Cover

GENEVA LEE

Die
Royals-Saga

Band 1–3

Übersetzt von Andrea Brandl

Autorin

Geneva Lee ist eine hoffnungslose Romantikerin und liebt Geschichten mit starken, gefährlichen Helden. Mit der Royals-Saga, der Liebesgeschichte zwischen dem englischen Kronprinzen Alexander und der bürgerlichen Clara, traf sie mitten ins Herz der Leserinnen und eroberte die internationalen Bestsellerlisten im Sturm. Geneva Lee lebt zusammen mit ihrer Familie im Mittleren Westen der USA.

Die Royals-Saga

Band 1–3

Band 1: Royal Passion

Auf ihrer Abschlussfeier an der Oxford University trifft Clara Bishop auf einen attraktiven Fremden. Ohne Vorwarnung zieht er sie an sich, küsst sie leidenschaftlich und verschwindet. Clara hat keine Ahnung, wer der Unbekannte ist – bis ein Bild von ihnen beiden in der Zeitung auftaucht: Ihr heißer Flirt ist Prinz Alexander von Cambridge, Thronfolger von England, königlicher Bad Boy…

Dieser Mann ist gefährlich, in ihm lauern Abgründe, die Clara ins Verderben stürzen können. Ist Clara dieser magischen Anziehungskraft gewachsen?

Band 2: Royal Desire

Enttäuscht und verletzt hat Clara ihre Beziehung zu Prinz Alexander nach einer letzten gemeinsamen Nacht beendet. Sie stürzt sich in die Arbeit, um ihn zu vergessen – vergeblich. Die Erinnerungen an ihn, an ihre gemeinsame Zeit lassen sich nicht auslöschen. Und Alexander ist kein Mann, der so leicht aufgibt. Kann er Clara von seiner wahren Liebe überzeugen? Und wird sie zu ihm stehen, wenn er seine dunkle Vergangenheit vor ihr enthüllt?

Band 3: Royal Love

Clara sollte die glücklichste Frau auf der Welt sein: In wenigen Wochen wird sie den Mann heiraten, den sie liebt, dem sie verfallen ist mit Körper, Herz und Seele. Doch Alexanders Vater lehnt ihre Verbindung kategorisch ab, und Clara findet heraus, dass Alexander immer noch Geheimnisse vor ihr hat und sie heimlich beschatten lässt. Clara liebt Alexander, aber kann sie ihm auch vertrauen? Und ist ihre Liebe stark genug, um ihre Unabhängigkeit und ihr eigenes Leben für das Königshaus zu opfern?

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Die Originalausgaben erschienen unter den Titeln
» Command me« (2014), »Conquer me« (2014) und
»Crown me« (2015) bei Westminster Press, Louisville.


Copyright der Originalausgaben © 2014, 2015 by Geneva Lee
Copyright der deutschsprachigen Ausgaben ©
»Royal Passion« 2016, »Royal Desire« 2016 und »Royal Love« 2016
by Blanvalet Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign,

unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (LANTERIA; Pacrovka)

Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN: 978-3-641-22908-5
V002

www.blanvalet-verlag.de

GENEVA LEE

Roman

Band 1

Übersetzt von Andrea Brandl

Für alle Mädchen, die ein neues Märchen brauchen

1

Das Champagnerglas in der Hand, ließ ich den Blick durch den opulent ausgestatteten Rauchersalon schweifen. Über mir hing das Porträt eines Dukes oder irgendeines anderen wichtigen Typen mit Spitzenkrawatte, dessen Blick mich förmlich zu durchbohren und als Betrügerin zu entlarven schien. Frischgebackene Oxford-Absolventin zu sein, hieß noch lange nicht, dass ich hierhergehörte, in den exklusiven Oxford and Cambridge Club. Die meisten meiner Kommilitonen entstammten altem Geldadel; meine eigene Familie mochte zwar landläufig als vermögend gelten, konnte aber im Gegensatz zu ihnen weder einen berühmten Namen noch einen Titel vorweisen. Ich trank mein Glas aus und verfluchte insgeheim meine beste Freundin Annabelle, die mich zu der offiziellen Abschlussfeier überredet hatte.

