in memoriam Bernd Hamm (1945–2015)

»Die Demokratie steht am Rande des Überlebens«

 

 

 

 

 

 

Danksagung

Die Herausgeber danken der Ehefrau von Bernd Hamm, Sabine, für die Erlaubnis, das letzte wissenschaftliche Manuskript Hamms zum Anlass dieses Buches zu nehmen. Die beteiligten Autoren fühlen sich zum einen Hamms Andenken verpflichtet und setzen zum anderen unbeirrt die Tradition wissenschaftlicher Wahrheitssuche trotz aller Anfeindungen durch die Träger der Macht fort.

Die Herausgeber danken Hannes Hofbauer vom Promedia Verlag für die angenehme und vertrauensvolle Zusammenarbeit und dem niederländischen »back-office« für das Redigieren der Beiträge.

Vorwort

Die Idee zu diesem Buch entstand im Herbst 2016. Seit etwa drei Jahrzehnten beobachtet der kritische Teil der politisch interessierten Öffentlichkeit mit Sorge, dass die Regierungen der westlichen Wertegemeinschaft sich zunehmend Kapitalinteressen unterwerfen. Gemeinsam mit den ökonomisch Mächtigen dieser Welt haben sie inner- und suprastaatliche Strukturen geschaffen, die sich der demokratischen Kontrolle entziehen. Vom Volk gewählte politische Repräsentanten degradieren sich zu Handlangern der Akteure »hinter den Kulissen«. Wir erleben die schleichende Transformation parlamentarischer Demokratien in Richtung autoritärer Systeme. Grund- und Menschenrechte bleiben dabei ebenso auf der Strecke wie das Völkerrecht.

Wie waren diese Entwicklungen möglich, ohne dass die breite Öffentlichkeit davon Kenntnis nahm? Antworten auf diese Frage lieferte Bernd Hamm, Professor für Soziologie an der Universität Trier, dem dieses Buch gewidmet ist. Hamm forschte unter anderem zu grundlegenden sozialwissenschaftlichen Themen unserer Zeit: zum Neoliberalismus und seiner Zerstörungskraft für die westlichen Gesellschaften, zu Kulturimperialismus, den Perversionen des Freihandels, dem Treiben der Neokonservativen in den USA und zu Umweltkatastrophen. Dabei drang er immer tiefer in die perfiden Parallelstrukturen staatlicher Akteure vor. Im deutschsprachigen Raum war Hamm der erste, der sich mit vernetzten Tiefenstrukturen in westlich-parlamentarischen Demokratien befasste.

In einem Manuskript »Das Ende der Demokratie … wie wir sie kennen« bezeichnete Hamm diese Parallelstrukturen als »Dunklen Staat«, der jenseits demokratischer Wahlen die Langfristorientierungen der Superreichen und Reichen im modernen Kapitalismus bestimmt. Darüber hinaus bildet dieser »Dunkle Staat« einen Rahmen für politisch Mächtige, staatliche Institutionen, den staatsterroristisch-militärisch-industriellen Kommunikationskomplex (SMIKK), für Geheimdienste, Medien, Think Tanks und transnationale Netzwerke.

Wer den Versuch unternimmt, Licht in die Machenschaften der Akteure hinter dem Theatervorhang der Demokratie zu bringen und sich nicht mit dem eitlen Schauspiel der Fassadendemokratie vor dem Vorhang begnügt, macht sich keine Freunde.

Unser Buch soll Bernd Hamms Wirken und Einsichten fortsetzen und erweitern. Selten zuvor in der Geschichte war es so notwendig, die in diesem Buch thematisierten Fragen zu stellen, Position zu beziehen und die in den USA weit vorangeschrittene Diskussion zum »deep state« auf den deutschen Sprachraum auszuweiten.

Ullrich Mies und Jens Wernicke,
im Juli 2017

Einleitung

»Aber, wenn es um die Machenschaften der Mächtigen geht, sind wir anderen und früheren Gesellschaften nur zu ähnlich. Es gibt eine gnadenlose Brutalität der Macht, die auf der ganzen Welt und über die gesamte Geschichte hinweg bekannt ist.«

David Talbot1

Den Anstoß zu diesem Buch lieferte ein im September 2014 im Internet kursierender Beitrag von Professor Bernd Hamm mit dem Titel: »Das Ende der Demokratie … wie wir sie kennen.« In diesem umfangreichen Manuskript skizziert Hamm, dass der parlamentarischen Demokratie in den USA – und auch in den Staaten der »westlichen Wertegemeinschaft« insgesamt – eine vernetzte, meist klandestine Untergrundherrschaft zugrunde liegt, die sich dem Blick der Öffentlichkeit entzieht. Hamm hat mit seinem Beitrag einen ersten, weitgehend unbekannt gebliebenen Vorstoß unternommen, die in den USA recht weit gediehene Diskussion zum »Tiefen Staat« auch in den deutschen Sprachraum hineinzutragen. 2014 war die Zeit dafür offensichtlich noch nicht reif.

Der Begriff »Tiefer Staat« stammt aus der Türkei, um die strukturellen Beziehungen von Akteuren innerhalb der türkischen Militärdiktatur zu bezeichnen, »…einem System, das sich zusammensetzt aus Führungsfiguren innerhalb der Geheimdienste, des Militärs, des Polizei- und Sicherheitsapparates, der Justiz und des organisierten Verbrechens.«2

Während sich in den USA wichtige Vertreter aus Wissenschaft und Publizistik zum Teil bereits Jahrzehnte mit Phänomenen des »Tiefen Staates« beschäftigen, findet eine vergleichbare Auseinandersetzung mit diesem Komplex im deutschsprachigen Raum kaum statt. Zwar gibt es vereinzelte Publikationen in deutscher Sprache, die sogar den Begriff des »Tiefen Staates« verwenden3, den Fokus jedoch auf Phänomene lenken, die nur einen Teil dessen beleuchten, was die amerikanischen Publizisten in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten stellen und was den Herausgebern dieses Sammelbandes als bedeutsam erscheint. Wichtige Autoren in den USA sind zum Beispiel Peter Dale Scott4, Mike Lofgren5, Tom Engelhardt6 und David Talbot.

