Stirn berühren, die Beine gestreckt, was für einen großen, schweren Mann mit Muskeln wie Stahlseile ein kleines Kunststück war. Die hundertfach wiederholten Bauchübungen, die er nahtlos anfügte, brannten in seinem Unterleib wie Säure. Seine Muskeln fühlten sich hart an, als hätte er sechs Klötze im Bauch. Schließlich stemmte er abwechselnd Arme und Beine gegen die Wand, tänzelte herum, als wäre er Fred Astaire, und stellte sich vor, er umzingle bestialische Gegner.

Er hatte viel Zeit im Gefängnis, um sich physisch in Form zu halten. Das Leben war ziemlich strukturiert, aber ließ ihm doch viel freie Zeit. Die meisten Gefangenen saßen einfach herum, ohne etwas zu tun. Daher kam wohl der Begriff »Insasse«. Es gab keinen Unterricht, keine Resozialisierung irgendwelcher Art, schon gar nicht für solche mit L und L am Rücken. Es galt das inoffizielle Motto: Wiedereingliederung ist für Weichlinge.

Am Ende seines Trainings lief Neidegger einige Runden, die Knie anhebend, verlor dabei das Zeitgefühl. Eigentlich war er verrückt, dies jeden Tag durchzustehen, aber er hielt am harten Training fest, seit dem Tag, als sie ihn eingeliefert hatten. Er wollte es, als Trotzhandlung, etwas das sie ihm nicht rauben konnten.

Neidegger wog immer noch 115 Kilo, kein Fett, nur Masse wie Stein. Bei einer Größe von einem Meter zweiundachtzig war sie vor den Wettkämpfen jeweils exakt ermittelt worden. Auf Thorberg das Gewicht zu halten, war kein leichtes Unterfangen bei dem Kantinenfraß, den sie als Verpflegung servierten, mit Fett, Schmalz und Zusatzstoffen, die ihn langsam, aber sicher umbringen würden.

Neidegger bekam keinen Besuch, weil niemand ihn sehen wollte. Er war einsam, wie er es die letzten fünfzehn Jahre gewesen war. Vielleicht würden die Zeitungen über sein Schicksal eine kleine Notiz bringen, wenn die Anwältin die Ablehnung des Gesuchs auf Verlegung durchgab, aber nur um seine Verbrechen, zu denen er verurteilt worden war, wieder aufzuwärmen. Danach würde er endgültig in der Versenkung verschwinden.

Hans Neidegger, der Doppelmörder.

Als sich sein Schnaufen beruhigte, setzte er sich auf die Pritsche, hielt die Hände an den Kopf, stütze die Ellenbogen auf seine Knie. Auf der Uhr am Handgelenk sah er das Datum: 1. September. Es war Tag 5511 auf Thorberg.

Er hatte am Anfang der abgesessenen Zeit fast ein halbes Jahr in abgeschotteter Einzelhaft verbracht. Eine Zelle drei auf drei Meter. Kein Kontakt mit anderen Gefangenen. Niemand sprach ein Wort zu ihm. Das Essen erhielt er durch einen Schlitz in der Tür. Der Grund war einfach gewesen. Sein Leben war ruiniert, vorbei, alle seine vielen Bemühungen umsonst gewesen, und er wurde wütender, je mehr die Zeit verstrich. Die Bestrafung war exemplarisch. Er war eines Tages explodiert, hatte drei Mitgefangene niedergeschlagen, dann ein halbes Dutzend Wächter übel zugerichtet, bis sie ihn mit Tränengas außer Kampf gesetzt und beinahe zu Tode geprügelt hatten. Dann hielten sie ihm seinen Gewaltausbruch vor: gefährlich, aggressiv, nichts gelernt, null Chance auf Besserung.

Die Haft im finsteren Bunker brachte ihn beinahe um den Verstand. Er schrie, fluchte, tobte und weinte schließlich. Drei Monate lang. Da begriff er, dass der Mensch soziale Kontakte brauchte. Ohne sie würde er verrückt werden.

Das denken sie jetzt ohnehin, deshalb lassen sie mich verrecken.

Er war damals ungefähr ein Jahr auf Thorberg gewesen. Er wusste es noch genau. Was ihn durchbrachte, war die Erinnerung an eine verflossene Geliebte. Er sah sie in Gedanken vor sich, ließ Szenen ihres Zusammenseins aufleben, stellte sich vor, wo Karin jetzt lebte, vermutlich als glückliche Ehefrau und Mutter. Ihr Gesicht, ihr Körper, ihre Zuneigung für ihn ließen ihn die ersten drei Monate überleben und die nächsten drei auch. Dann ging die Zellentür des Bunkers auf, und nicht Karin, sondern das hasserfüllte Gesicht des hünenhaften Wärters, den sie treffend Bruto nannten, befahl Neidegger, seinen Arsch in Bewegung zu setzen.

Danach war Neidegger Hans ein geläuterter Mann. Er beging niemals mehr etwas, das ihn in das Verlies zurückbringen würde. Er wusste, ein weiteres Mal würde er nicht überleben.

2

Er legte sein Kinn auf die Brust, roch den Geruch seines verschwitzten Körpers und ließ die einzigen guten Erinnerungen hochkommen, die er noch hatte.

Er war über die Landesgrenzen hinaus kaum bekannt gewesen. Aber in der Schweiz zählte er zu den besten Schwingern. Wäre der Schwingsport olympische Disziplin, hätte er bestimmt schon Gold gewonnen. Man wollte ihn sogar für die olympische Disziplin als Ringer auswählen. Er war zweifellos ein Talent, eine Tatsache, die auch der erzkonservative Eidgenössische Schwingerverband nicht umhin kam anzuerkennen. Es gab zwar anfänglich Versuche, ihn wegen seiner hellbraunen Hautfarbe als Sohn einer Ausländerin vom traditionsbewussten Schwingsport fernzuhalten. Er ist nicht einer von uns, hieß es, aber im Schwingkeller der neuen Turnhalle in Schwarzenburg durfte er trainieren. Seine Kollegen, meistens Handwerker wie er oder Bauernsöhne, hielten zu ihm.

