Bettina Ferbus
Schattenspiele
Das Buch:
Laura hat genug von Vampiren. Als ihr endlich die Flucht aus dem von Vampirdiktator Mad Milo beherrschten Linz glückt, glaubt sie, die Vampire ein für alle Mal hinter sich lassen zu können und mit ihnen ihren kontrollsüchtigen Vampirliebhaber Leon. Sie träumt davon, sich im ausschließlich von Menschen bewohnten Ort Unterwald ein neues Leben aufzubauen. Doch dann hat der Lastwagen, mit dem sie unterwegs ist, einen Unfall. Laura kann sich als Einzige aus dem in eine Schlucht stürzenden Fahrzeug retten. Verletzt und ohne Vorräte mitten im Nirgendwo gestrandet, macht sie sich an die aussichtslose Aufgabe, das nächste Dorf zu erreichen. Dem Zusammenbruch nahe trifft sie auf ein Grüppchen junger Leute, deren Anführer Christian ihr anbietet, sie bei sich aufzunehmen. Laura fühlt sich von dem netten, attraktiven Christian sofort angezogen – doch auch er ist ein Vampir.
Die Autorin:
Bettina Ferbus ist eine bekennende Süchtige. Sie ist süchtig nach Pferden – das hat sich schon in ihrem Hauptberuf niedergeschlagen: Sie ist Reitlehrerin – und sie ist süchtig nach Gedrucktem.
Zwanghaftes Lesen mit einer besonderen Vorliebe für Phantastisches führte dazu, dass sie Geschichten zu schreiben begann. Zuerst Kurzgeschichten, die in verschiedenen zum Teil preisgekrönten Anthologien erschienen sind, später auch längere Texte.
www.ferbus.at/bettina
Außerdem erschienen:
Schattenseite – Austrian Vampire World
Untergrund – Austrian Vampire World 2
Bettina Ferbus
Roman
Schattenspiele – Austrian Vampire World 3
Bettina Ferbus
Copyright © 2017 at bookshouse Ltd.,
Ellados 3, 8549 Polemi, Cyprus
Umschlaggestaltung: © at bookshouse Ltd.
Coverfotos: www.shutterstock.com
Satz: at bookshouse Ltd.
ISBNs: 978-9963-53-803-4 (E-Book .pdf)
978-9963-53-804-1 (E-Book .epub)
978-9963-53-805-8 (E-Book Kindle)
www.bookshouse.de
Urheberrechtlich geschütztes Material
1. Laura
2. Christian
3. Laura
4. Christian
5. Laura
6. Christian
7. Laura
8. Christian
9. Laura
10. Christian
11. Laura
12. Christian
13. Laura
14. Christian
15. Laura
16. Christian
17. Laura
18. Christian
19. Laura
20. Christian
21. Laura
22. Christian
23. Laura
24. Christian
25. Laura
1. Kapitel
Laura
Der Kleinlaster rumpelte durch ein Schlagloch. Laura stützte sich an einem der Säcke mit Toilettenpapier ab, um nicht gegen Eva geschleudert zu werden. Aus Lisas Richtung war ein dumpfer Aufprall zu hören, und kurz darauf ein leiser Aufschrei. Wenige Minuten später folgte das nächste Holpern. Dann legte sich der Laster in eine Kurve.
Angst lag wie ein Eisklumpen in Lauras Magen. Sie kämpfte sie nieder, versuchte, sich auf das zarte Flattern der Hoffnung in ihrer Brust konzentrieren. Alles würde gut werden. Natürlich war eine Stelle als Dienstmädchen nicht das, wovon sie geträumt hatte. Sie erinnerte sich an ihre Zeit bei der Laientheatergruppe, an den Spaß bei den Proben, die Nervosität vor den Aufführungen und an dieses unglaubliche Hochgefühl, das sich jedes Mal beim Applaus einstellte. Die langen Stunden in der Schule hatte sie sich mit Träumen von einer Schauspielausbildung und einem richtigen Engagement versüßt.
Und dann – die Vampire. Zuerst hatte sie nur im Internet von ihnen gelesen und im ersten Moment an einen Scherz gedacht. Ein künstlich geschaffenes Virus, das Menschen mit der Blutgruppe AB positiv in Vampire verwandelte – das klang total verrückt. Doch bald mehrten sich die Berichte.
Hundegrippe eingedämmt – aber zu welchem Preis, lautete eine der Überschriften. Der ebenso geniale wie skrupellose Wissenschaftler Professor Hildebrand hatte die Methode der Vektorimpfung, bei der durch modifizierte Viren direkt auf das Immunsystem eingewirkt wurde, dazu benutzt, Europa mit Vampiren zu bevölkern. Die Impfung half zwar gegen die Hundegrippe – aber wer die richtige Blutgruppe hatte, verwandelte sich.
Wenig später folgte Lauras erste Begegnung mit einem der Blutsauger. Nur zu gut erinnerte sie sich an sein selbstbewusstes Grinsen, an die aufblitzenden Fangzähne und an ihren Wunsch, dass es sich um Theaterrequisiten handeln möge. Sie spürte jetzt noch die Panik und den Schmerz, als der Vampir mit einem herzhaften Biss seine Echtheit bewies.
Die Vampire hatten ihr Leben ruiniert, als sie mit einem Krieg Österreich in kleine Gebiete zerrissen und Laura von ihrer Familie getrennt hatten. Ihren Vater kannte sie kaum. Er hatte ihre Mutter verlassen, als sie noch im Kindergarten gewesen war. Ihre Mutter, ihre Großmutter und ihre beiden Schwestern vermisste sie dafür umso mehr.