Unabhängig von den jeweiligen Definitionen zur Charakterisierung dessen, was den »Tiefen Staat« konstituiert oder besonders auszeichnet, sind sich alle Autoren grundsätzlich darin einig, dass der »Tiefe Staat«, die Schattenregierung, die Parallel-Regierung, die geheime Regierung, der Dunkle Staat etc. die eigentliche Macht darstellt.7

»Der ehemalige Air-Force-General, NSA- und CIA-Chef Michael Hayden meinte jüngst im Interview mit CNN, er wolle den sogenannten ›Deep State‹ lieber als ›permanente Regierung‹ bezeichnen.«8

Die Herausgeber bezeichnen den »sichtbaren Staat« als Fassadendemokratie, als Schauspiel für das Breitenpublikum vor dem Theatervorhang. Die wirklich bedeutsamen politischen Entscheidungen werden, so meinen sie, jedoch in den Tiefenstrukturen und »Paralleluniversen der Macht« hinter dem Theatervorhang getroffen. Diese schließen alle Formen der Machtperversion wie Überwachung, Folter, Raub des Volksvermögens, Geheimdienstverbrechen, Angstproduktion bis hin zu Kriegsvorbereitungen und die Durchführung von Angriffskriegen ein.

Den Auftakt des Sammelbandes macht Bernd Hamm mit seinem Beitrag: »Das Ende der Demokratie … wie wir sie kennen«. Nach seiner Überzeugung bilden Super-Reiche und Reiche, CEOs (Chief Executive Officers), d.h. Vorstandsvorsitzende und Führungskader multinationaler Großunternehmen und deren Funktionseliten in Politik, Militär, Medien, Think Tanks etc., eine global herrschende Klasse, einen global operierenden Oligarchenkomplex. Diesem Komplex gehe es ausschließlich darum, den Profittransfer in die obersten Kastensegmente sicherzustellen und den Wohlstand der Nationen abzusaugen. Dazu bediene er sich aller Mittel des »Klassenkampfes von oben«: des Finanzsystems und seiner Institutionen, des Vasallentums seiner Mitläufer, der Geheimdienste, des Krieges als Mittel der Politik, des global operierenden Militärs, der »Strategie der Spannungen und Angstproduktion« sowie aller nur denkbarer Formen des Verbrechens und des Staatsterrorismus. Die US-Neokonservativen hätten es nach dem Zusammenbruch der UdSSR vermocht, die Herrschaft in den USA vollends an sich zu reißen. Fortan beanspruchten sie die absolute US-Weltführung. Die Machtverfilzungen aus big money, big oil, big business, Medienkonglomeraten, Think Tanks und dem staatsterroristisch-militärisch-industriellen Kommunikationskomplex einschließlich der Geheimdienste konstituieren den »Dunklen Staat«, den wir in diesem Buch durchgängig als »Tiefen Staat« bezeichnen. Dieser operiere losgelöst von der »sichtbaren Demokratie« des Wahlspektakels, vom politischen Tagesgeschäft und abgekoppelt von den im Rampenlicht der Aufmerksamkeit stehenden Polit­figuren. Die neoliberalen/neokonservativen Führungseliten seien sämtlich Anhänger des Washington Consensus, d.h. für Finanzialisierung, Outsourcing, Privatisierung, Deregulierung und den Warencharakter der Arbeit. Ein angemaßter »American Exceptionalism« gebe ihnen das vermeintliche Recht, sich überall auf der Welt mit diplomatischen und militärischen Zwangsmitteln einzumischen. Die Politik des Tiefen Staates – so Hamm – entspreche einem Staatsstreich.

»Phänomene eines ›Tiefen Staates‹ als Erscheinungsformen des autoritären Kapitalismus« nennt Rainer Mausfeld seinen Beitrag. Mausfeld legt dar, dass das Konzept der »parlamentarischen Demokratie« noch nie darauf angelegt war, echte Demokratie zu ermöglichen. Im Gegenteil implizierte es stets, »die Pöbelherrschaft« unmöglich zu machen und die Interessen privilegierter, besitzender Klassen zu sichern. Die repräsentative Demokratie eigne sich besonders gut dazu, in breiten Bevölkerungsschichten die Illusion der Machtteilhabe zu nähren, faktisch jedoch auszuschließen. Indem die herrschenden Eliten es vermochten, den Freiheitsbegriff an das Eigentum zu binden, hätten sie die Demokratie zur »marktkonformen«, kapitalistischen Demokratie für Minderheiten transformiert. Die gesamte Wirtschaft im Kapitalismus sei in hervorstechender Weise autoritär strukturiert. Diese autoritäre Grundstruktur strahle bis tief in den politischen Raum aus und bediene sich zudem aller nur denkbaren Mechanismen der Korruption. Faktisch existierten zwei Regierungen: eine »sichtbare« und eine »Parallelregierung«. Die Neoliberalen hätten die Machtkoordinaten vollständig verschoben, die Reste der Demokratie entsorgt und einen totalitären postdemokratischen Staat installiert, dessen Machtzentren – die Finanzindustrie, Militär, Geheimdienste, der Medien-, Überwachungs- und Sicherheitskomplex – nicht abwählbar seien.

