In die aufeinander folgenden neuen Abdrücke der ersten Ausgabe dieses 1871 zuerst erschienenen Werkes war ich im Stande, mehrere wichtige Verbesserungen einzufügen. Da seit dem letzten längere Zeit verflossen ist, habe ich mich bemüht, von dem hochpeinlichen Gerichte, vor dem das Buch gestanden hat, Vortheil zu ziehen, und habe alle Kritiken, die gesund zu sein schienen, gewissenhaft berücksichtigt. Sehr verbunden bin ich auch einer großen Anzahl von Correspondenten, die mir eine überraschend große Menge neuer Thatsachen und Bemerkungen mitgetheilt haben. Diese letzten sind so zahlreich gewesen, daß ich nur die wichtigeren habe benützen können. Einige neue Abbildungen habe ich zugefügt, und vier von den alten sind durch bessere, von Mr. T. W. Wood nach dem Leben gezeichnete ersetzt worden. Außerdem muß ich die Aufmerksamkeit auf einige Bemerkungen richten, die ich der Güte des Prof. Huxley verdanke und die als Anhang zum I. Theil gegeben sind, über die Natur der Verschiedenheiten zwischen dem Gehirne des Menschen und der höheren Affen. Ich freue mich besonders, diese Beobachtungen geben zu können, weil während der letzten wenigen Jahre mehrere Abhandlungen über diesen Gegenstand auf dem Continent erschienen sind; auch ist ihre Bedeutung in mehreren Fällen von populären Schriftstellern höchlich überschätzt worden.
Noch möchte ich diese Gelegenheit zu der Bemerkung benützen, daß meine Kritiker häufig von der Annahme ausgehen, ich schriebe alle Abänderungen des körperlichen Baues und der geistigen Kräfte der natürlichen Zuchtwahl häufig spontan genannter Abänderungen zu, während ich doch, selbst schon in der ersten Ausgabe der »Entstehung der Arten« ausdrücklich gesagt habe, daß viel Gewicht auf die vererbten Wirkungen des Gebrauchs und Nichtgebrauchs, sowohl in Bezug auf den Körper als auf den Geist, gelegt werden müsse. Ein gewisses Maß der Modifikation habe ich auch der directen und fortgesetzten Wirkung veränderter Lebensbedingungen zugeschrieben. In etwas muß auch den gelegentlichen Rückschlägen des Baues Rechnung getragen werden; ebenso dürfen wir das nicht vergessen, was ich »correlatives« Wachsthum genannt habe, worunter ich die Erscheinung verstehe, daß verschiedene Theile des Organismus in irgend einer unbekannten Weise so mit einander verbunden sind, daß, wenn der eine Theil abändert, es auch andere thun, und wenn Abänderungen in einem Theile durch Zuchtwahl gehäuft werden, andere Theile modificiert werden. Mehrere Kritiker haben ferner gesagt, daß ich, nachdem ich gefunden hätte, daß viele Einzelnheiten des Baues beim Menschen nicht durch natürliche Zuchtwahl erklärt werden könnten, die geschlechtliche Zuchtwahl erfunden hätte. Ich habe indessen eine ziemlich klare Skizze dieses Princips in der ersten Auflage der »Entstehung der Arten« gegeben und dort schon gesagt, daß es auf den Menschen anwendbar sei. Dieser Gegenstand, die geschlechtliche Zuchtwahl, ist ausführlich im vorliegenden Werke behandelt worden, einfach deshalb, weil sich mir hier zuerst eine Gelegenheit dazu darbot. Mir ist aufgefallen, wie ähnlich viele der halbgünstigen Kritiken über die geschlechtliche Zuchtwahl denen waren, welche zuerst über die natürliche Zuchtwahl erschienen, z. B. daß sie einige wenige Details erklären könne, aber sicherlich nicht in dem Umfange anwendbar sei, in dem ich sie benützt habe. Meine Überzeugung von der Wirksamkeit der geschlechtlichen Zuchtwahl bleibt unerschüttert; doch ist es wahrscheinlich, oder beinahe sicher, daß mehrere meiner Überzeugungen sich später als irrthümlich herausstellen werden; dies kann bei der ersten Behandlung eines Gegenstandes kaum anders sein. Wenn die Naturforscher mit der Idee der geschlechtlichen Zuchtwahl vertrauter geworden sein werden, wird sie, wie ich glaube, in viel ausgedehnterem Maße angenommen werden; und bereits ist sie von mehreren competenten Richtern vollständig und günstig aufgenommen worden.
Down, Beckenham, Kent.
September 1874.
Das Wesen des vorliegenden Buches wird man am besten beurtheilen können, wenn ich kurz angebe, wie ich dazu kam, es zu schreiben. Viele Jahre hindurch habe ich Notizen über den Ursprung oder die Abstammung des Menschen gesammelt, ohne daß mir etwa der Plan vorgeschwebt hätte, über den Gegenstand einmal zu schreiben, vielmehr mit dem Entschlusse, dies nicht zu thun, da ich fürchtete, daß ich dadurch nur die Vorurtheile gegen meine Ansichten verstärken würde. Es schien mir hinreichend, in der ersten Ausgabe meiner »Entstehung der Arten« darauf hingewiesen zu haben, daß durch dieses Buch auch Licht auf den Ursprung des Menschen und seine Geschichte geworfen werden würde; diese Andeutung schloß ja doch den Gedanken ein, daß der Mensch bei jedem allgemeinen Schluß in Bezug auf die Art seiner Erscheinung auf der Erde mit anderen organischen Wesen zusammengefaßt werden müsse. Gegenwärtig trägt die Sache ein vollständig verschiedenes Ansehen. Wenn ein Naturforscher wie Carl Vogt in seiner Eröffnungsrede als Präsident des Nationalinstituts von Genf (1869) sagen darf: »personne, en Europe au moins, n'ose plus soutenir la création indépendante et de toutes pièces, des espèces«, so muß doch offenbar wenigstens eine große Zahl Naturforscher der Annahme zugethan sein, daß Arten die modificierten Nachkommen anderer Arten sind; und vorzüglich gilt dies für die jüngeren und aufstrebenden Naturforscher. Die größere Zahl derselben nimmt die Thätigkeit der natürlichen Zuchtwahl an, obschon Einige, ob mit Recht, muß die Zukunft entscheiden, hervorheben, daß ich deren Wirksamkeit bedeutend überschätzt habe. Von den älteren und angeseheneren Häuptern der Naturwissenschaft sind leider noch viele gegen eine Entwicklung in jeglicher Form.
