Samuel Salzborn
Angriff der
Antidemokraten
Die völkische Rebellion
der Neuen Rechten
Samuel Salzborn, geb. 1977 in Hannover, Dr., ist apl. Professor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Gießen. Studium der Politikwissenschaft, Soziologie, Psychologie und Rechtswissenschaft an der Universität Hannover, Promotion (Köln) und Habilitation (Gießen) im Fach Politikwissenschaft. Lehr- und Forschungstätigkeit an den Universitäten Göttingen, Marburg, Bielefeld, Prag (VSE), Jerusalem und der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung.
Zur besten Sendezeit hetzen? Die Verrohung der Öffentlichkeit
Einleitung
1 Von der Konservativen Revolution zur Neuen Rechten: Die Volkisierung des Politischen und die Rebellion gegen die Demokratie
1.1 Die Erfindung des „Volkes“ und die Konservative Revolution
1.2 Das „völkische Volk“ im Kampf gegen die demokratische Nation
2 Die Neue Rechte in der Bundesrepublik
2.1 Entstehung, Ideologie und Strategie der Neuen Rechten
2.2 Aufstieg und Niedergang der Neuen Rechten
2.3 Der Wiederaufstieg der Neuen Rechten: Strategien zwischen Metapolitik und kultureller Hegemoniegewinnung
2.4 Die Renaissance der Neuen Rechten
3 Kronzeuge der Neuen Rechten im Kampf gegen die Demokratie: Carl Schmitt
3.1 „Todesbereitschaft und Tötungsbereitschaft“
3.2 „Vernichtung des Heterogenen“
3.3 Diktatorische Reinheitsfantasien und der Hass auf den Pluralismus
3.4 Der erfundene Volkswille
3.5 Schmitt und die Neue Rechte
4 Gegen die Aufklärung, für den Irrationalismus: Die Neue Rechte und die Religion
4.1 Religion: Das Eigene, das Fremde, das Andere
4.2 Grundlagen des religiösen Weltbildes
4.3 Das Eigene: Das Christentum
4.4 Das Fremde: Der Islam
4.5 Das Andere: Das Judentum
4.6 Neurechte Religionsverständnisse
5 Ist das Antisemitismus?
Die Verharmlosung der Judenfeindschaft durch inszenierte Naivität und Ignoranz
5.1 Die Abwehr der NS-Vergangenheit und der Wunsch nach kollektiver Unschuld
5.2 Die Spitze vieler Eisberge: Der Fall Gedeon und der tiefsitzende Antisemitismus
5.3 Antisemitismus im Kontext: Das gefährliche Schweigen der Mehrheitsgesellschaft
6 Virtuelle Verschwörungswelten, realer Verschwörungswahn: Die identitäre Mobilisierung von Affekten
6.1 Verschwörungsmythen und Affektmobilisierung
6.2 Die Verstärkerfunktion sozialer Medien
7 Männlich, halbgebildet, situiert, egoistisch: Der soziale Bodensatz der Antidemokraten
7.1 Egoismus und Demokratieferne
7.2 Die völkische Rebellion
8 Faszination Russland: Aleksandr Dugin und die neurechte Utopie der heilig-heilen Welt
8.1 Dugins Denknetze zwischen Eurasismus, Konservatismus und Neuer Rechter
8.2 Antiamerikanischer Anti-Mondialismus und eurasischer Imperialismus
8.3 Das „neue geopolitische Evangelium“ und der messianische Erlösungsglaube
8.4 Dugins antiaufklärerische Theorie als neurechte Vision einer heilig-heilen Welt
9 Hass auf Gleichheit, Hass auf Gleichberechtigung: Der parteipolitische Arm der völkischen Rebellion
9.1 Hass auf die Gleichheit: Der völkisch-autoritäre Nationalgallismus
9.2 Hass auf die Gleichberechtigung: Der patriarchale Antifeminismus
9.3 Hass auf die Gerechtigkeit: Der kleinbürgerliche Klientelismus
10 Was tun? Strategien gegen die Feinde der Demokratie
10.1 Demokratieschutz durch Ausgrenzung rechter Parolen
10.2 Demokratische Gleichheit statt völkischer Pseudo-Meinungsfreiheit
10.3 Pluralismus und Polarisierung
Literatur
Wer in den letzten Monaten abends den Fernseher einschaltete und eines der Talkshowformate zur besten Sendezeit wählte, rieb sich oft verdutzt die Augen, war doch Knall auf Fall ein unausgesprochener Konsens der bundesdeutschen TV-Landschaft gebrochen: die Talker(inne)n zur Primetime diskutierten Woche für Woche mit Vertreter(inne)n der extremen Rechten (vgl. Gensing/ Reisin 2016). Man kann fraglos darüber streiten, ob antidemokratische Positionen innerhalb einer Demokratie überhaupt unter Einbezug ihrer Verfechter/innen medial diskutiert werden sollten – vieles spricht dagegen – aber den Demokratiefeinden ohne Not in epischer Breite eine Bühne für ihre Parolen zu schaffen, irritierte. Mehr noch: es war ein wesentlicher Garant dafür, dass sich Menschen, die rassistische, antisemitische und völkische Einstellungen haben, Abend für Abend darin ermutigt fühlen mussten, nun bei der nächsten Wahl ihre rassistischen Einstellungen auch in rassistische (Wahl-)Handlungen umzusetzen.
