Thomas Dellenbusch
Der Weichensteller
M y s t e r y K r i m i
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Thomas Dellenbusch
"Der Weichensteller"
1. Auflage 2014
2014 Thomas Dellenbusch
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat & Satz: KopfKino-Verlag
Covergestaltung: coverandbooks / Rica Aitzetmüller
Umschlagmotiv:
© pixelparticle, Shutterstock & Sergey Nivens /Shutterstock
KopfKino-Verlag
Thomas Dellenbusch
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D-40724 Hilden
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Thomas Dellenbusch
M y s t e r y K r i m i
Sebastian Gruhn öffnete den Kühlschrank und entnahm ihm eine Flasche Bier. In wenigen Minuten sollte die Übertragung des Pokalhalbfinales beginnen, und Gruhn freute sich schon den ganzen Tag auf dieses Spiel. Er hatte die Fußstütze seines Fernsehsessels bereits hochgeklappt und außerdem auf dem Sessel eine Wolldecke zum Zudecken bereitgelegt. Noch lief die Tagesschau, und die markante Stimme des Sprechers war auch hier in der Küche noch zu hören. Soweit er einzelne Worte verstehen konnte, war von einer Kindesentführung die Rede.
Gruhn stellte die Flasche auf die Arbeitsplatte und öffnete sie wie gewöhnlich mit dem Feuerzeug aus seiner Hosentasche. Jetzt fehlte nur noch die unverzichtbare Dose mit Erdnüssen. Als er auch diese öffnen wollte, vernahm er aus dem Fernseher laut und deutlich die Stimme seines besten Freundes Martin. Er stellte die halb geöffnete Erdnussdose wieder ab und ging zurück ins Wohnzimmer.
Tatsächlich!
Martins breites Gesicht füllte fast den ganzen Bildschirm. Lediglich die bunten Mikrofone vor seinem Mund waren am unteren Bildrand noch zu sehen. Dann fuhr der Kameramann etwas zurück, so dass auch Martins Oberkörper im Bild erschien. Sebastian musste lächeln. Sie hatten seinem Freund für die abzugebende Presseerklärung eine Polizeiuniform angelegt, und das auch noch mit zwei goldenen Sternen auf jeder Schulterklappe. Das war falsch, so gut war auch Gruhn über polizeiliche Rangabzeichen informiert.
Einerseits war Martin Osterkorn Kriminalrat und besaß überhaupt keine Uniform mehr und andererseits hätte ein Kriminalrat, wenn er denn eine besäße, nur einen goldenen Stern auf den Schulterklappen. Die, die Martin vor den Kameras trug, war die eines Polizeioberrates. Offenbar waren sie der Meinung gewesen, Martin solle vor den Kameras eine Uniform tragen, um seinen Worten noch mehr Gewicht zu verleihen. Eine Ratsuniform schien wohl so schnell nicht zur Hand gewesen zu sein. Martin stand vor dem Polizeipräsidium, und es war noch hell. Die Bilder waren vermutlich am heutigen Nachmittag aufgezeichnet worden. Gruhn hörte zu, was sein Freund vor laufenden Kameras sagte.
»... kam das Mädchen am Sonntag Nachmittag von einer Geburtstagsfeier nicht nach Hause. Frau Bucher wird in ihrem Anwesen polizeilich und psychologisch betreut und möchte derzeit aus verständlichen Gründen keine eigenen Erklärungen abgeben.«
Unter Martins Gesicht wurde sein Name eingeblendet und die Information, dass er der Leiter der eingerichteten Sonderkommission »Jessica« sei. In der oberen linken Ecke des Bildes blendeten sie das Portrait der Popsängerin Stefanie Bucher ein. Jetzt hatte Sebastian Gruhn begriffen. Bei dem entführten Kind handelte es sich offenbar um die Tochter der berühmten Sängerin, die hier in einer noblen Vorort-Villa wohnte.
»Haben die Entführer sich schon gemeldet?«, fragte eine weibliche Reporterstimme.
