Lionel White
Giftige Träume
Aus dem Amerikanischen von Wulf Bergner
FISCHER Digital
Lionel White (1905–1985) war ein US-amerikanischer Journalist und Autor. Er arbeitete auch unter dem Pseudonym L. W. Blanco. White war zunächst Polizeireporter, bis er sich erfolgreich dem Verfassen von Kriminalgeschichten widmete. Einige seiner Werke wurden verfilmt, darunter ›The Snatchers‹, das unter dem Titel ›The Night of the Following Day‹ mit Marlon Brando in der Hauptrolle in die Kinos kam.
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Der Amerikaner Mark Johns hat sich etwas Feines ausgedacht, um schnell reich zu werden. Er wird Rauschgift von Mexiko in die USA schmuggeln. Die nötigen Verbindungen hat er schon, und gleich der erste Coup klappt.
Doch da mischt sich der verdächtige Capitán Morales ein, von der mexikanischen Polizei. Ehe Johns es sich versieht, hat Morales ihn in der Hand und schickt ihn dorthin, wo man die Wege mit Leichen pflastert …
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei FISCHER Digital
© 2017 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: buxdesign, München
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Impressum der Reprint Vorlage
ISBN dieser E-Book-Ausgabe: 978-3-10-561911-7
Ich kaufte den Jaguar XKE in San Francisco. Er kostete dreieinhalbtausend Dollar, und ich bekam ihn von einem Universitätsdozenten, der den Sportwagen vermutlich nur an Wochenenden gebraucht hatte, um in Monterey auf Mädchenjagd zu gehen. Er wohnte in Berkeley kaum fünf Minuten von der Universität entfernt.
Ich kaufte den Jaguar nicht nur, weil der Preis angemessen war; ich legte die dreieinhalbtausend Dollar hin, weil ich einen leistungsfähigen Wagen brauchte. Wahrscheinlich würde ich diese Leistung nur ein- oder zweimal ausnützen müssen – aber dann kam es verdammt darauf an. Auch ein frisierter Serienwagen wäre in Frage gekommen, aber ich legte Wert darauf, ein Auto zu fahren, das nicht gleich wegen irgendeiner auffallenden Eigenschaft jedem Verkehrspolizisten oder Zollbeamten im Gedächtnis bleiben würde.
Ich war ein alter Vietnam-Kämpfer. Man hatte mich als Master-Sergeant, mit einer Handvoll Auszeichnungen, die keine zehn Dollar gebracht hätten, 19812 Dollar in bar, die ich in Saigon mit Glücksspiel und Schwarzmarktgeschäften verdient hatte, und schlechten Erinnerungen an meine vier Jahre in Vietnam, entlassen.
San Francisco ist eine herrliche Stadt, in der ich gern länger als nur zwei Wochen geblieben wäre. Vor allem lebte hier Ann Sherwood. Auf das Wiedersehen mit ihr hatte ich mich über ein Jahr lang gefreut. Aber es war ein Fehler gewesen – ein schlimmer Fehler.
Ich hatte Ann Sherwood auf den Philippinen kennengelernt, als ich dort auf Urlaub gewesen war. Sie hatte ihren Bruder Don besucht, der wie ich Sergeant war und gemeinsam mit mir Urlaub bekommen hatte. Mein Kumpel Don hatte mir viel von seiner 24jährigen Schwester erzählt, die in San Francisco Anwaltssekretärin war und mit einer jüngeren Schwester zusammenwohnte, die noch zur Schule ging.
Auf Fotos war seine Schwester Ann eine hübsche Schwarzhaarige gewesen, aber als wir sie vom Flugzeug abholten, stellte sich heraus, daß sie sogar eine Schönheit war. Sie hatte einige Tage mit ihrem Bruder verbringen wollen, war dann aber meistens mit mir zusammen. Als sie nach einer Woche nach San Francisco zurückflog, hatte ich mich Hals über Kopf in sie verliebt.
Ob das auf Gegenseitigkeit beruhte? Ich wußte es nicht. Ich wußte nur, daß sie mich gern hatte und gern mit mir zusammen war. Aber sie schien sich bewußt oder unbewußt gegen jegliche emotionale Bindung zu wehren. Ich dachte zuerst, sie hätte in San Francisco einen festen Freund. Das war ein Irrtum.
