Bürgermeister
und Sprache

Von der Rede

bis zum Tweet

von

Dr. Johannes Latsch

Pressereferent des Main-Taunus-Kreises

2. Auflage

Kommunal- und Schul-Verlag · Wiesbaden

Herausgeber der Reihe BÜRGERMEISTERPRAXIS

Barbara Beckmann-Roh | Saarländischer Städte- und Gemeindetag

Karl-Ludwig Böttcher | Städte- und Gemeindebund Brandenburg

Jörg Bülow | Schleswig-Holsteinischer Gemeindetag

Dr. Jürgen Busse | Bayerischer Gemeindetag

Roger Kehle | Gemeindetag Baden-Württemberg

Dr. Gerd Landsberg | Deutscher Städte- und Gemeindebund

Jürgen Leindecker | Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt

Winfried Manns | Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz

Ralf Rusch | Gemeinde- und Städtebund Thüringen

Roland Schäfer | Deutscher- Städte- und Gemeindebund

Karl-Christian Schelzke | Hessischer Städte- und Gemeindebund

Dr. Bernd Jürgen Schneider | Städte- und Gemeindebund NRW

Rainer Timmermann | Niedersächsischer Städte- und Gemeindebund

Jochen von Allwörden | Städteverband Schleswig-Holstein

Andreas Wellmann | Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern

Mischa Woitscheck | Sächsischer Städte- und Gemeindebund

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© Copyright 2012 by Kommunal- und Schul-Verlag GmbH & Co. KG · Wiesbaden

2. Auflage 2015

Alle Rechte vorbehalten

Satz: Jung Crossmedia Publishing GmbH · Lahnau

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

ISBN 978-3-8293-1210-3

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Herausgeber der Reihe BÜRGERMEISTERPRAXIS

