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F. Scott Fitzgerald

Zärtlich ist die Nacht

F. Scott Fitzgerald

Zärtlich ist die Nacht

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Übersetzung: Jürgen Schulze, Grete Rambach
EV: Blanvalet, Berlin, 1952 (423 S.)
1. Auflage, ISBN 978-3-962810-17-7

null-papier.de/465

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Inhaltsverzeichnis

Edi­to­ri­sche An­mer­kun­gen

Ge­rald und Sara Mur­phy

Ers­tes Buch – Kran­ken­ge­schich­te (1917–1919)

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

Zwei­tes Buch – Ro­se­ma­rys Sicht (1919–1925)

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

Drit­tes Buch – Un­fäl­le (1925)

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

Vier­tes Buch – Flucht (1925–1929)

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

Fünf­tes Buch – Der Weg nach Hau­se (1929–1930)

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie die­ses E-Book aus mei­nem Ver­lag er­wor­ben ha­ben.

Soll­ten Sie Feh­ler fin­den oder An­re­gun­gen ha­ben, so mel­den Sie sich bit­te bei mir.

Ihr
Jür­gen Schul­ze, Ver­le­ger, js@­null-pa­pier.de

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Editorische Anmerkungen

Text

Im Eng­li­schen exis­tie­ren zwei Ver­sio­nen des Ro­mans. Die ers­te Ver­si­on, die 1934 ver­öf­fent­licht wur­de, ver­wen­det Rück­bli­cke; die zwei­te, über­ar­bei­te­te Ver­si­on, die von Fitz­ge­ralds Freund und be­rühm­ten Kri­ti­ker Mal­colm Cow­ley auf Grund­la­ge von No­ti­zen des Au­tors über­ar­bei­tet wur­de, ar­bei­tet hin­ge­gen chro­no­lo­gisch. Die zwei­te Fas­sung wur­de 1948 post­hum ver­öf­fent­licht und bil­det die Grund­la­ge die­ses Bu­ches.

Ne­ben der Über­set­zung der fran­zö­si­schen und ita­lie­ni­schen Pas­sa­gen habe ich es mir er­laubt, ei­ni­ge geo­gra­fi­sche An­ga­ben in Fuß­no­ten zu ma­chen. Des Wei­te­ren habe ich auch ver­schie­de­ne Un­zu­läng­lich­kei­ten in der ur­sprüng­li­chen Über­set­zung kor­ri­giert. Un­ter an­de­rem habe ich aus der rup­pi­gen Kin­der­wär­te­rin (als Über­set­zung für Nan­nie) ein net­tes Kin­der­mäd­chen ge­macht. Und „Cou­si­ne“ liest sich heu­te ein­deu­tig bes­ser als „Ku­si­ne“.

Im Brief­wech­sel wur­de aus dem „Haupt­mann“ wie­der der von Fitz­ge­rald fa­vo­ri­sier­te „Cap­tain“. Wenn Ame­ri­ka­ner „Bil­li­on“ sa­gen, mei­nen sie ei­gent­lich un­se­re „Mil­li­ar­de“. Aus der „Mis­tin­guet“, der fran­zö­si­schen Na­tio­na­li­ko­ne, wur­de wie­der „Mis­tin­guett“ und der be­rühm­te Cham­pa­gner heißt na­tür­lich „Veu­ve Clic­quot“ und nicht „Veu­ve Cli­quot“.

Au­tor

Fitz­ge­rald, des­sen Le­ben min­des­tens so in­ter­essant war wie sei­ne Wer­ke, schuf mit die­sem mo­der­nen Ro­man ein Sit­ten­ge­mäl­de der „Roa­ring Twen­ties“. Ähn­lich wie in "Der große Gats­by" lei­den sei­ne meist rei­chen Pro­tago­nis­ten auf sehr ho­hem Ni­veau – nur dies­mal eben in Süd­frank­reich und Pa­ris. Wir tau­chen ein in ein bun­tes Por­trät ei­ner ver­snob­ten Ge­ne­ra­ti­on zwi­schen wirt­schaft­li­chen Un­si­cher­hei­ten, Pro­hi­bi­ti­on, Kri­mi­na­li­tät, Jazz, Mode und Eman­zi­pa­ti­on.

In den letz­ten Jah­ren vor dem Zwei­ten Welt­krieg war der Name F. Scott Fitz­ge­rald von fri­sche­ren ver­drängt wor­den. He­ming­way (ein gu­ter Freund und Sauf­kum­pan), Stein­beck und Faulk­ner bil­de­ten nun die Sperr­spit­ze des li­te­ra­ri­schen Rea­lis­mus. Erst nach sei­nem Tode mach­ten ame­ri­ka­ni­sche Kri­ti­ker wie­der auf sein Werk auf­merk­sam und brach­ten ihn – bis heu­te – wie­der zu­rück ins Ram­pen­licht.

Gerald und Sara Murphy

Die In­spi­ra­ti­on

Ge­rald Cle­ry Mur­phy (1888–1964) und Sara Sher­man Wi­borg (1883–1975) wa­ren rei­che, aus­län­di­sche US-Bür­ger, die im frü­hen 20. Jahr­hun­dert an die Côte d'Azur zo­gen und mit ih­rer groß­zü­gi­gen Gast­freund­schaft und ih­rem Flair für Par­ties vor al­lem in den 1920er Jah­ren einen le­ben­di­gen Ge­sell­schafts­kreis um sich schu­fen. Sie wa­ren bes­tens be­freun­det mit vie­len Künst­lern und Schrift­stel­lern der „Lost Ge­ne­ra­ti­on“.

Gerald und Sara Murphy

Ge­rald Mur­phy hat­te eine kur­ze, aber be­deu­ten­de Kar­rie­re als Ma­ler. Sei­ne Bil­der hän­gen u. a. auch im New Yor­ker Mu­se­um of Mo­dern Art. Cole Por­ter war ei­ner sei­ner bes­ten Freun­de; er starb zwei Tage vor ihm.

Sara Wi­borg wur­de auch von Pi­cas­so mehr­mals ge­malt (»Por­trait de Sa­rah Mur­phy«).

Das Ehe­paar diente als In­spi­ra­ti­on für die­sen Ro­man, schließ­lich gilt ih­nen auch die vor­an­ge­stell­te Wid­mung. Ob­wohl vie­le Zeit­ge­nos­sen mein­ten, dass Ni­co­le und Dick Di­ver (die Haupt­fi­gu­ren) auch sehr viel Ähn­lich­keit mit Zel­da und Scott Fitz­ge­rald selbst auf­wie­sen.

Für Ge­rald und Sara
Vie­le Fes­te


Al­rea­dy with thee! ten­der is the night,

But here the­re is no light,
Save what from hea­ven is with the bree­zes blown
Through ver­du­rous glooms and win­ding mos­sy ways.


Be­reit für dich! Zärt­lich ist die Nacht,

Doch hier, da gibt es kein Licht
Au­ßer, was Win­de von den Him­meln weh’n
durch ver­füh­re­ri­sche Düs­ter­nis und win­den­de moo­si­ge Pfa­de

John Keats, »Ode to a Nigh­tin­ga­le«

Erstes Buch – Krankengeschichte (1917–1919)

I

Im Früh­ling 1917, als Dok­tor Richard Di­ver zum ers­ten Mal nach Zü­rich kam, war er sechs­und­zwan­zig Jah­re alt, ein schö­nes Al­ter für einen Mann, ja ei­gent­lich der Hö­he­punkt der Jung­ge­sel­len­jah­re. Selbst wäh­rend des Krie­ges war es ein schö­nes Al­ter für Dick, der be­reits zu wert­voll war und eine zu große Ka­pi­tals­an­la­ge dar­stell­te, um als Ka­no­nen­fut­ter zu die­nen. In spä­te­ren Jah­ren woll­te es ihm schei­nen, als sei er auch aus die­ser Frei­statt nicht leich­ten Kau­fes da­von­ge­kom­men, doch wur­de er sich über die­sen Punkt nie ganz schlüs­sig – 1917 lach­te er über die­sen Ge­dan­ken und sag­te zu sei­ner Ent­schul­di­gung, der Krieg be­rüh­re ihn über­haupt nicht. Die Ver­fü­gung sei­ner ört­li­chen Be­hör­de lau­te­te da­hin, dass er sein Stu­di­um in Zü­rich be­en­den und pro­mo­vie­ren sol­le, wie er es vor­hat­te.

Die Schweiz war eine In­sel, auf der einen Sei­te von den don­nern­den Wo­gen bei Goertz, auf der an­de­ren von der Bran­dung an der Som­me und der Ais­ne um­tobt. Vor­läu­fig schie­nen sich mehr in­ter­essan­te Frem­de als Kran­ke in den Kan­to­nen auf­zu­hal­ten, doch war das le­dig­lich eine Ver­mu­tung – die Män­ner, die in den klei­nen Cafés in Bern und Genf mit­ein­an­der flüs­ter­ten, konn­ten eben­so gut Dia­man­ten­händ­ler oder Ge­schäfts­rei­sen­de sein. Je­der in­des­sen hat­te die lan­gen Züge mit Blin­den, Ein­bei­ni­gen und Ster­ben­den ge­se­hen, die zwi­schen den glit­zern­den Seen von Kon­stanz und Neuchâtel an­ein­an­der vor­bei­fuh­ren. In Bier­hal­len und Schau­fens­tern hin­gen bun­te Pla­ka­te, auf de­nen ge­zeigt wur­de, wie die Schwei­zer 1914 ihre Gren­zen ver­tei­dig­ten; Kampf­geist at­men­de jun­ge und alte Män­ner starr­ten von den Ber­gen auf Fran­zo­sen und Deut­sche hin­ab, die nur in ih­rer Vor­stel­lung exis­tier­ten; der Zweck die­ser Pla­ka­te war, dem schwei­ze­ri­schen Her­zen die Ge­wiss­heit zu ge­ben, dass es an dem all­ge­mei­nen Kampfrausch je­ner Tage teil­hat­te. Als das Mor­den an­hielt, ver­bli­chen die Pla­ka­te, und kein Land war über­rasch­ter als die Schwes­ter­re­pu­blik, als die Ve­rei­nig­ten Staa­ten in den Krieg ein­tra­ten.