Es nutzt wenig, wenn Tages- und Wochenzeitungen in oft umfangreichen Recherchen die Weltbilder, Vernetzungen und Ziele rechter Gruppierungen herausarbeiten und aufzeigen, warum sich die neu etablierte Partei Alternative für Deutschland (AfD) als parlamentarischer Arm der rechten Bewegung mit wesentlichen Forderungen gegen die Kernelemente der bundesdeutschen Demokratie stellt, wenn die Fernsehsender diese Erkenntnisse fortlaufend konterkarieren. Nämlich dadurch, dass sie so tun, als seien Rassismus und völkischer Nationalismus einfach Meinungen, die in einer Demokratie gleichberechtigt neben anderen medial diskutiert werden sollten. Schuld und Verantwortung für den Aufstieg der AfD allein bei den TV-Talkshows zu suchen, wäre sicher verfehlt – ohne die umfangreichen Möglichkeiten zur personellen Selbstdarstellung und inhaltlichen Werbung wäre die AfD aber weder kontinuierlich in Landtage eingezogen, noch hätte sie es geschafft, irgendwo (außer vielleicht in einigen Regionen Ostdeutschlands) zweistellige Ergebnisse zu erzielen.
Eine Gesellschaft, die meint, rassistische und völkische Positionen – die gegen basale Grundnormen der Verfassung wie Art. 1 – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – und Art. 3 des Grundgesetzes – „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“1 – verstoßen und damit außerhalb des demokratischen Pluralismus stehen – seien diskutierbar, läuft Gefahr, ihren demokratischen Kern selbst zu zerstören. Dass man das wissen kann, will dieses Buch zeigen: Es geht darum kenntlich zu machen, wie der Angriff der Antidemokrat(inn)en erfolgt, warum ihre Ziele antidemokratisch und demokratiefeindlich sind, wie die Bezugnahmen auf völkische Bewegungen erfolgen, wer zentrale Referenzautoren sind und warum die bundesdeutsche Demokratie als wehrhafte Demokratie endlich aufhören muss, Rassist(inn)en öffentliche Foren zu bieten. Wir müssen dringend über Rassismus diskutieren – und ebenso dringend wieder aufhören, dies mit Rassist(inn)en zu tun.
Die Geschichte des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik zeigt, dass schon einmal eine Partei ähnlich erfolgreich war, wie die AfD – aber dann, bei der Bundestagwahl 1969, knapp an der Fünf-Prozent-Sperrklausel gescheitert ist: die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD). Da eine Politikwissenschaft, die sich als Aufklärungswissenschaft versteht, nicht nur klar Stellung nehmen muss für Aufklärung und Demokratie, Freiheit und Gleichheit, sondern ebenso deutlich Stellung beziehen muss gegen alle Angriffe, die diese Fundamente, die es den Menschen ermöglichen, in Sicherheit miteinander im pluralistischen Sinne uneins sein zu dürfen, versteht sich dieses Buch als dezidiertes Plädoyer: als an alle Bürger/innen gerichtetes Plädoyer – egal welcher Parteipräferenz, egal aus welchen Berufsgruppen und egal mit welchen religiösen, kulturellen, sexuellen oder sonstigen Präferenzen – alles dafür zu tun, um weitere Erfolge der völkischen Rebellen am rechten Rand der Gesellschaft zu verhindern. Denn sie zerstören die Grundlage eben dieses Pluralismus.
