Vor dem Palast. Links das mächtige Tor, rechts der heilige Hain, die Mitte frei zur Stadt hinab sich senkend. Das Tor geschlossen. Es ist Tag, aber schwerer Dunst, lastend über den ganzen Himmel, macht eine fahle Nacht aus dem Tag.
Dumpfes Getös heraufdringend, stark und stärker. Die Gesichter zuerst am Rande rückwärts; dann unter dem Druck der Nachdrängenden fluten sie herein wie ein Gießbach; auf einmal ist der Platz bis an die Stufen des Palastes überschwemmt mit ihnen. Ihre Augen sind auf die Tür gerichtet, ihre Lippen wiederholen wie eine Litanei: »Ödipus, hilf uns! Hilf uns, König!« Es sind ganz junge Menschen, Knaben und Jünglinge, vereinzelt unter ihnen Greise.
Eine Stimme (lauter als alle)
Ödipus – König – hilf uns!
(Die schwere Tür des Palastes tut sich jäh auf. Eine Stille. – Ödipus tritt hastig heraus. Alle Arme recken sich zu ihm.)
Ödipus Ihr Kinder, was denn soll mir euer Knien
vor meines Hauses Tür? was soll mir denn
dies Strecken eurer Hände gegen mich,
indes die Stadt bei Tag und Nacht dumpf stöhnt,
und singt und jammernd schreit bei Tag und Nacht
herauf zu diesem Haus. Ich will dies nicht
gemeldet haben erst durch fremden Mund.
Ich selber tret' hervor – ich, Ödipus.
So redet, – was treibt euch hierher?
Stimmen (matt, gräßlich)
Die Pest ist auf uns – von Haus zu Haus,
von Leib zu Leib der schwarze gräßliche Tod –
wir sterben dahin – wir sterben alle, sterben!
Wie leere Höhlen starren die Häuser – der Markt ist voll mit Toten –
Sie stauen den Fluß – das Feuer verbrennt sie nicht mehr –
Wir wanken daher, und wo wir wanken, atmen wir den Tod –
Und wir sind jung.! – Hilf uns, König!
Ödipus Der Alte rede. Was ihr wollt von mir,
begehrt, erhofft, erwartet, will ich hören.
Ich will euch helfen, will ja – herzlos wär ich,
wenn euer Knien mich nicht jammerte
vor meiner Tür.
Priester (sein Haar ist verwildert, die Priesterbinde halb gelöst)
Nun denn, du großer König,
einst schon Erlöser dieser Kadmos-Stadt,
gewaltig Haupt du, ragend, Ödipus,
hoch über allen – hilf doch unsrer Not,
erfind' ein Etwas, dring' mit deinem Denken
ins Dunkle, find' uns eine Abwehr, du!
Sag' uns, wir sollen dahin oder dorthin, –
geh', der du größer bist als wir, geh hin,
wie der Hausvater hingeht, fass' die Stadt,
die, in die Knie gebrochen, stöhnend daliegt,
den Kopf am Boden, stoßweis atmend – fass' sie
beim Horn und richte, Ödipus, o richte
die Stadt doch wieder auf – Herr, deine Stadt!
Mit günst'gen Sternen hast du einmal, damals,
dies Glück geschaffen – nun bewähre dich
zum zweitenmal!