Impressum

Vorwort

Literaturverzeichnis

Vorbemerkung

1. Grundlagen

1.1 Sprache

1.1.1 Sprache und ihre Funktionen

1.1.1.1 Sender und Empfänger

1.1.1.2 Sprechen ist Handeln: Die Sprechakttheorie

1.1.1.3 Was in Wörtern mitschwingt: Denotation und Konnotation

1.1.1.4 Wörter als Waffe, Wörter als Zeitgeist

1.1.2 Sprachvarianten

1.1.2.1 Wanderer zwischen den Sprachwelten

1.1.2.2 Fachsprache und Alltagssprache

1.1.2.3 Verständliche Sprache und „Leichte Sprache“

1.1.3 Mündliche Sprache und schriftliche Sprache

1.2 Stil

1.2.1 Grundsätzliche Stilfragen

1.2.2 Merkmale guten Stils

1.2.2.1 Klare Wörter

1.2.2.2 Klare Sätze

1.2.2.3 Wege zum klaren Stil

1.3 Rhetorik

1.3.1 Reden vorbereiten

1.3.1.1 Strategie planen und Stoff sammeln

1.3.1.2 Die Rede strukturieren

1.3.2 Rhetorische Mittel und Figuren

1.3.2.1 Wiederholen

1.3.2.2 Bedeutung verstärken durch Ähnlichkeit

1.3.2.3 Reihen

1.3.2.4 Brüche, Auslassungen, ungewöhnliche Kombinationen

1.3.2.5 Beispiele, Bilder und Vergleiche

1.3.2.6 Gegensätze und Widersprüche

1.3.2.7 Unter- und übertreiben, beschönigen, schlecht machen

1.3.2.8 Satzkonstruktionen

1.3.3 Auftrittstechnik

1.3.3.1 Mit und ohne Manuskript und Stichwortzettel

1.3.3.2 Technik und Organisation

1.3.3.3 Aussprache, Mimik und Gestik

1.3.3.4 Lampenfieber und andere Gefahren

1.3.4 Beispiele: Berühmte Reden

1.3.4.1 Jesu Bergpredigt

1.3.4.2 William Shakespeares Rede des Marc Anton

1.3.4.3 Abraham Lincolns Gettysburg Address

1.3.4.4 Joseph Goebbels’ Sportpalast-Rede

1.3.4.5 John F. Kennedy: „Ich bin ein Berliner“

1.3.4.6 Martin Luther King: „I have a dream“

1.3.4.7 Richard von Weizsäcker: Rede vom 8. Mai 1985

1.3.4.8 Roman Herzog: „Ruck“-Rede

2. Praxis

2.1 Mündliche Äußerungen

2.1.1 Reden im Parlament

2.1.2 Reden und Grußworte außerhalb des Parlaments

2.1.2.1 Als Gast bei Vereinen, Firmen, Institutionen

2.1.2.2 Persönliche Ehrung

2.1.2.3 Fachkongress

2.1.2.4 Büttenrede

2.1.2.5 Sonstige offizielle Anlässe

2.1.3 Smalltalk

2.2 Schriftliche Äußerungen

2.2.1 Verständliche Verwaltungssprache

2.2.1.1 Grundprobleme der Verwaltungssprache

2.2.1.2 Initiativen für einfache Verwaltungssprache

2.2.1.3 Grundsätze der einfachen Verwaltungssprache

2.2.1.4 Mann und Frau – auch sprachlich ein Problem

2.2.1.5 Sonderfall „Leichte Sprache“

2.2.2 Grußworte in Festschriften

2.2.3 Persönliche Schreiben

2.2.3.1 Briefe

2.2.3.2 E-Mails

2.2.3.3 SMS

2.2.4 Social Media

2.3 Sonderfall Medien

2.3.1 Sprache der Medien

2.3.1.1 Journalistische Textsorten

2.3.1.2 Aufbau von Nachrichten

2.3.1.3 Sprache der Nachrichten

2.3.2 Sprache der Medienarbeit

2.3.2.1 Pressemitteilung/Medieninformation

2.3.2.2 O-Ton, Statement, Interview

Anhang

1. Checklisten

2. Weiterführende Kontakte zum Thema Sprache

3. Ein Wort zum Schluss

Stichwortverzeichnis

Anmerkungen

Vorwort

Das Interesse an einer bürgernahen und verständlichen Verwaltungssprache sollte allen Schreibenden nicht fremd sein. Neben der Höflichkeit des eigenen Ausdrucks können sie damit vermehrte Nachfragen und Missverständnisse vermeiden. Über die Legitimität des Anspruchs auf eine verständliche Sprache besteht in der Öffentlichkeit Konsens.

Einen ersten Hinweis zur deutschen Amtssprache finden wir im Jahre 1781 erschienenen Ratgeber „Über den Kanzleystyl und wie derselbe zu verbessern.“ In der Folgezeit sind wellenartig Phasen der Vereinfachung auszumachen, in denen ein Bemühen um einen besseren Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern verzeichnet werden kann. Gerade seit dem vergangenen Jahrzehnt bemühen sich Verwaltungsbeamte und -angestellte wieder um mehr Bürgernähe. Das zeigen Projekte und Seminare zu diesen Themen, die der Autor dankenswerterweise am Rande vorstellt. Ob sich ein Erfolg einstellt, bleibt abzuwarten – das vorliegende Buch leistet einen nützlichen Beitrag dazu.

Viele Texte – vom Bewilligungsbescheid bis hin zu hier im Mittelpunkt stehenden Reden und Schreiben eines Bürgermeisters – entsprechen oft noch nicht den Erwartungen der Angeschriebenen oder Angesprochenen. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Ein vorschnelles allgemeines Kritisieren oder gar Ablehnen bringt aber auch wenig, denn oft sind die hinter den Schreiben oder Reden stehenden Sachverhalte sehr vielschichtig und nicht immer angenehm. Muss ein Bürgermeister der Kommune weitere Sparpläne verkünden oder muss eine Mitarbeiterin eines Sozialamtes jemandem den Tod seines Verwandten einschließlich der Bestattungsumstände mitteilen, ist beim besten Willen kein rundum „schöner“ Text zu erwarten. Auch komplexe Handlungszusammenhänge, die Sprachwissenschaftler „Diskurse“ nennen, verhindern oft eine knappe und übersichtliche Darstellung in Verwaltungsschreiben. Eine Umfrage „Was denken die Deutschen über die Rechts- und Verwaltungssprache“ wurde 2009 von der Gesellschaft für deutsche Sprache und dem Institut für Demoskopie Allensbach in Auftrag gegeben1. Sie zeigt, dass in Amtsschreiben vor allem Folgendes stört: umständliche Sätze, Verwendung von Fachbegriffen, Fremdwörtern und Abkürzungen ohne Erklärungen, abgehobene und unpersönliche Sprache, unübersichtliche Gliederung, unhöflicher Stil usw.

Die Texte werden nicht verstanden. Mögliche Hilfestellungen bis hin zu Zahlungen seitens der Behörden bleiben aufgrund unverständlicher Anträge oder einer allgemeinen Ignoranz der Betroffenen oft ungenutzt.

Was ist nun zu tun? Vor der Allmacht der Kompliziertheit resignieren oder sich weiterhin halbzufrieden, schimpfend, nörgelnd und ewig unzufrieden „durchwursteln“? Das kann aber nicht angehen und macht alle Beteiligten auf Dauer krank. Die Nachvollziehbarkeit gesetzlicher Regelungen und Bestimmungen in der Verwaltung ist unerlässlich, denn die Bürgerin und der Bürger soll ja erreicht werden. Deshalb sind Wege und Auswege zu suchen. Dabei sind Zeit und der Wille zur Veränderung vonnöten. Der wichtigste Schritt ist dabei, den inneren Schweinehund zu überwinden und den Beginn für Veränderungen bei sich selbst zu suchen. Der Ruf nach einer einfachen verständlichen Sprache drückt also berechtigte Wünsche aus, dafür werden im Buch Formulierungshilfen gegeben.

Es liefert wichtige Anregungen und Zugänge, indem der Autor aus seinem langjährigen Erfahrungsschatz schöpfend beschreibt, wie Sprache in den Rathäusern wirkt und welche Möglichkeiten sie bietet, auf den Gebieten des Stils, der Rhetorik, aber auch der Auftrittstechniken anspruchsvolle und anregende Texte zu produzieren. Die Darstellung geschieht in einem verständlichen, mitunter auch lockeren, ironisierenden Ton, was den Spaß am Umgang mit Sprache nicht vergessen lässt.

Anhand berühmter Reden von Abraham Lincoln bis Roman Herzog sowie vielen aktuellen Texten aus der parlamentarischen Praxis wird gezeigt, wie die im ersten Teil dargestellten Wirkungsprinzipien von Sprache umgesetzt werden können.

Hier findet sich wieder (fast) alles, was von einem Bürgermeister abverlangt werden kann: die Rede im Parlament, eine persönliche Ehrung oder die Büttenrede. Im Anschluss gibt der Autor Anregungen für eine verständliche Verwaltungssprache sowie Grußworte, persönliche Schreiben und Texte im Umgang mit den Medien.

