ES IST DIE KÄLTESTE Nacht des Jahres. Flocken fallen vom Himmel, Eisblumen bilden sich auf den gesprungenen Fensterscheiben. Ein Mann liegt mit seiner Frau im Bett, umarmt sie liebevoll und versucht so, sie warm zu halten. Immer wieder haucht er ihr in die Hände, umschlingt sie fest und flüstert ihr mutmachend zu.
»Gleich wird dir wärmer werden, du wirst sehen, wir schaffen das.«
Von weit her ertönt der Fliegeralarm und kündigt erneut Unheil an. Voller Panik springen die beiden auf, schlüpfen in ihre Schuhe, nehmen ihre einzige Decke und flüchten in Richtung des sicheren Kellers. Viele sind durch den Krieg getötet worden. Kinder, Männer, Frauen. Die Gewalt macht vor niemandem Halt.
Einige konnten sie retten, manche sind jedoch an ihren schweren Verletzungen gestorben. Wenn sie könnten, würden sie jedem einzelnen Toten eine würdevolle Ruhestätte bieten – doch das ist nicht möglich.
Auf dem Weg hinaus in den Hof stolpern sie über ein Bündel, das in diesem Moment anfängt zu schreien.
»Marius, ein Baby!« Trotz der Eile hebt Ellinore es sanft hoch, um es mit in ihr Versteck zu nehmen. Von Weitem kann man bereits die Flieger hören, die näher kommen. Der Himmel färbt sich rot, so als würde er bluten. In der Ferne steigt Rauch den Himmel empor. »Schhh … schhh …«, versucht Ellinore, das Baby zu beruhigen. Dabei wiegt sie es hin und her. Endlich am sicheren Versteck angekommen, öffnet Marius mit zitternden Händen die Klappe, um in die Dunkelheit hinabzusteigen. Die Treppen sind steil und waren einst von Moos bedeckt. Vor vielen Jahren hat ihr Mann diesen Schutzraum gebaut, nie aber hätten sie gedacht, so viele Nächte dort verbringen zu müssen. Es riecht modrig und Feuchtigkeit benetzt die Luft. Der kleine Raum hat sich bereits mit Menschen gefüllt. Erwachsene weinen zusammen mit ihren Kindern, während andere still und wie gelähmt dasitzen und die explodierenden Bomben zählen. »Vier, fünf …«, zählt einer der Männer.
»Hör auf!«, befielt Marius. »Damit machst du den anderen und dir selbst nur noch mehr Angst. Lass uns lieber zusammenrücken und versuchen, durch Mut und Gebet Licht ins Dunkel zu bringen.«
Der Mann nickt und Marius drückt ihm freundschaftlich die Schulter. Er tastet nach einem in der Wand angebrachten Holzbrett, auf dem Zündhölzchen liegen, und entfacht Kerzen. Nur wenige Familien aus dem Dorf haben neben seiner Frau und ihm überlebt.
Ellinore wickelt das Kind aus der Decke und betrachtet es eingehend. »Es ist von den Wolters.«
Alle schauen bedrückt zu Boden. Wieder wurden Menschen aus ihrer Mitte gerissen.
»Sie sind über uns!«, brüllt ein Junge. Nicht nur seine Stimme zittert, auch sein ausgemergelter Körper bebt.
Alle rücken näher zusammen und umarmen sich. Mütter umschlingen ihre Kinder noch fester. Und die, die alleine sind, werden von den anderen getröstet. Niemand soll jetzt einsam sein. Und als wollten sie die dröhnenden Bomben übertönen, beginnen einige zu singen.
»Still, still, still,
weil's Kindlein schlafen will!
Maria tut es niedersingen,
ihre keusche Brust darbringen.
Still, still, still,
weil's Kindlein schlafen will!
Schlaf, schlaf, schlaf,
mein liebes Kindlein, schlaf!
Die Engel tun schön musizieren,
vor dem Kindlein jubilieren.
Schlaf, schlaf, schlaf,
mein liebes Kindlein, schlaf!
Groß, groß, groß,
die Lieb' ist übergroß.
Gott hat den Himmelsthron verlassen
und muss reisen auf den Straßen.
Groß, groß, groß,
die Lieb' ist übergroß.
Auf, auf, auf,
ihr Adamskinder auf!
Fallet Jesum all' zu Füßen,
weil er für uns d'Sünd tut büßen!
Auf, auf, auf,
ihr Adamskinder auf!
Wir, wir, wir,
wir rufen all' zu dir:
Tu' uns des Himmels Reich aufschließen,
wenn wir einmal sterben müssen!
Wir, wir, wir,
wir rufen all' zu dir.«
Das Weinen der Kinder lässt nach und mit der Zeit kehrt Ruhe ein, sodass einige von ihnen in einen unruhigen Schlaf fallen.
Nach unzähligen Stunden scheint der Angriff vorüber zu sein. »Sollen wir es wagen?«, fragt Ellinore.
Gemeinschaftlich entschließen sich die Schutzsuchenden, zurück an die Erdoberfläche zu gehen. Langsam und mit klopfendem Herzen öffnet Marius die Tür des Verstecks. Dicht hinter ihm Ellinore, die das schlafende Wolterskind in den Armen hält.
Der Anblick, der sich ihnen bietet, lässt Ellinore und Marius das Blut in den Adern gefrieren. Ihr geliebtes Dorf, das zuvor bereits geschunden war, existiert nun nicht mehr.
Wo früher Häuser standen, ist nur noch eine Schicht aus Dreck und Geröll, vereinzelt brennen Schutthaufen.
Ellinore reibt sich ungläubig die Augen.
»Da, seht, ein Junge!« Eine der Frauen zeigt zur Lichtung.
Zwischen zwei Bäumen erkennt Ellinore tatsächlich einen Jungen. Selbst von Weitem sieht man, dass er geweint hat, sein Gesicht ist voller Ruß und aus seinem Mund dringt ein tiefes Schluchzen.
Ellinore, die ohnehin ein großes Herz für alle verletzten Seelen hat, läuft mit ihrem neuen Schützling in den Armen zu dem Jungen mit den haselnussbraunen Haaren hinüber, drückt ihn fest an sich. Wie paralysiert lässt er es geschehen. »Mein lieber Junge! Was hast du alles mit ansehen müssen … Komm, jetzt bist du in Sicherheit.« Mit einer freien Hand stützt sie ihn auf dem Weg zu den anderen. »Marius, komm hilf mir, er braucht Wasser!«
Verzweifelt blickt ihr Mann auf den Steinhaufen, der einmal ihr Haus gewesen ist.
»Nein!« Der fremde Junge befreit sich aus Ellinores Griff und tritt in die Mitte der kleinen Menschentraube, die ihn unverhohlen anstarrt.
Er dreht sich langsam um die eigene Achse und mustert die Überlebenden.
»Soso, ihr habt also überlebt, ihr dreckiges Ungeziefer.«
Mit entsetzten Gesichtern schaut die Gruppe sich an, so als könnte sie nicht glauben, was der eben noch so hilflos erscheinende Junge von sich gibt. Es muss der Schock sein, denkt Ellinore.
