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Inhalt

Nationalismus & Identität

Typische Eigenschaften

Einstellungen & Werte

Fixe Ideen

Verhalten

Sinn für Humor

Freizeit & Vergnügen

Bräuche & Traditionen

Aussehen, Gesundheit & Hygiene

Kultur

Essen & Trinken

Regierung & Bürokratie

Systeme

Gesetz, Verbrechen & Bestrafung

Geschäftsleben

Sprache & Ideen

Die Autorin

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In den USA leben 323 Millionen Menschen, verglichen mit 34 Millionen in Kanada, 63 Millionen in Großbritannien, 123 Millionen in Mexiko, 127 Millionen in Japan, 144 Millionen in Russland und 1,4 Milliarden Chinesen.

Nationalismus & Identität

Eine kleine Warnung vorab

Amerikaner sind wie Jugendliche: laut, neugierig, unfähig ein Geheimnis zu wahren, nicht eben feinfühlig und mit einem Hang zu peinlichem Benehmen in der Öffentlichkeit. Wenn man ihre grundsätzlich pubertäre Art aber erst einmal akzeptiert hat, versteht man auch den Rest ihrer Kultur. Was auf den ersten Blick unbesonnen und albern erscheint, entpuppt sich als charmant und lebhaft.

Es kann passieren, dass Besucher sich von der geradezu überschwänglichen Freundlichkeit der Amerikaner überwältigt fühlen, vor allem in der Landesmitte und im Süden. Sitzen Sie im Flugzeug neben einem Amerikaner, wird er Sie gleich duzen und fragen: „Und, wie findest du es in den Staaten?“ Er wird Ihnen jedes intime Detail seiner letzten Scheidung nahebringen, Sie zu einem Essen nach Hause einladen, anbieten, Ihnen Geld zu leihen, und sich schließlich mit einer herzlichen Umarmung von Ihnen verabschieden.

Dies bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass er sich am nächsten Tag an Ihren Namen erinnert. Amerikaner sind freundlich, weil sie gar nicht anders können. Sie pflegen mit Vorliebe einen gutnachbarlichen Umgang. Sie wollen, dass man sie mag. Ein kluger Reisender weiß, dass ein paar schöne gemeinsame Momente mit einem Amerikaner mitnichten als Beginn einer wunderbaren Freundschaft zu werten sind. Amerikaner fürchten dauerhafte Bindungen nämlich mehr als alles andere. Dies ist eine Nation, deren wichtigste Form der sozialen Beziehung die unverbindliche Bekanntschaft ist.

Wie sie sich selbst sehen

Wie es sich gehört für ein Land, in dem sich einst Abenteurer, religiöse Fanatiker und Außenseiter niederließen (eine demographische Mischung, die sich in den letzten 400 Jahren kaum geändert hat), sind die Vereinigten Staaten von Amerika eine Nation mit bleibendem Hang zur Bindungslosigkeit. Amerikaner sind stolz darauf, aus Amerika zu sein. Es ist das beste Land der Welt. Dennoch behauptet jeder Einzelne von sich, nicht wie andere Amerikaner zu sein. Man ist anders.

Amerikaner sind stolz darauf, anders als andere Amerikaner zu sein und sich gleichzeitig vom Rest der Welt abzuheben. In einem Einwanderungsland wie Amerika kann ein Amerikaner so ziemlich jeden ethnischen Hintergrund haben. Den normalen, typischen Amerikaner gibt es schon mal gar nicht. Nahezu jeder US-Bürger ist ein „Bindestrich-Amerikaner“: Irisch-Amerikanisch, Kroatisch-Amerikanisch, Mexikanisch-Amerikanisch, Japanisch-Amerikanisch etc. Aus dem einstigen Schmelztiegel haben sich Millionen und Abermillionen ethnischer Splittergruppen herauskristallisiert. Ein typischer Amerikaner stellt sich namentlich daher vielleicht als Patrick Ng, Octavio Rosenberg oder Ilse-Marie Nugumbwele vor.

Ein Amerikaner behauptet von sich „ich bin Pole“ oder „ich bin Italiener“, weil seine Urgroßeltern in Polen oder Italien geboren wurden. Es macht dabei nichts, dass er keine Sprache außer dem Englischen beherrscht. Es ist auch egal, dass er noch nie weiter östlich als New York City oder weiter westlich als Chicago gekommen ist. Er weiß trotzdem, wie man Kolatschen macht (wenn er Pole ist) oder Cannelloni (wenn er Italiener ist), und das ist es, worauf es ankommt. Der vielleicht einzig wahrnehmbare Unterschied zwischen Amerikanern und Menschen aus anderen Ländern besteht darin, dass Amerikaner als Jugendliche viel mehr Zeit beim Zahnarzt verbringen und somit spektakulär gerade Zähne vorzeigen können.