Sie wünschte, sie wäre nie nach Linz gegangen. Seit sich Mad Milo von Präsident Milotinovic in einen despotischen Tyrannen verwandelt hatte, waren Menschen nur noch Blutbeutel ohne Rechte. Wer keinen Vampirbeschützer hatte, war schlecht dran. Manchen Menschen schien das nichts auszumachen. Wahrscheinlich jenen, die den Vampir ihrer Träume bereits gefunden hatten. Laura gehörte nicht zu ihnen. Würde auch nie zu ihnen gehören. Sie war schließlich ein Mensch und kein Haustier!
Deshalb hatte sie die Chance genutzt, als sie sich bot. Mit welchen Schwierigkeiten Mad Milo derzeit zu kämpfen hatte, konnte sie nicht in Erfahrung bringen. Ehrlich gesagt interessierte es sie nicht besonders. Wichtig waren nur Lücken, die dadurch in seinem Sicherheitsnetz entstanden und es den Menschen ermöglichten, aus Linz zu fliehen.
»Wie lange dauert das noch?« Eva klang weinerlich.
»Keine Ahnung.« Laura wünschte, das wäre anders, denn am meisten machte ihr die Ungewissheit zu schaffen. Was erwartete sie auf Burg Hohenbach? Allein, dass in Unterwald nur Menschen lebten, machte diese Gegend attraktiv. Hoffentlich war der Graf ein angenehmer Dienstgeber, der sie nicht nur den ganzen Tag Böden schrubben ließ. Schon sah sie sich selbst mit roten rissigen Händen, die sie immer wieder in den Eimer mit eiskalter Seifenlauge tauchte.
Vielleicht hätte sie doch bei Leon bleiben sollen. Bei ihm wusste sie wenigstens, woran sie war. Plötzlich kamen ihr die letzten Jahre nicht mehr so schlimm vor. Gutes Essen, schöne Kleider, eine schicke Wohnung – doch alles nur, solange es Leon gefiel.
Wieder rumpelte der Laster durch ein Schlagloch. Seit dem Vampirkrieg wurde nur noch wenig Geld in die Sanierung von Straßen investiert. Es gab auch kaum Autos. Verständlich, bei den hohen Benzinpreisen. Ein Wunder, dass sie nicht mit Ochsenkarren aus der Stadt geschmuggelt worden waren.
Lisa würgte trocken und schluckte. »Mir ist schwindlig. Schon die ganze Zeit. Ich glaube, sie haben mir zu viel Blut abgenommen.« Ihre Stimme klang gepresst.
Unwillkürlich fasste sich Laura an ihre Armbeuge. Es tat immer noch weh. Zusätzlich zu ihren vier Goldmünzen hatte sie vier Ampullen Blut bezahlt, um mit dem Transport mitfahren zu können. Leider war der Typ mit seiner Kanüle nicht gerade vorsichtig umgegangen.
Ein leises Seufzen kam aus Evas Ecke. »Egal, wie schlecht es dir jetzt geht, denk daran: Es war das letzte Mal. Ich kann euch überhaupt nicht sagen, wie froh ich bin, dass ich keinen Vampir mehr sehen muss.«
Laura nickte, erinnerte sich dann jedoch daran, dass Eva in der Dunkelheit nichts erkennen konnte. »Ich auch.«
»Glaubst du, wir müssen Toiletten putzen?«
»Möglicherweise.«
»Wenigstens werden wir unter Menschen sein.«
»Zum Glück!« Laura seufzte. Nie mehr Blut spenden. Nie mehr Angst davor haben müssen, in eine dunkle Gasse gezerrt zu werden und leer getrunken in einem Müllcontainer zu landen.
»Was hast du gemacht, bevor du geflohen bist?«
Laura war sich nicht sicher, ob es Eva wirklich interessierte, oder ob sie nur die Stille mit ihren Worten füllen wollte. Sie selbst hätte lieber ihren Gedanken nachgehangen, vielleicht sogar geschlafen. Sie fühlte sich erschöpft. Ihr Kopf schmerzte, und ihr war übel von der stundenlangen Rüttelei. Aber vielleicht war es ganz gut, sich ablenken zu lassen. »Ich habe in einer Bar gearbeitet.« Bis sie Leon kennengelernt hatte. Aber davon würde sie nicht erzählen.
»Oh.« Eva stockte kurz, räusperte sich. »Ich war Sekretärin. Bei meinem früheren Chef lief eigentlich alles ganz gut. Er war zwar auch ein Vampir, aber ein Gentleman. Nie hätte er sich an einer seiner Angestellten vergriffen.« Sie stockte wieder, schluckte.
Laura unterdrückte ein Seufzen. Sie ahnte, was nun kommen würde.
»Mit dem neuen Chef war alles ganz anders. Er hat Menschen nicht als Menschen gesehen, sondern als etwas, das man gebraucht. Dabei hatte ich doch schon Blut gespendet. Aber das war ihm egal. Blut aus Ampullen mochte er nicht. Er brauche etwas zum Anfassen, hat er gesagt.« Eva machte wieder eine Pause.
»Du musst mir das nicht erzählen.«
»Es tut gut, es loszuwerden.« Ihre Stimme klang gepresst. »Ich habe so lange nichts sagen dürfen. Wenn du die Klappe hältst, kannst du deinen Job behalten, hat er immer gesagt. Und wenn du lächelst, dann darfst du sogar Überstunden schreiben. Ich habe gelächelt, selbst wenn mir jetzt noch der Kiefer davon wehtut. Damit habe ich mir meine Flucht finanziert.«
»Du hast wenigstens Geld bekommen«, meldete sich nun Lisa zu Wort. »Mein Boss war der Ansicht, wenn er schon Menschen beschäftigen muss, dann sollte dieser Service inkludiert sein.«
Daraufhin breitete sich Schweigen aus. Jede von ihnen hing ihren eigenen, unangenehmen Gedanken nach. In der Hoffnung, das kühle Metall würde ihre Kopfschmerzen lindern, lehnte Laura ihre Stirn gegen die Außenwand des Lasters. Dem Boden des Fahrzeugs entströmte ein seltsamer chemischer Geruch. War er der Grund für ihre Übelkeit? Oder doch bloß die Rüttelei? Oder beides zusammen? Es fiel ihr schwer, zu denken, als würden die Chemiedämpfe ihren Geist vernebeln. Gleichzeitig wurde sie schläfrig, nickte immer wieder ein, nur, um nach unbestimmter Zeit aus wirren Träumen hochzuschrecken.