»Schaut nicht wie die Schafe, dachtet ihr wirklich, dass ich eure Hilfe bräuchte?« Mit jedem dieser Worte tritt er näher an ein kleines Mädchen heran. »Was seid ihr schon? Dreckige Menschen, unwürdig, um von mir angeschaut zu werden!« Und als wolle er seine Worten Nachdruck verleihen, legt er seine Hände an beide Seiten vom Kopf des Mädchens und bricht ihr ruckartig das Genick.
Leblos sackt sie auf den Boden. Die Mutter starrt für einen Moment ungläubig auf ihr totes Kind. Dann beginnt ihr schriller Schrei. Mit einer Handbewegung bringt der Junge sie zum Schweigen. Lediglich ein Röcheln entrinnt ihren plötzlich zugenähten Lippen.
»Was glotzt ihr so erschrocken? Keine Sorge, ihr seid auch gleich dran. Aber vorher bekommt ihr noch eine Vorstellung geliefert, die euch über den Tod hinaus verfolgen wird!« Er klatscht in seine Hände, sodass alle von einer unsichtbaren Macht umklammert werden. »Mit wem fange ich an?«
Die Hände vor seiner Brust verschränkt, schreitet er auf und ab. »Ene, mene …« Seine Finger zählen die Gefangenen ab. »… Muh!« In diesem Moment schleudert er ein Messer in Marius' Kopf. »Dein Gestank war widerlich.«
Ellinore schluchzt laut auf, als Marius' lebloser Körper auf dem Asphalt aufschlägt und sich eine Blutlache unter ihm bildet. Begehrlich beugt er sich über sein Opfer und streift mit einem Lächeln über die Blutlache.
»Weib, hör schon auf zu weinen! Für dich wähle ich einen anderen Weg.« Mit einem Fingerschnippen lässt er Ellinore zu sich gleiten. Ihre Augen sind starr vor Angst, kleine Schweißperlen laufen die Stirn hinunter.
»Damit du im Jenseits nicht vergisst, wer ich bin: Mein Name ist Peter Pan und ich bin der gefürchtetste Dämon dieser und aller Welten!« Nun lässt er eine Klinge erscheinen und durch Ellinores Kehle gleiten, als sei sie ein Stück Butter. Ihr Blut fängt er mit seiner hohlen Hand auf, um es dann genüsslich zu schlürfen.
Immer tiefer in die Dunkelheit zieht es Ellinore, eine bleierne Schwere legt sich auf ihre Brust. Bilder ziehen an ihr vorüber. Der Krieg, ihr geliebter Mann und dieser unendliche Schmerz. So fühlt sich also Sterben an.
Bis alles endet und sie auf etwas Hartes fällt. Sofort beginnt Ellinore zu keuchen und hält sich ihren Hals. In der Erwartung, gleich die Hände voller Blut zu haben, schaut sie auf sie hinab, doch da ist nichts. Langsam lässt sie ihre Finger erneut ihren Hals entlanggleiten, ertastet die Stelle, an der das Messer seinen tödlichen Schnitt gemacht hat. Doch da ist noch immer nichts. Weder eine tiefe Fleischwunde noch ein Kratzer.
Ich muss träumen. Sie klopft sich auf ihre Wangen, in der Hoffnung, sie würde so aus ihrem Albtraum erwachen. Doch was sie auch versucht, sie bleibt hier gefangen.
»Ellinore!«
War das etwa Marius? Unsicher dreht sie sich um, und tatsächlich: Ihr geliebter Mann steht vor ihr. Auch er ist unversehrt.
»Wo … wo sind wir?«, flüstert sie und gibt ihm ihre Hand, die er sogleich fest umschließt.
»Ich weiß es nicht. Ich dachte, ich träume und wache gleich neben dir auf …«
»Nein, weder träumt ihr noch habt ihr euren Verstand verloren. Ihr seid die Opfer des ältesten Bösen geworden.« Erschrocken fahren die beiden zusammen. Als sie sich umdrehen, erblicken sie eine Gestalt, die so schön und strahlend ist, wie alle Sterne dieser Welt es nicht sein könnten.
Ihr Kleid ähnelt weißen Orchideenblüten, zart und sanft fließend. Das Haar der Unbekannten schimmert, als sei es aus Diamanten. Geblendet von ihrer Schönheit schirmt das Ehepaar sich die Augen mit den Händen ab.
»Bist du … ein Engel?«, fragt Ellinore die Unbekannte, die nun liebevoll lächelt.
»Nein, ich bin diejenige, die über die Sterne wacht und alles in seine Bahn bringt. Ich bin die, die euch auserwählt hat.«
Immer noch keinen Rat wissend, schauen die beiden sich an.
»Hört mir zu! Ich habe euch erwählt, damit ihr ein neues Reich aufbaut. Eure Herzen sind so gut und rein wie keine anderen in eurer Welt. Leider musstet ihr erst durch die Hölle gehen und das Böse selbst musste euch töten. Ich habe euch abgefangen, als ihr zu himmlischen Gefilden hinaufgestiegen seid. Neun Tage habt ihr Zeit, um dieses Reich zu formen. Dann werden nach und nach Menschen kommen, die in Not sind. Bis dahin müsst ihr bereit sein, sie aufzunehmen und ihre Herzen zu heilen. König und Königin werdet ihr sein, bis die Prophezeiung erfüllt ist.«
»Was … was für eine Prophezeiung?«, fragt Marius.
»Geduld. Ich werde euch jetzt mit dem Kuss des Wissens segnen.«
Noch bevor Ellinore und Marius aufbegehren können, lässt die Unbekannte ihren Atem in Form eines Kusses auf die beiden gleiten.
Als der Kuss sie trifft, sinken sie auf die Knie und senken ehrfürchtig ihre Köpfe.
»Wir tun, wie uns geheißen, Sternenfee.«
»Einen Strand soll es geben und der Sand ist aus den Träumen unserer zukünftigen Bewohner. So zahlreich und niemals vergessen. Das Meer soll sich mit ihren Tränen füllen, als Zeichen, dass sie nie vergessen sind«, spricht Ellinore zu ihrem Mann.
»Du hattest schon immer eine philosophische Seite«, gibt er ihr zur Antwort und küsst sie sanft auf die Stirn. Die beiden haben sich an die neue Macht gewöhnt.
Sie begreifen schnell, dass sie neue Schöpfungen nur vor ihrem inneren Auge ausmalen müssen, damit sie wahr werden.
»Ich will einen Wald und zu jeder Jahreszeit soll er die Vergänglichkeit des Erlebten offenbaren.«
So geschieht es. Nimmerland nimmt mit jedem bewusst projizierten, inneren Bild Gestalt an. All diese Schöpfungen haben ihre eigene Bedeutung und zusammen bilden sie das große Ganze. Die Schönheit und die Trauer derer, die bald eine neue Heimat hier finden.
Irgendwann geben sich Marius und Ellinore der Erschöpfung hin und fallen in einen tiefen Schlaf. In ihren Träumen erscheint ihnen abermals die Sternenfee.
»Ihr habt wahrlich Großes geleistet, nun ist es an der Zeit, dass ihr euch für eine Weile trennt. Ellinore, du wirst mit mir zusammen jemand ganz Besonderen hierherholen. Noch ist diese arme Seele gefangen und gequält in der Menschenwelt. Marius, du wirst dein Werk tun und dieser Insel zu mehr Größe verhelfen. Morgen werde ich zu euch stoßen, denn wir haben viel zu tun.«
»Bist du bereit, Liebes?« Liebevoll greift die Fee nach Ellinores Hand. »Es wird dich Überwindung kosten und dein Herz wird viele Tränen weinen. Bedenke, wir werden den Ergebenen des Bösen begegnen. Es wird tiefe Wunden in deinem Herzen hinterlassen.
