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Die Isländer sind Europäer, doch nur bis zu einem gewissen Punkt – und dieser Punkt liegt rund zweihundert Seemeilen vor der Küste. Sie sind Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums und denken manchmal darüber nach, der Europäischen Union beizutreten, da sie das Gefühl haben, einen wertvollen Beitrag leisten zu können. Die globale Finanzkrise ließ die Idee, zur Eurozone zu gehören, sogar noch attraktiver erscheinen und sie verhandelten zwischenzeitlich über eine Mitgliedschaft. Aber es gibt Probleme. Es ist schwierig für Isländer zu akzeptieren, dass sie nicht dasselbe Stimmrecht hätten als, sagen wir mal, die Franzosen oder die Deutschen. Weist man darauf hin, dass sie im Vergleich zu diesen Ländern nur wenige Einwohner haben, verstehen sie dies einfach nicht. Ein Land, eine Stimme, oder etwa nicht?
Allerdings, der größte Zweifel hinsichtlich eines Beitritt zur EU betrifft den Fisch. Kabeljau bildet die Grundlage der isländischen Wirtschaft und die Isländer werden sehr nervös, wenn ausländische Trawler ihre Lebensgrundlage gefährden. Ein Grund, warum sie die Briten lieben, ist die Tatsache, dass diese den letzten Kabeljau-Krieg verloren haben. Es war ein freundschaftlicher Krieg und die Isländer lieben Verlierer, jedenfalls solange sie gegen Island verlieren.
Obwohl die Fischerei eine ernsthafte Angelegenheit ist, fügen die Isländer ihr einen Hauch von Surrealismus hinzu. Das Massensterben von Heringen im Kolgrafafjörður in Westisland ließ die Theorie aufkommen, dass zu viele Fische dem Wasser Sauerstoff entzögen. Die Isländer versuchten die Fische aus dem Fjord wegzujagen, indem sie laut Rolling-Stones-Lieder unter Wasser abspielten. Die Fische blieben trotzdem.
Die Isländer sind sich im Klaren darüber, dass sie eine kleine Nation mit begrenzter Bedeutung in der Welt sind. Dies macht sie zu einem eng untereinander verbundenen Volk mit einem ausgeprägten Gemeinschaftssinn. Sie sind enorm stolz darauf, dass ihr Land einmalig ist (nirgendwo sonst gibt es Lavawüsten, aktive Vulkane und Eiskappen). Wie ein Besucher kommentierte: „Was man hier zu sehen bekommt, stimuliert die Sinne fast bis zur Überwältigung.“ Es erscheint den Bewohnern absolut richtig, dass Jules Verne seine Reisenden zum Mittelpunkt der Erde durch einen isländischen Vulkan schickte.
Im Winter 1002/1003 wurde Snorri Þorfinnson in Vinland (heutzutage nimmt man an, dass es sich bei Vinland um Neufundland oder Neuschottland handelt) als Kind isländischer Eltern geboren, der erste nicht-indianische Amerikaner. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Isländer Klage einreichen, um Nordamerika für Snorris noch lebende Nachkommen einzufordern.
Isländer haben eine sehr hohe Meinung von sich selbst. Sie sind die Söhne der Wikinger, des größten aller historischen Völker, berühmt für ihre Stärke, Tapferkeit, ihr gutes Aussehen und ihre männlichen Werte. Die Tatsache, dass dieselben Vorfahren auch für Plünderungen berühmt sind, wird diskret übergangen. Auch macht man wenig Aufhebens um Ingólfur, den ersten Wikinger, der auf Island landete. Als Zeichen des Respekts benannten sie die Stelle, an der er landete, Ingólfshöfði, aber sie schreiben es so winzig in ihre Karten, dass man kaum bemerkt, dass es nur ein kleiner Steinhaufen ein paar Kilometer vor der Küste ist.
Als Beweis ihrer natürlichen Überlegenheit verweisen die Isländer darauf, dass Island der Nabel der Welt ist. Wer die Richtigkeit dieser Behauptung anzweifelt, braucht nur einen Blick in die Wikinger-Sagas, die größte aller literarischen Errungenschaften, zu werfen, in denen diese Ansicht unzählbar oft im Verlauf langer, sich ins Uferlose verlierender Erzählungen über Mord und Rache ihren Ausdruck findet.