»Ja, bei der Polizei ging ein Schreiben der Entführer ein. Über den Inhalt möchte ich derzeit aus ermittlungstaktischen Gründen noch nichts sagen. Nur so viel, dass noch keine konkrete Forderung aus dem Schreiben hervorgeht. Ungewöhnlich ist jedoch, dass die Entführer sich direkt an die Polizei wendeten. Üblicherweise werden die Angehörigen kontaktiert mit der ausdrücklichen Aufforderung, die Polizei nicht einzuschalten. In diesem Fall ist es seltsamerweise anders herum. Frau Bucher wurde nicht selbst angeschrieben, sondern direkt und ausschließlich die Polizei. Das ist, wie gesagt, ungewöhnlich.«
Sebastian Gruhn ging zurück in die Küche, um seine Erdnüsse und die offene Flasche Bier zu holen. Dann machte er es sich in seinem Fernsehsessel gemütlich, schlug die Wolldecke um seinen Körper und ließ in Vorfreude auf das nun kommende Fußballspiel den abschließenden Wetterbericht geduldig über sich ergehen.
Das Spiel war eine einseitige Angelegenheit. Der Favorit führte kurz vor Schluss deutlich mit 4:1. Es waren nur noch wenige Minuten zu spielen, als sein Telefon klingelte.
»Gruhn?«
»Ich bin es. Martin.«
»Hi! Habe Dich eben in der Tagesschau gesehen.«
»Nun, dann weißt Du ja Bescheid. Ich werde in nächster Zeit viele Überstunden machen müssen und weiß daher nicht, ob ich es Freitag zu unserem Backgammonabend schaffe.«
»Habe ich mir schon gedacht. Passiert halt.«
»Aber wie wäre es mit jetzt? Ich mache gleich Feierabend, dann übernimmt mein Stellvertreter die Nacht. Und nach diesem Tag könnte ich noch ein wenig ablenkende Unterhaltung vertragen, bevor ich ins Bett gehe. Was hältst Du davon?«
»Ich kann nicht mehr fahren. Ich habe das Spiel gesehen und drei Flaschen Bier getrunken.«
»Ich hole Dich auf dem Heimweg ab und bringe Dich auch später wieder zurück. Komm, lass Dich nicht anbetteln.«
»Okay, aber eines sage ich Dir: Die Einsätze bleiben schön niedrig. Ich verdiene nicht so viel wie Halil oder Achmed.«
Gruhn und Osterkorn kannten sich seit dem Abitur, und sie teilten seit Jahren mit dem Backgammonspiel ein gemeinsames Hobby. Während Martin Osterkorn der Polizei beitrat, studierte Sebastian Gruhn Geschichte. Er arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter unter seinem älteren Bruder, Prof. Dr. Uwe Gruhn. Dieser hielt den Lehrstuhl an der geschichtswissenschaftlichen Fakultät der hiesigen Universität. Martin Osterkorn war im Februar 44 Jahre alt geworden, Sebastian würde es im September werden. Er hoffte, dass sein Freund nicht wieder bis tief in die Nacht würde spielen wollen. Es war Mittwoch, und er musste am nächsten Morgen wieder in die Universität.
Martin hatte ihn, wie angekündigt, abgeholt. Sie fuhren schweigend durch die Stadt und bogen zuletzt in die Verdistraße ein, in der Martin wohnte. Seit ihn seine Frau vor drei Jahren verlassen hatte, lebte er allein in dem frei stehenden, ehemals gemeinsamen Haus. Es war schon von Weitem zu erkennen an dem extravagant gestalteten Garagentor. Die Garage war, wie bei allen Häusern dieser Straßenseite, direkt an das Haus gebaut und verfügte über einen internen Durchgang ins Hausinnere. Das Tor hatte Martin vor einigen Jahren von einem professionellen Graffiti-Künstler gestalten lassen. Es handelte sich um eine fotorealistische und perspektivische Grafik. Sie zeigte das Innere einer Garage mit Regalen an den Wänden, gestapelten Reifen, und im Zentrum stand ein feuerroter flacher Ferrari F40.
Martin hatte tatsächlich einmal einen älteren, gebrauchten Ferrari als Zweitwagen für sonnige Sommertage besessen. Keinen F40 natürlich, sondern ein vergleichsweise preiswertes Modell. Sebastian wusste nicht mehr genau, was es war, aber der Flitzer war schon etwas älter, und Martin konnte sich damit, im Gegensatz zu einem sündhaft teuren F40, seinen Traum von einem Ferrari durchaus erfüllen.