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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

 

3. Auflage 2021

© 2017 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

 

Die englische Originalausgabe erschien 2016 bei Penguin Ireland, ein Imprint von Penguin Random House, unter dem Titel Win or Learn. Copyright © John Kavanagh, 2016.

 

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Übersetzung: Christian Gonsa, Martin Rometsch, Ronit Jariv, Isabelle Brandstetter

Redaktion: Caroline Kazianka

Umschlaggestaltung: Laura Osswald

Umschlagabbildung: Esther Lin

Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern

 

ISBN Print 978-3-7423-0464-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95971-996-4

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95971-997-1

 

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Für Mutter und Vater

 

Ich danke ihnen dafür,
dass sie mir beigebracht haben,
an mich zu glauben.

 

 

 

 

Inhalt

Vorwort

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

Bildteil

13

14

15

16

17

18

Epilog

Danksagungen

 

 

 

 

Vorwort

von Conor McGregor

Als ich John Kavanagh das erste Mal in seinem Fitnesscenter traf, machte er keinen großen Eindruck auf mich. Tom Egan, ein Schulfreund von mir, hatte bereits eine Weile lang die Mixed Martial Arts (MMA), die gemischten Kampfsportarten, trainiert. Ich boxte ziemlich gut, beschloss aber, mich auf die MMA zu konzentrieren. Tom versicherte mir, dass John der einzige Mann im ganzen Land war, der helfen konnte, wenn jemand in diesem Sport etwas erreichen wollte. Ich nahm ihn beim Wort.

Bevor ich John traf, stellte ich ihn mir als imposanten, massigen Kampfguru im Maschendrahtkäfig vor. In der Realität wirkte er sehr normal, eher wie ein Grundschullehrer als ein Meisterkämpfer. Aber dieser erste Eindruck änderte sich rasch. Als John begann, sein Wissen mit mir zu teilen, erkannte ich schnell, dass er ein außergewöhnlicher, ein ganz besonderer Mensch ist. Nun verstand ich, warum er einen derartigen Ruf hatte.

Ausgehend von meinen Boxerfahrungen war ich mir sicher, dass die MMA genau mein Ding waren und ich auf der Stelle Weltmeister werden könnte. Mit jedem Tag aber, den ich mit John trainierte und an dem er mich an seinem Wissen teilhaben ließ, verstand ich besser, dass ich von diesem Mann sehr viel lernen konnte. Ich war sicherlich ein passabler Boxer, bevor ich meinen Fuß erstmals in das Straight Blast Gym (SBG) setzte, aber verglichen mit einem erfahrenen Meister der Kampfsportarten wie ihm war ich nicht mehr als ein Anfänger mit einem langen Weg vor mir. Aber ich wusste, dass ich mit einem Mann trainierte, der mir den richtigen Weg weisen konnte. Genau das tat John und er tut es auch noch heute, zehn Jahre später. Sehr schnell war ich überzeugt davon, dass dieser Mann mich dort hinführen konnte, wo ich hin wollte. Ich glaube, dass das meine erste Vorhersage ist, die sich erfüllt hat.

Johns Leidenschaft zu lernen und zu lehren inspiriert mich. Eine seiner hervorstechendsten Eigenschaften als Trainer ist es, schwierige Dinge einfach aussehen zu lassen. Er analysiert sie auf eine Art und Weise, wie ich es niemals zuvor erlebt habe. Wenn man in der Boxhalle trainiert, schlägt man auf den Boxsack ein, absolviert sein Programm mit dem Sprungseil, macht ein Sparring – und dann geht man nach Hause. Man geht schnell hinein und schnell wieder hinaus. Bei John wird langsam gelernt, die Bewegung wird demonstriert, bis sie jeder exakt verstanden hat.

Ein Jahrzehnt und mehr hat er mich und meine Teamkameraden in der Sporthalle und im Wettkampf-Oktagon erfolgreich gecoacht, doch sein Einfluss macht sich auch in allen anderen Lebensbereichen bemerkbar. Ich hole mir Ratschläge von John zu allen Fragen, die mich beschäftigen, nicht nur zu solchen, die die Kampfkunst betreffen.

Es gab eine Phase in meinem Leben, in der ich meine Zeit mit falschen Freunden verschwendete, mich von der Trainingshalle fernhielt und auf gefährliche Abwege geriet. John hätte da nicht eingreifen müssen, aber er tat es und stellte sicher, dass ich nicht an den Punkt gelangte, von dem aus es kein Zurück mehr gab. Sein Eingreifen war ein Wendepunkt, nicht nur in meiner Karriere als Kampfsportler, sondern in meinem gesamten Leben.

John investierte im Lauf der Jahre viel Zeit und Mühe, und es war mir immer ein Bedürfnis, ihm das eines Tages zu entgelten. Als ich im SBG begann, waren wir eine kleine Gruppe junger Kämpfer, die der Wille einte, den Weg an die Spitze zu schaffen. Es freut mich außerordentlich, wenn ich sehe, wie viel Anerkennung er erhalten hat, seitdem wir das erreicht haben. Das gibt mir die Motivation, noch mehr zu leisten.

Was wäre aus mir geworden, wenn ich John nicht begegnet wäre? Natürlich ist es unmöglich, diese Frage wirklich zu beantworten. Aber ich bin dankbar, dass das gar nicht notwendig ist.

 

 

 

 

1

Ich verdiene meinen Lebensunterhalt damit, Menschen das Kämpfen beizubringen. Es mag daher überraschend sein, dass ich bis Anfang 20 Angst vor dem Kämpfen hatte. Ich hasste Streit, Lärm, Gewalt – im Grunde jede Art von Konflikt. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, aber bei mir ging es weiter, ich war ein Schwächling oder Weichei, wie einige meiner Schulkameraden mich nannten.

Aufgewachsen bin ich in der Nutgrove Avenue in Rathfarnham, einem Vorort im südlichen Dublin. Meine Schwester Ann war bereits zweieinhalb Jahre alt, als ich am 18. Januar 1977 das Licht der Welt erblickte. Mein Bruder James wurde erst um einiges später geboren.

