James D. Long
Black Thorn Blues
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Ulisses Spiele
Legenden-Band 23
Titelbild: Catalyst Game Labs
Redaktion: Mirko Bader
Korrektorat: Sina-Christin Wilk
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Produkt-Nr.: US42123
E-Book-ISBN: 9783957526786
Prolog
Wir schreiben das Jahr 3057. Die Menschheit hat die Sterne besiedelt und ihre kriegerische Natur mit sich genommen. Tausende von Menschen besiedelte Welten der Inneren Sphäre waren einst zu einem glorreichen Sternenbund zusammengeschlossen. Mit dem Zerfall des Bundes im Jahr 2781 begann das dunkle Zeitalter, in dem die fünf überlebenden Sternenreiche um die Vorherrschaft kämpften.
Fast drei Jahrhunderte lang bekämpften sich die Nachfolgefürsten untereinander in einer endlosen Fehde, die als die Nachfolgekriege in die Geschichte eingingen. Millionen starben, und einige wenige Welten wechselten den Besitzer. Trotz all der Kämpfe und Toten änderte sich nicht viel bis 3049, als die Clans in die Innere Sphäre einfielen.
Mit ihren überlegenen Kriegsmaschinen und ihrer übermenschlichen Infanterie, Nachkommen der legendären Sternenbundarmee Aleksandr Kerenskys, kamen sie, um die Innere Sphäre zurückzuerobern. Drei Jahre lang konnte niemand die Clans stoppen, bis die Com-Guards sie auf Tukayyid bekämpften und ihre Offensive zum Stillstand brachten. Ihr Sieg bescherte den Nachfolgestaaten eine fünfzehnjährige Waffenruhe, erkauft mit unzähligen Leben.
Trotz des Waffenstillstands versuchen beide Seiten immer wieder, mit Überfällen und anderen gefährlichen Aktionen das Gleichgewicht vor Ablauf der fünfzehn Jahre zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Einmal mehr steht die Innere Sphäre am Rande des Untergangs.
Dieses Mal überlebt vielleicht keiner.
1
Houston
Borghese, Vereinigtes Commonwealth
1. Oktober 3056
Das hohe, schrille Pfeifen eines Lasers wurde durch den kurzen, scharfen Knall einer schweren Pistole übertönt. Esmeralda folgte weiter ihrem Weg durch die unterirdischen Passagen in Richtung der Doppeltür am Ende des Gangs. Ein paar Sekunden blieb sie an der Tür stehen und lauschte; drei männliche Stimmen drangen aus dem Raum.
»Pah!«, rief der größte der Männer, als Esmeralda eintrat. »Sie werden uns nie bekommen.« Er unterstrich seine Meinung mit einem einzelnen Pistolenschuss auf das Ende des Schießstandes. Obwohl sie sich unter der Erde befanden, klang der Knall nicht lauter als unter freiem Himmel. Ihre Borgheser Arbeitgeber waren anscheinend hier gewesen, um die schalldichten Wandteile zu installieren, die Kapitän Rose beantragt hatte. Esmeralda blickte flüchtig auf die Plastikzielscheibe des Schießstandes. Wie immer zielte Eber mit der übergroßen Sternennacht perfekt. Ein einzelnes Loch war über dem Herzen der Zielscheibe zu sehen. Ein Treffer, der sofort zum Tode führte, selbst bei jemandem, der eine leichte Panzerung trug.
»Und ich werde sie nicht bekommen, selbst, wenn es dazu käme.« Jeremiah Rose sah zu Esmeralda rüber und nickte kurz. Esmeralda tippte mit dem Grußfinger an die Schläfe, sagte jedoch nichts. Rose hob fragend eine Augenbraue, ohne dies weiter zu kommentieren. Stattdessen wandte er sich wieder dem breitschultrigen Eber zu.
»Es war bestimmt nicht leicht mich davon zu überzeugen, dass irgendjemand verrückter ist als Sun Tzu, aber wenn es jemanden gibt, dann mit Sicherheit Aziz. Sie verschwand, bevor ich die ComGuards verließ, und wir wissen alle, das ist schon einige Zeit her.« Während er noch mit Eber sprach, drehte sich Rose zur Schießbahn und hielt seinen geliebten Laser auf Armeslänge von sich.
»Soweit ich gehört habe, hat die Partei von Blakes Wort Zuflucht in der Liga Freier Welten gefunden. Aber das wundert mich nicht, wenn man bedenkt, dass Thomas Marik früher mal ein ComStar-Fachmann war.« Rose zielte und zog den Abzug dreimal schnell hintereinander durch. Der Laser brannte ein einziges Loch in die Mitte der Scheibe, ohne dabei ein Geräusch zu verursachen. Esmeralda bewunderte immer wieder diese Pistole, obwohl sie sie schon oft in Aktion gesehen hatte. Sie sah wie jede andere Waffe dieses Typs aus, aber sie war eindeutig mehr.
Der abgenutzte Plastikgriff war zu glatt, um nur von einer Person benutzt worden zu sein, selbst bei täglichem Gebrauch. Auf den ersten Blick sah sie wie eine Nakjama-Pistole aus, was, oberflächlich betrachtet, nichts Besonderes war. Nach allem, was man wusste, war Jeremiah Rose während seiner Dienstzeit bei den ComGuards auf Luthien stationiert gewesen, und die Nakjama war die Standardwaffe eines Kurita-Mech-Kriegers. Äußerlichkeiten waren irreführend. Feine, aber wichtige Abweichungen unterschieden die Pistole in Roses Hand von der Nakjama. Genau genommen hatte Rose ihnen erzählt, dass die Nakjama auf seiner Waffe basieren würde, und nicht umgekehrt. Zum Beispiel war die Trommel seines Modells im Durchmesser um einen Millimeter größer. Das bedeutete einen größeren, abgestimmten Kristall, der mehr Energie umsetzen konnte. Die Reichweite war ebenfalls um einiges größer - allerdings spielte die Reichweite eines Lasers keine große Rolle. Die meisten Menschen, selbst MechKrieger, konnten eh nicht so weit sehen, wie ein Laser schießt, und ruhig halten konnten sie die Pistole auch nicht, wenn sie ein Ziel in extremer Entfernung anvisierten. Etwas anderes machte die Waffe so besonders.
