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Italien hat 61 Millionen Einwohner – zum Vergleich: Es gibt 8 Millionen Schweizer, 8 Millionen Österreicher, 10 Millionen Griechen, 54 Millionen Engländer, 65 Millionen Franzosen, 81 Millionen Deutsche und 321 Millionen Amerikaner.

Italien ist siebenmal so groß wie Dänemark und dreimal so groß wie Österreich, würde aber fast zweimal in Frankreich hineinpassen.

Nationalismus & Identität

Nationen innerhalb einer Nation

Die Italiener sind keine Rasse oder Ethnie, sondern eine Ansammlung von Volksgruppen. Sie tendieren dazu, sich selbst und einander zuallererst als Römer, Mailänder, Sizilianer oder Florentiner zu betrachten und erst danach als Italiener. Es gibt im Grunde wenig, was Turin und Bari oder Neapel und Triest verbindet, abgesehen von der autostrada, den Hochgeschwindigkeitszügen und der katholischen Kirche.

Die einzelnen Regionen Italiens unterscheiden sich stark voneinander, und der tief verwurzelte Regionalismus ist kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Italien als Nation erst seit 1861 existiert. Vorher bestand die italienische Halbinsel aus mehreren unabhängigen Staaten. Der Einigungsprozess erforderte einen Akt überaus geschickten geopolitischen Flickwerks und die führenden Politiker der Zeit waren sich der Schwierigkeiten, die ihnen entgegenstanden, wohl bewusst. Zu ihnen gehörte Massimo D’Azeglio, der feststellte: „Italien ist endlich erschaffen; nun lasst uns die Italiener erschaffen.“ Wenn er heute noch leben würde, würde er immer noch daran arbeiten.

Von Zeit zu Zeit versuchen die Italiener aber doch, sich wie eine Nation zu benehmen und unternehmen große Anstrengungen nationalistisch zu sein, beispielsweise wenn die italienische Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft gut abschneidet oder wenn Ferrari zum zweiten Mal hintereinander die Formel-1-Weltmeisterschaft gewinnt. Vor allem aber fühlen die Italiener sich als Italiener, wenn es sie ins Ausland verschlägt: in eine Eisdiele in Melbourne, in die Tiefen eines belgischen Bergwerkschachts oder zu einem Fußballspiel in den Vereinigten Staaten.

In der Realität spielt das aber kaum eine Rolle, denn alle Italiener wissen, dass sie selbstverständlich alles „besser“ machen. Vielleicht kehren sie den unerschütterlichen Glauben an sich und ihre Nation nicht bei jeder Gelegenheit hervor, aber wenn sie es tun, dann mitunter höchst eindrucksvoll: Im Jahr 2011 beging das Land seinen 150. Geburtstag mit einer würdevollen, aber dennoch fröhlichen Feier nationaler Identität. In den Städten und Dörfern des ganzen Landes flatterten die grün-weiß-roten Fahnen von praktisch jedem Balkon, womit man nicht nur auf überschäumende Weise seinen Stolz bekundete, Italiener zu sein, sondern auch demonstrierte, wie weit die Zeiten zurückliegen, in denen ein Metternich, ein österreichischer Staatsmann des 19. Jahrhunderts, behaupten konnte, Italien sei sowieso „nicht mehr als ein geografischer Begriff “.

Die Nationalhymne freilich ist eine Sache für sich. Als während der Übertragung eines Fußball-Länderspiels die Kamera per Nahaufnahme enthüllte, dass kein Spieler der italienischen Nationalmannschaft (das Juwel in der Krone der Nation) die Hymne mitsang, musste man zur Kenntnis nehmen, dass deren Text nicht nur unter den Fußballern, sondern auch in der übrigen Bevölkerung so gut wie unbekannt war. Die Medien bekämpfen diesen Missstand, indem sie die Hymne nun etwas häufiger spielen, und soweit es sich einrichten lässt sogar mit Untertiteln.

Da es ihnen an allzu offenkundigen nationalistischen Gefühlen mangelt, sind die Italiener vorsichtig, was Kriegstreiberei und Hurrapatriotismus angeht. Die Erfahrung lehrt sie, dass die meisten Konflikte mit einer Mischung aus Kompromiss, Beschwichtigung und Bestechung beigelegt werden können, und so tun sie ihr Möglichstes, um eine Konfrontation zu vermeiden. Tatsächlich sollte jede ausländische Macht, bevor sie zwecks Eroberung in Italien einmarschiert, erwägen, ein vernünftiges Angebot abzugeben, anstatt das Leben von Soldaten zu verschwenden. Falls der Preis stimmt, ist es durchaus denkbar, dass die Italiener bereit wären, ihr Land zu verkaufen.