Nachdem sie wieder nach Hause geflogen war, schrieben wir uns, aber unsere Briefe wurden immer seltener und förmlicher. Trotzdem rief ich sie nach meiner Ankunft in San Francisco sofort an. Wir verabredeten uns am nächsten Abend zum Essen. Ich hatte fast das Gefühl, wir träfen uns zum erstenmal.
Ann war so begehrenswert wie immer, und als ich sie wiedersah, wußte ich, daß ich sie liebte. Doch ich konnte es nicht ausdrücken. Ich hatte mich im letzten Jahr ziemlich verändert, aber meine Gefühle für sie waren gleichgeblieben. Ich war nur nicht imstande, Ann zu sagen, was ich empfand.
Sie hatte sich ebenfalls verändert. Sie war nicht gerade kühl oder reserviert, einfach anders. Vielleicht spürte sie, daß ich mich verändert hatte. Als ich ihr nach dem Essen vorschlug, in einen Nachtklub oder ins Kino zu gehen, erklärte sie, sie müsse nach Hause.
»Meine jüngere Schwester ist allein«, sagte sie, »und ich habe dann keine Ruhe. Willst du nicht mitkommen und bei uns einen Bourbon trinken?«
Ich nickte. Wir ließen uns ein Taxi kommen, und Ann nannte dem Fahrer eine Adresse auf dem Telegraph Hill. Sie wohnte im zweiten Stock eines alten Hauses, das renoviert und in Apartments unterteilt worden war. Sie schloß die Wohnungstür auf, aber sie hätte lieber klingeln sollen.
Im Wohnzimmer war zu sehen, warum Ann es so eilig gehabt hatte, wieder nach Hause zu kommen: Lynn Sherwood lag mit einem jungen Mann auf der Couch – halbwegs bekleidet, aber in eindeutiger Stellung.
Der junge Mann sprang auf, als er uns hörte, zog die Hosen hoch, murmelte etwas und behielt mich nervös im Auge, während er an uns vorbei zur Wohnungstür schlich.
Dagegen war Lynn Sherwood nicht einmal verlegen. Sie setzte sich auf, zog ihren Rock herunter, sah kurz zu mir her und sagte lächelnd: »Hallo, Ann! Ich hätte die Kette vorlegen sollen, was?«
»Allerdings!« bestätigte ihre Schwester. Dann stellte sie mich vor. »Lynn, das ist Mark Johns. Er ist mit Don in Vietnam gewesen.«
Lynn Sherwood gab mir die Hand. Sie war sechzehn, wie ich von Ann wußte, im Gegensatz zu ihrer Schwester honigblond, blauäugig und unglaublich sexy. Der Blick, mit dem sie mich musterte, verriet, warum Ann sie abends nicht gern allein in der Wohnung ließ.
»Ann kriegt immer die großen, gutaussehenden Männer«, behauptete Lynn, »und ich muß mit Trotteln wie Carl zufrieden sein.«
»Falls das eben Carl war, kannst du ihm bestellen, daß ich ihn nicht mehr in meiner Wohnung sehen will«, erklärte Ann ihr. »Ich habe Mr. Johns zu einem Drink eingeladen. Wenn du uns Gesellschaft leisten willst, kannst du ein Cola haben.«
Sie leistete uns nicht nur Gesellschaft, sondern ließ uns auch eine Stunde lang nicht aus den Augen. Das war unangenehm, und ich konnte es kaum erwarten, endlich gehen zu können.
An der Tür erklärte ich Ann, ich würde sie am nächsten Tag anrufen. Sie nickte nur, und wir murmelten irgend etwas zum Abschied.
»Hoffentlich kommst du bald wieder, Mark«, sagte Lynn, die mich bereits duzte. »Hier fehlt manchmal wirklich ein Mann, glaub’ ich.«
Als ich Ann am nächsten Tag im Büro anrief, hatte sie bis zum Wochenende keine Zeit; deshalb verabredeten wir uns zum Mittagessen am Sonntag. Das war unser letztes Treffen in diesen zwei Wochen, denn ich hatte inzwischen Verbindung mit anderen Leuten aufgenommen und wollte bestimmte Dinge erledigen, bevor ich mich auf Ann konzentrierte.
