Über dieses Buch

«Willkommen zur letzten Fahrt.» In ihrem Schlafabteil des Euro­night 467 «Wiener Walzer» sitzt die beliebte Fernsehmoderatorin der Reality-Show «Blick ins Herz» und hält einen Drohbrief in der Hand. Es ist nicht der erste seiner Art, doch jetzt scheint es ernst zu werden. Aber ist da nicht so ein Typ im Zug, der behauptet, Detektiv gewesen zu sein?

Tatsächlich ist Höners Detektiv Mettler aus Afrika zurück. Er sieht sich gezwungen, sein Leben als Privatermittler wieder aufzu­nehmen. Und schon gerät er in eine komplizierte Geschichte und zwischen zwei Frauen. Die Mode­ratorin ist so attraktiv wie überdreht, die Theaterautorin so charmant wie scharfzüngig. Reist sie wirklich nur zufällig mit? Ein paar Tage nach der Premiere ihres neuesten Stücks, in dem sie die Moderatorin lächerlich gemacht hat? Theater wird doch nicht Reality? Oder doch?

Kaum jemand findet Schlaf im Wagon 302, der Zug gleitet durch die Nacht, Wien entgegen.

Peter Höner

Foto Anne Buergisser

Peter Höner, geboren 1947 in Eupen, ­aufgewachsen in Belgien und der Schweiz, Schauspielstudium in Hamburg und Schauspieler u. a. in Basel, Bremen und ­Berlin. Seit 1981 freischaffender Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur, 1986–1990 ­Afrikaaufenthalt. Autor von Theaterstücken, Hörspielen und Büchern.

«Höner schreibt farbig, geht spielerisch mit der Sprache um; die Beschreibungen von Menschen und Ereignissen sind voller Erzählfreude.» Basler Zeitung

PETER HÖNER

WIENER WALZER

MORD IM EURONIGHT 467

Limmat Verlag

Zürich

«‹Der Mörder›, sagte Monsieur Bouc mit feierlichem Ernst, ‹ist unter uns – er sitzt hier in diesem Zug.›»

Agatha Christie

PROLOG

Mettler drehte den Verschluss auf und kippte den Cognac auf den Rest Whisky.

Nacht für Nacht stand er am Fenster seines Hotelzimmers und trank. Bier, Wein, Sekt, dann die Schnäpse, die gesamte Minibar. Frierend starrte er auf die fensterlose Fassade des Nachbarhauses und drängte seine Beine gegen den Heizkörper. Aber immer war die Heizung schon ausgegangen, und wenn er das Ventil aufdrehte, so kullerten nur ein paar Luftblasen in den Rohren, wärmer wurde es nie.

Er war viel zu leicht angezogen. Doch kurz vor Frühlingsbeginn hatte er keine Lust, sich eine Wintergarderobe anzuschaffen, er war froh, dass seine gesamte Habe in einem Koffer Platz hatte. Ein halbes Dutzend Hemden, zwei Sommerhosen, Wäsche. Eine Mappe mit Dokumenten und ein Karton voller Fotos. Das war alles, was er aus Afrika nach Hause brachte.

Nach Hause? War er vielleicht hier daheim? Hier, wo ihm alles fremd geworden war, er niemanden mehr kannte, niemand auf ihn wartete?

Er hatte Alice versprochen, zu Ali zu fahren. Zu zweit sei alles leichter, und er werde sehen, wie bald er in sein früheres Leben zurückfinde. Sie sei seine afrikanische Episode, und er müsse sie vergessen. Er wehrte sich und fluchte, während sie zerfiel und von Anfall zu Anfall schwächer wurde. Jahrelang hatten sie diese Pillen geschluckt, aber ausgerechnet sie muss­te von einer Mücke gestochen werden, deren Malariaerreger gegen sämtliche Mittel resistent war.

Er reiste mit der Urne nach Lamu, um sie im Hof ihres Hauses beizusetzen. Das war vor sieben Monaten. Er hatte seine Projektleiterstelle gekündigt und den Hausstand aufgelöst. Er vegetierte dahin, begann zu trinken. Warum er sich schließlich aufraffte und nach Zürich flog, wusste er auch nicht mehr.

Bis vor kurzem hatte Ali in Zürich gelebt und in einer Bar gearbeitet. In der Stadt fand er nur noch Alis geschiedene Frau Christina. Er sei nach Wien gezogen, eine neue Stelle. Eine neue Freundin. Immerhin wusste sie seine Adresse. Pension «Alsergrund».

Nun musste er, wenn er sein Versprechen einlösen wollte, auch noch nach Wien. Um Vater und Sohn zu spielen. Als ob Ali ihn je als Vater akzeptiert hätte. Über Jahre wussten sie nichts voneinander, und als sie sich schließlich kennen lernten, war der Junge längst erwachsen. Um doch noch so etwas wie Verantwortung zu übernehmen, hatte er Ali eine Ausbildung finanziert. Alice und er schickten ihren Sohn an die Hotelfachschule in Luzern, hofften, dass er später einmal ihr Hotel in Lamu übernehmen würde, doch Ali hatte andere Pläne, und von seinem Vater ließ er sich schon gar nichts sagen.

