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1. Auflage 2017
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-031258-6
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-031259-3
epub: ISBN 978-3-17-031260-9
mobi: ISBN 978-3-17-031261-6
Achondroplasie |
monogenetische Erkrankung, die zu verfrühtem Schluss der Wachstumsfugen und in der Folge zu Zwergenwuchs bei normaler Intelligenz führt |
ADHS |
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung |
AIP |
akute intermittierende Porphyrie, erbliche Stoffwechselerkrankung des Hämoglobinabbaus, die auch zu schizophreniformen Syndromen führen kann |
Akromegalie |
endokrinologische Erkrankung, bei der ein gutartiger Tumor der Hypophyse vermehrt Wachstumshormon ausschüttet, was zu Riesenwuchs führt |
Allel |
genetischer Begriff: Gene liegen im Allgemeinen in doppelter Ausführung vor, man spricht von 2 Allelen. Die beiden Allele können sich im Detail unterscheiden, ohne dass eine Variante immer als zwingend besser oder gesünder beschrieben werden kann |
AMPA-R |
α-Amino-3-Hydroxy-5-Methyl-4-Isoxazolpropionsäure (=Acid) Rezeptor, wichtiger und häufiger Glutamat-Rezeptor im Gehirn |
ANA |
antinukleäre Antikörper, Antikörper gegen Bestandteile des Zellkerns, deren Konzentration bei unterschiedlichen Autoimmunerkrankungen unspezifisch erhöht ist |
Anhedonie |
aus dem Griechischen: άv, lateinisch an = nicht und griechisch: ήδovή, lateinisch: hedoné = Lust; die fehlende oder verminderte Fähigkeit Freude und Lust zu empfinden |
APA |
American Psychiatric Association |
Arthralgien |
Gelenkschmerzen |
Asphyxie |
aus dem Griechischen: ἀσφυξία, lateinisch asphyxia, zu Deutsch: »das Fehlen des Pulsschlages«; Minderversorgung mit Sauerstoff |
ASS |
Autismus-Spektrum-Störung |
Ätiologie |
Erstursache einer Krankheit oder eines Symptoms |
Atrophie |
aus dem Griechischen: ἀτροφία, lateinisch: atrophia = Abmagerung, Nahrungsmangel, Verkümmerung; in der Medizin meist Volumenminderung |
Belastungsdyspnoe |
Luftnot bei Anstrengung z. B. Treppen steigen |
Blickparese |
Augenbewegungsstörung beim Blick nach oben, unten, rechts oder links |
CCT |
Englisch: cranial computer tomography = kranielle Computer-Tomographie |
Chorea Huntington |
monogenetische Erbkrankheit, bei der es meist nach der 3. oder 4. Dekade zu überschießenden Bewegungsstörungen und im weiteren Verlauf zu einer Demenz kommt |
CI |
Englisch: confidence interval = Konfidenzintervall, Wert der die Güte eines statistischen Mittelwerts angibt |
CNV |
Englisch: copy number variant = Begriff der eine strukturelle Anomalie eines Chromosoms nach dessen Teilung und Replikation beschreibt |
Colitis |
Darmentzündung |
CSF |
Englisch: cerebrospinal fluid = Liquor cerebrospinalis = Gehirnwasser |
Dermatitis |
Hautentzündung |
Diathese |
Griechisch: διάθεσις = diáthesis = Aufstellung, Zustand, Handlungsrichtung; in der Medizin eine Neigung oder Disposition zu einer Erkrankung; Veranlagung |
Disapparieren |
magische Fähigkeit sich aufgrund zauberischer Kräfte von einem zu anderen Ort ohne Verkehrsmittel zu bewegen, ähnlich dem Beamen in zukünften Zeiten aber ohne technische Apparatur |
Didaktik |
die Wissenschaft des Lernens und Lehrens |
diploid |
genetischer Begriff: Gene liegen bei Menschen im Allgemeinen in zweifacher Ausführung vor (diploid). Nur bei Spermien oder in Eizellen liegen einfache (haploide) Chromosomensätze vor |
Dopamin |
wichtiger aktivierender Neurotransmitter, spielt große Rolle im Belohnungssystem des Gehirns |
DSM |
Englisch: diagnostic and statistical manual of mental disorders = Klassifikation psychischer Störungen der American Psychiatric Association; aktuelle Version 5 = DSM-5 |
Dysgraphie |
nicht-alters- und bildungsentsprechende auffällige Schwierigkeiten beim Lesen |
Dyskalkuie |
nicht-alters- und bildungsentsprechende auffällige Schwierigkeiten beim Rechnen |
Dyskinesie |
Bewegungsstörung |
Dyslexie |
nicht-alters- und bildungsentsprechende auffällige Schwierigkeiten beim Schreiben |
Dysmorphie |
diskrete Fehlgestaltung des Körpers z. B. mit tiefsitzenden Ohren, tiefliegenden oder weit auseinander liegenden Augen, Trichterbrust etc. |
Dyspareunie |
Schmerzen beim Geschlechtsverkehr |
Dystonie |
Bewegungsstörung mit unfreiwilligen Bewegungen meist mit vermehrter Muskelspannung |
ED |
Encephalomyelitis disseminata, auch MS = Multiple Sklerose genannt |
EEG |
Electroencephalographie = Hirnstromkurve |
Encephalitis |
Gehirnentzündung |
Encephalopathie |
Gehirnleiden; der Begriff bringt zum Ausdruck, dass ein psychisches Symptom nicht erlebnisreaktiv sondern als Ausdruck einer Hirnerkrankung entstanden ist |
Entwicklungsstörungen |
Sammelbegriff für Auffälligkeiten der individuellen Entwicklung, die schon im ersten Lebensjahrzehnt erkennbar werden v.a. Autismus, ADHS, Tic-Störungen |
Epidemiologie |
aus dem Griechischen von: ἐπἰ lateinisch: epi = über und Griechisch: δῆμος Lateinisch: demos = das Volk; die Lehre von der Verbreitung gesundheitlicher Zustände und Symptome in der Allgemeinbevölkerung |
Etymologie |
die Lehre von der Herkunft und Geschichte von Wörtern und Begriffen |
Fazialisparese |
Lähmung des motorischen Gesichtsnervs mit Auffälligkeiten der mimischen Muskulatur |
FDG-PET |
Fluoro-Desocyglukose-Positronen-Emmissions-Tomographie; nuklearmedizinische Untersuchung, die die Stoffwechselaktivität des Gehirns misst |
