Thomas Dellenbusch
Das Testament
M y s t e r y
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Thomas Dellenbusch
"Das Testament"
1. Auflage 2014
2014 Thomas Dellenbusch
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat & Satz: KopfKino-Verlag
Covergestaltung: coverandbooks / Rica Aitzetmüller
Umschlagmotiv: © J.D.S., Shutterstock & FabioBalbi /Shutterstock
KopfKino-Verlag
Thomas Dellenbusch
Gluckstr. 10
D-40724 Hilden
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Thomas Dellenbusch
M y s t e r y
»Das ist sie.«
Jens Karlson neigte seinen Kopf fast unmerklich und deutete so auf eine elegant gekleidete Frau Anfang sechzig, die soeben das Foyer des Hotels betreten hatte.
»Das können Sie doch überhaupt nicht wissen«, erwiderte Sven Anders Börgelund. »Sie haben sie doch noch nie in Ihrem Leben gesehen.«
Karlson ließ seinen Blick auf der Frau ruhen.
»Ich weiß es einfach.«
***
Vor lauter Nervosität war Martha Vadeva zunächst in sicherer Entfernung vom Hotel stehen geblieben. Es überkam sie erneute Unsicherheit, ob sie es wirklich betreten sollte. Vor zehn Minuten hatte sie den Taxifahrer angewiesen, sie in der Via Toscana aussteigen zu lassen. Dann war sie die 100 Meter bis zur Via Campania geschlendert und stand nun unschlüssig an der Ecke, an der sich die beiden Straßen kreuzten.
Sie schaute in westlicher Richtung auf das große weiße und ehrwürdige Gebäude am Ende der Via Campania, das Hotel Victoria. Das Haus war nicht die erste Adresse in Rom, aber für Marthas eigenes persönliches Dafürhalten dennoch zu exklusiv. Sie schätzte, dass das Victoria sicher so um die 200 Euro für eine Übernachtung verlangen wird. Hier gastierten nicht die Superreichen, aber das Victoria war sehr beliebt bei den durchaus wohlhabenden Touristen und Geschäftsreisenden, die Rom besuchten. Es lag direkt neben der alten Stadtmauer, und aus seinen Fenstern überblickten seine Gäste die schönen Gärten der Villa Borghese. Obwohl es mitten im Zentrum war, so lag es an der Via Campania trotzdem ruhig.
Martha fröstelte.
Es war immer noch kühl im März. Der Himmel war bedeckt. Am Morgen hatte es kurz geregnet. Es dürften so um die fünf, maximal sieben Grad Celsius sein. Ihre Kleidung hatte sie, dem Anlass entsprechend, geschäftlich gewählt. Ein dunkelgrauer Anzug, bestehend aus Hose und Blazer, darunter eine dunkelblaue Bluse. Gegen die Kühle der Jahreszeit trug sie darüber einen beigefarbenen, knielangen Mantel. Allerdings hatte sie ihr Haar zu einem Dutt gebunden, so dass der leichte Märzwind unablässig ihren Nacken ungeschützt streifte. Was waren das für Leute, die im Victoria auf sie warteten?
Deren ersten Brief hatte sie nach einem kurzen Überfliegen einfach weggeworfen. Sie hielt ihn für einen dieser Bauerntricks, bei denen Betrüger zunächst behaupten, man habe einen Preis gewonnen, für dessen Einlösung sie aber in einem zweiten Schritt eine Gebühr oder den Anruf bei einer teuren Hotline verlangten. Von den Absendern, geschweige denn dem Preis, hörte man dann nie wieder etwas. Die Adresse der Absender war, wenn überhaupt eine angegeben war, oft fingiert.
Es war ein Brief von einer schwedischen Anwaltskanzlei, in dem behauptet wurde, ihr, Martha Vadeva, Besitzerin einer kleinen Mode-Boutique, stünde ein größeres Erbe zu. Ferner wurde sie in dem Schreiben gebeten, die beiliegende Erklärung auszufüllen. Mit dieser Erklärung und ihren Ausweisdokumenten sollte sie daraufhin bei einer römischen Partner-Sozietät persönlich vorstellig werden und bestätigen, dass sie jene Martha Vadeva sei, die der Absender recherchiert zu haben glaubte.
Die Daten, die der Brief enthielt, beschrieben zweifelsfrei sie. Das Geburtsdatum stimmte exakt. 12. Juni 1948. Auch stimmte, dass sie in Ostia aufgewachsen war und seit 1985 mit Alberto Vadeva verheiratet, ja sogar, dass dieser 2002 verstorben sei. Nach der ersten Lektüre empörte Martha sich darüber, zu welchem Schindluder die Datenbanken des modernen Internets missbraucht werden können. Wo sollte das noch hinführen? Alles wurde immer gläserner. Selbst in Ballungszentren wie Rom war der einzelne Mensch inzwischen so transparent, wie er es früher nur in den kleinen Dörfern auf dem Land gewesen war.