»Clara, da bist du ja!« Annabelle stürzte sich auf mich, grub ihre langen, perfekt manikürten Fingernägel in meinen Arm und zerrte mich in Richtung eines Grüppchens junger Männer. Ihr aggressiver Auftritt stand in krassem Gegensatz zu ihrem Äußeren – ihr blondes Haar war zu einem eleganten Knoten im Nacken frisiert, nur wenige Zentimeter über dem symmetrisch sitzenden Verschluss ihrer Halskette. Alles an ihr strahlte Perfektion aus, von ihren hochhackigen Schuhen bis hin zu dem Dreikaräter an ihrem linken Ringfinger. »Du musst endlich meinen Bruder John kennenlernen.«

»Ich bin nicht auf der Suche nach einem Freund, Belle, das weißt du. Ich bin jetzt Karrierefrau, schon vergessen?« Auch wenn ich meinen Job bei Peters & Clarkwell noch nicht angetreten hatte, war in meinem Leben momentan kein Platz für einen Mann, der mich ablenkte. Belle wusste das ganz genau, trotzdem bestand sie darauf, ihn mir vorzustellen. Gute Ausbildung hin oder her, sie war in dem Glauben erzogen worden, dass eine Heirat immer noch die besten Zukunftsaussichten bot. Auch mir war diese Idee nicht fremd – meine eigene Mutter vertrat ganz ähnliche Ansichten.

Belle zwinkerte mir zu. »Aber ein bisschen Spaß schadet dir trotzdem nicht. John arbeitet ohnehin pausenlos, und er ist steinreich. Du könntest sogar Baronin werden.«

»Nicht für jeden sind Geld und Macht Kriterien für Attraktivität«, gab ich halblaut zurück, um all die Reichen und Mächtigen ringsum nicht vor den Kopf zu stoßen.

Belle blieb so abrupt stehen, dass ich sie fast über den Haufen rannte. »Hast du schon mal mit einem reichen, mächtigen Mann geknutscht? Oder warst mit einem im Bett?«, flüsterte sie mir ins Ohr.

Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe und sah mich um. Belle wusste genau, dass es bislang nur einen einzigen Mann in meinem Leben gegeben hatte – Daniel, meinen Exfreund, der weder reich noch mächtig war und aus seiner Aversion gegen beides kein Geheimnis machte. Während ich mich inmitten all der Oxford-Aristokratie oft minderwertig fühlte, empfand er nur eines: Wut. Zumindest stammte ich aus einer wohlhabenden Familie. Allein bei der Erinnerung an das hässliche Ende unserer Beziehung lief es mir kalt den Rücken hinunter. Ich hatte im letzten Jahr mit ihm Schluss gemacht, aber selbst jetzt noch ließ mich der Gedanke an ihn erschaudern. Belle, der meine Reaktion nicht entgangen war, seufzte.

»Daniel zählt nicht.« Die makellose Porzellanhaut zwischen ihren sorgsam gezupften Brauen legte sich in Falten, und Belle schüttelte unwillig den Kopf, doch dann grinste sie verschmitzt. »Wärst du mit einem der Männer im Bett gewesen, von denen ich rede, könntest du dich mit Sicherheit daran erinnern.«

»Dass du deinen Bruder für geeignet hältst, gibt mir zu denken«, sagte ich und zog vielsagend eine Braue hoch. »Wie nahe steht ihr euch noch mal?«

»Ach, Quatsch.« Sie verpasste mir einen spielerischen Klaps, grinste aber immer noch. »Ich halte nur die Augen für dich offen, Clara. Es wird Zeit, dass du wieder in den Sattel steigst, wenn du weißt, was ich meine.«

Ich hatte schon vermutet, dass sie so dachte, auch wenn sie es bisher nie laut ausgesprochen hatte. Belle und ich waren Zimmergenossinnen, und sie hatte die schlimme Zeit mit Daniel hautnah mitbekommen. Unsere Trennung hatte sie mehr als gutgeheißen, und seither wachte sie wie eine Glucke über mich, schleppte mich zum Shoppen und stellte mich andauernd neuen Leuten vor. Und nach einer Weile hatte sie – logisch! – auch erste Versuche unternommen, mich zu verkuppeln. Schätzungsweise musste ich noch dankbar sein, dass sie bis nach dem Examen gewartet hatte, bevor sie richtig loslegte.

