Thomas Dellenbusch
CHASE
Jagd auf einen König
T h r i l l e r
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Thomas Dellenbusch
»CHASE: Jagd auf einen König«
Bisher erschienen:
Thomas Dellenbusch
»CHASE: Jagd auf die stumme Dichterin«
Deutsche Erstveröffentlichung
1. Auflage 2017
Alle Rechte vorbehalten
2017 Thomas Dellenbusch
Mit einem ausdrücklichen Dank an
Anja Dietel für ihre wertvolle Mithilfe
Lektorat & Satz: KopfKino-Verlag
Covergestaltung: coverandbooks / Rica Aitzetmüller
Umschlagmotiv: Mayer George & Dotted Yeti / Shutterstock
KopfKino-Verlag
Thomas Dellenbusch
Gluckstr. 10
D-40724 Hilden
www.MeinKopfKino.de
KopfKino, das sind berührende, nachdenkliche oder auch spannende Geschichten in Spielfilmlänge. Ihre ungefähre Lesezeit liegt zwischen 60 und 180 Minuten.
Sie eignen sich daher wunderbar für all die vielen kleinen zeitlichen Zwischenräume, die das Leben hat: für die Reisezeit in Bahn, Bus, Auto oder Flugzeug, für die Stunden in Wartezimmern, für den Aufenthalt beim Friseur, im Café, während der Dialyse, für den Nachmittag im Freibad oder am Strand, vor dem Schlafengehen oder einfach so für zwischendurch, um circa zwei Stunden unterhaltsam zu füllen.
Da ihre Lesezeit ungefähr der Länge eines Spielfilms entspricht, eignen sie sich auch hervorragend, um sie sich gegenseitig vorzulesen und den Fernseher einmal ausgeschaltet zu lassen. Lassen Sie sich von Fernseher und Leinwand nicht das ganze Vergnügen abnehmen.
Genießen Sie Ihren eigenen Film auf der größten Kinoleinwand der Welt: Ihrer Fantasie!
Jede Erzählung ist als eBook und als Hörbuch erhältlich, viele auch als Taschenbuch.
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Thomas Dellenbusch
CHASE
Jagd auf einen König
T h r i l l e r
Diese Geschichte spielt in der gegenwärtigen Zeit, aber in keinem näher bezeichneten Jahr. Insofern sind alle handelnden Figuren und auch der vorkommende Geheimbund frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit real existierenden Personen, Politikern und sonstigen Amts- und Funktionsträgern ist nicht gewollt, sondern rein zufällig. Die Figuren besetzen in der Erzählung zwar notwendigerweise real existierende Ämter, haben aber nichts mit jenen Personen zu tun, die in der Realität diese Ämter zu irgendeiner Zeit innehatten oder innehaben werden.
Die erwähnte Scottish Crime & Drug Enforcement Agency (SCDEA) war eine unabhängig agierende Polizei-Sonderbehörde gegen organisierte Kriminalität, illegalen Drogenhandel, Geldwäsche, sowie zuständig für Zeugenschutz-Programme. Sie wurde 2013 mit den acht regionalen schottischen Polizeibehörden zum einheitlichen Police Service Scotland zusammengelegt. Für die Handlung war es erforderlich, sie als jene unabhängig agierende Sonderbehörde darzustellen, die sie bis 2013 war.
Völlig real hingegen sind die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen von Norma Lorre Goodrich, die in diese Story einflossen. Ihre fast 500seitige Abhandlung über diesen Stoff hat mich zu diesem Thriller inspiriert.
Für die Identifikation einiger handelnder Figuren ist die Kenntnis des ersten Teils
CHASE: Jagd auf die stumme Dichterin
hilfreich. Falls Sie diesen Band nicht gelesen haben, folgt hier eine kurze Erläuterung:
Chase ist eine große, meist geheim operierende Privat-Detektei in Hamburg. Ihr Inhaber Enrique »Rique« Allmers ist liiert mit der taubstummen Schriftstellerin Katja Krömer. Riques Team besteht aus mehreren Spezialisten, zu denen unter anderem der introvertierte 28jährige Jérome Petit mit französischen Wurzeln und die agile 22jährige Asiatin Chen Lu Liang gehören. Sie sind bestens trainiert in diversen Kampfsportarten.