FP-CIT-SPECT |
123I-N-ω-fluoropropyl-2ß-carbomethoxy-3ß-(4-iodophenyl)nortropane – Single-Photon-Emmissions-Computer-Tomographie; nuklearmedizinische Untersuchungsmethode bei Verdacht auf Parkinson-Syndrome |
FLAIR |
Englisch: fluid attenuated inversion recovery = eine bestimmte technische Art und Weise MRT-Bilder des Gehirns zu gewinnen. Dabei können v.a. entzündliche Läsionen des Gehirns gut beurteilt werden |
GABA |
Gamma-Amino-Buttersäure; wichtigster inhibitorischer (=hemmender) Neurotransmitter des Gehirns |
Genotyp |
die Summe der Erbanlagen und Gene eines Individuums |
Glutamat |
wichtigster exzitatorischer (=aktivierender) Neurotransmitter des Gehirns |
GTS |
Gilles-de-la-Tourette Syndrom = motorische und vokale Tics, die lange Anhalten und nicht willentlich unterdrückt werden können |
Haploid |
genetischer Begriff: Gene liegen bei Menschen im allgemeinen in zweifacher Ausführung vor (diploid). Nur bei Spermien oder in Eizellen liegen einfache (haploide) Chromosomensätze vor |
Haploinsuffizienz |
genetischer Begriff: Gene liegen generell in doppelter Ausführung (diploid) vor. Wenn ein Gen mutiert und funktionsuntüchtig ist und die Funktionalität des anderen (dann haploiden) funktionsfähigen Gens nicht genügt, um den gesunden Phänotyp zu gewährleisten (Insuffizienz), spricht man von Haploinsuffizienz. |
Hashimoto |
japanischer Eigenname, Erstbeschreiber der nach ihm benannten Hashimoto Schilddrüsenantikörper |
heriditär |
erblich |
Homöostase |
aus dem Griechischen: ὁμοιοστάσις = lateinisch: homoiostasis = Gleichstand; die Aufrechterhaltung eines stabilen Gleichgewichts zwischen verschiedenen einander widerstrebenden Stell- und Einflussgrößen |
Hyperglykämie |
Überzuckerung |
Hyperekplexia |
verstärkte Schreckreaktion (auch startle reaction) |
Hypoglykämie |
Unterzuckerung |
Hypothyreoidismus |
Schilddrüsenunterfunktion |
Hysterektomie |
Entfernung der Gebärmutter |
Iktual |
aus dem Lateinischen: ictual auch ictal; ictus = der Schlag; ictale Phänomene entsprechen epileptischen Anfällen |
ICD |
international classification of diseases = internationale Klassifikation aller Krankheiten (aktuell 10. Version = ICD-10; bald ∼ 2018 ICD-11) |
idiopathisch |
medizinisch-nosologischer Fachbegriff; ein Syndrom ohne erkennbare Ursache wird idiopathisch manchmal auch essentiell genannt |
Implikationen |
oft nicht ausdrücklich ausformulierte Schlussfolgerungen |
implizit |
unausgesprochene, manchmal auch nur teilweise bewußte Folgerung |
IRDA |
intermittent rhythmic delta activity = ein pathologisches EEG Muster, welches unspezifisch auf eine zerebrale Funktionsstörung hinweist |
Iridozyklitis |
Entzündung der Regenbogenhaut und des Ziliarkörpers am Auge |
IV |
intravenös |
kaukasisch |
Englisch: caucasian; v.a. im englischen Sprachraum üblicher medizinischer Begriff der Menschen mit Abstammung aus dem europäisch-asiatischem Großraum mit heller Hautfarbe bezeichnet |
Kataplexie |
aus dem Griechischen: καταπλήσσειν; lateinisch: cataplexis = mit Furcht umstoßen; affektiver Tonusverlust; bei Freude oder Furcht kommt es zu einem Sturz, weil die Anspannung der Muskeln (Muskeltonus) nachlässt |
Katalepsie |
aus dem Griechischen: κατάληψις, lateinisch: katalepsis zu deutsch: das Besetzen, Festhalten auch Starrsucht; eine neuropsychiatrische Auffälligkeit, bei der unbequeme und unnatürliche Körperhaltungen übermäßig lange beibehalten werden |
Katatonie |
aus dem Griechischen: κατά = von oben nach unten und τόνος = Spannung; neuropsychiatrisches Syndrom bei dem die Anspannung der Muskeln unnatürlich groß ist und Bewegungen dadurch gehemmt werden |
Koprolalie |
unfreiwilliges Aussprechen von obszönen Wörtern oder Geräuschen |
Kybernetik |
die Wissenschaft von der Steuerung und Regelung komplexer Systeme wie Maschinen, Computern oder Organismen |
LANI |
Englisch: local area network inhibition = Modell zur Erklärung psychischer Symptome bei pathologischem EEG aber ohne Epilepsie |
Lebenszeitprävalenz |
die Häufigkeit, in der ein Phänomen, z. B. Halluzinationen, wenigstens einmal im Leben auftritt |
LGI1 Antikörper |
Antikörper gegen ein synaptisches Protein, welches auf eine limbische Enzephalitis hinweisen kann |
Linguistik |
Sprachwissenschaft |
Logorhoe |
aus dem Griechischen: λόγος lateinisch: lógos, = das Wort und griechisch: rhéo, lateinisch: rheein = fließen; unangemessen sprudelnder Redefluss |
Luria-Handkantentest |
so genannter Frontalhirn »bedside test«; Probanden müssen sequenziell die Tischplatte mit der Handkant, der Handfläche und der geschlossenen Faust so schnell wie möglich berühren. Bei Frontalhirnsyndromen wirkt die Bewegungssequenz verlangsamt und desorganisiert |
Meningitis |
Hirnhautentzündung |
Menigoenzephalitis |
Entzündung der Hirnhäute und des Gehirns |
Mikrodeletion |
Gendefekt bei dem ein kleines Stück der DNA verloren geht |
Morbus |
aus dem Lateinischen für Krankheit |
MRT |
Magnetresonanztomographie |
MS |
Multiple Sklerose auch ED = Enzephalomyelitis disseminata genannt |
Myalgien |
Muskelschmerzen |
Neuroborreliose |
Infektion mit dem Bakterium Borrelia burgdorferi nach Zeckenbiss, die auf das Gehirn übergreift und alle möglichen neuropsychiatrischen Symptome verursachen kann |
Neurodermitis |
autoimmunologische Systemerkrankung, die mit Hautentzündungen aber auch anderen allergischen Reaktionen insbesondere Asthma einhergehen kann |