»Belle, ich brauche gerade keinen Mann an meiner Seite, ehrlich«, sagte ich so entschlossen, wie ich nur konnte, in der leisen Hoffnung, dass sie mich verschonen würde, obwohl mir im Grunde klar war, dass es sinnlos war.

Sie fegte meinen Einwand mit einer lässigen Handbewegung beiseite. »Brauchen und wollen sind zwei Paar Stiefel, Schätzchen. Man sollte sie nie verwechseln.«

Bevor ich noch etwas sagen konnte, winkte sie einen großen, etwas ungelenk wirkenden Mann herüber. John war eindeutig ihr Bruder – ihr älterer, wie der zurückweichende Haaransatz ahnen ließ –, und man sah ihm an, dass er aus einer reichen Familie stammte. Es war ihm gelungen, die edelsten und zugleich langweiligsten Markenklamotten zu einem zwar teuer aussehenden, aber trotzdem zusammengewürfelten Outfit zu vereinen: Harris-Tweet-Sakko im Stil der Achtziger, dazu eine Rolex am Handgelenk und Berluti-Loafers. Es sah aus, als hätte er sich nicht zwischen Jagdausflug und Geschäftstermin entscheiden können.

Und so tanzt er bei einer Party an.

»Du musst die berühmte Clara sein.« Er ergriff meine Hand und schien einen Moment zu überlegen, ob er sie küssen oder lieber schütteln sollte – das Resultat war ein schlaffer, schwitziger Händedruck. John mochte schwerreich sein und einen Titel haben, besonders tatkräftig wirkte er jedoch nicht auf mich. »Belle hat mir alles über dich erzählt. Du hast deinen Abschluss in Soziologie gemacht, ja?«

»Genau.« Am liebsten hätte ich ihm meine Hand entzogen, wusste aber nicht recht, wie ich es am elegantesten bewerkstelligen sollte.

»Du willst wohl die nächste Mutter Teresa werden, was?« Er legte seine andere Hand noch obendrauf, was das Ganze nicht angenehmer machte.

»Was wäre, wenn ich jetzt Ja sagen würde?«

Belle blinzelte überrascht bei dieser frechen Antwort. Normalerweise war ich nicht so selbstsicher, vor allem nicht Fremden gegenüber. Aber das sollte jetzt anders werden. Ich hatte jetzt den Abschluss einer der renommiertesten Universitäten in der Tasche und mir einen begehrten Job geangelt – ich war nicht mehr das schüchterne Mädchen von früher. Und würde es auch nie wieder sein. Punkt.

»Du bist viel zu hübsch, um Nonne zu werden«, bemerkte John und warf sich ein wenig in die Brust. »Ich habe kürzlich die Anwaltsprüfung abgelegt.«

»Faszinierend«, erwiderte ich geistesabwesend und spähte an ihm vorbei quer durch den Raum. »Wenn ihr mich bitte entschuldigen würdet, aber ich sehe gerade …«

Ich verschwand in der Menge, bevor Belle einen Pfarrer aus dem Hut zaubern konnte, der das Aufgebot entgegennahm. Ich musste ihr später dringend beibringen, dass ihre Verkuppelungsversuche nicht erwünscht waren. Belles Familie hatte dafür gesorgt, dass sie ungeachtet ihrer hervorragenden Ausbildung, mit der ihr im Berufsleben jede Tür offen gestanden hätte, schon bald unter die Haube kommen würde – offenbar war dieses archaische Vorgehen bei Aristokraten nach wie vor üblich. Und Belle schien nichts dagegen einzuwenden zu haben, vor allem da ihr Verlobter mit dem Palast auf Du und Du stand. Ich dagegen konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, Ehefrau zu sein, schon gar nicht nach dem Fiasko mit Daniel. Eine Karriere war eindeutig die bessere Wahl für mich – sicherer, erfüllender und weniger chaotisch.