Der Heizkörper war ja kälter als seine Beine, und der Schnaps taugte auch nichts. Er zog die Vorhänge zu und schaltete den Fernseher ein. In der Minibar waren noch ein Wodka und zwei Underberg, er schüttete alles zusammen und setzte sich aufs Bett, dann langte er nach einem Stapel Fotos, die auf dem Nachttisch lagen.

Alice und Ali vor dem «Rafiki Beach Hotel».

Ali mit Sombrero: der Eisverkäufer.

Alice auf der Terrasse ihres Hotels.

Die beiden vor seiner Piper Cup.

Die Hoteldirektorin. – Da waren sie schon verheiratet.

Alice und er vor dem Rundhaus ihrer Baumschule in Tansania.

Aus Wien kündigte eine rothaarige Moderatorin ihre Show an. Groß, schlank und mit langen Haaren entsprach sie wohl dem üblichen Schönheitsideal. Ihre Munterkeit freilich passte schlecht zur nachtschlafenden Stunde. Sie kam eine Treppe herunter, schwebte in Wolken, vervielfachte sich und warf ihren Gästen oder den Zuschauern daheim – bald in ein Lumpenkostüm gewickelt, dann wieder in einem roten Minirock – Kaskaden von Kusshänden zu. Schließlich landete sie in einem rosafarbenen Ledersessel und fing mit der eigentlichen Sendung an. Sie begrüßte eine weiß gepuderte Dame mit strohblonden Haaren, die sie als die älteste Wahrsagerin der Schweiz vorstellte.

Warum die Frau in einem weißen Spitzenkleid auftrat, als sei sie eine Braut, konnte er sich allerdings nicht erklären. Doch daran, dass er nicht verstand, was er sah, hatte er sich in den vergangenen Tagen längst gewöhnt. Jeder Werbespot war eine Denksportaufgabe, und vor den meisten kapitulierte er.

Das Publikum klatschte und johlte, und die Moderatorin, die in ihrem Plastikrock neben dem Tüll, den Rüschen und Bändern wie nackt dastand, lächelte so milde und andächtig, als habe sie dem Wiener Studiopublikum gerade eine neue Mutter Theresa vorgestellt.

In welchem Mief war er denn da gelandet? Er legte die Fotos zurück auf den Nachttisch und ging ins Bad.

Er war wieder da, von wo er geflohen war, er war wieder in der Schweiz, doch die Vorstellung, er könnte seine alte Arbeit wieder aufnehmen, war schlicht undenkbar.

«Büro Lux, Beobachtungen und Ermittlungen aller Art. Wir liefern die Fakten, die Ihnen fehlen. Diskret, modern, Tag und Nacht.»

Woher hatte er nur diesen blödsinnigen Sprüche? «Diskret, modern, Tag und Nacht.» Was hieß denn das? Was hatte das mit seiner Arbeit zu tun?

Eifersüchtige Ehepartner wollten Beweise für Seitensprünge, missgünstige Angehörige glaubten sich von einer lustigen Witwe um ihr Erbe betrogen, und ängstliche Eltern vermuteten, ihre Kinder würden Drogen nehmen. Er stellte Ladendiebe, versteckte sich mit einem Fotoapparat in staubigen Büschen, fuhr in einem alten BMW hinter dem Ford Fiesta einer Hausfrau her und ärgerte sich über alle, die ihn kaufen konnten. Tag und Nacht.

Doch womit sollte er seinen Unterhalt verdienen, wovon sollte er leben, wenn seine Ersparnisse einmal aufgebraucht sein würden? In Afrika war es leicht, seinen Beruf als Hobby zu betreiben. Zusammen mit seinem Freund, Kommissar Tetu.

Leicht? – Tetu saß immer noch im Gefängnis, und er hatte sein Hotel verloren, in dem sein ganzes Geld gesteckt hatte. Nein, leicht war das nie, und hier schon gar nicht. Wenn er denn als Detektiv überhaupt noch zu gebrauchen war.

Wütend drehte er den Heißwasserhahn ab und stand unter der Brause, bis er es nicht mehr aushielt. Nüchtern wurde er nicht.

Polizeiarbeit, das war ein Fluch. Sie verfolgte ihn, wohin er sich auch flüchtete, irgendwann holte sie ihn immer ein. Dabei wusste er nicht einmal, ob er ein so guter Detektiv war, wie Alice geglaubt hatte, dass er einer gewesen sei.

Im Fernsehen hatte die Moderatorin mittlerweile sieben Paare um ihren Sessel versammelt. Sie sprachen über das verflixte siebte Jahr. Zwei Frauen, deren Gesichter immer wieder den ganzen Bildschirm füllten, rannen bereits schwarze Schlieren ihrer Schminke über die Wangen.