Viel Vergnügen mit Jagd auf einen König.
Thomas Dellenbusch
Hilden, im Januar 2017
An einem Mittwoch Nachmittag trat das schottische Kabinett unter Leitung des Ersten Ministers in dessen Amtssitz zu einer ebenso kurzfristigen wie streng geheimen Sondersitzung zusammen. Der Chef der schottischen Regionalregierung hatte nur die Minister geladen. Die Staatssekretäre, die an Kabinettssitzungen ebenfalls teilzunehmen pflegten, waren an diesem Abend weder informiert noch eingeladen worden. Bis auf den Ersten Minister selbst, seiner Vertreterin und dem Justizminister wusste keiner der anderen, um was es bei dieser eilig einberufenen Sitzung gehen sollte. Die Vermutung lag allerdings nahe, dass es um das in einer Woche stattfindende Referendum zur schottischen Unabhängigkeit und die vor wenigen Stunden veröffentlichten Umfrageergebnisse diesbezüglich gehen würde. Nachdem die Türen geschlossen und die Minister unter sich waren, wandte sich der Regierungschef an seine Vertreterin, die normalerweise die Begrüßung der Teilnehmer übernahm.
»Wenn Du erlaubst...?«
Die Ministerin für Gesundheit und Stadtentwicklung nickte ihm zu. Dann deutete er auf den Justizminister, der dieses Mal ausersehen worden war, die Begrüßung und die Einleitung zu übernehmen. Der Protokoll gewohnte Politiker verbeugte sich knapp vor den beiden Damen der Runde und begann zu sprechen.
»Werte Kolleginnen und Kollegen! Sie werden heute sicher die von den Instituten ICM und YouGov veröffentlichten Umfrageergebnisse gelesen haben, ebenso wie jene von Survation vor zwei Tagen. Während YouGov uns noch vor nur einer Woche einen knappen Sieg prognostiziert hat, prophezeien nun alle drei Umfragen der letzten 48 Stunden, auch jene von YouGov, eine knappe bis eindeutige Niederlage. Wir sind nicht gewillt, dieses Referendum zu verlieren, für dessen positiven Ausgang wir so lange und so hart gekämpft haben. Für den nun eingetretenen Fall, dass sich eine Niederlage abzeichnen sollte, haben wir Vorkehrungen getroffen, die helfen werden, das Ruder auf der Zielgeraden noch einmal zu unseren Gunsten herumzureißen. Es handelt sich um eine ganz fundamentale Entscheidung des bald unabhängigen Schottlands, die wir im Falle eines Sieges nur mit aller gebotenen diplomatischen Sorgfalt in die Tat umgesetzt hätten. Jetzt aber, im Angesicht einer drohenden Niederlage, müssen wir diese Entscheidung dem schottischen Volk noch vor dem Referendum mitteilen, um die Begeisterung für ein unabhängiges Schottland erneut und zwar unumkehrbar zu befeuern. Auch wenn sie die diplomatischen Beziehungen mit dem restlichen Vereinigten Königreich schwer erschüttern dürfte.«
Der Minister für Parlament und Regierungsstrategie hatte die ganze Zeit einen Kugelschreiber wie einen Kreisel um Zeige- und Mittelfinger rotieren lassen. Bei dem letzten Satz fiel er ihm aus der Hand, rollte bis zur Tischkante und von dort auf den Boden.
»Wie bitte?« Das Entsetzen in seiner Stimme war unüberhörbar. »Und wieso weiß ich nichts davon?«
Jetzt ergriff der Erste Minister selbst das Wort.
»Entschuldige, diese Chance hat sich aktuell ergeben, wie von höherer Hand bestimmt. Das Schicksal hat uns einen Trumpf in die Hände gespielt, mit dem ich niemals gerechnet habe. Um ehrlich zu sein, konnte niemand damit rechnen. Aber mit der Hilfe von Spezialisten der schottischen Kriminalpolizei, des Justizministeriums und der geschichtlichen Fakultät der Universität Glasgow sind wir nun sicher, dass das, was ich Ihnen nun offenbaren werde, real und nachprüfbar ist. Und zwar hieb und stichfest!«
Der Erste Minister Schottlands erhob sich von seinem Platz und schritt mit auf dem Rücken verschränkten Armen zum Fenster. Dort schaute er für mehrere Sekunden hinunter auf den Charlotte Square. Dann drehte er sich wieder um.