Seufzend, aber vollen Mutes, nickt Ellinore.
Das Meer beginnt zu wabern und der Erdboden zu grollen. Wellen so hoch, dass sie ein Schiff problemlos verschlingen könnten, steigen empor. Dann ist alles still.
Brennende Schmerzen durchzucken seinen Körper, quälen ihn und lassen ihn vergessen, dass er einmal ein Mensch gewesen zu sein scheint. Wie lange er schon hier ist, weiß er nicht. Die Realität hat ihn verlassen.
»Du bist ein Nichts! Sogar zu schade für die Ratten an Bord! Ein Bastard, das Kind einer Hure!« Ein in Leder gekleideter Mann steht über ihm und ergötzt sich an seiner Pein. Der letzte Schlag macht ein Geräusch, als würde man einem Huhn den Kopf abreißen. Dann umfängt ihn gnädige Dunkelheit.
»Seit Monaten ist der Mann schon hier. Soldaten haben ihn gefangen genommen – alles im Auftrag von ihm. Er wollte Nachschub, weil seine letzte Mahlzeit zu lang her war. Doch der nun Gequälte weigerte sich beharrlich, ihm Kinder zu bringen. Wie du siehst, liebt es der Dämon, widerspenstige Sklaven zu quälen, bis sie um ihren Tod betteln. Dieser junge Mann hier ist ein zäher Hund, vermutlich stärker, als Peter Pan gedacht hat.«
Die Sternenfee verstummt. Und während Pans Opfer in der Dunkelheit seiner Bewusstlosigkeit gefangen ist, ringt Ellinore um Luft.
»Ich sagte dir, es wird nicht leicht werden. Menschliche Abgründe sind finster und kalt.«
Ein Krächzen, mehr bekommt Ellinore nicht heraus.
»Ich werde ihn mit deiner Hilfe hierherholen, denn ihm wird eine zentrale Rolle zuteilwerden.«
Kurz schaut Ellinore irritiert zur Sternenfee. Aber es ist nicht ungewöhnlich, dass sie in Rätseln spricht. Eines weiß Ellinore ganz sicher, ihre Begleitung gehört zu den Guten.
»Lange hält er nicht mehr durch, wir müssen ihn hierherholen. Reich mir deine Hand und bring den Gefangenen zu Marius in Sicherheit. Achte darauf, dass sich wirklich nur du und der Gefangene nach Nimmerland begeben. Sag, wenn du bereit bist.«
Noch einmal tief durchatmend gibt Ellinore ihr Okay.
Und die Sternenfee beginnt zu singen.
»Hoch oben am Himmel, die Sterne so hell.
Das Meer aus den Tränen der Verlorenen, unergründlich und rein. Berge der Hoffnung prangen empor, Wälder der Vergänglichkeit und Sand aus Träumen sind von nun an deine Heimat.
Berufen, um Großes zu tun, um Leben zu schaffen zu eurem Ruhm.
Steige empor zum neuen Leben, nimm das, was dir gegeben, um dich zu erheben.«
Mit jeder neuen Zeile drängt sie die Wellen beiseite, weiter und weiter, bis ein Mann aus den Tiefen des Meeres auftaucht. Schulterlange, schwarze Haare hängen in Strähnen an ihm herab, sein Gesicht ist von Schmerz gezeichnet. Aus seinen Augen ist fast alles Leben gewichen. Panisch rudert er mit seinen Armen und versucht, über Wasser zu bleiben.
Augenblicklich erwacht Ellinore aus ihrer Trance und will in die tosende Flut springen. Doch die Sternenfee hält sie davon ab.
»Nein, diesen Schritt muss er selbst schaffen, er muss aus eigener Kraft aus dem Sog seiner Vergangenheit herauskommen.«
»Aber er wird ertrinken«, protestiert Ellinore.
»Sprich zu ihm, sag dass du da bist, doch den Weg finden muss er selbst.«
»Schhh … schh. Alles ist gut, du bist in Sicherheit«, ruft Ellinore und hat Mühe, mit ihrer Stimme gegen das Rauschen der Wellen anzukämpfen.
»Schwimm zu mir her.«
Mit letzter Kraft versucht der Fremde, zum rettenden Ufer zu gelangen, schreiend und um Hilfe rufend. Nun hat die Fee alle Mühe, Ellinore aufzuhalten. Doch schließlich hat er es geschafft und ist in Sicherheit.
Ohnmächtig sackt er vor den Füßen der Frauen zusammen.
Bestimmt, aber freundlich, rüttelt Ellinore an seiner Schulter. »Hallo, aufwachen!«
Nur langsam kommt wieder Leben in den Fremden und er beginnt, sich zu rühren. Gerade noch ohnmächtig von der Folter und der Anstrengung, springt er auf, schlägt um sich und registriert nicht, dass er bereits in Sicherheit ist. Es dauert eine Weile, bis er sich umsieht und endlich begreift, dass er nicht mehr auf dem Sklavenschiff ist. »Wer seid ihr, wo bin ich?« Immer noch mit leicht erhobenen Fäusten steht er da.
»Du bist hier in Nimmerland und ich bin Ellinore, deine Königin. Mein Mann Marius und ich werden dir alles zeigen.«
Er runzelt die Stirn. »Und wer ist sie da?« Fast schon wie ein kleiner Junge blickt er zur Sternenfee und zeigt mit dem Finger auf sie.
Die Sternenfee lächelt. »Ich habe viele Namen. Hier nennt man mich Sternenfee. Ich bin die Hüterin des Guten und die Mutter aller Sterne. Wir haben dich aus Peter Pans Fängen gerettet, damit du hier ein neues Leben beginnen kannst.«
Skeptisch schaut er zwischen den beiden Frauen hin und her. »Und warum habt ihr mir nicht aus den Wellen geholfen?«
»Diesen Schritt musstest du selbst tun, nur du allein kannst dich von den Strömen deiner Vergangenheit befreien, es war eine Art Test, ob du bereit für ein neues Leben bist«, antwortet die Sternenfee ernst.
Dann weiten sich seine Augen. »Ich bin tot!«, keucht er entsetzt.
»Aber nein, ganz im Gegenteil!«, antwortet nun wieder Ellinore. »Du bist in Sicherheit.«
Der Fremde kratzt sich am Kopf, als wollte er versuchen, das Geschehene so in sein Gehirn einzumassieren.
Schließlich verneigt er sich vor ihnen. »Mein Name ist James Hook.«
Viel Zeit ist vergangen, seit Hook als einer der ersten Menschen nach Nimmerland kam. Seine Wunden sind verheilt, nur sein Herz ist von Zeit zu Zeit bleischwer. Fast hätte ihn der Dämon um den Verstand gebracht. Aber dank der Hilfe seiner neuen Freunde heilte auch der.
Mittlerweile sind es Unzählige mehr, die in Nimmerland leben. Aus verschiedensten Dimensionen, Kulturen und Welten.