Wie lange waren sie schon unterwegs? Sollten sie nicht längst am Ziel sein? Der Fahrer hatte von sechs Stunden gesprochen, geseufzt und gemeint, früher hätte er weniger als ein Drittel der Zeit gebraucht. Damals vor dem Krieg, als die Straßen noch besser waren.
Die Kurven wurden häufiger. Fuhren sie bergauf? Es fühlte sich so an. Oder war Laura durch die lange Zeit in der Dunkelheit orientierungslos?
Sie versuchte sich in Erinnerung zu rufen, was sie über das Gebiet wusste, in das sie fuhren. Nahe der tschechischen Grenze. Ziemlich ländlich. Hartnäckig von einer größer werdenden Gruppe Menschen gegen jeden Vampir verteidigt. Aber auf welcher Seehöhe Unterwald lag, davon hatte sie keine Ahnung.
Ein harter Schlag ließ den Laster erbeben. Er schien einen regelrechten Satz zu machen. Laura wurde herumgeschleudert, fiel gegen einen der Säcke mit Toilettenpapier und prallte gegen die Seitenwand. Bremsen quietschen. Eva und Lisa schrien. Ein lang gezogenes widerliches Kreischen war zu hören. Es klang wie Metall auf Fels. Die Laura gegenüberliegende Seitenwand wurde aufgerissen. Sie blickte für einen Moment auf graue Felsen. Dann drehte sich das ganze Fahrzeug und kippte. Laura wurde gegen Lisa geschleudert und bekam einen spitzen Ellbogen in den Bauch. Ein Sack mit Toilettenpapier landete auf ihrer Schulter, ein Karton, in dem Dosen schepperten, prallte gegen ihre Hüfte. Sie rang nach Luft. Versuchte, sich zu orientieren. Wusste nicht mehr, wo oben und wo unten war.
Dann ein weiterer Ruck. Hände in ihrem Gesicht. Das Gewicht des Sacks mit dem Toilettenpapier war plötzlich verschwunden. Die aufgerissene Seitenwand des Lasters kam auf sie zu. Mit einer Hand bekam sie den Sack mit dem Toilettenpapier zu fassen, mit der anderen versuchte sie, sich in den Boden zu krallen. Das Plastik gab unter ihren Fingern nach, und Sekundenbruchteile später hatte sie nur noch einen Fetzen in den Fingern, und ihre Nägel schrammten über den glatten Kunststoff der Ladefläche.
Es dauerte nur Sekunden, und dennoch fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Der Riss kam unaufhaltsam näher, und hinter ihm gähnte Dunkelheit. Sie sah die scharfen Metallkanten, wusste, dass sie zu langsam sein würde. Ihr Gehirn spielte verschiedene Möglichkeiten durch, sich in der Öffnung zu verspreizen. Unzählige Bilder blitzten in ihrem Kopf auf. Bilder, die Unmögliches zeigten, denn Laura konnte sich nicht aufrichten. Stattdessen glitt sie unaufhaltsam Kopf voran auf den Riss zu.
Das verbogene Eisenblech schnitt ihr die Hände auf, als sie sich festzuhalten versuchte, dann schrammte ihr Körper über die scharfen Kanten und landete auf felsigem Boden. Der Schwung trug sie weiter. Die Hände hatte sie schützend um den Kopf geschlungen, griff jedoch instinktiv nach dem schmalen Stamm einer einsamen Fichte, als sie über die Wegkante einem Abhang entgegenfiel.
Der Schmerz in ihrer rechten Schulter raubte ihr das letzte bisschen Atem, das der Sturz noch nicht aus ihren Lungen gepresst hatte. Hastig fasste sie mit der zweiten Hand nach und klammerte sich mit aller Kraft an das Bäumchen, das sich mit seinen Wurzeln zwischen den Felsen verkeilt hatte. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie der Laster einen Augenblick lang auf einem Rad balancierte, dann zur Seite kippte, durch den Schwung der Bewegung weiterrutschte und unaufhaltsam auf den Abhang zuschlitterte. Laura sah ihn kippen. Er war so nah. So schrecklich nah. Riesig und dunkel verdeckte er den Abendhimmel. Schon glaubte sie, er würde sie mit in die Tiefe reißen, als er an ihr vorbeifiel. Allein der Luftzug reichte, um ihren Halt zu gefährden. Panisch krallte sie sich in die raue Rinde.
Todesangst verlieh ihr die Kraft, ihre Beine nach oben zu schwingen, sie an dem Bäumchen abzustützen und sich zurück auf den Weg zu drücken. Als sie zwischen Steinen und Staub auf dem holprigen Pfad lag, kam die Zeit zurück, und der Schmerz schlug mit voller Wucht zu. Tränen liefen ihr über die Wangen, während sie keuchend nach Luft rang.
Sie wusste nicht, wie lange es dauerte, bis sie sich wenigstens in eine kniende Position aufrichten konnte. Es war dunkel geworden. Nur eine blasse Mondsichel beleuchtete den Weg. Wie weit war sie von der Siedlung entfernt? Würde irgendjemand nach ihnen suchen, wenn der Laster nicht rechtzeitig ankam?