Wie sie über andere denken

Lediglich 40 Prozent aller Amerikaner besitzen einen Reisepass (verglichen mit 75 Prozent der Kanadier und 80 Prozent der Briten). Sie brauchen auch keinen, denn sie können wochenlang reisen, ohne dabei je den Heimatboden verlassen zu müssen.

Man kann 4800 Kilometer von jemandem entfernt wohnen und der andere ist immer noch Amerikaner, und dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass der amerikanische Durchschnittsbürger oftmals eine äußerst provinzielle Sichtweise hat. Da außerdem nur wenige Amerikaner in andere Länder reisen (Kanada zählt nicht und Mexiko wird nicht als Ausland betrachtet), glauben sie, Menschen seien auf der ganzen Welt genau wie sie, wenn man mal davon absieht, dass sie eine andere Sprache sprechen oder dass sie keine anständigen Duschen haben. Einige Amerikaner glauben sogar, dass die Menschen in anderen Ländern eigentlich Englisch sprechen können, aber dies aus Sturheit oder sonstigen Vorbehalten einfach nicht tun. Die Amerikaner glauben auch, es gäbe kaum Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern Europas. Amerikaner, die mit einer Reisegruppe unterwegs sind, sausen in sieben Tagen munter durch fünf Länder. Sie kehren dann mit der vagen Idee heim, dass der Eiffelturm in der Nähe des Turms von Pisa stünde, was verglichen mit amerikanischen Verhältnissen ja auch durchaus stimmt. Die Entfernung zwischen London und Istanbul ist geringer als die zwischen Pittsburgh und Phoenix, es sind sogar nur zwei Drittel der Strecke von Maine nach Miami.

Der Irrglaube, dass Europäer abgesehen von ihrer Sprache, ihrem Essen und ihrer Kleidung genau wie Amerikaner sind, ist ganz einfach darauf zurückzuführen, dass im Grunde alle Amerikaner von Einwanderern abstammen – einschließlich derjenigen, die vor Tausenden von Jahren die Beringstraße überquerten. Demnach sind die Menschen aus allen anderen Ländern gar keine Fremden, sondern im Grunde nur potentielle Amerikaner oder vielmehr „Bindestrich-Amerikaner“.

Einwanderer

Schon immer begegneten die inzwischen alteingesessenen Einwanderer jeder neuen Zuwandererwelle mit Ablehnung. Mit Argwohn beäugten die Holländer in Nieuw Amsterdam (dem heutigen New York) die englischen Neuzugänge; die Engländer misstrauten den Deutschen, die keine Iren einstellen wollten, welche wiederum Russen und Polen diskriminierten usw. Heute ist die Zahl derjenigen, die von der US-Regierung ins Land gelassen werden, auf 675.000 pro Jahr begrenzt. Zwei Drittel der legalen Einwanderungen entfallen dabei auf Familienzusammenführungen, der Rest wird bei der Diversity Visa Lottery (dem Einwanderervielfalt-Visum-Programm oder auch Green-Card-Lotterie) nach dem Zufallsprinzip verteilt.

Außerdem überqueren alljährlich Hunderttausende von Mexikanern die (streng bewachte und umzäunte) Landesgrenze der USA. Im Westen und Südwesten von Amerika hat sich Spanisch zur inoffiziellen Zweitsprache gemausert, Hinweisschilder und amtliche Dokumente informieren wie selbstverständlich auch in spanischer Sprache. Wird z. B. bei Bürogebäuden eine Entsorgung des Mülls gewünscht, schreibt man den spanischen Begriff BASURA statt des englischen Begriffs TRASH auf die entsprechenden Behälter. Durch die schiere Masse an Menschen schafft Mexiko, was bislang kein anderes Land jemals ernsthaft versucht hat: die Eroberung der Vereinigten Staaten von Amerika.

Besondere Freunde

Die Amerikaner verbindet eine besondere Freundschaft mit den Kanadiern, mit denen sie sich die längste, unbewachte Grenze der Welt teilen. Viele Amerikaner sind sich nicht richtig im Klaren darüber, dass Kanada ein separater, eigenständiger Staat ist. Kanadier sehen doch schließlich aus wie Amerikaner und reden auch wie Amerikaner. Reiseveranstalter führen Kanada in ihren Katalogen als Inlandsdestination und die Toronto Blue Jays haben schließlich schon die World-Series-Baseballmeisterschaft gewonnen (wenn auch nur einmal). Ein Baseballteam, das diese Meisterschaft gewinnt, muss einfach aus den Vereinigten Staaten stammen, egal wie ihre Fans das sehen.

Amerikaner sind sentimental, wenn es um die Briten geht. Sie importieren viel von ihrer Literatur und Popmusik sowie auch so manches bessere TV-Programm aus Großbritannien. Und dann gibt es auch das Faszinosum Königliche Familie. Da es in den USA kein Pendant gibt, reißen die Amerikaner sich begierig um jedes Krümelchen an neustem Klatsch und Tratsch über die britischen Blaublüter. Anstelle eines Königshauses haben die Amerikaner jedoch ihre Hollywoodschauspieler, Präsidenten und Sportidole. Jeder Footballtrainer, der beim Super Bowl einen Sieg davonträgt, ist König – wenn auch nur bis zum nächsten Wettkampf im Jahr darauf.