Da sind Meerfrauen, Feen, Indianer, aber auch Menschen. Eines haben sie alle gemeinsam. Sie waren verstoßen, geächtet und verloren. Jeder hat hier einen Platz gefunden und lebt unter der Regentschaft von König Marius und Königin Ellinore, denen die Sternenfee als weise Beraterin zur Seite steht.
Wie so oft, sitzen sie gemeinsam an einem runden Tisch auf der großen Lichtung. Hook und seine Frau, die Sternenfee, der König und die in freudiger Erwartung stehende Königin.
Der Blick der Sternenfee wandert nachdenklich in die Ferne. »Bald wird das Böse einen Weg hierher finden. Wir sind alle in Gefahr. Die Ältesten der Zeit sandten mir einen Traum, um uns zu warnen. Wir müssen vorbereitet sein.«
Ellinore fährt erschrocken hoch. »Der Dämon?«
Zu gut erinnert sie sich noch an ihn. Selbst heute hat sie die Bilder, wie er tötet und wütet, vor ihrem inneren Auge. Wie das Messer in Marius' Kopf steckt. Sie beginnt sofort zu zittern.
»Liebes, setz dich. Du weißt, Aufregung tut unseren Babys nicht gut!« Liebevoll streicht ihr Mann über den runden Bauch und zieht sie neben sich auf den Stuhl. Er nickt der Sternenfee zu. »Nenn uns die Prophezeiung.«
»Königliches Blut wird fließen und die Tür der Dunkelheit öffnet sich.
Das Grauen wird wüten und der Nordstern erlischt.
Tod und Schatten werden herrschen.
Das Mädchen mit dem Siegel, geboren auf Wellen, wird besiegen die tödliche Macht.«
»Das ist unser Tod!«, platzt es aus Hook heraus. »Ich dachte, wir sind hier sicher und uns kann nichts passieren!« Ein leichter Vorwurf schwingt in seiner Stimme mit.
»Mein lieber James. Natürlich seid ihr hier sicher. Zumindest bis zu dem Tag, an dem das Böse selbst hier einziehen wird. Aber es gibt Hoffnung. Das Mädchen, ich weiß nicht wann und wie, aber …« Die Sternenfee kommt nicht dazu, ihren Satz zu beenden.
»Die Kinder! Eines davon wird unsere Rettung sein!« Freudig klatscht Marius in seine Hände.
»Ja, Marius. Das hoffe ich sehr, denn ich spüre, das Böse ist nicht mehr weit. Aber was ist mit dem Königlichen Blut gemeint?«, gibt Ellinore zu bedenken.
»Darauf, meine Liebe, habe ich leider auch keine Antwort. Aber wir müssen uns vorbereiten und auf die Zeichen achten. Bitte geht behutsam mit unserem Wissen um. Lasst es nicht hinausdringen, wir müssen Panik vermeiden.«
Alle Beteiligten nicken zustimmend und als Ellinore sich erhebt, stößt sie ein schmerzerfülltes Keuchen aus.
Alle schauen zu ihr.
»Diese ist schlimmer.«
Marius erklärt: »Sie hat den ganzen Tag schon Wehen.«
Nun beginnt sich Aufregung unter den Versammelten breitzumachen. Jeder will helfen, um Ellinore eine möglichst unkomplizierte Geburt zu bereiten.
Viele Stunden sind vergangen, als Schreie des Lebens über die Insel tönen. Sie sind geboren, die Königskinder.
WENN EIN FREUND in deinen Armen stirbt, nimmt er ein Stück von dir mit sich. Ich habe mittlerweile so viele Freunde sterben sehen, dass ich eigentlich nicht mehr existieren dürfte. So wie jetzt. Wieder muss ich jemandem beim Sterben zusehen, und wieder geht ein Teil von mir dabei verloren.
Mit aller Kraft presse ich meine Hände auf Alecs triefende Bauchwunde, rede auf ihn ein, sehe mich nach Hilfe um, obwohl ich genau weiß, dass nichts von alledem noch Sinn hat. Es ist zu viel Blut. Zu viel klebriges Rot, das meine Hände und den staubigen Boden bedeckt. »Du hältst durch! Verstanden?« Meine Stimme zittert und gleichzeitig fühlen sich die verzweifelten Worte schon viel zu vertraut auf meiner Zunge an. Ich weiß, dass er nicht durchhalten wird. Er nickt. Er weiß es ebenfalls. Alec versucht etwas zu sagen, aber alles, was seinen Mund verlässt, ist nur noch mehr Blut. Er hustet einen Schwall der warmen Flüssigkeit in mein Gesicht. Schnell schließe ich die Augen und wende mein Gesicht ab. Nicht etwa aus Ekel oder Abscheu, sondern weil ich ihm nicht mehr in seine dunklen Augen sehen kann. Sie schließen sich flatternd, und sein Griff um meine Hand wird immer schwächer. Er stirbt, und ich kann nichts dagegen unternehmen, außer ihn nicht alleine zu lassen, wenn er geht. Niemand sollte in diesem letzten Moment einsam sein. Unser Leben wird bestimmt von Gewalt und Einsamkeit und zumindest in unserem letzten Augenblick auf der Erde, sollte dies anders sein.
Mühsam schleife ich den Leichnam meines Freundes über die Straße, während auf der anderen Seite weitere Salven abgegeben werden. Die Schulter, an der mich vor etwa zehn Minuten eine Kugel gestreift hat, pocht wie verrückt, aber ich werde Alec nicht wie ein Tier auf der Straße liegen lassen. Die Sonne steht mir im Rücken und taucht die Welt in ein absurd harmonisches Licht. Für einen Moment schließe ich die Augen und versuche zu verstehen, was hier passiert, wie es soweit kommen konnte, wie es sein kann, dass die Welt scheinbar immer noch nicht verstanden hat, dass sie untergeht. Es ist viel zu viele Jahre her, dass die Menschen die Gewässer der Welt unwiderruflich verschmutzt haben und daran zugrunde gegangen sind. Zu viele Jahre, seit nur noch vereinzelte Personen die Möglichkeit dazu haben, das Trinkwasser wieder zu entgiften und sich dadurch die Macht über alle anderen sichern konnten. Es ist zu lange her, dass die meisten Menschen tagtäglich um ihr Leben kämpfen müssen, während die anderen im sauberen Wasser baden. Und obwohl es schon so lange so ist, kann man sich einfach nicht damit abfinden. Wir alle sind in dieses System hineingeboren. Ich bin seit sieben Jahren Soldat. Mit vierzehn bin ich der Armee beigetreten, weil ich das Richtige tun wollte. Weil ich die Welt irgendwann vor genau jenen schützen wollte, die jetzt meine Kameraden sind. Damals war mir nicht klar gewesen, wie nah Gut und Böse manchmal beieinanderliegen können. In Momenten wie diesen frage ich mich, ob in einer Welt wie dieser überhaupt noch jemand wirklich gut sein kann. Bei einem letzten Blick auf meinen Freund, der von einem der Clans, die wir bekämpfen, erschossen wurde, steigt Wut in mir hoch. Doch noch mächtiger als die Wut ist die Zerrissenheit. Wer ist mein Feind? Wer mein Freund? Für wen kämpfe ich eigentlich?