Dann besiegte er bei Wettkämpfen einen nach dem anderen. Im Schwingsport galt Kraft ebenso viel wie Beweglichkeit, Schnelligkeit und gute Taktik. Die Wettkämpfer treten in den dicht mit Sägemehl gebildeten Kreis, fassen einander an den speziellen, aus Zwilch geschneiderten kurzen Hosen an und versuchen, den Gegner mit raffinierten Griffen hochzuheben und auf den Rücken zu legen. Stellt der Kampfrichter fest, dass beide Schulterblätter fest auf den Boden gedrückt sind, ruft er den Sieger aus. Dieser wischt dem Unterlegenen in sportlicher Geste das Sägemehl vom Rücken.

Es gibt für Kenner zahlreiche Ausdrücke für die einzelnen Züge und Griffe. Bekannt ist der Spaltgriff, mit dem der auf dem Bauch Liegende hochgewuchtet und rumgeworfen wird. Oder der gerade Kurze, der den Gegner überraschend aus dem Gleichgewicht wirft. Bleiben die Schwinger ineinander verkeilt und gelingt kein Wurf auf den Rücken, erklärt der Schiedsrichter nach Ablauf der Zeit einen Gestellten, was unentschieden bedeutet.

Das geflügelte Wort lautet, dass die Schweiz nie Könige hatte, außer einem Schwingerkönig. Der begehrte Titel wird am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest vergeben, das seit 1895 alle drei Jahre, sogar 1940 während des Kriegs, stattfand.

Neidegger Hans hatte den Schwingerkönig 1950 in Grenchen knapp verpasst, aber für Winterthur 1953 galt er als klarer Favorit für die höchste Ehre. Er besaß unglaublich schnelle Reflexe, seine kräftigen Hände nutzten jeden Griff, und fast jedes Mal konnte er seinen Gegner mit einem unerwarteten Schwung ins Sägemehl werfen, meistens direkt auf den Rücken. Ein rares Talent. Zu seiner Zeit vor fast zwanzig Jahren trainierten die Schwinger kaum in der konsequenten Art, wie sie Neidegger pflegte.

Abends nach der Arbeit oder an Wochenenden ging er rennen, ungefähr eine Stunde, dann machte er selber ausgedachte Kraftübungen, zum Beispiel hundert Klimmzüge an der Reckstange auf dem Turnplatz des Schulhauses. In Armen und Beinen fühlte sich der Zimmermann bärenstark, hob Balken spielend hoch. Aber erst nach dem Training seiner Bauch- und Rumpfmuskulatur trat er im Schwingkeller an, um im Kampf mit seinen Kollegen Taktik, Reflexe und schnelle Züge zu erproben. Es zahlte sich aus. Er wurde zu einem ganz »Bösen«, wie in Schwingerkreisen ein Superstar genannt wird. Der Mischling hatte es geschafft. Seine Hautfarbe war seine persönliche Herausforderung. Er wollte beweisen, dass er einer von ihnen war, einer, der keinen Gegner scheute.

Mit jedem Sieg wuchs sein Ansehen. Er brachte eine Trophäe nach der andern nach Hause. Meistens ein junger Stier, der im Handel viel Geld einbrachte. Der Sport verschaffte ihm ein sorgenfreies Leben, und eines Tages würde er daraus noch mehr Kapital schlagen. Er hatte alles allein geschafft, Widerstände beharrlich überwunden, sich gegen Vorurteile durchgesetzt.

Dann sprachen die Geschworenen des bernischen Obergerichts das Urteil. »Der Angeschuldigte ist des Mordes an seinen Eltern schuldig« – und niemand im Schwingsport scherte sich noch im Geringsten um Neidegger Hans.

Zytfigger war gescheitert.

Es gab keine Gnade. Keine mildernden Umstände. Er verschwand von der Bildfläche, und das würde so bleiben. Keine Chance, je wieder rauszukommen. In einem Monat würde er neununddreißig. Er schaute wieder auf die Uhr, als er draußen Schritte hörte.

Sie würden kommen, um ihn auf irgendeine Weise zu drang-salieren.

Er erhob sich, lehnte sich gegen die Wand, vielleicht um sein Rückgrat zu straffen. Kopf hoch, sagte er sich.

Die Tür ging auf und gab den Blick auf die Männer frei, die dort standen. Drei in Anzügen und Krawatten, vier in der Uniform der Wärter.

Neidegger bemerkte die Unsicherheit in den Gesichtern der ge-schniegelten Zivilisten, während die Wärter ihn geringschätzig an-starrten. Einer der fein Gekleideten, ein Magerer, betrat die Zelle. Er trug eine dicke Hornbrille. Der Gesichtsausdruck der anderen Männer verdüsterte sich verängstigt, als befürchteten sie einen Gewaltausbruch des Gefangenen, der jederzeit zuschlagen konnte.

Der Magere räusperte sich, schaute auf den Zellenboden, dann auf die Wände und das einzige Licht an der Decke, nur nicht auf Neidegger, als ob er ihn in seiner ganzen Größe nicht wahrnehmen würde.

Wieder räusperte er sich, den Blick auf Neideggers Füße geheftet.

»In Ihrem Fall ist etwas Unerwartetes geschehen.«

Neidegger Hans gab keine Antwort.

3

Vier Männer saßen ihm gegenüber. Er kannte keinen von ihnen. Sie trugen lose, zerknitterte Anzüge. Der Jüngste hatte etwa das Alter von Neidegger. Der Magere mit der Hornbrille hatte in der Mitte des massiven Schreibtischs Platz genommen. Auf dem holzumrandeten Schild vor ihm stand in goldenen Lettern auf schwarzem Grund »Direktor«. Auch mit ihm hatte Neidegger noch nie zu tun gehabt. Vermutlich war er der Neue. Neben einem grauen Amtstelefon mit Wählscheibe lagen Dossiers. Eines davon nahm der Magere zur Hand, blätterte darin geistesabwesend.

Neidegger trug immer noch den braunen Overall, doch die Handschellen hatten sie ihm abgenommen. Eine Premiere im Zuchthaus in all den Jahren, doch entlang des Korridors hatte ein halbes Dutzend Aufseher Aufstellung genommen für den Fall, dass er ausrasten könnte. Seine Füße standen auf einem Teppich, auch das war neu.