Dok­tor Di­ver hat­te bis da­hin den Krieg nur am Ran­de er­lebt. 1914 war er ein Ox­ford Rho­des-Stu­dent aus Connec­ti­cut. Er kehr­te nach Hau­se zu­rück, um das letz­te Jahr in John Hop­kins zu stu­die­ren, wo er pro­mo­vier­te. 1916 ging er nach Wien, aus dem Ge­fühl her­aus, der große Freud kön­ne, wenn er sich nicht be­ei­le, even­tu­ell ei­ner Flie­ger­bom­be zum Op­fer fal­len. Da­mals schon war Wien eine tote Stadt, aber es ge­lang ihm, ge­nü­gend Koh­le und Pe­tro­le­um auf­zu­trei­ben, um in sei­nem Zim­mer in der Da­men­stifts­gas­se zu sit­zen und an den Bro­schü­ren zu schrei­ben, die er spä­ter ver­nich­te­te, die je­doch, als er sie von neu­em schrieb, das Gerüst zu dem Buch bil­de­ten, das er 1920 in Zü­rich ver­öf­fent­lich­te.

Die meis­ten von uns ha­ben eine Zeit in ih­rem Le­ben, die ih­nen be­son­ders lieb ist und be­son­ders he­ro­isch er­scheint; für Dick Di­ver war es die­se Zeit. Schon dar­um, weil er kei­ne Ah­nung hat­te, dass er be­zau­bernd war, dass die Zu­nei­gung, die er gab und her­vor­rief, un­ter ge­sun­den Men­schen un­ge­wöhn­lich ist. In sei­nem letz­ten Jahr in New Ha­ven nann­te ihn je­mand ge­sprächs­wei­se »Dick im Glück« – der Name ging ihm nicht aus dem Kopf.

»Dick im Glück, du al­ter Dös­kopp«, flüs­ter­te er sich zu, wenn er vor dem letz­ten bren­nen­den Holz­scheit in sei­nem Zim­mer auf und nie­der ging. »Du hast das Glück beim Schopf ge­fasst. Nie­mand wuss­te et­was da­von, be­vor du kamst.«

Zu Be­ginn des Jah­res 1917, als es schwie­rig wur­de, Koh­len zu be­kom­men, be­nutz­te Dick als Heiz­ma­te­ri­al fast hun­dert Lehr­bü­cher, die sich bei ihm an­ge­sam­melt hat­ten, und bei je­dem ein­zel­nen, das er den Flam­men über­ant­wor­te­te, freu­te er sich in­ner­lich über die Fest­stel­lung, dass er selbst einen Aus­zug des­sen dar­stell­te, was die Bü­cher ent­hiel­ten, und dass er es fünf Jah­re spä­ter zu­sam­men­fas­send wür­de wie­der­ge­ben kön­nen, so­fern sich eine Wie­der­ga­be lohn­te. Dies setz­te er durch man­che Stun­de fort, wenn nö­tig mit ei­nem Tep­pich um die Schul­tern, durch­tränkt vom sanf­ten See­len­frie­den des Stu­die­ren­den, der von al­len Din­gen der Welt dem himm­li­schen Frie­den am nächs­ten kommt. Doch soll­te er, wie nun ge­zeigt wer­den wird, ein Ende ha­ben.

Dass er noch eine Zeit lang vor­hielt, ver­dank­te er sei­nem Kör­per, den er in New Ha­ven beim Rund­lauf und jetzt durch das Schwim­men in der win­ter­lich kal­ten Do­nau ge­stählt hat­te. Mit El­kins, dem zwei­ten Se­kre­tär der Ge­sandt­schaft, teil­te er sein Zim­mer, zwei hüb­sche Mäd­chen be­such­ten sie zu­wei­len – doch war we­der von ih­nen noch von der Ge­sandt­schaft zu­viel zu spü­ren. Die Berüh­rung mit Ed El­kins weck­te in ihm zum ers­ten Mal schwa­che Zwei­fel am Wert sei­nes ei­ge­nen Den­kens; er konn­te nicht se­hen, dass es sich grund­le­gend von El­kins’ Art zu den­ken un­ter­schied – El­kins, der alle New Ha­ve­ner Au­ßen- und Mit­tel­läu­fer der letz­ten drei­ßig Jah­re na­ment­lich auf­zäh­len konn­te.

»– Und, ›Dick im Glück‹ kann nicht ei­ner von die­sen schlau­en Bur­schen sein; er muss we­ni­ger in­takt sein, einen klei­nen Knacks ha­ben. Und wenn’s das Le­ben nicht für ihn tut, ist es auch kein Er­satz, sich eine Krank­heit, ein ge­bro­che­nes Herz oder einen Min­der­wer­tig­keits­kom­plex zu ho­len, ob­wohl es hübsch sein muss, an et­was Zer­bro­che­nem her­um­zu­dok­tern, bis es bes­ser ist als die ur­sprüng­li­che Form.«

Er mach­te sich über sei­ne Ge­dan­ken­gän­ge lus­tig, nann­te sie gleis­ne­risch und »ame­ri­ka­nisch« – sein Kri­te­ri­um für un­durch­dach­tes Wor­te­ma­chen war, dass er es als ame­ri­ka­nisch emp­fand. Und doch wuss­te er, dass er sei­ne In­takt­heit mit Un­voll­kom­men­heit wür­de be­zah­len müs­sen.

»Das Bes­te, was ich dir wün­schen kann, mein Kind«, so sagt die Fee Schwarz­dorn1 in Thacke­rays ›Die Rose und der Ring‹, »ist ein we­nig Un­glück.«

In ge­wis­sen Stim­mun­gen zer­pflück­te er sei­ne ei­ge­nen Ge­dan­ken­gän­ge: »Konn­te ich et­was da­für, dass Pete Li­ving­sto­ne am Wahl­tag im Um­klei­de­raum saß, als ihn alle wie eine Steck­na­del such­ten? Und ich wur­de ge­wählt, ob­wohl ich so we­nig Leu­te kann­te? Er war gut und rich­tig, und ich hät­te statt sei­ner im Um­klei­de­raum sit­zen müs­sen. Vi­el­leicht hät­te ich’s, wenn ich ge­glaubt hät­te, Chan­cen bei der Wahl zu ha­ben. Aber in all den Wo­chen kam Mer­cer dau­ernd in mein Zim­mer. Ich neh­me an, ich wuss­te ganz gut, dass ich Aus­sich­ten hat­te, ganz gut. Aber es wäre mir recht ge­sche­hen, wenn ich mei­ne Sup­pe hät­te aus­löf­feln müs­sen und einen Kon­flikt her­auf­be­schwo­ren hät­te.«

Nach den Vor­le­sun­gen an der Uni­ver­si­tät pfleg­te er die­sen Punkt mit ei­nem jun­gen in­tel­lek­tu­el­len Ru­mä­nen zu er­ör­tern, der ihm ver­si­cher­te: »Wir ha­ben kei­nen Be­weis da­für, dass Goe­the je­mals einen ›Kon­flik­t‹ im mo­der­nen Sin­ne ge­kannt hat oder ein Mann wie Jung, zum Bei­spiel. Du bist kein ro­man­ti­scher Phi­lo­soph – du bist Wis­sen­schaft­ler: Ge­dächt­nis, Kraft, Cha­rak­ter – be­son­ders Ver­nunft. Die Schwie­rig­keit für dich wird dar­in be­ste­hen, Selbst­kri­tik zu üben. Ich lern­te ein­mal einen Mann ken­nen, der zwei Jah­re am Ge­hirn ei­nes Gür­tel­tiers ar­bei­te­te, in der Mei­nung, er wer­de über kurz oder lang mehr über das Ge­hirn des Gür­tel­tiers wis­sen als je­der an­de­re. Ich ver­such­te, ihn da­von zu über­zeu­gen, dass er da­bei den mensch­li­chen Be­reich aus dem Auge ver­lor – das The­ma war zu fern­lie­gend. Und rich­tig, als er die Ar­beit an die me­di­zi­ni­sche Zeit­schrift ein­schick­te, wur­de sie ab­ge­lehnt – eine Ab­hand­lung von ei­nem an­de­ren über das­sel­be The­ma war ge­ra­de an­ge­nom­men wor­den.«

Dick ging nach Zü­rich, mit we­ni­ger Achil­les­fer­sen, als zur Aus­stat­tung ei­nes Tau­send­füß­lers be­nö­tigt wer­den, aber mit ei­ner Un­men­ge von Il­lu­sio­nen – Il­lu­sio­nen über ewig­wäh­ren­de Kraft und Ge­sund­heit und über das ein­ge­bo­re­ne Gute im Men­schen; Il­lu­sio­nen über eine Na­ti­on, über die Lü­gen von Ge­ne­ra­tio­nen von Grenz­land­müt­tern, die ih­ren Kin­dern vor­sin­gen muss­ten, dass kei­ne Wöl­fe vor der Hüt­te lau­er­ten. Nach­dem er pro­mo­viert hat­te, er­hielt er den Be­fehl, sich zu ei­ner Neu­ro­lo­gen­ein­heit zu ver­fü­gen, die in Bar-sur-Aube2 auf­ge­stellt wur­de. In Frank­reich war die Ar­beit zu sei­nem Är­ger mehr ver­wal­tungs­tech­nisch als prak­tisch. Als Aus­gleich fand er ge­nü­gend Zeit, sei­nen kur­z­en Leit­fa­den zu be­en­den und Ma­te­ri­al für sein nächs­tes Werk zu sam­meln. Im Früh­ling 1919 wur­de er ent­las­sen und ging nach Zü­rich zu­rück.

