Über Sun Tsu weiß man relativ wenig: Er wurde in China im damaligen Reich Qi als Sohn einer adeligen Familie geboren, man vermutet, dass er in der Zeit zwischen ca. 550 und 490 v. Chr. gelebt hat. Als Feldherr war er für seine Erfolge berühmt: So wird etwa von einer Schlacht im Reich Chu berichtet, in der seine 30.000 Soldaten gegen eine zehnfache Übermacht siegten. Ob er im Felde starb oder nach seiner militärischen Karriere einen friedlichen Lebensabend genießen konnte, ist nicht bekannt.
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WER NICHT planend vorausdenkt, und wer seine Gegner zu leicht nimmt, wird gewiss von ihnen gefangen.
Wudu Qiang war ein Räuberhauptmann zur Zeit der späten Han, etwa im Jahre 50 n. Chr., und Ma Yuan wurde geschickt, um seine Bande aufzulösen. Da Qiang einen Schlupfwinkel in den Bergen gefunden hatte, machte Ma Yuan keinen Versuch, einen Kampf zu erzwingen, sondern besetzte alle wichtigen Positionen und kontrollierte die Nachschubwege für Wasser und Geräte. Qiang gingen bald die Vorräte aus, und er war so verzweifelt, dass ihm nichts übrig blieb, als kampflos aufzugeben. Er kannte nicht den Vorteil des Gegners, sich in der Nähe von Verbindungsrouten aufzuhalten.
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Wann immer du eine Armee in Stellung bringst, um den Gegner ins Visier zu nehmen, überquere die Berge und folge den Tälern. Stell dich gegen die Sonne und lagere an erhöhten Orten. Kämpfst du an einem Hügel, dann nicht bergauf. Dies gilt für eine Armee in den Bergen.
Entferne dich sofort von einem Fluss, nachdem du ihn überquert hast. Wenn eine eindringende Streitmacht beim Marschieren einen Fluss überquert, greife sie nicht sofort an. Das beste ist, die Hälfte seiner Armee hinüber zu lassen und dann anzugreifen.
Li Chuan berichtet von dem großen Sieg, den Han Xin etwa 100 v. Chr. am Fluss Wei über Long Zhu errang: Die beiden Armeen bezogen einander gegenüber an den Flussufern Stellung. In der Nacht befahl Han Xin seinen Männern, mehr als zehntausend Säcke mit Sand zu füllen und ein Stück stromaufwärts einen Damm zu bauen. Dann führte er die Hälfte seiner Armee hinüber und griff Long Zhu an; doch nach einer Weile tat er so, als wäre sein Angriff gescheitert und zog sich eilig auf sein Ufer zurück. Long Zhu war entzückt über diesen unerwarteten Erfolg und rief: »Ich wusste, dass Han Xin ein Feigling ist!«
Er verfolgte ihn und begann seinerseits, den Fluss zu überqueren. Nun schickte Han Xin einige Männer flussaufwärts, um die Sandsäcke aufzuschlitzen und so den Fluten freien Lauf zu lassen. Das Wasser strömte herab und hinderte den größten Teil von Long Zhus Armee daran, den Fluss zu überqueren. Dann stellte Han Xin den Teil der Truppe, der abgeschnitten war, und vernichtete ihn; Long Zhu selbst war unter den Getöteten. Der Rest der Armee auf dem anderen Ufer löste sich auf, und die Männer flohen in alle Richtungen.
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Wenn du kämpfen willst, dann stelle den Eindringling nicht in der Nähe eines Flusses, den er überqueren muss. Vertäue dein Schiff statt dessen oberhalb vom Feind, und zwar gegen die Sonne. Fahre nicht stromauf, um dich dem Feind zu stellen. Deine Flotte darf nicht stromab vom Feind verankert sein, denn sonst könnte der Feind die Strömung für sich nutzen und dich mit Leichtigkeit bezwingen. Dies gilt für eine Armee am Wasser.
Wenn du Salzsümpfe überquerst, muss es deine einzige Sorge sein, sie ohne Verzögerung rasch hinter dir zu lassen, denn dort gibt es kein Süßwasser, die Tiere finden kein Futter, und schließlich sind diese Gegenden niedrig gelegen, flach und ungeschützt. Falls du gezwungen bist, in einem Salzsumpf zu kämpfen, bleib in der Nähe der Wasserpflanzen, mit dem Rücken zu den Bäumen. Dies gilt für eine Armee in einem Salzsumpf.
Auf trockenem, ebenem Grund beziehe dort Stellung, wo das Gelände leicht hinter dir und rechts hinter dir ansteigt, so dass die Gefahr vor dir ist und die Sicherheit in deinem Rücken. Dies gilt für eine Armee auf trockenem, ebenen Gelände, oder einer Hochebene.