Die Männer starrten ihn an, und er starrte genauso bestimmt zurück. Er hatte nicht im Sinn, etwas zu sagen, sie mussten den Anfang machen.

Der Anstaltsdirektor raschelte wieder in den Papieren.

»Sie sind sicher gespannt, was los ist, Herr Neidegger.«

Neidegger neigte den Kopf, blieb still. Er konnte sich nicht erinnern, dass ihn jemals jemand mit »Herr« angeredet hatte. Schon gar nicht im Zuchthaus, wo sie ihn nannten, wie es ihnen gerade passte. Auch die Schwinger sprachen ihn nie so an, höchstens als Siebensiech, wenn er wieder gewonnen hatte.

Der Direktor fuhr fort. »Die Tatsache ist die, dass jemand anderer gestanden hat, die Morde begangen zu haben, zu denen Sie verurteilt worden waren.«

Neidegger blinzelte ein paar Mal, richtete sich straffer auf, legte seine gewaltigen Hände, die schon manchen Gegner auf den Rücken geworfen hatten, behutsam auf die Tischplatte.

»Wer?«

Der Direktor blickte flüchtig unten am Tisch zu einem Älteren, der mit seinem Glatzkopf dem Häftling zunickte. »Sein Name ist Jean Deubel.«

»Wo ist er?«

»In der Waadtländer Strafanstalt Bochuz. Er sitzt wegen diverser Verbrechen, die mit Ihrem Fall in keinem Zusammenhang stehen. Er steht vor der Auslieferung in die USA.«

»Glauben Sie, dass er es getan hat?«

»Wir untersuchen es.«

»Was weiß er? Über den Mord?«, fragte Neidegger.

Der Direktor wechselte erneut einen Blick mit dem Älteren. Neidegger ahnte, dass er unsicher war, und schaute zu ihm. »Warum wohl haben Sie mich rausgeholt? Weil irgendein Gauner im Waadtländer Knast sagte, er habe es getan? Glaube ich nicht. Er musste etwas wissen. Etwas, das nur der wahre Mörder gewusst hätte.«

Der Glatzkopf nickte, in seinen Augen flackerte Sympathie für den Gefangenen, als sähe er ihn plötzlich in einem besseren Licht. »Er hat etwas gewusst«, sagte er. »Gewisse Sachen, die nur der Mörder hätte wissen können. Sie haben absolut recht.«

»Schön, das macht Sinn«, sagte Neidegger und holte tief Luft, doch er vermochte nicht zu verarbeiten, was sie ihm sagten.

»Kannten Sie Deubel?«, fragte der Direktor.

Neidegger wandte sich ihm wieder zu. »Nie von ihm gehört bis vorhin, als sie seinen Namen nannten.«

»Wir versuchen nur, ein paar Fakten zu verifizieren.«

Neidegger nickte bedächtig. Er konnte sich vorstellen, auf welche »Fakten« der Typ hinaus wollte. Hatte er Deubel beauftragt, seine Eltern zu töten?

»Ich kenne ihn überhaupt nicht«, sagte er rundweg. »Also, was nun?«

Der Direktor zögerte, bevor er sprach. »Sie bleiben im Gefängnis, bis gewisse Umstände … eh … verifiziert werden können.«

»Und wenn sie nicht verifiziert werden können?«

Der Ältere räusperte sich. »Sie sind rechtsgültig wegen Mordes verurteilt worden, Herr Neidegger. Ihre Gesuche auf Hafterleichterung, auf Verlegung in eine Heilanstalt sind allesamt abgelehnt worden. Bis jetzt hieß das: Sie bleiben lebenslänglich hier drinnen. Der Prozess der Abklärungen braucht etwas Zeit.«

»Ach so, und wie lange, bis die Abklärungen ihre Wirkung entfalten?«

Der Ältere schüttelte den Kopf. »Es gibt keinen zuverlässigen Zeitplan. Ich versichere Ihnen, dass Leute unterwegs nach Lausanne sind, um Deubel gründlicher zu befragen. Und hier im Kanton Bern haben die Strafverfolgungsbehörden den Fall wieder eröffnet. Wir tun alles, damit Ihnen Gerechtigkeit widerfährt, das müssen Sie mir glauben.«

»Nun, wenn Deubel sagte, er habe meine Eltern umgebracht, und ich bleibe im Knast, als ob nichts passiert wäre, würde ich sagen, von Gerechtigkeit ist keine Rede.«

»Sie müssen geduldig sein, Herr Neidegger.«

»Das bin ich fünfzehn Jahre gewesen. Wir sind im Jahr 1968.«

»Dann macht ja ein bisschen mehr Zeit wohl keine Umstände.«

»Ist meine Anwältin informiert?«

»Wir haben sie benachrichtigt, und sie sollte auf dem Weg hierher sein.«

»Sie sollte in die Untersuchung einbezogen werden.«

»Das wird sie. Wir wollen volle Transparenz. Nicht weniger. Unser Ziel ist die Wahrheit.«

»Ich bin jetzt fast neununddreißig. Was ist mit den verlorenen Jahren? Wer entschädigt mich?«

Die Gesichtszüge des Älteren verhärteten sich. Seine Stimme klang sachlich. »Wir müssen eines nach dem anderen auf professionelle Art behandeln. So muss es sein.«

Neidegger wäre am liebsten aus der Haut gefahren. Er senkte den Blick, atmete tief ein. Steckten diese Pinkel in seiner Haut, wären sie wohl kaum so ruhig und professionell. Sie würden Zeter und Mordio schreien und alle, die auch nur entfernt mit dem Fall zu tun hatten, mit Klagen eindecken. Aber von ihm erwartete man, dass er nun in Ruhe eines nach dem anderen abwarten solle. Geduldig sein. Das macht ja alles keine Umstände.

Er wollte zurück in die Zelle, wo er sich besser fühlte. Er stand auf.

»Schert euch doch zum Teufel«, zischte er.

Die Männer schauten verdutzt drein.