Nihilismus |
aus dem Lateinischen: nihil = nichts. Nichts gilt. Nichts wird gelten gelassen. Philosophische Sicht der Welt nach der keine sinnvolle Erkenntnis möglich ist oder objektive Wirklichkeit und Ordnung erkennbar ist |
NIMH |
National Institute for Mental Health; führende Forschungsinstitution zu psychischen Störungen in den USA |
NMDAR |
N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor = wichtiger und häufiger Glutamat-Rezeptor |
NPC |
Niemann-Pick-Typ-C-Erkrankung: monogenetische Erkrankung, bei der es aufgrund einer Fettstoffwechselstörung zu einer dann toxischen Speicherung von Fetten unter anderem im Nervengewebe kommt, sie kann schizophreniforme Syndrome verursachen |
Nosologie |
die Lehre von den Krankheiten |
NSA |
Nationale Sicherheitsbehörde der USA (national security agency) |
olfaktorisch |
den Geruchssinn betreffend |
Ontogenese |
Entwicklungsgeschichte eines Individuums |
OR |
odds ratio = wichtiger Begriff der statistischen Risikoberechnung |
Palpitationen |
Lateinisch: palpitare = zucken; Herzstolpern, Herzklopfen |
Pathogenese |
Ursächlichkeit einer Krankheit oder eines Symptoms, die aber nicht die Erstursache ist |
Paroxysmaler Lagerungsschwindel |
Erkrankung des Innenohrs, bei der sich Kristalle in den Bogengängen des Innenohrs einlagern/ablagern/befinden, die bei bestimmten Bewegungen zu Schwindelattacken führen |
prokonvulsiv |
epileptogen, Epilepsien fördernd |
parsprototo |
rhethorische Figur; ein Teil steht für das Ganze, die Schizophrenie steht für die ganze Psychiatrie |
PBG-D |
Porphobilinogen-Desaminase, wichtiges Enzym beim Abbau des Hämoglobins |
Phänotyp |
das Aussehen bzw. die Eigenschaften eines Individuums, diese hängen vom u. a. Genotyp aber auch von Umweltfaktoren ab |
Phencyclidin |
Angels Dust, Droge; starker Antagonist am glutamatergen NMDA-Rezeptor. Kann bei gesunden schizophreniforme Psychosen auslösen |
Phylogenese |
Entwicklungsgeschichte einer Art |
Plasmapherese |
»Blutwäsche«, in einem Dialyse-artigen Verfahren wird das Blutplasma, in dem sich alle Antikörper und damit auch Autoantikörper befinden, aus dem Blut entfernt |
Pleiotropie |
aus dem Griechischen von πλείων, lateinisch: pleíon = mehr und τρόπος, lateinisch: trópos = Drehung; genetischer Begriff, der darauf hinweist, dass eine Mutation oder CNV verschiedene uneinheitliche Auswirkungen hervorrufen kann, gelegentlich wird auch der Begriff Polyphänie aus dem Griechischen für poly = viele und phainein = erscheinen, entsprechend vielfache Erscheinungen verwandt |
Porphyrie |
genetische Stoffwechselerkrankung des Hämoglobinabbaus, die durch Stress oder Medikamente getriggert werden kann und mit schizophreniformen Syndromen einhergehen kann |
Polyneuropathie |
Erkrankung der peripheren Nerven, bei der es häufig zu Sensibilitätsstörungen v.a. an den Händen und Füßen und Muskelschwäche kommt |
Polyspike Wave Komplex |
epilepsietypisches Befundmuster im EEG |
Pragmatik |
Orientierung an situativer Angemessenheit und Nützlichkeit im Gegensatz zu Dogmatik, bei der Prinzipien unabhängig von konkreten situativen Rahmenbedingungen im Vordergrund stehen |
Prävalenz |
Häufigkeit |
Reliabilität |
Wiederholbarkeit, eine Messung ist reliabel, wenn bei wiederholten Messungen immer das gleiche Ergebnis herauskommt |
RDoC |
Research Domain Criteria; ein Projekt des National Institute of Mental Health (NIMH) in den USA, bei dem das kategoriale Schizophrenie-Konzept in der Wissenschaft zugunsten von 5 dimensional verfassten psychischen Domainen aufgegeben wird |
RR |
relatives Risiko, wichtiger Begriff der statistischen Risikoberechnung |
Salienz |
Auffälligkeit; Begriff aus der Wahrnehmungspsychologie, der beschreibt, wie sehr ein Reiz vor anderen Hintergrund- oder Rahmenreizen heraussticht |
Schnauzreflex |
Frontalhirnzeichen; einem Patienten wird ein Holzspatel auf die geschlossenen Lippen gelegt und dieser wird dann angestoßen; bei kleinen Kindern und Erwachsenen mit Frontalhirnsyndromen kommt es daraufhin zu einer Schnauzbewegung, die als frontales Enthemmungszeichen gewertet wird |
Semantik |
sprachwissenschaftlicher Begriff: die Semantik ist die Lehre von den Bedeutungen von Wörtern und Begriffen |
SHT |
Schädel-Hirn-Trauma |
SNP |
Englisch: single nucleotide polymorphism = Kopierfehler bei der Replikation der DNA, bei der ein Basenpaar durch ein falsches ersetzt wird (= Punktmutation) |
Splenomegalie |
Milzvergrößerung |
SREAT |
Englisch: steroid responsive enzephalopathy with autoantibodies against the thyroidea; Steroid-responsive Enzephalopathie mit Autoantikörpern gegen die Schilddrüse |
Stupor |
Zustand, in dem ein Mensch wie eingefroren wirkt, kaum noch Initiative entwickelt, sich kaum noch bewegt und meist still und unbeweglich vor sich hinstarrt |
SWC |
Englisch: sharp wave complex; epilepsietypisches Befundmuster im EEG |
Syntax |
sprachwissenschaftlicher Begriff. Satzlehre. Die Syntax beschreibt die Regeln, nach denen aus Wörtern Sätze gemacht werden können |
teratogen |
aus dem Griechischen: τέρας, lateinisch teras = Ungeheuer; und γένεσις, lateinisch genesis = Entstehung; Substanzen wie Medikamente, Drogen, Viren oder Strahlungen sind teratogen, wenn sie Missbildungen der Kinder verursachen |
Therapie |
aus dem Altgriechischen: θεραπεία, lateinisch: therapeia, was so viel wie Dienst, Pflege, Heilung bedeutet |