Das Vor­her­ge­hen­de klingt nach Bio­gra­fie, der die Be­frie­di­gung des si­che­ren Wis­sens fehlt, dass der Held – wie der in sei­nem Kram­la­den in Ga­le­na her­um­lun­gern­de Grant – zu ei­nem ver­wi­ckel­ten Schick­sal be­ru­fen ist. Zur Be­ru­hi­gung sei es ge­sagt: Dick Di­vers kri­ti­sches Sta­di­um hebt nun­mehr an.


  1. im Ori­gi­nal: (Fai­ry) »Black­stick«  <<<

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II

Es war ein feuch­ter April­tag mit schrä­gen Wol­ken über dem Al­bis­horn und trä­gem Was­ser tiefer un­ten. Zü­rich sieht ei­ner ame­ri­ka­ni­schen Stadt nicht un­ähn­lich. Dick hat­te die gan­ze Zeit seit sei­ner An­kunft vor zwei Ta­gen et­was ver­misst und merk­te jetzt, es war das Ge­fühl, das er in en­gen fran­zö­si­schen Gas­sen ge­habt hat­te, das Ge­fühl, dass es wei­ter nichts gebe. In Zü­rich gab es eine Men­ge au­ßer Zü­rich – die Dä­cher lei­te­ten die Bli­cke hin­auf zu Kuh­wei­den mit Glo­cken­ge­läut, die sich ih­rer­seits wei­ter oben in Berg­spit­zen ver­wan­del­ten – so war das Le­ben ein senk­rech­ter An­stieg zu ei­nem Post­kar­ten­him­mel. Die Al­pen­län­der, die Hei­mat des Spiel­zeugs, der Draht­seil­bah­nen, der Ka­rus­sells und des Kuh­rei­gens, wa­ren nichts zum Hei­misch­füh­len wie Frank­reich, wo ei­nem fran­zö­si­sche Wein­ran­ken auf der Erde über die Füße wach­sen.

In Salz­burg hat­te Dick einst den auf­ge­setz­ten Wert ei­nes ge­kauf­ten und ge­lie­he­nen Mu­sik Jahr­hun­derts emp­fun­den; ein­mal, als er sich im Uni­ver­si­täts­la­bo­ra­to­ri­um in Zü­rich vor­sich­tig zur Rin­de ei­nes Ge­hirns vor­ge­tas­tet hat­te, war er sich eher wie ein Spiel­zeug­ma­cher vor­ge­kom­men als wie der Wir­bel­sturm, der vor zwei Jah­ren durch die al­ten ro­ten Ge­bäu­de von Hop­kins ge­rast war, un­ge­hin­dert durch die Iro­nie der ge­wal­ti­gen Chris­tus­sta­tue in der Ein­gangs­hal­le.

Den­noch hat­te er sich ent­schlos­sen, noch zwei Jah­re in Zü­rich zu blei­ben, denn er un­ter­schätz­te kei­nes­wegs den Wert des Spiel­zeug­ma­chens, den Wert un­end­li­cher Ge­nau­ig­keit und un­end­li­cher Ge­duld.

Heu­te ging er aus, um Franz Gre­go­ro­vi­us in Dohm­lers Kli­nik am Zü­rich­see zu be­su­chen. Franz, der als Pa­tho­lo­ge in der Kli­nik wohn­te, von Ge­burt Waadt­län­der und ein paar Jah­re äl­ter war als Dick, er­war­te­te ihn an der Stra­ßen­bahn-Hal­te­stel­le. Er hat­te et­was von Cagliostros dunklem, präch­ti­gem Aus­se­hen, das im Ge­gen­satz zu sei­nen Au­gen stand, die de­nen ei­nes Hei­li­gen gli­chen. Er war der drit­te in der Rei­he der Gre­go­ro­vi­us­se – sein Groß­va­ter war Krae­pel­ins Leh­rer ge­we­sen, zu ei­ner Zeit, als die Psych­ia­trie ge­ra­de aus dem Dun­kel der Zei­ten her­vor­trat. Cha­rak­ter­lich war er stolz, lei­den­schaft­lich und gut­mü­tig – er hielt sich für einen Hyp­no­ti­seur. Wenn sich auch das ur­sprüng­li­che Ge­nie der Fa­mi­lie ein we­nig er­schöpft hat­te, wür­de Franz doch zwei­fel­los ein gu­ter Kli­ni­ker wer­den.

Auf dem Weg zur Kli­nik sag­te er: »Er­zähl mir von dei­nen Er­fah­run­gen im Krieg. Bist du auch so ver­än­dert wie die an­dern? Du hast das­sel­be al­ters­lo­se ame­ri­ka­ni­sche Ge­sicht wie frü­her.«

»Ich hab’ nichts vom Krieg ge­merkt«, sag­te Dick. »Du musst es aus mei­nen Brie­fen ge­se­hen ha­ben.«

»Das macht nichts – wir ha­ben ei­ni­ge Bom­ben­schocks hier, die nur von wei­tem einen Flie­ger­an­griff ge­hört ha­ben. Ein paar sind da, die nur da­von in der Zei­tung la­sen.«

»Das hört sich ziem­lich un­sin­nig an.«

»Vi­el­leicht, Dick. Aber wir sind eine Kli­nik für rei­che Leu­te – wir be­nut­zen das Wort Un­sinn nicht. Sei mal ganz of­fen, kommst du zu mir oder zu dem Mäd­chen?«

Sie blick­ten sich von der Sei­te an; Franz lä­chel­te hin­ter­grün­dig.

»Na­tür­lich habe ich die ers­ten Brie­fe ge­le­sen«, sag­te er in dienst­li­chem Bass. »Als die Ver­än­de­rung be­gann, hat mich mein Zart­ge­fühl da­von ab­ge­hal­ten, noch wei­te­re zu öff­nen. In Wirk­lich­keit war es ja dein Fall ge­wor­den.«

»Es geht ihr also gut?« frag­te Dick.

»Ta­del­los. Ich be­treue sie, wie ich über­haupt die Mehr­zahl der eng­li­schen und ame­ri­ka­ni­schen Pa­ti­en­ten be­treue. Sie nen­nen mich Dok­tor Gre­go­ry.«

»Ich wer­de dir er­klä­ren, wel­che Be­wandt­nis es mit dem Mäd­chen hat«, sag­te Dick. »Tat­sa­che ist, dass ich sie nur ein ein­zi­ges Mal ge­se­hen habe. Als ich her­aus­kam, um mich von dir zu ver­ab­schie­den, kurz be­vor ich nach Frank­reich ging. Es war das ers­te Mal, dass ich mei­ne Uni­form trug, und ich fühl­te mich in ihr sehr fehl am Plat­ze – grüß­te ge­mei­ne Sol­da­ten und lau­ter so Zeug.«

»Wa­rum hast du sie heu­te nicht an?«

»Ha! Ich bin doch vor drei Wo­chen ent­las­sen wor­den. Hier ist der Weg, auf dem ich das Mäd­chen zu­fäl­lig traf. Als ich dich ver­las­sen hat­te, ging ich zu dei­nem Haus am See, um mein Rad zu ho­len.«

»– zu den Ze­dern hin?«

»– ein wun­der­ba­rer Abend, weißt du – der Mond stand über dem Berg –«

»Dem Kreu­zegg.«1

»– Ich hol­te eine Pfle­ge­rin und ein jun­ges Mäd­chen ein. Ich hielt das Mäd­chen nicht für eine Pa­ti­en­tin; ich frag­te die Pfle­ge­rin nach den Ab­fahrts­zei­ten der Stra­ßen­bahn, und wir gin­gen ne­ben­ein­an­der her. Das Mäd­chen war mit das hüb­sche­s­te Ding, das ich je ge­se­hen hat­te.«

»Sie ist es noch.«

»Sie hat­te noch nie eine ame­ri­ka­ni­sche Uni­form ge­se­hen, und wir un­ter­hiel­ten uns und dach­ten uns nichts da­bei.« Er hielt inne, da er einen Aus­blick wie­der­er­kann­te, und fuhr dann fort: »Du musst be­den­ken, Franz, dass ich noch nicht so ab­ge­brüht bin wie du. Wenn ich eine so wun­der­schö­ne Scha­le sehe, kann ich nicht um­hin, über das, was dar­in steckt, be­trübt zu sein. Das war al­les – bis die Brie­fe ka­men.«

»Es war das bes­te, was ihr pas­sie­ren konn­te«, sag­te Franz dra­ma­tisch, »ein Zu­sam­men­tref­fen, vom Zu­fall be­schert. Da­rum habe ich dich ab­ge­holt, ob­wohl es ein sehr be­setz­ter Tag ist. Ich möch­te, dass du zu mir ins Büro kommst und lan­ge mit mir sprichst, be­vor du sie siehst. Ich habe sie näm­lich nach Zü­rich ge­schickt, um Ein­käu­fe zu ma­chen.« Sei­ne Stim­me klang ge­strafft vor Be­geis­te­rung. »Ich habe sie so­gar ohne Pfle­ge­rin ge­schickt, mit ei­ner we­ni­ger sta­bi­len Pa­ti­en­tin. Ich bin un­end­lich stolz auf die­sen Fall, den ich mit dei­ner zu­fäl­li­gen Hil­fe be­han­delt habe.«

Das Auto war am Ufer des Zü­rich­sees ent­lang­ge­fah­ren und dann in eine frucht­ba­re Land­schaft mit Vieh­wei­den und sanf­ten Hü­geln vol­ler Cha­lets ein­ge­bo­gen. Die Son­ne schwamm in ei­nem blau­en Him­mels­meer, und plötz­lich war es ein Schwei­zer Tal, wie man es sich schö­ner nicht den­ken konn­te, mit lieb­li­chen Klän­gen und Ge­mur­mel und dem gu­ten, fri­schen Duft nach Ge­sund­heit und Froh­sinn.