Roses Laser verursachte kein Geräusch, wenn er ihn abfeuerte. Jedes Mal, wenn sie beim Schießen in der Nähe war, hatte Esmeralda sehr genau hingehört und weder das bekannte Summen der Kondensatoren noch die charakteristische schrille Entladung wahrgenommen. Alles was man bei Roses Pistole beobachten konnte, war ein kurzes Aufblitzen roten Lichts. Das menschliche Auge kann das Licht eines Lasers nicht wirklich wahrnehmen, aber das Nachbild brennt sich in die Netzhaut und hinterlässt die Illusion des Sehens.
Rose ließ die Pistole langsam sinken und wandte sich wieder Eber zu. »Thomas Marik mag in der Liga Freier Welten immer noch das Sagen haben, aber kann er diesen Status über die Dauer eines Kontraktes aufrecht halten? Das nächste Haus, bei dem wir unterschreiben, muss schon eine gewisse Stabilität aufweisen. Und die hat Marik nicht.«
»Aber die Liga wurde von der Invasion der Clans nicht betroffen«, argumentierte Eber.
Rose nickte. »Das stimmt, aber sie haben immer noch eine Menge Probleme, und die Heirat zwischen Isis Marik und Sun Tzu macht ihr Reich auch nicht gerade stabiler.«
»Ich stimme dir zu«, sagte der dritte Mann, der bis jetzt geschwiegen hatte. Esmeralda bemerkte, dass Antioch Bell die Stirn runzelte und nicht wie üblich grinste, während er sich das Kinn rieb. »Wir sollten Marik nicht als Brötchengeber in Betracht ziehen, außer wir akzeptieren Sun Tzu als unseren eventuellen Kommandanten - und wenn Thomas irgendetwas passiert, dann rückt Sun Tzu nach. Ich persönlich glaube nicht, dass er so verrückt ist, wie alle behaupten, aber es sieht so aus, als benutze er die Leute nur zu seinem eigenenVorteil. Ich hasse den Gedanken, dass die Black Thorns nur ein weiterer Bauer in seinem Spiel sein sollen.«
Esmeralda nickte im Einklang mit Rose und Eber. Sie war froh drüber, dass Haus Marik nicht als potenzieller Dienstherr in Betracht kam.
»Also gut«, setzte Eber fort. »Ich behaupte, Mutter hat keinen Idioten großgezogen und streiche St. Ives, Ökonom und alle anderen Regierungen entlang der Peripherie ebenfalls von unserer Liste. Die können sich uns nicht leisten und werden sich mit den Clans sowieso nicht anlegen.« Eber legte die Sternennacht an und feuerte auf die Zielscheibe. Roses Loch verschwand in dem größeren Loch der Projektilwaffe.
»Einverstanden«, sagte Rose. »Ich habe die Black Thorns gegründet, um die Clans zu bekämpfen, und das werden wir auch tun. Somit bleibt nur noch das Vereinigte Commonwealth, das uns im Augenblick bezahlt, und das Draconis Kombinat.« Rose nickte Antioch Bell zu und warf einen kurzen Blick auf die Zielscheibe. Bell schüttelte seine Gedanken ab und griff nach dem Holster. Aus der Hüfte schießend sengte er ein Loch in das rechte Auge des Ziels. Sein Sunbeam-Laser machte die vertrauten Geräusche, die Esmeralda mit einem Laserschuss verband. Als ihr Blick vom Ziel wieder zu Bell wanderte, war die Waffe bereits wieder in ihrem Holster.
»Was ist mit Rasalhaag?« Eber und Bell drehten sich zu Esmeralda um, als sie sprach. »Sie sind noch nicht draußen, abgesehen von den Verlusten, von denen sie sich erholen müssen. Außerdem unterstützt ComStar ihre Bemühungen.«
»Du hast recht«, sagte Bell, »aber die Führungsspitze von Rasalhaag ist vollkommen demoralisiert. Die Leute sind immer noch kampfbereit, aber ihre Herrscher wollen sie nicht führen. Seit Prinz Ragnar sich geweigert hat sich vor den Clans retten zu lassen, sind sie wie erstarrt.«
»Vielleicht bieten sie einen Garnisonskontrakt mit hohem Risiko an«, warf Esmeralda ein.
»Ihr habt beide recht«, entgegnete Rose. »Wir könnten den Job möglicherweise bekommen, aber ich glaube nicht, dass er es wert ist. Jeder Garnisonsdienst, auch wenn er noch so riskant ist, würde sich nicht auszahlen. Wir müssen in die Offensive gehen, und das bedeutet, wir müssen mit jemandem einen Vertrag abschließen, der auch das nötige Kleingeld hat, den Kampf mit den Clans aufzunehmen ...«
»Und das heißt das VC oder Kurita«, beendete Eber den Satz.
»Beide sind zurückgeschlagen worden, aber bereit zu kämpfen.«
Eber feuerte zweimal. Sein erster Schuss traf Bells Loch, der zweite verursachte ein Loch im linken Auge des Ziels.