In Folge der von den meisten Naturforschern, denen schließlich, wie in jedem anderen Falle, noch andere nicht wissenschaftlich Gebildete folgen werden, jetzt angenommenen Ansichten bin ich darauf geführt worden, meine Notizen zusammenzustellen, um zu sehen, wie weit sich die allgemeinen Schlußfolgerungen, zu denen ich in meinen früheren Schriften gekommen war, auf den Menschen anwenden lassen. Dies schien um so wünschenswerther, als ich diese Betrachtungsweise noch niemals ausdrücklich auf eine Art einzeln genommen angewendet hatte. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf irgend eine Form beschränken, so entbehren wir die gewichtigen Beweismittel, die aus der Natur der Verwandtschaft, welche große Gruppen von Organismen unter einander verbindet, aus ihrer geographischen Verbreitung in der Gegenwart und in vergangenen Zeiten und aus ihrer geologischen Aufeinanderfolge fließen. Es bleiben dann die homologen Bildungen, die embryonale Entwicklung und die rudimentären Organe einer Art, mag dies nun der Mensch oder irgend ein anderes Thier sein, auf welches sich unsere Aufmerksamkeit richtet, zu betrachten übrig; und diese großen Classen von Thatsachen bieten gerade, wie es mir scheint, umfassende und endgültige Zeugnisse zu Gunsten des Princips einer stufenweisen Entwicklung dar. Indessen sollte man die kräftige Unterstützung durch die andern Argumente sich deshalb doch immer vor Augen halten.
Die einzige Aufgabe dieses Werkes ist, zu untersuchen, erstens ob der Mensch, wie jede andere Species, von irgend einer früher existierenden Form abstammt, zweitens, welches die Art seiner Entwicklung war, und drittens, welchen Werth die Verschiedenheiten zwischen den sogenannten Menschenrassen haben. Da ich mich auf diese Punkte beschränken werde, so wird es nicht nothwendig sein, im Einzelnen die Verschiedenheiten zwischen den verschiedenen Rassen zu beschreiben; es ist dies ein äußerst umfangreicher Gegenstand, welcher in vielen werthvollen Werken ausführlich erörtert worden ist. Das hohe Alter des Menschen ist in der neueren Zeit durch die Bemühungen einer Menge ausgezeichneter Männer nachgewiesen worden, zuerst von Boucher de Perthes; und dies ist die unentbehrliche Grundlage zum Verständnis seines Ursprungs. Ich werde daher diesen Beweis für erbracht annehmen und darf wohl meine Leser auf die vorzüglichen Schriften von Sir Charles Lyell, Sir John Lubbock und Anderen verweisen. Auch werde ich kaum Veranlassung haben, mehr zu thun, als auf den Betrag der Verschiedenheit zwischen dem Menschen und den anthropomorphen Affen hinzuweisen; denn nach der Ansicht der competentesten Beurtheiler hat Professor Huxley überzeugend nachgewiesen, daß der Mensch in jedem einzelnen sichtbaren Merkmale weniger von den höheren Affen abweicht, als diese von den niederen Gliedern derselben Ordnung, der Primaten, abweichen.
Das vorliegende Werk enthält kaum irgend welche originelle Thatsachen in Bezug auf den Menschen; da aber die Folgerungen, zu welchen ich nach Vollendung einer flüchtigen Skizze gelangte, mir interessant zu sein schienen, so glaubte ich, daß sie auch Andere interessieren dürften. Es ist oft und mit Nachdruck behauptet worden, daß der Ursprung des Menschen nie zu enträthseln sei. Aber Unwissenheit erzeugt viel häufiger Sicherheit, als es das Wissen thut. Es sind immer Diejenigen, welche wenig wissen, und nicht Die, welche viel wissen, welche positiv behaupten, daß dieses oder jenes Problem nie von der Wissenschaft werde gelöst werden. Die Schlußfolgerung, daß der Mensch, in gleicher Weise wie andere Arten, ein Nachkomme von irgend welchen anderen niedrigeren und ausgestorbenen Formen sei, ist durchaus nicht neu. Lamarck kam schon vor langer Zeit zu dieser Folgerung, welche neuerdings von mehreren ausgezeichneten Naturforschern und Philosophen zu der ihrigen gemacht worden ist, z. B. von Wallace, Huxley, Lyell, Vogt, Lubbock, Büchner, Rolle etc.
1 und besonders von Haeckel. Der letztgenannte Naturforscher hat außer seinem großen Werke: Generelle Morphologie (1866) noch neuerdings (1868 und in achter Auflage 1889) seine »Natürliche Schöpfungsgeschichte« herausgegeben, in welcher er die Genealogie des Menschen eingehend erörtert. Wäre dieses Buch erschienen, ehe meine Arbeit niedergeschrieben war, würde ich sie wahrscheinlich nie zu Ende geführt haben; fast alle die Folgerungen, zu denen ich gekommen bin, finde ich durch diesen Forscher bestätigt, dessen Kenntnisse in vielen Punkten viel reicher sind als meine. Wo ich irgend eine Thatsache oder Ansicht aus Professor Haeckel's Schriften hinzugefügt habe, gebe ich seine Gewähr im Text, andere Angaben lasse ich so, wie sie ursprünglich in meinem Manuscript standen, und füge dann nur gelegentlich in den Anmerkungen Hinweise auf seine Schriften hinzu, als eine Bestätigung der zweifelhafteren oder interessanteren Punkte.
Schon seit vielen Jahren ist es mir äußerst wahrscheinlich erschienen, daß geschlechtliche Zuchtwahl eine bedeutende Rolle bei der Differenzierung der Menschenrassen gespielt habe; in meiner »Entstehung der Arten« (Erste Ausgabe, p. 209) begnügte ich mich aber damit, nur auf diese Ansicht hinzuweisen. Als ich nun dazu kam, diese Gesichtspunkte auf den Menschen anzuwenden, fand ich, daß es unumgänglich nothwendig sei, den ganzen Gegenstand in ausführlichem Detail zu behandeln. In Folge dessen ist der zweite Theil des vorliegenden Werks, welcher von der geschlechtlichen Zuchtwahl handelt, zu einer unverhältnismäßigen Länge, wenn mit dem ersten Theile verglichen, angewachsen; dies ließ sich indessen nicht vermeiden.