Pro­fes­sor Dohm­lers An­stalt be­stand aus drei al­ten und zwei neu­en Ge­bäu­den und lag zwi­schen ei­ner klei­nen An­hö­he und dem Ufer des Sees. Bei ih­rer Grün­dung, zehn Jah­re zu­vor, war sie die ers­te mo­der­ne Kli­nik für Geis­tes­krank­hei­ten ge­we­sen; auf den ers­ten Blick hät­te kein Laie eine Zuf­luchts­stät­te für die Ge­bro­che­nen, De­fek­ten, Ge­mein­ge­fähr­li­chen die­ser Welt in ihr ge­se­hen, wenn­gleich zwei Ge­bäu­de von ver­däch­tig ho­hen, wein­be­wach­se­nen Mau­ern um­ge­ben wa­ren. Ein paar Män­ner hark­ten in der Son­ne Stroh zu­sam­men. Als sie durch die Park­an­la­gen fuh­ren, ka­men sie hier und da an ei­ner Kran­ken­schwes­ter vor­bei, die mit wip­pen­der wei­ßer Flü­gel­hau­be ne­ben ei­nem Pa­ti­en­ten her­ging.

Nach­dem er Dick in sein Büro ge­führt hat­te, ent­schul­dig­te sich Franz auf eine hal­be Stun­de. Al­lein ge­blie­ben, durch­schritt Dick den Raum und ver­such­te, sich Fran­zens Per­sön­lich­keit aus der Un­ord­nung auf sei­nem Schreib­tisch, aus sei­nen Bü­chern und den Bü­chern, die sei­nem Va­ter und Groß­va­ter ge­hört und die sie ge­schrie­ben hat­ten, zu re­kon­stru­ie­ren; auch aus ei­ner rie­si­gen, röt­lich ko­lo­rier­ten Fo­to­gra­fie des ers­te­ren, die, schwei­ze­ri­scher Sit­te fol­gend, an der Wand hing. Es roch nach Rauch im Zim­mer; Dick stieß das fran­zö­si­sche Fens­ter auf und ließ einen Strei­fen Son­nen­licht her­ein. Un­ver­se­hens wand­ten sich sei­ne Ge­dan­ken der Pa­ti­en­tin, dem jun­gen Mäd­chen, zu.

Er hat­te un­ge­fähr fünf­zig Brie­fe von ihr be­kom­men, die sie wäh­rend ei­nes Zeit­rau­mes von acht Mo­na­ten an ihn ge­schrie­ben hat­te. Im ers­ten hat­te sie, sich ent­schul­di­gend, er­klärt, sie habe aus Ame­ri­ka ge­hört, dass Mäd­chen an un­be­kann­te Sol­da­ten schrie­ben. Sie habe Na­men und Adres­se von Dok­tor Gre­go­ry er­hal­ten und hof­fe, er wer­de nichts da­ge­gen ha­ben, wenn sie ihm zu­wei­len ein paar Zei­len mit gu­ten Wün­schen schi­cken wür­de, etc. etc.

Bis da­hin war es leicht, den Ton zu er­ken­nen – er stamm­te aus »Dad­dy Long-Legs« und »Mol­ly-Make-Be­lie­ve«, mun­ter-sen­ti­men­ta­len Brief­samm­lun­gen, die sich in den Staa­ten großer Be­liebt­heit er­freu­ten. Aber dann hör­te die Ähn­lich­keit auf.

Die Brie­fe zer­fie­len in zwei Ka­te­go­ri­en, von de­nen die ers­te, bis zur Zeit des Waf­fen­still­stan­des un­ge­fähr, einen aus­ge­spro­chen pa­tho­lo­gi­schen Cha­rak­ter trug, wo­ge­gen die zwei­te, die sich von je­nem Zeit­punkt bis zur Ge­gen­wart er­streck­te, durch­aus nor­mal war und einen schön her­an­ge­reif­ten Cha­rak­ter ver­riet. Auf die­se spä­te­ren Brie­fe hat­te Dick in den letz­ten lang­wei­li­gen Mo­na­ten in Bar-sur-Aube schließ­lich mit Un­ge­duld ge­war­tet, aber auch aus den frü­he­ren Brie­fen hat­te er sich mehr zu­sam­men­ge­reimt, als Franz wohl ver­mu­tet hät­te.2

Mon Ca­pi­taine:

Als ich Sie in Ih­rer Uni­form sah, fand ich Sie so schön. Dann dach­te ich: Je m’en fi­che!3 auf fran­zö­sisch und auch auf deutsch. Sie fan­den mich eben­falls hübsch, aber das ken­ne ich von frü­her und habe es lan­ge er­tra­gen. Wenn Sie wie­der mit sol­chem nie­der­träch­ti­gen und ver­bre­che­ri­schen Be­neh­men her­kom­men, das so gar nicht dem ent­spricht, was man mir bei­ge­bracht hat, als gent­le­m­an­li­ke an­zu­se­hen, möge Ih­nen der Him­mel gnä­dig sein. Im­mer­hin, Sie schei­nen ru­hi­ger zu sein als die an­de­ren, ganz sanft, wie eine große Kat­ze. Ich habe im­mer nur Jun­gen gern ge­habt, die ziem­li­che Schwäch­lin­ge wa­ren. Sind Sie ein Schwäch­ling? Ir­gend­wo gab es wel­che.

Ent­schul­di­gen Sie dies al­les, das ist der drit­te Brief, den ich Ih­nen schrei­be, und ich wer­de ihn so­fort ab­schi­cken, sonst wer­de ich ihn nie ab­schi­cken. Ich habe auch sehr viel über den Mond­schein nach­ge­dacht, und ich könn­te eine Men­ge Zeu­gen bei­brin­gen, wenn ich bloß hier her­aus könn­te.

Es ist mir ge­sagt wor­den, Sie sei­en Arzt, aber so­lan­ge Sie eine Kat­ze sind, ist es et­was an­de­res. Mein Kopf tut so weh, dar­um ent­schul­di­gen Sie; die­ser Spa­zier­gang ei­ner ge­wöhn­li­chen mit ei­ner wei­ßen Kat­ze ist, glau­be ich, eine Er­klä­rung da­für. Ich spre­che drei Spra­chen, mit Eng­lisch vier, und ich glau­be be­stimmt, ich könn­te mich als Dol­met­sche­rin nütz­lich ma­chen; wenn Sie nur in Frank­reich so et­was ver­mit­teln wür­den, glau­be ich be­stimmt, ich könn­te al­les zwin­gen, wenn je­der mit Rie­men ge­fes­selt wür­de, wie es am Mitt­woch ge­sch­ah. Jetzt ist es Sonn­abend, und Sie sind weit weg, viel­leicht tot.

Kom­men Sie ei­nes Ta­ges zu mir zu­rück; denn ich wer­de im­mer hier sein auf die­sem grü­nen Hü­gel. Wenn mir nicht er­laubt wird, an mei­nen Va­ter zu schrei­ben, den ich von Her­zen ge­liebt habe.

Ent­schul­di­gen Sie dies. Ich bin heu­te gar nicht ich selbst. Ich wer­de schrei­ben, wenn ich mich bes­ser füh­le.

Chee­rio
Ni­co­le War­ren.

Ent­schul­di­gen Sie dies al­les.

Cap­tain Di­ver:

Ich weiß, dass Selbst­be­trach­tung bei ei­nem so hoch­gra­dig ner­vö­sen Sta­di­um wie dem mei­ni­gen nicht gut ist, aber ich möch­te, dass Sie wis­sen, wie es mit mir steht. Vo­ri­ges Jahr, oder wann das in Chi­ca­go war, als ich so wur­de, konn­te ich nicht mit Dienst­bo­ten spre­chen oder auf die Stra­ße ge­hen; ich war­te­te stän­dig auf je­mand, der mir Aus­kunft ge­ben soll­te. Es war die Pf­licht des­sen, der Be­scheid wuss­te. Ein Blin­der muss ge­führt wer­den. Nur woll­te mir nie­mand al­les sa­gen – sie sag­ten mir nur die Hälf­te, und ich war schon zu ver­wirrt, um zwei und zwei zu­sam­men­zu­zäh­len. Ein Mann war nett – ein fran­zö­si­scher Of­fi­zier, und er wuss­te Be­scheid. Er gab mir eine Blu­me und sag­te, sie sei »plus pe­ti­te et moins en­ten­due«.4 Wir wa­ren Freun­de. Dann nahm er sie mir weg. Ich wur­de krän­ker, und nie­mand war da, der es mir er­klä­ren konn­te. Sie hat­ten ein Lied über Jean­ne d’Arc, das pfleg­ten sie mir vor­zu­sin­gen, aber das war pure Nie­der­tracht – es hat mich bloß zum Wei­nen ge­bracht, denn da­mals war mein Kopf noch in Ord­nung. Sie mach­ten auch An­spie­lun­gen auf Sport, aber da­mals mach­te ich mir nichts dar­aus. Also an dem Tag ging ich zu Fuß den Mi­chi­gan Bou­le­vard ent­lang, wei­ter und wei­ter, ki­lo­me­ter­weit, und schließ­lich folg­ten sie mir im Auto, aber ich woll­te nicht ein­stei­gen. Schließ­lich zo­gen sie mich hin­ein, und da wa­ren Kran­ken­schwes­tern. In der Fol­ge­zeit wur­de mir al­les klar, weil ich füh­len konn­te, was in an­de­ren vor­ging. Nun wis­sen Sie, wie es um mich steht. Und kann es denn gut für mich sein, dass ich hier­blei­be, wo die Ärz­te be­stän­dig Din­ge zur Spra­che brin­gen, über die ich doch ge­ra­de hier hin­weg­kom­men soll­te? Da­rum habe ich heu­te mei­nem Va­ter ge­schrie­ben und ihn ge­be­ten, her­zu­kom­men und mich weg­zu­ho­len. Es freut mich, dass es Sie in­ter­es­siert, die Leu­te zu un­ter­su­chen und weg­zu­schi­cken. Das muss viel Spaß ma­chen.