Ich tauchte in der Menge unter und kämpfte mich auf die andere Seite des Saals, wo ich mich gegen die Wand sinken ließ und am Saum des schlichten schwarzen Etuikleids herumzupfte – eine Leihgabe von Belle, trotz ihrer Einwände, es sei viel zu trist für den Anlass. Meine eigene Garderobe bestand weitgehend aus Jeans, Pullis und einer Handvoll netter, gut geschnittener Hosenanzüge, wohingegen Belle meistens wie ein Filmstar aussah und ebenso viel Haut wie Reichtum zeigte. Der Rest ihres Kleiderschranks enthielt erzkonservative Kostüme, die aussahen, als stammten sie von Queen Mum höchstpersönlich. Ich konnte von Glück sagen, dass ich dieses Exemplar gefunden hatte, auch wenn ich den Verdacht hegte, dass sie es für eine Beerdigung gekauft hatte.

Ein exotischer, würziger Duft stieg mir in die Nase – völlig deplatziert in diesem stickigen alten Gemäuer, in dem das Rauchen verboten war, auch wenn dadurch der Name »Rauchersalon« ad absurdum geführt wurde. Ich hatte die Verbotsschilder an jeder Ecke gesehen, jemand anders offenbar nicht. Es dauerte eine Sekunde bis ich begriff, was der Rauch bedeutete, nämlich dass ich nicht allein war. Ich sah mich um, und als mein Blick auf ihn fiel, flog meine Hand wie von selbst an meine Brust – wo Rauch ist, ist auch Feuer, heißt es. Und, gütiger Himmel, hier passte der Spruch wie die Faust aufs Auge.

Der Mann stand in der Terrassentür, eine dünne Zigarette hing zwischen seinen Lippen, die zu einem lässigen Grinsen verzogen waren. Sein Gesicht war halb im Schatten verborgen, trotzdem konnte ich ein markantes Kinn und blaue Augen ausmachen. Ich wusste auf Anhieb, dass er einer jener reichen und mächtigen Männer war, von denen Belle vorhin gesprochen hatte. Eine Aura von Autorität und Männlichkeit umgab ihn, auf die mein Körper instinktiv zu reagieren schien. Unwillkürlich trat ich auf ihn zu, als hätten meine Füße plötzlich ein Eigenleben entwickelt. Nun, da ich ihn besser erkennen konnte, fiel mir auf, dass er noch ein weiteres Merkmal aufwies – er war attraktiv, auch wenn es unfair sein mochte.

Er hatte ein Gesicht, das Engel zum Weinen bringen und unter Göttern Kriege entfachen könnte – Gesichtszüge wie gemeißelt und eine goldene Bräune, wie man sie nur an exotischen Stränden bekam. Sein Haar war schwarz und leicht zerzaust. Für den Bruchteil einer Sekunde stellte ich mir vor, wie es wäre, meine Hände in dem schwarzen Schopf zu vergraben.

Reiß dich zusammen, befahl ich mir streng. Es mochte eine ganze Weile her sein, seit ich das letzte Mal Sex hatte, aber dass ich so heftig auf einen Wildfremden reagierte, war ziemlich peinlich, auch wenn er natürlich keine Ahnung hatte, was in meinem Kopf vorging – doch sein arrogantes, verführerisches Lächeln verriet mir, dass er meine Gedanken gelesen hatte. In seinen Augen hingegen sah ich kein Lächeln, sondern ein loderndes Feuer, das mich in Brand zu stecken schien, und ich spürte, wie sich mein Inneres zusammenzog. Von diesem Mann sollte ich mich fernhalten. Um jeden Preis.