Mettler setzte sich auf die Bettkante und zappte durch die Programme. Obwohl es morgens um drei war, fand er an die zwanzig verschiedene Sender, von denen er noch nie etwas gehört hatte. Nachrichten aus Arizona, Sport, ein alter Streifen mit Gary Grant, Telenovelas, Musikclips, Softpornos und weitere Talkshows und Quizsendungen, schließlich landete er wieder bei der Roten in Wien.

Ein fetter Jüngling mit wirrem Haar und Pickeln im Gesicht bat eine Petra um Verzeihung. Er stotterte und heulte, bis die Rote von Petra wissen wollte, ob sie sich auf Grund der so sichtbaren Reue vorstellen könnte, ihre Beziehung wieder aufzunehmen. Die Kamera schwenkte auf eine versteinerte Frau mit blassblauen Backen, die sich in eisiges Schweigen hüllte, um gleich darauf wieder den Mann ins Bild zu holen, der von seinem Stuhl rutschte und sich nun heulend vor Petra auf dem Boden wand.

Die Rote sagte leise, fast flüsternd und doch mit einem Timbre, das wohl ihre eigene Bewegung verraten sollte: «Siehst du das, Petra? Siehst du das. Das tut er für dich.» Worauf die Blassblaue erst zu flüchten versuchte und dann zusammenbrach. Sie schluchzte, der Dicke warf sich in ihren Schoss, das Publikum klatschte, und die Rote lächelte.

Mettler kippte den den ganzen Wodka-Underberg und sank ins Bett. Sein Kopf knallte gegen die Bettkonsole, Sterne kreisten. Alice und Ali, Zürich, Wien und hinter dem Fernseher grinste der Belgier Poirot, der jeden Fall klärte, Tag und Nacht und mit geschlossenen Augen.

Ein grimmiger Bursche, der seine Arme über der Brust verschränkte und trotzig zu Boden starrte, wurde nun von der Moderatorin gefragt, ob er selber sagen wolle, warum er hier sei. Der Mann nickte unbestimmt, und die Rote erzählte.

«Vor sieben Jahren waren Sie für mehrere Wochen in Afrika. Sie haben sich verliebt. In eine junge Afrikanerin.»

«Nicht vor sieben, vor dreißig Jahren!», protestierte Mettler und stieß die Faust gegen den Fernseher. «Ich war in Afrika.»

«Sie waren ganz schön heiß», sagte die Rote und lächelte gefährlich. «Sie liebten sich am Strand, auf Dachzinnen, im Hotel; aber dann, eines schönen Tages, sind Sie abgehauen. Einfach so, ohne sich zu verabschieden. – Was ums Himmels willen haben Sie sich denn dabei gedacht?»

Mettler biss die Zähne aufeinander. Er kannte den Feigling. Schiss hatte er, weil er werden wollte wie Poirot. Ein verdammter Schnüffler. «Polizeischule, Büro Lux!», schrie er, «In einem alten BMW hinter Frauen her.»

«Sie glauben mir nicht», sagte die Rote sanft. «Und es ist auch ein kleines Wunder, dass es uns gelungen ist, Eliza und den kleinen Ibrahim zu finden und zu uns, hierher ins Studio zu bringen.»

Mettler presste die Fäuste in die Augen. Aus schwarzroten Nebeln tauchten Alice und Ibrahim auf. Das «Rafiki Beach Hotel». – Eliza? Er kannte keine Eliza.

Im Fernseher starrte der Mann die Moderatorin an, als habe er eine Wahnsinnige vor sich. «Sollen wir sie bitten hereinzukommen?», schnurrte die Rote und schwang einen Arm über ihren Kopf, warf die Hand in die Luft und schnippte mit dem Finger. – Musik brauste auf, in der Tiefe des Studios wurde eine Türe geöffnet, Schwaden von Trockeneis dampften. Eine Assistentin führte eine junge Frau und einen kleinen Jungen herein, und das Publikum tobte. Die Rote ging den beiden entgegen, umarmte die Frau und führte sie in die Mitte der Bühne.

«Eliza und Ibrahim.»

Mettler schoss hoch und starrte auf das Paar. Alice und Ali. Was quatschte die Rote da? Das waren Alice und Ali. Sie waren hier, sie waren in Wien, und er war besoffen. Seine Augen füllten sich mit Tränen.

Später, nachdem jemand mehrmals an seine Türe geklopft hatte, ging es ihm schon wieder etwas besser.

GLEIS 12

ZÜRICH HB

Vor der Tür des doppelstöckigen Schlafwagens stauten sich die Reisenden. Eine hagere Schaffnerin blätterte in Listen, verglich ihre Eintragungen mit den Reservationen der Passagiere und dirigierte sie von einem Wagen zum andern. Irgendwo in der langen Kette vom Bahnschalter bis zur Abfahrt des Zuges war es zu einer Panne gekommen, die Buchungen stimmten nicht mehr mit den Reservationen überein. Die Frau kritzelte neue Nummern auf die Fahrscheine und lächelte, blieb freundlich, obwohl in den Stimmen der Reisenden immer gehässigere Töne mitschwangen.