Ich bin Cole und ich bin Soldat, obwohl ich insgeheim den Rebellen diene. Doch ich bin inzwischen schon so lange hier, habe so vieles gesehen, so viel getan, worauf ich nicht stolz bin, dass ich eigentlich nicht mehr weiß, wofür ich eigentlich einstehe und kämpfe. Cole verschmilzt immer mehr mit dem Soldaten, den ich darstellen soll.
»Miller! Was treibst du da hinten? Wir brauchen dich!« Ich klammere mich an mein Gewehr und marschiere auf meinen Truppenführer zu, dessen Gesicht beinahe so blutverschmiert ist wie meine Hände. Sein Blick wirkt gehetzt. Immer wieder wandert er von mir zurück zu dem Feld, auf dem dutzende unserer Männer gegen den Feind kämpfen.
Je näher ich der Schlacht komme, desto mehr wird mein Blick von Nebel getrübt. Mit jedem Schritt werden die Rufe und Schreie lauter. Mit jedem Schritt verliere ich einen weiteren Teil meiner selbst. »Du wirst hier gebraucht, Miller!« Rabiat packt mein Kommandant mich an der Schulter und stößt mich in Richtung der kämpfenden Männer. Der Clan hat es irgendwie geschafft, eines unserer Waffenlager zu überfallen, und wir dürfen sie auf keinen Fall damit davonkommen lassen. Die Welt ist ein Trümmerhaufen und dazu dürfen Waffen keineswegs in die falschen Hände gelangen. Paradoxerweise meine ich mit besagten falschen Händen tatsächlich nicht die der Armee. Diese Clanmitglieder sind Abtrünnige, die nirgends ein Zuhause haben. Manche Menschen denken, die Clans gehören zu den Rebellen, doch es könnte nicht gegenteiliger sein. Die Rebellen kämpfen für die Freiheit der Menschen. Die Clans kämpfen nur für sich selbst. Sie plündern Dörfer, morden und vergewaltigen Frauen und Kinder. Manchmal ist das geringere Übel die bessere Wahl. Und in diesem Fall sind sie das größere. Würden diese Männer an die Macht gelangen, wäre jede Hoffnung und jeder Kampf umsonst. Ich wage es kaum, mir eine Zukunft vorzustellen, in der es dazu kommen könnte.
Ein paar Meter entfernt von mir explodiert eine Granate und reißt etliche Männer zu Boden. Wer zu wem gehört, lässt sich in diesem Tumult nicht mehr differenzieren. Einzig die Mission zählt. Ich ducke mich vor den Splittern, die die Luft durchbohren, und suche in dem Gedränge nach meinen Kameraden. Es ist nie gut, wenn aus Kameraden Freunde werden. Es ist sogar offiziell unerwünscht, aber ich war noch nie ein Einzelkämpfer. Mit erhobenem Gewehr stürme ich über das Feld zu dem umgestürzten Autowrack, hinter dem sich meine Kameraden verschanzt haben. Die meisten von ihnen sind in meinem Alter, allerdings noch nicht so lange dabei wie ich. Einige haben noch nie getötet. Anders als ich.
Man vergisst sein erstes Opfer nie. Als ich hinter dem Wrack ankomme, presse ich mir die Fäuste auf die geschlossenen Augen, um es zumindest für diesen Augenblick zu versuchen. Ich kann und will nicht noch einen meiner Freunde verlieren. »Wie läuft’s?«, frage ich, sobald ich mich gefangen habe. Bis ich spreche, sagt keiner der drei ein Wort. Wir kennen uns. Sie kennen mich. Wir alle haben unsere Päckchen zu tragen. Meines ist die Erinnerung.
»Ist ruhig heute«, scherzt Williams, doch ich höre deutlich die Panik in seiner Stimme. Es ist das erste Mal, dass er einem Gefecht so nah ist. Bis heute war er immer nur als Fahrer eingeteilt gewesen oder hat den Stützpunkt überhaupt nicht verlassen. Auch die andern zwei pressen den Rücken fest gegen das Blech des Autowracks und die Waffen dicht an ihre Bäuche. Schweiß und Dreck bedecken ihre Gesichter, rinnen ihre Hälse hinab.
»Wir hauen ab!«, beschließe ich kurzfristig, als sie bei einer weit entfernten Explosion zusammenzucken.
»Aber der Kommandant –«, wirft Maxon schwach ein, wird allerdings schnell wieder von mir unterbrochen.
»Den Kommandanten interessiert es nicht, wenn ihr draufgeht. Mich schon. Ihr seid noch nicht so weit.«
Die drei tauschen unsichere Blicke aus, nicken dann jedoch und begeben sich in die Hocke. »Sag uns, wo wir hinsollen. Wir folgen dir.« Ihre schmutzbedeckten Gesichter nehmen einen völlig neuen Ausdruck an. Respekt.
Sie folgen mir. Ich bin ihr Anführer.
Ich nicke ihnen kurz zu, drehe mich dann auf der Ferse um und prüfe die Lage. Vier Meter von uns entfernt schlagen gerade zwei Kerle aufeinander ein, und obwohl ich gerne eingreifen würde, verfolge ich jetzt ein völlig anderes Ziel. Wenn ich meine Jungs heil hier rausbringen will, muss ich sie von dem Gemetzel fernhalten.
»Hier entlang!« In geduckter Haltung laufe ich vor und bete, dass die drei mir folgen und sich nicht erwischen lassen. Eng zusammengedrängt sprinten sie hinter mir her, und doch muss ich immer wieder hinter Müllcontainern oder anderen Deckung bietenden Verstecken innehalten, um auf sie zu warten.
Als wir den Rand des Feldes erreicht haben, drehe ich mich zu ihnen um und deute auf die getarnten Fahrzeuge hinter mir, mit denen wir vorhin angekommen sind. Für gewöhnlich sind die Wägen bemannt, damit wir im Notfall schnellstmöglich abhauen können, doch heute wurde jeder von uns in der Schlacht gebraucht. Dass noch nicht alle bereit waren zu kämpfen, interessierte niemanden. »Versteckt euch hinter dem Hummer und wartet einfach ab. Wenn alles vorbei ist, müsst ihr so tun, als wärt ihr gerade erst angekommen. Niemand wird etwas bemerken.«
Maxons Blick huscht hektisch umher. Bis auf uns befindet sich niemand so weit außerhalb des Blutbades. »Können wir nicht einfach abhauen? Ich ertrage das alles nicht mehr, Cole!« Mein Magen macht einen Satz. Wie oft habe ich selbst schon darüber nachgedacht, einfach zu türmen. Einfach das Weite zu suchen und nie wieder zurückzukommen. Ich hätte es tun können. Der Widerstand hätte mir einen sicheren Unterschlupf verschafft. Aber zu was für einem Mann würde mich das machen? Was hätte ich dann in meinem Leben erreicht? All die Opfer, die ich gebracht habe, das Leid, das ich erlebt und verursacht habe, durften nicht umsonst gewesen sein. All die Jahre durfte ich nicht einfach so wegschmeißen. Doch das konnte ich diesen Jungs nicht sagen. Freundschaft ist eine Sache – Vertrauen eine ganz andere.
»Wenn ihr flieht, werden sie euch finden und exekutieren!«, versuche ich ihn von seiner Idee abzubringen. Die anderen sagen kein Wort, aber Maxon sieht nicht überzeugt aus.