Dass er hier ungeniert rauchte, verriet seinen mangelnden Respekt vor Vorschriften. Oder vor Menschen.

»Ich glaube, hier ist Rauchen verboten«, bemerkte ich. Mir war sehr wohl bewusst, dass ich wie die letzte Spießerin klang, aber ich war es leid, dass die Reichen und Schönen ständig ihre eigenen Regeln schufen, und etwas an seinem Blick ließ mich ahnen, dass ich für ihn nicht mehr war als ein Spielzeug, das ihm gerade recht kam, um sich ein bisschen zu amüsieren.

»Ich bitte vielmals um Entschuldigung«, sagte er und grinste dabei. Der kultivierte Tonfall der britischen Upperclass war unverkennbar. »Willst du mich wegen ungebührlichen Benehmens melden?« Er trat einen Schritt zurück, sodass er praktisch auf der Terrasse und damit außerhalb der Verbotszone stand. Aber ich hatte das dumpfe Gefühl, dass er es nicht tat, um mich milde zu stimmen; dieser Typ Mann schien er nicht zu sein.

Obwohl ich seine Augen nicht mehr erkennen konnte, spürte ich, dass mich sein Blick durchbohrte. Verärgerung keimte in mir auf, unter die sich ein Anflug mädchenhafter Erregung mischte. »Ich will bloß nicht, dass du Ärger kriegst.«

Er wandte sich mir zu, wobei sein atemberaubendes Gesicht ein weiteres Mal sichtbar wurde, und verzog den Mund zu einem hinterhältigen Grinsen, das zwei Reihen perfekter Zähne entblößte. »Nein, das wollen wir definitiv nicht.«

Eine verlegene Röte schoss mir in die Wangen. Am liebsten hätte ich dieses überhebliche Grinsen weggeküsst, zwang mich jedoch, den Gedanken ganz schnell zu verdrängen. Nun, da er im Licht stand, kam er mir vage bekannt vor. Vielleicht einer von Belles Bekannten von irgendwoher? Auf der Uni war er jedenfalls nicht gewesen, dort wäre er mir aufgefallen, so viel stand fest. Diese kristallblauen Augen und das dunkle Haar, das irgendwo zwischen adretter Gepflegtheit und Popstar-Wildheit rangierte, hätte ich nie im Leben übersehen können, von seinen breiten Schultern ganz abgesehen. Wie konnte ich ihn kennen und auch wieder nicht? Mein Blick heftete sich auf den offenen Hemdkragen unter seinem maßgeschneiderten Sakko und der halb gelösten Krawatte, während ich mir den Oberkörper ausmalte, der sich unter der Kleidung verbarg. Allein bei der Vorstellung musste ich mir auf die Lippe beißen.

Stand ich allen Ernstes hier herum und erging mich in Fantasien über einem Wildfremden – noch dazu vor seinen Augen? Vielleicht hatte Belle ja doch recht, und ich brauchte einen Mann.

Er zog eine Braue hoch, und ich wandte beschämt den Blick ab. Natürlich war ein Mann wie er daran gewöhnt, von Frauen angestarrt zu werden. Er brauchte nicht zu wissen, dass er mich komplett aus dem Konzept brachte – andererseits wusste er bestimmt ohnehin längst, dass sein cooles Lächeln waffenscheinpflichtig war.

»Rauchen ist übrigens gesundheitsschädlich.«

»Du bist nicht die Erste, die mir das sagt, Süße«, erwiderte er. Trotzdem drückte er die Zigarette an der Hauswand aus, trat zurück ins Zimmer und schnippte den Stummel mit einer selbstsicheren, flüssigen Handbewegung in den Abfalleimer, als gebe es nicht den geringsten Zweifel, dass er treffen würde – es war, als würde sich die Welt nur so drehen, dass sie ihm stets zu Diensten war.