«Schwendimann. Zwei Erwachsene, ein Kind. Wir haben eine Reservation für ein Viererabteil», drängte ein junger Vater einen Sikh und dessen Frau beiseite, die, vielleicht ein bisschen umständlich, ihre Gepäckstücke in den Schlafwagen schafften.

«Wir haben Anspruch auf ein großes Abteil», sagte er streitsüchtig, und seine abstehenden Ohren glühten. Vielleicht auch nur deshalb, weil das Kleinkind, das in einem rucksackartigen Tragegestell auf seinem Rücken auf und ab hopste, daran herumgezerrt hatte, bis sie ihm wie zwei rote Bügel aus dem Haar stachen. Die Mutter, eine Frau mit eigenartig wirren Haaren (Zipfel standen wie Federbüsche vom Kopf ab und einzelne Strähnen fielen aus dem nachlässig gewundenen Haarkranz), stand daneben und vertrat sich die Beine.

«Wir haben ein Recht darauf, verstehen Sie. Ich habe mir das noch gestern bestätigen lassen. Reserviert haben wir schon vor einem Monat.»

«Das haben wir auch», mischte sich ein kantiger Mann mit einem fleckigen Gesicht ein und versuchte, der Schaffnerin über die Schultern zu schauen. Er hatte eine Frau im Arm, umklammerte ihre Taille und zog und schob sie mit sich herum, als hätte er Angst, sie könnte ihm davonlaufen.

«Bitte, meine Herrschaften, bitte. Ich tue, was ich kann», wehrte sich die Schaffnerin. «Ich kann Ihnen versichern: Es sind genügend Plätze da. Aber ich habe hier nur Ihre neuen Platznummern, für weitere Fragen wenden Sie sich bitte an den Schlafwagenschaffner. Ich habe schließlich auch noch den Liegewagen.»

«Wir wollen eines der Viererabteile. Diese Oberstock- und Unterstockkabinen, glauben Sie vielleicht, wir wüssten nicht, wie eng die sind.»

«Familie Schwendimann? Nun lassen Sie mich doch erst einmal nachschauen! – Na bitte, hier! Sie sind in einem Vierer.»

«Wenn man sich nicht wehrt», sagte der Mann und drehte sich triumphierend nach seiner Frau um.

Mettler stand in der Traube der Reisenden, seinen Koffer zwischen die Beine geklemmt, und wartete, bis die Leute vor ihm abgefertigt wurden. Er fuhr nach Wien. Mit dem Nachtzug.

Seine letzten Stunden in Zürich hatte er damit verbracht, durch die Stadt zu schlendern wie ein Tourist.

Der See war so blau, und die Berge so nah; er schaute allen Frauen nach und freute sich, wie sie durch die Straßen flanierten, als ob sie nichts anderes zu tun hätten, als zu beweisen, wie gut sie die kalten Monate überstanden hatten. Später ließ er sich von einer Schuhverkäuferin viel zu elegante Schuhe aufschwatzen, italienische Slipper, die ihn nun zwickten und drückten.

Mit der Dunkelheit schlich die Kälte in die Stadt zurück, und weil er in seinem Sommerjackett (obwohl er es mit einem dunkelgrünen Wollschal ausstopfte), zu frieren begann, brach er – viel zu früh – zum Bahnhof auf.

Die Halle war renoviert worden. Man hatte das hässliche Kino herausgerissen und stattdessen einen vollbusigen Engel unter die Decke gehängt. Der Industriedom war zwar immer noch düster, aber großzügig, ein Hauch von Großstadt, der ihm gefiel, und er wunderte sich, warum er den Bahnhof nicht schon früher entdeckt hatte. Wahrscheinlich weil er einer Szene nachhing, die ihren Charme längst verloren hatte. Oder hatte ihm seine Trauer den Blick vernebelt und seine Neugier erstickt?

Auf einer mächtigen Leinwand lief eine Frau mit wippenden Brüsten hinter einem Ball her. Ein Mann stoppte das Leder, das Zifferblatt einer Uhr wurde eingeblendet, die Frau strahlte, die beiden umarmten sich, dann lief sie wieder.

Werbung. Aber wofür? Er starrte fasziniert auf die Leinwand, bewunderte die Brillanz der Aufnahmen und verstand doch nichts.

Leicht verwirrt steuerte er die Zeile der Bahnhofsbazare an. Reiseproviant brauchte er keinen, schon gar keinen Alkohol, aber vielleicht war es ja von Vorteil, wenn er sich für die lange Nacht im Zug mit Lesestoff versorgte. Er stöberte im Taschenbuchständer nach einem Krimi. «Mord im Orient­express». Er kannte den Roman. Und den Film. Aber fuhr er nicht in den Orient? War das nicht die ideale Lektüre, um alte Berufswünsche zu beleben? Oder ein für alle Male und endgültig zu begraben?