Und aus ei­nem an­de­ren Brief:

Sie könn­ten ei­gent­lich Ihre nächs­te Un­ter­su­chung schwim­men las­sen und mir einen Brief schrei­ben. Man hat mir so­eben ei­ni­ge Schall­plat­ten ge­schickt, da­mit ich mei­ne Lek­tio­nen nicht ver­ges­se; ich habe sie alle zer­bro­chen, dar­um will die Schwes­ter nicht mit mir spre­chen. Sie wa­ren eng­lisch, so dass die Schwes­tern sie nicht ver­stan­den hät­ten. Ein Arzt in Chi­ca­go sag­te, ich si­mu­lie­re, aber in Wahr­heit mein­te er, ich sei eins von Sechs­lin­gen, und er hat­te noch nie eins ge­se­hen. Aber da­mals war ich stark da­mit be­schäf­tigt, ver­rückt zu sein, dar­um war es mir gleich­gül­tig, was er sag­te; wenn ich stark da­mit be­schäf­tigt bin, ver­rückt zu sein, ist es mir ge­wöhn­lich gleich­gül­tig, was man sagt, und wenn ich eine Mil­li­on Mäd­chen wäre.

Da­mals am Abend sag­ten Sie mir, Sie wür­den mir bei­brin­gen, wie man spielt. Also, ich glau­be, Lie­be ist das ein­zi­ge, was von Be­deu­tung ist oder von Be­deu­tung sein soll­te. Auf alle Fäl­le freue ich mich, dass Ihr In­ter­es­se an den Un­ter­su­chun­gen Sie aus­füllt.

Tout à vous5
Ni­co­le War­ren.

An­de­re Brie­fe wa­ren dar­un­ter, de­ren hilflo­se Zä­su­ren dunk­le­re Rhyth­men ver­bar­gen.

Sehr ge­ehr­ter Cap­tain Di­ver:

Ich schrei­be Ih­nen, weil sonst kei­ner da ist, an den ich mich wen­den kann, und mir scheint, wenn die­se ab­sur­de Si­tua­ti­on je­mand ein­leuch­tet, der so krank ist wie ich, so soll­te sie erst recht Ih­nen ein­leuch­ten. Die Geis­tes­krank­heit ist be­ho­ben, aber ab­ge­se­hen da­von bin ich völ­lig nie­der­ge­bro­chen und ge­de­mü­tigt, und viel­leicht woll­te man das. Mei­ne Fa­mi­lie hat mich schänd­lich ver­nach­läs­sigt, es hat kei­nen Zweck, sie um Hil­fe oder Mit­leid zu bit­ten. Ich habe ge­nug da­von, und ich rich­te nur mei­ne Ge­sund­heit zu­grun­de und ver­geu­de mei­ne Zeit, wenn ich mir ein­bil­de, dass das, was in mei­nem Kopf los ist, heil­bar ist.

Ich bin hier an­schei­nend in ei­ner Art Ir­ren­haus, ein­fach, weil nie­mand es für rich­tig hielt, mir über al­les die Wahr­heit zu sa­gen. Wenn ich nur ge­wusst hät­te, was vor­ging, so wie ich es jetzt weiß, ich glau­be, ich hät­te es er­tra­gen, denn ich bin ganz hübsch stark; aber die es hät­ten tun sol­len, hiel­ten es nicht für rich­tig, mich auf­zu­klä­ren.

Und jetzt, wo ich Be­scheid weiß und einen sol­chen Preis für mein Wis­sen be­zahlt habe, sit­zen sie da mit ih­ren Hun­deau­gen und sa­gen, ich sol­le das glau­ben, was ich frü­her ge­glaubt habe. Be­son­ders ei­ner tut das, aber jetzt weiß ich Be­scheid.

Ich bin im­mer­zu ein­sam, weit weg von Freun­den und Ver­wand­ten jen­seits des Ozeans, und ich wan­de­re halb be­täubt durch die Ge­gend. Wenn Sie mir eine Stel­lung als Dol­met­sche­rin ver­schaf­fen könn­ten (ich spre­che Fran­zö­sisch und Deutsch wie mei­ne Mut­ter­spra­che, ganz gut Ita­lie­nisch und et­was Spa­nisch) oder im Ro­ten-Kreuz-La­za­rett oder als La­za­rett­zug-Schwes­ter, ob­gleich ich da­für aus­ge­bil­det wer­den müss­te, wür­den Sie mir eine große Wohl­tat er­wei­sen.

Und dann wie­der:

Da Sie mei­ne Er­klä­rung des­sen, was los ist, nicht an­neh­men wol­len, könn­ten Sie mir zum min­des­ten er­klä­ren, was Sie den­ken; denn Sie ha­ben das gü­ti­ge Ge­sicht ei­ner wei­ßen Kat­ze und nicht den ko­mi­schen Blick, der hier Mode zu sein scheint. Dr. Gre­go­ry gab mir ein Foto von Ih­nen, nicht so schön, wie Sie in Ih­rer Uni­form sind, aber Sie se­hen jün­ger dar­auf aus.

Mon Ca­pi­taine:

Es war schön, Ihre Post­kar­te zu er­hal­ten. Ich freue mich sehr, dass Sie so­viel In­ter­es­se dar­an ha­ben, Kran­ken­schwes­tern zu dis­qua­li­fi­zie­ren – oh, ich habe Ihre Zei­len sehr gut ver­stan­den. Ich dach­te nur vom ers­ten Mo­ment un­se­rer Be­kannt­schaft an, dass Sie an­ders wä­ren.

Lie­ber Ca­pi­taine:

Heu­te den­ke ich so und mor­gen so über die Sa­che. Das ist es, wor­an ich in Wirk­lich­keit lei­de, au­ßer an ei­nem ra­sen­den Trotz und ei­nem Man­gel an Gleich­maß. Ich wür­de je­den Psych­ia­ter will­kom­men hei­ßen, den Sie vor­schla­gen. Hier lie­gen sie in ih­ren Ba­de­wan­nen und sin­gen: »Spiel in dei­nem eig­nen Hin­ter­hof«, als ob ich einen Hin­ter­hof zum drin spie­len hät­te oder als wenn für mich ir­gend­ei­ne Hoff­nung dar­in lie­gen könn­te, rück­wärts oder vor­wärts zu schau­en. Sie ha­ben es wie­der in dem Bon­bon­la­den ver­sucht, und ich habe mit dem Ge­wicht nach dem Mann ge­wor­fen und ihn bei­na­he ge­trof­fen, aber sie hiel­ten mich fest.

Ich wer­de ih­nen nicht mehr schrei­ben. Mei­ne Stim­mung ist zu wech­selnd.

Dann ein Mo­nat ohne Brie­fe. Und dann plötz­lich die Ver­än­de­rung.

– Ich kom­me lang­sam ins Le­ben zu­rück …

– Heu­te die Blu­men und die Wol­ken …

– Der Krieg ist zu Ende, und ich wuss­te kaum, dass Krieg war …

– Wie gut Sie ge­we­sen sind! Sie müs­sen sehr wei­se sein hin­ter Ihrem Ge­sicht ei­ner wei­ßen Kat­ze; al­ler­dings se­hen Sie auf dem Bild, das mir Dok­tor Gre­go­ry gab, nicht so aus …

– Heu­te bin ich nach Zü­rich ge­fah­ren, ein merk­wür­di­ges Ge­fühl, wie­der mal eine Stadt zu se­hen.

– Heu­te wa­ren wir in Bern, es war so hübsch mit den Uhren.

– Heu­te sind wir so hoch hin­auf­ge­kra­xelt, dass wir As­pho­dill und Edel­weiß ge­fun­den ha­ben …

Da­nach ka­men die Brie­fe sel­te­ner, aber er be­ant­wor­te­te sie alle. In ei­nem hieß es:

Ich wünsch­te, je­mand wür­de sich in mich ver­lie­ben, wie es die Jun­gen vor Jah­ren ta­ten, be­vor ich krank war. Doch ich glau­be, es wer­den noch Jah­re ver­ge­hen, ehe ich an so et­was den­ken kann.

