9783550050121.jpg

Das Buch

Der Spion, der aus der Kälte kam …

ist zurück – der ultimative Roman über die dunklen Seiten der Geheimdienste »Vielleicht der bedeutendste britische Schriftsteller der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er hat den langsamen Verfall unserer Welt und die Beschaffenheit unserer Demokratien wie kein anderer beschrieben.

Ein erstklassiger Autor!«
IAN McEWAN

»John le Carrés Romane überzeugen wie die von Balzac, sie klagen an wie die von Zola, aber sie predigen nicht. Sie addieren sich zu einem einzigen großen humanistischen Plädoyer.«
DER SPIEGEL

»John le Carré kann die ganze Bandbreite menschlicher Regungen, von panischer Angst bis verzweifelter Liebe. Vor allem aber kann er Geschichten erzählen.«
SUNDAY TIMES

Die Autoren

JOHN LE CARRÉ, 1931 geboren, studierte in Bern und Oxford. Er war Lehrer in Eton und arbeitete während des Kalten Kriegs kurze Zeit für den britischen Geheimdienst. Seit nunmehr fünfzig Jahren ist das Schreiben sein Beruf. Er lebt in London und Cornwall.

PETER TORBERG, geboren 1958 in Dortmund, studierte in Münster und in Milwaukee, Wisconsin. Zu den von ihm übersetzten Autoren gehören u.a. Paul Auster, William Golding, David Peace, Daniel Woodrell und Oscar Wilde.

JOHN LE CARRÉ

Das Vermächtnis
der Spione

ROMAN

Aus dem Englischen
von Peter Torberg

Verlagsqualität Ullsteinbuchverlage

ULLSTEIN

Besuchen Sie uns im Internet:

www.ullstein-buchverlage.de


Verlagsqualität Ullsteinbuchverlage

Wir wählen unsere Bücher sorgfältig aus, lektorieren sie gründlich mit Autoren und Übersetzern und produzieren sie in bester Qualität.


Hinweis zu Urheberrechten


Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.

Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.


ISBN: 978-3-8437-1701-4


Die Originalausgabe erschien 2017

unter dem Titel A Legacy of Spies bei Viking,

einem Imprint von Penguin Random House UK, London

© 2017 by David Cornwell

© der deutschsprachigen Ausgabe

2017 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

1.

Folgendes ist eine nach bestem Wissen und Gewissen verfasste, wahrheitsgetreue Darstellung meiner Rolle in der britischen Operation mit dem Codenamen WINDFALL, die Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre gegen das ostdeutsche Ministerium für Staatssicherheit (STASI) geführt wurde und mit dem Tod des besten britischen Geheimagenten und der unschuldigen Frau endete, für die er sein Leben ließ.

Ein Geheimagent ist menschlichen Empfindungen gegenüber ebenso empfänglich wie der Rest der Menschheit. Doch für ihn zählt, wie gut er in der Lage ist, diese Empfindungen zu unterdrücken, ob nun zum Zeitpunkt des Geschehens oder, wie in meinem Fall, fünfzig Jahre danach. Bis vor ein paar Monaten noch wehrte ich entschlossen die anklagenden Stimmen ab, die von Zeit zu Zeit darauf aus waren, mir den Schlaf zu rauben, wenn ich des Nachts in meinem Bett auf dem entlegenen Bauernhof in der Bretagne, meinem Zuhause, dem Muhen der Kühe und dem Gackern der Hühner lauschte. Ich war zu jung, beteuerte ich dann, ich war zu unschuldig, zu naiv, hatte zu wenig Erfahrung. Wenn ihr schon nach Schuldigen sucht, entgegnete ich den Stimmen, dann wendet euch an die Großmeister der Täuschung, George Smiley und seinen Dienstherrn Control. Ihre perfektionierte Durchtriebenheit war es, beharrte ich, ihr hinterhältiger, gelehrter Verstand, nicht der meine, die für den Triumph wie das Leid verantwortlich waren, die WINDFALL mit sich brachte. Erst jetzt, da mich der Geheimdienst, dem ich die besten Jahre meines Lebens geschenkt habe, zur Verantwortung zieht, fühle ich mich trotz meines Alters und meiner zunehmenden Vergesslichkeit dazu getrieben, die hellen und dunklen Seiten meiner Beteiligung an der Affäre zu Papier zu bringen, koste es, was es wolle.