Neben den Büchern lag die Masse der Blätter und Zeitschriften; Autorevuen und Computermagazine, glanzlackierte Busen, Prominente auf ihren Yachten, Rosenzüchter, Pferdehalter, Fußballer, Weintrinker und mittendrin: der Kopf der Roten.

«Dorin Wolf, die Moderatorin von ‹Blick ins Herz›». Das Titelblatt der «Privat».

«Kann ich Ihre Billette sehen?», erkundigte sich die Schaffnerin, wahrscheinlich um der japanischen Reisegruppe zu entgehen, die sich erwartungsvoll um sie versammelte. Er reichte ihr seine Fahrkarten, sie warf einen kurzen Blick darauf und hakte ihn in ihrer Liste ab. Sie nickte ihm zu, wünschte eine gute Reise, um dann die Japaner zum Eingang des Liegewagens zu lotsen. Bestimmt ein gutes Dutzend fast identischer Rollköfferchen holperten hinter ihr her den Zug entlang.

Vor der Türe drehte sich Mettler noch einmal um und schaute in den Bahnhof. Der Bahnsteig hatte sich mittlerweile geleert. Einzig ein dürrer Riese pendelte vor dem Schlafwagen hin und her. Er telefonierte, hatte dieses Ding am Ohr, das hier alle zu besitzen schienen, und brüllte auf dem Bahnsteig herum.

«Bist g’scheit? Passt scho, wenn’s eh nix wird. Bitte danke. Naa servus. I di aa.»

Aus der Halle bog eine Gruppe lärmender Männer, die wie ein Mückenschwarm um eine stattliche und gut gelaunte Frau tanzten. Die Männer hatten weder Koffer noch Taschen bei sich, nur die Frau schob einen Gepäckwagen vor sich her. Sie schien auf eine weite Reise zu gehen, zumindest ließ dies das Ungetüm ihres Koffers vermuten. Die Männer scharwenzelten um sie herum und überboten sich mit flotten Sprüchen.

Schauspieler, diagnostizierte er. Schauspieler, die eine Kollegin zum Bahnhof bringen, den Stargast aus Wien. Er griff nach seinem Koffer und stieg ein.

SCHLAFWAGEN 302

ZÜRICH HB

Der Hund war ja ein Angsthase. Dorin Wolf musste ihn auf den Arm nehmen und in den Schlafwagen stemmen.

«So! Nun aber, lauf!»

Das dumme Vieh sprang an ihr hoch und machte ihr den Mantel dreckig, sie schubste ihn beiseite und spähte in den Korridor.

Wie meistens war der Wagen gut belegt. Die Reisenden standen im Flur vor den Abteilen und warteten auf die Anweisungen des Schaffners. Irgendetwas Auffälliges, gar Ungewöhnliches konnte sie nicht entdecken. Trotzdem zögerte sie.

Sie wurde bedroht. Seit Wochen erhielt sie anonyme Briefe. Sie war in Gefahr. Ein perverser Blödmann bastelte mit ausgeschnittenen Worten und Buchstaben einen holprigen Text, klebte Schweinereien auf Papier und drohte, sie umzubringen.

Sie hatte die Briefe der Polizei gezeigt. Man erkundigte sich, ob sie einen Verdacht habe. Ob sie glaube, als Moderatorin angegriffen zu werden? Ob sie sich beobachtet, gar verfolgt fühle? Lauter Unsinn. Sie wollte ja nur wissen, wer ihr solche Briefe schrieb. Irgendetwas unternommen hatte die Polizei nie, und ihre Kollegen … Mein Gott. Die lachten sich schief und brannten darauf, die hässlichen Anzüglichkeiten hinter ihrem Rücken durchzuhecheln.

Vor ein paar Tagen hatte sie ein Paket mit einem Klappmesser bekommen. «Alles hat zwei Seiten, das Messer eine Schwester». Ein Blödsinn, auf den sie sich keinen Reim machen konnte. Die Schwester des Messers ist die Gabel, der Bruder der Löffel. Und die zwei Seiten? Aber wenn der Satz einen Code enthielt, den sie nicht knacken konnte, wenn es an ihrer eigenen Fantasielosigkeit lag, dass sie nicht verstand, was da auf den Zettel geklebt war? Oder war es das Messer, das ihr Angst machte? Ein scharf geschliffenes Klappmesser, mit dem sich leicht jemand erdolchen ließ.

Sie drückte die Schwingtüre zum Korridor auf, blieb erneut einen Augenblick unter der Türe stehen und musterte die Reisenden ein zweites Mal. Eine vertraute Runde: Geschäftsleute, Kulturtouristen (Oper, Burgtheater, Stephansdom) und ein paar Ausländer, die sich nicht so leicht einer bestimmten Kategorie zuteilen ließen. Nichts, was ihr Miss­trauen rechtfertigte. Schon drehten sich die ersten Köpfe nach ihr um, und sie erntete die immer leicht überraschten Blicke, die ihr verrieten, dass man sie erkannte.