Campanilismo

Identität ist den Italienern wichtig und sie legen besonderen Wert auf ihre Wurzeln. „Woher kommen Sie?“, ist für sie eine wichtige Frage, die eine gute Antwort verlangt. Anders als einen Engländer oder Amerikaner kann man einen Italiener mit dieser Frage nicht in Verlegenheit bringen. Undenkbar, dass er zu stammeln anfängt: „Ich bin mir nicht sicher, mal überlegen: Geboren bin ich in Hertfordshire, aber meine Eltern sind später nach Leeds gezogen, studiert habe ich dann in Bristol, und meinen ersten Job hatte ich in York …“

Italiener wissen ganz genau, wo sie herkommen, und diese Herkunft tragen sie wie eine Standarte für immer mit sich herum. Der Mann aus San Giorgio in Apulien, der mittlerweile in Turin lebt, wird seine Verbindungen nach San Giorgio niemals abreißen lassen. Selbst wenn er den Ort bereits vor dreißig Jahren verlassen hat und nur einmal im Jahr zurückkehrt, um seine Vettern zweiten Grades zu besuchen, ist es seine Pflicht, jedem zu helfen, der auch aus San Giorgio stammt. Ebenso wird von Wirtschaftsmagnaten und Politikern erwartet, dass sie etwas für ihren Heimatort tun, dass sie Geld investieren und ihren ehemaligen Mitbürgern Arbeit besorgen.

Das Bekenntnis zur Herkunft ist eng verbunden mit dem italienischen Schlüsselbegriff des campanilismo, was wörtlich so viel heißt wie „Treue zum heimatlichen Kirchturm“. Er verleiht der Überzeugung Ausdruck, dass das eigene Dorf bzw. die eigene Stadt das bzw. die beste der Welt ist. Von jeher lieben die Italiener ihren Heimatort und sie leiden sehr, wenn es sie in die Fremde verschlägt.

Ein solcher Bürgerstolz bedeutet auch Konkurrenzdenken und dieses ist zwischen benachbarten Dörfern, Städten, Provinzen und Regionen besonders stark. Die Rivalität wird oft so verbissen geführt, dass die Beteiligten sich kaum noch mit anderen Dingen befassen können, denn schließlich wissen sie nur zu gut, dass man andere Menschen, und vor allem die Italiener aus anderen Familien, Dörfern, Städten oder Regionen, allzeit im Auge behalten muss. Ihnen fehlt es nämlich leider an Selbstdisziplin und man kann ihnen nicht trauen. Wie wundervoll könnte Italien ohne gli altri sein – „die anderen“ Italiener.

Wie andere sie sehen

Ein typisches Klischee besagt, die Italiener seien ein lautes, leidenschaftliches, intrigantes Mittelmeervolk, dessen Genialität und Erfindungsreichtum unglücklicherweise von Faulheit und Unzuverlässigkeit überschattet wird.

Es muss an einem unbewussten Masochismus liegen, dass die Italiener es aufrichtig genießen, wenn man ihre Fehler hervorhebt. Sie sehen sich dann in ihrem tief verwurzelten Gefühl bestätigt, dass gli altri italiani einfach nicht so verlässlich sind, wie man das in der westlichen Welt erwarten würde. Allerdings wird keine Kritik je so ernst genommen, dass man sich etwa veranlasst sähe, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Immerhin, die ausländischen Besucher scheinen die Einheimischen umgänglich und unterhaltsam zu finden, also kann ja wohl nicht alles schlecht sein.

Alle Welt ist sich darin einig, dass die Italiener in einem wunderschönen Land voller Kunstschätze leben. Man hält sie für ein glückliches, lebenslustiges Volk mit einer besonderen Ader für Design, Essen und Mode. Man weiß, dass sie beim Singen und Kochen Großes und beim Organisieren Fürchterliches leisten. Von italienischen Männern wird erwartet, dass sie dunkle, gutaussehende und großartige Liebhaber sind, von italienischen Frauen, dass sie sinnlich und attraktiv, großartige Köchinnen und hingebungsvolle Mamas sind.

Viele Italo-Amerikaner pflegen die Vorstellung, das Land habe sich kaum verändert, seit ihre Urgroßeltern es um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert verließen. Wenn sie dann schließlich nach Italien kommen, um ihre Wurzeln zu finden und die Vettern und Kusinen zu besuchen, stellen sie mit Verwunderung fest, dass nicht alle Familien arm sind, zehn Kinder haben und in einem einzigen Zimmer leben, das sie sich mit einem Esel und einer Promenadenmischung teilen; dass nicht alle Frauen schwarz angezogen sind und auf dem Feld arbeiten und nicht alle Männer Hüte tragen und den ganzen Tag in Bars sitzen. Sie machen die Entdeckung, dass Italien in Wirklichkeit eines der fortschrittlichsten Länder der Welt ist, wo die meisten Familien mindestens zwei Autos besitzen und in Häusern wohnen, die nicht nur fließend Wasser und Strom vorweisen können, sondern auch Fernseher mit Plasmabildschirm, Breitband-Internetzugang, die jeweils neuesten Smartphones und Bidets mit Mischbatterie und verstellbaren Düsen.