Während Bernd Hamm 2014 in seinem Beitrag noch sorgenvoll formulierte: »Die Demokratie steht am Rande ihres Überlebens«, ist Ullrich Mies davon überzeugt, dass wir bereits einige Schritte weiter sind. Dieser »Rand« sei längst überschritten, die Demokratie existiere bestenfalls noch als Fassade, im Grunde sei sie bereits abgeschafft: Der Marktradikalismus sei die unantastbare »Religion« unserer Zeit. Die marktradikalen Führungseliten in Wirtschaft und Politik hätten die Demokratie in ihr absolutes Gegenteil verkehrt und als »marktkonforme und alternativlose« Nichtdemokratie fest installiert und diese durch umfangreiche Verträge und Institutionen wie WTO, EU, transatlantische Netzwerke, vor allem aber auch durch Gewaltinstitutionen wie Geheimdienste, Sonderpolizeien und NATO abgesichert. Tatsächlich führten die marktradikalen Führungseliten Krieg gegen den überwiegenden Teil der Menschheit. Innerhalb der Länder der »westlichen Wertegemeinschaft« diene die parlamentarische Demokratie als sichtbares Demokratiespektakel und Legitimationsfolie für die Demokratie-Zuschauer. Die strukturelle Mehrheit marktradikaler Parteien und ihrer Netzwerkkader sei stets gesichert, reale politische Alternativen würden wirkungsvoll von der Ausübung der Macht ferngehalten. Die Reichen und Superreichen und ihr »politisches WC-Personal« (Carl Amery) organisierten durch systematische Steuervermeidung, die Ruinierung des Sozialstaates, Privatisierungen und durch Rechtsnihilismus eine unvorstellbare Reichtumskonzentration in Richtung neofeudaler Machtverhältnisse. Sie ruinierten den Sozialstaat. In der Fassadendemokratie hätte der Oligarchenkomplex längst die eigentliche Herrschaft übernommen.

Die Antwort auf die sehr grundsätzliche Frage, wie es Herrschaftseliten schaffen, eine weitgehend politisch apathische und konformistische Generation von Menschen heranzubilden, gibt Jochen Krautz in seinem Beitrag: »Neoliberale Bildungsreformen als Herrschaftsinstrument«. Wie konnte es gelingen, dass sich große Teile einer Generation nicht mehr für die Belange des Öffentlichen, für echte Demokratie und Kriegsgefahren etc. interessieren? Aber dafür umso mehr für den eigenen Vorteil, oberflächlichen Konsum und Zerstreuung? Nach dem deutschen Grundgesetz gehe alle Staatsgewalt vom Volk aus, daher müsse Bildung die Menschen befähigen, diese Staatsgewalt zum gemeinsamen Wohl ausüben zu können. Bildung müsse allen ermöglicht werden und das unabhängig von ihrer Herkunft und den materiellen Voraussetzungen. Individuelle Selbstbestimmung und Gemeinwohl seien kein Gegensatz, sondern bedingten einander. Mit diesem Bildungsanspruch hätten die neoliberalen Ideologen fundamental gebrochen. Für sie gehe es ausschließlich darum, die Menschen für die Forderungen »des Marktes« in einer globalisierten Ökonomie herzurichten. Die Bildung werde mit ökonomischen Steuerungstechniken systematisch umgebaut. Eine dem Gemeinwohl dienende Bildung würde als »Standortnachteil« begriffen, daher ersetzten Managementtechniken sinnvolle pädagogische Konzepte. Ziel sei nicht die Förderung geistiger Selbstständigkeit, sondern die Anpassung an ökonomische Erfordernisse. Logisches Ergebnis dieses Umbaus sei, dass in die Digitalisierung der Bildung Milliarden investiert würden, während gleichzeitig die Bildungsinfrastruktur verrottete und die Beschäftigten in Schulen und Hochschulen zunehmend prekärer gestellt würden. Dieser neoliberale Imperialismus habe das Ziel, einen an strikter Eigennutzenmaximierung orientierten Menschen »herzustellen« und den homo sapiens sapiens in einen homo oeconomicus umzuformatieren. Diese »innere Ökonomisierung« höhle Geist und Kultur aus. Als Hauptakteure dieser perfiden Transformation des Bildungswesens identifiziert Krautz die OECD und die EU. Sie hätten durch klandestine Techniken der Macht – PISA und Bologna-Prozess  – ohne nennenswerten Widerstand die »epistemische Säuberung« von oben bis in die Tiefen des Bildungssystems realisiert.

Mike Lofgren schildert in seinem Beitrag »Kernelemente des Tiefen Staates der USA«, durch welche politischen Entwicklungen er seine Einstellung zu seiner Tätigkeit als Kongressmitarbeiter änderte und was ihn dazu veranlasste, frühzeitig in Pension zu gehen. Lofgren war über die Lügen der Bush-Administration zur Begründung ihres Eintritts in den Irakkrieg ebenso erschüttert wie über die Dysfunktionalitäten der politischen Parteien und die Dummheit der Kongressmitglieder. Die politischen Strukturen seien dermaßen verrottet, dass die Governance die USA in eine »Bananenrepublik« verwandelt hätte. Präsident Barack Obama hätte US-Bürger ohne echte Prozesse getötet, Häftlinge jahrelang ohne Anklage festgehalten und die »Rasterfahndung« eingeführt, um die gesamte Bevölkerung zu überwachen. Ferner konkretisiere sich diese Politik im Inland in Gewaltaktionen der militarisierten Bundes-, bundesstaatlichen und örtlichen Polizeien gegen die eigenen Bürger. Im Ausland könne der Präsident ohne Zustimmung des Kongresses Kriege lostreten.