Wir wohnten in einer Sackgasse, die anderen Kinder in der Straße waren Mädchen, was bedeutete, dass ich die meiste Zeit allein war. Es gab einen einzigen anderen Jungen, der aber viel älter war als ich, deshalb erlaubte man mir kaum, mit ihm zu spielen. Während Ann mit den anderen Mädchen zugange war, beschäftigte ich mich mit verschiedensten Krabbeltieren. Ich war schon früh begeistert von Spider-Man und interessierte mich auch sehr für echte Spinnen. (Das tue ich immer noch: Ich habe eine Tarantel im Büro, gleich neben meinem Schreibtisch. Aber keine Sorgen, sie macht keine Spaziergänge in der Sporthalle – ich halte sie in einem Behälter.) Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen war das Füttern von Spinnen. Ich suchte Ameisen und warf diese dann in das Spinnennetz, um zu beobachten, wie die Spinnen sie auffraßen. Das gefiel mir.

Wenn ich mit Ann und ihren Freundinnen spielen wollte, schickten sie mich immer weg. Ich war ein Junge, die anderen waren Mädchen, also störte ich nur. Dennoch klopfte man mir immer wieder auf die Schulter und sagte: »John, später wirst du mit ihnen ausgehen.« Als einziger Junge in der Gegend war ich wohl so etwas wie der allgemeine Vorzeigefreund. Leider war das nicht auf meine Unwiderstehlichkeit zurückzuführen: Sie hatten einfach keine andere Wahl.

Laut meinen Eltern war ich kein besonders schwieriges Kind, dafür waren Ann und James ziemlich wild. Ich war wohl eher wie meine Mutter – ruhig und introvertiert. Es ist schwierig, mich auf die Palme zu bringen. Ann und James ähneln im Charakter mehr meinem Vater. Er hat ein hitziges Temperament, um es milde auszudrücken.

In der Schule wurde ich häufig schikaniert und gewöhnlich war es Ann, die mich rettete. Sie hielt mir immer den Rücken frei. Der Junge, der mich am meisten quälte, hieß Steven. Er war so jemand, der einem das Pausenbrot stiehlt oder auch das Geld, wenn man mal Geld hatte. Eines Tages sah Ann, wie Steven mich drangsalierte. Sie attackierte ihn sofort mit einem Regenschirm. Das war das Ende seiner Schikanen. Es gibt echt nichts Schlimmeres als ein Mädchen aus Dublin mit einem Regenschirm, das sieht, wie man auf ihrem kleinen Bruder herumhackt! Aber Steven war nicht der einzige Schultyrann. Doch ich war nie wirklich in einen Kampf verwickelt, ich ging dem meistens aus dem Weg. Wenn man mich schlug, schlug ich nicht zurück.

Obwohl wir sehr unterschiedliche Menschen sind, standen Ann und ich einander immer sehr nahe. Als Ann einmal am Zaun, der unseren Garten vom Garten des Nachbarn trennte, hinfiel, weinte ich mehr als sie. Immer wenn ich etwas geschenkt bekam – auch wenn es nur ein Biskuit war – fragte ich: »Und was ist mit Ann?« Ich nahm keine Kleinigkeit an, wenn nicht auch Ann etwas davon abbekam. Wir waren eng verbunden.

Mein Vater und ich waren uns in meiner Jugend nie sehr nah, erst mit Ende 20 begann ich eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Gemeinsam mit meiner Mutter leistete mein Vater viel für unsere Erziehung, ich habe in dieser Hinsicht nichts auszusetzen, aber er war laut und aggressiv, er genoss es zu brüllen und zu streiten, während ich das genaue Gegenteil war. Mein Vater würde es mit zehn Gegnern gleichzeitig aufnehmen; ich hatte schon Angst bei der Vorstellung, einen einzigen Gegner zu haben, geschweige denn eine ganze Gruppe. Er bestand darauf, mit mir die Sportschau zu sehen – wahrscheinlich in der Hoffnung, mich für Fußball zu begeistern; aber ich hasste die Sendung. Schon die Eingangsmelodie machte mich wütend.

Aber im Lauf der Jahre änderte sich unser Verhältnis. Heute ist er mein bester Freund. Mit dem Alter begannen wir einander anscheinend besser zu verstehen. Aber auch heute noch genießt er einen Streit. Wenn wir einfach so zusammensitzen, dann wird er bestimmt ein Thema anschlagen, über das er streiten kann. Das ist eben sein Naturell. Mein Vater und James zanken ständig. Sie können nicht beieinander sein, ohne über irgendein schwachsinniges Thema zu debattieren. Für mich ist es unverständlich, dass das Menschen Spaß machen kann – für mich ist es einfach ermüdend, aber für sie ist das anders.

Ich finde Vergleichbares beim brasilianischen Jiu-Jitsu: Mir gefällt das so gut wie ihnen ein zünftiger Streit.

Dass ich von zu Hause auszog, als ich älter wurde, hat das Verhältnis zu meinem Vater auf jeden Fall verbessert. Wenn man auszieht, kann man seine Eltern endlich als Menschen sehen. Bis dahin sind sie einfach die Eltern.

Abgesehen davon, dass mein Vater mit wirklich jedem in seiner Umgebung darüber stritt, welche Farbe der Himmel hat, waren wir eine ganz normale irische Familie. Mein Vater ist ein großartiger Mensch. Er kümmerte sich um die Sportanlagen am De La Salle College, wo auch ich zur Schule ging, und später wurde er Bauunternehmer. Er ist ein unabhängiger Mensch, der sich selbst sehr gut motivieren kann. Was ich an unternehmerischem Denken habe, verdanke ich ihm. Mein Vater denkt keineswegs daran, jemals in Rente zu gehen. Er hat schon oft gesagt, dass man ihn eines Tages von einer Baustelle wegtragen wird. Er liebt seine Arbeit und wird sie niemals aufgeben.

Wenn ich darauf zurückblicke, wie er die Familie versorgt hat, als wir klein waren, muss ich ihn wirklich bewundern. Er arbeitete unglaublich hart, damit es uns an nichts fehlte, auch wenn wir keine wohlhabende Familie waren. Die Kehrseite der Medaille war, dass wir niemals Geld bekamen. Andere Kinder erhielten Taschengeld, was ich sehr erstaunlich fand. Wir bekamen niemals Taschengeld. Geld fürs Nichtstun zu kriegen, das hörte sich zu schön an, um wahr zu sein. Und so war es auch bei uns: zu schön, um wahr zu sein.