Thyreoiditis |
Entzündung der Schilddrüse (Glandula thyreoidea) |
Tics |
kurze einschießende Bewegungen v.a. der Gesichtsmuskulatur bzw. Geräusche, die willentlich nicht vollständig kontrolliert werden können |
TG |
Thyreoglobulin: Schilddrüsenprotein gegen welches sich Antikörper (TG-AK) bilden können (einer der Hashimotoantikörper) |
Titer |
Messeinheit für Antikörperkonzentrationen |
Torsionsdyskinesie |
Bewegungsstörung in Form unfreiwilliger drehend schraubender Bewegungsmuster v.a. der Arme und Beine |
TPO |
Thyreoperoxidase: Schilddrüsenprotein, gegen welches sich Antikörper (TG-AK) bilden können (einer der Hashimotoantikörper) |
TSH |
Thyreoidea (=Schilddrüe) stimulierendes Hormon |
Validität |
Gültigkeit; eine Annahme ist valide, wenn sie wirklich beschreibt, was sie beschreiben will; die Validität einer Messung, Theorie oder Aussage kann nicht gemessen, sondern nur begründet werden |
Varianz |
Streubreite von Befunden oder Messwerten (z. B. Körpergrößen) |
VG |
Vorgeschichte |
VGKC Antikörper |
Antikörper gegen die Proteine der spannungsabhängigen Kaliumkanäle an Neuronen (voltage gated potassium channel antibodies), die auf eine limbische Enzephalitis hinweisen können |
Vulnerabilität |
Verletzlichkeit, Empfindlichkeit, Veranlagung |
WHO |
World Health Organisation = Weltgesundheitsorganisation |
Dieses Buch beginnt mit einer wissenschaftlichen Analyse der altbekannten Krankheit Schizophrenie und womit es endet, verrät bereits der Titel. Diese Krankheit, die uns auf Wegen der Verständnisförderung und der Behandlungschancen nahegebracht wird, trägt seit gut einem Jahrhundert (1911) den Namen Schizophrenie.
Wahn, Halluzinationen und Denkstörungen, die wir heute als Kernsymptome zur Definition der Diagnose benutzen, waren, woran uns der Autor erinnert, schon im Altertum, etwa in den Tragödien Homers, bekannt. Die erste Destillation dieses Wissens zu einem eindeutigen Krankheitskonstrukt, der sog. Dementia praecox, hat der Schöpfer der modernen Psychiatrie, Emil Kraepelin, um die Wende zum 20. Jahrhundert vollzogen. Der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler hat diese ungeeignete Diagnose 1911 durch »Schizophrenie« ersetzt, weil er Ersterkrankungen an diesem Leiden sowohl im späteren Lebensalter als auch im Verlauf ohne Demenz beobachtete. Aber Bleulers Schizophrenie war nicht exakt dasselbe Leiden wie Kraepelins Dementia praecox. Die Grenze zwischen krank und gesund war weiter gezogen, und die Konstruktion wich von Kraepelins Schöpfung ab. Aber auch diese Bezeichnung, auf Deutsch »Seelenspaltung«, ist keine gute Lösung, weil sie der Wirklichkeit nicht entspricht.
Die Kernsymptome der Krankheit Schizophrenie, Wahn und Halluzinationen, sind auch bei einigen anderen psychischen Störungen und selbst isoliert als Einzelsymptome bei Gesunden zu beobachten. Die Krankheiten, die diese Symptome allein oder in Verbindung mit Denkstörungen aufweisen, sind in allen Ländern, Kulturen und politischen Systemen mit annähernd gleicher Häufigkeit anzutreffen. Aber in bemerkenswerter Weise ist der Verlauf der Schizophrenie verschieden. Ist die Krankheit Schizophrenie deshalb ein Artefakt, das wegen seiner einigermaßen gemeinsamen Merkmale ein hohes Maß an Beständigkeit erreicht hat?
Die internationalen Klassifikationssysteme konnten sich trotz aller Bemühungen um eine korrekte Beschreibung von Symptomatik und Verlauf von der kategorialen Diagnose der kraepelinschen Tradition bis heute noch nicht definitiv trennen, ungeachtet einer außerordentlich großen Zahl von Befunden, die mit der Annahme einer Krankheitseinheit Schizophrenie nicht vereinbar sind. Mit dem wachsenden Wissen breitet sich diese Überzeugung jedoch zunehmend aus.
Die überzeugten Schizophreniereformer, und Tebartz van Elst zählt in vorderster Front dazu, benötigen plausible Erklärungen der im Komplex der sog. schizophreniformen Symptomatik wirksamen ätiologischen und pathogenetischen Faktoren, etwa der neuralen Netzverbände, die mit psychischen Abläufen aus diesem Systemkomplex in beide Richtungen - sprich: Stimulation und Hemmung – verbunden sind. Nur gezielte Analysen können mit geeigneten Methoden und Forschungsdesigns in solche Komplexität eindringen. Nur ein Autor, der bereits mit geeigneten Methoden und Forschungsansätzen mehrschichtige Zusammenhänge geklärt hat, kann ein geeignetes Rüstzeug dazu anbieten.
Ludger Tebartz van Elst hat ein breites Spektrum der Forschung unter Bindung an klinische Erfahrung hinter sich. So hat er etwa die Autismusspektrumstörungen, einmal in Form des schizophrenieähnlichen Kanner’schen Autismus, der in früher Kindheit bevorzugt als Sprachstörung auftritt, zum anderen des in Jugend und später als vielfältige kommunikative und sprachliche Behinderung auftretenden Asperger-Autismus, bearbeitet. Er hat die psychopathologisch gegensätzlich erscheinenden bipolaren Symptommuster aufzugliedern und einer Erklärung zuzuführen versucht. Er analysierte auch das ADHS-Syndrom in der Vielfalt seiner Ausprägungen und Folgeerscheinungen. Schließlich untersuchte er die psychischen Störungsmuster bei Temporallappenepilepsie, besonders die forcierte Normalisierung, bei der nach therapeutischer Intervention anstelle eines Anfalls abnorme psychische Phänomene, teilweise in Gestalt psychotischer Symptome, auftreten.