Als die NPD 1969 scheiterte, zerfiel die extreme Rechte in zwei Flügel: einen, der begann den Kampf gegen den Parlamentarismus als terroristischen Kampf zu führen und einen, der meinte, man müsse nicht primär um die Parlamente, sondern um die Köpfe kämpfen. Ziel war eine rechte kulturelle Hegemonie. Auch wenn die AfD weit davon entfernt ist, dem intellektuellen Anspruch dieser damals entstandenen „Neuen Rechten“ zu genügen, folgt sie ihren Strategien und ist Ausdruck und Ergebnis dieses rechten Kulturkampfes: Begriffe völkisch umzudeuten, antiaufklärerische Forderungen öffentlich zu verankern und so Affekte gegen den Verstand zu mobilisieren mit dem Ziel, die Demokratie von innen heraus zu zerstören. Es geht nicht um den gewaltsamen Umsturz, wie ihn Nazi-Terrorist(inn)en durch Anschläge und Morde herbeiführen wollen, es geht darum, die Demokratie in ihrem Kern von Freiheit und Gleichheit zu zerstören, die offene Gesellschaft zu segmentieren und in eine feindselige, unsolidarische und kampfbereite Gemeinschaft zu verwandeln, aus der alles, was als „fremd“ und „abweichend“ verstanden wird, ausgegrenzt werden soll. Dass dabei jede/r zur/m „Fremden“ werden kann, weil es nicht um rationale Kriterien geht, sondern um irrationale, völkische Fantasien, sollten all jene nicht vergessen, die glauben, Parteien wie die AfD könnten auch nur punktuell wählbar sein: in den völkischen Vorstellungen und ihrem zwanghaften Wahn nach Identität und Homogenität gibt es keinen rationalen Kern, da die rechte Vorstellung einer gemeinsamen Kollektivabstammung durch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gedeckt ist, sondern auf der Erfindung von rassebiologischen Konstrukten basiert (vgl. Zuber 2015) – insofern kann, wer heute noch glaubt, zum „deutschen Volk“ zu gehören, schon morgen ausgeschlossen werden, weil die völkischen Rebell(inn)en ihre willkürlichen Kriterien einfach ändern.
Wesentlich an den Strategien rechter Hegemoniegewinnung ist, die öffentliche Sagbarkeitsgrenze zu verschieben. Und diese Strategie funktioniert so: es gibt in einer demokratischen Gesellschaft zwei Ebenen, auf denen definiert ist, was Teil des politischen und des gesellschaftlichen Pluralismus ist – und auch, was von diesem ausgeschlossen wird. Die harte Regelung dessen ist die gesetzliche: das Strafrecht limitiert die freie Meinungsäußerung und stellt bestimmte Formen von diskriminierenden Aussagen unter Strafe. Juristisch spricht man hier von der Norm; mit Blick auf das Grundgesetz sind wesentliche Aspekte der Verfassungsnorm in den Grundrechten fixiert, die ihrerseits wiederum den Rahmen für einfachgesetzliche Regelungen – wie das Strafrecht – bilden. Neben der Verfassungsnorm existiert aber auch, als weiches Kriterium, die Verfassungswirklichkeit – die sozialwissenschaftlich oft als politische Kultur bezeichnet wird und die nicht immer im Einklang mit der Verfassungsnorm stehen muss.
Als politische Kultur versteht man, angelehnt an die Begründer der politischen Kulturforschung Gabriel A. Almond und Sidney Verba (1963) formuliert, die subjektive Dimension des Politischen, also letztlich die Frage, wie die rechtlichen und politischen Strukturen, in der Gesellschaft in und durch die Individuen verstanden, getragen und akzeptiert werden – oder eben auch nicht (vgl. hierzu ausführlich Salzborn 2012a). Die politische Kultur eines Landes, die immer nur im Plural gedacht werden kann, formuliert ein Setting von ungeschriebenen Regeln, die für das Handeln der Akteurinnen und Akteure zentral sind. Wollte man es metaphorisch ausdrücken, ist die politische Kultur so etwas wie der überindividuell konstituierte Mentalitätsbestand eines Teiles der Gesellschaft. Die ungeschriebenen Regeln, die den politischen Kulturen zugrunde liegen, können dabei in drei Verhältnissen zu den normativen Vorgaben des politischen Systems, also zur Verfassungsnorm stehen. Erstens können die ungeschriebenen Regeln des Politischen innerhalb einer Gesellschaft (weitgehend) identisch mit den formalen Regeln und Institutionen sein oder zumindest nicht im Konflikt mit ihnen stehen. In diesem Fall stützt die Verfassungswirklichkeit die Verfassungsnorm, und die ungeschriebenen Regeln führen zu einer stabilen Verfassungsordnung. Zweitens besteht die Möglichkeit, dass die ungeschriebenen Regeln im Widerspruch zur geschriebenen Verfassung stehen und insofern ein Spannungsverhältnis zwischen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit formulieren. Sie wollen die geltenden Normen verändern, wobei es gleichermaßen um konstruktive wie destruktive Veränderungen im Sinne von (zunehmender) Demokratisierung und (zunehmender) Autokratisierung gehen kann. Und drittens schließlich können die ungeschriebenen Regeln des Politischen politische Apathie begründen und damit ebenfalls zu Stabilität führen, da ihre Akteurinnen und Akteure weder gesellschaftlich noch politisch in irgendeiner Weise aktiv werden.