Beim Mittagessen erklärte ich ihr, ich müsse geschäftlich verreisen, und versprach ihr, sie nach meiner Rückkehr anzurufen.
Am nächsten Tag begann ich mit den Vorarbeiten zur Verwirklichung meines Plans, der mich nach San Francisco geführt hatte. Ich wußte, daß ich Charlie in einem der kleinen Läden am Fisherman’s Wharf finden würde, wo er Touristen mexikanische Handarbeiten und in Hongkong produzierten Schund andrehte. Er war mir von Bongo empfohlen worden, den ich mal in Saigon als Haschischhändler kennengelernt hatte. Bongo war notorisch unzuverlässig, aber auf seine Empfehlungen konnte man sich verlassen, wenn sie Kriminelle betrafen.
Ich erkannte den Mann sofort nach Bongos Beschreibung: ein Eurasier mit unförmig dickem Körper, zu kleinem Kopf, Glatze und vorstehenden Zähnen. Er trug zerschlissene Turnschuhe, eine ausgefranste blaue Hose und ein schmuddeliges Hawaühemd. Als ich den Laden betrat, war er gerade dabei, zwei ältliche Damen, die aus der tiefsten Provinz nach San Francisco gekommen zu sein schienen, einen Elefanten aus Jadeimitation anzudrehen. Ich wartete, bis er sie übers Ohr gehauen und hinauskomplimentiert hatte, bevor ich mein Anliegen vorbrachte.
Er war skeptisch, als ich Bongos Namen erwähnte. Ich mußte mich erst vorstellen und ihn mit weiteren Informationen locken, bevor er bereit war, mit mir zu verhandeln. Er hielt mich anfangs für einen Käufer, und ich hatte Mühe, diesen Irrtum aufzuklären.
Ich wollte eine Einführung bei O’Farrell, der kein Pusher, sondern ein Großhändler war.
»Aber O’Farrell brauchst du nicht!« versicherte Charlie mir immer wieder. »Ich kann dir liefern, was du willst.«
Ich ließ nicht locker und drückte ihm schließlich hundert Dollar in die Hand. Dafür bekam ich den Rat, in mein Hotel zurückzufahren und zu warten, bis man mit mir Verbindung aufnahm.
Ich blieb in meinem Hotelzimmer und wartete – sechsunddreißig Stunden lang, in denen ich eineinhalb Flaschen Bourbon trank. Ich verließ mein Zimmer nicht. Ich ließ mir die Mahlzeiten aufs Zimmer bringen. Ich telefonierte nicht. Und ich fragte mich, ob es falsch gewesen war, auf Bongos Empfehlung zu vertrauen – und ob ich mir die hundert Dollar für Charlie hätte sparen können.
Schließlich klingelte das Telefon. Es klingelte um zwei Uhr morgens.
»Mr. Johns – Mark Johns?« fragte eine heisere Stimme.
»Am Apparat.«
»Sie wollten jemand sprechen, Mr. Johns?«
»Ja, Mr. O’Farrell.«
»Bringen Sie einen Ausweis mit und warten Sie vor dem Haupteingang. Zünden Sie sich eine Zigarette an und treten Sie sie sofort wieder aus.«
Er legte auf, bevor ich etwas antworten konnte.
Ich befolgte seine Anweisung und hatte erst zwei Minuten vor dem Hoteleingang gestanden, als eine schwarze Luxuslimousine neben mir hielt. Die hintere Tür wurde geöffnet. Gleichzeitig kam ein Mann aus einer Einfahrt links neben mir. Er tastete mich nach Waffen ab, griff in die Innentasche meiner Jacke und zog meine Brieftasche heraus, mit Führerschein und Kreditkarten.
»Umdrehen!« befahl er.
Die Innenbeleuchtung der Limousine wurde eingeschaltet. Eine Minute später ging sie wieder aus, und der Mann neben mir schob mich auf den Rücksitz. Ich saß dort zwischen ihm und einem weiteren Unbekannten. Die beiden verbanden mir die Augen und gaben mir die Brieftasche zurück.