»Sagen Sie mir Bescheid«, meinte er wütend, »wenn Sie ausgeknobelt haben, wie es weitergeht. Sie wissen, wo Sie mich finden.«

Der Direktor hob eine Hand. »Wir hatten eigentlich noch mehr Fragen an Sie, Herr Neidegger.«

»Schicken Sie die Fragen an meine Anwältin«, sagte er abwinkend. »Ich bin fertig mit Ihnen. Der Ball liegt bei Euch. Wenn dieser Deubel meine Eltern umgebracht hat, dann will ich hier raus, je früher desto besser.«

Sie führten ihn in die Zelle zurück. Einer der Aufseher, der ihn eskortierte, raunte ihm zu: »Du glaubst, du kommst hier raus, Bürschchen? Ich denke nicht. Ist mir egal, was diese feinen Herren sagen. Du bist ein Killer, Zytfigger. Und wir werden es dir schon noch besorgen. Vorwärts!«

Er fühlte den harten Schlag im Rücken. Doch Neidegger lief weiter. Er wandte nicht einmal seinen Kopf zu dem Mann mit dem grobschlächtigen Gesicht, der ihn bei jeder Gelegenheit mit dem Schlagstock in den Rücken stieß, ohne Grund, dabei hämisch grinste. Oder ihm ins Gesicht spuckte, wenn niemand zuschaute. Würde Neidegger ihn allerdings mit einem Haken zu Boden werfen, würden sie ihn hier drinnen zermürben, im Bunker fertig-machen, unabhängig davon, was mit diesem Deubel in Bochuz geschähe.

In der Zelle, wo ihn keiner belästigen konnte, fühlte er sich sicher. Hier überlegte er nochmals alles, was in den letzten Stunden passiert war. Er hatte lebenslänglich bekommen. Er rechnete nicht damit, jemals rauszukommen. Er schloss die Augen, hin- und her-gerissen von seinen Empfindungen. War er nervös, erleichtert, ängstlich? Wahrscheinlich fühlte er sein Verhängnis, vor allem spürte er, dass er Realist sein musste. Sie würden einen Weg finden, seine Verurteilung bestehen zu lassen.

Er begann langsam zu tänzeln, ein Lied zu summen, den Refrain eines Volksliedes, das sie immer nach den Wettkämpfen angestimmt hatten. War es jetzt fehl am Platz? Vielleicht, aber er fühlte, dass es richtig war.

Ich bin ein Bub von Trub, ich bin ein Emmentaler …

4

Seit Langem nicht oder noch nie hatte ich ein so fantastisches Wochenende gefeiert. Dabei nahm ich das Feuerwerk am See gar nicht wahr. An meinem Geburtstag, Silvester, werde ich jeweils mit einem Feuerwerk belohnt. Irgendwo schießen sie um Mitternacht immer Raketen zu den Sternen. Aber jetzt war Anfang Juli 1968, und die Stadt feierte ein Fest, ohne Randale, hoffte man.

Als ich am Morgen meine Augen öffnete, hielt die Euphorie an. Vor mir öffnete sich eine betörende Panoramasicht auf den glitzernden See und hinauf zu den weißen Gipfeln der Alpen. Über mir war die Decke mit weißen Stuckaturen verziert, die eine elegante und behagliche Stimmung verbreiteten. Die goldenen Arme eines Leuchters glänzten, umrankt von festlichen Girlanden. Und neben mir auf den mit Myriaden von Fäden gewobenen schneeweißen Tüchern räkelte sich eine völlig nackte Frau, die jedes göttliche Model auf den Haute-Couture-Laufstegen der Welt in den Schatten stellte.

»Ich könnte mich daran gewöhnen, Ken«, murmelte Mara. »Du solltest unbedingt öfter Geschenke annehmen.«

Wir hatten vor zwei Tagen für einen kurzen Ferienaufenthalt im Dolder Grand Hotel, hoch über Zürich, eingecheckt. Das Zimmer, das ich gebucht hatte, entsprach dem, was das Gehalt eines Polizeidetektivs hergab. Aber als wir vor der Rezeption standen, entschuldigte sich der Empfangschef für ein Problem mit den sanitären Anlagen in unserem Zimmer. Er fixierte für einen Au-genblick unsere hochgezogenen Brauen, dann sagte er: »Seien Sie unbesorgt, Detektiv Cooper, wir werden Sie zu einer leicht besseren Unterkunft upgraden.«

Seine Version für »leicht besser« entpuppte sich als eine sicher hundertvierzig Quadratmeter große Suite, das Beste in diesem Fünf-Sterne-Weltklassehotel.

»Wahnsinn«, hauchte Mara, als uns der Concierge in unsere neue Bleibe brachte. Sie inspizierte hinter der Tür das Preisschild. »Und nur sechshundert Franken die Nacht.«

»Glückliche Zufälle passieren eben den nettesten Leuten«, schmunzelte der Concierge.

Keine Sekunde dachte ich an einen Zufall. Ich wusste genau, dass es sich um eine feine Geste der Dankbarkeit von Ruedi Wassmer handelte, dem das Hotel gehörte. Seine Frau war vor ein paar Monaten brutal zusammengeschlagen und ausgeraubt worden, und zusammen mit meinem Partner Willy Boner hatten wir den Täter dingfest gemacht und ins Gefängnis gebracht.

Ich trat zum kleinen Barockpult am Fenster, hob den Telefonhörer ab, rief meinen Chef, Guido Kottmann, an und erklärte ihm meine Lage.

»Kein Problem«, sagte er, »du bist privat im Hotel, nicht als Polizist.«

»Aber der Empfangschef hat mich mit Detektiv Cooper angesprochen.«

»Ken, du gehörst zur besonderen Einsatzgruppe der Bundespolizei, hast im vergangenen Halbjahr zwei spektakuläre Fälle gelöst, die Schlagzeilen machten. Kein Wunder, dass man dich erkennt. Du fragst mich nach meiner Meinung. Hier ist sie: Hotels machen immer wieder Upgrades. Also, halt die Klappe und genieß mit Mara ein glückliches Wochenende.«

Mensch, und wie wir es genossen haben. Aber jetzt war es an der Zeit, wieder in die Realität einzutauchen.

»Ich geh’ mal duschen«, sagte ich.

Mara streckte sich wie eine Katze auf dem heißen Blechdach, und das Leintuch rutschte unter ihre Brüste.

»Vielleicht komm ich doch lieber zurück ins Bett«, änderte ich die Meinung.