Wie sie sich selbst sehen

Die Italiener halten sich für leidenschaftlich, intelligent, humorvoll und charmant, und zum Wohle der Ausländer führen sie sich auch gern so auf.

Sie wissen, dass sie das Privileg genießen, im schönsten Land der Welt zu leben. Mal abgesehen davon, dass viele die Leitung der Staatsgeschäfte am liebsten an Brüssel delegieren würden, könnte es zugehen wie im Paradies … wenn nur dieses nagende Misstrauen gegenüber den eigenen Landsleuten nicht wäre.

Besondere Beziehungen

Aufgrund der massenhaften Auswanderung am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es große italienische Gemeinden in den Vereinigten Staaten, Argentinien, Brasilien, Uruguay und Australien. Etwa 20 Millionen Amerikaner tragen einen italienischen Nachnamen. Doch die Italo-Amerikaner, Italo-Argentinier etc. werden im Heimatland in der Regel nur dann als „Italiener“ betrachtet (anstatt als Amerikaner, Argentinier etc.), wenn sie reich und erfolgreich sind. So sind Rudolph Giuliani, Frank Sinatra, Robert De Niro, Francis Ford Coppola und Sylvester Stallone selbstverständlich Italiener und keine Amerikaner. Einige berühmte Italienischstämmige, die ihren Namen änderten, um mehr Erfolg in der Neuen Welt zu haben wie etwa die Schauspielerin Anne Bancroft, 1931 als Anna Maria Italiano in New York geboren, oder der Kriminalautor Ed McBain, 1926 als Salvatore Lombino ebenfalls in New York geboren, sind immerhin nach ihrem Tod wieder in den Kreis der Italiener aufgenommen worden.

Mit solcher Begeisterung vereinnahmt zu werden, kann allerdings auch Nachteile mit sich bringen – so wurden vor neapolitanischen Gerichten noch Jahre, nachdem er längst nach Argentinien zurückgekehrt war, Vaterschaftsklagen gegen den Italo-Argentinier Diego Maradona eingereicht.

Wie sie Ausländer sehen

Die Italiener lieben Ausländer, vor allem reiche Ausländer. Österreicher, Schweizer und insbesondere Deutsche erfreuen sich von jeher an Italiens Klima, der Kultur, den Stränden und dem Lebensstil. Italien ist ihre Spielwiese. Schon zu Zeiten des Römischen Reiches kamen Goten über die Alpen, um Dampf abzulassen. Die Italiener haben das jahrhundertelang toleriert und werden dies mit Freuden auch weiter so tun, solange die sechs Millionen, die heute Jahr für Jahr ins Land strömen, nur jede Menge Geld ausgeben und hinterher wieder nach Hause fahren.

Die Franzosen gelten als arrogant und übermäßig stolz auf sich selbst. Sie scheinen auf ihre transalpinen Nachbarn herabzublicken, was den Italienern ein gewaltiges Ärgernis ist. Ganz und gar unverzeihlich ist jedoch, dass die Franzosen den Weltmarkt mit ihrem minderwertigen Wein erobert haben, den kein zurechnungsfähiger Italiener jemals kaufen würde.

Die Beziehung zwischen Engländern und Italienern ist vielschichtiger, man könnte vielleicht von einer Anziehung der Gegensätze sprechen. Die Engländer schätzen die brachialen Gerüche, Geräusche und Farben, die Leidenschaft und das Chaos Italiens, während die Italiener fasziniert sind von der englischen Ordnung und Gemütlichkeit, aber zugleich Mitleid mit ihnen haben wegen des ständigen Regenwetters, wegen des langweiligen Essens und wegen des allgemeinen Mangels an Stil.

Die Italiener sind davon überzeugt, dass im Ausland alles besser funktioniert. Gleichzeitig sind sie aber auch davon überzeugt, dass die Ausländer letzten Endes schlechter dran sind als sie selbst, weil sie eben nicht im sonnigen Italien leben, weil sie sich schlecht kleiden und schlecht essen und trinken, alles vielleicht Erklärungen dafür, warum Ausländer schon immer ein Auge auf Italien geworfen haben.

Tutto il mondo è paese