»Du setzt voraus, dass wir mit einem der Häuser weiterhin zusammenarbeiten können, Eber«, sagte Esmeralda. »Was aber, wenn wir das nicht können? Wir sollten uns nach einem ähnlichen Vertrag umsehen wie dem, den wir gerade beenden: einem Vertrag mit einer einzelnen Welt.«
»Esmeralda hat wieder recht«, sagte Rose. »Wir reiten auf heißer Technologie, aber wir können nicht annehmen, dass uns das marktfähig macht. Das VC oder Kurita wären zwar am sinnvollsten, aber keiner von beiden ist ein idealer Partner. Ich bevorzuge Kurita, aber das ist mein persönlicher Geschmack.«
»Die Schlangen? Warum die? Bist du etwa noch immer sauer auf das VC, weil sie deiner Familie etwas angetan haben?« Bell klang verwirrt und irgendwie verletzt durch Roses Ablehnung des Vereinigten Commonwealth. Als ein ehemaliges Mitglied der Armeestreitkräfte des Vereinigten Commonwealth war er mehr als nur ein bisschen stolz auf seine frühere Militärkarriere. Rose neigte den Kopf und starrte ins Leere. Ein Ausdruck, den Esmeralda kannte. Er bedeutete, dass Rose seine nächsten Worte sehr genau überdachte. Jeremiah Rose wurde als ältester Sohn eines Mech-Kriegers der Northwind Highlanders geboren, eine der ältesten und respektiertesten Söldnereinheiten in der Inneren Sphäre. In einem Debakel des Krieges von 3039 griffen die Highlander, die für Prinz Hanse Davion kämpften, einige Welten an der Davion- Kurita-Grenze an. Es sollte eigentlich ein guter Plan sein, aber Theodore Kuritas Gegenangriff war besser. Als Resultat davon konnte das Kombinat erfolgreich einige Welten zurückgewinnen, die es kurz vorher an Davion hatte abgeben müssen. Seine Mutter wurde bei den Kämpfen getötet, und Rose machte keinen Hehl daraus, dass er Hanse Davion die Schuld daran gab. Seine Wut hatte einen Keil zwischen Rose und seinen Vater getrieben, der dazu führte, dass er die Highlanders verließ und sich den ComGuards anschloss, dem militärischen Arm von ComStar.
»Nein. Es hat mehr mit der politischen Situation zu tun«, antwortete Rose, musste jedoch einsehen, dass Bell nicht überzeugt war. »Wir haben hier die größte Bedrohung, die die Innere Sphäre je gesehen hat, seit Stephen Amaris praktisch auf unserer Türschwelle stand, und das Vereinigte Commonwealth weiß immer noch nicht, ob es eine große, glückliche Familie sein will oder nicht. Die neuen Jungs sind das beste Beispiel.«
Esmeralda wusste, dass Rose auf die Gray Death Legion anspielte. Die Mitglieder dieser Spitzeneinheit wären vermutlich stinksauer geworden, wenn sie mit angehört hätten, wie man sie derart unfreundlich beschrieb, aber Esmeralda wusste bereits, worauf Rose mit seinem Kommentar hinauswollte. Und sie stimmte mit ihm von ganzem Herzen überein.
»Habt ihr jemals bemerkt, wie sehr der Graue Tod mit Tharkad und der Steiner-Familie verbunden ist?«, fragte sie. »Vielleicht stehen sie unter Victor Davions Befehl, aber sie selbst bezeichnen sich als Steiner-Ein-heit aus dem Lyranischen Commonwealth. Dort hatte die Gray Death Legion ihre Ursprünge, noch bevor es ein Vereinigtes Commonwealth gab. Und an diese Vergangenheit sind sie immer noch gebunden. Das VC ist weit davon entfernt, eine große, glückliche Familie zu sein. Die meisten der einfachen Leute - und damit meine ich auch Leute aus dem Militär - fühlen sich eher Davion oder Steiner gegenüber loyal. Sie arbeiten zusammen und kämpfen zusammen, aber viele Dinge sehen sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln.«
»Wie etwa?«, fragte Bell
»Die Clans, zum Beispiel«, antwortete Rose. »Die Steinertruppen waren in schwere Kämpfe verwickelt und hatten viele Männer verloren. Planeten, die an die Clans gefallen sind, lagen auf der Steinerseite des VC. Die Lyraner wundern sich, warum ihre Verbündeten, die Davions, nicht mehr helfen, während sich die Leute auf den Davion-Welten fragen, warum sie überhaupt helfen sollen.«
»Es ist ein einziges Durcheinander«, stimmte Rose leise zu. Seine Augen wanderten den Schießstand entlang, während er mit dem Abzug seiner Waffe spielte. »Die gesamte Innere Sphäre ist in einem Netz aus politischer Zanke gefangen.«
»Außer Kurita«, warf Bell ein.
»Nein, Antioch. Ich glaube, das Draconis Kombinat ist genauso schlimm wie der Rest, wenn es darum geht, Politik zu machen. Aber sie haben zwei wichtige Vorteile, die den anderen fehlen.« Rose sah seine Freunde nicht an, während er mit ihnen sprach. Er gab einen lautlosen Schuss nach dem anderen auf die Zielscheibe ab.
»Obwohl das Kombinat viele Welten an die Clans verloren hat, hält es eine beachtlich stabile Grenze aufrecht. Und die einfachen Kurita-Leute stehen voll und ganz hinter Theodore Kurita in seinen Bemühungen, die schrecklichen Clans zurückzuschlagen. Ich glaube, wir können mit Sicherheit annehmen, dass Teddy all seine Kräfte auf das Zurückschlagen der Clans konzentrieren wird. Auf die Idee, jetzt das Vereinigte Commonwealth anzugreifen, wird er nie kommen.