Sie lächelte. »Geh unter die Dusche, ich bin gleich bei dir.«

»Bei mir, vor mir, hinter mir … Wenn wir mal nass und schlüpfrig sind, finden wir uns bestimmt am richtigen Ort«, flachste ich.

Die Suite hatte zwei Badezimmer, mit hohen weißen Wannen und verschnörkelten Armaturen. Der große Duschkopf hing an einem Gestänge über den Hähnen, und um nass zu werden, mussten wir eng beieinander in der Wanne stehen. Das war gestern spannend und prickelnd in eine Reihe von gymnastischen Duschübungen ausgeartet. Aber heute Morgen entschied sich Mara für das andere Bad, während ich mich mit geschlossenen Augen dem kräftigen Wasserstrahl ergab, in Gedanken bei meiner dunkelhaarigen, attraktiven Begleiterin, in die ich mich Hals über Kopf verliebt hatte.

Ich hatte Mara Milani, EJPD Psychologin, vor drei Jahren an-lässlich einer Eignungsprüfung kennengelernt. Ich musste als Kandidat für die Eliteeinheit der Bundespolizei diverse psycho-logische Tests ablegen, und Mara verwickelte mich in längere Gespräche. Sie brauchte vier Stunden, um mich einzuschätzen. Mir, auf der anderen Seite, genügten vier Sekunden, um ihre Werte zu erkennen. Es war meine erste Begegnung mit einer so begehrenswerten Psychologin im Polizeidienst, und wäre sie nicht zwischen mir und dem prestigeträchtigen Job im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement gestanden, hätte ich sie auf der Stelle schamlos verführt, oder es wenigstens versucht.

Ich bekam den Job in der Spezialeinheit für unaufgeklärte Verbrechen, und da die Stellenbeschreibung keine Vollbeschäftigung vorsah, behielt ich meinen Job als Detektiv der Zürcher Kantonspolizei. Das hatte mein Chef Kottmann als Vorteil angesehen, da die Zürcher Kapo über alle Ressourcen und Einrichtungen verfügte, um eine Fahndung effizient voranzubringen.

Ich bekam auch Mara. Ich war vorher erst einmal verliebt gewesen. Auf der Polizeischule hatte ich eine heiße Affäre mit der einzigen Polizeirekrutin namens Catherine Daucourt. Aber sie ließ mich fallen und zog zu ihrem alten Freund, den sie ein Jahr später heiratete.

Jahre danach trieb mich Kottmann beinahe zum Wahnsinn, als er Catherine in die Eliteeinheit berief. Sein Zug war bemerkenswert. Erstens schien er meine emotionale Belastbarkeit zu testen, indem er Catherine in mein Leben zurückbrachte. Nicht als Freundin, sondern als Partnerin zur Verbrechensaufklärung. Zum Zweiten war die Berufung einer Frau in die raue Männerwelt der Polizei ein viel beachtetes Novum. Wir wurden untrennbar, aus-genommen abends, wenn sie heim zu ihrem Ehemann ging.

Ich trocknete mich mit dem weißen Frottiertuch ab und ging zurück ins große Schlafzimmer.

Sie hing am Telefon, nur mit einem beigen Slip bekleidet. Ich trat behutsam hinter sie und umfasste mit beiden Händen zärtlich ihre Brüste.

Sie wehrte mich ab, deckte die Sprechmuschel ab. »Es ist der Boss, zieh dir was an.«

»Was wollte er?«

»Dich, aber dann gab er sich mit mir zufrieden. Es geht um den neuen Auftrag, und du sollst Catherine anrufen.«

Sie hielt den Hörer in die Luft. »Ich gehe jetzt duschen, kurz und allein. Vorher hatte ich mit Vater telefoniert. Er liegt in Bern im Inselspital. Sieht nicht gut aus.« Ihr Antlitz verdüsterte sich. »Herzinfarkt. Ich nehme den nächsten Zug. Ich will ihn so rasch wie möglich besuchen.« Sie gab mir den Hörer.

Ich murmelte etwas wie tut mir leid, dann hörte ich die sonore Stimme Kottmanns. »Ich hab’s Mara eben erklärt, Ken. Die Gruppe versammelt sich morgen früh in Bern. Es geht um die Fälle im Ordner, den du von mir erhalten hast. Wir müssen entscheiden, welchen wir als Ersten drannehmen wollen. Neun Uhr dreißig in meinem Büro.«

Ich legte auf und rief Catherine an. Sie nahm nach dem zweiten Rufzeichen ab. »Hast du es auch gehört?«

»Was?«

»Ein Knastbruder in Bochuz, das ist …«

»Ich weiß, der Hochsicherheitsknast bei Orbe im Waadtland.«

»Richtig, er sitzt dort ein, und hör zu, er hat den Doppelmord von Rüschegg gestanden.«

»Moment, Rüschegg … der Fall ist doch uralt, der Täter … wie hieß er noch mal, ist ja längst verurteilt. Lebenslänglich.«

»Neidegger Hans ist sein Name, hat seine Eltern umgebracht, und der in Bochuz heißt Jean Deubel, ein übler Bursche. Mehr-fache Morde, Vergewaltigung. Steht vor der Auslieferung in die USA.«

»Warum USA?«

»Eines seiner Opfer war eine junge Amerikanerin, die im Konsulat in Genf als Attaché gearbeitet hat. Deshalb.«

»Ich verstehe. Guido Kottmann hat uns zusammengerufen. Meinst du deswegen?«

»Ich weiß nicht. Er hat mich auch angerufen. Vermutlich will er auch den Fall Neidegger besprechen, ja, ich glaube, das könnte anstehen. Du bist in dieser Nobelherberge? Mit Mara?«

Ich sagte nur, dass ich sie vor der Besprechung treffen wollte und sie mir möglichst viele Informationen über das Geständnis von Deubel beschaffen möge, dann machten wir ein Rendezvous in einem Café in der Nähe des Bundeshauses in Bern ab.

Unter die Tür hatte der Concierge die Morgenausgabe der Neuen Zürcher Zeitung durchgeschoben. Ich nahm sie auf, warf einen Blick auf die Titelseite. Die Globuskrawalle füllten immer noch eine halbe Seite. Wie immer wurde der Einsatz der Polizei kritisiert.