Ich hatte beabsichtigt, den vorliegenden Bogen einen Versuch über den Ausdruck der verschiedenen Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den niederen Thieren hinzuzufügen. Sir Charles Bell's wundervolles Buch hatte meine Aufmerksamkeit vor vielen Jahren schon auf diesen Gegenstand gelenkt. Dieser berühmte Anatom behauptet, daß der Mensch mit gewissen Muskeln ausgerüstet sei, ausschließlich zu dem Zwecke, seine Gemüthsbewegungen auszudrücken. Da diese Ansicht offenbar mit dem Glauben in Widerspruch steht, daß der Mensch von irgend einer anderen und niederen Form abstammt, so wurde es für mich nothwendig, dieselbe eingehender zu betrachten. Ich wünschte gleichermaßen festzustellen, in wie weit die Gemüthsbewegungen von den verschiedenen Menschenrassen in derselben Weise ausgedrückt werden; aber wegen des Umfangs des vorliegenden Werks hielt ich es für besser, diese Abhandlung selbständig zu veröffentlichen.2
Fußnote
1 Da die Werke der erstgenannten Schriftsteller in England allgemein bekannt sind, so hat der Verfasser deshalb ihre Titel nicht speciell anzuführen für nöthig gehalten; doch glaubt der Übersetzer auch diese hier mit aufnehmen zu sollen: A. R. Wallace, Contributions to the Theory of Natural Selection. London, 1870 (Cap. IX u. X); Huxley, Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur. Übers. Braunschweig, 1863. Sir Ch. Lyell, Das Alter des Menschengeschlechts auf der Erde. Übers. Leipzig, 1864. L. Büchner. Sechs Vorlesungen über die Darwinsche Theorie. 2. Aufl. 1868. Rolle, Der Mensch im Lichte der Darwinschen Theorie. Frankfurt 1865. Verf. fährt fort: Ich will hier nicht den Versuch machen, alle Schriftsteller zu citieren, welche dieselbe Ansicht vertreten. So hat G. Canestrini eine interessante Abhandlung über rudimentäre Charaktere und deren Beziehung zu der Frage nach dem Ursprung des Menschen veröffentlicht (Annuario della Soc. d. Nat. Modena, 1867, p. 81). Ein anderes Werk hat Dr. Francesco Barrago herausgegeben unter dem Titel (italienisch 1869): »Der Mensch geschaffen zum Ebenbilde Gottes, auch geschaffen als Ebenbild des Affen.«
2 Prof. Haeckel war der einzige Schriftsteller, welcher zur Zeit des Erscheinens des vorliegenden Werkes den Gegenstand der geschlechtlichen Zuchtwahl seit der Veröffentlichung der »Entstehung der Arten« besprochen und die volle Bedeutung desselben erkannt und erörtert hatte; er hat dies in seinen verschiedenen Arbeiten in sehr umsichtiger Weise gethan.
Ein Jeder, welcher zu entscheiden wünscht, ob der Mensch der modificierte Nachkomme irgend einer früher existierenden Form sei, würde wahrscheinlich zuerst untersuchen, ob der Mensch, in einem wie geringen Grade auch immer, seiner körperlichen Structur nach und in seinen geistigen Fähigkeiten variiert, und wenn dies der Fall ist, ob diese Abänderungen seinen Nachkommen in Übereinstimmung mit den bei niederen Thieren geltenden Gesetzen überliefert werden; ferner, ob die Abänderungen, soweit es unsere Unwissenheit zu beurtheilen gestattet, die Wirkungen derselben allgemeinen Ursachen sind und ob sie von denselben allgemeinen Gesetzen beherrscht werden wie bei anderen Organismen, z. B. von der Correlation, den vererbten Wirkungen des Gebrauchs und Nichtgebrauchs u. s. w. Ist ferner der Mensch ähnlichen Mißbildungen unterworfen, in Folge von Bildungshemmungen, von Verdoppelung von Theilen u. s. w., und bietet er in irgendwelchen seiner Mißbildungen einen Rückschlag auf einen früheren und älteren Bildungstypus dar? Natürlich ließe sich auch untersuchen, ob der Mensch, wie so viele anderen Thiere, Varietäten und Unterrassen habe entstehen lassen, die nur unbedeutend von einander abweichen, oder Rassen, welche so verschieden von einander sind, daß sie als zweifelhafte Species zu classificieren sind. Wie sind derartige Rassen über die Erde verbreitet und wie wirken sie bei einer Kreuzung auf einander, sowohl in der ersten Generation, als in den folgenden? Und so ließen sich noch über viele andere Punkte Fragen aufstellen.
Bei dieser Untersuchung würde man dann zunächst zu der wichtigen Frage kommen, ob der Mensch zu einer im Verhältnis so rapiden Zunahme neigt, daß hierdurch gelegentlich heftige Kämpfe um das Dasein und in Folge dessen wohlthätige Abänderungen veranlaßt werden, gleichviel ob am Körper oder am Geiste, welche dann bewahrt bleiben, während die nachtheiligen beseitigt werden. Greifen die Rassen oder Arten, gleichviel welcher Ausdruck hier angewandt wird, über einander über und ersetzen einander, so daß einige schließlich unterdrückt werden? Wir werden sehen, daß alle diese Fragen, wie es in der That in Bezug auf die meisten derselben auf der Hand liegt, bejahend beantwortet werden müssen, in derselben Weise wie bei den niederen Thieren. Die verschiedenartigen, hier angedeuteten Betrachtungen können aber füglich eine Zeit lang noch zurückgestellt werden, und wir wollen zuerst nachsehen, in wie weit die körperliche Bildung des Menschen mehr oder weniger deutliche Spuren seiner Abstammung von irgend einer niederen Form zeigt. In späteren Capiteln werden dann die geistigen Fähigkeiten des Menschen im Vergleich mit denen der niederen Thiere betrachtet werden.
Die körperliche Bildung des Menschen. – Es ist notorisch, daß der Mensch nach demselben allgemeinen Typus oder Modell wie die anderen Säugethiere gebildet ist. Alle Knochen seines Skelets können mit entsprechenden Knochen eines Affen oder einer Fledermaus oder Robbe verglichen werden; dasselbe gilt für seine Muskeln, Nerven, Blutgefäße und Eingeweide. Das Gehirn, dieses bedeutungsvollste aller Organe, folgt denselben Bildungsgesetzen, wie Huxley und andere Anatomen gezeigt haben. Bischoff3 welcher zu den Reihen der Gegner gehört, giebt zu, daß jede wesentliche Spalte und Falte in dem Gehirn des Menschen ihr Analogon in dem Gehirn des Orang findet; er fügt aber hinzu, daß auf keiner Entwicklungsperiode die Gehirne beider vollständig unter einander übereinstimmen. Eine völlige Übereinstimmung konnte man auch nicht erwarten, denn sonst würden ihre geistigen Fähigkeiten dieselben gewesen sein; Vulpian4 bemerkt: »Les différences réelles, qui existent entre l'encéphale de l'homme et celui des singes supérieurs, sont bien minimes. II ne faut pas se faire d'illusions à cet égard. L'homme est bien plus près des singes anthropomorphes par les caractères anatomiques de son cerveau, que ceux-ci ne le sont non seulement des autres mammifères, mais même de certains quadrumanes, des guenons et des macaques.« Es wäre aber überflüssig, hier noch weitere Einzelnheiten in Betreff der Übereinstimmung zwischen dem Menschen und den höheren Säugethieren in der Bildung des Gehirns und aller anderen Theile des Körpers anzuführen. Es dürfte indessen der Mühe werth sein, einige wenige Punkte, welche nicht direct oder augenfällig in Verbindung mit dem Körperbau stehen, speciell anzuführen, aus denen diese Übereinstimmung oder Verwandtschaft deutlich hervorgeht.