Dann haben die Kuritas den wohl fähigsten Führer der gesamten Inneren Sphäre. Theodore Kurita hat das immer wieder bewiesen. Ganz im Gegensatz zu Victor Davion, der immer noch ein kleiner Junge ist, oder Thomas Marik, den man höchstens als religiösen Fanatiker bezeichnen kann. Teddy ist in erster Linie MechKrieger und erst dann Politiker. Ich glaube, darauf können wir zählen.«
»Aber diese Schlangen haben einen schlechten Ruf, was die Behandlung ihrer Söldner angeht«, warf Bell ein. Rose nickte und kehrte dem Schießstand den Rücken. Während ihres Gesprächs hatte er vierund-wanzig Mal auf das Ziel geschossen und einige Löcher in Kopf, Brust und Hals hinterlassen. Er ließ die Energiezelle aus dem Griff rutschen und ersetzte sie durch eine frische aus dem Gürtel, bevor er die Waffe in das Holster schob.
»Ganz recht. Aber ich glaube, sie haben ihre Einstellung geändert. Oder ändern sie gerade.«
»Warum?«, fragte Eber.
»Nun, seit Wolfs Dragoner und Kell Hounds geholfen haben, Luthien vor einer Claninvasion zu retten, betrachtet der Großteil der Bevölkerung Söldner als, wie soll ich sagen, weniger inakzeptabel. Teddy hatte niemals ein Problem damit, Söldner anzuheuern, und die Meldungen von Outreach lassen vermuten, dass die Schlangen anständig zahlen und eine große Auswahl an Verträgen bieten.«
Bei der Erwähnung von Outreach zuckte Esmeralda leicht zusammen, und Rose fragte: »Stimmt etwas nicht?«
»Das ist der Grund, warum ich überhaupt hier runtergekommen bin. Ich war so beschäftigt mit unserer Diskussion, dass ich ganz vergessen habe eine Nachricht von Alex zu überbringen.« Esmeralda warf einen Blick auf die Uhr. »Ria ist vor ungefähr sechsunddreißig Stunden auf Outreach angekommen und hat uns bei der Söldnerprüfungs- und Vertragskommission registrieren lassen. Im Augenblick sieht sie sich nach geeigneten Verträgen um und lässt anfragen, ob es etwas Bestimmtes gibt, was sie wissen sollte.«
Roses Blick schweifte durch den Raum. Mit Ausnahme von Ajax, dem anerkannten Kommandeur der Scoutlanze, und seiner Schwester Riannon Rose, die als stellvertretender Kommandeur der Black Thorns fungierte, waren alle Führer der Söldnereinheit auf dem Schießstand versammelt. Es stimmte zwar, dass weder Eber noch Bell als Offiziere in den Unterlagen der Einheit geführt wurden, aber ihre Erfahrungen und der Einsatz für die Black Thorns gaben ihnen das Recht, bei unangekündigten Treffen wie diesem ihre Meinung zu sagen.
»Also, wenn ich euch nicht vollkommen falsch verstanden habe, suchen wir nach einer Möglichkeit, in die Offensive zu gehen.« Er musterte das Trio, wie es im Raum saß und mit den Köpfen nickte. »Sie sollte vielleicht mit dem Draconischen Kombinat anfangen, dann weiter zum Vereinigten Commonwealth.« Rose sah sich erneut im Raum um. Esmeralda und Eber nickten bereits zustimmend, Bell schloss sich ihnen nach einem kurzen Augenblick an.
»Dann steht es also fest. Wenn Teddy uns haben will, ist er unsere erste Wahl. Wenn er nicht will, werden wir sehen, was wir bekommen.«
»Er wird uns haben wollen«, sagte Esmeralda.
»Wirklich?«, fragte Bell. »Und wie kannst du dir da so sicher sein?«
»Wenn all das stimmt, was wir über Theodore Kurita gehört haben, ist er zu clever, um eine so gute Einheit wie die Black Thorns nicht anzuheuern.«
2
Harlech, Outreach
Mark Sarna, Vereinigtes Commonwealth
25. Oktober 3056
Riannon Rose lief durch die Seitenstraßen von Harlech und dachte erstaunt über die Veränderungen nach, die das Jahr gebracht hatte. Es war nicht so, dass sich die Stadt verändert hatte. Sie selbst hatte sich verändert und sie mochte die neue Person, die sie jetzt war.
Zurückblickend wurde ihr klar, wie viel Vertrauen ihr Bruder in sie gesetzt hatte, als sie das erste Mal hier gewesen war. Genauso war es jetzt. Harlech war die Hauptstadt von Outreach, Heimatwelt der berühmten Söldnereinheit Wolfs Dragoner. Sie diente außerdem noch als Marktplatz, wo Auftraggeber und Söldner zusammenfanden.
Ria sah sich um, eher eine Angewohnheit, als dass sie wirklich Gefahr erwartete. Es war immer noch sinnvoll, vorsichtig zu sein, und ihr Bruder erinnerte sie unablässig daran, wie vieler Fehler es bedurfte, um einen MechKrieger zu töten: einen. Natürlich konnte man auch zu Tode kommen, ohne einen Fehler gemacht zu haben, dachte sie. Man konnte sterben, nur weil man Befehle ausführte. So war es Angus ergangen.