Die Sterne glitzerten wie Juwelen in einem Bett aus nachtschwarzer Seide. Sie wirkten so nah, dass Laura meinte, sie anfassen zu können. Allerdings hätte sie dazu ihren rechten Arm loslassen müssen. Der Schmerz jedoch war nur einigermaßen erträglich, wenn sie ihn mit der Linken fest an den Brustkorb gepresst hielt.
Plötzlich stand Leon vor ihr und grinste sie an. »Du stehst auf Schmerzen?«
»Nein!«
»Warum bist du dann nicht bei mir geblieben? Du weißt doch, was mit hübschen Mädchen passiert, wenn sie nachts ohne Beschützer unterwegs sind.« Seine Gestalt löste sich in Luft auf.
Laura schluchzte. Tränen liefen über ihre Wangen.
»Ich habe dich nie verstanden. Du weißt dein Glück einfach nicht zu schätzen.« Wo zur Hölle kam Sabrina her? Musste sie nicht längst in der Bar arbeiten? Aber hier stand sie, lässig an das armselige, aber zum Glück sehr fest verwurzelte Bäumchen gelehnt. »Da schaffst du es doch glatt, dir einen attraktiven Mann zu angeln und musst nicht mehr für deinen Unterhalt schuften, aber statt zufrieden zu sein, rennst du mit einer zitronensauren Miene herum.«
»Er hat dafür gesorgt, dass ich meinen Job verloren habe!«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich habe Billy und Amanda tuscheln hören.«
»Die reden viel, wenn die Nacht lang ist.« Sabrina neigte den Kopf zur Seite, stieß sich von dem Bäumchen ab und kam auf Laura zu. »Was würde ich dafür geben, wenn ich einen Lover hätte, der mich aushält, mir Schmuck schenkt und mich zum Essen ausführt.«
»Dann schnapp ihn dir doch!«
Sabrina ging neben Laura in die Hocke. »Vielleicht tue ich das sogar.«
Nur, dass Leon an jemandem wie ihr nicht interessiert war. Sie war zu willig.
»Ich verstehe sowieso nicht, warum du dich über ihn beschwert hast. Hat er dich jemals geschlagen?« Sabrina ließ nicht locker.
»Nein.«
»Hat er dich beim Beißen ernsthaft verletzt?«
»Nein.«
»Was spricht dann gegen ihn? Er ist wohlhabend und nebenbei auch noch attraktiv. Also, wenn ich an diesen Knackarsch denke, der sich da unter seiner Jeans abgezeichnet hat – und der Waschbrettbauch war auch nicht zu verachten.«
»Als ob es darauf ankommt!«
»Worauf dann?«
Laura schob das Kinn trotzig vor. »Ich will eben nicht abhängig sein!«
»Das kannst du als Mensch vergessen.« Sabrina schüttelte mitleidig den Kopf.
»In Linz! Ja! Und genau deshalb bin ich dort weg.«
»Und das hat dich wohin gebracht? Sieh dich um! Du bist im Nirgendwo gestrandet, deine Begleiter sind tot, und du wirst es ebenfalls bald sein.«
»Nein!«, protestierte Laura. »Das werde ich nicht!« Sie sah Sabrina herausfordernd an, doch die lachte nur. Sie lachte und lachte und wurde dabei allmählich durchscheinend. »Wag es nicht, jetzt einfach zu verschwinden!«
Doch genau das tat Sabrina, löste sich im wahrsten Sinne des Wortes in Luft auf. Nur ihr Lachen war noch zu hören.
»Warte! Dir zeige ich es!« Laura rappelte sich hoch. Ihre Schulter sandte bei jedem Schritt Schmerzwellen in den ganzen Körper. Am liebsten hätte sie sich einfach wieder hingekauert, aber wenn sie jetzt nachgab, würde sie niemals aufstehen.
Sie zögerte, als der Weg in den Wald hineinführte. Dort war es noch dunkler. Alles Mögliche konnte sich zwischen den dichten Bäumen verbergen. Durch den Krieg war die Bevölkerung Mitteleuropas deutlich reduziert worden, sodass sich Wölfe und Bären immer mehr ausbreiten konnten. Eben dem Tod entronnen, nur, um ein Mitternachtssnack für ein Wolfsrudel zu werden?
Doch welche Wahl hatte sie? Hierzubleiben kam nicht infrage, auch wenn ihre Schulter pochte, ihre Wange sich geschwollen anfühlte, die zerschnittenen Handflächen brannten und ihr durchgeschütteltes Gehirn ihr Halluzinationen vorgaukelte – ausgerechnet Leon, ihren Vampirlover und Sabrina, ihre ewig neidische Arbeitskollegin aus der Bar. Genau dieses Leben hatte sie hinter sich lassen wollen. Und das würde sie auch! Sie holte tief Luft und ging los, zwang ihre protestierenden Muskeln, sich zu bewegen. Ihr war übel. Wahrscheinlich aufgrund der Schmerzen. Immer wieder tanzten bunte Punkte vor ihren Augen und ein Schwindelgefühl ließ sie schwanken. Jetzt bloß nicht das Gleichgewicht verlieren und irgendwo zwischen die Büsche stürzen.
Tränen der Verzweiflung liefen ihr über das Gesicht. Sie stolperte ein ums andere Mal, weil alle Kraft aus ihren Beinen geschwunden schien. Sabrina hatte recht. Es war vorbei. Sie schaffte es nicht. Alles umsonst. Ihr Körper verkrampfte sich vor Schwäche und Schmerz, dass sie glaubte, nicht mehr atmen zu können. Jeder Schritt wurde zur Qual, jeder zurückgelegte Meter war ein einziger Kampf.