Der Tiefe Staat ziehe sich als roter Faden durch den Krieg gegen den Terrorismus, die Militarisierung der Außenpolitik, die Finanzialisierung und die Deindustrialisierung der amerikanischen Wirtschaft und den Aufstieg einer Plutokratie. Der Tiefe Staat sei eine Mischung aus nationalen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden und Schlüsselkomponenten anderer Regierungszweige: des Verteidigungs- sowie des Außenministeriums, der Homeland Security, der Justiz und der CIA, eines »Rumpfkongresses« aus Kongress-Führern und einigen Mitgliedern der Verteidigungs- und Geheimdienst-Ausschüsse. Wegen der Symbiose mit Wall Street sowie seiner Macht über die Finanzströme und bei der Durchsetzung internationaler Wirtschaftssanktionen gehöre auch das Finanzministerium zum Tiefen Staat, ferner der militärisch-industrielle Komplex und Silicon Valley, so Lofgren. Dem Präsidenten komme im Tiefen Staat die Rolle des primus inter pares zu, er könne nicht herrschen wie ein ungebundener Autokrat.

Der Beitrag Werner Rügemers trägt den Titel: »Die Privatisierung des Staates – das Vorbild USA und sein Einfluss in der Europäischen Union«. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten in den USA private Kapitalakteure zunehmend staatliche Aufgaben übernommen, Demokraten und Republikaner seien zu Wahlvereinen verkommen, Privatunternehmen bestimmten die Wahlkandidaten. Die Welthauptstadt des Lobbyismus sei Washington mit 20.000 Konzern-Repräsentanten und -Verbänden. Diese würden die Gesetze entwerfen. Der neoliberale Staat sei der mit der Privatwirtschaft am intensivsten verflochtene und mit ihr korrupt verfilzte Staat. Im zentralen Bereich von Finanzen und Wirtschaft seien Privatunternehmen dauerhaft mit Staatsfunktionen beauftragt. Rating-Agenturen und private Beratungsunternehmen hätten zwar keine formelle, jedoch eine reale Staatsfunktion, zum Beispiel im Falle der Bankenrettungen, für Privatisierungen und für die Umstrukturierung der öffentlichen Verwaltung. Vorwiegend angelsächsische Unternehmensberatungsfirmen und Anwaltskanzleien fungierten als quasi Nebenregierungen. Von besonderer Bedeutung sei auch die Privatisierung des Militärs über unzählige Kontraktunternehmen, das Gleiche gelte für die Sicherheitsindustrie, hier liefert Rügemer mehrere Beispiele. Private Kapitalanleger hätten weite Teile der zivilen Infrastruktur übernommen, Stiftungen die kulturelle Infrastruktur und die Finanzindustrie u.a. Post, Nahverkehr, Wasser- und Gasversorgung sowie Krankenhäuser. Diese Privatisierungsmodelle seien schleichend nach dem Zweiten Weltkrieg, verstärkt insbesondere nach 1990 auch auf dem europäischen Kontinent eingeführt worden. Maßgeblicher Treiber dieser Entwicklungen sei die EU-Kommission.

»Die internationale Finanzordnung als kriminelles Konstrukt des ›Tiefen Staates‹« überschreibt Ernst Wolff seinen Beitrag. Im Jahr 1944 hätte ein neues Finanzzeitalter begonnen, als 42 Staaten das System von Bretten Woods schufen. Diese wichtige Konferenz hätten die USA und Großbritannien bereits viele Jahre zuvor im Geheimen vorbereitet. Während Großbritannien nach zwei Weltkriegen von seinen Schulden erdrückt wurde und gegen den Zerfall seines Empire ankämpfte, sei es einer unermesslich reichen US-Elite auf der Grundlage der Massenproduktion gelungen, ein riesiges Industrieimperium aufzubauen. Die USA seien zur Supermacht aufgestiegen. Mithilfe der neuen Finanzordnung von Bretton Woods, die den US-Dollar zur einzigen Leitwährung machte und an das Gold band, seien andere Währungen zu festen Wechselkursen an den Dollar gekettet worden. Diese Dollarbindung hätte der neuen Supermacht schier unvorstellbare Investitionsmöglichkeiten eröffnet und den Planeten letztlich der US-Zentralbank Federal Reserve System (FED) unterworfen. Diese bis heute in Privatbesitz befindliche Zentralbank nähme sich das exklusive Recht heraus, unbegrenzt US-Dollar zu schöpfen und damit die Möglichkeit, die gesamte übrige Welt in Abhängigkeit zu treiben. Die ab 1971 nicht mehr aufrecht zu erhaltende Gold-Dollar-Bindung hätte schließlich das Bretton-Woods-Abkommen obsolet gemacht und das globale Finanzgefüge in eine unhaltbare Position geführt. Die Rettung sei schließlich die Dollar-Öl-Bindung zwischen den USA und Saudi-Arabien Mitte der 1970er-Jahre geworden. Fortan wäre das Öl der OPEC nur noch in US-Dollar gehandelt worden, und Saudi-Arabien hätte seine Überschüsse in US-Staatsanleihen anlegen müssen. Im Gegenzug seien der Diktatur grenzenlose Waffenlieferungen, der Schutz vor ihren Feinden und den eigenen Untertanen garantiert worden. Der Dollar wurde zur Reservewährung. Die Finanzkrisen nach den Spekulationsorgien der letzten drei Jahrzehnte infolge der Deregulierungen durch die Politik und die anschließenden »Bankenrettungen« zu Lasten der Allgemeinheit hätten die Eigentümer der FED noch reicher gemacht.

