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Zum Buch:

Eine Christbaumkugel bandelt mit dem Christbaumständer an. Ein Ehepaar versucht fieberhaft, die skurrilen Wünsche seines Kindes zu erfüllen.

Ein Softdrinkkonzem will den Weihnachtsmann durch das Weihnachtskänguru ersetzen.

Geschichten mit viel Humor, einer Portion Kritik, aber auch festlicher Besinnlichkeit.

Selma Mahlknecht

Das Weihnachtskänguru

Selmas schönste Weihnachtsgeschichten

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Die Drucklegung erfolgte mit freundlicher Unterstützung der Abteilung Deutsche Kultur der Autonomen Provinz Bozen–Südtirol.

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© Edition Raetia, Bozen 2017

Gekürzte Ausgabe des Titels „Auf der Lebkuchenstraße. Heiter und wolkig durch die Weihnachtszeit“ (Edition Raetia 2013)

Coverillustration: Armin Barducci
Die Printversion dieses Buches ist mit Illustrationen des Comiczeichners Armin Barducci ausgestattet.

Korrektur: Ex Libris Genossenschaft, Bozen

Layout und Druckvorstufe: Typoplus, Frangart

Printed in Europe

ISBN 978-88-7283-614-9

ISBN E-Book 978-88-7283-622-4

„Brief an das Christkind“ ist zuerst in der Südtiroler Wirtschaftszeitung erschienen und wird mit freundlicher Genehmigung des Neuen Südtiroler Wirtschaftsverlags abgedruckt.

Unseren Gesamtkatalog finden Sie unter www.raetia.com.

Bei Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an info@raetia.com.

Inhalt

ein wintermärchen

Eine zarte Romanze

Im Kaufhaus

ein wintermärchen

winterstarre

Brief an das Christkind

ein wintermärchen

Nina und Fred: Bens Weihnachtswunsch

ein wintermärchen

Was Weihnachten ist

In der Tierhandlung

ein wintermärchen

Das Weihnachtskänguru

Ihr Rinderlein kommet

ein wintermärchen

Kleine Münze, schöner Schein

ein wintermärchen

Ein bisschen Lidl

Nina und Fred: O Pannenbaum

ein wintermärchen

Der Baum

weihnachtsmärchen over the rainbow

ein wintermärchen

Nina und Fred: Weihnachtsmenü

ein wintermärchen

Weihnacht in den Bergen

Nächtliches Gespräch an einer Straßenecke

in der heiligen nacht

ein wintermärchen

Biografien: Autorin und Illustrator

ein wintermärchen erzählt von der teetasse. aus hellblauemporzellan ist sie, mit einem dünnen pinsel sind wolken darauf gemalt. himmlisch, sagt das fräulein, himmlisch schmeckt der tee in dieser tasse. sie gießt schweren roten tee aus hagebutten und orangen ein, gießt leichten goldenen tee aus fenchel und johanniskraut ein, lässt den tee blau werden, grün, rührt mit einem goldenen löffel um, wärmt sich die frierenden fingerspitzen, wärmt ihr frierendes näschen, hält ihr gesicht über den dampfenden tee, dass ihre brille beschlägt. leise schlürfend trinkt sie schluck um schluck, schluck um schluck umblätternd in ihrem buch. heiß glüht der tee in ihrer brust, weich liegt der schal um ihre schultern, und die kerzen spiegeln sich in den kreisrunden gläsern der brille. wie das duftet! zimt und honig und zitronen, kandis und kamille, einen himmlischen winter lang.

Eine zarte Romanze

Es war eine eher zufällige Begegnung, als sich die kleine Christbaumkugel plötzlich neben dem leicht angestaubten Christbaumständer wiederfand. Der Christbaumständer freute sich, die Christbaumkugel zu sehen. Schon seit drei Weihnachten hatte er sie im Stillen aus der Tiefe bewundert, wie sie über ihm schwebte, und so ergriff er die Gelegenheit, sie endlich anzusprechen. Er war in solchen Dingen wenig geübt, also sagte er zunächst einmal nur: „Hoppla.“

Die Christbaumkugel war sich nicht sicher, ob sie darauf reagieren sollte, deswegen erwiderte sie nur ein verlegenes „Ja“. Dann jedoch schien ihr, sie müsse sich und ihr unvermitteltes Auftauchen rechtfertigen, weswegen sie noch eine Erklärung hinzusetzte: „Ich bin heruntergefallen.“

„Das habe ich gesehen“, entgegnete der Christbaumständer und fragte sich im selben Moment besorgt, ob er damit wie ein besessener Spanner wirkte. „Zum Glück sind Sie aus Plastik“, fügte er rasch hinzu und merkte zu spät, dass er sich dadurch nicht sympathischer machte.