Aber als Dicks Ant­wort sich aus ir­gend­ei­nem Grun­de ver­zö­ger­te, kam ein hef­ti­ger Aus­bruch von Be­sorg­nis – Be­sorg­nis ei­ner Lie­ben­den: »Vi­el­leicht habe ich Sie ge­lang­weilt« und »Ich fürch­te, ich bin zu weit ge­gan­gen« und »Nachts habe ich im­mer­zu ge­dacht, Sie wä­ren krank.«

Tat­säch­lich war Dick an In­flu­enza er­krankt. Als er ge­ne­sen war, fiel al­les au­ßer der rein for­ma­len Sei­te sei­ner Kor­re­spon­denz der dar­auf­fol­gen­den Mat­tig­keit zum Op­fer, und kurz da­nach wur­de die Erin­ne­rung an die Brief­schrei­be­rin in den Hin­ter­grund ge­drängt durch die le­ben­di­ge Ge­gen­wart ei­ner Te­le­fo­nis­tin aus Wis­con­sin im Haupt­quar­tier von Bar-sur-Aube. Sie hat­te rote Lip­pen wie ein Ge­sicht auf ei­nem Pla­kat und war in den Of­fi­ziers­mes­sen ob­szö­ner­wei­se un­ter dem Na­men »das Schalt­brett« be­kannt.

Franz kam, durch­drun­gen von sei­ner ei­ge­nen Wich­tig­keit, ins Büro zu­rück. Dick dach­te, er wür­de wahr­schein­lich ein gu­ter Kli­ni­ker wer­den, denn der klang­vol­le oder ab­ge­ris­se­ne Ton­fall, mit dem er Pfle­ge­per­so­nal wie auch Pa­ti­en­ten in Zucht hielt, ent­sprang nicht sei­nem Ner­ven­sys­tem, son­dern ei­ner un­ge­heu­ren, aber harm­lo­sen Ei­tel­keit. Sei­ne wirk­li­chen Ge­füh­le wa­ren ge­ord­ne­ter, und er be­hielt sie für sich.

»Nun zu dem Mäd­chen, Dick«, sag­te er. »Na­tür­lich will ich et­was über dich hö­ren und dir von mir er­zäh­len, aber zu­erst zu dem Mäd­chen, weil ich schon so lan­ge dar­auf ge­war­tet habe, dir von ihr zu be­rich­ten.«

Er such­te und fand in ei­ner Kar­to­thek ein Bün­del Pa­pie­re, aber nach­dem er sie schnell durch­ge­se­hen hat­te, fand er, dass sie ihm im Wege wa­ren, und leg­te sie auf sei­nen Schreib­tisch. Statt des­sen er­zähl­te er Dick die Ge­schich­te.


  1. Berg in den All­gäu­er Al­pen bei Oberst­dorf  <<<

  2. Im Ori­gi­nal und in der Er­st­über­set­zung wur­den die hier ge­zeig­ten Brie­fe in kur­ze, num­me­rier­te Un­ter­sei­ten auf­ge­teilt. Aus Grün­den der bes­se­ren Les­bar­keit habe ich das hier un­ter­las­sen und die Brie­fe wie­der zu­sam­men­ge­führt. Der In­halt wur­de nicht ge­än­dert. Wa­rum Fitz­ge­rald sich ur­sprüng­lich hier­für ent­schie­den hat­te, ist nicht nach­voll­zieh­bar, bringt es doch kei­ner­lei Er­kennt­nis­ge­winn. – Der Ver­le­ger  <<<

  3. (franz.) Das ist mir egal  <<<

  4. (franz.) sehr klein und recht un­schul­dig  <<<

  5. (franz.) Ganz die Ihre  <<<

III

Vor an­dert­halb Jah­ren etwa führ­te Dok­tor Dohm­ler einen et­was ver­wor­re­nen Brief­wech­sel mit ei­nem ame­ri­ka­ni­schen Herrn, der in Lau­san­ne leb­te, ei­nem Herrn De­ver­eux War­ren von der Fa­mi­lie War­ren aus Chi­ca­go. Eine Zu­sam­men­kunft wur­de ver­ein­bart, und ei­nes Ta­ges traf Herr War­ren mit sei­ner Toch­ter Ni­co­le, ei­nem Mäd­chen von sech­zehn Jah­ren, in der Kli­nik ein. Das Mäd­chen war of­fen­sicht­lich krank, und die Kran­ken­schwes­ter, die mit­ge­kom­men war, mach­te mit ihr einen Spa­zier­gang durch den Park, wäh­rend Herr War­ren den Arzt kon­sul­tier­te.

War­ren war ein auf­fal­lend hüb­scher Mann, dem man sei­ne vier­zig Jah­re nicht an­sah. Er war in je­der Hin­sicht ein gu­ter ame­ri­ka­ni­scher Typ: groß, statt­lich, gut ge­wach­sen – »un hom­me très chic«,1 wie Dok­tor Dohm­ler ihn Franz be­schrieb. Das Wei­ße sei­ner grau­en Au­gen war von ro­ten Äder­chen durch­zo­gen, vom Ru­dern auf dem Gen­fer See, und man sah sei­nem gan­zen Ge­ha­ben an, dass er die Genüs­se die­ser Welt zu schät­zen wuss­te. Die Un­ter­hal­tung wur­de auf deutsch ge­führt, denn es stell­te sich her­aus, dass er in Göt­tin­gen zur Schu­le ge­gan­gen war. Er war ner­vös, und au­gen­schein­lich ging ihm sei­ne Mis­si­on sehr nahe.

»Dok­tor Dohm­ler, mei­ne Toch­ter ist ge­müts­krank. Ich habe un­zäh­li­ge Spe­zia­lis­ten be­fragt und Kran­ken­schwes­tern für sie ge­hal­ten, und sie hat zwei Lie­ge­ku­ren ge­macht, aber die Sa­che ist mir über den Kopf ge­wach­sen, und man hat mir drin­gend emp­foh­len, mich an Sie zu wen­den.«

»Sehr schön«, sag­te Dok­tor Dohm­ler. »Wie wäre es, wenn Sie mir al­les von An­fang an er­zäh­len wür­den.«

»Ei­nen An­fang gibt es gar nicht, zu­min­dest hat es, so­viel ich weiß, in der Fa­mi­lie auf bei­den Sei­ten kei­ne Geis­tes­krank­heit ge­ge­ben. Ni­co­les Mut­ter starb, als das Kind elf Jah­re alt war, und ich bin so­zu­sa­gen Va­ter und Mut­ter in ei­ner Per­son für sie ge­we­sen, mit Hil­fe von Er­zie­he­rin­nen – Va­ter und Mut­ter in ei­ner Per­son.«

Er war sehr be­wegt, als er das sag­te. Dok­tor Dohm­ler sah, dass er Trä­nen in den Au­gen hat­te, und be­merk­te zum ers­ten Mal, dass sein Atem nach Whis­ky roch.

»Als Kind war sie ein ent­zücken­des klei­nes Ding – je­der war hin­ge­ris­sen von ihr, je­der, der mit ihr in Berüh­rung kam. Sie war schlank wie eine Ger­te und vom Mor­gen bis zum Abend glück­lich. Mit Vor­lie­be las sie oder zeich­ne­te oder tanz­te oder spiel­te Kla­vier – sie konn­te al­les mög­li­che. Oft hör­te ich mei­ne Frau sa­gen, sie sei das ein­zi­ge von un­se­ren Kin­dern, das nie­mals in der Nacht ge­schri­en habe. Ich habe noch eine äl­te­re Toch­ter, und da war noch ein Jun­ge, der ge­stor­ben ist, aber Ni­co­le war – Ni­co­le war – Ni­co­le –«

Er hielt inne, und Dok­tor Dohm­ler half ihm.

»Sie war ein ganz und gar nor­ma­les, strah­len­des, glück­li­ches Kind.«

»Ganz und gar.«

Dok­tor Dohm­ler war­te­te. Herr War­ren schüt­tel­te den Kopf, stieß einen tie­fen Seuf­zer aus, streif­te Dok­tor Dohm­ler mit ei­nem schnel­len Blick und sah dann wie­der zu Bo­den.

»Un­ge­fähr vor acht Mo­na­ten, viel­leicht wa­ren es auch sechs oder viel­leicht zehn – ich ver­su­che, es mir zu ver­ge­gen­wär­ti­gen, aber ich kann mich nicht ge­nau ent­sin­nen, wo wir wa­ren, als sie be­gann, ko­mi­sche Din­ge zu tun – ver­rück­te Din­ge. Ihre Schwes­ter war der ers­te Mensch, der mir et­was dar­über sag­te – denn Ni­co­le war mir ge­gen­über im­mer die glei­che«, füg­te er ziem­lich has­tig hin­zu, so als hät­te je­mand be­haup­tet, er trü­ge die Schuld, »– das­sel­be an­schmieg­sa­me klei­ne Mäd­chen. Die ers­te Sa­che be­traf einen Kam­mer­die­ner.«

»Ganz recht«, sag­te Dok­tor Dohm­ler und nick­te mit sei­nem ehr­wür­di­gen Haupt, als wenn er, wie Sher­lock Hol­mes, er­war­tet hät­te, dass ein Kam­mer­die­ner, und zwar aus­ge­rech­net ein Kam­mer­die­ner, in die­sem Mo­ment in Er­schei­nung tre­ten wür­de.