Ich warf die Zeitung aufs Bett. Meine Wochenendeuphorie war endgültig verflogen.

5

Der Portier fuhr meine Alfa Romeo Giulia 1300 GT vor. Der Wagen war offenbar gewaschen worden. Zugabe der Direktion. Die schwarze Lackierung glänzte wie der See am frühen Morgen. Eigentlich hätte ich Alfa-Rot vorgezogen, aber als Detektiv der Kantonspolizei musste ich mich hüten, mit einer zu auffälligen Karre meinem Boss die Stirnfalten zu vermehren. Meine paar Sachen, die schwarze Ledertasche und der braune Koffer lagen bereits im Heck verstaut, wo sie hingehörten.

Zuerst fuhr ich an den Rennweg, wo ich über einem Sportgeschäft im obersten Stock eine Zweizimmerwohnung gemietet hatte. Die in die Dachschräge eingefügten zwei Räume mit kleiner Küche und Bad gefielen Mara besser als ihre Blockwohnung in einem Außenquartier der Bundesstadt Bern, was die angenehme Folge hatte, dass sie gerne und immer wieder zu mir nach Zürich reiste – und sei es nur für eine leidenschaftliche Nacht. Der Rennweg lag im Zentrum der Stadt, in idealer Nähe zum Gebäude der Kantonspolizei, wo mir als Detektiv für besondere Aufgaben ein Büro zur Verfügung stand. Ich packte mein Turnzeug in einen Sportsack, suchte in meiner Sammlung topografischer Landeskarten nach einem Blatt, das die Gegend von Rüschegg abdeckte, fand keines, steckte mein Notizbuch in eine mit Plastik verhüllte Kartentasche, wie ich sie mal im Militär verwendet hatte, schloss ab und stieg die Treppen hinunter zu meiner Giulia, die wie neu vor der Haustür stand.

Ich rechnete mit einer Fahrt von ungefähr zwei Stunden und würde nach Überquerung des Mutschellen und der Reuss auf das neue Teilstück der N 1 im Kanton Aargau einschwenken. Die Fahrt verlief an diesem warmen Morgen reibungslos. Es hatte seit Tagen nicht geregnet, die Straße lag trocken vor mir. Ich legte die Strecke von 140 Kilometern mit meiner Giulia locker zurück und gelangte früher als erwartet auf den Waisenhausplatz in Bern, wo mich das Polizeikommando der Stadtpolizei auf dem gepflasterten Platz vor dem schmucken Patrizierhaus parken ließ. Es lag einen Steinwurf vom Bundeshaus entfernt, wo im Westflügel das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement eine Flucht von Büros belegte.

Ich traf vor Catherine im Café Federal ein, bestellte einen Kaffee, durchstöberte das Berner Tagblatt und Der Bund in der Hoffnung, etwas über das sensationelle Geständnis von Deubel zu erfahren. Ich fand keine Zeile darüber, vermutlich war die Nachricht in einer früheren Ausgabe gedruckt worden. Catherine erschien pünktlich auf die Minute, wie es sich für eine gewissenhafte Polizistin gehörte.

»Mensch, ich hatte mich verschlafen. Bin noch ganz durcheinander«, keuchte sie. »Gut gereist?« Sie bestellte ebenfalls Kaffee und griff gierig nach den Brötchen, die der Kellner wenig später brachte.

»Problemlos«, antwortete ich, »außer dass es auf der Autobahn vor Bern wieder geknallt hat. Ein Sportwagen ist über den Grünstreifen geschlittert und auf der Gegenfahrbahn frontal mit einem Amischlitten kollidiert. Sah furchtbar aus.«

»Kommt immer wieder vor. Man müsste die Grünstreifen mit Schranken sichern.«

Ich sagte nichts darauf, studierte ihr anmutiges Antlitz.

»Also«, meinte sie kauend, »der Typ, der den Doppelmord von Rüschegg gestanden hat, heißt Jean Deubel.«

»Ich mag Leute nicht, die aus heiterem Himmel auftauchen und ein Verbrechen gestehen.«

»Wie das im Fall deiner Familie passierte?«

Ich schwieg. Es war nicht meine Familie.

»Ich hatte gestern noch mit dem Waadtländer Staatsanwalt telefonieren können. Er sagte, es liege an den Berner Behörden, den Fall unter den neuen, verblüffenden Beweisen wieder aufzunehmen. In Lausanne würden sie die Auslieferung von Deubel an die USA noch so gerne bewilligen.«

»Hat er sich zum Geständnis konkret geäußert?«

Catherine stellte die Kaffeetasse ab. »Hat er. Deubel wusste an-scheinend genaue Einzelheiten des Verbrechens, die nur der Täter kennen konnte.«

»Wieso wusste das der Staatsanwalt?«

»Er hat natürlich mit den Berner Untersuchungsbehörden Rücksprache genommen. Die haben ihm bestätigt, dass diese Details nur dem Täter bekannt sein können, weil die Polizei sie all die Jahre zurückbehalten hatte.«

Das war geschickte Polizeitaktik. Üblich in schweren Fällen.

»Die Anklage hat demnach im Prozess vor dem Berner Geschworenengericht diese Fakten auch nicht verwenden können, nehme ich an?«, bohrte ich weiter.

»Nein, hat sie nicht. Das wusste der Staatsanwalt mit Sicherheit. Die Anklage kannte damals diese Details nicht. Sie lagen nicht in den Akten.«

»Gut.«

»Was soll da gut sein?«

Ich rückte meinen Stuhl näher zu ihr heran.

»Also, du weißt vielleicht, Kottmann hat eine Anzahl toter Fälle, die nie aufgeklärt worden sind. Die Beschreibungen sind alle im dicken Ordner, den du auch erhalten hast, richtig?«

»Ich weiß, aber ich hoffe, wir gehen die Fälle zusammen durch. Akten durchackern ist nicht meine Stärke. Deine schon.«

»Wer sagt das?«

Sie verzog spöttisch die Mundwinkel. »Man hört sich halt so rum. Du hast scheinbar zwei Fimmel.«

»Ach so, sieh mal an, du analysierst mich?«

»Nein, das überlasse ich Mara, der Seelenklempnerin. Aber erstens sagt man, du kannst ein Dossier oder Kartenbild blitzschnell erfassen und …«

»Ein nützlicher Tick, und zweitens …?«

»Zweitens, seist du immer als Erster einsatzbereit gewesen, voll- gepackt und ausgerüstet, während andere noch gähnend in den Spiegel schauten.«

»Woher willst du das wissen?«

»FBI-Informanten.« Sie lachte.