Der vorliegende Ratgeber will und kann keine Sammlung von Mustertexten für jede Gelegenheit bieten. Er legt – und das ist produktiver – die Prinzipien und rhetorischen Mittel fest, die guten Reden und Texten zugrunde liegen. Er leistet damit Hilfe zur Selbsthilfe für alle Bemühten, auf dieser Basis die eigenen Auftritte und Äußerungen selbst zu gestalten.

Dem Titel nach richtet sich dieses Buch – wie der Autor selbst klarstellt – zwar an Bürgermeister; aber es sind Dezernenten, Landräte und andere kommunal Verantwortliche ebenso gemeint. Das Gleiche gilt für das jeweils weibliche Pendant, insofern dürfen sich mit „Bürgermeister“ auch „Bürgermeisterinnen“ angesprochen fühlen. Jeweils beide zu benennen, hätte den Umfang des vorliegenden Textes mehr anschwellen lassen, als es puristischen Vertretern (und Vertreterinnen) der sprachlichen Gleichbehandlung lieb sein kann. Wegen der föderalen Struktur Deutschlands herrscht zudem eine Vielfalt von Bezeichnungen für bestimmte Ämter, von Zuständigkeiten, von Verwaltungsabläufen. Derlei begriffliche Unschärfen werden in Kauf genommen – was oder wer gemeint ist, erschließt sich jeweils aus dem Zusammenhang. Um persönlich Betroffene zu schützen, wurden außerdem manche Beispiele anonymisiert oder auch verfremdet. Auf der abstrakten Ebene wird der Mustercharakter deutlich.

Der Autor Dr. Johannes Latsch, geboren 1964 in Bad Homburg v. d. Höhe, ist seit 2002 Pressereferent im Main-Taunus-Kreis (MTK) und kennt daher die gesamte Bandbreite der Medienarbeit inklusive Redenschreiben und Mitarbeitertraining zur bürgernahen Verwaltungssprache. Zudem lehrt er seit 2004 als Gastdozent für Krisenkommunikation an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz des Bundes (AKNZ) in Bad Neuenahr-Ahrweiler. In seiner Ausbildung studierte er 1986–1990 Germanistik, Geschichte und Politologie in Frankfurt am Main und schloss 1994 mit einer Promotion zum Dr. phil. mit einer linguistischen Arbeit zum Thema Deutschlandpolitik in der Zeitungssprache. Er nutzt in diesem Leitfaden seine Erfahrungen vieler Jahre als Journalist, Pressereferent eines Landkreises und Redenschreiber. Im Rahmen dieser Tätigkeiten lernte er verschiedene Medien und Institutionen und auch die damit verbundene Textarbeit kennen: 1986–2002 war Johannes Latsch als Redakteur, freier Mitarbeiter und Korrespondent unter anderem bei der Frankfurter Allgemeine Zeitung, bei Associated Press, der Neue Zürcher Zeitung, dem Taunus-Kurier und diversen anderen Lokalzeitungen tätig. Neben der reisejournalistischen Vortragstätigkeit arbeitete er als Buchautor.

Für den vorliegenden Band wünscht er sich, dass dieses Buch besonders jenen Verwaltungschefs, die bislang wenig Erfahrung mit öffentlichen Auftritten haben, Einblicke geben soll. Aber auch mancher alter Hase entdeckt darin Tipps, über das eine oder andere nachzudenken und noch besser zu werden. Hinweise finden hier ebenfalls Referenten, Pressesprecher und Büromitarbeiter – also all jene, die schriftliche und mündliche Äußerungen ihrer Rathauschefs vorbereiten.

Dazu viel Erfolg, Anregungen und Vorschläge gibt es reichhaltig. Nun sollten anregende Reden und Schreiben entstehen.

Dr. Lutz Kuntzsch, Gesellschaft für deutsche Sprache

Literaturverzeichnis

Die folgende kurze Liste bietet keinen Überblick über sämtliche Standardwerke. Sie liefert nur die Quellen diverser Zitate im vorliegenden Text und nennt Beispiele für vertiefende Literatur zu Teilaspekten, wo es geboten schien. Die Fußnoten dieses Buches verweisen häufig auch auf Quellen aus dem Internet, die vom Autor als seriös eingestuft werden.

Büter, Dieter/Schimke, Hans-Jürgen, Anleitungen zur Bescheidtechnik. Wie Verwaltungsakte verständlich geschrieben werden. Eine Lern- und Arbeitshilfe. 2. Aufl. Berlin, Bonn, Regensburg 1993

Ebeling, Peter, Rhetorik – der Weg zum Erfolg, 9. Aufl. Baden-Baden 2005

Esslinger, Detlef/Schneider, Wolf, Die Überschrift. Sachzwänge – Fallstricke – Versuchungen – Rezepte. 5. Aufl. Wiesbaden 2015

Gesellschaft für deutsche Sprache (Hg.), Fingerzeige für die Gesetzes- und Amtssprache. Rechtsprache bürgernah. Wiesbaden 11. Aufl. 1998

Grewendorf, Günther/Hamm, Fritz/Sternefeld, Wolfgang, Sprachliches Wissen. Eine Einführung in moderne Theorien der grammatischen Beschreibung. 3. Aufl. Frankfurt 2003

Hogen, Hildegard (Red.), Duden Rhetorik, Mannheim 2010

Kegel, Jens, „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ Eine semiotische und linguistische Gesamtanalyse der Rede Goebbels’ im Berliner Sportpalast am 18. Februar 1943 Tübingen 2006

Latsch, Johannes, Bürgermeister und Medien. Von der Routinemitteilung zum Interview-Duell. Wiesbaden 2011