Sie betonen, dass sie bei vielen Dingen das Größte und Beste haben: Sie haben den Vatnajökull, den größten Gletscher in Europa, der eine Fläche hat, die fast so groß ist wie Zypern, was Frankreichs Mer de Glace an der Mont-Blanc-Gruppe im Vergleich dazu wie einen Eiswürfel aussehen lässt. Ihre Wasserfälle sind höher, gewaltiger und großartiger als alle anderen in Europa. Auch wenn Strokkur, ihr einziger noch aktiver Geysir, kleiner ist als der im amerikanischen Yellowstone-Nationalpark, schaffen sie es, daran zu erinnern, dass man ihn unter dem isländischen Begriff Geysir finden kann, mit dem heutzutage alle solch natürlichen Springquellenphänomene bezeichnet werden. Sie haben auch den westlichsten Punkt in Europa – eine Tatsache, die garantiert die Iren ärgert, die in Dingle zahlreiche Schilder aufgestellt haben, die dasselbe behaupten. Sogar die isländischen Pferde müssen herhalten, denn sie haben fünf Gangarten statt vier wie die Pferde im Rest der Welt.
Isländer halten sich selbst für kultiviert und gebildet, mit einem beneidenswerten literarischen Erbe und einem unabhängigen Geist. Diese Aspekte werden in allen Ansprachen ihrer Präsidenten erwähnt. Diese gelten als die Verkörperung der Nation und ihre Kommentare werden für bare Münze genommen. Zitaten wird ein freundliches „Wie der Präsident sagt …“ vorangestellt. Tatsächlich wird dieser Ausdruck so oft benutzt, dass er eine leere Phrase geworden ist.
Die Nation erlitt einen Schock, als eine Studie zu Blutgruppen darauf schließen ließ, dass sie eher gälischer als wikingischer Abstammung sei: Dieselben Wurzeln wie die Amerikaner zu haben (die im Prinzip irischer Abstammung sind und daher eigentlich nicht akzeptabel) und sogar Charakterzüge mit den Engländern zu teilen (die zwar recht liebenswürdig, aber arrogant sind), war fast mehr, als man ertragen konnte. Was bekannt war (aber verschwiegen wurde), ist, dass bereits irische Mönche in Island waren, als die Wikinger ankamen. Einige Historiker behaupteten, dass es tatsächlich eine irische Niederlassung gab und dass die Wikinger entweder alle Siedler ermordet oder – noch viel schlimmer – sich mit ihnen vereinigt hätten. Heutzutage geht man davon aus, dass die wenigen Mönche, die zuerst hierhergekommen waren, voller Abscheu, dass sie ihren Zufluchtsort mit Heiden teilen sollten, das Land verließen. Und dass die Ergebnisse der Bluttests mit natürlichen Gründen abgetan werden oder, noch besser, mit der Behauptung ausgeräumt werden können, dass die Wikinger unterwegs auf den Shetland- und Orkney-Inseln ein paar gälische Frauen kidnappten. Damit war die Gesundheit der nationalen Psyche wiederhergestellt.
Man könnte annehmen, dass die Isländer, da sie ein gemeinsames Erbe mit den skandinavischen Ländern teilen, diese als Brüder betrachten. Nicht wirklich. Ihre isolierte Lage führte dazu, dass sie noch immer die Sprache der Wikinger sprechen, während der Rest der Skandinavier eine minderwertige Sprache zusammengesetzt aus Niederdeutsch und einem Mischmasch anderer Fragmente spricht.
Über die Norweger lacht man wegen ihrer Begeisterung für Freizeitaktivitäten im Freien, was man als Beweis dafür sieht, dass die Norweger, wie die Isländer schon immer vermuteten, begriffsstutzig und langweilig sind. Spricht man die Isländer auf Gemälde von Edvard Munch, die Musik von Edvard Grieg oder die Bücher von Knut Hamsun an, dann bekommt man zu hören, dass diese Norweger höchstwahrscheinlich von isländischen Wikingern abstammen, die für ein Wochenende nach Hause fahren wollten und durch eine lästige Flut oder den Wind hängengeblieben sind. Die Ölfunde in der Nordsee und die Tatsache, dass diese die Norweger sehr reich gemacht haben, hat die Sichtweise etwas verändert. Jetzt hält man die Norweger für begriffsstutzig, langweilig und findet, dass sie unverschämtes Glück gehabt haben.