»Unmöglich. Im FBI-Ausbildungscamp hatten wir gar keine Frauen, die hätten herumtratschen können.«

»Schon klar, der alte Hoover will keine, er hasst Frauen, außer seiner Mutter. Da haben halt in Quantico die Männer getratscht.«

»Männer tratschen nicht, sie erzählen Geschichtchen. Hoover ist zwar ein Muttersöhnchen, dafür hat er die Kriminaltechnik modernisiert. Apropos: Einige der Fälle auf Kottmanns Liste be-treffen Straftäter, die möglicherweise unschuldig im Knast sitzen. Ungereimtheiten in der kriminalistischen Arbeit.«

Catherine blickte mir prüfend in die Augen. »Hältst du diesen Neidegger etwa auch für unschuldig?«

Ich zuckte nur die Achseln. Es war ohnehin zu früh für Schluss-folgerungen. »Kottmann will heute in der Gruppe abstimmen, welchen Fall wir zuerst anpacken sollen.«

»Und du willst, dass Neidegger behandelt wird?«, sagte sie hellseherisch.

»Ich hab’s mir auf der Fahrt hierher überlegt. Ich finde, wir müssen der Sache nachgehen. Dieses Geständnis aus dem Waadtland …«

»Er hat gestanden, damit ist doch die Sache einigermaßen klar«, warf Catherine ein.

»Vielleicht auch nicht. Wir müssen herausfinden, warum Deubel nach fünfzehn Jahren plötzlich die Morde gestanden hat.«

Sie drehte nervös den Kaffeelöffel in ihrer rechten Hand herum.

»Siehst du irgendwelche Parallelen?«

Sie traf in der Tat einen Fall aus meiner FBI-Vergangenheit. Es ging um einen Mehrfachmord an einer ganzen Familie vor Jahren in Richmond, Virginia, wo ich aufgewachsen war. Mein Vater war früh bei einem Eisenbahnunfall in Argentinien ums Leben gekommen, und Mutter tat alles in ihrer Macht, um mir eine gute Ausbildung zu ermöglichen. College, Law School, U.S. Army und Ausbildung zum Special Agent des FBI im Schulungszentrum auf der Marinebasis Quantico. Man hatte den Mörder rasch gefasst und für schuldig befunden. Die Beweislage war erdrückend gewesen. Das Gericht verurteilte ihn zum Tod. Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl.

Dann, knapp bevor das Todesurteil vollstreckt wurde, verkündete ein Serienkiller aus der Todeszelle einer anderen Strafvollzugsanstalt, dass er den Mehrfachmord begangen hatte … Ich erinnerte mich noch gut. Das Geständnis hat die Öffentlichkeit bewegt. Ich arbeitete in dem FBI-Team, das extra zusammengesetzt wurde, um diesen Fall neu aufzurollen. Vom Ausgang der Ermittlungen erfuhr ich allerdings erst, als ich meinen Wirkungsort bereits von Virginia nach Zürich verlegt hatte, wo ich bei der Züricher Kantonspolizei als amerikanisch-schweizerischer Doppelbürger mit FBI-Vergangenheit gute Karten hatte. Das merkten auch an-dere. Es dauerte nicht lange, bis mich Guido Kottmann vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartment EJPD für Spezialaufgaben im Bereich schwere Gewaltdelikte kontaktierte.

»Die Parallelen gibt es tatsächlich«, bestätigte ich. »Die Brutalität ging mir damals ziemlich ans Lebendige.«

»Tut mir leid, diesen Punkt aufzubringen.«

»Schon recht«, räumte ich zögerlich ein. »Schwere Verbrechen weisen manchmal in den Abgründen des Täterprofils Ähnlichkeiten auf, die hilfreich sein können.«

Catherine blickte starr in ihre Tasse, als ob sie im Kaffee eine Erleuchtung fände, schaute auf die Uhr. »Na, schön, ich werde jedenfalls für den Neidegger-Fall stimmen. Wenigstens in Kottmanns Gruppe habe ich das Frauenstimmrecht. Wer ist der Vierte in der Gruppe?«

Ich zog ein Notizblatt aus meiner Brusttasche. »Schau, da steht sein Name. Oulevay. Philip Oulevay.«

»Moment, Oulevay von der Biskuitfabrik?«

»Er ist, glaub ich, mit der Besitzerfamilie entfernt verwandt. Ein junger Heißsporn, hat mir Kottmann berichtet. Man stichelte ihn auf der Polizeischule mit ›Biskuit‹. Der Spitzname ist ihm geblieben.«

Catherine lachte. »Und wie ist unser Biskuit qualifiziert?«

»Scheinbar ist er voll in Ordnung, sonst hätte ihn Kottmann kaum in die Gruppe berufen.«

Ich legte einen Geldschein auf den Tisch. »Komm, es ist Zeit, wir sollten uns aufmachen.«

6

Guido Kottmann hatte mir seine Vision von unserem Team er-klärt. Es würde von der Plattform des Bundesamts für Polizei, BAP, operieren und könnte auf BAP-Agenten, den wissenschaft-lichen Dienst der Stadtpolizei Zürich und Zivilisten mit besonderen Fähigkeiten zurückgreifen, um die ausgewählten Fälle wieder zu eröffnen und hoffentlich zu lösen.

Vielleicht ein Team von eigenbrötlerischen Außenseitern.

Mara hatte mir ein wunderbares Wochenende beschert. Ganz im Gegensatz zu Weihnachten, die ich allein und stumpfsinnig in meiner Klause überdauert hatte. Mir war ja nicht zum Feiern gewesen. Mir saß der grausige Mord an der Familie meines Freundes in Virginia immer noch in den Knochen.