Wie ich vom Geheimdienst angeworben wurde – dem »Circus«, wie wir Jungtürken ihn damals in jenen angeblich glück­lichen Tagen nannten, als wir noch nicht in einer absurden Festung an der Themse untergebracht waren, sondern in einem bombastischen viktorianischen Gebäudekomplex aus roten Ziegelsteinen, der sich an den Cambridge Circus schmiegte –, bleibt mir ebenso ein Rätsel wie die Umstände meiner Geburt; vor allem, da beide Ereignisse untrennbar miteinander verwoben sind.

Mein Vater, an den ich mich kaum erinnere, war meiner Mutter zufolge der nichtsnutzige Sohn einer reichen anglofranzö­sischen Familie aus den englischen Midlands, ein Mann mit immensem Lebenshunger, einem schnell dahinschwindenden Erbe und einer rettenden Liebe zu Frankreich. Den Sommer 1930 verbrachte er im Kurort Saint-Malo an der Nordküste der Bretagne, frequentierte dort die Casinos und maisons closes und machte ganz allgemein eine gute Figur. Meine Mutter, einziges Kind einer langen Linie bretonischer Bauern und damals zwanzig, war ebenfalls in dem Städtchen, wo sie gerade bei der Hochzeit der Tochter eines reichen Viehauktionators ihren Pflichten als Brautjungfer nachkam. Zumindest behauptete sie das. Allerdings ist sie die einzige Quelle, und sie hatte durchaus keine Bedenken, etwas auszuschmücken, wenn die Fakten gegen sie standen, und es würde mich überhaupt nicht über­raschen, wenn sie eigentlich weniger ehrenwerte Gründe in die Stadt geführt hätten.

Nach der Zeremonie, so ihre Geschichte, entfernten eine weitere Brautjungfer und sie sich unerlaubt von der Hochzeitsfeier, um heimlich ein, zwei Gläser Champagner zu trinken, und sie begaben sich, noch immer in ihrer Aufmachung, auf einen Abendspaziergang an der belebten Promenade, über die mein Vater ebenfalls flanierte. Meine Mutter war hübsch und flat­terhaft, ihre Freundin weniger. Es entwickelte sich eine stür­mische Romanze. Über das Tempo dieser Beziehung ­äußerte sich meine Mutter verständlicherweise nur sehr verhalten. Eilig wurde eine weitere Hochzeit ausgerichtet. Ich war das Ergebnis. Mein Vater war von Natur aus nicht besonders ehe­affin, wie es scheint, und bereits in den ersten Jahren brachte er es fertig, häufiger abwesend als anwesend zu sein.

An dem Punkt aber nimmt die Geschichte eine heroische Wendung. Der Krieg ändert alles, wie wir wissen, und meinen Vater änderte er im Handumdrehen. Kaum war der Krieg erklärt, hämmerte mein Vater auch schon an die Türen des britischen Kriegsministeriums und bot seine Dienste jedem an, der sie haben wollte. Seine Mission bestand darin, so meine Mutter, Frankreich im Alleingang zu retten. Dass sein Plan womöglich auch dazu diente, den familiären Bindungen zu entfliehen, ist eine Blasphemie, die ich in Gegenwart meiner Mutter nicht äußern durfte. Die Briten hatten gerade die Special Operatives Executive gebildet, eine Sondereinsatztruppe, die von Winston Churchill persönlich den berühmten Auftrag erhalten hatte, »Europa in Brand zu stecken«. Die Küstenstädtchen im Südwesten der Bretagne waren Tummelplätze deutscher U-Boot-Aktivitäten, der größte davon unser Heimatort Lorient, eine ehemalige französische Marinebasis. Fünfmal sprang mein Vater über bretonischem Boden mit dem Fallschirm ab und tat sich mit all den Gruppen der Résistance zusammen, die er nur auftun konnte, sorgte für seinen Beitrag am Chaos und starb in den Händen der Gestapo einen grausamen Tod im Gefängnis in Rennes; er hinterließ ein Beispiel selbstloser Hingabe, dem kein Sohn je gerecht werden kann. Sein anderes Vermächtnis war ein deplatzierter Glaube an das britische Schulsystem, der mich, trotz des eigenen miserablen Abschneidens meines Vaters an seiner Privatschule, demselben Schicksal überantwortete.

Die ersten Jahre meines Lebens hatte ich im Paradies verbracht. Meine Mutter beschäftigte sich mit Kochen und Plaudern, mein Großvater war streng, aber freundlich, der Bauernhof gedieh. Daheim sprachen wir Bretonisch. An der katholischen Volksschule in unserem Dorf brachte mir eine wunderschöne junge Nonne, die sechs Monate als Au-pair-Mädchen in Huddersfield verbracht hatte, die Grundlagen des Englischen und, so war es Pflicht für alle, des Französischen bei. In den Ferien tobte ich barfuß auf den Feldern und an den Klippen rings um unseren Hof herum, erntete Buchweizen für die Crêpes meiner Mutter, versorgte eine alte Muttersau namens Fadette und spielte ausgelassen mit den anderen Dorfkindern.