Man sagt, die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich seien „zwei Staaten, getrennt durch eine gemeinsame Sprache“, was zuweilen einige schräge Missverständnisse verursacht. So bezeichnet man in den USA mit pants ein Paar Hosen, während knickers spezielle Hosen für das Golfspiel sind. In Großbritannien nennt man Hosen trousers und mit knickers sind wiederum Unterhosen gemeint. Trotz oder wegen dieser Missverständnisse gibt es zwischen beiden Nationen sehr viele Mischehen, die dafür Sorge tragen, dass sich die beiden Länder näher sind als je zuvor. Nichtsdestotrotz beäugen viele Amerikaner Fremde und vor allem fremde Währungen mit Misstrauen. Ron Paul, ein republikanischer Kongressabgeordneter aus Texas, ließ sogar seinen eigenen „Ron-Paul-Dollar“ prägen. Zwar war er kein legales Zahlungsmittel und gemäß der amerikanischen Gesetzgebung wurden die meisten Münzen konfisziert, aber das verhinderte nicht, dass so mancher Amerikaner versuchte, damit zu zahlen.

Typische Eigenschaften

Unternehmergeist und Heldengeschichten

Wie jede andere Nation weiß Amerika, dass es das beste Land der Welt ist. Der Unterschied ist, dass Amerikaner auch Beweise dafür haben. Menschen aus aller Welt bringen gewaltige Opfer, um in die Vereinigten Staaten von Amerika zu gelangen, und sie riskieren oftmals ihr Leben dafür. Was für einen Beweis braucht man noch?

Die kollektive Energie, der Wagemut und die Tatkraft dieser Risikoträger durchdringen nahezu jeden Aspekt des amerikanischen Lebens. Die amerikanischen Heldenfiguren haben eine Tendenz, Gesetzlose zu sein, wie der Revolverheld Jesse James aus dem Wilden Westen, oder es sind Unternehmer wie Sam Walton, der Gründer der Supermarktkette Wal-Mart, oder Steve Jobs. Für wahre Monster hält man hingegen totalitäre Herrscher jeden Schlages, seien es Kommunisten, Vorsitzende von großen Firmen, Gesetzeshüter oder Politiker. Jeder amerikanische Arbeiter träumt davon, eines Tages seine eigene Firma zu gründen. Das ist die Mentalität des can do („machen!“) oder go for it („Nichts wie ran“), die so viele Selfmade-Millionäre hervorgebracht und die amerikanische Nation zu dem gemacht hat, was sie ist.

Wahre Gewinner

Die Nummer Eins zu sein, ist für Amerikaner sehr wichtig. In den Vereinigten Staaten kommt es nicht darauf an, wie man spielt. Es kommt nicht einmal wirklich darauf an, ob man gewinnt oder verliert. Das Entscheidende ist, ob man dabei aussieht, als würde man gewinnen oder verlieren – genauer gesagt: gewinnen. Gewinnen ist ein zentrales Thema in der Psyche der Amerikaner. Mit den Worten des amerikanischen Footballtrainers Vince Lombardi: „Gewinnen ist nicht alles. Es ist das Einzige.“

Nahezu jedes Ereignis im Leben der Amerikaner, von Schulabschluss über die Heirat bis hin zum Kauf eines Autos, ist so konzipiert, dass es am Ende einen Gewinner gibt oder zumindest einen, der besser dasteht als die restlichen Teilnehmer. Und vor allem glauben die Amerikaner, sie seien die einzige Nation, die zum Gewinnen auch tatsächlich in der Lage sei. Sie werden schließlich immer gerufen, wenn es darum geht, einer anderen Nation in letzter Minute aus der Patsche zu helfen. Gott bei einer Auseinandersetzung auf seiner Seite zu haben, ist gut. Die Vereinigten Staaten auf seiner Seite zu haben, ist besser. Für einen Amerikaner gibt es da sowieso keinen Unterschied.

Der Humorist Will Rogers wird mit dem Ausspruch zitiert, dass Amerika „nie einen Krieg verloren hat, aber auch noch nie als Gewinner aus einer Konferenz hervorgegangen ist“ und dass die Amerikaner „jede Nation der Welt im Handumdrehen besiegen“ könnten, aber nicht in der Lage seien, „von Verhandlungen mit Costa Rica zurückzukehren und dabei wenigstens noch ihr Hemd anzuhaben“. Der Autor Len Deighton nennt die Amerikaner dagegen voller Bewunderung „das WD40 der Welt“ (ein Sprühöl, das in keinem gut sortierten Werkzeugkasten fehlen sollte).

Der Wohlfühl-Faktor