Ein sehr genauer - oder glücklicher - Treffer aus einer Clan-PPK hatte ihren Cousin Angus während der Kämpfe auf Borghese getötet und seinen Mech vernichtet. Ria schüttelte sich bei dieser Erinnerung. Es war nicht viel von Angus Übriggeblieben, das sie ihrem Onkel zurückbringen konnten, aber sie war trotzdem nach Northwind gereist. Sie harte nicht gewollt, aber Jeremiah war unerbittlich gewesen. Als kommandierender Offizier der Black Thorns hätte er es vorgezogen, die Reise selbst zu unternehmen, aber der Vertrag mit den Borghesern machte das unmöglich. Am Schluss blieb nur noch sie übrig, ihrem Onkel und dem Rest der Familie gegenüberzutreten.
In diesem Augenblick begann sich ihr Magen zu melden und erinnerte sie daran, warum sie überhaupt rausgegangen war. Ihre Blicke wanderten wieder umher, dann betrat sie ein kleines Restaurant. Was sie zuerst für eine zweite Innentür gehalten hatte, entpuppte sich als muskulöser Elementar-Krieger auf dem Weg nach draußen. Ohne einen Gedanken zu verschwenden, trat sie zur Seite. Sie war kein geeigneter Gegner für den brutalen Klotz vor ihr. Wenn der Mann sie überhaupt gesehen hatte, ließ er sich davon nichts anmerken, als er geduckt durch die Tür verschwand.
Ria ärgerte sich darüber, dass sie so einfach Platz gemacht hatte. Hätte ein echter MechKrieger so schnell aufgegeben? Sie wusste keine Antwort darauf, aber sie wollte es herausfinden. Sie drehte auf dem Absatz um und verließ das Restaurant. Zehn Meter weiter bahnte sich der Gigant einen Weg durch die Menge. Anscheinend hatte er das Gedränge um sich vergessen.
Ria folgte ihm vorsichtig, immer Abstand haltend, während sie den Mann beobachtete - wenn Mann überhaupt die richtige Bezeichnung war. Elementare sind Clanmänner, die genetisch verändert wurden, so dass sie größer, stärker und schneller waren als der durchschnittliche Mensch - größer, stärker und schneller als ein MechKrieger. Darauf trainiert, von Geburt an in einer speziellen, von den Clans entwickelten Kampfpanzerung zu kämpfen, waren sie im Einzelkampf nicht zu schlagen - sagte man.
Ria kannte die gepanzerten Elementare aus Filmen auf der Akademie. In Gruppen zu fünft konnten sie blitzschnell die schützende Außenhülle eines Battle-Mechs aufreißen, um dann mit ihren Lasern auf die freigelegten Komponenten zu schießen. Auf Borghese wäre der Charger ihres Bruders beinahe durch eine solche gepanzerte Infanterie überrannt worden, aber Geschick und Glück hatten dann doch noch den Kampf zu seinen Gunsten entschieden. Als sie später die Aufnahmen von der Schlacht sahen, die die externe Kamera des Chargers gemacht hatte, wunderte sich Ria über die Furchtlosigkeit dieser Individuen.
Als der Elementar vor ihr plötzlich links abbog, verlor sie ihn aus den Augen. Ein paar schnelle Schritte brachten sie zu der Ecke und ihm wieder auf die Fersen. Auf der Akademie wäre sie niemals auf den Gedanken gekommen, einen Elementar zu verfolgen. Mit dieser Möglichkeit hätte sie nie gerechnet und noch weniger das Verlangen danach gehabt, aber hier auf Outreach war anscheinend alles möglich. Wolfs Dragoner hatten enge Verbindungen mit den Clans, auch wenn die Einheit schon lange nicht mehr zum Clan-Militär gehörte. Auf der Akademie hatte man ihr erzählt, dass gefangene Clan-Krieger normalerweise sofort einen Treueeid auf den Clan ablegten, der sie gerade gefangen hatte.
»Ich glaube, das macht genauso viel Sinn, wie alles andere bei den Clans«, dachte Ria bei sich, während sie den Rücken des Elementars studierte. Warum einen guten Soldaten verschwenden, nur weil er auf der falschen Seite steht? Und warum noch loyal einer Seite gegenüber sein, die offensichtlich nichts mehr zu sagen hat, wenn sie in einer Schlacht besiegt wurde.
Die Ausbilder der Akademie waren davon überzeugt, dass die Clans unter einem sorgfältig definierten Ehrenkodex kämpften. Diese Tatsache wurde tausendfach auf einem Dutzend Welten widerlegt, aber die meisten MechKrieger der Inneren Sphäre hatten große Schwierigkeiten herauszufinden, was ein
›ehrenwerter‹ Clan-Krieger war. Die meiste Zeit war man zu sehr damit beschäftigt, sich von den Clannern nicht umbringen zu lassen, oder man beschäftigte sich mit der Erforschung ihrer Motive. Aber bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen Kräfte der Inneren Sphäre wirklich ein Auseinandersetzung gewonnen und Gefangene gemacht hatten, zeigte sich, dass der gefangene Clan-Krieger der typische Kriegsgefangene war.
»Schnappt euch den Kerl«, sagte Ria etwas lauter. Sie biss sich schnell auf die Lippe und sah sich um. Niemand hatte sie gehört, oder es kümmerte sich keiner drum. Leute aus einem Dutzend verschiedener Schichten gingen an ihr vorbei, jeder mit eigenen Problemen oder Wünschen. Ria ging einige Schritte mit gesenktem Blick. »Nachlässig, nachlässig, nachlässig«, murmelte sie, während sie sich selbst im Geist einen Tritt verpasste. Als sie endlich wieder aufblickte, war der Elementar verschwunden.