Die Zukunft bedeutete mir nichts; dann brach sie über mich herein.

In Dover überließ mich meine Mutter einer molligen Dame namens Murphy, Cousine meines verstorbenen Vaters, die mich in ihr Haus nach Ealing mitnahm. Ich war acht Jahre alt. Durch das Fenster des Eisenbahnabteils sah ich meine ersten Sperrballons. Beim Abendessen erklärte Mr Murphy, in ein paar Monaten sei alles vorbei, doch Mrs Murphy widersprach ihm, und die beiden redeten mir zuliebe langsam und wiederholten jedes Wort. Am nächsten Tag ging Mrs Murphy mit mir zu Selfridges und kaufte eine Schuluniform für mich, wobei sie penibel darauf achtete, die Quittung einzustecken. Am Tag danach stand sie am Bahnhof Paddington am Gleis und weinte, während ich ihr zum Abschied mit meiner neuen Schulkappe winkte.

Wenn es um die Anglisierung geht, die sich mein Vater für mich wünschte, muss ich etwas ausholen. Es herrschte Krieg. Die Schulen mussten mit dem zurechtkommen, was sie bekamen. Ich war nun nicht länger Pierre, sondern wurde Peter. Mein schlechtes Englisch machte mich zum Gespött meiner Mitschüler, mein bretonisch eingefärbtes Französisch zum ­Gespött der überlasteten Lehrer. Unser kleines Dorf Les Deux Églises, erfuhr ich ganz nebenbei, war von den Deutschen überrannt worden. Die Briefe meiner Mutter trafen, wenn überhaupt, in braunen Umschlägen mit britischen Briefmarken und Londoner Poststempel ein. Erst Jahre später konnte ich mir halbwegs ausmalen, durch welche tapferen Hände diese Briefe gegangen sein mochten. Die Ferien zogen in einem Rausch aus Lagern für Knaben und Ersatzeltern vorüber. Private Vorbereitungsschulen in roten Ziegelgebäuden wichen granitgrauen Privatschulen, doch der Lehrplan blieb derselbe, dieselbe Margarine, dieselben Moralpredigten über Patriotismus und ­British Empire, dieselbe willkürliche Gewalt und wahllose Grausamkeit, dasselbe ungestillte, unfokussierte sexuelle Verlangen. Eines Frühlingsabends im Jahr 1944, kurz vor dem D-Day, rief mich der Direktor in sein Arbeitszimmer und teilte mir mit, dass mein Vater den Heldentod gestorben sei und ich stolz auf ihn sein könne. Aus Gründen der Geheimhaltung gab es keine weiteren Erklärungen.

Mit sechzehn kehrte ich am Ende eines besonders nervtötenden Sommerhalbjahrs als fast erwachsener britischer Son­derling in die wieder friedliche Bretagne zurück. Mein Groß­vater war gestorben. Ein neuer Gefährte namens Monsieur Emile teilte nun das Bett mit meiner Mutter. Ich scherte mich nicht um Monsieur Emile. Die eine Hälfte von Fadette hatten die Deutschen bekommen, die andere Hälfte die Résistance. Auf der Flucht vor den Widersprüchen meiner Kindheit und erfüllt von kindlichem Pflichtgefühl, reiste ich heimlich mit dem Zug nach Marseille, machte mich ein Jahr älter und versuchte, mich zur Fremdenlegion zu melden. Mein närrisches Abenteuer fand ein schnelles Ende, als die Legion eine seltene Ausnahme machte und dem Flehen meiner Mutter nachgab, weil ich kein Ausländer, sondern Franzose war: Sie schickte mich wieder zurück in die Gefangenschaft, diesmal im Londoner Vorort Shoreditch, wo Markus, der angebliche Stiefbruder meines Vaters, eine Handelsgesellschaft betrieb, die kostbare Felle und Teppiche aus der Sowjetunion importierte – er sagte stets nur Russland –, und angeboten hatte, mich in die Lehre zu nehmen.