Lewandowski, Theodor, Linguistisches Wörterbuch (3 Bde.), Heidelberg u. a. 6. Aufl. 1994

Mehrabian, Albert, Silent Messages. Implicit Communication of Emotions and Attitudes. 2. Aufl. Belmont 1981

Neuburger, Rahild, Rhetorik, München 2011

Reden für Bürgermeister (zum Download im Internet: http://www.kommunalpraxis.de/​e-produkte/​buergermeisterreden)

Reiners, Ludwig, Stilkunst. Ein Lehrbuch deutscher Prosa. Bearbeitet von Stephan Meyer und Jürgen Schiewe, 3. Aufl. München 2015

Schneider, Wolf, Deutsch für Profis. Wege zu gutem Stil. München 1999

Simoneit, Ferdinand, Indiskretion Ehrensache. Ein Buch für alle, die Journalisten werden und für alle, die Journalisten verstehen wollen. München 1985

Weischenberg, Siegfried, Nachrichtenschreiben. Journalistische Praxis zum Studium und Selbststudium. 2. Aufl. Opladen 1990

Vorbemerkung

Cato der Ältere hatte nur halb recht. Der römische Staatsmann behauptete nämlich: „rem tene, verba sequentur“ – wenn du die Sache im Griff hast, folgen auch die Worte.

Gewiss, die Worte folgen; die Frage ist nur: Sind es die richtigen? Den Gegenbeweis treten immer wieder Bürgermeister in Haushaltsreden, Architekten vor Bauausschüssen und Legionen von Sachbearbeitern in ihren Bescheiden an. Sie wissen sich zwar in der Sache kundig, finden aber oft nicht die Worte, die jeder versteht.

Immerhin schätzte Cato richtig ein, welch überragende Rolle Sprache in der Politik spielt. Für ihn war der Staatsmann ein „vir bonus decendi peritus“ – ein „erfahrener und ehrenwerter Mann, der die Redekunst beherrscht“. Die Kunst der Rede ist demnach, wie wir neudeutsch sagen würden, eine Schlüsselqualifikation. Das hat sich in den zwei Jahrtausenden seit Cato nicht geändert. Ein Bürgermeister steht im Rampenlicht, muss jedes Wort wägen: Ein unbedachter Nebensatz, ein Missgriff im Ton, ein Bla-bla-bla-Wortbombast – und schon wird er missverstanden, angestarrt, angegähnt oder niedergemacht.

Ein Bürgermeister wird sich nicht drei Tage in eine Eremitage zurückziehen können, um dort über die rechten Worte zur 100-Jahr-Feier der Ortsteilfeuerwehr zu meditieren; er kann nicht auf einen Stab von Dutzenden Redeschreibern zurückgreifen, die ihm eine Haushaltsrede zusammenkomponieren, vor der antike Rhetoriker das Haupt neigen würden; er wird sich nicht in alle linguistischen Facetten der Sprechakttheorie einlesen, um die theoretischen Bedingungen seines Auftritts beim nächsten Treffen des Gewerbevereins zu analysieren. Aber zumindest ein wenig kann er sich mit dem Wesen und den Möglichkeiten der Sprache befassen, und dazu gibt dieses Buch ein paar Hinweise. Es will ermuntern, nach dem Besten zu streben, auch wenn wir es nicht immer erreichen können. Wie schreibt und redet der Bürgermeister verständlich, begeistert und bleibt dabei sachlich korrekt? Das ist unsere Kernfrage.

Der vorliegende Ratgeber bietet keine Sammlung von Musterreden für jede Gelegenheit von der Goldenen Hochzeit bis zum Bundeskanzlerbesuch. Lieber legen wir die Prinzipien fest, die guten Reden und Texten zugrunde liegen, und leisten damit Hilfe zur Selbsthilfe: Der Rathauschef kann auf dieser Basis seine eigenen Auftritte und Äußerungen selbst gestalten. Zunächst befassen wir uns mit den Prinzipien von Sprache, aus denen sich alles ableitet. Dabei beschränken wir uns auf wenige, für die Praxis wichtige Aspekte sprachlicher Theorien, und übertragen diese dann aus der wissenschaftlichen Lehre in den Alltag eines Rathauses. Wir arbeiten anschließend Regeln für bestimmte Arten von Reden oder Texten heraus und illustrieren sie schließlich mit Beispielen.

Inhaltlich knüpfen wir dabei an den Ratgeber „Bürgermeister und Medien“ (2011) aus demselben Verlag an. Dessen Thema – die Sprache im Umgang mit Zeitung, Rundfunk und Online-Plattformen – ist hier zu einem einzigen Kapitel verdichtet. Daneben befassen wir uns mit solch verschiedenen Texten und Ansprachen wie Haushaltsreden, Bürgerbriefen, Trauerkarten, Ansprachen beim Festkommers, E-Mails, Grußworten in Festschriften und der Eröffnung von Tagungen.