„Kunststoff“, korrigierte ihn denn auch die Christbaumkugel leicht pikiert. „Mit Betonung auf ‚Kunst‘. Wir sind eine Generation, die den Unwägbarkeiten des Lebens besser gewachsen ist als unsere Vorgänger. Und das, glauben Sie mir, ist in der Tat eine Kunst.“

„In der Tat“, murmelte der Christbaumständer verlegen. Er musterte die kleine Christbaumkugel von der Seite. Sogar im Halbdunkel der Besenkammer lag noch ein leichtes Leuchten auf ihr. Wie hübsch sie war. Er hoffte, dass sie die Spinnweben, die auf ihm lagen, nicht bemerkt hatte.

„Sie müssen mich entschuldigen“, sagte er. „Ich bin ein einfacher Arbeiter und verstehe nicht viel.“

Es stellte sich heraus, dass die Christbaumkugel für Bescheidenheit empfänglich war.

„Nicht doch“, wehrte sie denn auch richtig ab, „sagen Sie doch nicht so etwas. Wir Christbaumkugeln wissen alle um Ihre tragende Rolle. Mehr noch, ich glaube, ich spreche für die ganze Christbaumschmuckabteilung, wenn ich sage, dass Sie doch gewissermaßen das sind, was unsere Welt im Innersten zusammenhält.“

Der Christbaumständer fühlte sich geschmeichelt, hatte aber zugleich den Eindruck, es müsse das Kompliment zurückgeben.

„Sie sind sehr schön“, sagte er. Nein, er war wirklich nicht geübt in solchen Dingen.

„Erhaben“, entgegnete die Christbaumkugel mit einem Tonfall, der „ich weiß“ bedeutete.

„Erhaben?“, fragte der Christbaumständer nach.

„Meine Schönheit liegt an meinen erhabenen Stellen. Hier, sehen Sie, das Muster: Es ist erhaben“, erklärte die Christbaumkugel und fügte stolz hinzu: „Pailletten.“

„Oho“, zeigte sich der Christbaumständer beeindruckt und sagte nun, in stiller Bewunderung verharrend, gar nichts mehr. Eine Weile war es still zwischen ihnen, bis die Kugel das Bedürfnis verspürte, das stockende Gespräch wieder in Gang zu setzen.

„Haben Sie ihn schon gesehen?“

„Wen?“

„Den diesjährigen Baum. Er soll ja wohl schon eingetroffen sein.“

„Ach ja?“

„Die Lichterkette behauptet, dass er in einem Kübel auf dem Balkon steht.“

„Naja, das kann schon stimmen. Da stellen sie ihn ja immer zuerst hin.“

„Hoffentlich ist es diesmal ein netter. Erinnern Sie sich noch an den vom letzten Jahr? Der war ja nicht auszuhalten.“

„Wem sagen Sie das. Ein eingebildeter Schnösel durch und durch. Ich hätte ihn am liebsten fallen lassen.“

„Das wäre ihm recht geschehen. Warum haben Sie es nicht getan?“

„Ich muss doch auch an Sie denken. Ich trage eine große Verantwortung. Grade die älteren von Ihnen sind noch aus Glas. Wie leicht ist da was passiert.“

„Oh, das ist schön, wie rücksichtsvoll Sie mit den alten Mitarbeitern umgehen. Ich gebe zu, daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Es hätte mich nur zu sehr gefreut, wenn dieser Angeber ordentlich auf die Schnauze gefallen wäre.“