Wie die neoliberalen Ideologen und Hasardeure bei der Privatisierung, d.h. dem Raub öffentlichen Eigentums, vorgehen, erläutert Hermann Ploppa am Beispiel der Zwangsfusionierung des Klinikums Marburg mit dem Universitätsklinikum Gießen. In seinem Beitrag »Transatlantische und marktradikale Netzwerke – Akteure des Tiefen Staates« schreibt Ploppa, auf welch tiefgreifende Weise sich Deutschland im Laufe der vergangenen Jahrzehnte gewandelt hat. Die Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge hätten sich früher in staatlicher oder öffentlich-rechtlicher Hand befunden und seien allen Bürgern zugutegekommen. Nur der Austausch der »Eliten« durch marktradikale Protagonisten hätte die fundamentale Veränderung der Bundesrepublik in Richtung marktradikaler Wende möglich gemacht. Allein dadurch hätten alle öffentlichen Unternehmen dem Profitregime unterworfen werden können. Weder dieser Transformation noch der einseitigen Bindung der Republik an die NATO sei eine politische Entscheidung der Bevölkerung vorausgegangen. Ploppa beschreibt die schleichende Amerikanisierung der Bundesrepublik Deutschland als Ergebnis einer heimlichen Revolution »hinter den Kulissen«, für die maßgeblich transatlantische Interessengruppen verantwortlich zeichneten. Der Zusammenbruch der DDR war für ihn die Geburtsstunde einer neuen Kaste der Privatisierer, d.h. der Volksenteigner, gewesen. Der große Probelauf der marktradikalen Freibeuter sei über die Treuhand erfolgt. Da die Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft weitgehend »geräuschlos« über die Bühne gehen konnte, sei dies das Signal für den ganz großen Raubzug der Privatisierer in Westdeutschland gewesen.

Andreas Wehr geht der Frage nach, ob es sich beim EU-Parlament um ein echtes Parlament handelt oder aber lediglich um eine scheindemokratische Fassadenveranstaltung. Der Titel seines Beitrags lautet »Die EU als demokratiefreie Herrschaftsarchitektur«. Eigentlich fehle es dem EU-Parlament an allem, was ein echtes Parlament auszeichnet. Ihm werde nicht nur das Recht vorenthalten, den Kommissionspräsidenten und damit die Spitze der EU-Exekutive zu wählen, es besitze auch nicht das Recht, Gesetze vorzuschlagen. Daher sei die Stellung des Parlaments schon allein in legislativen Fragen aufgrund der Bestimmungen der EU-Verträge schwach. Das neue Mitentscheidungsverfahren habe das Parlament gegenüber dem Rat zwar im Gesetzgebungsverfahren formal gleichgestellt, in der Praxis jedoch ein höchst undurchsichtiges Verfahren des Aushandelns hinter verschlossenen Türen hervorgebracht. Ferner verfüge das EU-Parlament noch nicht einmal über »das Königsrecht«, das jedes Parlament in einer Demokratie auszeichnet: das Budgetrecht. Im Unterschied zu den Mitgliedstaaten gebe es auf europäischer Ebene keine echten Parteien, vielmehr seien die europäischen Parteien »Parteienparteien« und damit bloße Zusammenfassungen der jeweiligen konservativen, sozialdemokratischen, liberalen, grünen und linken Parteien der Mitgliedsstaaten. Das EU-Parlament sei ein Scheinparlament, dem die wesentlichen »Ingredienzien« eines echten Parlaments fehlten.

Für Wolf Wetzel sind der »Tiefe Staat« und der Kapitalismus nicht zu trennen. Die Vorstellung eines »verselbstständigten Staates im Staate« lehnt Wetzel in seinem Beitrag »Der Tiefe Staat und der konzerneigene Untergrund – eine Symbiose« ab. Auf den Spuren des NSU-Skandals stellt er fest, dass übergeordnete Behörden und Institutionen – vom Verfassungsschutz angefangen bis hin zum hessischen Innenministerium – als »schützende Hand« bis zum heutigen Tag die Aufklärung der Verbrechen verhindern. Die Ermittlungssabotage sei ein eindeutiges Zeichen für geheime staatliche Parallelstrukturen. Interessendivergenzen zwischen Polizeiermittlern und Geheimdienstlern würden stets zugunsten letzter »gelöst«. Geheime Untergrundstrukturen lagen auch der NATO-Stay-Behind-Armee »Gladio« zugrunde: Dieses bestgehütete Zusammenspiel zwischen faschistischen Elementen und Staatsstellen bestand über 40 Jahre lang. Die Komplizenschaft zwischen staatlichen Stellen und der Wirtschaft seien u.a. in den folgenden Bereichen evident: in kriminellen Geschäftsfeldern, toxischen Hypothekenverbriefungen und »Dieselgate«. Als geradezu verbrecherisch und an totalitäre Diktaturen erinnernd sieht er den Umgang mit pflichtbewussten Steuerfahndern in Hessen. Sie seien mit staatlich organisierten Strukturen der Steuervermeidung kollidiert und wurden schließlich in einem sogenannten System Gulag auf besonders perfide Weise von ihren Vorgesetzten terrorisiert und psychiatrisiert. Es gäbe »illegale Tunnelsysteme«, durch die Banken Milliarden ins Ausland schleusten, nicht nur vermögende Privatpersonen. Auch würden Milliarden im Wirtschaftskrieg eingesetzt.