Dem Titel nach richtet sich dieses Buch zwar an Bürgermeister; es ist aber auch für Dezernenten, Landräte und andere kommunal Verantwortliche geschrieben. Das Gleiche gilt für das jeweils weibliche Pendant, insofern dürfen sich mit „Bürgermeister“ auch Bürgermeisterinnen angesprochen fühlen. Jeweils beide zu benennen, hätte den Umfang des vorliegenden Textes mehr anschwellen lassen, als es manch eifrigen Verfechtern (und Verfechterinnen) der sprachlichen Gleichbehandlung lieb sein kann. Wegen der föderalen Struktur Deutschlands herrscht zudem ein Wirrwarr von Bezeichnungen für bestimmte Ämter, von Zuständigkeiten, von Verwaltungsabläufen. Bei den Beispielen im vorliegenden Buch werden Positionen und Funktionen benannt, die in dem einen oder anderen Bundesland anders heißen mögen. Ein Stadtrat beispielsweise ist in Hessen eine Person aus der politischen Spitze der Verwaltung, in Nordrhein-Westfalen hingegen das kommunale Parlament. Derlei begriffliche Unschärfen nehmen wir in Kauf – was oder wer gemeint ist, erschließt sich jeweils aus dem Zusammenhang. Um persönlich Betroffene zu schützen, wurden außerdem manche Beispiele anonymisiert oder auch verfremdet.

Besonders jenen Verwaltungschefs, die bislang wenig Erfahrung mit öffentlichen Auftritten haben, soll dieses Buch Einblicke geben. Aber auch mancher „alter Hase“ entdeckt darin Tipps, über das eine oder andere nachzudenken und noch besser zu werden. Hinweise finden hier ebenfalls Referenten, Pressesprecher und Büromitarbeiter – also all jene, die schriftliche und mündliche Äußerungen ihrer Rathauschefs zusammenstellen und vorbereiten.

Der Autor, promovierter Germanist, zehrt in diesem Leitfaden von Erfahrungen vieler Jahre als Journalist, Pressereferent eines Landkreises und Redenschreiber. Im Rahmen dieser Tätigkeiten ist er verschiedenen Medien und Institutionen zu Dank verpflichtet – vom früheren Taunus-Kurier in Bad Homburg (Hessen), der Frankfurter Allgemeine Zeitung, dem Main-Taunus-Kreis und der bundeseigene Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ), wo er als Gastdozent lehrt, über die Gesellschaft für deutsche Sprache e. V., seinem Doktorvater Prof. i.R. Horst Dieter Schlosser (der ihm die Augen für diverse deutsch-deutsche und zeitgenössische Sprachentwicklungen öffnete) nebst Arbeitskollegen in diversen Netzwerken bis hin zu Rainer Maria Rilke, dessen Lektüre ihn die Tiefe und den Anmut der Sprache lehrte.

Während sich Sprache und mit ihr die Regeln guten Stils eher langsam verändern, braust die Entwicklung des Internets und seiner Möglichkeiten immer schneller voran. In der vorliegenden überarbeiteten 2. Auflage wurden neben textlichen Details die in der Erstauflage angeführten Internet-Quellenangaben überprüft und aktualisiert. Zudem trägt der Abschnitt über die Online-Sprache dem Zeitenwandel Rechnung. Jedes Druckwerk kann der rasanten Entwicklung etwa bei den Social Media nur hinterherhecheln, aber es kann Trends und Möglichkeiten benennen, die zeigen, in welche Richtung zumindest die nahe Zukunft weist. So mancher Bürgermeister, der bei der Erstauflage noch zögerte, ist inzwischen online – und steht damit, auch sprachlich, vor ganz neuen Herausforderungen.

Oktober 2015   Der Autor

1. Grundlagen

1.1 Sprache

Ein deutscher Denker wollte einmal seinen Dienstherren loben:

„Meinem Dienstvorgesetzten obliegt meine Überwachung, Versorgung und Aufsicht, er nimmt diese Verantwortung zu jedem Zeitpunkt wahr. Dies gilt sowohl für die Ausstattung mit Lebensmitteln als auch für die emotionale Betreuung, wobei er die Richtung gemäß den geltenden Rahmenbestimmungen vorgibt. Für den Fall, dass ich mich einer von Schwierigkeiten geprägten Situation ausgesetzt sehen sollte, die jeglicher Anzeichen einer positiveren Weiterentwicklung entbehrt, bestehen keinerlei Zweifel, dass eine Vermeidung negativer Vorkommnisse seinerseits erfolgen würde. Denn mein Vorgesetzter steht zur Verfügung und verschafft meiner Person mit den Instrumenten, mit denen er ausgestattet ist, eine auf Zufriedenheit ausgerichtete Befindlichkeit. Er bringt hinreichenden Schutz zur Durchführung gegen natürliche Personen mit mir entgegengesetzten Interessen, ferner werden mir seitens seiner Person die erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt, die körperliches Wohlbefinden und ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln zu garantieren geeignet sind. Dies hat zur Folge, dass ich positive Bedingungen und eine seinerseits nicht an rationalen Erwägungen orientierten Nachsicht zu genießen in der Lage bin. Dieses wiederum zieht es nach sich, dass mein Aufenthaltsort ohne zeitliche Befristung auf durchaus freiwilliger Basis meinerseits bei meinem Dienstvorgesetzten genommen werden wird.“

Formulierte der Mann wirklich so?

Nein. Martin Luther übersetzte den Psalm 23 folgendermaßen:

„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele und führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lan, g und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“

Warum wirkt Luthers Text so anders? Warum klingt bei ihm der Psalm so unmittelbar, warum rührt er uns noch ein halbes Jahrtausend später ans Herz? Der Reformator und Sprachkünstler hatte diverse Grundregeln der Stilistik und Rhetorik befolgt. Er vermied Fachwörter und wandte sich stattdessen in einfacher, bildlich-konkreter Sprache dem Volk zu. Heute würden wir sagen: Er orientierte sich am Zielpublikum. Seine rhetorischen Muster und Figuren spielen mit besonderen Klängen (Alliteration: „Der Herr ist mein Hirte“), die Verse quellen über von einprägsamen Bildern („wanderte im finstern Tal“). Wir fühlen mit, wenn Gott den Durstigen „zum frischen Wasser“ führt. Hier spricht keine papierne Theologie; hier wird Gottvertrauen, hier wird Erlösung Gestalt. Der davor stehende erste Text hingegen strotzt vor leblosen Worthülsen: „negative Haltung“, „gemäß den geltenden Rahmenbestimmungen“, „eine auf Zufriedenheit ausgerichtete Befindlichkeit“… Sehr viele Wörter auf -ung reihen sich aneinander (Versorgung, Betreuung, Weiterentwicklung, Begrenzung …), ein zuverlässiges Zeichen für Bürokratensprache, wie wir noch sehen werden.