»Wie Sie sicherlich wissen, sieht der offizielle Plan zur Unabhängigkeit Schottlands vor, den jeweiligen Monarchen des Vereinigten Königreiches auch weiterhin als das Staatsoberhaupt Schottlands anzuerkennen.«
Fast alle Anwesenden nickten zustimmend, obwohl sie sich keinen Reim darauf machen konnten, worauf ihr Regierungschef hinaus wollte.
»Ich habe für Samstagabend eine große Pressekonferenz einbestellt. Es werden alle wichtigen nationalen und internationalen Pressevertretungen zugegen sein. Den Buckingham Palace und Downing Street No. 10 werde ich offiziell erst wenige Stunden vorher informieren.«
Bei diesen Worten wurde es unruhig. Die meisten rutschten nervös auf ihren Stühlen von links nach rechts und wieder zurück. Die Kultusministerin hatte auffallend rote Wangen, der Minister für Regierungsstrategie nestelte an seiner Packung Zigaretten herum. Sie kannten ihren Chef lange genug und spürten, dass er einen Paukenschlag vorbereitete.
»Ich werde Samstag dem schottischen Volk und dem Rest der Welt mitteilen, dass Schottland im Falle seiner Unabhängigkeit einen eigenen Thron installieren und mit jenem Mann als König und Staatsoberhaupt besetzen wird, der weit mehr als jeder andere für eine eigene schottische Krone infrage kommt.«
Weiter kam er nicht.
Seine Kollegen sprangen auf, Stühle fielen um, und alle riefen durcheinander. Der sonst übliche formale Respekt vor ihrem Regierungschef war verflogen. Aus dem Stimmengewirr drangen Fragen heraus, sogar respektlose wie die, ob er noch sämtliche Tassen im Schrank habe. Der Justizminister, der von den Kabinettskollegen wegen seiner hohen Intelligenz und seiner besonnenen Souveränität besonders geschätzt wurde, schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und breitete dann beschwichtigend die Arme aus. Die anderen beruhigten sich und sahen ihn erwartungsvoll an. In einem erstaunlich gelassenen Ton sagte er: »Im Ernst, es stimmt. Wir bekommen nicht irgendeinen König. Wäre das der Fall, würden wir die Risiken, die damit verbunden sind, nicht eingehen. Wir bekommen den schottischen König schlechthin. Jenen König, auf den wir alle seit ewigen Zeiten warten und der den Thron Schottlands wie niemand sonst beanspruchen darf und auszufüllen vermag. Allein schon die bloße Ankündigung, dass dieser Mann den schottischen Thron besteigt, wird uns nächsten Donnerstag einen überwältigenden Sieg bescheren.«
Die Stille im Raum erschien lauter, als die Aufregung zuvor. Die Minister sahen ihren Kollegen an, als habe dieser seinen ansonsten so scharfen Verstand verloren. Nur ihre Erfahrung, dass er niemals etwas äußerte, bevor er es in allen Einzelheiten geprüft hatte, verschlug ihnen ratlos die Sprache.
»Beraten wurden wir in der Angelegenheit von Professor Ronald Campbell, Leiter der geschichtlichen Fakultät der Universität Glasgow. Nehmen Sie wieder Platz, und hören Sie zu …«
Auf der schmalen und kurvenreichen Straße, die um den Loch Achray führte, stand Ronald Campbell in einer der gelegentlich vorhandenen Ausweichbuchten. Er saß am Steuer des eigenen Land Rovers.
Der Motor lief.
Der mächtige Oberkörper, der sich von außen über ihn hinweg zur Mittelkonsole beugte, versperrte ihm die Sicht. Es war ihm, als drehe er sich um sich selbst. Die Lider waren schwer und legten sich immer wieder über seine Augen. Halb schlafend registrierte er, dass der andere Körper verschwand und die Fahrertür zugeknallt wurde. Dann ruckelte er los.