Der erkenntnisphilosophische Ansatz Tebartz van Elsts bewahrt zwar die von Karl Jaspers von dem Philosophen Wilhelm Dilthey in die Psychopathologie übernommene Unterscheidung von verstehender Psychologie und erklärender Naturwissenschaft. Aber der Wissenschaftlichkeit wird auch die verstehende Psychologie nicht entkleidet. Die Kernbegriffe seiner eigenen Methode sind drei Definitionen von Norm: (1) Die nummerisch-psychologisch-statistischen Maße der Abweichung vom Mittel. Sie setzen dimensionale Strukturen der quantifizierten Phänomene voraus. (2) Die zweite Form von Normalität ist die technische. Sie lässt die Abweichung von realen Erwartungswerten kategorial definierter Merkmale erkennen. (3) Die dritte ist die soziale Norm, die krankhafte Phänomene hinsichtlich ihrer sozialen und moralischen Qualität definieren lässt.
Mit dieser Trilogie macht Tebartz van Elst drei Bereiche von Normabweichungen psychischer Fähigkeiten, Leistungen und krankhafter Phänomene ebenso dimensional wie auch kategorial analysierbar.
Wenn man der Argumentation Tebartz van Elsts folgt, die durch zahlreiche Beispiele und Abbildungen verständlich wird, dann entschwindet die klassische Krankheit Schizophrenie und an ihre Stelle tritt eine zunehmende Aufspaltung des Wissens. Das, was wir Schizophrenie nennen, umfasst dann ein paar Syndrome unterschiedlicher Ätiologie. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um ein paar unterschiedliche Krankheitsprozesse, die unter bestimmen Umweltbedingungen ähnliche pathoplastische Syndrome zur Folge haben. Ansonsten sind wir wieder da, wo wir bei Beginn waren: Wir müssen uns von der traditionellen Diagnose verabschieden.
Dieses ausgezeichnete Buch kann man als Leitschnur denjenigen empfehlen, die den Weg des Verstehens und der Forschung an dem, was wir heute noch Schizophrenie nennen, einschlagen wollen. Schritte dazu sind in diesem avantgardistischen Buch in bemerkenswerter Klarheit herausgearbeitet.
Heinz Häfner, im Juni 2017
Wir kennen die Schizophrenie nicht. Viele fragen, ob es sie überhaupt gibt. Aber das Wort ist weiterhin in Gebrauch, als Floskel im Alltag und als klinische Diagnose. Seit mehr als 100 Jahren versuchen Wissenschafter, die Schizophrenie aus dem Dunst der klinischen Praxis in das Licht der wissenschaftlichen Erforschung zu ziehen. Bis jetzt mit geringem Erfolg.
Dieses Buch von Ludger Tebartz van Elst ist ein Versuch, den Dunstschleier zu lichten. Es ist geschrieben für alle, die sich für psychiatrische Fragen interessieren. Es ist zugänglich für Laien, bereitet aber auch genügend Neues für Kliniker und Wissenschaftler.
Der Autor ist ein Neuropsychiater und er begreift die Schizophrenie als ein Problem der klinischen Neurowissenschaft: wir müssen das Gehirn studieren, um die Person zu verstehen. Begriffe der klinischen Psychiatrie werden erklärt als Funktionen des Gehirns. Aber der Autor ist auch geschult in klassischen Sprachen und der Philosophie. Das macht es ihm möglich, die Schizophrenie nicht nur als medizinisches Problem, sondern auch als soziales und allgemeinwissenschaftliches Konstrukt zu diskutieren. Er analysiert treffend, dass Verrücktheit von der Weite des sozialen Raumes abhängt und plädiert überzeugend für eine multikategoriale Normalität.
Mit seiner Analyse praktizert er eine kritische Vernunft die weit hinaus geht über die üblichen Bekenntnisse zum beschränkten Wissen der Medizin. Er ist sich bewusst, dass wir wenig Fortschritt gemacht haben in der Erforschung der Schizophrenie. Er schildert seine eigene Demütigung als Arzt und Lehrer, wenn er die Schizophrenie erklären will, obwohl wir so wenig wissen.
Aber die kritische Bestandsaufnahme führt nicht zur Resignation. Ludger Tebartz van Elst zeigt uns, wie wir Fortschritt machen können in der Psychiatrie: durch wissenschaftliche Entdeckung und durch begriffliche Klärung. Beide Wege sind nötig, um ein wissenschaftliches Paradigma zu formulieren, zu kritisieren und dann zu ersetzen. Dieses Buch macht den Versuch die dialektische Bewegung von Theoriebildung und Kritik weiterzuführen: vom Anfang bis zum Ende der Schizophrenie.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Psychiatrie voller Hoffnung, dass die Ursachen und Pathogenesen psychiatrischer Erkrankungen geklärt werden können. Syphilis diente als Vorbild: viele Symptome, Syndrome und Krankheitsbilder konnten zurückgeführt werden auf eine Ursache. Aber bald zeigte sich, dass die Psychosen vielfältig sind, mit vielen Symptomen, mehreren Syndromen und unterschiedlichen Verlaufsbildern. Für einige Psychosen konnte eine Ursache gefunden werden (sie waren sekundär zu einem anderen Krankheitsbild), aber die meisten blieben unerklärt (sie waren primär).
Dieses Buch möchte das kausale Denkens wieder in die Klassifikation psychischer Störungen einführen. Das neunte Kapitel ist das Zentrum der Argumentation. Hier beschreibt der Autor Syndrome die als Beispiel dienen für eine psychiatrische Klassifikation nach der Abschaffung der Schizophrenie. Stoffwechselstörungen, paraepileptische Psychosen und Entzündungen des Gehirns werden beschrieben als Krankheitsbilder die heute oft noch als Schizophrenie diagnostiziert und behandelt werden, aber für die wir schon heute Beweise haben, sie als sekundäre Psychosen zu definieren. Die autoimmune Enzephalitis ist von besonderem Interesse, da sie mechanistische Modelle auf der zellulären und molekularen Ebene ermöglicht. Die Validierung der sekundären Psychosen durch immunsupressive Behandlung (dargestellt mit Fallbespielen aus der Praxis des Autors und aus der Literatur) ist klinisch beeindruckend und nosologisch eindeutig.