Mein Vater hielt mich immer auf Trab. Als Kind konnte ich niemals wirklich lange ausschlafen. Und wenn ich einmal den Fehler beging, zu sagen, dass es nichts zu tun gab, drückte er mir sofort eine Liste mit Aufgaben wie Wäsche waschen oder Rasen mähen in die Hand. Nach meinem 14. Geburtstag nahm er mich an den Wochenenden oder während der Schulferien häufig zur Arbeit mit.

Im Grunde war ich aber eher ein Muttersöhnchen. Meine Mutter war ein ruhiger, reservierter und stiller Charakter, sie regte sich niemals auf, daher konnte ich mich mit ihr viel leichter identifizieren. Sie nahm ab und zu Reinigungsjobs an, aber wie viele irische Mütter damals kümmerte sie sich vor allem um den Haushalt. Als ich in der Sekundarstufe war, ging ich zum Mittagessen nach Hause, wo bereits mein getoastetes Schinken-und-Käse-Sandwich auf mich wartete. Ich aß es, während ich mir im Fernsehen Neighbours ansah. Das tat ich immer in meiner Pause, die 45 Minuten dauerte. Ich genoss das. Mutter und ich sprachen kaum ein Wort miteinander, aber so gefiel es uns: friedlich und still. Es war perfekt – wenn nicht Vater früher nach Hause kam. Dann musste Neighbours abgeschaltet werden, weil wir vor 18 Uhr nicht fernsehen durften. Mein Vater kümmerte sich nicht um die Hochzeit von Jason und Kylie, solange es Hausaufgaben zu machen gab. Das bedeutete nicht, dass wir viele Aufgaben bekamen, denn für die letzten Jahre in der Grundschule im De La Salle hatten wir nicht einmal einen Lehrer. Der Schuldirektor beaufsichtigte die Klasse, aber er war ständig unterwegs, sodass wir die meiste Zeit allein waren. Im Rückblick hört sich das total verrückt an – wahrscheinlich waren Personaleinsparungen der Grund dafür. Auf uns selbst gestellt, schoben wir die Schulbänke an die Seitenwände und spielten »Royal Rumble«, ein Wrestling-Event. Ich stand an der Tür und spähte nach draußen, ob der Direktor zurückkam.

Als ich in die Sekundarschule kam, war ich ein schlechter Schüler. Die Aufnahmeprüfung war verheerend, weil ich die letzten beiden Jahre in der Grundschule kaum etwas gelernt hatte. Ich war kein besonders kluger Kopf, aber wenn es darum ging zu lernen und mich meiner Arbeit zu widmen, war ich gut. Auch wenn ich kein cooler Junge war, so war ich doch auch keiner der Streber. Tatsächlich war ich meistens allein oder mit meinem besten Freund Derek Clarke zusammen. Derek und ich hatten beide Taranteln.

 

Mit Ende 20 trainierte mein Vater ein wenig Karate. Es war das erste Mal, dass er etwas anderes tat als Fußball spielen. Er war ein guter Tormann zu seiner Zeit und auch als Schiedsrichter in der irischen Liga tätig. Fußball war ohne Zweifel seine große Leidenschaft, aber er begriff schon ziemlich früh, dass ich daran kein Interesse hatte.

Mit vier Jahren schickte mein Vater mich zum ersten Mal in einen Karate-Kurs. Es gab Klubs in unserer Nähe, aber wir fuhren zu einem Klub in der Sheriff Street im nördlichen Zentrum, weil mein Vater dort trainiert hatte. Er war 20 Kilometer entfernt und wir hatten kein Auto, aber mein Vater setzte mich auf die Lenkstange des Fahrrades und so fuhren wir hin und zurück. Trainer war ein Japaner der alten Schule: ein klassischer Sensei, umgeben von einem geheimnisvollen Flair. Zu Beginn der Achtzigerjahre waren die meisten Leute in Dublin nicht weiter als bis Mayo in Irland gekommen, ein Japaner war da eine ziemlich ungewöhnliche Erscheinung.

Zwei- bis dreimal in der Woche ging ich zum Training. Ich liebte es von Anfang an, aber nicht, weil ich schlagen und treten lernte. Was ich am meisten genoss, war die Ruhe, die ernste Atmosphäre. Für mich war das Training nicht ein Teil einer Ausbildung zum Kämpfer. Die sich wiederholenden Bewegungsmuster waren dem Tanzen ähnlicher als dem Kämpfen. Was ich tatsächlich tat, war nicht so wichtig. Es war das Ambiente, das wichtig war. Ich dachte niemals: Ich lerne hier kämpfen, weil es das ist, was ich bis an mein Lebensende tun werde. Ich liebte die Ruhe, und das Karate-Training verschaffte sie mir reichlich.

Der Trainer sagte meinem Vater ziemlich bald, dass er in mir etwas entdeckt hatte, was für ein so kleines Kind außergewöhnlich war. Ich konnte mich vollständig konzentrieren, ohne mich ablenken zu lassen. Wenn mich Eltern fragen, in welchem Alter Kinder mit dem Training beginnen sollten, antworte ich ihnen immer, dass es am besten ist, das Kind einfach vorbeizubringen, um zu sehen, wie es sich anstellt, denn jedes Kind ist anders. Ich konnte mich im Alter von vier Jahren auf ein einstündiges Karate-Training konzentrieren, bei anderen Dingen war meine Konzentration allerdings weit weniger gut. Als Kind ist es nicht einfach, konzentriert zu bleiben, aber bei mir ging das.

Wenn ich als Kind schikaniert wurde, half mir mein Karate-­Training nicht wirklich. Ich war auch nie der Ansicht, dass es eine gute Form der Selbstverteidigung ist. Wenn man Karate in einer Sporthalle lernt, bereitet einen das nicht auf einen Straßenkampf vor. Sobald es zur Sache ging, erstarrte ich. Das ist vergleichbar mit dem Verhalten mancher Tiere in der freien Wildbahn, wenn sie gejagt werden. Tiere stellen sich oft tot in der Hoffnung, dass ihr Angreifer von ihnen ablassen wird. Obwohl Karate für meine Entwicklung wertvoll war – wenn mich jemand drangsalierte, war es so nützlich wie Ballettunterricht.