Onkel Markus ist noch so ein ungelöstes Rätsel in meinem Leben. Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, ob sein Angebot, mich auszubilden, nicht vielleicht in irgendeiner Weise von meinen späteren Dienstherren eingefädelt worden war. Als ich ihn fragte, wie mein Vater denn ums Leben gekommen sei, schüttelte er missbilligend den Kopf – nicht wegen meines Vaters, sondern als Antwort auf die Grobheit meiner Frage. Manchmal frage ich mich, ob es möglich ist, von Geburt an still und leise zu sein, so wie manche Menschen von Geburt an reich sind oder groß oder musikalisch. Markus war nicht böse, streng oder unhöflich. Er war nur still und leise. Er war Mitteleuropäer und hieß mit Nachnamen Collins. Ich fand nie heraus, wie er vorher geheißen hatte. Er sprach ein schnelles Englisch mit leichtem Akzent, aber ich erfuhr nie, was seine Muttersprache war. Er nannte mich Pierre. Er hatte eine Lebensgefährtin namens Dolly, die ein Hutgeschäft in Wapping führte und ihn an Freitagnachmittagen an der Tür seines Lagerhauses abholte. Ich bekam allerdings nie heraus, wo sie ihre Wochenenden verbrachten, ob sie miteinander oder mit anderen verheiratet ­waren. In Dollys Leben gab es einen Bernie, aber ich weiß nicht, ob Bernie ihr Mann, Sohn oder Bruder war, denn auch Dolly war von Geburt an still und leise.

Bis heute weiß ich nicht, ob die Collins Trans-Siberian Fur & Fine Carpet Company ein echtes Handelshaus war oder eine Tarnfirma zum Zwecke der Spionage. Als ich das später recherchieren wollte, lief ich vor eine Wand. Ich wusste, jedes Mal, wenn Onkel Markus sich auf eine Handelsmesse vorbereitete, ob nun in Kiew, Perm oder Irkutsk, zitterte er heftig; und wenn er zurückkam, trank er heftig. Und jedes Mal tauchte in den ­Tagen vor einer solchen Handelsmesse ein wortgewandter Engländer namens Jack auf, becircte die Sekretärinnen, schaute bei mir im Sortierraum vorbei und rief: »Hallo, Peter, alles in Ordnung?« – nie Pierre –, um dann Markus irgendwo zu einem ­guten Mittagessen einzuladen. Nach dem Essen kam Markus dann zurück ins Büro und schloss sich ein.

Jack behauptete, Zwischenhändler für feine Zobel zu sein, doch ich bin mir sicher, dass er in Wirklichkeit mit Geheimwissen handelte, denn als Markus vermeldete, seine Ärzte würden ihm keine weiteren Handelsmessen mehr erlauben, schlug Jack vor, dass ich ihn an Markus’ Stelle zum Essen begleiten solle; er führte mich in den Travellers’ Club in Pall Mall und fragte mich, ob mir das Leben in der Fremdenlegion lieber gewesen wäre, ob ich es mit einer meiner Freundinnen tatsächlich ernst meine und ­warum ich von der Privatschule geflohen sei, wo ich doch Kapitän des Boxteams gewesen sei; dann wollte er wissen, ob ich jemals daran gedacht hätte, etwas Nützliches für mein Land zu tun, womit er England meinte, denn wenn ich den Eindruck hätte, den Krieg aufgrund meines Alters verpasst zu haben, dann sei nun die Gelegenheit gekommen, das nachzuholen. Während des Essens erwähnte er meinen Vater nur ein einziges Mal, und das so nebenbei, dass ich den Eindruck gewann, das Thema hätte ihm genauso gut einfach entfallen sein können:

»Ach, und was Ihren hochverehrten Papa angeht. Ganz im Vertrauen, und ich habe nichts dazu gesagt. Geht das in Ordnung?«

»Ja.«

»Er war ein sehr mutiger Bursche und hat seinem Land einen verflucht guten Dienst erwiesen. Seinen beiden Ländern. Reicht das?«

»Wenn Sie das sagen.«

»Also, auf sein Wohl!«

Auf sein Wohl, wiederholte ich, und wir stießen auf meinen Vater an.

In einem eleganten Landhaus in Hampshire gaben mir Jack, sein Kollege Sandy und eine tüchtige junge Frau namens Emily, in die ich mich umgehend verknallte, eine kurze Einführung, wie man einen toten Briefkasten in der Innenstadt von Kiew leerte – es handelte sich tatsächlich um ein loses Stück Mauerwerk in der Wand eines alten Tabakkiosks, von dem sie einen Nachbau in der Orangerie aufgestellt hatten. Sie zeigten mir, wie ich das Signal erkannte, das mir verriet, dass es sicher war, ihn zu leeren – in diesem Fall ein Stück zerschlissenes grünes Band, das an einem Geländer baumelte. Und sie zeigten mir, wie ich zu markieren hatte, dass ich den Briefkasten geleert hatte; dazu sollte ich die leere Schachtel einer russischen Zigarettenmarke in einen Mülleimer neben einem Bushäuschen werfen.