Der Mensch ist fähig, von den anderen Thieren gewisse Krankheiten aufzunehmen oder sie ihnen mitzutheilen, wie Wasserscheu, Pocken, Rotz, Syphilis, Cholera, Flechten u. s. w.,5 und diese Thatsache beweist die große Ähnlichkeit6 ihrer Gewebe und ihres Blutes, sowohl in ihrem feineren Bau, als in ihrer Zusammensetzung, und zwar viel deutlicher, als es durch deren Vergleichung unter dem besten Mikroskop oder mit Hülfe der sorgfältigsten chemischen Analyse nachgewiesen werden kann. Die Affen sind vielen von denselben nicht contagiösen Krankheiten ausgesetzt, wie wir. So fand Rengger,7 welcher eine Zeit lang den Cebus Azarae in seinem Vaterlande sorgfältig beobachtete, daß er Katarrh bekam, mit den gewöhnlichen Symptomen, welcher auch bei häufigen Rückfällen zu Schwindsucht führte. Diese Affen litten an Schlagfluß, Entzündung der Eingeweide und grauem Staar am Auge. Die jüngeren starben oft am Fieber während der Periode, in der sie ihre Milchzähne verloren; Arzneien haben dieselbe Wirkung auf sie, wie auf uns. Viele Arten von Affen haben eine starke Vorliebe für Thee, Kaffee und spirituose Getränke; sie können auch, wie ich selbst gesehen habe, mit Vergnügen Tabak rauchen.8 Brehm behauptet, daß die Eingeborenen von Nord-Afrika die wilden Paviane dadurch fangen, daß sie Gefäße mit einem starken geistigen Getränke hinstellen, in welchem sich die Affen betrinken. Er hat mehrere dieser Thiere, die er in Gefangenschaft hielt, in diesem Zustande gesehen und giebt einen höchst komischen Bericht ihres Benehmens und ihrer wunderbaren Grimassen. Am folgenden Morgen waren sie sehr verstimmt und übel aufgelegt; sie hielten ihren schmerzenden Kopf mit beiden Händen und boten einen äußerst erbarmungswürdigen Anblick dar. Wurde ihnen Bier oder Wein angeboten, so wandten sie sich mit Widerwillen ab, labten sich dagegen an Citronensaft.9 Ein amerikanischer Affe, ein Ateles, wollte, nachdem er einmal von Branntwein trunken geworden war, nie mehr solchen anrühren; er war daher weiser als viele Menschen. Diese unbedeutenden Thatsachen beweisen, wie ähnlich die Geschmacksnerven bei den Affen und den Menschen sein müssen und in wie ähnlicher Weise ihr ganzes Nervensystem afficiert wird.
Der Mensch wird von inneren Parasiten geplagt, welche zuweilen tödtliche Wirkungen hervorbringen, in gleicher Weise auch von äußeren; alle diese Schmarotzer gehören zu denselben Gattungen oder Familien wie die, welche andere Säugethiere bewohnen, und, was die Krätzmilbe betrifft, zu derselben Species.10 Der Mensch ist in gleicher Weise wie andere Säugethiere, Vögel und selbst Insekten,11 jenem geheimnisvollen Gesetz unterworfen, welches gewisse normale Vorgänge, wie die Trächtigkeit, ebenso wie die Reife und die Dauer gewisser Krankheiten den Mondperioden zu folgen veranlaßt. Seine Wunden werden durch denselben Heilungsproceß wieder hergestellt, und die nach der Amputation seiner Gliedmaßen gelassenen Stümpfe besitzen gelegentlich, besonders während der früheren embryonalen Periode, eine gewisse Fähigkeit der Regeneration wie bei den niedersten Thieren.12
Der ganze Hergang jener bedeutungsvollsten Verrichtung, der Fortpflanzung der Art, ist bei den Säugethieren in auffallender Weise derselbe, von dem ersten Acte der Werbung des Männchens an13 bis zu der Geburt und der Ernährung der Jungen. Die Affen werden in einem fast genau so hülflosen Zustande geboren wie unsere eigenen Kinder; und in gewissen Gattungen weichen die Jungen in ihrem Aussehen von den Erwachsenen genau so viel ab, wie menschliche Kinder von ihren erwachsenen Eltern.14 Einige Schriftsteller haben als einen wichtigen Unterschied hervorgehoben, daß beim Menschen die Jungen in einem viel späteren Alter zur Reife gelangen, als bei irgend einem anderen Thiere. Wenn wir aber einen Blick auf die Menschenrassen werfen, welche tropische Länder bewohnen, so ist der Unterschied nicht groß. Denn der Orang wird, wie man annimmt, nicht vor einem Alter von 10 bis 15 Jahren reif.15 Der Mann weicht von der Frau in der großen Körperkraft, in dem Behaartsein u. s. w., ebenso wie in Bezug auf den Geist, in derselben Weise ab, wie die beiden Geschlechter vieler Säugethiere von einander abweichen. Es ist überhaupt die Übereinstimmung im allgemeinen Bau, in der feinen Structur der Gewebe, in der chemischen Zusammensetzung und in der Constitution zwischen dem Menschen und den höheren Thieren. besonders den anthropomorphen Affen eine äußerst enge.
Embryonale Entwicklung. – Der Mensch entwickelt sich aus einem Eichen von ungefähr 1/125 Zoll (0,2 mm) im Durchmesser, welches in keiner Hinsicht von den Eichen anderer Thiere abweicht. Der Embryo selbst kann auf einer frühen Stufe kaum von dem anderer Glieder des Wirbelthierreichs unterschieden werden. Auf dieser Periode verlaufen die Halsarterien in bogenförmigen Ästen, als wenn sie das Blut zu Kiemen brächten, welche bei den höheren Wirbelthieren nicht vorhanden sind; doch sind die Spalten an den Seiten des Halses noch vorhanden (Fig. I, f. g.) und geben die frühere Stellung jener an. Auf einer etwas späteren Periode, wenn sich die Gliedmaßen entwickeln, entstehen, wie der berühmte v. Baer bemerkt, die Füße von Eidechsen und Säugethieren, die Flügel und Füße der Vögel und ebenso die Hände und Füße des Menschen sämmtlich aus derselben Grundform. »Erst auf späteren Entwicklungsstufen«, sagt Professor Huxley,16 »bietet das junge menschliche Wesen deutliche Verschiedenheiten von dem jungen Affen dar, welcher letztere ebenso weit vom Hunde in seiner Entwicklung abweicht, wie es der Mensch thut. So auffallend diese letztere Behauptung zu sein scheint, so ist sie doch nachweisbar richtig.«
Da manche meiner Leser vielleicht noch niemals die Abbildung eines Embryo gesehen haben, habe ich umstehend eine solche von einem Menschen und eine andere vom Hunde von ungefähr derselben Entwicklungsstufe gegeben, beide Copien nach zwei Werken von zweifelloser Genauigkeit.