In der Pubertät machte ich weiterhin Karate und wurde immer besser. Mit zwölf Jahren bekam ich meinen schwarzen Gürtel. Im Teenageralter wechselte ich den Trainer und übte in der Sporthalle am De La Salle College. Dort bekam ich den zweiten schwarzen Gürtel. Im Alter von 15 Jahren errang ich in der National Basketball Arena in Tallaght den nationalen Meistertitel in Kenpo Karate. Da ich sehr hart dafür trainiert hatte, war ich auch sehr stolz auf den Titel. Es erschien sogar ein Artikel mit einem Foto von mir in einer Lokalzeitung. Noch lange danach bewahrte mein Großvater den Artikel in seiner Brieftasche auf und zeigte ihn jedem, dem er begegnete.

Mit 18 lernte ich den Trainer eines anderen Klubs kennen. Er wirkte unglaublich cool auf mich. Es war ein massiger Mann, der einen roten Karate-Dress trug, während wir alle einen schwarzen Dress hatten. Ich war fasziniert von ihm. Als er mich einlud, in seinem Klub zu trainieren, zögerte ich nicht, seine Einladung anzunehmen.

Eines Morgens tauchte mein Karate-Trainer vom De La Salle in der Haushaltswarenhandlung auf, in der ich am Wochenende arbeitete. Er hatte erfahren, dass ich auch anderswo trainierte und war gar nicht erfreut darüber. Er verlor völlig seine Beherrschung und beschimpfte mich vor meinen Kollegen und den Kunden. Ich konnte es nicht fassen, dass er so wütend war, verstand aber auch nicht, warum eigentlich. Schließlich trainierte ich immer noch in seinem Klub wie die letzten fünf, sechs Jahre auch. Ich war einfach ein Junge, dem Karate gefiel und der so viel wie möglich trainieren wollte. Aber er konnte damit nicht umgehen.

Das war eine ziemlich unreife Reaktion von ihm. Ich bin felsenfest überzeugt davon, dass das Training in unterschiedlicher Umgebung gut ist und gefördert werden sollte, aber er konnte das nicht verstehen. Während ich also in einem vollen Laden schweigend und vollkommen verblüfft dastand, brüllte dieser Mann etwas von Illoyalität und sagte, dass ich in seinem Klub nicht mehr willkommen sei. Dieser Vorfall hinterließ bei mir einen derart üblen Nachgeschmack, dass ich kurz darauf Karate ganz aufgab.

*

Mobbing blieb auch in der Sekundarschule Teil meines Alltags. Nach außen hin blieb ich ruhig und unbeeindruckt, aber in Wahrheit machte es mir schwer zu schaffen. Es gab nicht viel körperliche Gewalt; meistens beschränkte es sich auf Anrempeln und Stoßen, auf ein allgemeines Gefühl der dauernden Unsicherheit. Wenn mir jemand auf den Hinterkopf schlug, ging ich einfach weiter. Ich verteidigte mich niemals. Ich nahm den Schlag hin und wartete, dass der Sturm vorüberging. Trotz des ganzen Mobbings in meiner Jugend hatte ich nie ernsthafte Verletzungen davongetragen. Das änderte sich eines Abends im Alter von 18 Jahren. Ich war mit Freunden ausgegangen, wir nahmen ein paar Drinks in einer Bar in Rathmines mit dem Namen »The Station«. Danach wollten wir in »Sarah’s Nightclub« in Rathfarnham gehen. Da es in dem Alter schwierig ist, in einer großen Gruppe in einen Nachtklub zu kommen, teilten wir uns in kleinere Gruppen auf, um nach Rathfarnham zu fahren.

Als ich mit meiner damaligen Freundin Richtung Taxistandplatz von Rathmines lief, kamen wir an einer Gruppe von sieben oder acht Jungs vorbei, die einen Jungen von seinem Moped gezogen hatten und ihm anscheinend grundlos eine Tracht Prügel verpassten. Die Leute, die vorbeigingen, schauten einfach weg und wir taten dasselbe. Doch der Mopedfahrer musste viele Prügel einstecken, und ich dachte: Ich muss etwas tun, ich kann das nicht einfach zulassen. Also ging ich zurück und versuchte, mit den Typen, die ihn schlugen, zu reden: »Lasst ihn los, der hat genug abbekommen.«

Da packten sie mich, hielten mich am Boden fest und verprügelten mich heftig. Ich kann mich heute noch an die Schreie meiner Freundin erinnern, als sie mein Gesicht auf den kalten Asphalt schmetterten. Sie schlugen mich sogar mit einem Ziegelstein und versuchten, mich vor einen vorbeifahrenden Bus zu werfen.

Glücklicherweise konnte ich mich befreien, als mein Freund Kevin McGinley auftauchte, der die Bar kurz nach uns verlassen hatte, und sah, was los war. Er tauchte wie ein Bulldozer in die Meute, um mir zu helfen. Wir schafften es bis zur lokalen Polizeistation. Ich war kaum wiederzuerkennen. Später erfuhr ich, dass mein Jochbein und mein Stirnbein gebrochen waren. Auf der Polizeistation glaubten sie wohl, dass ich irgendein Typ war, der auf Streit aus gewesen war, und warfen mich raus. Also nahmen wir uns ein Taxi und fuhren nach Hause.

Meine Eltern wollten das Wochenende wegfahren. Als meine Mutter am nächsten Morgen kurz in mein Zimmer schaute und sagte: »Wir sehen uns dann am Montag«, verdeckte ich mein Gesicht mit der Bettdecke und murmelte: »Ja, bis dann.« Die Burschen hatten ganze Arbeit geleistet, ich sah aus wie der Elefantenmann, aber ich wollte nicht, dass sie das sah.