Jede Armee zieht hohes Gelände niedrigem vor, sonniges Gelände dem dunklen. Sumpfiges Gelände ist nicht nur feucht und ungesund, sondern auch ein Nachteil im Kampf. Wenn du auf die Gesundheit deiner Männer achtest und auf trockenem Untergrund lagerst, wenn du dort pausierst, wo es genügend Hilfsmittel und Verpflegung gibt, wird deine Armee von jeder Krankheit verschont bleiben, und dies wird dir zum Sieg verhelfen.
Wenn du einen Hügel oder einen Flussdamm erreichst, überquere die Kuppe, besetze die sonnige Seite und achte darauf, dass der Hang rechts in deinem Rücken ist. Dies ist ein Vorteil für deine Soldaten, und du nutzt die Unterstützung, die des Geländes selbst dir gibt.
Wenn durch schwere Gewitter im Oberland ein Fluss, den du überqueren willst, angeschwollen ist und Schaumkronen trägt, dann warte, bis die Strömung nachlässt. Gelände, in dem es Schluchten mit Gebirgsströmen gibt, tiefe natürliche Senken, von Schranken umgebene Stellen, undurchdringliche Dickichte, Sümpfe und Bodenspalten, solltest du meiden oder schnellstmöglich verlassen. Während wir uns von solchen Orten fern halten, sollten wir den Feind zu ihnen hintreiben; während wir mit dem Gesicht zu ihnen stehen, sollte der Feind sie im Rücken haben.
Wenn es in der Nähe deines Lagers hügeliges, undurchsichtiges Gelände gibt, Teiche, die von Wasserpflanzen umgeben sind, schilfbestandene Senken oder Bergwälder mit dichtem Unterholz, dann müssen sie sorgfältig erkundet und durchsucht werden; denn dies sind Orte, an denen der Feind uns einen Hinterhalt legen oder heimtückische Spione sich verstecken könnten.
Wenn der Feind in der Nähe ist und sich ruhig verhält, dann baut er auf die natürliche Stärke seiner Position. Wenn er noch weit weg ist, aber versucht, Feindseligkeiten anzuzetteln, dann will er, dass du den ersten Schritt tust und vorrückst. Wenn sein Lagerplatz leicht zugänglich ist, dann Vorsicht, er stellt dir eine Falle.
Bewegen sich die Bäume eines Waldes, so ist das ein Zeichen für das Näherrücken eines Feindes. Wenn ein Kundschafter sieht, dass die Bäume eines Waldes sich bewegen und schwanken, sollte er erkennen, dass der Feind im Begriff ist, sie beiseite zu drücken, um einen Weg für seine Truppen zu bahnen. Das Auftauchen einiger Schutzschilde in dichtem Gras bedeutet, dass der Feind uns aufmerksam machen will.
Fliegen Vögel plötzlich auf, ist dies ein Zeichen für einen Hinterhalt an dieser Stelle. Schrecken wilde Tiere auf, weist das darauf hin, dass ein Überraschungsangriff bevorsteht. Wenn Staub in einer hohen Säule emporsteigt, ist das ein Zeichen für näherrückende Wagen; wenn der Staub niedrig bleibt und sich über ein weites Gebiet ausbreitet, dann rückt der Feind zu Fuß an. Wenn der Staub sich in verschiedene Richtungen bewegt, bedeutet dies, dass Gruppen zum Sammeln von Feuerholz ausgeschickt wurden. Kleine Staubschwaden, die auftauchen und wieder verschwinden, zeigen an, dass die Armee lagert.
Jene, deren Worte demütig sind, während sie ihre Kriegsvorbereitungen verstärken, werden vorrücken. Jene, deren Worte heftig, ungehalten und aggressiv sind, werden sich zurückziehen.
Wenn die leichten Wagen zuerst kommen und an den Flügeln Position beziehen, ist es ein Zeichen, dass der Feind sich zum Kampf aufstellt. Jene, die ohne Vertragsvorschläge einen Waffenstillstand anstreben, führen etwas im Schilde. Jene, die geschäftig eine Schlachtordnung bewaffneter Wagen aufstellen, erwarten Verstärkung. Die Schlacht wird bald beginnen.
Wenn zu sehen ist, dass die Hälfte der gegnerischen Streitmacht vorrückt, und die andere Hälfte sich zurückzieht, ist das eine Täuschung.
Im Jahre 279 v. Chr. hatte Tian Dan vom Staate Qi bei der Verteidigung der Stadt Jimo einen schweren Stand gegen die Streitkräfte von Yan, die von Qi Jie angeführt wurden.
Tian Dan sagte öffentlich: »Meine einzige Sorge ist, dass die Yan-Armee ihren Qi-Gefangenen die Nasen abschneidet und sie in die erste Reihe stellt, damit sie gegen uns kämpfen. Das wäre der Untergang unserer Stadt.« Die andere Seite, die von seiner Rede erfuhr, führte diesen Einfall sofort aus. Doch die Menschen in der Stadt wurden zornig, als sie ihre verstümmelten Mitbürger sahen, und fürchteten um so mehr, dem Feind in die Hände zu fallen. Sie kämpften und verteidigten sich hartnäckiger als je zuvor.