Mittlerweile war ich fast sicher, dass ich ihn irgendwoher kannte; und wer auch immer er sein mochte, er machte sich einen Spaß auf meine Kosten. »Sind wir uns schon mal irgendwo begegnet?«

»Das hätte ich sicher nicht vergessen«, erwiderte er, während sein Blick über mich hinwegglitt, und ich spürte, wie mich ein Schauder überlief. »Ich gehe eher davon aus, dass mein Ruf mir vorausgeeilt ist.«

»Aha, ein Frauenheld also?«, fragte ich. Wundern würde es mich nicht.

»So etwas in der Art«, antwortete er, und sein Tonfall war bedeutungsschwanger. »Wie kommt eine Amerikanerin in diesen versnobten, verstaubten Schuppen?«

Ich spürte, wie der gewohnte Trotz in mir aufstieg, doch seine Bemerkung schien nicht herablassend gemeint zu sein, sondern verriet lediglich Neugier, also zwang ich mich zu einem Lächeln. »Ich bin zwar in den Staaten aufgewachsen, aber trotzdem britische Staatsbürgerin. Meine Mom ist Amerikanerin und hat meinen Dad beim Studium in Berkeley kennengelernt.«

Hör sofort auf, ihm deine Lebensgeschichte aufs Auge zu drücken, befahl mir die fiese kleine Stimme, die alles kritisierte, was ich von mir gab.

»Und noch dazu ein California Girl«, fügte der Fremde hinzu. »Wie jemand den Strand gegen das verregnete London eintauschen kann, ist mir ein echtes Rätsel.«

»Ich mag Nebel.« Das war die Wahrheit, trotzdem genierte ich mich für mein Eingeständnis. Zu meinem Erstaunen musterte er mich mit schief gelegtem Kopf, als wäre seine Neugier erwacht.

Ich trat einen Schritt näher und streckte ihm die Hand hin. Vielleicht dachte er ja, dass er nichts über sich preisgeben konnte, bevor er meinen Namen nicht kannte. »Ich bin übrigens Clara.«

»Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Clara.« Er umschloss meine Hand und führte sie, ohne zu zögern, an seine Lippen. Die Luft vibrierte förmlich vor Spannung, und ich spürte, wie mir leicht schwindlig wurde und sich mein Magen zusammenzog.

Ich wollte mich losreißen. Nein, ich musste mich losreißen.

Belles Worte hallten in meinem Kopf wider. Aber in Wahrheit wollte ich nicht, dass er mich losließ, stattdessen hätte ich mich am liebsten an ihn geschmiegt – gerade als ich drauf und dran war, meinem Impuls zu folgen, erschien eine bildschöne Blondine auf dem Korridor und blieb abrupt stehen.

Ich musste ihm meine Hand entziehen, um den Zauber zu durchbrechen, doch als ich mich lösen wollte, packte er meinen Arm und zog mich mit einem Ruck an seine Brust. Seine Lippen pressten sich mit einer Eindringlichkeit auf meinen Mund, wie ich es nur aus Filmen kannte. Kräftige Arme umschlangen meine Taille, und eine Hand legte sich besitzergreifend um meinen Hinterkopf. Er schmeckte nach Nelken und Bourbon, nach wilden Nächten und verwegener Hingabe. Unwillkürlich öffneten sich meine Lippen, als er mit seiner Zunge darüberstrich. Sein Kuss war kraftvoll – dominant –, und ich spürte, wie ich mich seiner Kontrolle ergab, mein Körper in der Hitze unserer Umarmung dahinschmolz.

Langsam strich er mit der Zunge an meinen Zähnen entlang, lud mich ein, den Mund ein wenig weiter zu öffnen, um ihm Zugang zu gewähren. Tief ließ er seine Zunge in meine Mundhöhle gleiten, sog meine Lippen mit genüsslicher Langsamkeit zwischen die seinen und umschloss sie. Meine Knie wurden weich, sodass ich fürchtete, zu Boden zu sinken, doch er zog mich noch enger an sich, während seine Hand auf meinem Rücken abwärtswanderte und erst knapp über meinem Hinterteil zum Halten kam. Die Intimität der Berührung spornte mich an. Meine Finger vergruben sich in seinem seidigen Haar, während ich seinen Kuss erwiderte in der Gewissheit, hilflos zusammenzusinken, wenn er mich nicht festhalten würde.