Meine körperlichen Wunden heilten nach ein paar Tagen, aber ich brauchte lange Zeit, bis ich psychisch wieder zu mir kam. Vor seiner Freundin verprügelt zu werden, ist schrecklich für einen jungen Mann. Es ist überaus erniedrigend. Es gibt dir das Gefühl, nichts wert zu sein. Da spielt wohl die romantische Vorstellung eine Rolle, dass man die Bösen besiegt und mit dem Mädchen im Arm von dannen zieht.

Als ich sie nach dem Vorfall das erste Mal wiedersah, war es mir erst etwas peinlich. Aber alle reagierten großartig. Ihr Vater umarmte mich und meinte, dass ich das Richtige getan hätte. Ich war vor allem froh, dass meiner Freundin nichts passiert war, das hätte mich völlig fertig gemacht.

Beinahe ein Jahr lang verließ ich danach kaum das Haus. Ich wurde depressiv und hatte ständig Angst. Wann immer ich ausging, blickte ich über die Schulter, ob mich jemand von hinten attackieren wollte. Zu der Zeit, als ich verprügelt wurde, hatte ich mich bereits etwas von Karate entfernt. Immerhin war ich irischer Champion, aber was war das schon wert, wenn ich nicht in der Lage war, mich zu verteidigen? Schließlich kam ich zu der Überzeugung, dass ich lernen musste, mich aus einer derartigen Situation zu befreien, wenn ich jemals wieder hineingeraten sollte.

 

 

 

 

2

Geoff Thompson tauchte gerade zum richtigen Zeitpunkt in meinem Leben auf. Ich stieß erstmals in der Zeitschrift Martial Arts Illustrated (MAI), die ich jeden Monat las, auf ihn. Er war ein englischer Türsteher, der gerade das erste einer Reihe von Büchern über Selbstverteidigung und das Leben als Türsteher in Bars und Nachtklubs veröffentlicht hatte. Er hatte Karate-Kenntnisse, aber da ihm das reine Karate nicht viel genutzt hatte, hatte er ein effektiveres System der Selbstverteidigung entwickelt. Ich konnte gar nicht genug bekommen von dem, was er schrieb, und studierte seine Bücher sorgfältig. Ich nahm sogar an einigen von Geoffs Seminaren teil, meist in Großbritannien. Dann begannen wir zu korrespondieren. Er war der erste Mensch, mit dem ich offen über meine Angst sprach. Eines seiner Prinzipien war: Es ist in Ordnung, wenn man Angst hat. Er sah furchterregend aus, ich hingegen fühlte mich als Schwächling, der einfach zu feige war, den anderen die Stirn zu bieten.

Von Geoff lernte ich wichtige Dinge in Bezug auf Technik und Körpersprache, vor allem sein Konzept des »Zauns« (the fence). Dabei geht es darum, die Handflächen so vor einem nach vorne zu strecken und den Blick geradeaus zu richten, dass man einen potenziellen Angreifer auf Distanz hält. Die Hände auf diese Weise einzusetzen, wirkt weniger aggressiv, als gleich auf jemanden einzuhämmern, aber dem Gegner wird damit dennoch signalisiert, dass man bereit ist, sich zu verteidigen. Laut Geoff ist es dann Zeit zu handeln, wenn der Gegner mehr als einmal in Kontakt mit dem Zaun gekommen ist.

Das Wichtigste allerdings, was Geoff mir beibrachte, war eine Vorstellung davon, was Angst ist und wie man mit ihr umgehen kann. Angst war der Hauptgrund dafür, dass ich mich unfähig fühlte, zu kämpfen. Natürlich ging ich davon aus, dass Männer, die so massig, stark und hart wie mein Vater und Geoff Thompson waren, niemals Angst hatten. Aber Geoff offenbarte mir, dass das falsch war. Auch er hatte Angst, aber er erklärte mir, dass das Gefühl der Angst vor einem Kampf dem Körper ermöglicht, Adrenalin auszuschütten. Dieses Gefühl der Schwäche in meinen Armen und Beinen war also völlig normal. Mein Körper bereitete sich einfach auf den Kampf vor.

Ich organisierte mit einigen Freunden unser eigenes Selbstverteidigungstraining in der Turnhalle meiner alten Schule in Rathfarnham. Wir waren eine kleine Gruppe, die auf einigen dicken Matten trainierte, und ich war der Trainer – ich glaube, das war mein erster Posten als Trainer. Dabei stützte ich mich auf das, was ich von Geoff Thompson gelernt hatte, und würzte es mit einigen Karatetechniken und Fitnessübungen. Es war eine wilde Mischung verschiedenster Bestandteile, aber im Grunde versuchten wir, einen Straßenkampf nachzustellen – wir benutzen dabei den »Zaun« sowie einige grundlegende Grifftechniken und Unterarmwürgegriffe, die ich von Geoff gelernt hatte. Wir waren Anfänger, aber wir genossen das Training und, was am wichtigsten war, wir begriffen allmählich, wie wir uns verteidigen mussten.

Ende 1996, kurz vor meinem 20. Geburtstag, war ich an einem Freitagnachmittag mit Robbie Byrne, einem Freund von mir, im Stadtzentrum unterwegs. Wir beschlossen, in den Laser-Video-Store in der George’s Street zu gehen. Ich liebte diesen Laden, weil er eine große Auswahl an Videos hatte, die man sonst nirgendwo bekam. Beim Stöbern stießen wir auf ein Video, das wie ein völlig durchgeknallter Kampfsportfilm aussah. Eine Gruppe von Männern bekämpfte sich in einem Käfig, wobei alle Mittel erlaubt waren. Das kann doch nicht wahr sein, dachte ich. Aber ich war dennoch fasziniert. Also liehen Robbie und ich uns eine Kopie von Ultimate Fighting Championship: The Beginning und fuhren nach Hause.

Es stellte sich heraus, dass es sich um eine Dokumentation handelte, in der es um die Entstehung des heute dominanten Veranstalters von Wettkämpfen in den gemischten Kampfsportarten – der Organisation UFC (Ultimate Fighting Championship) – ging. Als Robbie und ich das Video entdeckten, gab es – vor allem in Irland – kaum Menschen, die von diesem Sport gehört hatten. Die erste UFC-Veranstaltung fand am 12. November 1993 vor 7000 Zuschauern in Denver, Colorado statt. Heute, nach über 350 Veranstaltungen, ist die UFC eine professionelle Organisation, die keine Kosten scheut, und für die Wettkämpfe selbst gibt es ein striktes Regelwerk. Doch bei der Auftaktveranstaltung gab es einfach einen achteckigen Käfig mit einer schwach beleuchteten Arena. Solange die Kämpfer einander nicht bissen oder in die Augen stachen, konnten sie tun, was sie wollten.