Luther, einer der sprachgewaltigsten Menschen deutscher Zunge, zeigt eindrucksvoll, wie farbig und unmittelbar ein Text wirken kann. Nicht ohne Grund zählt Psalm 23 zu den meistzitierten Bibelstellen. Lesen wir Luther, lernen wir, was Sprache kann. Sie vermittelt nicht nur Informationen; sie entfacht Gedanken, ergreift, motiviert, fordert heraus.

1.1.1 Sprache und ihre Funktionen

1.1.1.1 Sender und Empfänger

Fragen wir die Leute: „Was soll Sprache?“, dann denken die meisten zunächst, Sprache transportiere Informationen und Ansichten. Das ist richtig, aber nur ein Teil der Wahrheit. Sprache erfüllt noch weitere Funktionen, die auf den ersten Blick weniger offen zutage treten. Sie zeigt die Haltung des Sprechers zum Thema oder zu seinem Publikum, auch wenn er sich rein sachlich äußert. Sie transportiert eine Aufforderung zur Tat, auch wenn sie nicht als solche daherkommt. Stellt zum Beispiel der Bürgermeister im Stadtrat nüchtern fest „Wir müssen sparen“, dann liefert er damit nicht nur eine fiskalische Analyse, sondern will damit auch eigene Fachkompetenz und Weitblick vermitteln, außerdem die Kommune dazu bringen, ihm zu vertrauen und seinem Sparkurs zu folgen.

Um diese verschiedenen Aspekte abzubilden, haben Wissenschaftler ein so genanntes Vier-Seiten-Modell entwickelt, auch Kommunikationsquadrat genannt. Demnach hat eine sprachliche Äußerung vier Seiten: Eine Sachebene, eine Ich-Botschaft, eine Beziehungsseite und einen Appell. Welche Botschaften und Sub-Botschaften auf diese Weise ein einzelner, zunächst nüchtern erscheinender Satz vermitteln kann, zeigt folgendes Beispiel:

Sagt der Bürgermeister fünf Minuten vor einer Sitzung zu seinem Persönlichen Referenten „Die Unterlagen fehlen“, dann sagt er damit gleichzeitig:

Ist sich der Referent dieser Ebenen nicht bewusst, dann hat er ein Problem. Sieht er beispielsweise nur die Sachebene und antwortet auf den Hinweis „Die Unterlagen fehlen“ rein faktisch korrekt mit „Ja, das ist richtig“, dann gleicht das einer Provokation.

Konsequenz für Bürgermeister: Was für seinen Referenten gilt, gilt auch für ihn selbst. Seine öffentlichen Äußerungen bewegen sich ebenfalls auf diesen vier Ebenen, und diese teils versteckten Botschaften muss er bedenken. Andernfalls kann er sich im Ton vergreifen oder missverstanden werden.

1.1.1.2 Sprechen ist Handeln: Die Sprechakttheorie

Einen anderen Weg, die Wirkung von Sprache zu beschreiben, versucht die so genannte Sprechakttheorie. Sie lässt sich auf die Formel reduzieren: Sprechen ist Handeln. Wer sich zu einer Sache äußert, vollzieht jenseits der Sachinformation eine bestimmte Handlung – einen „illokutionären Akt“, wie die Wissenschaftler ihn nennen.

Wie eine Äußerung ihre wichtigste Botschaft erst auf dem zweiten Blick vermitteln kann, zeigen folgende zwei Beispiele:

Sagt der Bürgermeister in einer Etatrede „Unsere Stadt kann ihre Leistungen im bisherigen Umfang nur anbieten, wenn wir unsere Mittel effizienter einsetzen“, dann informiert er nicht nur über diese Zusammenhänge, sondern er ruft auch dazu auf, effizient zu wirtschaften.

Sagt der Bürgermeister „Die Opposition war heute konstruktiv“, dann stellt er vorgeblich fest: Die Opposition hilft (lobenswerterweise), das Problem zu lösen. Gleichzeitig aber signalisiert er damit, dass die Opposition sonst eher destruktiv agiert. Das Lob entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Kritik.

Sprachwissenschaftler haben mehrere Kategorien dieser Sprechakte herausgearbeitet, sie definieren also, welche weitere Funktion jenseits einer Sachaussage eine sprachliche Äußerung erfüllt:

Über solche Sprechakte reden wir, wenn wir uns über die Erwartungshaltung des Publikums Gedanken machen. Beleuchten wir an einem Beispiel, was das in der Praxis bedeutet:

In einer Haushaltsrede wird der Bürgermeister in aller Regel nicht nur sachlich über die Etatzahlen aufklären (repräsentativer Sprechakt), sondern auch die haushaltspolitischen Strategien der kommenden Jahre ankündigen (kommissiver Sprechakt). Das liegt in der Natur der Sache, und das Publikum erwartet diesen Ausblick, wohin die Reise geht. Fällt dieser kommissive Sprechakt weg, sagt der Rathauschef also nichts zur weiteren Haushaltspolitik, werden die Erwartungen des Publikums enttäuscht. Dann muss sich der Bürgermeister den Vorwurf gefallen lassen, er habe „keine Perspektiven gezeigt“.