»Wo zum ...«, begann sie. Bevor sie weiterreden konnte, griff eine unsichtbare Hand nach ihrer Schulter und zog sie in einen nahe gelegenen Hauseingang. Ria griff nach der Faust und schob sie nach hinten, während sie ihr ganzes Gewicht in die entgegengesetzte Richtung warf. Doch der Versuch war erfolglos. Mit einem dumpfen Aufprall schlug sie mit der freien Schulter gegen die harte Holztür. Der Schmerz durchzuckte ihre Seite. Sie versuchte tief Luft zu holen, aber eine große Hand ergriff nach ihr und drehte sie herum. Der Elementar rammte ihr den Unterarm unter das Kinn und nahm ihr damit den Atem.
»Hier bin ich. Also, warum verfolgen Sie mich?«
Ria blickte zu ihrem Widersacher hoch. Auf die kurze Distanz sah er noch viel größer aus. Seine eisblauen Augen waren zu Schlitzen verengt, als er auf sie herabsah. Seine Gesichtszüge waren perfekt geformt, Schönheit in jedem Detail, aber eben größer als bei einem normalen Menschen. Als Antwort trat Ria mit ihrem rechten Fuß dort hin, wo eigentlich das Knie hätte sein müssen.
Er versetzte ihr einen kräftigen Schlag. Für einen Augenblick glaubte sie, das Bein hätte unter ihrem Tritt nachgegeben. Der Elementar lächelte nur über den Versuch, der ihn eigentlich hätte zu Boden schicken sollen. Selbst seine Zähne waren perfekt.
»Der erste war umsonst, weil ich annehme, du bist neu auf Outreach, frapos.« Obwohl Ria nur die Hälfte des Satzes verstanden hatte, begriff sie doch genug, um zu nicken. Das Blut pochte so laut in ihren Ohren, dass sie kaum noch denken konnte.
»Ich hab noch nie einen Elementar so nah gesehen«, krächzte sie. Jedenfalls keinen lebenden, wollte sie noch hinzufügen, aber sie hatte keine Luft mehr. Der Unterarm des Elementar löste sich ein wenig, und Ria nahm eine Lunge voll Sauerstoff, bevor sich der Druck erneut verstärkte. Sie griff mit beiden Händen nach dem Arm des Mannes, aber beide Hände waren zu klein, um den riesigen Bizeps zu umfassen. Stattdessen packte sie die Vorderseite der Tunika.
»Ich kämpfe jetzt für Wolfs Dragoner. Ich bleibe ein Krieger, bis ich gefangen werde. Ich will nicht verfolgt und nicht verspottet werden.« Das perfekte Lächeln wurde zu einem höhnischen Grinsen. Ria sah, wie sich seine Lippen bewegten, aber die meisten Worte gingen in dem Rauschen ihres eigenen Blutes unter. Die freie Hand des Elementars reichte nach hinten, als Rias Sehvermögen langsam schwand. Sie fragte sich, ob sie wohl das Bewusstsein verlieren würde, bevor der Elementar sie niederschlug, doch das war unwahrscheinlich. Er wusste offensichtlich, was er tat. Sie trat erneut zu, aber der Fuß traf nur ganz schwach den Oberschenkel. Wenn er den Angriff gespürt hatte, ließ er es sich nicht anmerken. Sein Lächeln kehrte wieder und Ria schloss die Augen. Sie hasste sich selbst.
Als der Schlag immer noch nicht kam, dachte sie, sie sei ohnmächtig. Langsam öffnete sie die Augen, als der Druck auf ihre Kehle nachließ. Sie sah, wie er sich langsam von ihr fortbewegte. Als er ihren Hals losließ, fiel sie gegen den Türpfosten und versuchte ihre Lungen mit Luft zu füllen. Kleine Atemzüge schienen am besten zu funktionieren, also sog sie lautstark einen Zug nach dem anderen ein, immer dem Wunsch widerstehend, sich nach vorne zu beugen. Etwas in ihrem Kopf sagte ihr, dass die Lungen sich weiten und nicht zusammenziehen müssen, wie das nun mal ist, wenn man sich vorbeugt.
Nach einigen Momenten hatte sich ihre Atmung normalisiert. Sie blickte sich nach dem Elementar um, der bereits wieder mit der Masse verschmolz. Er ließ sich nicht einmal dazu herab zurückzusehen. Bin ich wirklich so wenig eine Gefahr, fragte sie sich.
»Wie fühlst du dich?« Ria drehte den Kopf zur Seite und sah den hageren Rotschopf in ihrer Nähe an. Die Frau grinste von einem Ohr zum anderen, als wüsste sie, wie sich Ria fühlte.
»Ich fühle mich, als ob mein Mech auf mich getreten wäre.
Wie fühlst du dich?«
»Ich?« Das Lächeln des Rotschopfs wurde noch breiter. »Ich fühle mich glänzend.« Riannon bekam langsam das Gefühl, dieses rothaarige Weib nicht zu mögen, als eine zweite Frau hinzukam.
»Kannst du gehen? Wenn nicht, helfen wir dir, aber wir machen uns jetzt besser auf den Weg.« Ria betrachtete den Neuankömmling und bemerkte, dass das Holster mit der Pistole entsichert war. »Er ist gerade um die Ecke, somit ist er außer Sicht, und ich möchte nicht hier sein, wenn er sich entschließt, noch einmal zurückzukommen. Also, kannst du gehen?«
Ria überlegte nicht lange, bevor sie antwortete. »Ja, ich kann gehen.«
»Dann sollten wir verschwinden.« Ria ging einige Blocks zwischen den Frauen und konzentrierte sich darauf, normal zu atmen. Als sie den Hoteldistrikt erreichten, fühlte sie sich etwas besser.