Fig. 1. Die obere Figur ist ein menschlicher Embryo nach Ecker, die untere der eines Hundes nach Bischoff.
a) Vorderhirn, Großhirnhemisphaeren etc. b) Mittelhirn, Vierhügel. c) Hinterhirn, Kleinhirn, verlängertes Mark. d) Auge. e) Ohr. f) Erster Visceralbogen. g) Zweiter Visceralbogen. H) Wirbelsäule und Muskelmasse. i) Vordere Gliedmaßen. K) Hintere Gliedmaßen. L) Schwanz oder Coccyx.17
Nach den vorstehenden, auf Grund so bedeutender Autoritäten mitgetheilten Angaben würde es meinerseits überflüssig sein, noch eine Anzahl weiterer entlehnter Einzelnheiten zu geben, um zu zeigen, daß der Embryo des Menschen streng dem anderer Säugethiere gleicht. Es mag indeß noch hinzugefügt werden, daß der menschliche Embryo in verschiedenen Punkten seiner Bildung gleichfalls gewissen niederen Formen in deren erwachsenem Zustande ähnlich ist. So ist z. B. das Herz zuerst einfach ein pulsierendes Gefäß, die Excremente werden durch eine Kloake entleert, und das Schwanzbein springt wie ein wahrer Schwanz vor, indem es sich beträchtlich »jenseits der rudimentären Beine« verlängert.18 Bei den Embryonen aller luftathmenden Wirbelthiere entsprechen gewisse Drüsen, die sogenannten Wolffschen Körper, den Nieren erwachsener Fische und fungieren auch wie diese.19 Selbst in einer späteren embryonalen Periode lassen sich einige auffallende Übereinstimmungen zwischen dem Menschen und den niederen Thieren beobachten. Bischoff sagt, daß die Gehirnwindungen eines menschlichen Foetus vom Ende des siebenten Monats ungefähr die Entwicklungsstufe erreichen, welche ein erwachsener Pavian zeigt.20 Wie Professor Owen bemerkt,21 »ist die große Zehe, welche beim Stehen oder Gehen den Stützpunkt bildet, vielleicht die charakteristischste Eigenthümlichkeit des menschlichen Bau's«. Aber bei einem Embryo von ungefähr einem Zoll Länge fand Professor Wymanen,22 »daß die große Zehe kürzer als die anderen und, statt dies parallel zu sein, unter einem Winkel von dem Fußrande vorsprang und daher mit dem bleibenden Zustande dieses Theils bei den Affen übereinstimmte.« Ich will mit der Anführung einer Stelle von Huxley schließen,23 welcher fragt, ob der Mensch in einer vom Hund, Vogel, Frosch oder Fisch verschiedenen Weise entstehe, und dann sagt: »die Antwort kann nicht einen Augenblick zweifelhaft sein, die Ursprungsweise und die frühen Entwicklungsstufen des Menschen sind mit denen der in dem Thierreiche unmittelbar unter ihm stehenden Formen identisch. Ohne allen Zweifel steht er in diesen Beziehungen den Affen viel näher, als die Affen dem Hunde stehen.«
Rudimente. – Obgleich dieser Gegenstand nicht von wesentlich größerer Bedeutung ist als die beiden letzterwähnten, so soll er doch aus mehreren Gründen hier mit größerer Ausführlichkeit behandelt werden.24 Es läßt sich nicht eines der höheren Thiere anführen, welches nicht irgend einen Theil in einem rudimentären Zustande besäße, und der Mensch bietet keine Ausnahme von dieser Regel dar. Rudimentäre Organe müssen von solchen unterschieden werden, welche auf dem Wege der Bildung sind, obschon in manchen Fällen die Unterscheidung nicht leicht ist. Die ersteren sind entweder absolut nutzlos, wie die Zitzen der männlichen Säugethiere oder die oberen Schneidezähne von Wiederkäuern, welche niemals das Zahnfleisch durchschneiden, oder sie sind von so untergeordnetem Nutzen für ihren jetzigen Besitzer, daß wir nicht annehmen können, sie hätten sich unter den jetzt existierenden Bedingungen entwickelt. Organe in diesem letzteren Zustand sind nicht streng genommen rudimentär, sie neigen aber nach dieser Richtung hin. Andererseits sind in der Bildung begriffene Organe, wenn auch noch nicht völlig entwickelt, für ihre Besitzer von großem Nutzen und weiterer Entwicklung fähig. Rudimentäre Organe sind äußerst variabel, und dies läßt sich zum Theil daraus verstehen, daß sie nutzlos oder nahezu nutzlos sind und in Folge dessen nicht länger mehr der natürlichen Zuchtwahl unterliegen. Sie werden oft vollständig unterdrückt. Wenn dies eintritt, können sie nichtsdestoweniger gelegentlich durch Rückschlag wiedererscheinen, und dies ist ein der Aufmerksamkeit wohl werther Umstand.
Nichtgebrauch während derjenigen Lebensperiode, in welcher ein Organ sonst hauptsächlich gebraucht wird, und dies ist meist während der Reifezeit der Fall, in Verbindung mit Vererbung auf einem entsprechenden Lebensalter scheinen die hauptsächlichsten Ursachen gewesen zu sein, welche das Rudimentärwerden der Organe veranlaßten. Der Ausdruck »Nichtgebrauch« bezieht sich nicht bloß auf die verringerte Thätigkeit der Muskeln, sondern umfaßt auch einen verminderten Zufluß von Blut nach einem Theile oder Organe hin; entweder weil dasselbe weniger Änderungen des Druckes ausgesetzt ist, oder weil es in irgendwelcher Weise weniger gewohnheitsgemäß thätig ist. Es können indessen Rudimente von Theilen in dem einen Geschlecht auftreten, welche im anderen Geschlecht normal vorhanden sind; und solche Rudimente sind, wie wir später sehen werden, oft in einer von der oben erwähnten verschiedenen Art entstanden. In manchen Fällen sind Organe durch natürliche Zuchtwahl verkümmert, weil sie der Art unter einer veränderten Lebensweise nachtheilig geworden sind. Der Prozeß der Verkümmerung wird wahrscheinlich oft durch die beiden Principe der Compensation und Ökonomie des Wachsthums unterstützt; aber die letzten Stufen der Verkümmerung. – wenn nämlich der Nichtgebrauch Alles, was ihm einigermaßen zugeschrieben werden kann, vollbracht hat. und sobald die durch die Ökonomie des Wachsthums bewirkte Ersparnis sehr klein sein würde25 –, sind nur schwer zu erklären. Die endliche und vollständige Unterdrückung eines Theils, welcher bereits nutzlos und in der Größe sehr verkümmert ist, in welchem Falle weder Compensation noch Ökonomie des Wachsthums in's Spiel kommen können, läßt sich vielleicht mit Hülfe der Hypothese der Pangenesis verstehen und, wie es scheint, auf keine andere Weise. Da indeß der ganze Gegenstand der rudimentären Organe in meinen früheren Werken26 ausführlich erläutert und erörtert worden ist, brauche ich hier über dieses Capitel nichts mehr zu sagen.