Eine glücklichere Zukunft unter Menschen hatte sie sich erhofft, all ihre Ersparnisse geopfert, nur um in irgendeinem gottverlassenen Wald zu verrotten. Beinahe beneidete sie Eva und Lisa. Ein paar Schrecksekunden und dann – nichts mehr.
Und wenn sich eine Ansiedlung ganz in der Nähe befand? Freundliche Menschen, die ihr halfen? Es wäre wirklich peinlich, in der Zielgeraden aufzugeben. In ihrer Familie ließ man sich sowieso nicht leicht unterkriegen. Aufgegeben wird bestenfalls ein Brief, war das Motto.
Also setzte sie weiter einen Fuß vor den anderen, dachte an ihre Großmutter, die mit neunundachtzig noch einen Vampir mit ihrem Regenschirm gepfählt hatte, und an ihre Mutter, die es ohne ihren Kampfgeist wohl nicht geschafft hätte, drei Kinder ohne Mann großzuziehen.
Als etwas mit lautem Krachen durch das Unterholz brach, zuckte Laura zusammen. Die plötzliche Bewegung ließ den Schmerz jäh auflodern. Sie hielt keuchend inne. Panik schnürte ihr die Kehle zu, auch wenn sie sich einzureden versuchte, dass sie sicherlich nur ein Reh gehört hatte. Doch sie schaffte es nicht, die leise flüsternde Stimme ihres Unterbewusstseins zum Schweigen zu bringen. Etwas hatte das Reh aufgescheucht, und sie wollte lieber nicht wissen, was es war. Ein grunzender, röchelnder Laut keine zwanzig Meter entfernt sorgte dafür, dass ihr Herz noch schneller schlug. Was war das? Ein Wildschwein? Die konnten verdammt gefährlich werden. Besonders, wenn es sich um eine Mutter mit ihren Jungen handelte. Sollte sie sich verstecken? Hoffen, dass sie nicht entdeckt wurde? Wildschweine waren sicher eher an Futter interessiert als an einem ruhig stehenden Menschen. Alles, was sich bewegte erregte Aufmerksamkeit, doch wenn sie sich still verhielt, wurde sie vielleicht nicht bemerkt.
Außerdem war es verdammt verlockend, sich hinter den dichten Busch gleich links neben ihr zu verkriechen. Ein Baumstamm bot sich zum Anlehnen an. Wie einladend die weichen Moospolster auf der rauen Rinde aussahen. Laura seufzte leise. Wenn sie sich jetzt hinsetzte, würde sie nie wieder aufstehen.
Also doch weitergehen. Sich langsam bewegen. Die Wildtiere sollten sie auf keinen Fall für eine Gefahr halten. Und wenn doch ein Raubtier in der Nähe war? Die offensichtliche Schwäche des Zweibeiners, der auf diesem einsamen Pfad unterwegs war, könnte sie dazu verlocken, anzugreifen. Immer häufiger war in den Nächten das klagende Geheul der Wölfe zu hören, und gelegentlich hörte man Gerüchte von entkommenen Zootieren, denen es gelungen war, in den Wäldern zu überleben. So konnte es unter Umständen passieren, dass man mitten in Österreich auf einen Tiger oder einen Leoparden traf. Dass sie an Menschen gewöhnt waren, machte sie nur noch gefährlicher, denn dadurch hatten sie die natürliche Scheu von Wildtieren verloren.
Wieder Knacken und Rascheln im Unterholz. Also doch Wildschweine. Ein Raubtier würde niemals solchen Krach machen. Der Lärm kam näher. Laura glaubte, menschliche Stimmen zu hören. Eine Treibjagd? Sollte sie sich bemerkbar machen? Es kamen immer wieder Leute durch Fehlschüsse ums Leben. Oder doch lieber verstecken? Selbst, wenn sich ihr Menschen näherten, hieß das noch lange nicht, dass sie ihr auch wohlgesinnt waren. Und Vampire waren sowieso nur auf ihr Blut aus. Sie fröstelte. Wenn sie hier noch länger stand und überlegte, würde sie festfrieren. Warum war es überhaupt so kalt? Mitten im Sommer! Sie atmete aus und erwartete, einen Eishauch in der Luft hängen zu sehen. Doch nichts. Die Kälte kam aus ihrem Inneren. Durch Bewegung würde ihr sicher wärmer werden.
Also weiter. Schritt für Schritt. Irgendwann musste dieser Wald enden. Unsicher tastete sie sich voran. Zwischen den Bäumen war es verdammt dunkel, und der Mond hielt sich zwischen den Wolken versteckt. Aber irgendwann musste es auch wieder hell werden. Jedem Abend war bisher immer noch ein Morgen gefolgt, auch wenn es die Vampire sicherlich gern anders hätten.
Das Krachen kam näher. Das klang nicht nach freundlichen Menschen. Das klang nach einem Ungeheuer! Laura versuchte, zu laufen, versuchte, die Schmerzen zu ignorieren. Ihr Atem ging gepresst und keuchend. Bei manchen Bewegungen hätte sie am liebsten geschrien. Ihre Kiefer waren krampfhaft aufeinandergepresst, um jeden Laut zu unterdrücken. Sollte sie querfeldein ihr Glück versuchen? Auf dem Weg war sie ein leichtes Ziel. Doch jede Unebenheit bedeutete zusätzliche Qual. Dabei kam das Untier von Sekunde zu Sekunde näher. Sie konnte es schnüffeln, röcheln und schnaufen hören. Schon war es hinter ihr.