Die Fahrt dauerte etwa eine Viertelstunde und endete in Chinatown. Das war zu hören und zu riechen, obwohl ich nichts sehen konnte. Meine Begleiter führten mich auf steilen Treppen in den zweiten Stock eines Hauses, setzten mich in einen fast dunklen Raum auf ein Ledersofa und nahmen mir die Augenbinde ab. Ich hörte, wie sich eine Tür schloß, und hatte den Eindruck, die beiden seien hinausgegangen.
Als ich noch versuchte, meine Umgebung zu erkennen, wurde etwa fünf Meter von mir entfernt eine auf mich gerichtete Lampe eingeschaltet, hinter der ich die schemenhaften Umrisse eines Mannes sah.
»Sie wollten mich sprechen«, sagte die hohe Stimme eines Orientalen, »und nun sind Sie hier. Worum handelt es sich?«
»Ich suche Mr. O’Farrell«, erklärte ich ihm. »Charlie hat mich …«
»Sie sprechen mit O’Farrell, Mr. Johns. Wollen Sie mir bitte mitteilen, was Sie zu mir führt?«
»Bongo in Saigon hat mir erzählt, Sie handelten mit einer Ware, an der ich sehr interessiert bin.«
»Ich handle mit vielen Waren, Mr. Johns.«
»Dann kommen wir bestimmt miteinander ins Geschäft. Ich bin jetzt seit zwei Wochen in San Francisco. In dieser Zeit habe ich an verschiedenen Stellen etwa fünfzig Joints gekauft, die alle gleich minderwertig waren.«
»Und was hat das mit mir zu tun, Mr. Johns?«
»Soviel ich weiß, kontrollieren Sie den Drogenhandel in San Francisco und Umgebung. Mir geht’s darum, die Qualität eines Produktes zu verbessern: Marihuana.«
Eine zweite Lampe wurde eingeschaltet. Ich sah jetzt, daß mein Gesprächspartner ein hagerer alter Chinese war, in einem grauen Anzug. Sein Gesichtsausdruck war nicht orientalisch undurchsichtig, sondern eher ironisch amüsiert.
»Soll das heißen, Mr. Johns, daß Sie sich soviel Mühe gemacht haben, nur um ein Kilo gute Ware kaufen zu können?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich denke nicht in Kilogramm – ich meine Tonnen.«
Der Mann, der sich O’Farrell nannte, runzelte die Stirn. »Ich verkaufe den Stoff nicht tonnenweise«, stellte er fest, »sondern kaufe ihn in solchen Mengen.«
»Richtig!« bestätigte ich. »Sie kaufen, und ich verkaufe.«
Er antwortete nicht gleich. »Und warum sollte ich an Ihrem Angebot interessiert sein?« fragte er schließlich.
»Sie sollten daran interessiert sein, Mr. O’Farrell«, antwortete ich. »Der Stoff, der hier vertrieben wird, ist völlig minderwertig, aber ich bin bereit, Ihnen für einen kaum höheren Preis reines Acapulco-Gold zu liefern. Dann können Sie darauf verzichten, guten Stoff mit einheimischer Ware zu strecken.«
»Und Sie können ihn tonnenweise liefern?« erkundigte sich der Chinese skeptisch.
»Ja«, sagte ich.
»Mr. Johns, ich weiß, daß Sie erst seit zwei Wochen in der Stadt sind. Ich weiß auch, daß Sie vor nicht langer Zeit aus der Armee entlassen wurden und nicht in Mexiko gewesen sind. Mich würde interessieren, wie Sie …«
Ich hob abwehrend die Hand. »Wie ich das anfangen will, ist meine Sache. Sind Sie an Lieferungen von jeweils einer Tonne interessiert, wenn ich erstklassigen Stoff nach San Francisco bringe?«
»Und der Preis, Mr. Johns?«
»Der schwankt natürlich etwas. Aber ich garantiere Ihnen, daß meine Ware nur etwa zehn bis fünfzehn Prozent mehr kostet als der Schund, den Sie jetzt vertreiben.«
»Welchen Beweis habe ich dafür, Mr. Johns?«
»Der einzige Beweis, den Sie brauchen, ist die Lieferung der Ware. Zeigen Sie mir, daß es hier einen Markt gibt, und ich sorge dafür, daß Sie den Stoff bekommen.«
Der Chinese machte eine nachdenkliche Pause. »Und Sie verlangen keine Vorauszahlung?« fragte er schließlich.