Während an der Verfassungsnorm von der extremen Rechten aufgrund der demokratischen Mehrheitsverhältnisse – immerhin sind nach aktuellem Stand mindestens 85 Prozent der deutschen Bevölkerung gegen die AfD – keine Änderungen möglich sind, versuchen sie durch ihre Kämpfe um kulturelle Hegemonie die Grenzen des Sagbaren aufzuweichen und die politische Kultur der Bundesrepublik auf diese Weise schleichend nach Rechts zu verschieben. Wenn es gelingt, so die rechte Hoffnung, die Verfassungswirklichkeit zu entdemokratisieren, dann kann in einem zweiten Schritt auch die Verfassungsnorm entsprechend geändert bzw. abgeschafft werden. Wie diese Strategie funktioniert, zeigen exemplarisch zwei Äußerungen der AfD-Politikerinnen Frauke Petry und Beatrix Storch sowie ihr vor allem strategischer Umgang mit der gegen sie formulierten Kritik.
Petry gab der Tageszeitung Mannheimer Morgen am 30. Januar 2016 ein Interview, das in Auszügen im Wortlaut lesenswert ist, illustriert es doch sehr anschaulich die Strategie der rechten Hegemoniegewinnung in der Öffentlichkeit:
Frage: „Was passiert, wenn ein Flüchtling über den Zaun klettert?“
Petry: „Dann muss die Polizei den Flüchtling daran hindern, dass er deutschen Boden betritt.“
[…]
Frage: „Noch mal: Wie soll ein Grenzpolizist in diesem Fall reagieren?“
Petry: „Er muss den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz.“
Frage: „Es gibt in Deutschland ein Gesetz, das einen Schießbefehl an den Grenzen enthält?“
Petry: „Ich habe das Wort Schießbefehl nicht benutzt. Kein Polizist will auf einen Flüchtling schießen. Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt. Entscheidend ist, dass wir es so weit nicht kommen lassen und über Abkommen mit Österreich und Kontrollen an EU-Außengrenzen den Flüchtlingszustrom bremsen.“
Was man an den Antworten von Petry sehen kann, ist, dass hier eine sprachliche Normalisierung von Rassismus und Gewalt vorgenommen wird, wobei Petry etwas sagt, um anschließend so zu tun, als hätte sie es nicht gesagt. Damit dieses Faktum im Interview nicht überlesen wird, ist der Hinweis wichtig, dass die Journalisten Petry – im Übrigen: sehr höflich – darauf ansprechen, dass ihre Auffassung im Widerspruch zu geltendem Recht steht und ihre Überzeugung gegen die bundesdeutsche Rechts- und Verfassungsordnung gerichtet ist. Statt darauf zu reagieren, umschifft sie die Antwort mit einer Flucht vor der Wahrheit, indem sie leugnet, ein Wort verwendet zu haben, das sie zwar tatsächlich wörtlich nicht gebraucht hat, der Substanz nach aber schon. Auf diese Weise bleibt ihre rassistische und einen willkürlichen, weil nicht durch Gesetze gedeckten Waffeneinsatz befürwortende Aussage im Raum stehen. Und genau darin besteht die Strategie: auf diese Weise soll die Gesellschaft verroht werden und Themen, die zurecht aus der Demokratie ausgegrenzt sind, wieder in der Mitte der Gesellschaft platziert werden.