In vielen Theilen des menschlichen Körpers hat man Rudimente verschiedener Muskeln beobachtet;27 und nicht wenige Muskeln, welche in manchen niederen Thieren regelmäßig vorhanden sind, können gelegentlich beim Menschen in einer beträchtlich verkümmerten Form nachgewiesen werden. Jedermann muß die Kraft beobachtet haben, mit welcher viele Thiere, besonders Pferde, ihre Haut bewegen oder erzittern machen, und dies wird durch den Panniculus carnosus bewirkt. Überbleibsel dieses Muskels in einem noch wirkungsfähigen Zustande werden an verschiedenen Theilen unseres Körpers gefunden, z. B. an der Stirn, wo sie die Augenbrauen erheben. Das Platysma myoides, welches am Halse entwickelt ist, gehört zu diesem System, kann aber nicht willkürlich in Thätigkeit gebracht werden. Wie mir Professor Turner von Edinburgh mittheilt, hat er gelegentlich Muskelfasern an fünf verschiedenen Stellen entdeckt, nämlich in den Achselhöhlen, in der Nähe der Schulterblätter u. s. w., welche alle auf das System des großen Hautmuskels bezogen werden müssen. Er hat auch gezeigt,28 daß der Musculus sternalis oder »sternalis brutorum«, welcher nicht etwa eine Verlängerung des Rectus abdominis, sondern eng mit dem Panniculus verwandt ist, in dem Verhältnis von ungefähr 3 % unter mehr als 600 Leichnamen vorkam. Er fügte hinzu, daß dieser Muskel »eine vorzügliche Erläuterung der Angabe darbiete, daß gelegentlich auftretende und rudimentäre Bildungen besonders einer Abänderung in der Anordnung ausgesetzt sind.«
Einige wenige Personen haben die Fähigkeit, die oberflächlichen Muskeln ihrer Kopfhaut zusammenzuziehen, und diese Muskeln befinden sich in einem variabeln und zum Theil rudimentären Zustand. Herr A. de Candolle hat mir ein merkwürdiges Beispiel des lange erhaltenen Bestehens oder der langen Vererbung dieser Fähigkeit, ebenso wie ihrer ungewöhnlichen Entwicklung mitgetheilt. Er kennt eine Familie, von welcher ein Glied (das gegenwärtige Haupt der Familie), als junger Mann schwere Bücher von seinem Kopfe schleudern konnte, allein durch die Bewegung seiner Kopfhaut, und er gewann durch Ausführung dieses Kunststücks Wetten. Sein Vater, Onkel, Großvater und alle seine drei Kinder besitzen dieselbe Fähigkeit in demselben ungewöhnlichen Grade. Vor acht Generationen wurde diese Familie in zwei Zweige getheilt, so daß das Haupt des oben genannten Zweigs Vetter im siebenten Grade zu dem Haupte des andern Zweigs ist. Dieser entfernte Verwandte wohnt in einem anderen Theile von Frankreich; und als er gefragt wurde, ob er diese selbe Fertigkeit besäße, producierte er sofort seine Kraft. Dieser Fall bietet eine nette Erläuterung dafür dar, wie zäh eine absolut nutzlose Fähigkeit überliefert werden kann, welche wahrscheinlich von unsern alten halbmenschlichen Vorfahren herrührt; viele Affen haben nämlich das Vermögen, und benutzen es auch, ihre Kopfhaut stark vor- und rückwärts zu bewegen.29
Die äußeren Muskeln, welche dazu dienen, das ganze äußere Ohr zu bewegen, und die inneren Muskeln, welche dessen verschiedene Theile bewegen, finden sich bei dem Menschen in einem rudimentären Zustande und sie gehören sämmtlich zum System des Panniculus; sie sind auch in ihrer Entwicklung, oder wenigstens in ihren Functionen, variabel. Ich habe einen Mann gesehen, welcher das ganze Ohr vorwärts ziehen konnte; andere können es nach oben ziehen; ein anderer konnte es rückwärts bewegen;30 und nach dem, was mir eine dieser Personen sagt, ist es wahrscheinlich, daß die Meisten von uns dadurch, daß wir oft unsere Ohren berühren und hierdurch unsere Aufmerksamkeit auf sie lenken, nach wiederholten Versuchen etwas Bewegungskraft wiedererlangen könnten. Die Fähigkeit, die Ohren aufzurichten und sie nach verschiedenen Richtungen hinzuwenden, ist ohne Zweifel für viele Thiere von dem höchsten Nutzen, da diese hierdurch den Ort der Gefahr erkennen; ich habe aber nie auf zuverlässige Autorität hin von einem Menschen gehört, welcher auch nur die geringste Fähigkeit, die Ohren in dieser Weise zu richten, besessen hätte, die einzige Bewegung, welche für ihn von Nutzen sein könnte. Die ganze äußere Ohrmuschel kann man als Rudiment betrachten, zusammen mit den verschiedenen Falten und Vorsprüngen (Helix und Antihelix, Tragus und Antitragus u. s. w.), welche bei den niederen Thieren das Öhr kräftigen und stützen, wenn es aufgerichtet ist, ohne sein Gewicht sehr zu vermehren. Manche Autoren vermuthen indeß, daß der Knorpel der Ohrmuschel dazu dient, die Schallschwingungen dem Hörnerven zu übermitteln. Mr. Toynbee kommt aber,31 nachdem er alle bekannten Erfahrungen über diesen Punkt gesammelt hat, zu dem Schluß, daß die äußere Ohrmuschel von keinem bestimmten Nutzen ist. Die Ohren des Schimpanse und Orang sind denen des Menschen merkwürdig ähnlich, auch sind die Ohrmuskeln gleichfalls nur sehr gering entwickelt,32 und mir haben die Wärter in den zoologischen Gärten versichert, daß diese Thiere sie nie bewegen oder aufrichten, so daß also diese Organe in einem gleichermaßen rudimentären Zustande sind, was die Function betrifft, wie beim Menschen. Warum diese Thiere, ebenso wie die Voreltern des Menschen, die Fähigkeit, ihre Ohren aufzurichten, verloren haben, können wir nicht sagen. Es könnte sein, doch befriedigt mich diese Ansicht nicht völlig, daß sie in Folge ihres Lebens auf Bäumen und wegen ihrer großen Kraft nur wenigen Gefahren ausgesetzt waren und deshalb während einer langen Zeit ihre Ohren nur wenig bewegt und dadurch allmählich das Vermögen, sie zu bewegen, verloren haben. Dies würde ein paralleler Fall mit dem jener großen und schweren Vögel sein, welche das Vermögen, ihre Flügel zum Fluge zu gebrauchen in Folge des Umstandes verloren haben, daß sie oceanische Inseln bewohnen und daher den Angriffen von Raubthieren nicht ausgesetzt gewesen sind. Die Unfähigkeit des Menschen und mehrerer Affen, die Ohren zu bewegen, wird indessen zum Theil dadurch ausgeglichen, daß sie den Kopf sehr frei in einer horizontalen Ebene bewegen und somit Laute aus allen Richtungen her auffangen können. Es ist behauptet worden, daß nur das Ohr des Menschen ein Läppchen besitze; »ein Rudiment ist aber beim Gorilla zu finden«33 und wie ich von Prof. Preyer höre, fehlt es nicht selten beim Neger.