Ihr Abteil befand sich in der Mitte des Wagens im Oberstock und war das einzige, welches einen eigenen Aufgang besaß. Es war immer das selbe. Ein Entgegenkommen der Bahn, die so die Treue einer guten Kundin belohnte. Immerhin benutzte sie den Zug jede Woche, immer in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, einmal von Zürich nach Wien, die Woche darauf von Wien nach Zürich. Seit bald zwei Jahren. Der kleine Raum war längst zu einer Art dritten Heimat geworden. Auf jeden Fall kannte sie ihn so gut, dass sie auf Grund der kleinen Beschädigungen (einem blinden Fleck im Spiegel, einem Kratzer im Waschbecken) jeweils wusste, in welchem Waggon der beiden Zugkompositionen, die zwischen Zürich und Wien verkehrten, sie gerade zu Gast war.

Die Blicke der Leute taten ihr gut. Ihr Publikum begleitete sie, und die spürbare Bewunderung tilgte die scheußliche Mischung aus Angst und Wut, die sie seit Wochen verfolgte. Zumindest für den Moment.

Vor drei Tagen hatte sie sich einen Hund gekauft. Als Hilfe hatte er sich bis jetzt freilich nicht erwiesen. Im Moment stürmte er durch den Wagen und begrüßte ihre Fans. Wie ein ungezogenes Kind.

Sie kramte in ihrer Tasche, rief seinen Namen und warf ein Hundebiskuit nach ihm. Leider ohne Erfolg. Immerhin hoben seine Kapriolen die Stimmung, und eine Frau flüsterte ihr zu, wieso denn der süße Hund nicht in «Blick ins Herz» auftrete.

«Mein Mann und ich, wissen Sie, wir schauen jede Ihrer Sendungen. Obwohl. Sie sind für ein jüngeres Publikum, ich weiß, wir gehören ja nun zu den Alten. Den jungen Alten.» Sie lachte. «Dafür haben wir Zeit.» Und etwas verlegen fügte sie hinzu: «Sie sehen immer so, so dynamisch aus.»

Die Moderatorin lächelte und bedankte sich, und die Frau drehte sich nach ihrem Mann im Abteil um.

«Dorin Wolf ist im Zug, du weißt schon, die Moderatorin von ‹Blick ins Herz›», flüsterte sie, immerhin so laut, dass sie gut zu hören war. «Unser Stargast, und wir sind dabei.»

Eine Welle tiefster Befriedigung durchrieselte sie. Dafür arbeitete sie, das waren die kleinen Höhepunkte, die sie glücklich machten. «Dorin Wolf is here.»

Der Hund tapste eine der kurzen Treppen hoch und verschwand, um gleich darauf mit einem Schuh im Maul wieder aufzutauchen.

«Busoni!», schrie sie entsetzt. Dieser Mistkerl.

Schon kam die Besitzerin des Schuhs die Treppe herunter. Eine füllige Dame mittleren Alters, rosig und schwitzend, die Bluse war ihr aus dem Rock gerutscht. Der Hund tollte zum anderen Ende des Wagens, warf den Schuh in die Luft und knurrte, als müsste er seiner Beute den Garaus machen.

«Busoni! Willst du wohl hierher kommen. – Gib sofort den Schuh zurück.» Ein Albtraum, der Hund verpatzte ihren Auftritt.

Die Rosige näherte sich dem Hund, ließ sich wie ein Ringer in die Hocke fallen und streckte dem Hund die Hand entgegen.

«Komm, du kleiner Frechdachs, und gib den Schuh zurück.»

Der Hund zögerte, dann schlug er ein paar übermütige Haken und blieb stehen. Mitten im Flur. Dorin Wolf hoffte, ihn beim Halsband zu erwischen, doch er durchschaute sie und preschte durch die Strümpfe der Ringerin.

Irgendein Idiot klatschte und rief die Punkte aus.

«Eins zu null für den Hund.»

Sie wäre am liebsten an die Decke gesprungen. Zwi­schenrufe, das war so ziemlich das Letzte, was sie ertrug. Endlich kam ihr einer der Zuschauer zu Hilfe. Er griff nach dem Hund und bekam immerhin den Schuh zu fassen. Er tippte dem Tier auf die Schnauze, fasste ihm ins Maul und wand den Schuh heraus. Dann streichelte er den Dieb, der mit hängender Zunge vor ihm hockte.

«Sie kennen sich ja mit Hunden aus», sagte sie erleichtert und drängte mit der Hundeleine in der Hand zu ihrem Retter.

Der Hundekenner dürfte um die vierzig sein, sportlich, braun gebrannt, ein selbstbewusster Naturbursche, der ihr ungeniert in die Augen schaute. Ein Tennisass oder ein Skilehrer, auf jeden Fall jemand, der gewohnt war, in der Öffentlichkeit zu stehen. Einer aus dem Jet-Set, und sie kannte ihn nicht.

Sie nahm den Hund an die Leine. Der Mann wischte den Schuh an seiner Hose ab und untersuchte ihn.