Ödipus Ihr armen Kinder, kund
ist mir, nicht unbekannt, um wessen willen
ihr kämet. Und ich weiß – ich weiß die Namen
all eurer Leiden – weiß sie – geh mit ihnen
zu Bett und steh mit ihnen auf und trag sie
im Herzen und im Hirn und hab das Ohr
mit ihrem Atem voll und meine Zunge
schmeckt nichts als sie. Drum habt ihr mich auch nicht
aus Schlummerruh geweckt. Ich saß und wachte
und weinte – weinte um die Stadt – um euch –
um mich. Und dies ist nicht der erste Tag,
der so mich grüßt. Doch nicht wie Weiber weinen,
wein' ich, ich wein' und ringe gegen das,
was ist, und sinne hin und her und schicke
mein Denken hier- und dorthin. Und mein Sinn
fand dieses eine Mittel und nicht heute
wend' ich es an – nein, längst: zum pythischen
Palast und zum geheimnisvollen Thron
des Phoibos sandte ich vor vielen Tagen
den Kreon, meinen Schwager, um zu forschen,
wie ich die Stadt erlöse. Aber Kreon
bleibt mir zu lang und länger als der Weg
und als der Auftrag fordert, und mein Herz
hat diese Sorge zu den frühern und
die Qual des Wartens zehrt an mir. Doch kommt er,
dann wär' ich schlecht und niedrig, tät' ich dann
nicht alles, was der Gott mich heißen wird.
Was rufen diese?
Priester Kreon rufen sie.
Sie sehn ihn kommen.
Stimmen Kreon! Kreon! Kreon!
Ödipus Apollon! Käm' er doch umfunkelt so
mit Glück, wie er dem Aug' entgegenstrahlt.
Priester Er ist gesegnet. Seine Stirn ist schwer
von Glanz, und Lorbeer ist in seinem Haar.
(Es bildet sich eine Gasse. Kreon tritt auf, geschmückt, Gefolge hinter ihm.)
Ödipus O Fürst, mein Bruder, tu' die Lippen auf!
Welch' einen Ausspruch bringst du uns vom Gott?
Kreon Mich dünkt, den besten. Denn wenn schlimme Dinge
zu gutem Ende kommen, dann, so mein' ich,
steht alles gut.
Ödipus Das Wort! Das Wort des Gottes!
Dein Reden da macht weder froh noch bang.
Kreon Meld' ich vor diesen da des Gottes Botschaft
wie? oder wo wir ohne Zeugen sind?
Ödipus Heraus vor allen denen. Denn um diese
trag' ich den schwerern Kummer als um mich.
Kreon So gehe denn des Gottes Wort hervor
aus meinem Mund: uns heißt der Herrscher Phoibos
– und er gebietet's klar und unverhüllt –
aus diesem Land zu treiben einen Mann,
der wohnt in diesem Land und gräulich wohnt –
Pestbeule am gesunden Leib, Verderbnis
im heil'gen Boden haftend, um sich fressend
Fäulnis und Grausen.
Ödipus Und die Reinigung
auf welche Weise? Wie wird dies vollzogen?
Kreon Durch Ächtung, oder so, daß Blut für Blut
vergossen wird. Denn Blutschuld ist die Nacht,
die zäh und gräßlich uns den Tag verhängt.
Ödipus Und welchen Mannes Tod wird hier verlangt?
Kreon Herr, Laios war unser König hier,
eh' du die Zügel nahmest dieser Stadt.
Ödipus Das weiß ich, da ich's hörte. Selber freilich
hab' ich ihn nie gesehn.
Kreon Um seinetwillen,
des Toten, wird gefordert, daß die Hand
sich waffne und ein Schwert zum Schlag sich hebe
auf seine Mörder.
Ödipus Doch wo hausen die?
Wo läuft die dunkle Spur so alter Blutschuld?
Kreon In diesem Lande, sagt der Gott, Er sagt:
Wer sucht, wird finden. Nur was keiner achtet,
entrinnt ins Dunkel.
Ödipus War's in seinem Haus,
war's auf dem Felde, war's in fremdem Land,
daß Laios fiel?
Kreon Er zog als Pilger, dies
war seine eigne Rede, in die Fremde. Heim
kam er nicht mehr.
Ödipus Und war kein Mensch dabei,
kein Fahrtgenoss', kein Diener – gibt es keinen,
aus dem man etwas noch ans Licht –
Kreon Auch sie
sind nicht zurückgekommen bis auf einen:
der war aus Furcht geflohn und wußte nichts
von allem, was er sah, zu sagen, außer eines.
Ödipus