»Aber vielleicht –«, stammelt er.
»Nichts, vielleicht! Ihr müsst hierbleiben! Klar?« Sie nicken synchron, und ich mache mich wieder auf den Weg zurück, obwohl ich am liebsten hierbleiben würde. Ein mulmiges Gefühl begleitet mich, aber der Kommandant würde mich vermissen. Er hat mir nie wirklich vertraut, und ich weiß nicht, ob er es mittlerweile tut. Ich darf ihm keine Gründe zum Misstrauen geben.
Es dauert nicht lange. Nur ein paar Schritte. Einige Meter. Wenige Minuten. Dann wird mein mulmiges Gefühl bestätigt.
Ich höre sie. Die Explosion. Aus der Richtung, in der meine Freunde sich verstecken. Ich wage es beinahe nicht, mich umzudrehen, denn ich ahne bereits, was passiert ist. Meine Ohren klingeln, während sich meine Lunge mit stickiger Luft füllt. Langsam drehe ich mich um. »Nein!«, presse ich erst gedämpft hervor. Dann brülle ich. Noch bevor meine Waffe den Boden berührt, renne ich auf den Wagen zu, weiß jedoch nur zu genau, dass jede Hilfe zu spät kommt, dass ich nichts tun kann. Eine riesige Stichflamme lässt die Scheiben des Wagens bersten. Als ich mit hämmerndem Herzen näherkomme, steht der Hummer bereits in Flammen, die meterhoch in den Himmel empor lodern.
Sie haben nicht auf mich gehört. Sie wollten abhauen.
Einer der Feinde muss eine Autobombe im Wagen installiert haben. Ich stürme weiter auf das brennende Fahrzeug zu, obwohl ich nicht den blassesten Schimmer habe wozu. Heiße Tränen brennen in meinen Augen und vernebeln mir die Sicht. Nur ein schmerzhaftes Stechen tief in der Brust ist das einzige Anzeichen dafür, dass ich noch am Leben bin. Ansonsten fühle ich mich leer. Die Schreie scheinen verstummt, die Schmerzen in meiner Schulter verschwunden. Mit einem erstickten Atemzug lasse ich mich auf die Knie sinken und beobachte die Flammen, die das ganze Fahrzeug in sich gefangen halten.
Ich habe versucht, sie zu schützen, und doch bin ich nun schuld an ihrem Tod.
Als ich aus dem Augenwinkel einen Schatten erspähe, springe ich auf, öffne in einer einzigen Bewegung den Halter an meinem Gürtel und ziele mit meiner Glock auf die fremde Person. Es ist kein Soldat, das erkenne ich sofort. Er steht nicht stramm, bewegt sich zu weich. »Stehen bleiben!« Trotz der Wut und der Trauer ist meine Stimme so fest, dass er sofort stillsteht und sich sogar zu mir umdreht. Er ist alt und trägt auf dem Rücken einen riesigen Sack. »Warst du das mit der Bombe? Rede!« Mit großen Schritten gehe ich auf ihn zu, die Waffe keine Sekunde von seinem Gesicht abgewandt. Es sieht nicht so aus, als wäre er bewaffnet, aber ich werde keinen Fehler machen.
Nicht noch einen.
»Wäre ich nicht längst verschwunden, wenn es so wäre?« Seine Stimme ist ruhig. Als ich vor ihm stehe, erkenne ich, dass ich recht hatte. Er ist alt. Alt und zerbrechlich. Er rückt den Sack zurecht, den er immer noch über der Schulter trägt, und sieht mich unverhohlen an. Nicht so, als hätte er etwas zu verbergen oder gar Angst. Er sieht mich vielmehr an, als wären wir alte Freunde, die sich auf dem Markt treffen und über das Leben plaudern. Der einzige Unterschied ist, dass meine Waffe immer noch nur ein paar Millimeter vor seinem Gesicht schwebt. Ich schlucke. Ich bin kein Mörder. Ich will das nicht, aber wie könnte ich ihn einfach so gehen lassen? Sein Blick zuckt an mir vorbei zu dem in Flammen stehenden Wagen. »Waren es Freunde von dir?«
»Soldaten haben keine Freunde«, rattere ich den Satz herunter, der mir all die Jahre eingebläut wurde.
»Verstehe. Und trotzdem trauerst du um sie.« Es tut weh. Er hat recht. Im Moment habe ich keine Zeit dazu, doch sobald Ruhe einkehrt, werde ich um sie trauern. Um all die Freunde, die ich nie hätte haben dürfen und die ich endgültig verloren habe.
»Was tust du hier?«, frage ich mit harter Stimme.
»Es gibt Menschen, die ich beschützen muss.« Er lässt den Blick über mich wandern, bis er mir wieder direkt ins Gesicht sieht. Seines ist ruhig und er wirkt beinahe zufrieden. »Du bist keiner dieser hirnlosen Uniformträger, die auf alles ballern, was sich bewegt, das sehe ich. Vielleicht können wir uns gegenseitig von Nutzen sein. Du willst das hier doch genauso wenig wie ich, stimmt´s?« Er muss mir nicht erklären, was genau er damit meint. Wir beide wissen es nur zu genau. Ich antworte nicht, beobachte den Kerl mit Argusaugen und registriere jede seiner Bewegungen. Er sieht nicht aus wie eines der Clanmitglieder. Zu alt. Zu mager. Zu zerbrechlich. »Wer bist du? Und wieso sollte ich dich nicht auf der Stelle erschießen?«
»Wer bist du? Und wieso tust du es nicht?« Seine Stimme ist vollkommen ruhig, als er sich lächelnd umdreht und weitergeht. Als ich nicht folge, bleibt er einen Moment lang stehen, und dreht sich auffordernd um. »Worauf wartest du? Willst du nicht herausfinden, wer ich bin und was ich dir bieten kann?«
Ich werfe einen Blick über die Schulter zu meinen verbliebenen Kameraden, die weiterhin gegen den Clan kämpfen. Obwohl ich an ihrer Seite stehen müsste, weiß ich, dass ich dort nie hingehört habe. Ich folge dem fremden Mann mit den eingefallenen Wangen. »Wohin gehen wir?«
Er schlendert über den Platz, als hätte er alle Zeit der Welt. Als würden die Todesschreie nicht bis zu ihm durchdringen. »Nicht weit von hier entfernt befindet sich ein Versteck, in dem sich zwei Familien verbergen. Wir haben nicht viel und können noch weniger ausrichten. Die Waffen brauchen wir zu unserem Schutz.« Natürlich weiß ich längst, dass der Sack über seiner Schulter voller gestohlener Gewehre und Pistolen ist. Wenn man jeden Tag mit diesen Dingen zu tun hat, erkennt man so etwas schon aus etlichen Metern Entfernung.
Ich sollte es nicht tun, aber ich folge ihm. Ein Mann, der in Anwesenheit des Todes so ruhig ist, muss eine interessante Geschichte haben. Ich will sie hören und gleichzeitig von ihm lernen. Sieben Jahre bin ich nun schon hier und bin kurz davor aufzugeben. Wie schafft er es bloß, einem Wildfremden, der mit einer Waffe auf ihn zielt, zu vertrauen?