Viel zu schnell ließ er mich los, nur seine Hand ruhte noch auf meinem Rücken. Taumelnd wich ich einen Schritt zurück, doch er fing mich auf, als hätte er bereits geahnt, dass ich ins Straucheln geraten würde. Natürlich – ein Mann, der so küssen konnte, wusste, was passieren würde. Eigentlich müsste man ihm ein Etikett ankleben:

Vorsicht! Inhalt kann zu extremer Erregung führen!

Ich suchte sein Gesicht nach einem Hinweis ab, weshalb er mich geküsst hatte, während sich mein Körper immer noch nach ihm sehnte, aber ich erkannte nur eins: eine wilde Leidenschaft in seinen Augen, die mir den Atem raubte. Es dauerte einen Moment, bis ich ein Wort herausbekam.

»Wieso?«, fragte ich mit vorwurfsvollem Unterton.

»Meine Motive sind nicht gerade edelmütig.« Er nahm seine Hand von meinem Rücken und trat einen Schritt zurück. Augenblicklich vermisste ich die Wärme seiner Berührung. »Diese Frau war ein schrecklicher Fehler von mir.«

»Du hast mich geküsst, um nicht mit deiner Exfreundin reden zu müssen?«

»Als Exfreundin würde ich sie nicht bezeichnen, trotzdem bitte ich vielmals um Entschuldigung«, erklärte er, obwohl kein Funke Reue in seinem Tonfall mitschwang. Stattdessen trat ein kalter Ausdruck in seine Augen. Es war, als verhärte sich das feurige Blau zu kristallharten Saphiren. Er kam einen Schritt auf mich zu, zögerte jedoch, wechselte die Richtung und ging zur Terrasse.

Ich spürte, wie ich in mir zusammensank. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr ich mir gewünscht hatte, er möge mich noch einmal küssen – ein Wunsch, der mir ins Gesicht geschrieben stand, daran bestand kein Zweifel. Wieder herrschte Schweigen zwischen uns, und obwohl er keine Anstalten machte, mich zu berühren, schlug mir das Herz immer noch bis zum Hals.

»Glückwunsch zum Abschluss«, sagte er.

Verwirrt über den plötzlichen Themenwechsel blickte ich ihn an, während ich allmählich ins Hier und Jetzt zurückkehrte. Unter seiner Berührung war die Welt ringsum bedeutungslos geworden, und erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich rein gar nichts über diesen Typen wusste, der mich vor wenigen Minuten noch hier, an dieser Wand, hätte nehmen können. »Hast du auch gerade deinen Abschluss gemacht?«

Seine Hand schnellte zu seinem Mund, dennoch hatte ich das winzige Lächeln aufblitzen sehen. »Ich habe einen anderen Berufsweg eingeschlagen. Was wird das hier? Wer bin ich? Willst du mir zwanzig Fragen stellen?«

»Verrätst du mir, wer du bist?«, fragte ich.

Er zwinkerte mir zu. »Tja, Süße, das solltest du selbst herausfinden.«

Ich kniff die Augen zusammen. Meine Lippen brannten noch immer von seinem Kuss. Wenn er unbedingt Spielchen spielen wollte, bitte schön. »Du hast also einen anderen beruflichen Weg eingeschlagen, ja? Aber du bist hier«, ich deutete um mich, »in einem feudalen Club. Also bist du entweder ein gut angezogener Kellner oder jemand, der Geld hat.«

Ich wartete, doch er schüttelte nur den Kopf und drohte mit dem Finger. »Das war keine Frage, die sich mit Ja oder Nein beantworten lässt.«

»Wenn du nicht spielen willst …« Ich zuckte die Achseln und wandte mich zum Gehen.