Die Positionierungen erfolgen, wie in dem Beispiel, jeweils lautstark und medienwirksam und werden – wenn sie dann als rassistisch oder menschenfeindlich charakterisiert werden – nicht zurückgenommen, sondern nur relativiert und so im Diskurs gehalten. Das Ziel dabei ist: die Erringung einer kulturellen Hegemonie über das, was als diskutabel in einer Demokratie erscheint – mit der Hoffnung, dies in einem späteren Schritt dann auch umsetzen zu können. Genau dasselbe zeigte sich an dem Verhalten von Beatrix Storch. Diese bejahte die Frage, ob man notfalls an den bundesdeutschen Grenzen auch auf Kinder schießen solle und behauptete dann, sie sei mit der Maus ausgerutscht. Auf Facebook war Storch gefragt worden: „Wollt ihr etwa Frauen mit Kindern an der grünen Wiese den Zutritt mit Waffengewalt verhindern?“ Sie antwortete: „Ja.“ (Vgl. o. V. 2016) Dass die Behauptung, mit der Maus ausgerutscht zu sein, völliger Quatsch und ohne Frage eine Lüge ist, ist jedem klar, der jemals in seinem Leben einen Computer bedient hat. Insofern bekam Storch, Enkelin des NS-Reichsfinanzministers Johann Krosigk, auch reichlich Spott in den sozialen Netzwerken, aber mit Blick auf die medienpolitische Strategie blieb der Kern der ungeheuerlichen Aussage stehen: es schien so, als könnte man darüber diskutieren, dass an Grenzen auf Frauen und Kinder geschossen wird. Denn Storch hat die Zustimmung nicht zurückgenommen (sondern nur vage relativiert, dass man wohl doch nicht auf Kinder schießen solle), sich nicht entschuldigt, nicht gesagt, dass sie etwas Menschen verachtendes gesagt hat – sie hat eine alberne Ausrede gewählt, über deren Absurdität diskutiert wurde, womit von dem gewaltverherrlichenden Rassismus abgelenkt wurde.
Hannes Stein hat mit Blick auf die amerikanische Debatte nach dem Wahlsieg von Donald Trump sehr präzise auf den Punkt gebracht, wie die von der AfD in Deutschland adaptierte neurechte Medienstrategie funktioniert. Stein nennt diese Strategie Gaslighting – mit Bezug auf den Film Gaslight von 1944, bei dem die Hauptfigur in ein Szenario gerät, bei dem sie selbst irgendwann nicht mehr weiß, was „Realität und was Einbildung ist“:
„Amerikanischen Psychologen verwenden ‚gaslighting‘ mittlerweile als klinischen Fachausdruck: Es handelt sich um eine Form des Missbrauchs, die für Psychopathen und Narzissten sehr typisch ist. Wenn man sie trifft, sind solche Menschen charmant, ja liebenswürdig. Es ist schwer, nicht auf sie hereinzufallen. Allerdings lügen sie ohne die geringsten Gewissensbisse. Sie lügen eigentlich unaufhörlich. Hinterher leugnen sie, dass sie gesagt haben, was sie gesagt haben. […]
Das ‚gaslighting‘, das Donald Trump betreibt, wurde in Russland perfektioniert – von Wladislaw Surkow, einem der wichtigsten Berater des neuen Zaren Wladimir Putin. Die ‚Methode Surkow‘ funktioniert so: Man inszeniert einen gewaltigen Zirkus und generiert viel bunten Rauch. Es geht dabei gar nicht darum, ob die einzelnen Lügen geglaubt werden. Es geht vielmehr darum, die Wahrheit im Lärm der Lügen untergehen zu lassen. Die Journalisten dürfen nicht mehr wissen, in welche Richtung sie schauen sollen. […] Vor allem aber müssen Journalisten ganz altmodisch darauf beharren, dass es auch im Zeitalter von Twitter und Facebook eine handfeste, nachprüfbare Wahrheit gibt. Nur so kann das ‚gaslighting‘ beendet werden.“ (Stein 2016)
Auf der einen Seite ist es neurechte Medienstrategie im Kampf für eine rechte „kulturelle Hegemonie“, auf der anderen Seite das Prinzip des Gaslighting, das die AfD öffentlichkeitswirksam praktiziert. Es geht darum, wie es in einem Strategiepapier des AfD-Bundesvorstandes aus dem Dezember 2016 heißt, „sorgfältig geplante Provokationen“ zu platzieren (zit. n. Kamann 2016), man müsse „ganz bewusst und ganz gezielt immer wieder politisch inkorrekt sein“, „harte und provokante Slogans“ seien „wichtiger als lange, um Differenzierung bemühte Sätze“ (zit. n. Leif/Gensing 2017). Zentrales Ziel der AfD ist dabei die „Eskalation der Konflikte“ und die „Verschärfung der inhaltlichen Positionierung“, denn: „Je klarer und kontroverser die AfD sich positioniert desto weniger können die Medien sie ignorieren.“ (AfD (2016a, S. 19). Das offensichtliche Ziel dieser Hoffnung auf Kaperung der demokratischen Medien besteht darin, möglichst viele Lügen und Halbwahrheiten zu streuen und dabei um jeden Preis zu provozieren. Es soll das aggressive Gefühl geschürt und der irrationale Glaube verbreitet werden es gebe keine Wahrheit, sondern nur noch „postfaktische“ Emotionen – umso in einem dichten Nebel der Gerüchte die eigene völkische, rassistische und antisemitische Weltsicht schleichend zu verankern und dabei die demokratischen Medien zu instrumentalisieren.