»Wieso vertraust du mir?«, frage ich darum, als ich zu ihm aufschließe und die Glock wieder an ihrem Platz verstaue Ich habe nicht das Gefühl, dass eine Gefahr von ihm ausgeht. Außerdem könnte ich ihn notfalls mit bloßen Händen aufhalten.
Er hält einen Augenblick inne, sieht mich an und lächelt schwach. »Weil du gute Augen hast. Vielleicht liegen im Augenblick noch Schatten über ihnen, aber irgendwann wirst du wieder verstehen, worum es dir in Wirklichkeit geht.«
»Und was, wenn nicht?«, flüstere ich und spreche damit meine größte Angst aus. Was, wenn ich es irgendwann völlig vergesse?
Er zuckt mit den Schultern und sieht mich von der Seite an. Seine Augen lächeln, und tiefe Fältchen bilden sich neben ihnen. »Vertrau mir. Die Welt ist nicht nur böse. Du wirst dich irgendwann entscheiden müssen.«
»Ich weiß nicht, ob ich noch irgendetwas erreichen kann. Ich habe das Gefühl, dass unter dem ganzen Schutt meiner Seele nichts mehr von meinem wahren Selbst übrig ist« Was tue ich hier nur? Ich kenne diesen Mann nicht und vertraue ihm trotzdem meine größten Ängste an. Aber was habe ich denn andererseits noch zu verlieren? Das Knirschen der Steine unter unseren Füßen ist so laut, dass die Geräusche des Kampfes vollkommen übertönt werden. Es ist beinahe, als wären sie nur eine vage Erinnerung, die sich nicht völlig aus meinem Kopf lösen will.
»Irgendwann wird es jemanden geben, der dich braucht, mein Junge«, lacht der alte Mann matt und richtet den Blick wieder nach vorne. »Irgendwann wird alles seinen Sinn haben.«
Ich blicke ebenfalls nach vorne. Sehe ein Gesicht vor meinem inneren Auge auftauchen, an das ich schon lange nicht mehr gedacht habe. Ich denke an sie, daran, was ich mir vor Jahren geschworen habe. Wie konnte ich diesen Schwur nur vergessen? »Da gibt es bereits jemanden. Ich konnte mich nur nicht mehr daran erinnern.«
Etliche Minuten des Schweigens vergehen, und immer noch denke ich über seine Worte nach. Vielleicht habe ich wirklich einfach nur vergessen, wofür ich das alles tue. Für wen ich es tue. Ich denke an ihr Gesicht und den drängenden Wunsch in mir, ihr zu helfen. Sie zu retten. Plötzlich höre ich Motorengeräusche und sehe mich hektisch nach einem Fluchtweg um. Ich muss nicht lange überlegen, um zu wissen, zu wem die Fahrzeuge gehören. Bis auf die Soldaten und die Reichen besitzt niemand mehr Autos.
»Wir müssen hier weg!«, rufe ich gedämpft und suche verzweifelt nach einem Versteck, doch alles, was uns umgibt, sind kahle, mickrige Bäume, die nicht einmal einem Kleinkind Schutz bieten würden.
Kurz schweift des Blick des alten Mannes in die Ferne. Seine Schultern straffen sich, die Augen kneift er zusammen. Als er mich wieder anblickt, ist er wieder ganz klar. Sein Kiefer mahlt sekundenlang, bevor er den Kopf schüttelt. »Nein. Das hat keinen Zweck«, entgegnet er.
Fassungslos starre ich ihn an und frage mich, ob ich mich tatsächlich so sehr in diesem Mann getäuscht habe. Obwohl ich ihn erst so kurze Zeit kenne, war ich mir sicher, er wäre einer dieser Menschen, die für die Gerechtigkeit alles geben würden. Einer dieser Männer, die es viel zu selten in dieser neuen Welt gibt. »Wir können kämpfen!«, rufe ich und versuche, die sich immer schneller nähernden Geräusche zu verdrängen, aber natürlich gelingt es mir nicht.
Er wirft den Waffensack in den Wald und fasst mich bei den Schultern. Seine knochigen, dünnen Finger bohren sich tief in mein Fleisch und ziehen mich wieder zurück in das Hier und Jetzt. Es ist beinahe so, als müsse er mir Trost spenden, wo es doch eigentlich umgekehrt sein müsste. Seine durchdringenden Augen starren mich an. »Nein. Verbau dir das nicht. Wir brauchen Jungs wie dich an solchen Orten. Tu es, mein Junge. Erschieß mich, wenn sie kommen. Das ist der einzige Weg.«
»Was?« Ich reiße mich los, stolpere einige Schritte rückwärts und fahre mir nervös mit den Fingern durch das militärisch kurze Haar.
»Versprich mir nur, dass du den Sack zu dem Versteck bringst. Sie brauchen ihn. Und vielleicht brauchst du auch sie.« In kurzen Instruktionen erklärt er mir, wo genau ich den Unterschlupf finden kann. Wir waren schon beinahe dort. Noch ein paar Minuten und wir hätten es geschafft. Beide.
»Wieso?«, frage ich und höre selbst, wie brüchig meine Stimme klingt. »Wieso opferst du dich? Ich könnte dich einfach laufen lassen.«
Er lächelt ehrlich. Voller Liebe. »Weil sie es wert sind. Wenn es bedeutet, dass sie leben dürfen, dann sterbe ich gerne. Deine Kameraden würden mich erwischen, wenn ich weglaufe. Sie würden dich bestrafen und mich entweder gleich erschießen oder mich foltern, und irgendwann würde ich etwas verraten.« Er hat keine Angst vor dem Schmerz oder dem Sterben. Er hat Angst, die Menschen zu verraten, die er zu beschützen versucht. Das ist es wohl: Ein Zusammenspiel aus Leben und Tod. Nur wenn einer stirbt, können andere leben.
»Danke«, ist alles, was ich sage, und es beinhaltet so viel mehr, als ich mit Worten ausdrücken könnte.
Er lächelt. Den Blick nicht gesenkt. Trotz seines krummen Rückens und der zerbrechlichen Gestalt steht er aufrecht und stolz. Als die Schritte und Rufe meiner Kameraden näherkommen, drücke ich ab und habe meine Entscheidung getroffen. Um einen anderen Menschen zu retten, würde ich den Tod ebenfalls ehrenvoll annehmen.
»Miller! Was machst du hier draußen?« Ausgerechnet einer der Kerle, denen all dies nichts bedeutet, muss mich in diesem Moment finden. Er steigt aus dem Auto und kommt auf mich zu stolziert. Sein Blick fällt auf den Toten vor meinen Füßen, bevor er mich grinsend ansieht.
»Ich habe einen verfolgt. Er hat versucht zu fliehen.«
Er lacht und spuckt auf den reglosen Körper. »Gut. Dann steig ein. Während du hier draußen gespielt hast, haben wir die Dreckssäcke besiegt.«
Der Wagen poltert über den Schotterweg. Es stinkt nach Schweiß, Blut und Rum. Eine Mischung, die mir inzwischen schon allzu gut bekannt ist.
Meine Truppe lacht und macht Witze. Kaum jemand denkt an all die Leute, die heute ihr Leben lassen mussten. Ich sitze auf dem Beifahrersitz und starre beinahe apathisch auf die untergehende Sonne.