Hansgeorg Hermann beschreibt den Ausnahmezustand in Frankreich. Anlass für diesen war der Anschlag auf die Pariser Musikhalle Bataclan am 13. November 2015, bei dem 130 meist junge Menschen getötet und mehr als 400 Frauen und Männer zum Teil schwer verletzt wurden. Einen Tag später verhängte François Hollande den »état d’urgence«. Dieser wurde bis zum Mai 2017 schon fünf Mal verlängert. Seitdem sind Polizei, Ermittler und Soldaten in mehr als 4000 Wohnungen und Häuser eingedrungen, meist nachts und ohne richterlichen Beschluss. Was »tief im Staat«, tief in den Knochen jener stecke, die »den Staat« repräsentieren, hätten die Präsidentschaftswahlen vom 23. April und 7. Mai 2017 aufgedeckt: Es sei die Angst vor dem Volk, dem nicht zu trauen sei. Unbekannte seien die 44 Millionen Wähler des Landes für die »Bande von Enarchisten« allemal. Diese Wortschöpfung setzt sich aus den Begriffen »Monarchist« und »Enarch« zusammen. »Enarchen« nennen die Franzosen die Absolventen der Eliteschule und Kaderschmiede »École nationale d’administration«. Um ihre Forderungen nach besserer Bewaffnung durchsetzen zu können, schüre Frankreichs Elite die Angst und so bekäme der Faschismus – laut Hermann – eine Chance. In den großen Städten des Landes gehörten schwer bewaffnete Soldaten und Spezialeinheiten der Polizei inzwischen zum »ganz normalen Alltag«. »Wir sind im Krieg«, sagten Präsident Hollande und Premierminister Manuel Valls. In welchem Krieg? Dem gegen die eigenen Kinder, so Hermann. Französische Intellektuelle hätten sich längst von dem Vorurteil verabschiedet, dass es sich bei den sogenannten Randalierern um eine kriminelle Randgruppe handelt. Die große Mehrheit der jungen Menschen, nicht nur in Frankreich, habe begriffen, dass der Finanzkapitalismus und seine Regierungen ihnen nichts anderes zu bieten hätten als eine prekäre Zukunft.

Rainer Rupp beschreibt in seinem Beitrag »Die ›liberale Weltordnung‹ als Herrschaftsinstrument – Mechanismen und geopolitische Wirkung« eindrucksvoll, wie sich die deutschen Gralshüter der »liberalen Ordnung« gebärden, wenn ein Wahlergebnis – zumal in den USA – nicht so ausfällt, wie sie das für richtig halten. Dann darf auch schon einmal über einen Mord sinniert werden. Der »humanistische Lack« sei äußerst dünn. Unter keinen Umständen dürfe ein neuer US-Präsident die »liberale Weltordnung« in Frage stellen. Die Gralshüter hätten eine panische Angst, ihr Modell der Globalisierung könne zur Disposition stehen. Sie betrachten daher Trump, gleichermaßen wie Putin, als gefährlichen Störer ihrer Interessen. Diese Sicht kollidiere, so Rupp, erheblich mit den Auffassungen weiter Teile der deutschen Bevölkerung, auch von Angehörigen der Mittelklasse, die unter der neoliberalen Politik seit Jahren litten. Die Gewinner der Neuen Weltordnung (NWO) sähen in Trump hingegen eine große Gefahr für ihren Wohlstand und ihre Privilegien. Die Neue Weltordnung sei jedoch nichts anderes als organisierter Sozialabbau und eine unvorstellbare Reichtumskonzentration in den Händen weniger. Ziel der Washingtoner Politiker und Militärs sei es stets gewesen, diese NWO zu erweitern, militärisch abzusichern und die US-Hegemonie mit Hilfe von Vasallenstaaten zu festigen. Nach dem Kollaps der UdSSR hätten die NATO- und EU-Erweiterungen nach Osteuropa ganz oben auf der politischen Agenda gestanden. Vor allem duldeten die Welteroberer keine Alternative zu ihren Konzepten neoliberaler Marktwirtschaft und marktkonformer Demokratie. Sehr geschickt appellierten die Neoliberalen an uralte Sehnsüchte der Menschheit, indem sie von Verantwortung für Freiheit und Gerechtigkeit sprechen. Das Gegenteil sei ihr Ziel. Auf diese humanitäre Phraseologie fielen sogar Linke herein. Einziges Ziel sei, die inhumane US-Wirtschafts- und -Militärpolitik global durchzusetzen. Die Methoden der marktradikalen Ideologen hätten die Herrschenden Europas und Deutschlands aufgegriffen, weiterentwickelt und perfektioniert.