Sie wollte es nicht sehen und konnte doch nicht anders. Laura musste sich umdrehten, und was sie erblickte, ließ sie erstarren. Ein Schrei gefror auf ihren Lippen. Die riesigen Hauer schimmerten im Mondlicht. Ein massiger, kahler Schädel saß auf breiten Schultern. Raue, dunkle Haut spannte sich über gewaltigen Muskeln. In den schaufelgroßen Händen lag eine riesige Keule. Die Welt begann sich zu drehen. Laura taumelte.
Und dann machte das Ungeheuer einen Schritt auf sie zu.
2. Kapitel
Christian
Mit einem Ekel erregenden Schmatzen sprang die Schulter wieder in ihr Gelenk zurück. Christian zuckte zusammen. Selmas Ausbildung als Notfallsanitäterin hatte sich wieder einmal bezahlt gemacht, aber ihm war übel.
Mara grinste breit und stieß ihn mit dem Ellbogen an. »Wenn sie wach sind, ist es schlimmer. Dann schreien sie auch noch.«
Christian drehte den Kopf weg und starrte in den dunklen Wald. Mara liebte es, ihn aufzuziehen, weil er so zart besaitet war. Seine Finger krampften sich um Fritzis Zügel. Das alte Norikerpferd ließ den Kopf hängen und döste vor sich hin. Der Wallach hatte sich längst damit abgefunden, dass alle Zweibeiner verrückt waren. Ihn konnte so leicht nichts mehr erschüttern.
»Rede nicht so gescheit, Mara. Helft mir lieber, sie auf den Karren zu legen.« Selma hörte sich wieder einmal an wie ein Feldwebel.
Christian war froh, sich damit herausreden zu können, dass er das Pferd festhalten musste. Auch wenn alle wussten, dass es nicht notwendig war. Fritzi, dessen einst lackschwarzes Fell sich an den Schläfen eisgrau verfärbt hatte, ahnte stets im Voraus, was von ihm erwartet wurde. Aus seiner Zeit als Holzrückepferd war er es gewohnt, selbständig zu arbeiten.
»Kevin, du nimmst die Füße. Mara, du hilfst mir mit dem Oberkörper.«
Christian sah nicht hin. Die vielen Prellungen und Abschürfungen, die den zarten Frauenkörper verunstalteten, verursachten ihm Übelkeit.
»Ich frage mich wirklich, was sie hier gemacht hat.«
»Mensch, überleg halt, Kevin. Sie wird eben von der Burg abgehauen sein.« Selma klang ungeduldig. Das war meistens so. Besonders, wenn sie mit Kevin redete.
»Dann war sie aber in der falschen Richtung unterwegs.«
»Vielleicht hat sie es sich anders überlegt und wieder umgedreht.«
»Und woher hat sie ihre Verletzungen?« Kevin mochte einige Kilos zu viel haben und in praktischen Dingen nicht gerade der Geschickteste sein, aber dumm war er mit Sicherheit nicht.
»Vielleicht ist sie unterwegs ausgerutscht, hat sich verletzt und ist deshalb wieder umgekehrt. Mensch, wo soll sie denn sonst hergekommen sein? Hier ist weit und breit nichts außer Wald, Weiden und Felsen.«
»Und der Krach vorhin? Was ist, wenn sie zu einer neuen Lieferung gehört und der Laster einen Unfall hatte? Vielleicht sollten wir nachsehen. Es könnte noch jemand verletzt sein.«
»Das kannst du allein machen«, erklärte Mara bestimmt. »Ich riskiere es nicht, den Leuten von Graf Grollbock in die Arme zu laufen.«
Der Graf, allerdings nannte er sich selbst von Hohenbach, und seine Meute waren keine angenehme Nachbarschaft. Auch wenn ihm Christian zugutehalten musste, dass er die Burg wirklich toll restauriert hatte. Vor wenigen Jahren noch kaum mehr als eine Ruine, sah sie jetzt wieder aus wie zu ihren besten Zeiten. Sogar den Burggraben und die Zugbrücke hatte er instand setzen lassen.
»Kann losgehen«, sagte Selma, nachdem sie die Verletzte auf den Karren verfrachtet hatten. Mara und Kevin kletterten hastig auf die Ladefläche.
Christian stieg auf den Kutschbock, schnalzte mit der Zunge, und Fritzi setzte sich in Bewegung. Er trottete gemächlich den gewundenen Waldweg entlang.
Kevin seufzte.
»Was ist?« Selma klang ungeduldig.
»Nichts.«
»Warum seufzt du dann?«
Kevin seufzte gleich noch einmal. »Ich musste eben an früher denken. An Rettungsautos, die mit hundert Sachen und Blaulicht über die Autobahn bretterten.«
»Du kannst ja eine blaue Laterne zwischen Fritzis Ohren am Zaumzeug festmachen.«
»Das meine ich nicht!« Kevin schnaubte empört.
»Tja, Geschwindigkeit kannst du vergessen. Und das liegt nicht nur an Fritzi!«
Wir zur Bekräftigung holperte der Wagen durch ein Schlagloch.
»Ist doch sowieso egal«, mischte sich Christian ein. »Schließlich gibt es kein Krankenhaus in der Nähe.« Er warf einen Blick nach hinten, sah, wie Selma im Schein ihrer Taschenlampe die junge Frau auf weitere Verletzungen hin untersuchte.
»Sie scheint Glück gehabt zu haben. Bis auf die ausgerenkte Schulter kann ich bisher nur Prellungen und Schürfwunden feststellen. Ich weiß natürlich nicht, wie es mit inneren Verletzungen aussieht.«
Die Verletzte stöhnte leise, als wollte sie antworten. Ihre Lider zuckten. Dann blinzelte sie. Mit einem Ausdruck von Verwirrung im Gesicht sah sie sich um.
»Wie fühlst du dich?« Selma beugte sich über sie.