«Alles in Ordnung. Ein paar Abdrücke seiner Milchzähne. Durchgebissen ist er nicht, und das Leder wächst noch einmal nach.»

War das eine Anspielung? Sollte es ein Witz sein? Was grinste er so blöd?

«Ich werde Ihnen die Schuhe selbstverständlich ersetzen. Hier, meine Karte», wandte sie sich an die mollige Ringerin. «Du bist aber auch ein böser Hund», und sie hatte große Lust, dem ungezogenen Vieh die Leine um die Ohren zu schlagen.

Zum Glück kam der Schlafwagenschaffner und die Sensationslust der Leute fand ein neues Ziel. Er führte einen jungen Mann durch den Korridor, einen Blinden, der trotz seiner Begleitung einen Blindenstab benutzte. Er tastete sich den Wänden entlang, ortete die Auf- und Abgänge zu den Abteilen und klapperte geschickt um einzelne Gepäckstücke.

Der Schaffner und der Blinde kamen direkt auf sie zu. Der Hund hatte sich niedergelassen, den Kopf zwischen den Vorderpfoten, und versperrte den beiden den Weg. Sie zerrte das Tier vom Boden hoch und drängte es in eine Treppennische. Der Hund bockte, zappelte und wand sich, sie versetzte ihm einen Klaps, und er schoss aus seinem Hinterhalt. Er sah den Stock und schnappte danach, dann griff er den Mann an.

Der Blinde schlug um sich, der Schaffner streckte dem Angreifer das Gepäckstück des Blinden entgegen (einen funkelnagelneuen, ledernen Stadtrucksack), sie zerrte und riss den Hund zurück, und der Köter, in der Leine hängend und auf den Hinterbeinen stehend, kläffte und knurrte, bis ihm der Geifer aus dem Maul flog. Die Katastrophe war perfekt.

«Ich hab ihn erst ein paar Tage», stammelte sie unglücklich. «So etwas hat er noch nie gemacht.»

Gebückt und den Hund am Halsband hinter sich herzerrend eilte sie zu ihrem Abteil. Sie wusste wohl, dass alle auf eine Entschuldigung warteten. Auf eine ihrer flotten Bemerkungen, mit denen sie in ihrer Sendung jede Peinlichkeit zu überbrücken vermochte. Aber ihr fiel nichts ein. Kein Kalauer und absolut gar nichts.

Sie schob den Hund die Treppe hoch und schaute, dass sie in ihrem Abteil verschwand.

SCHLAFWAGEN 302

ZÜRICH–THALWIL

Schade, Mettler hätte gern ein paar Worte mehr mit der attraktiven Moderatorin gewechselt, als Hundekenner ein paar gute Ratschläge gewusst, stattdessen hatte er sich mit einem dummen Witz blamiert.

Sie war kleiner, als er sie sich vorgestellt hatte. Das ­Gesicht war nicht ganz so makellos wie auf dem Bildschirm. Pausbacken, die nicht zu einer «femme fatale» passten, und ihr Umgang mit dem Hund, ihr Abgang waren alles ­andere als souverän. Sie roch gut. Nach Frühling und Limonen.

Die Abfahrt des Zuges nahm niemand wahr. Vor den Treppen in die beiden Stockwerke bildeten die Leute kleine Gruppen, und Mettler war wohl nicht der Einzige, der darauf wartete, dass die Rote sich noch einmal melden würde. Doch sie ließ sich Zeit.

Ein Glatzkopf mit Schnauz, der schon vorher von Abteil zu Abteil marschiert war, als wollte er sich einprägen, wer sich wo einquartierte, stellte sich vor den Aufgang zu ihrem Abteil, und zwei Frauen, eine ältere und eine jüngere, beide klein und breit, die zusammen reisten und immer etwas zu tuscheln hatten – Mettler hielt sie für Mutter und Tochter – sagten fast gleichzeitig und wie einstudiert:

«So schafft man sich Freunde.»

Jemand klatschte, die beiden kicherten wie Teenager, und der junge Mann mit dem Kind (dieser Schwendimann) dozierte wichtig:

«Hunde sollte man verbieten. Aufdringliche Hauptdarsteller, die zur Plage werden. Ganz abgesehen davon, dass einer oder eine, die einen Hund hat, eine zutiefst verunsicherte Person ist. – Aber ein Hund ersetzt keine Analyse. Im Gegenteil. Hunde sind der Grund für jede dritte Ehescheidung. Für sinkende Geburtenraten …»

«Einverstanden, aber ob Frau Wolf einen Hund hat oder nicht, kann uns doch egal sein», unterbrach der Glatzkopf seine Behauptungen.

«Genau. Ein Hund soll uns ablenken und weiter nichts», sagte die rosige Ringerin. «So ein Tier ist doch unschuldig.»

«Ach ja? Da fragen sie mal den jungen Mann, was er dazu sagt. – Ein Hund ist nicht berechenbar, nie, und darum ist ein Hund ohne Maulkorb ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit», schwadronierte Schwendimann unbeirrt weiter und verlangte: «Wer einen Hund halten will, soll beweisen, dass er dazu auch in der Lage ist.»