»Ach, und wenn du ein russisches Visum beantragst, Peter, nimm lieber deinen französischen Pass, nicht den britischen«, schlug Jack leichthin vor und erinnerte mich daran, dass Onkel Markus eine Filiale in Paris habe. »Und übrigens, Emily ist tabu«, fügte er hinzu, für den Fall, das ich andere Vorstellungen hätte, was ja auch stimmte.

Das also war mein erster Job, mein allererster Einsatz für den Service, den ich späterhin als Circus kennenlernte, die erste ­Vision von mir als geheimer Krieger nach dem Vorbild meines toten Vaters. Ich kann nicht mehr all die anderen Jobs aufzählen, die ich im Laufe der folgenden paar Jahre übernahm, ein halbes Dutzend mindestens, in Leningrad, Gdansk und Sofia, dann auch Leipzig und Dresden, und alle verliefen recht unspektakulär, soweit ich das beurteilen konnte, mal abgesehen von der Herausforderung, sich darauf einzustellen und hinterher wieder loszulassen.

An langen Wochenenden, in einem anderen Landhaus mit einem anderen wunderschönen Garten, erweiterte ich mein Repertoire durch neue Tricks, wie Gegenüberwachung und heimliche Übergabe in Menschenmengen. Irgendwann im Verlauf dieser Eskapaden wurden mir bei einer zurückhaltenden kleinen Feierlichkeit in einem Unterschlupf in der South Audley Street die Tapferkeitsmedaillen meines Vaters überreicht, eine französische, eine englische, zusammen mit den Urkunden, die die Verleihung begründeten. Warum erst jetzt?, hätte ich fragen können. Doch zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits begriffen, nicht nachzufragen.

Erst zu Beginn meiner Aufenthalte in Ostdeutschland betrat jener rundliche, bebrillte, stets bekümmerte George Smiley mein Leben, an einem Sonntagnachmittag in West Sussex, während der Nachbesprechung meines Einsatzes, die nicht mehr mit Jack stattfand, sondern mit einem kräftigen Burschen namens Jim, tschechischer Abstammung und etwa in meinem Alter. Es dauerte, bis ich seinen Nachnamen herausfand: Prideaux. Ich erwähne ihn, weil er später ebenfalls eine wichtige Rolle in meiner Karriere spielte.

Smiley sagte nicht viel bei dieser Nachbesprechung, er saß nur da, hörte zu und starrte mich ab und zu durch seine Brille mit dem dicken Rahmen an wie eine Eule. Nach der Besprechung aber schlug er vor, wir sollten eine Runde durch den Garten drehen, der endlos schien und auf einen Park hinausging. Wir ­unterhielten uns, setzten uns auf eine Bank, spazierten weiter, setzten uns wieder, sprachen weiter. Meine liebe Mutter – lebte sie noch, ging es ihr gut? Ihr geht’s gut, George, danke der Nachfrage. Ein bisschen schrullig, aber es geht ihr gut. Und mein Vater – hatte ich die Medaillen aufgehoben? Ich antwortete, dass meine Mutter sie jeden Sonntag polieren würde, was stimmte. Ich erwähnte nicht, dass sie sie mir ab und zu ansteckte und weinte. Anders als Jack fragte George mich nie nach meinen Frauenbekanntschaften. Er wird wohl gedacht haben, dass ihre schiere Anzahl Sicherheit versprach.

Wenn ich mich jetzt an diese Unterhaltung zurückerinnere, drängt sich mir der Gedanke auf, dass Smiley sich, ob nun bewusst oder unbewusst, als jene Vaterfigur anbot, zu der er später werden sollte. Aber vielleicht war das nur mein Eindruck, nicht seiner. Tatsache ist, dass ich das Gefühl hatte, nach Hause zu kommen, als er mir endlich die entscheidende Frage stellte, obwohl doch meine Heimat auf der anderen Seite des Kanals, in der Bretagne, lag.

»Wissen Sie, wir haben uns gefragt«, sagte er versonnen, »ob Sie schon mal daran gedacht haben, regelmäßig für uns zu arbeiten? Leute, die für uns im Außendienst tätig sind, sind nicht immer auch für den Innendienst geeignet. In Ihrem Fall glauben wir allerdings, es könnte klappen. Wir zahlen nicht sonderlich gut, und es kommt vor, dass Karrieren abbrechen. Aber wir halten es für eine wichtige Aufgabe, solange man das Ziel im Auge behält und sich nicht allzu große Sorgen um den Weg dorthin macht.«