»Ich will nur nach den Regeln spielen. Es sei denn, es ist dir lieber, wenn ich die Fragen stelle.«

Ich schluckte. »Na gut. Hat deine Familie Geld?«

»Könnte man so sagen, ja.« Er zuckte die Achseln.

»Ja oder nein.«

»Ja.« Er beugte sich vor, bekam eine Haarsträhne von mir zu fassen und zwirbelte sie zwischen den Fingern. »Bin ich jetzt wieder dran?«

»Ich habe noch nicht alle zwanzig Fragen durch«, flüsterte ich. Die Nähe seines Mundes war mir überdeutlich bewusst.

»Dann verpulvere sie nicht alle auf einmal«, raunte er und schob mir die Strähne hinters Ohr. »Man sollte immer ein Ass in der Hinterhand behalten.«

»Du weißt bereits, wer ich bin«, wandte ich ein.

»Aber es gibt noch eine Menge Dinge, die ich gern über dich erfahren würde.« Sein heißer Atem glitt an meinem Hals entlang. »Und ich kann es kaum erwarten, dein Ja zu hören.«

»Und wenn die Antwort Nein lautet?«

»Das wird sie nicht, glaub mir.« Seine Lippen strichen an meinem Kiefer entlang. Ich schloss die Augen, als sein dunkler Bartschatten meine zarte Haut berührte.

Er trat einen Schritt zurück. Ich unterdrückte ein sehnsüchtiges Stöhnen und strich so lässig mein Kleid glatt, wie ich nur konnte.

»Letzte Frage«, sagte er. »Dann werden wir sehen, wie gut du beim Raten bist.«

Dies war meine letzte Chance herauszubekommen, wer er war, und ich war keinen Schritt weiter als vorhin. Und nun vernebelte meine Erregung auch noch meinen Verstand. Mir blieb nur eine einzige Frage, die ich stellen konnte. Ich ließ es darauf ankommen.

»Wer bist du?«, fragte ich wohl wissend, wie die Reaktion ausfallen würde.

Er schüttelte den Kopf und formte lautlos »Ja oder Nein« mit den Lippen. Offensichtlich hatte er nicht vor, das Geheimnis um seine Identität zu lüften, obwohl ich ihm geholfen hatte, einer Konfrontation mit seiner Ex zu entgehen. Ich war nur ein praktisches Mittel zum Zweck gewesen – bei dem Gedanken schämte ich mich in Grund und Boden. Aber solange ich in seiner Nähe war, konnte ich keinen klaren Gedanken fassen.

Hatte ich mir bloß eingebildet, dass unser Kuss geradezu magisch gewesen war? Ich war ganz sicher, dass es keine Einbildung war. Und auch daran, dass er mich gewollt hatte, bestand kein Zweifel. Allein bei der Vorstellung wurde mein Mund ganz trocken. Ich musste wieder an Belles Worte denken – darüber, mit einem reichen, mächtigen Mann zu knutschen – und zwang mich, das Prickeln zu unterdrücken, das durch meinen Körper lief. Ich wollte mich nicht von einem Mann wie ihm zum Spielzeug degradieren lassen. Das würde ich auf keinen Fall zulassen.

»Ich sollte zurückgehen«, sagte ich. Mir war klar, dass ich schleunigst etwas unternehmen musste, um zu verhindern, dass ich mich ihm an den Hals warf.

Seine Augen schienen mich regelrecht zu durchbohren, doch diesmal waren es nicht bloß meine Wangen, die sich anfühlten, als stünden sie in Flammen. »Ich hoffe, ich sehe dich irgendwann wieder, Clara.«

Ohne zu warten, bis ich ging, machte er kehrt, trat auf die Terrasse hinaus und verschwand in der Dunkelheit. Erst als er fort war und mich damit von seiner berauschenden Anwesenheit befreit hatte, dämmerte mir, dass ich einen Mann geküsst hatte, dessen Namen ich noch nicht einmal kannte.

Und dass ich es jederzeit wieder tun würde.