Die Protagonisten der neuen deutschen Außenpolitik wollten seit dem Ende des Kalten Krieges einen grundlegenden Wandel der Außen- und Sicherheitspolitik vorantreiben. Nach dem Ende der Systemkonfrontation hätte sich das außenpolitische Establishment umgehend alternative militärische Betätigungsfelder erschließen müssen, wenn es nicht überflüssig werden wollte. Jürgen Rose untersucht in seinem Beitrag »Von der Verteidigung zur Intervention – imperiale Ambitionen der Außen- und Kriegspolitik« den Wandel der Bundeswehr und ihrer Konzeptionen. Ihr struktureller Umbau erfolge nach der Devise, Friede müsse nunmehr auch mit Waffengewalt geschaffen werden. Zur materiellen Unterfütterung der globalen Interventions- und Angriffsfähigkeit würden neue Rüstungsbeschaffungsprogramme initiiert. Das neue Weißbuch der Bundeswehr 2016, das eigentlich den strukturellen Umbau hätte erklären müssen, sei stattdessen eine niveaulose Werbebroschüre mit Allgemeinplätzen, sicherheitspolitischen Phrasen, sinnfreien Forderungskatalogen und appellativen Bekundungen. Mehr noch: Die Politik der deutschen Bundesregierung sei generell verlogen. Dies käme in ihrer Nuklearwaffen- und Waffenexportpolitik ebenso zum Ausdruck wie in ihren Beteiligungen an völkerrechtswidrigen Kriegen. Die problematischsten Modebegriffe seien »Entgrenzung, Durchdringung und Aneignung«. Sie seien der Versuch der Legitimation einer gewandelten Sicherheitspolitik. Tatsächlich ginge es jedoch um »präventive Selbstverteidigung«, das Eindringen des Militärischen in den Zivilsektor und die Aneignung fremder Ressourcen. Seit der Wahl Trumps zum US-Präsidenten habe der amerikanische Unilateralismus zusätzlich an Brisanz gewonnen. Eine neue Europäische Verteidigungsunion dürfe nicht der juristische Zuhälter der jeweiligen Interessenlage des US-Hegemons werden. Die Europäischen Staaten müssten nun ihre eigenen Sicherheitsbedürfnisse formulieren und sich zu einer strategischen Selbstbeschränkung immerwährender Neutralität verpflichten. Eine Europäische Verteidigungsunion solle lediglich über ein militärisches Residualpotential verfügen.

Der systematischen Volksverdummung durch Public-Relations-Agenturen und Medienkonglomerate geht Jörg Becker in seinem Beitrag »Krieg an der Propagandafront – wie PR-Agenturen und Medien die Öffentlichkeit entmündigen« auf den Grund. Mit ausreichend verfügbaren Finanzen könne heute jeder einen Präsidenten stürzen, einen blutig niedergeschlagenen Aufstand aus den Medien heraushalten oder der Bevölkerung einen von langer Hand geplanten Krieg schmackhaft machen. Einige PR-Agenturen seien mittlerweile übermächtig – ein gigantisches Multi-Milliarden-Business mit zehntausenden Beschäftigten. Die geschäftlichen Aktivitäten gingen jedoch weit darüber hinaus. So gründeten PR-Agenturen inzwischen sogar NGOs und Bürgerinitiativen. Sie mieteten Teilnehmer für Demonstrationen. Ziel sei es, aufgestaute Energien empörter Bürger zu kanalisieren und zu absorbieren. Damit nicht genug, auch Politiker stellten sich gern als Mietpartner zur Verfügung. Auch könne als gesichert gelten, dass PR-Firmen, Pressestellen von Unternehmen und Lobbygruppen die Medienberichterstattung weitgehend bestimmen. Nicht nur brutale Diktaturen, sondern auch sogenannte demokratische Regierungen bedienten sich der Expertise von PR-Agenturen. Werbekampagnen vor Wahlen, das systematische Vorbereiten und Anheizen von Konflikten und Kriegen, das Erfinden neuer Begriffe (Neusprech) sowie die widerwärtigste Propaganda gegen den Sozialstaat seien Spezialitäten der professionellen Manipulateure. Ein hervorragendes Beispiel der professionellen Gehirnwäscher seien die systematischen Tatsachenverdrehungen, wie aktuell eindrucksvoll im Propaganda-Krieg gegen Russland zu beobachten. Erst diese ermöglichten die aggressive NATO-Eskalation an den Grenzen zu Russland. Komplexe Realitäten würden auf primitive Erklärungsmuster reduziert. Putin würde als neuer Hitler dargestellt, als personifizierter Teufel. Wer der gigantischen Desinformationsfalle regierungs- und konzernnaher Medien entkommen will, müsse seine Kritikfähigkeit schulen.

Über die wahren Hintergründe einer schändlichen Entscheidung der Berliner Stadtverwaltung informiert Hannes Hofbauer in seinem Beitrag »Feindbildproduktion – die »ewige« Dämonisierung Russlands«. Während nach Terroranschlägen in westeuropäischen Städten das Brandenburger Tor in Solidarität mit den Opfern in den Nationalfarben der betroffenen Staaten erstrahlte, wurde dieser selbstverständliche Akt des Mitgefühls eben jenen Opfern des am 3. April 2017 detonierten Sprengsatzes in der Sankt Petersburger U-Bahn verweigert. Dieser hat 14 Menschen in den Tod gerissen und 50 schwer verletzt. Nichts sollte an die Toten von Sankt Petersburg erinnern. Nur der Hass deutscher »Eliten« auf Russland könne dies erklären. Sie würden nicht müde, Russland mit dem IS auf eine Stufe zu setzen. Dasselbe gelte für die Mehrheit der »VolksvertreterInnen« des EU-Parlaments, die dazu aufriefen, beide gleichermaßen zu bekämpfen. Insgesamt sei die medial befeuerte Russophobie nichts Neues, sondern habe ihren Ursprung bereits am Ende des 15. Jahrhunderts. Zwar hätten sich Phasen des Russland-Hasses und der Russland-Begeisterung in den Jahrhunderten abgewechselt, der Hass hätte aber im 20. Jahrhundert seinen Kulminationspunkt im »russischen Barbaren und Untermenschen« des Nationalsozialismus gefunden. Die antikommunistische Drecksarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg sei vom CIA fortgesetzt worden. Ronald Reagan hätte seine ganze Kraft in die Vernichtung der Sowjetunion gesetzt, das Land in einen verheerenden Rüstungswettlauf verwickelt und die muslimische Karte gezogen, um Russland in Afghanistan maximal zu schädigen. Nach dem Zerfall der UdSSR sei Jelzin zum neuen Hoffnungsträger der West-Eliten avanciert, weil dieser das Land der Plünderung durch internationales Kapital, Privatisierungen und der Oligarchisierung der Wirtschaft preisgegeben habe. Der Angriff der NATO auf Ex-Jugoslawien und Putins Machtübernahme hätten schließlich zu einer vollständigen Wende in den Beziehungen des Westens zu Russland geführt, weil dieser den russischen Zerfallsprozess entschieden bekämpfte. Die Krisen um Südossetien, die Verweigerung des Assoziationsabkommens der EU mit der Ukraine durch die frühere ukrainische Staatsführung, die Ost-Ausdehnung von NATO und EU bis an die russischen Grenzen und der vom Westen organisierte Regimewechsel in der Ukraine zerrütteten die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland vollends.