Der berühmte Bildhauer Mr. Woolner macht mich auf eine kleine Eigentümlichkeit am äußeren Ohre aufmerksam, welche er oft sowohl bei Männern wie bei Frauen beobachtet und deren volle Bedeutung er erfaßt hat. Seine Aufmerksamkeit wurde zuerst auf den Gegenstand gerichtet, als er seine Statue des »Puck« arbeitete, welchem er spitze Ohren gegeben hatte. Er wurde hierdurch dazu veranlaßt, die Ohren verschiedener Affen und später noch sorgfältiger die des Menschen zu untersuchen. Die Eigentümlichkeit besteht in einem kleinen stumpfen, von dem inneren Rande der äußeren Falte oder des Helix vorspringenden Punkte. Wenn er vorhanden ist, ist er bei der Geburt schon entwickelt und findet sich, nach Prof. Ludwig Meyer, häufiger beim Manne, als bei der Frau. Mr. Woolner hat ein sorgfältiges Modell eines solchen Falles gemacht und mir die beistehende Zeichnung (Fig. 2) geschickt. Dieser Punkt springt nicht bloß nach innen nach dem Mittelpunkte des Ohres hin, sondern oft etwas nach außen von der Ebene des Ohres vor, so daß er sichtbar wird, wenn der Kopf direct von vorn oder von hinten betrachtet wird. Er ist in der Größe und auch etwas in der Stellung variabel, indem er entweder etwas höher oder tiefer steht; zuweilen kommt er auch nur an dem einen Ohre und nicht gleichzeitig am andern vor. Sein Vorkommen ist nicht auf den Menschen beschränkt; ich beobachtete einen Fall bei einem Ateles beelzebuth im zoologischen Garten; und Dr. E. Ray Lankester theilt mir einen anderen Fall von einem Schimpanse im Hamburger zoologischen Garten mit. Der Helix besteht offenbar aus dem nach innen gefalteten äußeren Rande des Ohrs, und diese Faltung scheint in irgend einer Weise damit zusammenzuhängen, daß das ganze äußere Ohr beständig nach rückwärts gedrückt wird. Bei vielen Affen, welche nicht hoch in der ganzen Ordnung stehen, wie bei den Pavianen und manchen Arten von Macacus,34 ist der obere Theil des Ohrs leicht zugespitzt und der Rand ist durchaus nicht nach innen gefaltet. Wäre aber der Rand in dieser Weise gefaltet worden, so würde nothwendig eine kleine Spitze nach innen und wahrscheinlich auch etwas nach außen von der Ebene des Ohrs vorspringen; und so ist eine solche auch, wie ich glaube, in vielen Fällen entstanden. Andererseits behauptet Prof. L. Meyer in einem vor kurzem veröffentlichten guten Aufsatze,35 daß das Ganze bloß ein Fall von Variabilität sei, und daß die Vorsprünge nicht wirklich solche seien, sondern nur daher rührten, daß der innere Knorpel zu jeder Seite der Spitze nicht vollständig entwickelt sei. Ich bin völlig bereit zuzugeben, daß dies für viele Fälle, so für die von Prof. Meyer abgebildeten, wo mehrere sehr kleine Spitzen sich fanden oder wo der ganze Rand buchtig ist, die richtige Erklärung ist. Ich selbst habe durch die Gefälligkeit des Dr. L. Down das Ohr eines mikrocephalen Idioten sehen können, bei dem sich an der Außenseite des Helix und nicht an dem nach innen gefalteten Rande ein Vorsprung befand; die Spitze kann daher in diesem Falle in keiner Beziehung zu einer frühern Ohrspitze stehen. Nichtsdestoweniger scheint mir meine ursprüngliche Ansicht, daß diese Vorsprünge Überreste der Spitzen früher aufgerichteter und zugespitzter Ohren seien, noch immer die wahrscheinlich richtige zu sein. Ich glaube dies wegen der Häufigkeit des Vorkommens derselben und wegen der allgemeinen Übereinstimmung ihrer Stellung mit der der Spitze eines zugespitzten Ohrs.
Fig. 2. Menschliches Ohr, modelliert und gezeichnet von Mr. Woolner. a) der vorspringende Punkt.