»Nein. Ich komme innerhalb von dreißig Tagen mit hundertfünfzig Kilo Marihuana zurück. Diese Lieferung muß natürlich bar bezahlt werden.«
»Ich dachte, wir hätten von Tonnen gesprochen, Mr. Johns?« warf er ein.
»Beim zweitenmal bekommen Sie dann eine Tonne Stoff. Ich kann sie nur nicht gleich finanzieren, sondern muß erst eine Teillieferung absetzen.« Ich machte eine Pause. »Sie können sich darauf verlassen, daß ich meine Zusage einhalte. Kann ich mich auch auf Sie verlassen?«
O’Farrell stand auf.
»Setzen Sie sich mit mir in Verbindung, sobald Sie mit Ihrer Ladung in San Francisco sind. Benützen Sie die gleiche Methode wie beim erstenmal. Und jetzt lasse ich Sie in Ihr Hotel zurückbringen.«
Ich war kurz nach halb vier wieder im Hotel und hätte vernünftigerweise ein paar Stunden schlafen sollen, bevor ich nach Süden aufbrach. Aber ich war zu nervös, um schlafen zu können, und hier in San Francisco hielt mich nichts mehr zurück. Der Jaguar XKE stand vollgetankt in der Hotelgarage, und ich hatte mein ganzes Geld in bar bei mir.
Bei Sonnenaufgang war ich bereits südlich von Monterey auf der Route 1. Bis ich Santa Barbara und die Autobahn erreichte, hatte ich den Jaguar im Griff und war sehr mit meinem Kauf zufrieden. Ich tankte in Ventura, fuhr durch Greater Los Angeles nach Süden weiter und bog erst in San Diego von der Autobahn ab.
Als nächstes mußte ich ein Boot finden, das für meine Zwecke geeignet war: ein vollständig ausgerüstetes Motorboot, das von einem Privatmann verchartert wurde – möglichst mit dem Stander eines bekannten Jachtklubs. Ich mußte mehrere Telefongespräche führen, bis ich einen Mann fand, der das richtige Boot hatte, und fuhr hin, um es zu besichtigen. Er erklärte mir, es sei nächsten Monat frei, und empfahl mir, mich so früh wie möglich anzumelden.
Es war schon fast dunkel, als ich wieder in Richtung Grenze unterwegs war. Ich hatte ursprünglich bis Tijuana durchfahren wollen, aber als ich auf dem Reklameschild eines schäbigen kleinen Motels Zimmer frei! las, merkte ich, wie müde ich schon war. Ich bog von der Straße ab und hielt vor dem halb verfallenen Empfangsgebäude, auf dessen Dach eine Leuchtschrift mit zwei fehlenden Buchstaben den Namen des Motels verkündete: Happy Hours Lodge.
Ich blieb vor der Theke stehen, stellte meine Reisetasche ab, sah mich um und entdeckte einen Klingelknopf. Ich drückte auf ihn. Als nichts passierte, klingelte ich nochmals.
»Augenblick, ich komme gleich!« rief eine müde Frauenstimme hinter der Tür nach nebenan. Sekunden später erschien eine junge Frau, die einen Fünf- oder Sechsjährigen mit schmutzigem Gesicht und in schmuddeligem Schlafanzug an der Hand hielt. Sie war eine aparte Blondine mit kornblumenblauen Augen, in Jeans und einem alten Männerhemd.
lch lächelte so müde, wie sie gesprochen hatte.
»Kann ich ein Einzelzimmer haben?« fragte ich.
Sie erwiderte mein Lächeln nicht, sondern starrte mich neugierig an.
»Sie wollen ein Zimmer?« fragte sie, als zweifle sie an meinem Geisteszustand. Als ich nickte, schob sie mir das Gästebuch hin. Während ich mich eintrug, beobachtete sie mich, als sei ich dabei, einen schrecklichen Fehler zu machen.