In seinem Beitrag »Kriegsverbrecher auf freiem Fuß« entlarvt Daniele Ganser die Herrscher der westlichen Kapitaldemokratien als Rechtsnihilisten. Aus der kaum überschaubaren Vielzahl illegaler Angriffskriege von Staaten der »westlichen Wertegemeinschaft« hat Ganser drei Beispiele für das verbrecherische Treiben herrschender »Eliten« ausgewählt. Kein einziges Massenmedium der westlichen Demokratien hätte die Verbrechen ihrer Führungseliten zum Thema gemacht. Zudem sei kein verantwortlicher Politiker dieser Länder jemals von einem Gericht verurteilt worden. Daher hätte sich in den Bevölkerungen der Angriffsstaaten der Irrglaube festsetzen können, von westlichen Demokratien gingen keine Kriege aus, auch kein Terror als Instrument der Politik. Ganser untersucht in seinem Beitrag den illegalen Angriff Großbritanniens und Frankreichs auf Ägypten im Jahr 1956, den Terroranschlag Frankreichs auf das Schiff Rainbow Warrior der Umweltorganisation Greenpeace im Jahr 1985 und den illegalen Angriff von US-Präsident Donald Trump auf Syrien am 7. April 2017. Allein diese wenigen Beispiele belegen eindrücklich, dass die Demokratien, die dem NATO-Militärbündnis angehören und zugleich im UNO-Sicherheitsrat über ein Veto-Recht verfügen, wiederholt andere Länder angegriffen hätten. Das sei eindeutig illegal, denn die Charta der Vereinten Nationen bestimme in Artikel 2 Ziffer 4: »Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede […] Anwendung von Gewalt.« Die Zeit sei überfällig, dass die Bevölkerungen Europas und Nordamerikas endlich offen über die globale Gewaltspirale diskutierten, die unsere gegenwärtige Zeit kennzeichne. Die Verbrechen der NATO-Staaten müssten schonungslos analysiert werden, um daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.

Den Herausgebern ist bewusst, dass sie mit diesem Sammelband nur einige Aspekte des »Tiefen Staates« beleuchten können. Gleichwohl sind sie davon überzeugt, dass die Autoren, die sich an diesem Band beteiligten, zumindest etwas Licht in die entsprechenden Tiefenstrukturen werfen. »Das Ende der Demokratie … wie wir sie kennen« ist aus Sicht der Herausgeber längst eingetreten. Die Indizien verdichten sich, dass die Demokratie ein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte ist und die eigentliche Macht mehr und mehr vom »Tiefen Staat« organisiert wird.

Ullrich Mies und Jens Wernicke,
im Juli 2017

1. David Talbot, The Devil’s Chessboard. Allen Dulles, the CIA, and the Rise of America’s Secret Government, HarperCollins, New York 2015, S. 10; Übersetzung aus dem Original Ullrich Mies; Deutsche Ausgabe des Werkes: David Talbot, Das Schachbrett des Teufels. Die CIA, Allen Dulles und der Aufstieg Amerikas heimlicher Regierung, Frankfurt 2016; Siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Tiefer_Staat; zuletzt aufgerufen am 04.06.2017

2. Siehe hierzu: Mike Lofgren, Essay: Anatomy of the Deep State, 21.02.2014 in Fn 1: http://billmoyers.com/2014/02/21/anatomy-of-the-deep-state/; Übersetzung des englischen Originalzitats: Ullrich Mies

3. Thomas Roth, Der Tiefe Staat. Die Unterwanderung der Demokratie durch Geheimdienste, politische Komplizen und den rechten Mob, München 2016

4. Peter Dale Scott, The American Deep State, Wall Street, Big Oil, and the Attack on U.S. Democracy, Lanham, Maryland 2015; Peter Dale Scott im Gespräch mit Hauke Ritz und Clifford Jones, Über Hegel, Geheimdienste und Drogenhandel, Hintergrund. Das Nachrichtenmagazin, 08.09.2008: https://www.hintergrund.de/politik/welt/ueber-hegel-geheimdienste-und-drogenhandel/; https://www.hintergrund.de/politik/welt/ueber-den-11-september-politische-macht-und-die-kraft-der-poesi/; zuletzt aufgerufen am 26.05.2017

5. Mike Lofgren, The Deep State, The Fall of the Constitution and the Rise of a Shadow Government, New York 2016

6. Tom Engelhardt, Shadow Government. Surveillance, Secret Wars, and a Global Security State in a Single-Superpower World, Chicago 2014

7. Siehe hierzu umfangreich: http://www.nakedcapitalism.com/2017/02/term-deep-state-focus-usage-examples-definition-phrasebook.html; zuletzt aufgerufen am 26.05.2017

8. Paul Schreyer, Das Finanzministerium, der »Deep State« und das Geldsystem, 09.04.2017: https://www.heise.de/tp/features/Das-Finanzministerium-der-Deep-State-und-das-Geldsystem-3678541.html; zuletzt aufgerufen am 25.05.2017

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