Es war einzig Maras Verdienst gewesen, mich aus meinem Trübsinn zu befreien, und vielleicht hatte sie sogar eine Art Wende in meinem zerwühlten Innern bewirkt. Vorwärts schauen, Ken, hatte sie mich ermuntert. Wohl zu Recht. Der neue Job in Kottmanns Sondereinheit lag vielversprechend vor mir und könnte den Klumpen lösen. Aber nur, wenn der Fall Neidegger neu aufgerollt wird. Das spürte ich in allen meinen Fasern. Vielleicht war das spektakuläre Geständnis von Deubel im Knast von Bochuz ja eine Art verspätetes Weihnachtsgeschenk.

Neidegger Hans, fünfzehn Jahre im Zuchthaus für ein Verbrechen an seinen Eltern, das er vielleicht nicht begangen hatte. Ein populärer Spitzenathlet, den die Verurteilung wegen Mordes kurz vor einem weiteren Höhepunkt seiner Karriere abrupt in die Ver-gessenheit versenkte. Schwingen, ein einzigartiger alpiner Kampf-sport, mobilisierte in der Schweiz Massen von Zuschauern. Ich kannte mich nicht besonders gut aus, wusste nur, dass ein Kranzschwinger, geschweige denn der Schwingerkönig, der alle drei Jahre am Eidgenössischen Schwingfest erkoren wird, weitaus popu-lärer war als jeder der sieben Bundesräte, die kollektiv die Landesregierung der Schweiz bilden. Ungefähr so beliebt wie die Radrennfahrer Kübler und Koblet. Die beiden gewannen kurz nacheinander die Tour de France, als Neidegger Hans 1953 auf dem Höhepunkt seiner Karriere stand und nach der Krone des Schwingerkönigs griff.

Ich war nervös, blieb aufgewühlt. Der Doppelmord von Rüschegg lag ziemlich nahe am Verbrechen in Virginia. Catherine hatte mich rücksichtslos in Aufruhr versetzt, sodass nicht einmal mein sonst klarer Verstand mit dieser seltsamen Ähnlichkeit zu-rechtkam.

In Kottmanns nüchterner Amtsstube setzten wir uns an den rechteckigen Metalltisch. Hinter seinem schlichten Pult hingen an der Wand ein paar schwarz-weiße Fotos, die ihn im Kreis von vermutlich anderen Ermittlern zeigten, darunter, auf einem Schubladenregal, standen Wimpel und Plaketten, begehrte Auszeichnungen für seine Verdienste im Polizeidienst. Ein viereckiger Fernseher mit schwarzem Bildschirm bot auf einem fahrbaren Möbel ein trostloses Bild.

Die Tür zu seinem Sekretariat stand offen, ein Matrizendrucker mit Handkurbel stand auf einem Tisch. Daneben lag ein Stapel Blätter, die offensichtlich der Vervielfältigung mit dem Blaudrucker harrten. Das stete Klimpern einer Schreibmaschine verriet eine dem Blick verborgene Sekretärin.

Kottmann schaute seine Besucher an. Er strahlte ruhige Autorität aus, die man nur erwerben kann, wenn man Leute immer wieder in verschiedenen Einsätzen befehligt hat. Er war gegen fünfzig, war groß gewachsen, fit, mit dunklem Haar, das mit ein paar Silbersträhnen durchzogen war. Rechts neben ihm hatte Catherine Platz genommen, auf der linken Seite lehnte Philip Oulevay alias Biskuit, etwas salopp im Stuhl. Sein dunkelblondes Haar fiel der Mode entsprechend wie ein Pilz über die Ohren. Er trug Jacke, weißes Kragenhemd und eine locker gebundene Krawatte. Ich saß Kottmann direkt gegenüber. In der Mitte des Tisches stand eine von vier Gläsern umrahmte Flasche Mineralwasser. Grelles Licht drang in meinem Rücken durch breite Fenster, was mir behagte, weil ich gerne meine Züge im Schatten wusste und dabei die hell erleuchteten Gesichter meiner Gesprächspartner beobachten konnte.

»Willkommen im BAP«, begrüßte uns Kottmann nochmals formell und schaute mich an.

Ich zauderte nicht. »Ich möchte, dass wir den Fall Neidegger untersuchen.«

Kottmann schürzte die Lippen, nahm die Blätter vor sich in die Hände. »Ist nicht vorgesehen.«

»Was ist dann vorgesehen?«, fragte ich, nahm die Wasserflasche, reihte die Gläser auf und schenkte ein.

Als Antwort verteilte Kottmann seine Blätter. Das Klimpern im Nebenraum hatte aufgehört. Dafür knatterte ein Fernschreiber in die Stille. Ich sah, wie eine gepflegte, jüngere Dame mit schwarzem Chignon am Blaudrucker stand und die Kurbel drehte.

»Das ist die Zusammenfassung der Fälle, die wir in Betracht ge-zogen haben«, sagte Kottmann und verteilte die Bögen.

Die Dame verschwand aus meinem Blickfeld, kam wenig später, höflich an die Tür klopfend zurück. »Was ist, Frau Ziegler?«

»Ein Umschlag für Herrn Cooper ist eben abgegeben worden.« Sie trat vor und legte ihn neben mir auf den Tisch.

Ich bedankte mich, öffnete den Umschlag, blickte rasch hinein und legte ihn wieder ab. Das Gruppenarrangement behagte mir nicht, ich war auch nicht gewöhnt, in einem Team zu diskutieren, sondern meine Entscheidungen allein zu treffen, musste aber wohl oder übel gute Miene zu Kottmanns Spiel machen.

»Philip ist ein BAP-Agent, der sich draußen im Feld bewährt hat«, sagte Kottmann, während sich Biskuit aufrichtete und etwas linkisch am Hemdkragen herumdrückte. Ich musterte ihn. Er wirkte fit und schaute aus, als könne er einen langen Marsch mit Gepäck und Waffe ewig durchhalten. Sein Rückgrat war jetzt so bestärkend gerade wie seine gestreifte Krawatte. Ich fand nichts Einladendes an ihm, er starrte mich nur ernst an.

»Wir haben zehn Fälle herausgepflückt, Sie hatten alle ja bereits Gelegenheit, sie zu studieren«, hörte ich Kottmann.