Ronald Campbell hielt sich am Lenkrad fest und suchte mit den Füßen die Pedale im Fußraum, doch er verfehlte sie bei jedem Versuch. Der Wagen kratzte mit der linken Seite an der dünnen Leitplanke entlang. Das führte ihn auf die abschüssige Fahrbahn zurück. Campbell versuchte, sich zu konzentrieren, aber er nahm alles um sich herum nur noch verschwommen wahr. Er kämpfte gegen den drängenden Impuls, sich zu übergeben. Der Wagen wurde schnell und schneller, und bereits in der ersten Rechtskurve durchbrach er die dünne Leitplanke, prallte seitlich von einem Baum ab und rutschte die steile Böschung hinunter, um an deren Ende in den uferlosen und kalten Loch Achray zu stürzen. Das Wageninnere füllte sich durch die halb geöffneten Fenster schnell mit Wasser, und Ronald Campbell sank am Steuer seines Land Rovers auf den dreißig Meter tiefen Grund des Sees.
***
Zwei Tage danach klingelte das Telefon im Büro von Deputy Director General William Peacock, stellvertretender Leiter der Scottish Crime and Drug Enforcement Agency, kurz SCDEA, in Paisley. Er nahm den Hörer ab und lauschte. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, während er fragte: »Wie viel Promille?«
Dann legte er auf. Minutenlang schaute er aus dem Fenster in den verregneten Vormittag. Sie hatten Campbell gefunden und geborgen. Er spürte, wie Adrenalin durch seine Adern floss. Daher stand er auf, ging mehrmals vor dem großen Schreibtisch auf und ab, um sich zu beruhigen.
Er atmete tief durch, griff im Stehen erneut zum Hörer und ließ sich mit dem Justizminister verbinden.
»Herr Minister, ich habe schlechte Nachrichten. Mr. Campbell hatte einen tragischen Unfall. Am Loch Achray kam er von der Straße ab, durchbrach eine Leitplanke und stürzte in den See. Er hatte 2,8 Promille Alkohol im Blut und ertrank. Ich wurde gerade von den Kollegen aus Glasgow informiert.«
»Verdammt! Das darf doch nicht wahr sein. Ich werde unverzüglich den Ersten Minister informieren, er muss für morgen Abend absagen. Ohne Professor Campbell gibt es keine Pressekonferenz. Wurde seine Familie schon benachrichtigt? Ich glaube, der älteste Sohn James lebt in Paris und der jüngere noch zu Hause. James wird sicher sofort nach Schottland kommen. Bitten Sie ihn, mich anzurufen. Aber auf meinem privaten Mobiltelefon. Haben Sie meine Nummer?«
»Ja, Herr Minister. Ich kümmere mich persönlich darum und melde mich wieder.«
»Wann kommt denn Ihr Chef zurück, Peacock?«
»Soweit ich gehört habe, erholt er sich gut von der OP. Aber er wird uns bestimmt noch ein paar Wochen fehlen.«
Peacock legte auf und rief Detective Chief Inspector Flemming in sein Büro.
»Dick, der Kerl hatte zwei Söhne. Sag den beiden Halunken, die Campbell abgefüllt und in den See gefahren haben, sie sollen James Campbell finden und solange observieren, bis sich für sie eine unbeobachtete Gelegenheit ergibt, auch ihn aus dem Weg zu räumen. Es muss ebenfalls wie ein Unfall aussehen. Außerdem fährst du im Auftrag unserer Zeugenschutzeinheit nach Dumbarton und lässt den jüngeren Sohn in Schutzhaft nehmen. Er weiß bestimmt mehr über die Dokumente als sein in Paris lebender Bruder. Die müssen wir aus ihm herausquetschen. Ich komme hinterher, sobald ich kann.« Wieder allein setzte sich Peacock hinter den Schreibtisch und ergriff sein privates Mobiltelefon.
»Herr Bürgermeister? Wir haben noch ein kleines Problem ...«
Als Jérome und Chen Lu die Gepäckausgabe erreichten, fielen ihnen sofort die Schilder auf, die in regelmäßigen Abständen auf den stillstehenden Förderbändern standen: Außer Betrieb