Die Wahrheit ist, dass die bundesdeutsche Demokratie gut daran täte, Aussagen wie den exemplarisch von Petry und Storch zitierten überhaupt keine öffentliche Bühne zu bieten, da ihr Anliegen einzig in der Verschiebung des Sagbaren besteht und sich gegen die bundesdeutsche Verfassungsnorm richtet. Es gibt keinen Anspruch, nach dem eine Verrohung der Gesellschaft oder einer Barbarisierung der Sprache öffentlich Raum bekommen müsste – im Gegenteil. Denn die bundesdeutsche Demokratie ist eine pluralistische Demokratie. Und zum Konzept des Pluralismus gehört, klar zu sagen, was nicht demokratisch, was antidemokratisch und was demokratiefeindlich ist. In Konsequenz auf den Nationalsozialismus hat die bundesdeutsche Verfassung eine Reihe von Regelungen geschaffen, die Demokratiefeinde hindern soll, die Demokratie – wieder – auf legalem Weg abzuschaffen.
Dass von rechter Seite diese wehrhafte Demokratie stets aufs Neue angegriffen wird und man sich hierbei gern plakativ auf Meinungsfreiheit beruft, wendet die Verfassungsnorm in der rechten Öffentlichkeitsstrategie diametral gegen ihren eigentlichen Kern. Denn beim rechten Rekurs auf die Meinungsfreiheit handelt es sich nicht nur um ein verkürztes, sondern letztlich ein falsches Verständnis von Meinungsfreiheit – was den rechten Akteur(inn)en in einem doppelten Sinn gleichgültig ist: zum einen, weil sie die Meinungsfreiheit, hinter der sich schon in den 1950er Jahren aus strategischen Gründen die Holocaust-Leugner verschanzen wollten, ausschließlich instrumentell verstehen und es ihnen nur darum geht, Positionen, die mit gutem Grund aus dem demokratischen Diskurs ausgegrenzt werden, (wieder) salonfähig zu machen; zum anderen, weil sie aufgrund dieses instrumentellen Verhältnisses zur Meinungsfreiheit vorsätzlich oder unbewusst nicht wahrnehmen, dass es gerade auch Kern dieser demokratischen Meinungsfreiheit sein kann, zu fordern, dass rechtsextreme Positionen eben nicht Teil des demokratischen Pluralismus sein sollen, weil, wie schon Umberto Eco (1993) sagte, um tolerant zu sein die Grenzen der Toleranz bestimmt werden müssen – um nicht von den Feinden der Toleranz selbst zum Opfer von deren (in letzter Konsequenz oft gewalttätiger) Intoleranz gemacht zu werden. Auf eine Kurzformel gebracht, die im Prinzip den Fundamentalkonsens der bundesdeutschen Verfassungsordnung widerspiegelt: keine bedingungslose Freiheit für die Feinde der Freiheit – denn die Nationalsozialisten waren es, die die Freiheiten der Weimarer Verfassung genutzt haben, um diese auf legalem Weg abzuschaffen und damit ein totalitäres Regime zu errichten.
Einen Erfolg im Ringen um die Verschiebung des öffentlichen Meinungsklimas in antidemokratischer Intention können die völkischen Rebell(inn)en allerdings schon lange verbuchen – und er ist eine Grundlage dafür, dass man Rechten so exorbitant viel TV-Raum einräumt: Heute wird von vielen Menschen der Terminus Political Correctness (PC) verwandt – aus völlig unterschiedlichen politischen Spektren. Dass dieser rechte Kampfbegriff in die öffentliche Debatte eingesickert ist, ist dabei ein Erfolg neurechter Strategien (vgl. Gießelmann 2016): in den 1990er Jahren startete die Wochenzeitung Junge Freiheit eine Imagekampagne, bei der Anti-PC-Aufkleber verteilt wurden. Man hat dazu eine intentional gänzlich anders gelagerte amerikanische Debatte, die auf Antidiskriminierung zielte, instrumentalisiert, den Begriff übernommen und dafür genutzt, um zu suggerieren, dass es nicht gute, berechtigte und für eine Demokratie richtige Gründe sind, rechte Positionen auszugrenzen, sondern dass es eine Haltung der Political Correctness gebe, dies zu tun.