»Das macht fünf Dollar«, sagte sie, strich das Geld ein und gab mir einen Schlüssel. »Nummer eins – gleich dort drüben.«
Ich bat sie um ein paar Eiswürfel, und die Blondine versprach mir, sie herüberzubringen.
»Der Cola-Automat steht draußen am Eingang«, erklärte sie mir noch.
Der kleine Junge begann aus unerfindlichen Gründen zu brüllen, als ich nach meiner Reisetasche griff. Die Blondine versuchte, ihn zu beruhigen. Ich flüchtete aus dem Büro und knallte die Tür hinter mir zu.
Mein Zimmer entsprach genau dem, was man für fünf Dollar in einer Happy Hours Lodge erwarten konnte. Die Einrichtung bestand aus einem Doppelbett mit durchgelegener Matratze und schmutzigem Überwurf, einem Nachttisch, auf dem eine Lampe ohne Glühbirne stand, einem riesigen alten Kleiderschrank und einem etwas wackligen Stuhl. Abgetretenes Linoleum, angegraute Tapeten und staubige Vorhänge ergänzten den Gesamteindruck. Erstaunlicherweise funktionierte das Klimagerät unter dem Fenster.
Auch das Bad sah so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte. Das Waschbecken hatte Sprünge, und der Kaltwasserhahn über der Badewanne tropfte. Das Duschbecken wies große Rostflecken auf, wo das Email abgeplatzt war. Aber die Handtücher waren frisch gewaschen, und vor dem Spiegel standen zwei Zahnputzgläser in hygienischen Cellophanhüllen.
Ich holte meine Flasche Jack Daniels aus der Reisetasche, schenkte mir einen Drink ein und kippte ihn pur. Dann ging ich hinaus, um mir ein Cola zu holen. Als ich zu dem Automaten unterwegs war, fuhr ein Lastwagen vor und hielt neben meinem Jaguar. Der Fahrer stieg aus und verschwand im Büro.
Das Cola war lauwarm, deshalb beschloß ich, lieber auf das versprochene Eis zu warten. Aber die Blondine ließ sich Zeit. Ich wollte schon den zweiten Whisky pur trinken, als jemand klopfte.
»Herein!« sagte ich.
Sie hatte ihr Haar zurückgekämmt und etwas Lippenstift und Lidschatten aufgelegt. Aber das hätte sie sich sparen können, denn sie war auch so hübsch genug. Sie hatte eine Plastikschale mit Eiswürfeln mitgebracht.
»Tut mir leid, daß Sie so lange warten mußten«, entschuldigte sie sich. »Aber dann ist noch ein Gast gekommen, und ich mußte Johnny ins Bett bringen.«
Sie zögerte und sah kurz zu der Flasche Jack Daniels hinüber.
»Brauchen Sie noch was?«
»Nein, danke«, antwortete ich – und fügte impulsiv hinzu: »Möchten Sie einen Drink? Sie sehen müde aus, und dagegen ist ein Drink wahrscheinlich das beste Mittel.«
Die Blondine lächelte plötzlich nicht mehr. Statt dessen warf sie mir erneut einen forschenden Blick zu, als sei sie überrascht, daß ich auf die Idee gekommen war, sie zu einem Drink einzuladen. Dann zuckte sie mit den Schultern und setzte sich auf den Stuhl.
»Danke, sehr gern«, sagte sie leise.
Ich holte das zweite Glas aus dem Bad, warf Eiswürfel hinein, goß Bourbon darauf und wollte mit Cola auffüllen. Aber die junge Frau schüttelte den Kopf.
»Ich trink ihn lieber so«, erklärte sie, griff nach dem Glas und leerte es auf einen Zug. Ich schenkte ihr gleich wieder nach. Diesmal hob sie ihr Glas, lächelte mir zu und trank nur einen kleinen Schluck.
»Führen Sie das Motel allein?« fragte ich, um überhaupt etwas zu sagen.
»Nein. Der Besitzer ist unterwegs und besäuft sich wieder. Ich bin Sharon.«
»Sie arbeiten also hier?«
»So kann man’ s nennen. Aber ich würd’ alles tun, um von ihm wegzukommen!«
»Warum lassen Sie ihn nicht einfach sitzen?« erkundigte ich mich.