Zweifel kommen aber dennoch auf. Zum einen ist der kausale Zusammenhang zwischen den biologischen Veränderungen und dem klinischen Bild nicht klar. Zum anderen zeigt die Mehrzahl der Patienten, die mit Schizophrenie diagnostiziert werden, keine dieser biologischen Veränderungen. Aber der Autor ist zuversichtlich, dass wissenschaftliche Entdeckungen die Lücke schließen werden.
Die Psychiatrie braucht Kritiker wie Ludger Tebartz van Elst. Sein Buch erinnert uns, dass im Zentrum der psychiatrischen Klassifikation nicht die Diagnose steht, sondern ein Mensch lebt. Es ist unsere Aufgabe als Kliniker und Wissenschaftler, die Besonderheiten menschlichen Erlebens zu begreifen und, wenn nötig, heilend zu helfen. Wenn Diagnosen diesem Auftrag im Wege stehen, dann müssen wir sie ändern.
Stephan Heckers
Nashville, TN, USA im Juli 2017
Die Psychiatrie ist und bleibt in meinen Augen eine besondere Disziplin innerhalb der medizinischen Fächer. Sie steht wie keine andere ihrer Schwesterdisziplinen an einer Grenze zwischen Natur- und Geisteswissenschaft, zwischen Gesundheit und Krankheit, zwischen Normalität, Abweichung und Ausgrenzung, zwischen erlebnisreaktiven Stressreaktionen und organischer Fehlsteuerung. Und die Tatsache, dass ein und dasselbe psychische Symptom sowohl Folge normaler, weil situationsbedingt durchschnittlicher, hirnphysiologicher Prozesse, sein kann als auch Ausdruck der teuflischten Erkrankungen, die Pandorra mit der Hoffnung auf Heilung in ihrer Büchse auf die Welt brachte, ist Horror und Faszinosum in einem.
Und innerhalb der Psychiatrie spielt die Schizophrenie nach wie vor eine Sonderrolle. Ich kann mich gut erinnern, wie dieser Begriff der Alltagssprache, den auch ich als Schüler, Student und junger Arzt lange Zeit als klassische Krankheit missverstand, mich schon in meiner Jugend geängstigt hat als schweres Schicksal für Betroffene und Angehörige, gleichzeitig aber auch auf eine schwer zu beschreibende Art und Weise fasziniert hat, als mystisch-sakrale Form des Existierens, als das ganz und gar fundamental Andere im Wahrnehmen, Erleben, Fühlen und Denken, dem ob seines Anders-Seins immer auch etwas Exotisches und Neues, Unentdecktes und abenteuerlich Spannendes innewohnen kann. Diese sakral-verborgene Vorstellung von Schizophrenie halte ich heute, einige Dekaden später, aus poetischer Perspektive zwar nach wie vor für inspirierend und attraktiv, aus meiner inzwischen entwickelten, ärztlich-wissenschaftlichen Sicht aber für einen entscheidenen Nachteil des Schizophreniekonzepts.
Als Student und junger Arzt meinte ich eine Weile lang, die Krankheit Schizophrenie verstanden zu haben. Die Definition über die scheinbar doch klaren Positivsymptome Halluzinationen, Wahn, Denkzerfahrenheit und Katatonie überzeugte mich in der Auffassung, die Schizophrenie sei die Krankheit, die zu eben diesen Symptomen führe. Aber wie so oft in der Medizin und insbesondere in der psychiatrischen Medizin machte die Zunahme von Wissen und Erfahrung den wissenschaftlichen Blick auf diese Erkrankung nicht klarer. Vielmehr fiel es mir immer schwerer, die vielen Einzelfälle mit ihren Gemeinsamkeiten aber auch weitreichenden Unterschieden in Symptomatik, Ursächlichkeit, Verlauf, Therapieergebnis und Prognose auf für mich überzeugende Art und Weise unter dem zumindest alltagssprachlich einheitlich daherkommenden Schizophreniekonzept zu fassen.
Das Ergebnis meines ganz persönlichen Ringens mit dem Phänomen Schizophrenie als Mensch, der anderen Menschen mit manchmal ganz alltäglichen und manchmal sehr ungewöhnlichen Wahrnehmungen, Denkstilen und Verhaltensweisen begegnet, die man heutzutage Schizophrenie nennt, als Arzt, der versucht in solchen Fällen die richtigen Untersuchungen zu veranlassen und die besten Therapien zu finden, und als Wissenschaftler, der versucht die Ursächlichkeit dieser Phänomene zu verstehen, ist dieses Buch. Es fasst meine Sichtweise und mein Denken zum Thema Schizophrenie umfassend zusammen. Ich kann mir dabei durchaus vorstellen, dass sich hier in den weiteren Dekaden noch zahlreiche Änderungen ergeben. Denn entgegen dem wie auch ich finde zutreffendem Eindruck, dass sich in den letzten Dekaden wenig getan hat in der Diagnostik und Therapie der Schizophrenien, meine ich zu erkennen, dass sich in den letzten Jahren doch erhebliche Fortschritte zumindest für einige Untergruppen von Menschen abzeichnen, denen man heute noch vielerorts sicher aber vor 10–20 Jahren ohne große Zweifel die Diagnose Schizophrenie gegeben hätte.
Dieses Buch verdankt viele Erkenntnisse jahrelangen sehr engagierten und manchmal auch sehr kontroversen Diskussionen mit Freunden und Kollegen in der Ambulanz, am Mittagstisch und an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik Freiburg aber auch an anderen Orten wie dem Institute of Neurology in London. All meinen Freunden, Förderern und Diskutanden möchte ich an dieser Stelle herzlich danken, auch wenn sie sicher nicht in allen Einzelheiten immer meine Sichtweise teilen werden wie ich weiß. Danken möchte ich vor allem aber all meinen Patientinnen und Patienten, die sich und ihr Erleben offenbarten und mir damit einen Einblick in die Vielfalt der Erlebens-, Fühlens- und Denkweisen menschlicher Existenz erlaubten.