Wenn man den Begriff etwas genauer unter die Lupe nimmt, fällt auf, dass er mit einer völkischen Phantasie arbeitet – nämlich der Unterstellung, dass es jenseits des (Straf-)Rechtes irgendwelche Menschen oder Gruppen geben würde, die die Macht darüber hätten zu definieren, was nun politisch korrekt sei und was nicht. Insofern liegt hinter dem Begriff ein Verschwörungsglaube an unfassbare Mächte im Hintergrund, die Menschen kontrollieren und ihnen Vorschriften machen würden. Die Geschichte der Bundesrepublik zeigt, dass das schlichtweg gelogen ist – aber es spielt mit der Phantasie von Menschen, die selbst glauben, bestimmte Dinge nicht sagen zu können und verschafft denen, die an die Existenz einer Political Correctness glauben, einen selbstgefälligen und arroganten Opferstatus, bei dem man jede noch so menschenverachtende und antidemokratische Gesinnung stets im Gestus vorbringen kann, man selbst werde ja unterdrückt in seiner Meinungsfreiheit. Dass in einer Demokratie die systematische Diskriminierung von Menschen aus rassistischen, antisemitischen und völkischen Gründen rechtlich und politisch unterbunden werden muss, soll die Freiheit und Gleichheit der Menschen garantiert werden, wird mit der Phantasie der Existenz einer Political Correctness vom Tisch gewischt – und dass der Begriff in den Mehrheitsdiskurs eingesickert ist, zeigt, wie wirkmächtig neurechte Strategien sein können: Denn wenn man erstmal den Begriff verwendet, dann kauft man unter der Hand damit auch seine Assoziationen ein und beteiligt sich – oftmals, ohne dies zu wollen oder gar nur zu wissen – an einem schleichenden Prozess der Entdemokratisierung. Dies geschieht auch in den Fernsehtalkshows, wenn man dort bei der Programmplanung glaubt, man können offen über „alles“ reden, sich besonders plural und unbeeinflusst von der (erfundenen) Political Correctness wähnt, dabei aber mit jeder Einladung an eine/n rechte/n Politiker/in ein Stück demokratischer Freiheit herschenkt, statt sie gegen die neurechten Agitator(inn)en zu verteidigen, für die demokratische Medien sowieso nur als – so der vom Nationalsozialismus übernommene Kampfbegriff – „Lügenpresse“ gelten.2
Es geht beim Angriff der Antidemokrat(inn)en um eine völkische Rebellion: ein Aufbegehren gegen die demokratischen Strukturen in Politik und Gesellschaft, das sich autoritär gegen Gleichheit und Universalismus richtet. Die Rebellion will beides: Aufbegehren und sich zugleich Unterordnen, sie ist unterwürfig wie unterdrückend, das Gegenteil von Emanzipation, Individualität und Subjekthaftigkeit. Sie rebelliert nicht für, sondern gegen die Freiheit – das aber unerbittlich und bedingungslos. Diese völkische Rebellion geht von einem zentralen Narrativ aus, das um den Begriff „Volk“ kreist: das „Volk“ werde von „denen da oben“ belogen, der „Volkswille“ komme nicht zum Ausdruck, das „Volk“ drohe „überfremdet“ zu werden, die „Volkssubstanz“ sei gefährdet, das „Volk“ sterbe gar aus. Gemeinsam ist sämtlichen dieser Unterstellungen ein antidemokratisches Verständnis des Begriffes „Volk“, denn im Zentrum antidemokratischen und rechtsextremen Denkens steht die positive Bezugnahme auf die Kategorie „Volk“ in einem essentialistischen, kollektiven und homogenisierenden Sinn.
Denn „Volk“ wird eben nicht im Sinne des vormodernen Volksbegriffes verwandt, der in etwa so viel meinte wie „einfaches Volk“, und auch nicht im Sinne von Staatsvolk, also als „unter Rechtsgesetzen“ (Kant 1797, S. 313) zusammenlebenden bürgerlichen Subjekten (unterschiedlicher Kultur, Religion usw.) innerhalb einer Staatsnation. Das antidemokratische Verständnis fokussiert auf ein Verständnis von „Volk“, das in expliziter Abgrenzung vom westlichen Terminus Nation formuliert wird und hat zwei Stoßrichtungen: eine, die darauf zielt, das demokratische Subjekt zu zerstören und durch ein völkisches Volk zu ersetzen und eine, die zur Rebellion gegen die repräsentative und parlamentarische Demokratie aufruft. Beide Stoßrichtungen haben historisch denselben Ursprung und die identischen Vorbilder: den Weimarer Kampf der sogenannten Konservativen Revolution gegen die Demokratie.