Bei der Veranstaltung traten acht Kämpfer aus verschiedenen Sportarten an, die im Knock-out-System gegeneinander kämpften. Es gab keine Gewichtsklassen, und als ich das Video sah, beeindruckte mich zunächst, dass einer der Kämpfer, ein Brasilianer, um einiges kleiner als die anderen war. Seine Name war Royce Gracie. Er wirkte nicht sonderlich beeindruckend oder muskulös, Robbie und ich dachten, dass er wegen seiner körperlichen Unterlegenheit schnell ausscheiden würde. Bei Kämpfen mit der nackten Faust bedeutete die Reichweite schließlich alles … Das glaubten wir zumindest.

Robbie und ich setzten uns ins Wohnzimmer und verfolgten mit wachsender Bewunderung, wie Royce alle seine Gegner besiegte – Art Jimmerson, Ken Shamrock und Gerard Gordeau – und als Sieger vom Platz ging. Er brachte sie einfach auf den Boden und setzte seine Jiu-Jitsu-Technik ein, um sie mit Würgegriffen zum Aufgeben zu zwingen. Alle drei Kämpfe zusammen dauerten nicht länger als fünf Minuten. Es haute mich völlig um, was Royce getan hatte. Ich konnte es einfach nicht fassen. Dieser kleine Kerl hatte den Mut, in einen Maschendrahtkäfig zu steigen mit diesen monströsen Gegnern, und einige Sekunden später brachte er sie dazu, um Gnade zu bitten.

In dieser Nacht konnte ich kaum schlafen. Die Leistung von Royce Gracie spukte mir durch den Kopf. Da ich als kleiner Junge das Mobbing durch größere und ältere Jungen hatte erleben müssen, beeindruckte mich das schwer. Es mag seltsam erscheinen, aber ich war den Tränen nahe. Aber ich war auch erleichtert, ich hatte das Gefühl, dass mir ein Licht aufging. Royce machte den Eindruck eines stillen, sanften Burschen. Er hatte die Schule des brasilianischen Jiu-Jitsu durchlaufen, einer Sportart mit speziellen Grifftechniken – von der ich noch nie zuvor gehört hatte.

Wenn Royce Gracie das kann, warum nicht auch ich?, dachte ich. Es waren schließlich reale Techniken, die er anwandte, keine Zaubertricks. Es ging allein um die Technik. Physische Stärke und Aggressivität waren nicht die entscheidenden Bestandteile, und das war gut für mich, da ich damals weder über das eine noch über das andere verfügte. Lange Zeit hindurch hatte ich nur gehofft, dass die Kampfsportarten helfen konnten, sich gegen einen stärkeren Gegner zu verteidigen, aber das war das erste Mal, dass ich tatsächlich sehen konnte, dass es funktionierte. Es war möglich. Diese Techniken erlauben es, einen Gegner schnell und effektiv zu besiegen, ohne ihn zu verletzen, was für mich ebenfalls wichtig war.

Als wir am nächsten Tag wieder unser Selbstverteidigungstraining am De La Salle hatten, gab es keine Liegestütze und kein Schlagpolsterboxen, stattdessen rollten wir über den Boden und versuchten, einander zu würgen. Ich hatte keine Ahnung, wie das ging, ich wusste nur, dass ich jemanden finden musste, der mir die Techniken, die ich bei Royce Gracie gesehen hatte, beibringen konnte.

 

1996 gab es in Irland niemanden, der brasilianisches Jiu-Jitsu (BJJ) praktizierte, also musste ich anderswo suchen. Ich fand heraus, dass Geoff Thompson in die USA gereist war und mit Mitgliedern der Gracie-Familie trainiert hatte – eine Dynastie, die in den Anfängen des BJJ Anfang des 20. Jahrhunderts große Bedeutung hatte. Geoff demonstrierte auch im MAI einige Grifffolgen; als ich erstmals über diese Ausgaben gestolpert war, hatte ich nicht erkannt, dass die Methoden, die er zeigte, ihren Ursprung im BJJ hatten. Ich schnitt mir alle seine Artikel aus und heftete sie in einen Ordner. Ich hatte einen Ordner für jede einzelne Griffgruppe – Hebel, Würger, Befreiungen und so weiter. Ich besorgte mir so viel Information wie möglich aus anderen Zeitschriften, Büchern und Videos. Alles kam in meine Ordner, die bald die Grundlage unserer Trainingseinheiten bildeten. Bevor ich die Techniken beim Training zeigte, übte ich sie an meiner Mutter und meinem Bruder. Ich muss wohl nicht eigens betonen, dass ich vieles über das Prinzip »Versuch und Irrtum« lernen musste.

Schließlich zog ich mit meinen Kursen in die Educate Together School in der Loreto Avenue um – dorthin, wo ich in die Grundschule gegangen war. Ich war Anfang 20, die Dinge nahmen langsam Form an und die Kurse wurden immer beliebter. Ich unterrichtete mehrere Male in der Woche eine Mischung aus Kickboxen und Grifftechniken, obwohl ich selbst noch an ihnen arbeitete.

Die Kurse waren erfolgreich, und aus diesem Grund wuchs auch mein Selbstvertrauen, aber mich beschäftigte immer noch die Tatsache, dass ich keinen waschechten Straßenkampf erlebt hatte, seit man mich in Rathmines zusammengeschlagen hatte. Das war natürlich einerseits gut, da ich niemals Ausschau nach einer Schlägerei hielt. Andererseits hatte ich zwar seither viel mehr über das Kämpfen gelernt und fühlte mich definitiv besser gewappnet für eine ähnliche Situation, aber ich konnte mir nicht sicher sein, solange es noch nicht so weit war. Ich hatte das Gefühl, dass ich einer realen Gefahrensituation ausgesetzt sein musste.