»Danke für die Hilfe. Ich glaube, ich war unvorsichtig«, sagte Ria.»Wahrscheinlich«, antwortete die Rothaarige. »Entweder das, oder du stehst auf richtig dicke Kerle.« Ria wurde puterrot, als der Rotschopf ihr zuzwinkerte.
»Lass dich von Kätzchen nicht weiter provozieren. Sie redet mit jedem so.«
Kätzchen lächelte jetzt noch breiter. »Das stimmt, das tue ich, und seit ich dir den Hintern gerettet habe, überlege ich, ob du mir eine klitzekleine Frage beantwortest?« Ria wollte gerade nein sagen, aber sie hatte nicht die Zeit, denn Kätzchen redete schon weiter. »Hast du Brüder?« Rias Augen weiteten sich einen Moment, aber Kätzchen lachte nur.
»Das reicht jetzt, Kätzchen. Ich glaube, sie hat schon genug durchgemacht. Wenn du in Ordnung bist, machen wir uns auf den Weg«, sagte die andere Frau zu Ria. Sie hatte sich bereits zum Gehen gewandt.
Ria legte ihr eine Hand auf den Arm und hielt die Frau zurück.
»Warte einen Augenblick. Ich habe einen Bruder, aber er ist nicht auf Outreach.«
Kätzchen lachte und schnippte mit den Fingern. »Was für ein Glück für mich.«
»Aber da mein Bruder nicht hier ist, möchte ich euch wenigstens zum Essen einladen. Das ist das mindeste, was ich für euch tun kann.«
Kätzchen gab ihrer Begleiterin gar nicht erst die Möglichkeit, nein zu sagen.
»Ein Essen? Toll, vielleicht ist heute mein Glückstag. Wo gehen wir hin?«
Als Ria das Regalia, das Restaurant in ihrem Hotel vorschlug, hakte sich Kätzchen bei ihr unter und ließ ihre Begleiterin stehen.
»Klingt gut, finde ich. Lass uns losziehen.«
Weder Ria noch ihre Gäste trugen für einen Restaurantbesuch die passende Kleidung, aber das war zu dieser frühen Stunde kein Problem. Die Bedienung im Regalia musterte sie nur kurz missfallend, als sie sie zu ihrem Tisch brachte. Ober und Kellnerjungen schwirrten um die Frauen herum, wie die Aasgeier auf einem Schlachtfeld, bis sie ihre Bestellungen aufgegeben hatten und jeder seinen eigenen Weg ging. Der Weinkellner kam mit einer Flasche von einem unbekannten Davion-Weinberg wieder und füllte drei Gläser.
»Auf meine Retter, wer immer sie auch sein mögen.« Ria stieß mit jeder der Frauen an und nippte an dem Weißwein. »Mein Name ist Riannon Rose, aber meine Freunde nennen mich Ria. Ich hoffe, ihr werdet das auch. Ich bin erster Offizier der Black Thorns, einer Söldnereinheit, die zur Zeit auf Borghese stationiert ist.«
»Das ist nahe der Clangrenze, oder?«, fragte Kätzchen. Riannon nickte.
»Also, ich heiße Katherine Kittiallen, aber jeder nennt mich Kätzchen, egal ob ich das nun will oder nicht. Ich kommandiere einen Panther - als wenn Kätzchen genannt zu werden nicht schon Strafe genug wäre, aber ich bin seit kurzem« - Kätzchen machte eine große Show daraus, ihren Kragen zu öffnen und schockiert auszusehen - »ohne feste Anstellung.« Ria lächelte über ihre Posse und sah sich die Frau zum ersten Mal näher an.
Kätzchen Kittiallen war groß und hager, und weibliche Formen glänzten bei ihr durch Abwesenheit. Sogar ihr Gesicht war eckig. Aber sie schien immer zu lächeln, was dazu führte, dass ihre Augen durch halb geschlossene Lider glitzerten. Ihr Haar war dunkelrot, eine lange, dichte Mähne, die im Licht des Restaurants schimmerte.
»Mein Name ist Greta Podell, ehemals Republik Rasalhaag«, sagte die andere Frau, als sich Ria abwartend zu ihr umdrehte.
»Ich bin wie Kätzchen ›ohne feste Anstellung‹ Außerdem bin ebenfalls ohne Mech.« Ria studierte Greta einen Augenblick. Wenn die Frau verlegen darüber war, dass sie entrechtet wurde, zeigte sie es nicht. Die meisten MechKrieger waren zu beschämt, um offen zuzugeben, dass man sie aus ihrem Mech geschossen hatte, besonders gegenüber Fremden. Nicht so Greta. »Ich bin in der Hoffnung nach Outreach gekommen, einer Söldnereinheit beizutreten.«
»Ich auch«, sagte Kätzchen. Ria betrachtete die beiden Frauen. Im Gegensatz zu Kätzchen war Greta muskulös und hatte die Rundungen an den richtigen Stellen. Sie konnte sich gut vorstellen, wie sich Eber und Badicus um Greta schlagen würden, wenn sie an ihrer Stelle hier wären. Sie belächelte den Gedanken. Selbst Gretas Haare, schwarz mit Silbersträhnen, schien eher Attraktivität, denn Alter zu signalisieren.
»Gut«, sagte Ria, als die Ober mit den Dinnerwagen zurückkamen. »Ich habe eine Einheit, aber ich bin nach Outreach gekommen, weil uns noch einige Krieger fehlen.« Weder Greta noch Kätzchen reagierte, als die Kellner mit dem Servieren begannen.