Gemeinsam ist den völkischen Vorstellungen der Kampf gegen das Subjekt und der Vorzug des Kollektivs vor dem Individuum. Ethnische Identität fungiert dabei im rechtsextremen Denken nicht als individuelles Identitätsangebot, sondern als kollektiver Identitätszwang – wobei der Zwang eine intern bindende und eine extern segmentierende Komponente umfasst (vgl. Luhmann 1998): den Zwang zum Einschluss und den Zwang zum Ausschluss, wobei „das Volk“ in den Worten von Grit Straßenberger dabei als eine „‚leere‘, beliebig zu füllende Kollektivformel als nach außen abgrenzende und tatsächlich darin zugleich nach innen homogenisierende politische Unterscheidung“ (2016, S. 54) fungiert.
Damit ist rechtsextremes Denken in seinen Grundzügen immer antidemokratisch und strukturell antiliberal wie antiindividuell ausgerichtet. Die Variationsbreite rechter Positionierungen reicht dabei von rassistischen Positionen, die auf einem biologistischen Differenzmodell auffußen und in der Tradition des Nationalsozialismus stehen, über völkisch-homogenisierende Vorstellungen, die einem regionalistisch-ethnisch segmentierten Europa unter dem Primat einer Volksgruppenpolitik das Wort reden bis hin zu den vor allem aus dem Spektrum der französischen Nouvelle Droite entwickelten Vorstellungen eines primär auf kulturellen Differenzannahmen basierenden Ethnopluralismus (vgl. Müller 1994; Salzborn 2005a; Terkessidis 1995).
Diese rechte Ideologie der Ungleichheit zielt im Innern auf völkische Homogenität, nach Außen auf ethnische Separation. Wichtig ist: Rechtsextremismus basiert immer auf geopolitischen und raumordnenden Elementen, weil Volk und Raum zusammengedacht werden – und zwar nicht in einem demokratischen Sinn als Demos, der eben zufällig, wandelbar und wechselhaft als Sammlung von Individuen auf einem staatlichen Hoheitsgebiet lebt, sondern als Ethnos, der essentiell, statisch und homogen als Kollektiv an einen existenzialistisch verstandenen (Siedlungs-)Raum fixiert ist. In dieser Ideologie der Ungleichheit fungiert das Volk, die „Volksgemeinschaft der Unfreien und Ungleichen“ (Adorno 1959, S. 562), als historisches Subjekt und politisches Objekt, da es die Identität von Lebenszusammenhängen verbürgt und als höchste Autorität gilt. Der einzelne Mensch ist im rechtsextremen Verständnis „Diener seines Volkes“, mit dem er ethnisch-völkisch und kulturell unaufhebbar verbunden ist (vgl. Jaschke 1994, S. 56) – individuelle Freiheit gibt es nicht.
Der Rechtsextremismus bezieht sich in seinem Weltbild auf den wesentlich von Johann Gottfried Herder geprägten romantischen Volksbegriff und politisiert diesen, da eine raumordnerische Konsequenz aus der kulturellen Teilung der Menschheit in Völker und Volksgruppen gezogen werden soll. Soziale und politische Konflikte werden naturalisiert und in einen ethnischen Entstehungszusammenhang gerückt. Indem Ethnizität als essentielle Kategorie gedacht wird und zum höchsten Gut des menschlichen „Wesens“ avanciert, besteht das politische Ziel in einer kompletten sozialen und politischen Segregation von Menschen entlang ethnischer Kriterien:
„Betont wird die ethnisch-kulturelle Homogenität der Bevölkerung, oder zumindest ihre kulturelle-mentalitätsmäßige Ähnlichkeit bis hin zur gemeinsamen Betroffenheit durch negative Einwirkungen von außen. Davon ausgehend wird die Gleichartigkeit der Interessen der Betroffenen gegenüber anderen Regionen oder dem übergeordneten System behauptet.“ (Pallaver 2000, S. 247)
Zuwanderung und Migration werden kategorisch abgelehnt – zur Sicherung des als natürlich stilisierten Charakters der völkisch-exklusiven „Heimatregionen“. Die „ethnozentrische Rahmenideologie“ stellt somit keinen Hinderungsgrund für eine kulturalistisch geprägte Definition von In- und Out-Groups dar, die sich auf eine fundamentalistische Annahme von menschlicher Ungleichheit stützt (Swyngedouw/Ivaldi 2001, S. 5 f.). Diese Phantasie der menschlichen Ungleichheit umfasst dabei homogenisierende wie hierarchisierende Vorstellungen: in dem naturalistisch-kulturalistischen Weltbild wird auf allen sozialen und politischen Ebenen in Hierarchien gedacht, was Über- und Unterordnungsparadigmen bedingt, aus denen sich gleichermaßen ein patriarchales Geschlechterverständnis ergibt, wie rassistisch und eugenisch begründete Vorstellungen über den höheren oder niederen Wert von menschlichem Leben.