Auch hier brachte mich Geoff Thompson auf den richtigen Weg. Wenn ich als Türsteher in Bars und Nachtklubs arbeiten würde, so wie Geoff es getan hatte, würde sich mir sicher eine Gelegenheit bieten, mich meinen Ängsten zu stellen. Ich hatte immer noch das Mobbing und die Schläge im Angesicht meiner Freundin vor Augen, und ich war mir nicht sicher, ob diese Dämonen eines Tages von selbst verschwinden würden. Deswegen hatte ich das Gefühl, dass ich sie besiegen musste. Durch die Arbeit als Türsteher manövrierte ich mich in eine Situation, in der ich mich nicht einfach weigern konnte, mich zu verteidigen.

Ich war gerade bei meinen Eltern ausgezogen und der junge Mann, mit dem ich mir die neue Wohnung teilte, war zufällig ein Türsteher. Das hatte natürlich mit dazu beigetragen, dass ich auf diese Idee kam. Ich war damals fast 21 Jahre alt, sah aber aus wie fünfzehn. Ich war klein, dünn und hatte ein unschuldiges Kindergesicht. Nicht gerade die Merkmale eines respekteinflößenden Türstehers, oder? Ich hatte immer jünger ausgesehen, als ich war, aber gerade in dieser Phase war der Unterschied besonders groß. Doch da mein Wohnungsgenosse wusste, dass ich Kampfsportarten trainierte und Selbstverteidigungskurse gab, konnte er mir Arbeit verschaffen.

Da war ich nun, ein junger Mann, der niemals zuvor in einen richtigen Straßenkampf verwickelt gewesen war und nun versuchen sollte, Ruhe und Ordnung an den Türen einiger der beliebtesten Bars und Nachtklubs von Dublin aufrechtzuerhalten. Ich arbeitete in mehreren Betrieben, am häufigsten aber in einem großen Pub in Temple Bar, dem »Turk’s Head«, und in einem Nachtklub nah der O’Connell Bridge mit dem Namen »Redz«. Von Beginn an wurde ich attackiert, Nacht für Nacht. Ich stand nicht mehr nur an der Tür, um nach dem Schuldirektor Ausschau zu halten wie während einer heißen Runde Royal Rumble. Hier ging es ums Eingemachte.

Die Gäste, denen ich den Zutritt verweigerte, nahmen es niemals ohne Widerworte hin, dafür sah ich einfach zu jung und zu harmlos aus. Aber für mich war es an der Zeit, mich meinen Dämonen zu stellen. Das waren genau solche Typen, vor denen ich in der Schule Angst gehabt hatte, die mich in Rathmines zerlegt hatten. Hier standen mir die streitsüchtigen, zornigen und betrunkenen Burschen also nun von Angesicht zu Angesicht gegenüber und brüllten mich an. Das war meine Chance, mein Fluchtsyndrom zu überwinden. Die Bücher von Geoff Thompson, die ich gelesen hatte, bereiteten mich wirklich sehr gut auf die Schlacht vor. Natürlich hatte ich Angst, machte mir Sorgen, aber ich lernte, das als natürlich hinzunehmen.

Als ich dann tatsächlich in die ersten Kämpfe verwickelt wurde, war ich verwundert, wie einfach es war, einen anderen Menschen physisch zu besiegen. Ich musste an den Lieblingshelden meiner Jugend, Spider-Man, denken. Bevor er gebissen wurde, war er ein völliger Versager, und plötzlich war er seinen Feinden überlegen. Genauso fühlte ich mich, als ich begann, als Türsteher zu arbeiten.

Die psychologischen Aspekte des Jobs fand ich anfänglich schwierig, die körperliche Seite hingegen war klar. Ich war nüchtern, und obwohl es mir an Erfahrung fehlte, wusste ich, wie ich kämpfen musste. Die Kunden waren betrunken und konnten meistens nicht kämpfen. Wenn sie also auf mich einschlugen, war es ziemlich einfach, sie zu besiegen.

Die verbalen Auseinandersetzungen, das heißt, wenn mir jemand ins Gesicht brüllte, waren anfänglich schwieriger zu bewältigen, aber sobald es zur Sache ging, hatte ich niemals Probleme. Das führte dazu, dass ich Selbstvertrauen auch für andere Konflikte in meinem Alltag bekam – beispielsweise im Umgang mit einem Vermieter, der die Grenze des Tolerierbaren überschritt. Das wäre mir zuvor schwer gefallen. Aber wenn man Vertrauen in seine Körperkraft hat, dann bekommt man überhaupt mehr Selbstvertrauen. Man weiß, dass man die Oberhand behalten wird, wenn die Situation eskaliert und sich zu einem Kampf entwickelt. Das war also meine Art, mit dem Mobbing und der Demütigung des Verprügeltwerdens fertig zu werden. Ich suchte die Konfrontation mit dem Typ Mensch, der mich unterdrückt hatte, anstatt alles zu verdrängen. Wenn sie in meinen Schutzbereich eindringen, meinen »Zaun« überwinden wollten, dann stellte ich sicher, dass sie es nie wieder versuchen würden.

Ich könnte ein ganzes Buch mit meinen Erinnerungen aus den Jahren als Türsteher füllen. Eines Nachts arbeitete ich in der Bar »Turk’s Head«, die sich im Kellergeschoss befand, während ein Freund von mir oben am Haupteingang postiert war. Er verweigerte einem Kunden den Zutritt, dieser aber hatte ein Glas in der Hand und schmetterte das Glas in das Gesicht meines Freundes. Er fügte ihm erhebliche Schnittwunden zu, dann suchte er das Weite. Das Erste, was ich über das Funkgerät hörte, war: Zum Haupteingang! Sofort zum Haupteingang!

Ich lief hinauf und man wies mir die Richtung, in die der Bursche gelaufen war, damit ich ihn verfolgen konnte. Ich erwischte ihn schließlich vor dem Pub »Bad Bob’s«, aber als ich zu ihm aufschloss und er sich umdrehte, sah ich plötzlich, wie massig er war. Scheiße! Dieser Typ war ein Monster. Einen Moment dachte ich: Verdammt. Was habe ich getan? Aber zu diesem Zeitpunkt gab es kein Zurück mehr.