»Ich hat­te einen Kam­mer­die­ner, der seit Jah­ren bei mir war – üb­ri­gens ein Schwei­zer.« Er blick­te Dok­tor Dohm­ler in Er­war­tung sei­nes pa­trio­ti­schen Bei­falls an. »Sie bil­de­te sich in be­zug auf ihn et­was Ver­rück­tes ein. Sie mein­te, er stel­le ihr nach – na­tür­lich glaub­te ich es ihr da­mals und entließ ihn, aber jetzt weiß ich, dass al­les Un­sinn war.«

»Was be­haup­te­te sie, dass er ge­tan ha­ben soll­te?«

»Da­mit fing es schon an – die Ärz­te konn­ten nichts Be­stimm­tes aus ihr her­aus­krie­gen. Sie blick­te sie an, als müss­ten sie es ei­gent­lich wis­sen, was er ge­tan hat­te. Si­cher war nur, dass sie mein­te, er habe ihr ir­gend­wel­che un­schick­li­chen An­trä­ge ge­macht – dar­über ließ sie uns nicht im Zwei­fel.«

»Ich ver­ste­he.«

»Na­tür­lich habe ich über Frau­en ge­le­sen, die sich ein­sam füh­len und sich ein­bil­den, es sei ein Mann un­ter ih­rem Bett und der­glei­chen, aber wie soll­te Ni­co­le auf so et­was kom­men? Sie konn­te so vie­le jun­ge Män­ner ha­ben, wie sie woll­te. Wir wa­ren in Lake Fo­rest, ei­ner Som­mer­fri­sche bei Chi­ca­go, wo wir ein Grund­stück ha­ben – und sie war den gan­zen Tag drau­ßen und spiel­te mit den Jun­gen Golf oder Ten­nis. Und ei­ni­ge von ih­nen wa­ren ziem­lich hin­ter ihr her.«

Die gan­ze Zeit über, wäh­rend War­ren auf den al­ten, ver­trock­ne­ten Kna­ben, den Dok­tor Dohm­ler, ein­re­de­te, war ein Teil von des­sen Hirn in In­ter­val­len mit Chi­ca­go be­schäf­tigt. Einst­mals, in sei­ner Ju­gend, hät­te er als As­sis­tent und Do­zent an die Uni­ver­si­tät Chi­ca­go ge­hen kön­nen; viel­leicht wäre er dort reich ge­wor­den und hät­te ein ei­ge­nes Sa­na­to­ri­um be­ses­sen, statt nur klei­ner Teil­ha­ber an ei­ner Kli­nik zu sein. Als er sich das, was er sein ei­ge­nes man­gel­haf­tes Wis­sen nann­te, über das gan­ze Ge­biet, über all die Wei­zen­fel­der und die end­lo­sen Prä­ri­en ver­teilt dach­te, hat­te er sich da­ge­gen ent­schie­den. Aber er hat­te in je­nen Ta­gen viel über Chi­ca­go ge­le­sen, über die großen feu­da­len Fa­mi­li­en, die Ar­mours, Pal­mers, Fields, Cra­nes, War­rens, Swifts, McCor­micks und vie­le an­de­re, und seit­her wa­ren nicht we­ni­ge Pa­ti­en­ten, die die­ser Ge­sell­schafts­schicht an­ge­hör­ten, aus Chi­ca­go und New York zu ihm ge­kom­men.

»Es wur­de schlim­mer mit ihr«, fuhr War­ren fort. »Sie hat­te so was wie einen An­fall – das, was sie sag­te, wur­de im­mer ver­rück­ter. Ihre Schwes­ter schrieb ei­ni­ges da­von auf.« Er reich­te dem Dok­tor ein mehr­fach ge­fal­te­tes Stück Pa­pier. »Fast im­mer über Män­ner, die sie an­fal­len woll­ten, Män­ner, die sie kann­te oder Män­ner auf der Stra­ße – alle –«

Er er­zähl­te von sei­ner Sor­ge und Not, von dem Schre­cken, in den Fa­mi­li­en durch sol­che Be­ge­ben­hei­ten ver­setzt wer­den, von ih­ren er­folg­lo­sen Be­mü­hun­gen in Ame­ri­ka und schließ­lich da­von, dass sie sich viel von ei­nem Orts­wech­sel ver­spro­chen hat­ten, und wie er dar­um die Un­ter­see­boot­blo­cka­de durch­bro­chen und sei­ne Toch­ter in die Schweiz ge­bracht hat­te.

»– auf ei­nem Kreu­zer der Ve­rei­nig­ten Staa­ten«, er­klär­te er mit ei­nem An­flug von Stolz. »Das zu­we­ge zu brin­gen, war mir durch einen Glücks­fall mög­lich. Und ich möch­te hin­zu­fü­gen«, er lä­chel­te wie um Ent­schul­di­gung bit­tend, »dass, wie man sagt, Geld kei­ne Rol­le spielt.«

»Na­tür­lich nicht«, stimm­te Dohm­ler tro­cken bei.

Er hät­te gar zu gern ge­wusst, wes­halb und in wel­chem Punk­te der Mann ihn an­log. Oder, wenn er sich dar­in ir­ren soll­te, wo­her die At­mo­sphä­re von Unauf­rich­tig­keit kam, die den gan­zen Raum und den statt­li­chen Men­schen in ge­mus­ter­ter Wol­le durch­drang, der sich mit dem Be­ha­gen ei­nes Sports­man­nes in sei­nem Stuhl re­kel­te. Drau­ßen in der Fe­bruar­luft, das war eine Tra­gö­die: der jun­ge Vo­gel mit ir­gend­wie ge­knick­ten Flü­geln, und hier drin war al­les zu durch­sich­tig, durch­sich­tig und falsch.

»Ich wür­de jetzt gern ein paar Mi­nu­ten mit ihr spre­chen«, sag­te Dok­tor Dohm­ler, ins Eng­li­sche hin­über­wech­selnd, als wenn ihn das War­ren nä­her­brin­gen könn­te.

Spä­ter, als War­ren sei­ne Töch­ter da­ge­las­sen hat­te und nach Lau­san­ne zu­rück­ge­kehrt war, und als meh­re­re Tage ver­gan­gen wa­ren, mach­ten der Dok­tor und Franz fol­gen­de Ein­tra­gung auf Ni­co­les Kar­tei­blatt:

»Dia­gno­se: Schi­zo­phre­nie. Aku­te Pha­se im Ab­neh­men be­grif­fen. Die Angst vor Män­nern ist ein Sym­ptom der Krank­heit und kei­nes­wegs an­ge­bo­ren … Die Pro­gno­se muss zu­rück­ge­stellt wer­den.«

Und dann war­te­ten sie, wäh­rend die Tage ver­gin­gen, mit zu­neh­men­der Span­nung auf Herrn War­rens ver­spro­che­nen zwei­ten Be­such.

Er ließ auf sich war­ten. Nach zwei Wo­chen schrieb Dok­tor Dohm­ler. Als wei­ter­hin Schwei­gen herrsch­te, be­ging er, was man in je­nen Ta­gen »une fo­lie«2 nann­te und te­le­fo­nier­te das Grand Ho­tel in Ve­vey an, Er er­fuhr von Herrn War­rens Kam­mer­die­ner, dass sein Herr beim Pa­cken sei, um sich nach Ame­ri­ka ein­zu­schif­fen. Als dem Mann zu ver­ste­hen ge­ge­ben wur­de, dass die vier­zig Schwei­zer Fran­ken für den An­ruf in den Kli­nik­bü­chern er­schei­nen wür­den, reg­te sich in ihm das Blut der Schwei­zer Gar­de der Tui­le­ri­en, so dass er Herrn War­ren an den Ap­pa­rat rief.

»Es ist – un­be­dingt not­wen­dig –, dass Sie kom­men. Die Ge­sund­heit Ih­rer Toch­ter – al­les hängt da­von ab. Ich kann kei­ne Verant­wor­tung über­neh­men.«

»Aber ich bit­te Sie, Dok­tor, da­für sind Sie doch ge­ra­de da. Ich bin drin­gend nach Hau­se ab­ge­ru­fen wor­den!«

Dok­tor Dohm­ler hat­te noch nie mit je­mand ge­spro­chen, der so weit ent­fernt war, aber er brach­te sein Ul­ti­ma­tum te­le­fo­nisch mit so viel Fes­tig­keit vor, dass der Ame­ri­ka­ner am an­de­ren Ende in sei­ner To­des­angst nach­gab. Eine hal­be Stun­de nach sei­nem zwei­ten Ein­tref­fen am Zü­rich­see war War­ren zu­sam­men­ge­bro­chen, sei­ne schö­nen Schul­tern zuck­ten in dem gut sit­zen­den An­zug vor ver­zwei­fel­tem Schluch­zen, und sei­ne Au­gen wa­ren rö­ter als die Son­ne über dem Gen­fer See. Und sie hör­ten die ent­setz­li­che Ge­schich­te.

»Es ge­sch­ah eben«, sag­te er mit rau­er Stim­me. »Ich weiß nicht, wie.«

»Als ihre Mut­ter ge­stor­ben war, pfleg­te die Klei­ne je­den Mor­gen zu mir ins Bett zu kom­men, manch­mal schlief sie bei mir im Bett. Das klei­ne Ding tat mir leid. Oh, und da­nach, wenn wir im Auto oder in der Ei­sen­bahn ir­gend­wo­hin fuh­ren, pfleg­ten wir uns an der Hand zu hal­ten. Sie sang für mich. Oft sag­ten wir: ›Nun wol­len wir bis heu­te nach­mit­tag kei­nen an­de­ren Men­schen an­se­hen – wir wol­len nur für­ein­an­der da sein – heu­te vor­mit­tag ge­hörst du mir.‹« Sprö­der Sar­kas­mus kam in sei­nen Ton­fall: »Die Leu­te sag­ten im­mer, wie groß­ar­tig wir als Va­ter und Toch­ter wä­ren – und wisch­ten sich ge­rührt die Au­gen. Wir wa­ren wie ein Lie­bes­paar – und dann, un­ver­se­hens, wa­ren wir ein Lie­bes­paar – und zehn Mi­nu­ten, nach­dem es ge­sche­hen war, hät­te ich mich am liebs­ten er­schos­sen – das heißt, ich glau­be, ich bin so ein ver­dammt de­ge­ne­rier­ter Kerl, dass ich nicht den Schneid ge­habt hät­te, es zu tun.«