Auf der Rückbank wird eine Flasche Alkohol herumgereicht, um den Sieg gebührend zu feiern. »War ein voller Erfolg, was? Habt ihr die hässlichen Fressen dieser Wichser gesehen?«
»Meinst du bevor oder nachdem wir mit ihnen fertig waren?«
Ich drehe mich um und fixiere diese Idioten mit festem Blick. »Könnt ihr einfach mal euer Maul halten? Wir haben viele Männer verloren.«
»Wir wissen, worauf wir uns einlassen, Miller. Sei nicht so ´ne Pussy.« Es stimmt: Wir wissen, was passieren kann. Was der Hälfte von uns bevorsteht Aber nicht jeder tut das alles hier aus freien Stücken oder aus eigener Überzeugung. Vielen von uns bleibt einfach keine andere Wahl. Als Soldat hat man viele Vorrechte. Einige bewerben sich nur für den Dienst, um ihren Familien ein besseres Leben zu ermöglichen. Andere tun es, um aus noch grauenvolleren Verhältnissen zu fliehen. Solche Kerle wie die auf der Rückbank tun es für den Ruhm, die Mädchen und den kostenlosen Alkohol. Oder vielleicht, weil sie auf diese Weise ihren Hass auf die Welt an anderen Menschen auslassen können.
Der Stützpunkt liegt nicht weit entfernt, sodass ich den hirnlosen Gesprächen der anderen nicht lange ausgesetzt sein muss. Sobald wir angekommen sind, verziehe ich mich in mein Quartier und hoffe darauf, dass die Siegesfeier mindestens so lange dauert wie sonst auch immer. Ich brauche Zeit, um wieder zurückzulaufen, die Waffen einzusammeln und den Unterschlupf zu finden. Das Ganze ist nur halb so riskant wie es klingt. Vermutlich wird meine Truppe die ganze Nacht durchmachen und bis zum Mittag nicht wieder auftauchen. Endlich zahlt es sich aus, dass ich nie bei ihren Saufgelagen dabei bin. Niemand wird mich vermissen.
Sobald die Sonne untergegangen ist, schleiche ich mich aus dem Stützpunkt und mache mich auf dem Weg zurück. Ich habe viele freie Minuten damit verbracht, den Aufbau des Stützpunkts in und auswendig zu lernen. Ich kenne jeden Flur, jede Tür, jedes Schlupfloch, weshalb ich völlig unbeobachtet in der Nacht verschwinden kann.
Im Laufschritt habe ich zwei Stunden gebraucht. Länger als erhofft, aber mir bleibt immer noch genug Zeit. Die Waffen piksen unangenehm in den Rücken, aber eigentlich ist es etwas ganz anderes, das mir zu schaffen macht. Noch nie musste ich jemandem die Nachricht vom Tod eines geliebten Menschen überbringen. Ich schüttele über mich selbst den Kopf. Reiß dich zusammen! Du hast schon Schlimmeres hinter dich gebracht!
Mit hämmerndem Herzen stehe ich nicht viel später vor einer Hütte im Wald. Niemals würde hier jemand Menschen erwarten. Heutzutage kann man nur überleben, wenn man über genügend Ackerland oder sonstige Fähigkeiten, die man gegen Essen eintauschen kann, verfügt. Doch hier ist weit und breit keine Menschenseele zu sehen.
Kaum hörbar klopfe ich an die Tür und habe die stille Hoffnung, dass niemand öffnet. Als nichts geschieht, schüttle ich den Kopf und hämmere fester gegen das morsche Holz.
»Wer ist da?«, ruft eine feste weibliche Stimme von der anderen Seite.
»Ich bin ein Freund von …« Mit Entsetzen stelle ich fest, dass ich den Namen des Alten nicht kenne, und ich bin mir sicher, dass sie mich nicht reinlassen werden. »Ich habe etwas für euch.« Nach einiger Zeit öffnet sich die Tür, und eine junge Frau stellt sich beschützend in den Rahmen. Sie ist nicht älter als ich. Vermutlich sogar noch etwas jünger. »Ein Freund von wem?« Sie reckt das Kinn in die Höhe und sieht mich einschüchternd an.
»Ich kenne seinen Namen nicht«, gebe ich zu und werfe den Waffensack vor ihre Füße. Ihr Blick folgt meiner Bewegung und sie richtet sich einen kurzen Moment auf den Sack auf dem Boden, bevor er sich wieder auf mich legt. Sie schluckt. Ihr Kiefer spannt sich an. »Wo ist er.« Obwohl sie sich bemüht stark zu klingen, schwingt die Furcht in ihrer Stimme mit.
»Er ist tot. Aber er war ein guter Mann. Er hat mir von diesem Ort erzählt und mich schwören lassen, euch zu beschützen.« Letzteres habe ich mir ausgedacht, aber gleichzeitig ist es mein Geschenk an ihn.
Sie sieht mich immer noch ruhig an, aber ihre Schultern sind ein ganzes Stück eingesackt. Sie nickt kaum merklich und tritt einen Schritt zur Seite. »Komm rein, aber wenn du irgendwelche dummen Tricks versuchst, mach ich dich kalt. Ich bin Miranda. Corbin war mein Vater.«
Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen, als ich an ihr vorbei in ein winziges Wohnzimmer trete. Sie ist stark, und obwohl sie ihren Vater verloren hat, bin ich mir sicher, dass sie dennoch nicht aufgeben wird. Als ich mich umsehe, frage ich mich, wie zwei Familien hier leben können. Auf engstem Raum stehen zwei kaputte Sofas, ein Kühlschrank und ein Tisch mit sieben Stühlen. Drei Türen gibt es in dem Raum, die vermutlich zu den anderen Zimmern führen. Ich spüre Mirandas prüfenden Blick auf mir. Als ich mich umdrehe, starrt sie mich weiterhin an. »Was siehst du dich hier so um? Für dich haben wir sicher keinen Platz mehr.«
Ich will gerade etwas erwidern, als zwei Jungs aus einem der Zimmer auftauchen und mit Stöcken aufeinander einschlagen. »Du hast keine Chance gegen mich!«
»Das werden wir ja noch sehen! Miri, aus dem Weg!« Einer von ihnen schubst Miranda beiseite, damit er sich rückwärts an ihr vorbeidrängen kann, bis er mich plötzlich entdeckt, abrupt stehenbleibt und einen heftigen Hieb abbekommt. Es ist unverkennbar, dass die beiden Zwillinge und offenbar die Brüder von Miranda sind. Mein Herz macht einen Satz. Es war schwer genug, einer Person die Nachricht vom Tod ihres Vaters zu überbringen. Die beiden sind noch einige Jahre jünger als sie. Das haben sie nicht verdient.
Miranda allerdings lässt den Kopf nicht hängen. Im Gegenteil, sie geht hoch erhobenen Hauptes auf ihre Brüder zu und fasst sie bei den Händen. »Paps ist tot.« So stark. Viel zu stark.
»Was?«, fragen beide gleichzeitig und verlieren sämtliche Farbe aus ihren ohnehin schon blassen Gesichtern, als sie einander erschrocken ansehen.
Miranda zieht ihre Brüder, die beinahe so groß sind wie sie selbst, an sich. »Aber wir bleiben zusammen, das verspreche ich!«