Wir sehen an diesem Beispiel, welch komplexes sprachliches Gefüge sich entfaltet, wenn der Bürgermeister im Parlament ein paar Haushaltszahlen nennt.

1.1.1.3 Was in Wörtern mitschwingt: Denotation und Konnotation

Wie wir gesehen haben, haben Sätze mehrere Bedeutungen und Bedeutungsebenen Gleiches gilt für das einzelne Wort. Zunächst ist da die denotative Bedeutung, der begriffliche Kern. Daneben schwingt aber noch eine konnotative oder auch emotive Bedeutung mit; sie sagt etwas über die Haltung des Sprechers zur Sache.

Spricht der Bürgermeister von einem „Haushaltsdefizit“, dann meint er rein sachlich den Saldo aus niedrigen Einnahmen und höheren Ausgaben. Das ist die denotative Bedeutung. Gleichzeitig gilt ein Defizit als negativ, unter Umständen bedrohlich. Das ist die konnotative, die mitschwingende Bedeutung.

Die Konnotationen gelten nicht allgemein, sie können in verschiedenen Situationen voneinander abweichen. Hierzu zwei Beispiele:

Ruft der Bürgermeister zur „Tugend“ auf, dann bezeichnet das seiner Grundbedeutung nach bestimmte Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Pünktlichkeit, Pflichtbewusstsein. Manche Zuhörer werden das positiv bewerten, für andere sind diese Elemente der Bedeutung schlichtweg Spießertum. Den positiven Blick auf die Tugend werden vielleicht eher die Bewohner eines Seniorenheimes oder betagte Jubilare haben, den zweiten die Besucher eines städtischen Jugendclubs (wenn sie das Wort überhaupt noch kennen).

Nimmt der Bürgermeister in einem Grußwort bei einem Unternehmertag das Wort „Gewinnmaximierung“ in den Mund, dürften die Vorstände das als neutral bis positiv bewerten. Das gleiche Wort, ausgesprochen in einer Gewerkschafterversammlung, ruft aber ganz andere, negative Assoziationen hervor. Es wird zum Kampfbegriff.

Der Bürgermeister sollte sich also gut überlegen, welche Wörter er vor welchem Publikum benutzt.

Konnotationen können aber nicht nur von Publikum zu Publikum variieren, sondern sich auch im Laufe der Zeiten wandeln. Auch hierzu ein Beispiel:

Das Wort „Schwuler“ bezeichnet im begrifflichen Kern einen homosexuellen Mann. Früher, als die Homosexualität weit weniger als heute gesellschaftlich akzeptiert wurde, klang der Ausdruck abwertend. Heute wird er neutral oder sogar positiv verwendet – letzteres vor allem, weil ihn Homosexuelle demonstrativ selbst benutzen. 2001 bekannte der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit auf einer SPD-Parteiversammlung: „Ich bin schwul, und das ist auch gut so“. Da applaudierten und johlten die Genossen. Ein solcher Satz mit einer solchen Reaktion wäre wohl bei seinem Vor-Vor-Vorgänger Ernst Reuter Anfang der 1950-er Jahre undenkbar gewesen – wenn der denn homosexuell gewesen wäre.

Ähnlich wie bei der „Tugend“ muss der Bürgermeister also auch bei anderen Begriffen im Auge haben, welcher Generation sein Publikum angehört.

Aber selbst bei der Denotation – also dem begrifflichen Kern – kann es Missverständnisse geben, wie dieses krasse Beispiel zeigt:

Unter dem Wort „Vergasung“ versteht der Physiker den Übergang eines Stoffes in gasförmigen Zustand. Das Laienpublikum hingegen verbindet damit die Ermordung von Juden in den Konzentrationslagern.

1.1.1.4 Wörter als Waffe, Wörter als Zeitgeist

Wörter können nicht nur Bedeutungen mitschwingen lassen oder auf andere Weise unterschwellige Botschaften vermitteln. Sie können auch zur Waffe werden, selbst wenn sie nicht als Beleidigungen formuliert sind. Ein anschauliches Beispiel für einen solchen Kampfbegriff lieferte die schulpolitische Debatte in Hessen vor rund dreißig Jahren:

In den 1970er und 1980er Jahren stritten die Hessen erbittert über ein verbindliches zusätzliches Jahr beim Übergang von der Grundschule in eine weiterführende Schule. Die SPD, welche diese Reform forderte, sprach von einer „Pflichtförderstufe“. Die CDU hingegen, die nichts davon hielt, nannte sie eine „Zwangsförderstufe“. Manch einem Bürger, der das eine oder das andere Wort benutzte, war vielleicht nicht klar, auf welche politische Seite er sich mit seiner Wortwahl schlug. Unwissentlich verbreitete er damit eine Wertung.

Aber auch unstrittige Wörter können Zeitgeist spiegeln. Sie mutieren in der historischen Rückschau zu Schlüsselwörtern oder Codes eines Zeitabschnitts, zu Indizien für bestimmte Denkweisen und Themen, die vorübergehend wichtig sind. Beispiele dafür liefern regelmäßig die „Wörter des Jahres“ der Gesellschaft für deutsche Sprache2. Alljährlich werden hier Wörter gekürt, die in besonderer Weise Tendenzen und bestimmende Ereignisse spiegeln. So mutierte das bereits vorher existierende Wort „Reisefreiheit“ 1989 zu einem Schlüsselbegriff für die Umbrüche in der DDR, die zur Wiedervereinigung führten. Das Beispiel zeigt, wie Wörter eine Eigendynamik entwickeln können.