Ein unbestimmtes Brummen war die Antwort. Sie versuchte, sich aufzusetzen, zuckte zusammen und sank wieder zurück.
»Du solltest dich am besten noch nicht zu viel bewegen.«
Trotzdem hob die Verletzte den Kopf und sah Selma durchdringend an.
»Ungeheuer.« Die Stimme hörte sich matt und rau an. »Da war ein Ungeheuer.«
»Meinst du das hier?« Kevin zerrte die Orkmaske aus ihrem Sack. »Auf dem Rest liegst du drauf. Der Latexanzug war die weichste Unterlage, die wir hatten.«
»Oh.« Nun wirkte die junge Frau komplett verwirrt.
»Tut uns leid, dass wir dich erschreckt haben. Wir haben nicht damit gerechnet, dass jemand im Wald unterwegs ist.« Kevin räusperte sich und knetete gleichzeitig die Maske zwischen seinen Händen.
»Wie heißt du?«, mischte sich Selma ein.
»Laura.« Die Stimme der jungen Frau klang abwesend, während sie mit einer Hand über die im Karren gestapelten Waffen tasteten und sich die echt aussehenden Klingen unter ihren Fingern bogen. Dann wanderten ihre Blicke weiter zu Maras und Selmas Elfenohren und blieben an Kevins Kapuzenumhang hängen. »Ihr seid Rollenspieler?« Unglauben klang in ihrer Stimme.
»Auch in diesen Zeiten muss man hin und wieder etwas für das innere Kind tun«, verteidigte sich Mara.
»Sollte keine Kritik sein. Es ist nur … aber eigentlich, warum nicht.« Laura schloss die Augen wieder und atmete tief durch.
Unter ihr ausgebreitet lag das Orkkostüm aus Latex, links und rechts die Waffen, dazwischen Maras Blumenkranz und die Maske, die Kevin nicht mehr in ihren Sack zurückgestopft hatte. Laura sah aus wie eine gefallene Kriegerin, die für ihre letzte Reise aufgebahrt war.
Bis sie sich wieder regte. Die Augen öffnete. Diese unglaublichen, blauen Augen, die ihn ansahen, an seinem Gesicht hängen blieben.
So musste es sich anfühlen, von einem Laserschwert durchbohrt zu werden. Schmerzhafte Hitze fuhr Christian bis tief ins Herz, machte etwas mit ihm, aus ihm.
Sein Mund wurde trocken, die Kehle eng, im Bauch schien sich ein Ameisenhaufen angesiedelt zu haben, während seinen Gliedern alle Kraft entwich. Die Zügel entglitten seinen Händen, lagen lose auf seinen Knien, während Fritzi unbeeindruckt vorantrottete.
»Soweit ich sagen kann, hast du Glück gehabt. Es scheint nichts gebrochen zu sein. Allerdings können auch Prellungen ziemlich schmerzen, und die ausgerenkte Schulter wirst du wohl eine Weile spüren.« Selma klang nüchtern – wie meistens. Es gab kaum etwas, das sie aus der Ruhe brachte.
Laura seufzte und fasste sich an den Arm, der in einer aus einem Pullover improvisierten Schlinge lag. Dann senkte sie den Blick. Ihr Gesicht wirkte plötzlich in sich gekehrt. »Lisa. Eva«, sagte sie leise. »Sie waren auch in dem Laster …«
Unwillkürlich fasste Christian nach den Zügeln. Fritzi blieb ruckartig stehen. »Es gibt andere Verletzte?«
Laura schüttelte den Kopf. »Außer mir hat es keiner aus dem Wagen geschafft. Die anderen sind in die Schlucht gestürzt.«
Selma, die sich wie Mara und Kevin bei Lauras Worten aufrechter hingesetzt hatte, sackte in sich zusammen. »Das können sie nicht überlebt haben.«
»Das denke ich auch.« Laura wischte mit der unverletzten Hand ein paar Tränen weg. »Ich muss einen Weg finden, unserem Arbeitgeber Bescheid zu sagen, dem Grafen von Hohenbach. Wir hätten morgen als Dienstmädchen auf der Burg anfangen sollen.«
»Dienstmädchen?« Mara fuhr auf. »Dass ich nicht lache. Obwohl es in gewisser Weise sogar stimmt. Die Mädchen und Frauen, die er zu sich auf die Burg nimmt, müssen ihm und seinen Kumpanen zu Diensten sein.«
War Laura eben schon bleich gewesen, so wurde ihre Haut nun abseits der blauroten Blutergüsse um eine weitere Nuance blasser. »Ich hätte es wissen müssen. Wie konnte ich nur so naiv sein? Es gibt schließlich genügend Geschichten von Frauen, die auf einen seriösen Job gehofft haben und stattdessen im Bordell gelandet sind. Dabei wollte ich einfach nur raus aus Linz, und ich dachte, in Unterwald leben seriöse Leute.«
»Du bist hier nicht in Unterwald, sondern ein ganzes Stück weiter östlich. Aber der Graf muss nichts davon erfahren, dass du den Unfall überlebt hast.« Christian lächelte sie an.
Laura fuhr zusammen, riss die Augen auf und erstarrte. Ein ersticktes Keuchen entwich aus ihrer Kehle. »Sind die Zähne echt?«
»Ja. Leider. Du hast wohl schlechte Erfahrungen mit Vampiren gemacht?« Christian lächelte wieder. Diesmal mit geschlossenem Mund. Er wollte Laura nicht noch mehr erschrecken. Sie hatte etwas Verlorenes an sich und weckte in ihm das Bedürfnis, sie in den Arm zu nehmen und sie zu beschützen.
»Was wolltest du dann bei Graf Grollbock?« Maras Stimme klang scharf.