Letztlich konnte ich dem Herrn auf meine eigene Art und Weise vermitteln, dass es im »Turk’s Head« nicht toleriert wurde, jemandem ein Glas ins Gesicht zu rammen, und ich bin ziemlich sicher, dass er die Botschaft verstanden hat.

Der Türsteher des »Bad Bob’s« war ein Bekannter von mir, und mitten im Kampf kam er rüber und meinte: »Na John, wie geht es dir?«

»Äh gut, danke«, antwortete ich, »aber leider bin ich momentan beschäftigt.«

Ich kämpfte mit einem Burschen, der doppelt so groß war wie ich, und dieser Mann kam rüber, um mir freundlich Hallo zu sagen. Wer kann da noch behaupten, dass Türsteher keine angenehmen und freundlichen Menschen sind?

Als die Polizei eintraf, stellte sich heraus, dass der monströse Mann für sie ein guter Bekannter war – aber nicht, weil er die Hilfe der Polizei in Anspruch genommen hatte. An dieser Stelle ist es genug, wenn ich sage, dass sein Verhalten allgemein nicht gerade dem eines Friedensengels entsprach und dass sein Chef am nächsten Morgen sicher ein ernstes Wort mit ihm sprechen musste.

 

In meinen Nächten arbeitete ich damals also als Rausschmeißer, aber untertags studierte ich am Dublin Institute of Technology (DIT). Ich hatte alle möglichen Ideen, was ich in meinem Leben mit mir anfangen wollte, war aber noch zu keiner klaren Entscheidung gekommen. Erst versuchte ich es mit einem kleinen Landschaftsbaubetrieb, baute Zäune auf und Ähnliches. Etwa sechs Monate nach meinem Schulabschluss schlug mir meine Mutter vor, Maschinenbau zu studieren. Eigentlich weiß ich nicht, wieso, denn ich hatte keine besondere Vorliebe für Mathematik oder Naturwissenschaften. Aber irgendwie hörte es sich interessant an. Schließlich gefiel es mir sogar richtig und ich schloss das Studium mit gutem Erfolg ab.

Ich verbrachte fünf Jahre am DIT in der Bolton Street bis zu meinem Abschluss. Ich studierte am Tag eifrig, trainierte am Abend und arbeitete in der Nacht als Türsteher. Es war eine anstrengende Zeit, aber ich war besessen vom Training, musste Geld verdienen, und meine Mutter bestand darauf, dass ich meinen Abschluss machte. Ich allerdings war mir mit jedem Tag sicherer, dass mich nichts mehr begeistern konnte als die gemischten Kampfsportarten. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich mein Studium aufgegeben und mich vollständig dem Training gewidmet. Aber die Wünsche meiner Mutter zu missachten war einfach unmöglich!

Mit der Zeit sprach es sich in der Stadt herum, dass es einen jungen Mann in Rathfarnham gab, der sich mit Ultimate Fighting beschäftigte – mich. So traf ich Dave Roche, der bis heute einer meiner engsten Freunde ist. Dave war damals ein bekannter Straßenkämpfer. Er trainierte in einem Boxklub, in dem ohne Boxhandschuhe geboxt wurde, und galt als unbesiegbar. Dave besuchte unser Training in der Loreto Avenue und stellte sich zum Kampf. Ich lernte immer mehr Grifftechniken und war Abend für Abend als Türsteher in Raufereien verwickelt, mein Selbstvertrauen als Kämpfer war daher gewaltig gestiegen.

Dave und ich hatten ein hartes Gefecht, aber schließlich schaffte ich es, es Royce Gracie gleichzutun und ihn mit einem Armhebel zur Aufgabe zu zwingen. Dave ging es wie mir, nachdem ich das Video gesehen hatte, er war völlig überrascht. Dieser Kampf war der Beginn einer langen Freundschaft – wir mussten einfach anfangs ein paar Dinge ausboxen. Vor 15 Jahren hatte ich im selben Saal in einer Schulaufführung mitgespielt; nun stand ich hier einem Kämpfer gegenüber, der mit der nackten Faust kämpfte. Im Rückblick ist das alles ein wenig verrückt.

Das erste Mal, dass ich mit einem echten Trainer des brasilianischen Jiu-Jitsu in Kontakt kam, war 1999 in London. Es handelte sich um John Machado. Machado war ein Cousin der Gracies und eine der respektabelsten Erscheinungen im BJJ. Die Gelegenheit, mit ihm zu trainieren, war ein großer Gewinn für mich, denn bisher hatte ich mir alles mehr oder weniger selbst beigebracht. Er hatte einen hochgradigen schwarzen Gürtel, aber auch einen brasilianischen Akzent, das ließ ihn noch authentischer wirken. Robbie Byrne und ich reisten zu seinem Seminar und waren begeistert. Bei manchen der Techniken, die Machado demonstrierte, dachte ich: Das ist unmöglich, das werde ich nie schaffen. Aber wenn er uns dann zeigte, wie die Technik funktionierte, war es, als ob man uns verzaubert hätte. Mein Körper brachte Dinge zustande, die ich nie für möglich gehalten hätte.

Auf dem Heimweg wurde mir bewusst, dass ich wieder mit John Machado trainieren musste, wenn ich Fortschritte in Jiu-Jitsu machen wollte. Also sparte ich über ein Jahr lang mein Geld von den Selbstverteidigungskursen und dem Job als Türsteher. Im Sommer 2001, als frisch gebackener Absolvent des DIT, flogen Dave Roche und ich dann nach Los Angeles und trainierten drei Wochen lang in Machados Akademie. Es war eine wunderbare Erfahrung. Tag für Tag übten wir mit den besten Jiu-Jitsu-Sportlern und lernten von ihnen, darunter auch Mitglieder des Gracie-Clans. Am Ende wollten wir gar nicht wieder fort. Die Kampfkünste nahmen mich nun völlig in Beschlag. Wenn ich nicht MMA praktizierte, dann dachte ich daran. Als ich aus Los Angeles zurückkehrte, wusste ich, was ich tun wollte. Es war Zeit, eine eigene Sporthalle zu eröffnen.