Tian Dan schickte abermals übergelaufene Spione zum Feind zurück, die diese Worte berichteten: »Was ich am meisten fürchte, ist, dass die Männer von Yan die Gräber unserer Vorfahren außerhalb der Stadt freilegen und unsere Herzen schwächen, indem sie unseren Vorvätern diese Schande antun.« Und sofort gruben die Belagerer alle Gräber aus und verbrannten die Leichen, die in ihnen lagen. Und die Einwohner von Jimo, die diese Schändung von der Stadtmauer aus beobachteten, weinten heftig und konnten es kaum erwarten, hinauszustürmen und zu kämpfen, denn ihr Zorn war zehnmal größer als zuvor. Tian Dan wusste nun, dass seine Soldaten für jedes Unternehmen bereit waren. Doch statt eines Schwertes nahm er eine Hacke in die Hände und befahl, an seine besten Krieger ebenfalls Hacken zu verteilen, während die Reihen durch ihre Frauen und Konkubinen ergänzt wurden. Dann ließ er die übrig gebliebenen Rationen verteilen und forderte seine Männer auf, sich satt zu essen. Den gewöhnlichen Soldaten wurde befohlen, sich außer Sicht zu halten, und die Mauern wurden mit älteren und schwächeren Männern und mit Frauen besetzt. Darauf wurden Botschafter zum Lager des Feindes geschickt, um die Bedingungen für eine Kapitulation auszuhandeln, worauf die Yan-Armee in Freudenschreie ausbrach. Tian Dan sammelte außerdem unter seinem Volk zwanzigtausend Unzen Silber und veranlasste die reichen Bürger von Jimo, das Silber zum Yan-General zu schicken mit der Bitte, er möge verhindern, dass ihre Häuser geplündert und die Frauen misshandelt würden, wenn die Stadt kapitulierte.
Die erschreckte Yan-Armee floh Hals über Kopf und wurde sofort von den Männern von Qi verfolgt, die schließlich auch den General Qi Jie erschlugen. Das Ergebnis dieser Schlacht war die Rückeroberung von etwa siebzig Städten, die zum Staate Qi gehört hatten.
Wenn die Soldaten sich beim Stehen auf ihre Speere stützen, dann sind sie schwach vor Hunger. Wenn jene, die zum Wasserholen geschickt werden, zuerst selbst trinken, dann leidet die Armee an Durst. Wenn der Feind einen Vorteil sieht und keinen Versuch macht, ihn zu nutzen, sind die Soldaten erschöpft.
Wenn eine Armee die Pferde mit Korn füttert und das Vieh schlachtet, um zu essen, und wenn die Männer ihre Kochtöpfe nicht über die Lagerfeuer hängen und damit zeigen, dass sie nicht zu ihren Zelten zurückkehren werden, dann musst du wissen, dass sie entschlossen sind, bis zum Letzten zu kämpfen.
Song antwortete: »Das gilt hier nicht. Was ich angreifen will, ist eine halb aufgelöste Armee, keine Truppe im Rückzug. Ich falle mit disziplinierten Truppen über einen wilden Haufen her und nicht über eine Gruppe verzweifelter Männer.« Darauf blies er auch ohne die Hilfe seines Kollegen zum Angriff und vernichtete den Feind. Wang Guo wurde erschlagen.
Wenn Gesandte mit Artigkeiten geschickt werden, ist es ein Zeichen, dass der Feind einen Waffenstillstand wünscht. Wenn die Truppen des Feindes zornig gegenüberstehen, aber weder den Kampf aufnehmen, noch abziehen, erfordert die Lage große Wachsamkeit und Umsicht.
Wenn unsere Truppen dem Feind zahlenmäßig unterlegen sind, so heißt das nicht, dass ein Sieg nicht möglich ist; es bedeutet nur, dass kein direkter Angriff möglich ist. Was wir dann tun können, ist, unsere ganze verfügbare Kraft zu konzentrieren, den Gegner richtig einzuschätzen und Verbündete zu gewinnen oder auf Verstärkung zu warten.
Wenn Soldaten bestraft werden, bevor du sie für dich gewonnen hast, werden sie sich nicht fügen; und wenn sie sich nicht fügen, werden sie im Kampf praktisch nutzlos sein. Werden jedoch, sobald die Soldaten dir zugetan sind, die verdienten Strafen nicht verhängt, dann werden die Männer ebenfalls nutzlos sein. Deshalb müssen Soldaten vor allem menschlich behandelt, doch mit starker Disziplin unter Kontrolle gehalten werden. Lenke sie durch sanfte Künste, einige sie durch kriegerische Künste. Dies ist eine sichere Straße zum Sieg.
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Die Kunst, zu führen, besteht darin, bei kleinen Verstößen nicht zu hart zu strafen und bei kleinen Zweifeln nicht zu schwanken. Unsicherheit und übergroße Strenge sind die sichersten Methoden, das Selbstvertrauen einer Armee zu untergraben.