Das Schicksal, sein Leben zeitweise oder auch langfristig mit schizophreniformen Symptomen leben zu müssen, ist nicht immer schlimm, häufig ist es aber extrem belastend und für manche Menschen und ihre Angehörige kaum zu ertragen. Dabei ist es nach meiner Wahrnehmung für fast alle von ganz zentraler Bedeutung, wie man die Besonderheiten des eigenen Erlebens deutet und interpretiert. Und so verbringe ich immer wieder viel Zeit damit, meinen Patientinnen und Patienten aber auch ihren Angehörigen einen möglichst nüchternen und wissenschaftlichen Blick auf das Geschehen zu eröffnen. Da ich glaube, dass nicht nur der Schizophrenie-Begriff sondern auch das zugrundeliegende Schizophrenie-Konzept in 100 Jahren nicht mehr in Gebrauch sein werden – und ich das auch gut fände – unterscheidet sich das, was ich meinen Patienten und ihren Angehörigen erzähle in einigen Punkten doch grundlegend von dem, was in den allgemeinen Büchern zur Psychoedukation der Schizophrenie zu lesen ist.
Gleichzeitig halte ich es nicht für klug, Menschen, die schizophreniforme Symptome erleben, im Gespräch und in der ärztlichen Diagnose nicht mit dem Schizophreniebegriff zu konfrontieren. Dies geschieht gelegentlich bei Ärzten, die befürchten, ihre Patienten oder deren Angehörige mit diesem so stigmatisierten Begriff zu verschrecken. Ich halte wenig davon. Denn wenn Menschen dialogisierende oder kommentierende Stimmen halluzinieren, so wissen sie und ihre Angehörigen ohnehin, dass die Schizophrenie im Raum steht. Dann hilft ein diesbezügliches ausklammerndes Schweigen meiner Meinung nach nicht weiter. Wohl aber möchte ich ihnen erklären, wieso ich diesen Begriff nicht für hilfreich halte, und dass die Schizophrenie streng genommen auch schon im heutigen Denken keine Krankheit ist.
Dabei erzähle ich immer wieder ähnliche Dinge. Auch dies war eine Motivation für mich, dieses Buch zu schreiben. So können Patienten und ihre Angehörigen meine Überlegungen in Ruhe nachlesen und ich muss nicht immer wieder das gleiche erzählen.
Ich möchte mich in diesem Buch aber nicht nur an Patienten und ihre Angehörigen, sondern auch an Ärzte, Wissenschaftler, Fachärzte, Therapeuten und die interessierte Laienöffentlichkeit wenden. Das gesellschaftliche Interesse an dem Thema ist in meinen Augen gerade wegen der Sonderrolle der Psychiatrie in der Medizin und der Schizophrenie in der Psychiatrie groß. Damit versucht das Buch den Spagat, sich an ein medizinisches Fachpublikum zu wenden und gleichzeitig Ärzte, Wissenschaftler, Therapeuten, Betroffene, Angehörige und medizinische Laien anzusprechen. Dies ist natürlich in Hinblick auf die gewählte Sprache ein gewagtes Unterfangen. Und so wird es sicher so sein, dass ich nach dem Geschmack vieler zu sehr in der Fachsprache schreibe und andere sich an anderen Stellen über alltagssprachliche Formulierungen wundern. Ich möchte um Verständnis dafür werben, dass dieser Spagat nicht immer ganz leicht ist und an vielen Stellen sicher nicht optimal gelungen ist. Da nicht durchgängig auf medizinische Fachbegriffe verzichtet werden konnte, werden diese in einem Glossar und Abkürzungsverzeichnis erklärend aufgelistet.
Dieses Buch ist im Ergebnis länger geworden als ursprünglich vorgesehen. Dies liegt daran, dass die Thematik sehr grundsätzlich und umfassend entwickelt wurde. Es liegt sicher auch an den vielen Tabellen, Abbildungen, Kasuistiken und Überlegungen zu weitergehenden Themen am Rande. Die einzelnen Kapitel bauen zwar systematisch aufeinander auf, sie sind aber so gestaltet, dass sie auch jeweils für sich gelesen werden können, ohne dass das Buch systematisch von vorne bis hinten durchgearbeitet werden muss. Dies soll es angesichts der Länge des Textes Leserinnen und Lesern ermöglichen, sich in einer freien halben Stunde auch nur mit Teilaspekten der übergeordneten Thematik auseinanderzusetzen. Auch können Kapitel, die grundsätzliche und theoretische Fragestellungen betreffen wie etwa eher philosophische Fragen nach dem Wesen des Normalen, Gesunden und Kranken oder nach der Definition von Krankheiten und Störungen in der Psychiatrie, ganz weggelassen werden, ohne dass dies die Verständlichkeit späterer Kapitel zu den Ursachen schizophreniformer Symptome beinträchtigen würde. Ich möchte dem Verlag und insbesondere meinen beiden unmittelbaren Ansprechpartnern, Frau Dr. Boll und Herrn Dr. Poensgen ausdrücklich dafür danken, dass sie mir diese Freiheit bei der Gestaltung des Textes gaben und dieses Projekt jederzeit wohlwollend unterstützt haben.
Ich hoffe mit diesem Buch den mystisch-sakralen Dunstschleier, der die Schizophrenie in Fachkreisen wie in der Laienöffentlichkeit immer noch umgibt, ein wenig lichten zu können, eine Vorstellung von der Vielfalt psychischer Wirklichkeiten und ihrer Ursächlichkeiten zu vermitteln, und meine neuropsychiatrische Perspektive auf diese Vielfalt der geistigen Phänomene und Zusammenhänge zu veranschaulichen, die nach meiner Überzeugung in 100 Jahren nicht mehr Schizophrenie genannt werden werden. Wenn es in diesem Rahmen gelingen sollte, die Angst, das Unheimliche und die sakrale Bedrohung, die der Schizophrenie für viele innewohnt, ein wenig zu mildern, so würde mich dies freuen.
Ludger Tebartz van Elst
Freiburg, im März 2017
Die Schizophrenie gehört zu den dramatischten Diagnosen der Medizin der Neuzeit. Denn sie scheint nicht nur defizitäre Körperfunktionen, sondern den Wesenskern des Menschseins zu berühren. Sie fungiert nicht nur als Bezeichnung für ein psychiatrisches Symptomgemenge, sondern hat darüber hinaus weitreichende gesellschaftliche Implikationen. Kaum eine andere Diagnose der Medizin wird so sehr gefürchtet und von Betroffenen wie Angehörigen als Makel, Stigmatisierung und Omen einer umfassenden gesellschaftlichen Ausgrenzung erlebt.