»Weil er mich dann umbringt!« behauptete sie. »Er würd’ mich totschlagen!«
»Wer? Der Motelbesitzer? Wer ist er? Ihr Vater, Sharon?«
»Nicht mein Vater.«
»Okay«, sagte ich. »Sie sind volljährig, stimmt’s? Warum gehen Sie nicht einfach fort? Niemand kann Sie hier festhalten, wenn Sie nicht wollen.«
Die Blondine stand ruckartig auf, kehrte mir den Rücken zu und zog ihr Männerhemd aus den Jeans. Sie schwieg, als sie mir ihren Rücken zeigte, und sie brauchte auch nichts zu sagen, denn die roten Striemen, mit denen er bedeckt war, sagten mehr als tausend Worte. Sie ließ das Hemd los, steckte es gar nicht mehr in die Jeans, drehte sich um und griff nach der Flasche.
»So hat das Schwein mich mißhandelt, als er mich heute morgen beim Kofferpacken erwischte.«
»Ist Johnny Ihr Kind?« fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, seines.«
»Warum gehen Sie nicht zur Polizei?«
»Er ist hier die Polizei. Er ist Deputy Sheriff.«
»Aber ein Schweinehund, der …«
Ich sprach nicht weiter, weil die Zimmertür aufflog und gegen die Wand knallte.
Der Kerl stand bereits im Zimmer, und als ich seine Schultern sah, überlegte ich mir, daß er quer hereingekommen sein mußte. Er war ein Riese, der mindestens hundertzwanzig Kilo wog. Allein zwanzig oder dreißig Kilo mußten in seinem Wanst stecken.
Er hatte kurzgeschnittenes rotes Haar, eng beieinanderstehende Schweinsaugen, eine Boxernase und ein Dreifachkinn. Er trug ein T-Shirt mit Schweißflecken, Khakihosen und Sandalen, keine Socken. Die langen behaaren Arme mit den breiten Händen hätten einem Gorilla gehören können. Er stank nach Schweiß und Fusel.
Der Mann blieb zunächst noch an der Tür stehen, während er langsam mich, die Whiskyflasche und die junge Frau betrachtete. Dann setzte er sich in Bewegung. Er war erstaunlich flink. Die Blondine kippte vom Stuhl, als er ihr eine Ohrfeige gab. Dann drehte er sich zu mir um.
»Was hat meine Frau hier zu suchen?« fragte er. »Du willst sie wohl besoffen machen, he?«
Sharon lag auf dem Fußboden und starrte ihn mit vor Entsetzen geweiteten Augen an.
Als der Riese einen Schritt auf mich zutrat, fiel mir auf, daß er leicht schwankte. Ich hatte keine Zeit mehr, mir zu überlegen, was ich tun sollte. Mein Fuß schoß instinktiv nach vorn. Ich wußte nur, daß ich ihn abwehren mußte, bevor er mich zu fassen bekam.
Mein Tritt in den Unterleib hielt ihn kurz auf. Als er zusammenklappte, drückte ich mich von der Bettkante ab und rammte ihm meinen Kopf in den Bauch. Das ließ ihn nach Atem schnappen.
Ich hatte eine Pistole in meiner Reisetasche, aber ich wußte, daß ich keine Zeit mehr hatte, sie zu erreichen. Mir tat der gute Whisky leid: Meine rechte Hand umklammerte die Flasche Jack Daniels und schwang sie in großem Bogen. Sie traf seine Schläfe und zersplitterte, sonst wäre er wahrscheinlich tot gewesen. So blieb er bewußtlos liegen.
Ich drehte mich nach Sharon um.
»Falls dieser Affe wirklich dein Mann ist«, sagte ich, »bist du hiermit geschieden. Du hast jetzt ungefähr fünf Minuten Zeit. Pack deine Sachen zusammen und bring sie zum Auto. Aber beeil dich!«
Sie stand wortlos auf, stieg über den Bewußtlosen weg, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und lief hinaus.
Auch ich kümmerte mich nicht um ihn, während ich packte.
Happy Hours Lodge