Zwei Wochen danach, als sie diesen Brief längst wieder vergessen hatte, erhielt sie diesen eigenartigen Anruf. Eine männliche Stimme, die sich ihr als Sven Anders Börgelund vorstellte, sprach sie in gepflegtem Italienisch, wenn auch mit nordeuropäischem Akzent, an. Der Mann stellte sich als Absender jenes besagten Briefes vor und versicherte ihr, dass es sich um keinen Scherz, keinen Betrug, sondern um eine seriöse Angelegenheit handele. Es sei für sie selbst, aber auch für seinen Mandanten sehr wichtig, dass Martha sich bei Gelegenheit mit ihnen in Rom treffe, um die Angelegenheit zu besprechen. In dieser Stimme konnte Martha weder etwas Bedrohliches noch etwas Falsches entdecken. Im Gegenteil, die Stimme hatte etwas Vertrauenswürdiges an sich. Sie hatte sich daher auf ein längeres Gespräch am Telefon eingelassen. Aber jeder Versuch ihrerseits, Einzelheiten oder Zusammenhänge dieser sogenannten Erbschafts-Angelegenheit zu erfahren, wurden von dem Anrufer geschickt umgangen und auf das erwünschte Treffen vertagt.
Vier Tage nach diesem Telefonat erhielt sie per Einschreiben eine Zweitausfertigung des von ihr weggeworfenen Briefes, und weitere zwei Tage danach hatte sie sich dazu durchgerungen, mit jener gewünschten Erklärung sowie ihren Ausweisdokumenten in der angegebenen römischen Partner-Sozietät vorzusprechen und dort persönlich ihre Identität zu bestätigen.
Der italienische Notar bat sie in sein Büro, bedeutete ihr, vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen, begutachtete die Dokumente und wählte dann wortlos eine längere Telefonnummer. Er bestätigte seinem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung, dass er sich persönlich von der Identität seiner Besucherin sowie ihrer Geschäftstauglichkeit habe überzeugen können. Daraufhin sah er Martha über seinen großen Schreibtisch hinweg in die Augen und hielt ihr wortlos seinen Telefonhörer hin.
»Signora Vadeva?«, erklang die ihr aus dem früheren Telefonat vertraute Stimme mit nordeuropäischem Akzent aus der Muschel.
»Si ...?«
»Hier ist Sven Anders Börgelund aus Stockholm. Ich freue mich, dass Sie sich ein Herz gefasst haben, und ich hoffe, Signore Castellani konnte Sie davon überzeugen, dass wir in ernster und seriöser Angelegenheit Ihren Kontakt suchen.«
Das war im Januar, vor zwei Monaten. Vermutlich hatte Signore Castellani, der Notar, seinen Anwaltskollegen aus Stockholm das Victoria empfohlen. Martha erinnerte sich nämlich, dass seine Kanzlei hier in der Nähe war, nur ein paar Straßen weiter, in der Via Lazio.
Inzwischen war ihr richtig kalt geworden und sie zitterte. Ihre Nervosität trug sicher einen nicht unwesentlichen Teil dazu bei. Und diese Nervosität wiederum wurde gespeist aus einem nicht unbeträchtlichen Anteil Neugierde. Alberto, ihr verstorbener Mann, stammte aus einfachen Verhältnissen, ebenso wie ihre eigene Familie. Sie hatte keine Ahnung, wer ihr etwas zu vererben gehabt hätte. Der klassische Auswanderer in die neue Welt vor 200 Jahren, der es zu etwas gebracht hatte und dessen Nachkomme sich nun in seinem Testament wehmütig der einst zurückgelassenen Familie erinnert? So etwas gab es nur in Filmen und Romanen. Außerdem wusste sie nichts über irgendeinen Vorfahren, der vor, während oder nach dem großen kalifornischen Goldrausch ausgewandert war. Ihre Familiengeschichte wies nichts dergleichen auf. Und selbst wenn, was hätte eine schwedische Kanzlei damit zu tun?
Martha Vadeva gab sich einen Ruck. Sie ging langsam die Via Campania hinunter und näherte sich dem Victoria. Es wurde ihr auch einfach nur zu kalt. Sie wollte ins Warme. Im Hotel, so war es verabredet, würde Sven Anders Börgelund mit seinem Mandanten auf sie warten. Vor dem großen Eingangsportal hielt sie noch einmal kurz inne und betrat dann mit betont geradem Rückgrat das Foyer des Hotels.