Während schizophreniforme Symptome so alt sind wie die Menschheit selbst, wurde das Konzept der Schizophrenie in seinen Grundzügen vor etwas über 100 Jahren geprägt. Der Begriff setzte sich einige Dekaden später durch und ist nicht nur im medizinischen Denken, sondern auch im gesellschaftlichen Diskurs der Gegenward fest verankert. Dabei besteht inzwischen unter Wissenschaftlichern und Medizinern weitgehende Einigkeit darüber, dass es die Krankheit Schizophrenie so gar nicht gibt. Vielmehr wird sie heute – anders als noch vor 100 Jahren – als Sammmelbegriff für eine Gruppe von unterschiedlich verursachten teils vorrübergehenden, teils chronischen zerebralen Funktionsstörungen verstanden. Dementsprechend ist im Zusammenhang mit der Überarbeitung der großen psychiatrischen Klassifikationssysteme DSM-5 und ICD-11 eine Diskussion darüber entbrannt, ob der Begriff und das Konzept der Schizophrenie nun nach etwa 100 Jahren seiner Existenz abgeschafft werden sollten. In Japan wurde die Abschaffung des Schizophrenie-Begriffs seit Anfang des neuen Jahrtausends bereits umgesetzt.
Vor diesem Hintergrund werden in dieser Buchpublikation zunächst die verschiedenen Phänomene und Symptome beschrieben, die eine Schizophrenie nach den aktuell gültigen Klassifikationssystemen ausmachen. Darauf aufbauend wird die Kultur- und Medizingeschichte der Schizophrenie skizziert. Denn während die Symptome und Phänomene der Schizophrenie so alt sind wie die Menschheit, so sind Krankheitskonzept und der Begriff der Schizophrenie doch zeitgeschichtliche Phänomene.
An dieser Stelle schließen sich 3 Kapitel an, in denen grundlegende medizintheoretische Fragen thematisiert werden. Zunächst wird dabei der Frage nachgegangen, was es überhaupt bedeutet, dass ein Phänomen normal ist. In diesem Zusammenhang werden 3 Bedeutungsbereiche von Normalität herausgearbeitet. Zunächst einmal kann Normalität als statistische Größe verstanden werden. Dies ist in der Medizin aber auch in der Physik und Technik dann der Fall, wenn die Eigenschaft, deren Normalität in Frage steht, einer Normalverteilung folgt. Dies ist bei zahlreichen biologischen Eigenschaften wie z. B. der Körpergröße der Fall. Solche Eigenschaften sind also nicht entweder gegeben oder nicht, sondern sie sind dimensional strukturiert d. h. die fragliche Eigenschaft, wie die Körpergröße, ist mehr oder weniger stark ausgeprägt. Fehlende Normalität kann dann recht objektiv über statistische Maße wie Mittelwert und Standardabweichung definiert und gemessen werden. Bei der technischen Norm geht es dagegen um funktionale Eigenschaften von Geräten, Maschinen oder auch Körpern. So kann etwa die Lautsprechanlage funktionieren oder nicht, das Rücklicht am Auto leuchtet oder nicht, ein Mensch kann sehen oder nicht. Solche technischen Normbegriffe sind in der Regel kategorial strukturiert d. h. die interessierende Eigenschaft ist nicht mehr oder weniger vorhanden sondern sie ist vorhanden oder nicht. Auch für die technische Norm gibt es im Bereich der Biologie zahlreiche Beispiele. So kann etwa nach einer Entzündung des Sehnervs das Sehvermögen ausfallen, was einer fehlenden Normalität im Sinne der kategorialen oder technischen Norm entspräche. Schließlich gibt es gerade im Bereich des Psychischen und der Organisation von Gesellschaften auch die soziale Norm. Die soziale Norm definiert Normalität auf der Grundlage von Erwünschtheit aus der Sicht einer Gruppe oder definiert durch Machthaber. Weder die medizinsiche Wissenschaft noch das ärztliche Handeln können auf Normalitätsbegriffe verzichten. Nach humanistischem Grundverständnis sollte aber bei der Definition von Krankheiten auf soziale bzw. moralische Normen möglichst verzichtet werden. Ob das in der Psychiatrie tatsächlich immer gelingt wird dann im Folgenden thematisiert, wenn der Frage nachgegangen wird, was nach medizinischem Verständnis überhaupt eine psychische Störung ist. Dabei zeigt es sich, dass die Medizin im Allgemeinen aber auch die Psychiatrie im Speziellen mit je nach Konstellation unterschiedlichen Normbegriffen operiert. Sie können sich auf dimensional ausgeprägte, mehr oder weniger stark vorhandene Eigenschaften des Körpers beziehen und damit statistisch organisiert sein. Sie können sich aber auch auf funktionale Aspekte beziehen und damit kategorial bzw. technisch verfasst sein. Gerade in der Psychiatrie, wo es u. a. auch um die Bewertung von Verhaltensweisen bei der Definition und Klassifikation von Krankheiten bzw. Störungen ankommt, wird teilweise offen, teilweise verdeckt, aber auch auf soziale Normen zurückgegriffen. Dies wird im 7. Kapitel des Buches in seiner ganzen Zwiespältigkeit klar herausgearbeitet.
Auf der Basis dieser grundlegenden medizintheoretischen Überlegungen wird dann der Frage nach der Ursächlichkeit schizophreniformer Symptome nachgegangen. Dabei wird das Wissen über die verschiedenen Kausalstränge, die das Entstehen schizophreniformer Phänomene begünstigen können, umfassend zusammengefasst und vorgestellt. Es werden die funktionelle Neuroanatomie höherer mentaler Leistungen und ihrer Störungen ebenso herausgearbeitet wie die klassische dopaminerge und glutamaterge Hypothese der Schizophrenie, bildgebende, genetische aber auch umweltbedingte, psychoreaktive und persönlichkeitsstrukturelle Ursachen der schizophreniformen Störungen. Gerade in Hinblick auf die genetischen Aspekte der Schizophrenien wird dabei verdeutlicht, dass genetische Ursachen schizophreniformer Syndrome sowohl im klassischen, kategorialen Sinne in Form monogenetischer Erkrankungen aber deutlich häufiger eben auch im dimensionalen Sinne in Form von multigenetischen Normvarianten gegeben sind. Es ist dabei ein zentrales Anliegen dieses Buches, zu erklären und darauf hinzuweisen, dass es gerade bei multigenetischen Verursachungen problematisch ist, von Krankheiten im klassischen Sinne zu sprechen.