Die Schweden gelten als egozentrisch und sexbesessen und sie geben sich nur allzu gern der Vergnügungssucht hin – Schwächen, die den eigenen zu ähnlich sind, als dass man ihnen diese nicht verübeln würde.
Man hält auch nichts von Norwegern und Schweden, weil sie zu den arktischen Ländern gehören. Wegen seines Namens und der wilden Landschaft würde man erwarten, dass Island über dem nördlichen Polarkreis liegt, doch das schafft nur die Insel Grimsey vor der Küste im Norden und dann auch nur ein paar Meter weit. Konsequenterweise machen sich die Isländer über den Polarkreis lustig und sagen, dass nur ein Mann in Island sich die Mühe machen würde, ihn zu überschreiten. Er ist der Pfarrer von Grimsey und er tut es auch nur, weil der Polarkreis mitten durch sein Bett verläuft.
Die Engländer werden als amüsante und liebenswürdige Exzentriker angesehen, dazu bestimmt, an zweiter Stelle zu kommen. Die Isländer finden diesen letzten Charakterzug wirklich komisch und merkwürdig beruhigend. Fast die gesamte Bevölkerung spricht Englisch dank der früheren Anwesenheit eines amerikanischen Luftwaffenstützpunktes in Island, was dazu führte, dass das Land mit amerikanischen Fernsehprogrammen überflutet wurde. Lokale Fernsehsender haben die amerikanischen Direktübertragungen ersetzt, aber da sie hauptsächlich amerikanische Programme ausstrahlen, ist es schwierig, einen Unterschied festzustellen.
Während der Emporkömmling Christoph Kolumbus den Ruhm dafür geerntet hat, die Neue Welt entdeckt zu haben, ergötzen sich die Isländer an ihrem Wissen, dass es einer der ihren war, Leifur Eiríksson, der dies bereits einige Jahrhunderte zuvor geschafft hatte. Einige wünschen sich, er hätte es nicht getan. Wie Winston Churchill angeblich bemerkte: „Die Isländer waren so vernünftig zu vergessen, dass sie Amerika entdeckt hatten.“ Isländer lieben amerikanische Dollars, störten sich aber an den Soldaten, die diese ausgaben. Um sich zu revanchieren, verbannten sie die Amerikaner in eine unwirtliche, einsame Gegend der Insel, unter dem Vorwand, dass sich Islands einziger internationaler Flughafen (Keflavík) dort befindet. Bemerkenswerterweise behaupten sie nun, dass Keflavík so weit in der Pampa liegt, weil die Amerikaner dort stationiert waren.
Die Isländer haben eine spezielle Beziehung zu den Dänen, doch dies hat nichts mit ihrem gemeinsamen Wikingererbe zu tun. Bis ins 20. Jahrhundert herrschte Dänemark über Island, weshalb die Isländer finden, dass die Dänen ihr Land ausgebeutet und es arm und ungebildet, primitiv und isoliert gehalten haben. Bei der älteren Generation hört man manchmal die Redensart: „Dänen machen gute Gesetze für Dänen“ – womit sie eigentlich sagen wollen, dass die Dänen zu Hause bei ihren LEGO-Steinen bleiben sollen (obwohl Ausnahmen für Dänen gemacht werden, die internationale Berühmtheiten sind. Ihnen gegenüber können ältere Isländer sehr wohl besitzergreifende Gefühle haben).
Jüngere Isländer neigen zu einer etwas anderen Sicht der Geschichte. Dänisch wird noch immer an isländischen Schulen unterrichtet (erst 1998 wurde es vom Englischen als erste Fremdsprache abgelöst), daher entwickeln junge Leute eine Affinität zu den Dänen. Sie betrachten sie als Verwandte und können sehr von ihnen schwärmen – solange keine Dänen anwesend sind.
Die einzigen anderen Länder, mit denen sich die Isländer verbunden fühlen, sind Luxemburg, Kanada und Russland. Luxemburg hat die größte Gemeinde von Auslandsisländern, da sich hier früher der europäische Firmenhauptsitz von Icelandair befand. Isländer teilen mit den Luxemburgern einen Minderwertigkeitskomplex, der daher rührt, dass sie so wenige sind. Die Isländer und Luxemburger holen nicht oft Höchstpunktzahlen beim Eurovision Song Contest*