Und seine Frau, die ihm das Kind aus dem Arm nahm, fügte hinzu:

«Stefan ist noch so klein, da kann ihm jeder Hund gefährlich werden.»

«Aber doch nicht ein junger Labrador», sagte der Blinde, der sich von seinem Schreck erholt hatte. «Nur keine Panik, ich bin okay.» Er tastete nach seinem Rucksack und sagte zum Schaffner: «Ich möchte, dass Sie mich jetzt in mein Abteil bringen.»

«So große Hunde sollten in einem Schlafwagen verboten sein. Tier bleibt Tier», versteifte sich Schwendimann. Der kleine Stefan fing an zu weinen, und die Mutter sagte empört:

«Ein Hund gehört in den Gepäckwagen und nicht hierher.»

«Bitte, meine Damen und Herren, bitte», versuchte der Schaffner das aufgebrachte Ehepaar zu beruhigen. «Ein etwas übermütiger Hund darf doch wohl mit Ihrer Toleranz rechnen.»

«So ist es. Wann er da Kommissar Rex wäre, tät man ihn eh lieb haben», mischte sich der Riese mit dem Handy ein. «Weil der tut ganz allanig di Verbrecher jagn …»

«Etwas mehr Anstand dürfte man aber schon erwarten», sagte die Tochter, die mit ihrer Mutter reiste, und die Blasse, die mit dem grobschlächtigen Mann unterwegs war, zischte spitz:

«Dass sich Frau Wolf einen Hund hält, kann ich verstehen. Immer unter Hyänen.»

Mettler schaute über die Geleise auf die Leuchtreklamen, die den Schienenstrang säumten. Alt vertraute Werbezeichen glitten vorbei, Logos, die er schon immer mit Zürich verband. Kam er an, erlösten sie ihn von seinem Heimweh, fuhr er weg, jubelte sein Fernweh.

Sie überholten einen gut besetzten Regionalzug, der so nah neben ihrem herfuhr, dass er die Menschen hinter den Fenstern sah. Dann bogen die Züge auseinander, der Regionalzug legte sich in eine Kurve, die Fenster kippten weg, kurz darauf nahm ihm ein Bahndamm die Sicht. Dass die Rote noch einmal auftauchte, hoffte er wohl vergeblich.

Der Schaffner schickte die Passagiere in ihre Abteile und bat sie, ihre Papiere bereitzuhalten. Auch Mettler ging in seine Kabine, doch dort begriff er den Schließmechanismus der Türe nicht, nicht auf Anhieb, und als er schließlich kapiert hatte, wie die in zwei Flügel aufgeteilte Türe zugeschoben werden musste, ließ er sie offen stehen, bis der Schaffner die Papiere holen würde.

Im Abteil unter ihm richtete sich das ungleiche Paar ein. «Claudia lass!», «Claudia pass auf», «Claudia nicht!» Doch den Mechanismus der Türe verstand auch der Fleckige nicht. Er holte den Schaffner, damit er ihnen erkläre, wie die Türe sich schließen, verriegeln und sichern lasse, und es brauchte mehr als nur ein paar Worte, bis er zufrieden war.

«Aber für das Türschloss haben Sie einen Schlüssel?

«Ja, die Drehverriegelung können wir entsichern. Im Notfall. Aber wenn die Schließstange vorgelegt wurde, können auch wir nicht mehr ins Abteil.»

«Wie das? Hörst du zu, Claudia?»

«Die Schließstange wird in das auf der Tür befestigte Gegenstück gedrückt, bis sie einschnappt. Zum Freigeben der Stange kann das Gegenstück zur Seite gedrückt werden. Sehen Sie, so! Aber das geht nur von innen. Von außen lässt sich die Tür nur gerade einen Spaltbreit öffnen. Danach ist Schluss.»

«Sie meinen, danach lässt sich die Tür nur noch mit Gewalt aufbrechen?»

«So ist es.»

«Und die Stange lässt sich nicht aushebeln? Zum Beispiel mit einem Messer?»

«Laszlo! Du tust ja gerade, als ob du einen Einbruch planen würdest.»

Der Schaffner lachte und verabschiedete sich.

Mettler hockte auf der Bettkante und legte die Papiere bereit. Ausweis, Fahrkarten, Zolldeklaration und die Frühstückswünsche.

Zu deklarieren hatte er nichts, ein Werbeblatt der Bahn (ein Bild des Orientexpress, dem eine Fotografie des Doppelstockschlafwagens unterlegt war) steckte er in den Abfallbehälter, und so großzügig, dass er sich lange damit aufzuhalten brauchte, war das Frühstücksangebot nicht. Vier Teile aus einer marginalen Auswahl. Ein bisschen ratlos markierte er Kaffee, Brot, Butter und Schinken. Vielleicht wäre Käse besser gewesen, aber nun waren die Kreuze schon gemacht.