In einem Falle, von dem mir eine Photographie zugesandt wurde, ist der Vorsprung so groß, daß, wenn man im Einklänge mit Prof. Meyer's Ansicht annehmen wollte, das Ohr würde durch die gleichmäßige Entwicklung des Knorpels, entlang der ganzen Ausdehnung des Randes vollständig werden, dieser ein ganzes Drittel des Ohres bedecken würde. Zwei Fälle sind mir mitgetheilt worden, einer von Nord-Amerika und einer von England, bei denen der obere Rand gar nicht nach innen gefaltet, sondern zugespitzt war, so daß er im Umrisse dem zugespitzten Ohre eines gewöhnlichen Säugethieres sehr ähnlich war. In einem dieser Fälle, dem eines kleinen Kindes, verglich der Vater das Ohr mit der Zeichnung eines Affenohrs, des Ohrs vom Cynopithecus niger, die ich mitgetheilt habe,36 und meinte, daß beider Umrisse einander sehr ähnlich seien. Wenn in diesen beiden Fällen der Rand in der normalen Weise nach innen gefaltet worden wäre, so hätte sich ein Vorsprung nach innen bilden müssen. Ich will noch hinzufügen, daß in zwei andern Fällen der Umriß nach innen etwas zugespitzt blieb, obschon der Rand des obern Theils des Ohrs völlig normal, in einem Falle freilich sehr schmal, nach innen gefaltet war. Der vorstehende Holzschnitt (Fig. 3) ist eine sorgfältig gefertigte Copie einer Photographie eines Orang-Foetus (die mir freundlichst von Dr. Nitsche zugesandt wurde), an welcher zu sehen ist, wie verschieden der zugespitzte Umriß des Ohres in dieser Periode von dessen Form im erwachsenen Zustande ist, wo es eine große allgemeine Ähnlichkeit mit dem des Menschen hat. Ganz offenbar wird das Herunterfalten der Spitze eines solchen Ohres, wenn es sich nicht während seiner weitern Entwicklung noch bedeutend verändert, einen nach innen vorspringenden Fortsatz entstehen lassen. Es scheint mir daher im Ganzen noch immer wahrscheinlich, daß die in Rede stehenden Vorsprünge in manchen Fällen, sowohl beim Menschen als bei Affen, Überbleibsel eines früheren Zustandes sind.
Fig. 3. Foetus eines Orangs. Genaue Copie einer Photographie, um die Form des Ohres in diesem frühen Alter zu zeigen.
Die Nickhaut, oder das dritte Augenlid, mit ihren accessorischen Muskeln und anderen Gebilden ist besonders wohl entwickelt bei den Vögeln und ist für diese von großer functioneller Bedeutung, da sie sehr schnell über den ganzen Augapfel gezogen werden kann. Sie findet sich auch bei manchen Reptilien und Amphibien und bei gewissen Fischen, wie z. B. bei Haifischen. Sie ist ziemlich gut entwickelt in den beiden unteren Abtheilungen der Säugethiere, nämlich bei den Monotremen und Marsupialien und in einigen wenigen unter den höheren Säugethieren, wie beim Walroß. Beim Menschen und den Quadrumanen dagegen, wie bei den meisten übrigen Säugethieren existiert sie, wie alle Anatomen annehmen, nur als ein bloßes Rudiment, als die sogenannte halbmondförmige Falte.37
Der Geruchssinn ist für die größere Zahl der Säugethiere von der höchsten Wichtigkeit, für einige, wie die Wiederkäuer, dadurch, daß er dieselben vor Gefahren warnt, für andere, wie die Carnivoren, daß er sie die Beute finden läßt, für noch andere, wie den wilden Eber, zu beiden Zwecken. Der Geruchssinn ist aber von äußerst untergeordnetem Nutzen, wenn überhaupt von irgendwelchem, selbst für die dunkelfarbigen Rassen, bei denen er allgemein noch höher entwickelt ist als bei den civilisierten Rassen;38 doch warnt er sie weder vor Gefahren, noch leitet er sie zur Nahrung; auch verhindert er nicht, daß die Eskimos in der übelriechendsten Atmosphäre schlafen, oder daß viele Wilde halbfaules Fleisch essen. Bei Europäern ist das Geruchsvermögen bei verschiedenen Individuen sehr verschieden, wie mir ein ausgezeichneter Naturforscher versichert hat, bei dem dieser Sinn sehr hoch entwickelt ist und der dem Gegenstande seine Aufmerksamkeit zugewandt hat. Wer an das Princip einer stufenweisen Entwicklung glaubt, wird nicht leicht zugeben, daß dieser Sinn in seinem jetzigen Zustande ursprünglich vom Menschen, wie er jetzt existiert, erlangt wurde. Er erbte die Fähigkeit in einem abgeschwächten und insofern rudimentären Zustande von irgend einem früheren Vorfahren, dem sie äußerst nutzbar war und von dem sie beständig gebraucht wurde. Bei den Thieren, welche diesen Sinn in hoher Entwicklung besitzen, wie bei Hunden und Pferden, ist die Erinnerung an Personen und Orte entschieden mit ihrem Geruche vergesellschaftet; und es läßt sich vielleicht hierdurch verstehen, woher es kommt, daß, wie Dr. Maudsley richtig bemerkt hat,39 der Geruchssinn beim Menschen »in einer merkwürdig wirksamen Weise Ideen und Bilder bereits vergessener Scenen und Orte wieder erweckt«.
Der Mensch weicht auffallend von allen übrigen Primaten darin ab, daß er fast nackt ist. Doch finden sich wenige kurze steife Haare über den größeren Theil des Körpers beim männlichen Geschlecht und feine dunenartige an dem des weiblichen. Die verschiedenen Rassen weichen sehr in dem Behaartsein von einander ab; bei Individuen, welche zu derselben Rasse gehören, sind die Haare äußerst variabel, nicht bloß in der Menge, sondern auch in der Stellung. So sind bei manchen Europäern die Schultern völlig nackt, während sie bei anderen dicke Haarbüschel tragen.40 Es läßt sich wohl kaum bezweifeln, daß die in dieser Weise über den Körper zerstreuten Haare die Überbleibsel des gleichförmigen Haarkleids der niederen Thiere sind. Diese Ansicht wird dadurch um so wahrscheinlicher, daß, wie bekannt ist, feine, kurze und hellgefärbte Haare an den Gliedmaßen und anderen Theilen des Körpers sich gelegentlich zu dicht stehenden langen und im Ganzen groben dunklen Haaren entwickeln, wenn sie in der Nähe alter, entzündeter Oberflächen abnorm ernährt werden.41
Sir James Paget theilt mir mit, daß Personen, welche zu einer und derselben Familie gehören, oft in ihren Augenbrauen einzelne wenige Haare haben, die viel länger als die übrigen sind, so daß diese unbedeutende Eigentümlichkeit vererbt zu werden scheint. Auch diese Haare scheinen ihre Repräsentanten zu haben; denn an einem jungen Schimpanse, und bei gewissen Arten von Macacus, finden sich zerstreut stehende, beträchtlich lange Haare auf der nackten Haut oberhalb der Augen, die unsern Augenbrauen entsprechen; ähnliche lange Haare springen aus der Haarbekleidung der Augenbrauenleisten bei manchen Pavianen vor.
Das feine, wollähnliche Haar oder der sogenannte Lanugo, mit welchem der menschliche Foetus während des sechsten Monats dicht bedeckt ist, bietet einen noch merkwürdigeren Fall dar. Er entwickelt sich zuerst während des fünften Monats an den Augenbrauen und dem Gesicht und besonders um den Mund, wo er viel länger als auf dem Kopfe ist. Ein Schnurrbart dieser Art wurde von Eschricht4243Alex. Brandt