»Und dann?« frag­te Dok­tor Dohm­ler und dach­te wie­der an Chi­ca­go und an einen sanf­ten, blas­sen Herrn mit ei­nem Klem­mer, der ihn vor drei­ßig Jah­ren in Zü­rich ge­prüft hat­te. »Wie­der­hol­te sich das?«

»O nein! Sie ist bei­na­he – sie schi­en au­gen­blick­lich zu er­star­ren. Sie sag­te nur: ›Mach dir nichts draus, mach dir nichts draus, Dad­dy. Es tut nichts. Mach dir nichts draus.‹«

»Es hat­te kei­ne Fol­gen?«

»Nein.« Er wur­de von ei­nem kur­z­en, krampf­haf­ten Schluch­zen ge­schüt­telt und schnaub­te sich meh­re­re Male. »Das heißt, jetzt ha­ben wir Fol­gen im Über­fluss.«

Als War­ren mit sei­ner Ge­schich­te fer­tig war, lehn­te sich Dohm­ler in sei­nem Arm­ses­sel zu­rück und sag­te em­pört zu sich selbst: »Bau­er!« Es war eins der we­ni­gen hand­fes­ten Ur­tei­le, die er sich im Ver­lauf von zwan­zig Jah­ren an­ge­maßt hat­te. Dann sag­te er:

»Ich möch­te gern, dass Sie in ei­nem Ho­tel in Zü­rich über­nach­ten und mich mor­gen früh be­su­chen.«

»Und was dann?«

Dok­tor Dohm­ler spreiz­te sei­ne Hän­de so breit aus­ein­an­der, dass er ein jun­ges Schwein hät­te tra­gen kön­nen.

»Chi­ca­go«, schlug er vor.


  1. (franz.) ein sehr ele­gan­ter Mann  <<<

  2. (franz.) eine Dumm­heit  <<<

IV

»Nun wuss­ten wir, wo wir stan­den«, sag­te Franz. »Dohm­ler gab War­ren zu ver­ste­hen, dass wir den Fall über­neh­men wür­den, wenn er sich da­mit ein­ver­stan­den er­klär­te, sich auf un­be­grenz­te Zeit, min­des­tens je­doch auf fünf Jah­re, von sei­ner Toch­ter fern­zu­hal­ten. Nach War­rens an­fäng­li­chem Zu­sam­men­bruch schi­en er sich haupt­säch­lich da­für zu in­ter­es­sie­ren, ob je­mals et­was über die Ge­schich­te nach Ame­ri­ka durch­si­ckern wür­de.

Wir stell­ten einen Be­hand­lungs­plan für sie auf und war­te­ten. Die Pro­gno­se war schlecht – wie du weißt, ist der Pro­zent­satz der Hei­lun­gen, so­gar der­je­ni­gen, die nur dem Na­men nach Hei­lun­gen sind, in die­sem Al­ter sehr nied­rig.«

»Die ers­ten Brie­fe sa­hen schlimm aus«, stimm­te Dick zu.

»Sehr schlimm – sehr ty­pisch. Ich habe ge­zö­gert, ob ich den ers­ten aus der An­stalt her­aus­las­sen soll­te, dann dach­te ich, es wird Dick gut tun, zu wis­sen, dass wir hier wei­ter­ma­chen. Es war nett von dir, dass du auf sie geant­wor­tet hast.«

Dick seufz­te. »Sie war so ein lie­bes Ding. Sie füg­te eine Men­ge Fo­tos von sich bei. Und einen Mo­nat lang hat­te ich dort nichts zu tun. Al­les, was ich ihr schrieb, war: ›Sei­en Sie brav und tun Sie, was die Ärz­te sa­gen.‹«

»Das ge­nüg­te schon – so hat­te sie drau­ßen je­mand, an den sie den­ken konn­te. Eine Zeit lang hat­te sie kei­nen Men­schen – nur eine Schwes­ter, an der sie nicht sehr zu hän­gen scheint. Üb­ri­gens hat uns die Lek­tü­re ih­rer Brie­fe hier wei­ter­ge­hol­fen – sie wa­ren uns ein Maß­stab für ih­ren Zu­stand.«

»Das freut mich.«

»Du weißt also, wie die Din­ge la­gen. Sie fühl­te sich mit­schul­dig – an sich wäre das be­lang­los, wenn wir nicht ihre äu­ßers­te Stand­haf­tig­keit und Cha­rak­ter­fes­tig­keit wie­der­her­stel­len woll­ten. Zu­erst kam die­ser Schock, dann wur­de sie in eine Pen­si­on ge­steckt und hör­te die Mäd­chen un­ter­ein­an­der re­den – und aus pu­rem Selbst­schutz nähr­te sie in sich die Vor­stel­lung, dass sie nicht mit­schul­dig ge­we­sen sei – und von da war es leicht, in eine Fan­ta­sie­welt zu glei­ten, in der alle Män­ner um so schlech­ter sind, je mehr man sie liebt und ih­nen ver­traut.«

»Hat sie je­mals das – Schreck­li­che di­rekt er­wähnt?«

»Nein, und of­fen ge­sagt, als sie im Ok­to­ber etwa be­gann, einen nor­ma­len Ein­druck zu ma­chen, be­fan­den wir uns in ei­ner hei­klen Lage. Wäre sie drei­ßig Jah­re alt ge­we­sen, hät­ten wir ihr er­laubt, sich selbst zu­recht­zu­fin­den; aber sie war so jung, dass wir fürch­te­ten, sie kön­ne sich ver­här­ten, ver­krampft, wie al­les in ihr war. Da­rum sag­te Dok­tor Dohm­ler ganz of­fen zu ihr: ›Sie ha­ben jetzt Pf­lich­ten ge­gen sich selbst. Glau­ben Sie nicht, dass für Sie al­les zu Ende ist – Ihr Le­ben be­fin­det sich erst am An­fang‹, und so wei­ter und so wei­ter. Sie hat einen sehr gut ent­wi­ckel­ten Ver­stand, dar­um ließ er sie et­was Freud le­sen, nicht zu viel, und es in­ter­es­sier­te sie sehr. Tat­säch­lich wird sie von uns al­len hier ver­hät­schelt. Aber sie ist zu­rück­hal­tend«, füg­te er hin­zu; er zö­ger­te: »Wir hät­ten gern ge­wusst, ob sie in ih­ren letz­ten Brie­fen an dich, die sie selbst in Zü­rich auf­gab, ir­gend et­was ge­schrie­ben hat, was Auf­schluss über ih­ren Ge­müts­zu­stand und über ihre Zu­kunfts­plä­ne ge­ben könn­te.«

Dick über­leg­te.

»Ja und nein – ich kann die Brie­fe her­brin­gen, wenn du es willst. Sie scheint vol­ler Hoff­nung und in nor­ma­ler Wei­se le­bens­hung­rig zu sein – ja bei­na­he ro­man­tisch. Manch­mal spricht sie von der ›Ver­gan­gen­heit‹, wie Leu­te es tun, die im Ge­fäng­nis wa­ren. Man weiß nie, ob sie auf das Ver­bre­chen oder die Ge­fan­gen­schaft oder die Er­fah­rung als sol­che an­spie­len. Ei­gent­lich bin ich in ih­rem Le­ben nichts an­de­res als eine aus­ge­stopf­te Fi­gur.«

»Na­tür­lich, ich ver­ste­he dei­ne Lage ge­nau, und ich drücke dir von neu­em un­se­re Dank­bar­keit aus. Da­rum woll­te ich dich spre­chen, be­vor du sie siehst.«

Dick lach­te.

»Glaubst du, sie wird mit ei­nem Hecht­sprung auf mich los­ge­hen?«

»Nein, das nicht. Aber ich woll­te dich bit­ten, sehr be­hut­sam zu sein. Du be­sitzt An­zie­hungs­kraft auf Frau­en, Dick.«

»Dann hel­fe mir Gott! Also, ich wer­de be­hut­sam und ab­sto­ßend sein – ich wer­de je­des Mal Knob­lauch es­sen, be­vor ich zu ihr gehe, und mir Bart­stop­peln ste­hen las­sen. Ich wer­de sie zwin­gen, De­ckung zu neh­men.«

»Nein, nicht Knob­lauch!« sag­te Franz ernst­haft. »Du wirst doch dei­ner Kar­rie­re nicht scha­den wol­len? Aber viel­leicht scherzt du nur.«

»– und ich kann ein biss­chen hin­ken. Und je­den­falls gibt es da, wo ich woh­ne, kei­ne rich­ti­ge Ba­de­wan­ne.«

»Du scherzt wirk­lich.« Franz ent­spann­te sich oder nahm we­nigs­tens die Hal­tung ei­nes Men­schen an, der sich ent­spannt. »Nun er­zäh­le mir von dir und dei­nen Ab­sich­ten.«

»Ich habe nur eine Ab­sicht, Franz, und zwar die, ein gu­ter Psy­cho­lo­ge zu wer­den, ja viel­leicht der be­deu­tends­te, der je ge­lebt hat.«

Franz lach­te ver­gnügt, aber er sah, dass Dick dies­mal nicht spass­te.

»Das ist sehr gut – und sehr ame­ri­ka­nisch«, sag­te er. »Für uns ist es schwe­rer.« Er stand auf und trat an das fran­zö­si­sche Fens­ter. »Ich ste­he hier und bli­cke auf Zü­rich – dort ist der Turm des Groß­müns­ters. In sei­ner Gruft liegt mein Groß­va­ter. Jen­seits der Brücke ruht mein Vor­fahr La­va­ter, der in kei­ner Kir­che be­gra­ben sein woll­te. Nicht weit da­von be­fin­det sich das Stand­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­