Zudem haben wir es auch immer wieder mit Modewörtern zu tun, die nur in einer aktuellen Situation richtig aufgefasst werden. 1981 dürften viele unter der Nulllösung verstanden haben, keine neuen Nuklearwaffen mehr aufzustellen. Aber den meisten heutigen Schulabgängern dürfte der Begriff nichts mehr sagen; vielleicht würden sie ihn für eine mathematische Gleichung halten.

Besonders die Jugendsprache strotzt vor Modewörtern. Es wachsen ständig neue Jugendliche nach, sie bedienen sich dieser Sprache nur für eine begrenzte Zeit, und sie zeigen sich extrem offen für Tendenzen und Moden in der sich rasch ändernden Medienwelt. Es ist höchst fraglich, ob in zehn Jahren noch ein Jugendlicher versteht, was „chillen“ (ausspannen, durchatmen oder auch feiern) bedeutet. Und bei Jugendlichen von heute würde ein Bürgermeister auf Unverständnis stoßen oder sich gar lächerlich machen, wenn er einen Jungen und ein Mädchen im Jugendclub fragt, ob die beiden „miteinander gehen“.

In aktuellen Debatten mögen Modewörter und Anspielungen ihren Platz haben. Weiß das Publikum, was gemeint ist, kann ein solches Wort ein ganzes Feuerwerk von Bildern entfachen und langatmige Ausführungen über Details ersparen. Vorsicht aber ist geboten in Texten, die längere Zeiten überdauern sollen, wie Beiträge in Festschriften und Jahrbüchern. Verwendet der Bürgermeister darin Modewörter, muss er sie erläutern oder so in einen Zusammenhang stellen, dass sie ein Leser auch in zwanzig Jahren noch versteht. Das gilt im Übrigen auch für manche Namen. In einer Rede des Jahres 2010 konnte ein Bürgermeister den Namen Lena verwenden, ohne ihn zu erläutern; er erklärte sich quasi aus dem aktuellen Geschehen. In einem Text, der auch in fünf Jahren noch gelesen werden soll, müsste er erklären: „Lena, die deutsche Siegerin beim europäischen Schlagerwettbewerb 2010“.

1.1.2 Sprachvarianten

1.1.2.1 Wanderer zwischen den Sprachwelten

Auch wenn wir stets vom Deutschen reden, ist Deutsch nicht gleich Deutsch. Wir bewegen uns tagtäglich auf verschiedenen Sprachebenen, pendeln zwischen Fachjargon und Alltagssprache, mitunter zwischen Hochdeutsch und Mundart oder Dialekt oder auch zwischen verschiedenen Fremdsprachen. Das gilt ebenso für Bürgermeister: Die IHK-Vollversammlung spricht er anders an als die Besucher der Kerb oder Kirchweih, die Mitglieder des Haupt- und Finanzausschusses anders als die Senioren beim Jubiläum des Altersheims, den Vorstand des Geschichtsvereins anders als die Besucher des Jugendclubs, die Parteifreunde anders als die Journalisten, seine Sekretärin anders als seine Frau (hoffentlich). Bei der Festrede im Bierzelt wird ein starker bayerischer, hessischer oder friesischer Zungenschlag vielleicht passen, bei der Begrüßung eines ausländischen Gastes oder einer Trauerrede wirkt er in der Regel weniger angemessen. Niemand soll sich verbiegen, keiner muss seine landsmännische Herkunft verleugnen – wie der Rheinländer Konrad Adenauer, der Bajuware Franz Josef Strauß und der Hanseat Helmut Schmidt gezeigt haben. Aber die meisten Menschen sind in der Lage, den Grad mundartlicher oder dialektaler Einfärbung so zu steuern, dass es in den Rahmen passt.

Die Wissenschaft nennt den Wechsel zwischen mehreren Fremdsprachen, den beispielsweise bilingual aufwachsende Kinder aus dem Effeff beherrschen, „Code switching“. Im übertragenen Sinne läuft dieses Code switching auch zwischen verschiedene Ebenen einer Sprache, wie in unseren eben erwähnten Beispielen aus dem Bürgermeisterleben. Die Kunst besteht darin, zwischen den verschiedenen Codes zu wechseln, ohne sich selbst zu verleugnen. Denn richtiges Code switching bedeutet nicht täuschen oder sich anbiedern. Es heißt: so sprechen oder schreiben, dass einen der andere versteht. Von Natur aus sind wir dazu fähig. Beobachten wir uns doch selbst, wenn wir mit kleinen Kindern reden. Automatisch bilden wir simplere Sätze, vermeiden Fachwörter, orientieren uns am Wissen der Kinder und gehen auch physisch auf Augenhöhe, indem wir uns hinunterbeugen oder sogar in die Hocke gehen. Seltsamerweise können wir uns schwerer anpassen, wenn wir uns statt der Kinder den höheren Semestern zuwenden. Wir bleiben dann sprachlich in unserer eigenen Sphäre oder sprechen vielleicht noch nicht einmal, um verstanden zu werden, sondern nur um zu imponieren. Diesen Wechsel innerhalb der Sprachebenen zu beherrschen, ist ein grundlegender Schlüssel zum Erfolg eines Textes oder einer Rede.