Christian wurde unsanft aus seinen Gedanken gerissen. Laura zuckte zusammen. Beinahe im selben Augenblick verzog sich ihr Gesicht vor Schmerzen.
Christian warf Mara einen bösen Blick zu. Sie konnte manchmal ein derartiger Trampel sein. »Sie meint den Herrn von Hohenbach«, erklärte er, denn Laura verstand ganz offensichtlich nicht, was Mara sagen wollte. »Dieser eingebildete Kerl mit seinem gekauften Titel ist Vampir der zweiten Generation, genauso wie die meisten seiner Kumpane.«
»Und die sind nicht so nett wie Christian«, beeilte sich Kevin zu versichern.
Lauras Blicke irrten von einem zum anderen. »Das wusste ich nicht«, stammelte sie. »Ich dachte, wir würden zu Menschen kommen.« Eine Strähne ihres dunklen Haars war ihr in die Stirn gefallen und verdeckte einen Teil ihres Auges.
Christians Finger zuckten. Zu gern hätte er sie ihr aus dem Gesicht gestrichen, doch er las Angst in ihren Zügen und fragte sich, ob sie sich überhaupt jemals von ihm berühren lassen würde. Er räusperte sich. »Ich schlage vor, du kommst erst einmal mit zu uns und überlegst dir in Ruhe, was du tun willst.«
Laura zögerte, aber dann nickte sie, und Christian ließ Fritzi weitergehen.
Nach hundert Metern zweigte ein Feldweg ab. Fritzi bog selbstständig ein. Er wusste, wo es nach Hause ging. Laura hatte sich vorsichtig aufgesetzt und hockte mit schmerzverzerrtem Gesicht im Wagen, während sie von den Schlaglöchern durchgerüttelt wurde.
Christian konnte kaum den Blick von ihr abwenden. Mit ihren langen, dunklen Haaren und der bleichen Haut hatte sie etwas von Schneewittchen an sich. Wie sie wohl aussah, wenn die Schwellung zurückging, die ihr Gesicht verzerrte? Sicherlich war sie hübsch. Man konnte über Hohenbach sagen, was man wollte, aber er hatte einen guten Geschmack. Alle seine Mädchen und Frauen waren ausnehmend hübsch, teilweise sogar richtige Schönheiten. Jede einzelne von ihnen viel zu schade für ihn.
Laura tat ihm leid. Immer wieder wischte sie verstohlen Tränen weg. Trauerte sie, oder hatte sie Schmerzen? Vielleicht beides. Wenn er ihr wenigstens das Rütteln hätte ersparen können, aber die alte Straße war bei einem Erdrutsch zerstört worden, und Christian hatte kein Geld, um eine neue anlegen zu lassen. Deshalb bestand die jetzige Zufahrt nur aus ein paar Spurrillen auf dem Mutterboden. Wenigstens war die Erde trocken. Nach Regenfällen verwandelten sich manche Stellen in grundlosen Morast, und es war schrecklich mühsam, wenn der Wagen alle paar hundert Meter in einem Schlammloch stecken blieb. Dann hieß es jedes Mal absteigen und anschieben. Manchmal reichte selbst das nicht. Im Wagen lagen stets ein paar Bretter, die sich im Notfall unter die Räder schieben ließen.
Kevin quatschte unablässig. Schweigen lag ihm nicht. Die einzigen Momente, in denen nichts zwischen seinen sich unablässig bewegenden Lippen hervordrang, waren jene, in denen er etwas in sich hineinstopfte, denn essen konnte man den Vorgang, bei dem er in Rekordgeschwindigkeit Nahrungsmittel verschlang, wirklich nicht nennen. Gut, dass er sich nie verwandelt hatte. Er hätte bestimmt ein ganzes Heer an Menschen benötigt, um satt zu werden. Kein Wunder, dass er seine Kleidung mehr als gut ausfüllte – und das, obwohl er sowieso schon Übergrößen trug.
»Christian ist schwer in Ordnung«, erklärte er gerade. »Obwohl man hier echt hart arbeiten muss.«
»Gut für dich. Sonst würdest du längst rollen.« Mara brachte alles stets auf den Punkt.
Christian musste grinsen.
»Aber ihr habt trotzdem noch Zeit, Rollenspiele zu machen?« Laura klang bereits gefasster.
»Bei Vollmond eigentlich immer – dieses Licht muss man einfach ausnutzen. Sonst ist es meist für Menschen im Wald zu dunkel. An manchen Tagen ist der Mond hell genug, ohne ganz voll zu sein. So wie heute zum Beispiel – zu deinem Glück. Hin und wieder nehmen wir aber auch Fackeln. Nur bei Regen geht einfach gar nichts. Aber das passt ganz gut. Wer geht schon gern bei Sauwetter nach draußen? Ich jedenfalls nicht. Da sitze ich lieber am Kamin und beschränke mich auf ein nettes Brettspiel. Wir haben eine ganze Sammlung. Ich entwerfe auch gern selbst Spiele und bastle Miniaturen. Im Wohnzimmer haben wir einen Tisch für unser Lieblingsszenario.«
»Wann machst du das alles, wenn du so viel Arbeit hast?«
»Laura hat dich erwischt.« Mara lachte ihr typisches kehliges Lachen.
»Das hat weniger mit erwischt werden zu tun als mit Effizienz. Ich teile mir meine Zeit eben ein. Zeitmanagement nennt man so etwas. Das geht auch auf dem Bauernhof. Und was soll man sonst tun? Gibt ja kein Fernsehen und kein Internet, weil man nur Empfang hat, wenn man den Hügel hinter dem Hof hinauflatscht. Ich habe schon mal daran gedacht, mir dort oben eine Hütte zu bauen.«