„Ach, ich fand ihn nicht einmal so schlimm. Also, nicht schlimmer als die anderen jedenfalls. Sie müssen sich mal vorstellen, wo die immer herkommen. Stehen jahrelang in irgendwelchen Baumschulen rum. Werden umsorgt und verhätschelt und von der rauen Wirklichkeit abgeschirmt. Und plötzlich stehen sie im Wohnzimmer und werden aufgedonnert. Mit so einem Hintergrund ist doch klar, dass sie größenwahnsinnig werden.“

„Also, ich finde, das rechtfertigt noch gar nichts. Manieren sollte man von jedem erwarten können.“

„Mich wundert, dass Sie das so sehen. In Ihrem Alter. Sie gehören doch zu einer jungen Generation, die solche Werte gar nicht mehr mitbekommt.“

„Stimmt gar nicht. Wenn man so viel miterlebt hat wie ich, da weiß man, dass es ohne gutes Benehmen und Respekt einfach nicht geht. Was glauben Sie, wo ich ohne Anstand wäre? Wahrscheinlich aussortiert oder sogar schon in einer chinesischen Müllverbrennungsanlage verpulvert.“

„Das ist ja furchtbar.“

„Sie sagen es. Und doch habe ich miterlebt, wie vielen von uns, die frech und vorwitzig waren, genau das passiert ist. Sie dachten, sie könnten sich selbstständig machen und einfach davonrollen. Der Sprung über die Tischkante sollte sie in die Freiheit führen. Stattdessen: Eine Delle, ein Kratzer – und weg waren sie. Andere rissen beim Transport die Klappe zu weit auf, beleidigten unsere Mitreisenden. Ich weiß noch, im Karton links von mir pöbelten zwei Frechdachse ständig die Bücherlieferung an, die auf einem Stapel über ihnen lag. Bis das gesamte Paket mit den Büchern plötzlich auf sie runterfiel. Ein schreckliches Ende, das leider auch Unbeteiligte betroffen hat. Für den Rest der Fahrt hatten sich die Bücher dafür Respekt verschafft, das können Sie mir glauben.“

„Ich hatte ja keine Ahnung, dass es auch bei Ihnen so hart hergeht. Sie sind so jung und schön …“

„Ja, ich weiß. Mein erhabenes Äußeres verleitet zum Gedanken, dass ich mich für etwas Besseres halten könnte. Aber dem ist nicht so. Es war ein harter Weg bis hierher und ich weiß, dass ich jederzeit von einer anderen, Jüngeren, Hübscheren, abgelöst werden könnte. Es gibt für mich keinen Grund, überheblich zu werden. Umso mehr ärgert es mich dann, wenn ich solche Grünschnäbel von Weihnachtsbäumen erlebe, denen ihre zentrale Position zu Kopf gestiegen ist.“

„Trösten Sie sich. Es sind längst nicht alle so. Natürlich, die letzten paar waren tatsächlich besonders unangenehme Zeitgenossen. Ich habe es ja mitbekommen, wie herablassend sie mit Ihnen umgegangen sind. Aber wir hatten auch schon sehr nette Exemplare. Vor allem in der Zeit, als sie noch aus dem Wald kamen. Das waren geerdete Kerle, das muss man sagen. Denen war der Rummel um sie meistens zu viel.“

„Ist das die Möglichkeit?“

„Aber sicher doch. Manche hatten direkt Angst, denen war das, was mit ihnen geschah, richtiggehend unheimlich. Ich musste sie dann beruhigen und besonders gut festhalten. Ich weiß noch, was die gezittert haben, wenn die Kerzen angezündet wurden. Einer war dabei, der war mit den Nerven völlig am Ende. Der hat die ganze Zeit nur noch „oh nein, oh nein“ gemurmelt. Und als die Wunderkerzen lossprühten, wäre er mir beinahe kollabiert.“

„Ein Glück, dass Sie ihm eine stabile Stütze waren.“

„Da sagen Sie was. Als Christbaumständer ist man ja nicht einfach nur dazu da, die Kerle aufzurichten. Man muss sie auch durch die ganze Weihnachtszeit hindurch betreuen. Halten und aushalten, sag ich immer. Wir dürfen nie vergessen, dass hinter dem selbstverliebten Ekelpaket meistens eine zarte Pflanze steht, die einfach nur Angst hat.“

„Dann ist also all die Angeberei und das selbstherrliche Getue nur Fassade?“