»Mein Bruder ist der Kommandant der Black Thorns. Wir sind im Moment nur eine halbe Kompanie, aber wir haben einige unbesetzte Mechs.« Ria tat so, als hätte sie das kurze Aufblitzen in Gretas Augen nicht gesehen, und sprach weiter. »Ich wurde nach Outreach geschickt, um ein paar neue Piloten zu rekrutieren und uns somit auf Kompaniestärke zu bringen, bevor Jeremiah mit dem Rest der Einheit ankommt.«
»Du rekrutierst die Leute?«, fragte Kätzchen mit einem Mund voll Kalbfleisch. »Da setzt jemand verdammt viel Vertrauen in dich.«
Ria zupfte während ihres kleinen Spielchens an ihrem Huhn und überlegte. »Stimmt, aber das ist nun mal mein Job. Ich bin der IO der Einheit. Logistik ist mein Spezialgebiet, aber Jeremiah hat mich vorausgeschickt, um Leute zu rekrutieren. Wenn ich grünes Licht gebe, genehmigt er es. Das ist alles.«
»Warum die Eile«, fragte Greta. »Warum wartet er nicht, bis er in einigen Monaten hier eintrifft und entscheidet dann selbst?«
»Zeit ist Geld, Greta. Wir haben einige Mechs in unserer Einheit. Das bedeutet hohe Instandhaltungskosten. Wir können es uns nicht leisten, lange Zeit ohne Vertrag zu sein. So wie es zur Zeit aussieht, müssen wir wohl einen verkaufen, um die Instandhaltungskosten zu senken. Wenn wir das verhindern wollen, brauchen wir bald einen Vertrag.«
»Und Piloten natürlich auch, stimmt›s?«, fragte Kätzchen.
»Stimmt.«
»Also, wo muss ich unterschreiben?« Kätzchen stopfte sich das letzte Stück Fleisch in den Mund, während sie fragte.
»Unterschreiben? Aber du weißt doch nicht das geringste über uns. Warum solltest du unterschreiben?«
»Wir kennen dich«, antwortete Greta, »oder besser: Wir haben von den Black Thorns gehört. Ihr habt den Jadefalken auf Borghese vor einigen Monaten ganz schön in den Hintern getreten. Hab ich recht?« Ria nickte schweigend. »Selbst wenn alles nach Plan gegangen ist - was vielleicht nicht der Fall war -, müsst ihr eine ziemlich gute Söldnereinheit sein. Bei solchen Gegnern. Die Black Thorns sind gut genug für uns und für Leeza. Die Frage ist, sind wir gut genug für euch?«
Verwirrt durch die plötzlich veränderte Situation, sah Ria die beiden Frauen an. »Wer ist Leeza?«
»Leeza Rippiticue, unsere Zimmergenossin«, sagte Kätzchen.
»Wir drei teilen uns aus Kostengründen ein Zimmer. Wir suchen schon seit vier Wochen nach einer Einheit, bislang erfolglos. Normalerweise wäre Leeza heute nachmittag bei uns gewesen, aber sie hat eine Simulation mit einer Rekrutentruppe aus der Peripherie. Sie hatte natürlich kein wirkliches Interesse an dem Angebot, musst du wissen. Sie wollte nur die Zeit im Simulator.«
»Ganz nebenbei, was ist heute nachmittag passiert? Ich dachte schon, ich würde das nächste Titelbild des Ärztemagazins für plastische Chirurgie abgeben«, sagte Ria belustigt. Greta lächelte und sah Kätzchen an, die wahrhaftig empört schien.
»Tja«, meinte Kätzchen, »es sah so aus, als hättest du ein paar Probleme. Also habe ich ein bisschen Stahl in unseren lieben Herrn Groß, Böse und Prächtig gesteckt.«
»Ein Messer?«
»Ne, eher ein Metallstängchen. So eines, um die Aufmerksamkeit von Leuten zu erregen, wenn du verstehst, was ich meine. Und in einem Notfall kann man sie als Totschläger benutzen. Als ich dann seine Aufmerksamkeit erregt hatte, zog Greta ihre Pistole und erklärte ihm, er solle sich verpissen. Den Rest kennst du.«
»Und es ist keiner stehengeblieben und hat geholfen?«
Greta schüttelte den Kopf. »Der Elementar hat sich ziemlich schnell davongemacht, als ich ihm die Pistole unter die Nase gehalten habe. Er war nicht bewaffnet und hatte keine Möglichkeit, an mich ranzukommen oder dich als Schild zu benutzen. Also hat er sich einfach verzogen.«
Kätzchen lehnte sich zu Ria herüber. »Ich hatte meine Pistole auch noch an seinem Ohr, für den Fall, dass er komisch oder witzig werden wollte, wenn du verstehst, was ich damit andeuten will.«
Ria nickte ganz langsam. Ihr wurde klar, in welche Gefahr sich ihre beiden Retterinnen begeben hatten, nicht nur wegen dem Elementar, sondern auch wegen der Stadtpolizei von Outreach.
»Meine Damen, nochmals meinen tiefsten Dank. Ihr Verhalten hat bewiesen, dass Sie es wert sind, Mitglieder der Black Thorns zu werden. Wenn Sie mir Ihre bisherigen Unterlagen in die Rekrutierungshalle bringen, werde ich mit der Musterung beginnen. Ihre Freundin Leeza soll ebenfalls ihre Unterlagen schicken, wenn Sie für sie einstehen wollen.« Beide Frauen nickten, und Ria lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Und ich werde mich darum bemühen, für alle drei einige Übungszeit im Simulator zu bekommen.« Greta hob ihr Glas. »Nichts, was ich lieber täte.«